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cosmea
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Witten
Über mich: 
Ich lese seit vielen Jahren sehr viel, vor allem Gegenwartsliteratur, aber auch Krimis und Thriller. Als Hobbyrezensentin äußere ich mich gern zu den gelesenen Büchern und gebe meine Tipps an Freunde und Bekannte weiter.

Bewertungen

Insgesamt 307 Bewertungen
Bewertung vom 20.11.2022
Die Bücher, der Junge und die Nacht
Meyer, Kai

Die Bücher, der Junge und die Nacht


sehr gut

Geheimnisse von Menschen und Büchern
Kai Meyers neuer Roman “Die Bücher, der Junge und die Nacht“ umfasst den Zeitraum von 1933 über 1943/44 und 1971 mit einem Ausblick auf das Jahr 1990. Im Jahr 1943 wird die Bücherstadt Leipzig durch Bombenangriffe zerstört. Ein 10jähriger Junge namens Robert Steinfeld hat sein ganzes Leben in einem fensterlosen Zimmer umgeben von Büchern verbracht. Ein Unbekannter namens Mercurio befreit ihn buchstäblich in letzter Minute aus den Flammen und bittet ihn, ein bestimmtes Buch aus der Bibliothek zu holen. Einige Monate kümmert sich der Bücherdieb Mercurio um ihn, reist im Land umher und ist immer zur Stelle, wenn wieder eine Stadt bombardiert wird. Der Junge holt dann in seinem Auftrag wertvolle Bücher aus den zerstörten Häusern. Robert hat seinen Vater nie kennengerlernt. Jakob Steinfeld war ein bekannter Buchbinder in Leipzig, der in der Bombennacht umkam. 10 Jahre zuvor hatte er sich in die junge Juli verliebt, die ein Manuskript mit dem Titel “Das Alphabet des Schlafs“ von ihm binden lassen wollte. Jakob und Juli kamen sich näher, bevor Juli spurlos verschwand. Im Jahr 1971 bittet die Bibliothekarin Marie Robert Steinfeld, ihr zu helfen, die Bibliothek des berühmten Verlegers Pallandt aufzulösen. Dabei stößt er auf Spuren seiner Vergangenheit. Robert und Marie gehen zahlreichen Hinweisen nach und treffen Überlebende. Auf diese Weise erhält Robert Informationen zu seiner Identität und kann das Schicksal seiner Eltern aufklären.
Der Roman ist eine Mischung aus Zeit- und Familiengeschichte und liest sich gut. Der Autor fängt die Atmosphäre der Nazizeit ein und liefert anschauliche Schilderungen einer schlimmen Epoche der deutschen Geschichte. Außerdem gibt es zahlreiche Passagen über Sekten und Geheimbünde, Reinkarnationstheorien und allerlei dubiose Praktiken. Insgesamt sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 20.11.2022
Feldpost
Borrmann, Mechtild

Feldpost


sehr gut

Familiengeschichten vor historischem Hintergrund
Die Anwältin Cara Russo erledigt im Jahr 2000 ihre Weihnachtspost in einem Café in Kassel, als sich eine fremde Frau an ihren Tisch setzt und ihr von ihrer vergeblichen Suche nach einer Frau erzählt, die im Krieg ihre Sachen auf ihrem Bauernhof zurückgelassen hat. Als die Unbekannte plötzlich verschwunden ist, stellt Cara fest, dass sie einen alten Aktenkoffer mit 60 Jahre alten Feldpostbriefen und Dokumente über den Verkauf einer Villa in Kassel zurückgelassen hat. Neugierig geworden beginnt Cara mit den Nachforschungen und findet heraus, wie alles zusammenhängt.
In Mechtild Borrmanns neuem Roman “Feldpost“ geht es um die Familien Gerhard und Katharina Kuhn und Hermann und Sophia Martens, die Mitte der 30er Jahre noch befreundet sind genauso wie ihre Kinder Adele und Albert Kuhn und Dietlind und Richard Martens. Dann entfernen sie sich voneinander, denn Hermann ist ein Anhänger des Regimes, während Gerhard offen Kritik übt und sich damit in große Gefahr begibt. Die Kuhnts verkaufen ihre Villa zu einem symbolischen Preis an die Martens. Das Ehepaar Kuhnt flieht über Frankreich nach Portugal, während ihre Kinder in Deutschland bleiben, um ihr Studium zu beenden. Auch Richard und Albert bringen sich durch ihre verbotene Liebe in Schwierigkeiten. Albert kommt ins Gefängnis, Richard wird zum Sanitätsdienst an die Front geschickt. Von dort schreibt er jahrelang an Adele gerichtete Liebesbriefe. Die Anwältin trifft Überlebende und rekonstruiert die damaligen Geschehnisse. Alle Informationen hat am Schluss jedoch nur der Leser.
Die Autorin erzählt die Familiengeschichte im Wesentlichen auf zwei Zeitebenen, 1935-1945 und 2000-2001. Dabei legt sie besonderen Wert auf den zeitgenössischen Hintergrund. Es geht um eine große Liebe, aber auch um Verrat, Gier nach Besitz und Mord. Der Leser setzt die allmählich enthüllten Puzzleteile zusammen und genießt die auch sprachlich sehr gelungene Mischung aus Familiengeschichte und Chronik einer Epoche. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 20.11.2022
Als die Welt zerbrach
Boyne, John

Als die Welt zerbrach


sehr gut

Lügen, Geheimnisse und Schuld
John Boynes Roman “Als die Welt zerbrach“ schließt inhaltlich und personell an “Der Junge im gestreiften Pyjama“ an und erzählt Gretels Leben auf mehreren Zeitebenen. Gretel floh nach Kriegsende mit ihrer Mutter aus Polen, zunächst nach Frankreich, wo sie ihre Herkunft nicht lange verbergen konnten. Nach dem Tod der Mutter wandert Gretel nach Australien aus. Aber auch dort ist sie nicht sicher, weil ihr ein ihr bekannter ehemaliger Nazi mit neuer Identität schaden könnte genauso wie sie ihm. Sie war als 12jährige in den Soldaten verliebt, der ihrem Vater, dem Lagerleiter von Ausschwitz, unterstellt war. Danach ging sie nach London, wo sie den Historiker Edgar Fernby heiratete, einen Sohn aufzog und seit Jahrzehnten in einer Wohnung in einem Villenviertel lebt. Inzwischen ist sie 91 Jahre alt. Dann zieht eines Tages eine Familie mit einem 9jährigen Sohn ein, und alles wird anders. Das Ehepaar streitet häufig lautstark, und Mutter und Sohn haben immer wieder neue Verletzungen. Für Gretel stellt sich die Frage, ob sie wieder wegsieht und verdrängt wie in Ausschwitz, wo sie erst spät verstand, was da passierte, oder ob sie versucht, den Jungen und seine Mutter zu schützen. Gibt sie jetzt ihre Deckung auf und stellt sich erstmalig ihrer Vergangenheit, die sie ein Leben lang verdrängt hat? Sie war ein 12jähriges Mädchen und hat keine Verbrechen begangen, gesteht sich aber inzwischen eine Mitschuld am Tod des jüngeren Bruders Bruno ein.
In diesem Roman über ein wichtiges Thema geht es immer wieder um die Frage der Schuld. Man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wie lebt man damit? Gretel ist traumatisiert und beschädigt, und hat sich nur ihrem Mann Edgar offenbart, ansonsten geschwiegen, gelogen, verdrängt… Dieses nicht ganz einfach zu lesende Buch lässt den Leser nicht kalt, verlangt aber einiges an Aufmerksamkeit und Geduld. Es ist dennoch eine empfehlenswerte Lektüre, die eigentlich die Kenntnis des Vorgängers voraussetzt.

Bewertung vom 20.11.2022
Frau mit Messer
Byeong-mo, Gu

Frau mit Messer


sehr gut

Ein Leben in der Finsternis
Im Mittelpunkt des Romans “Frau mit Messer“ der südkoreanischen Autorin Byeong-Mo steht eine 65jährige Frau, die sich Hornclaw nennt und seit 45 Jahren für eine Agentur für Schädlingsbekämpfung arbeitet, deren Mitbegründerin sie einst war. Als Schädlinge werden Menschen bezeichnet, die andere verärgert haben oder ihnen im Weg sind und von den Mitarbeitern der Agentur gegen Bezahlung aus dem Weg geräumt werden. Hornclaw ist so unauffällig und unscheinbar, dass sie in der Öffentlichkeit morden kann, ohne jemals aufzufallen. Die Spezialistin hat weder Verwandte noch Freunde. Sie lebt allein mit ihrem Hund Deadweight, den sie mehr schlecht als recht versorgt. Inzwischen fragen sich nicht nur die Kollegen, ob es nicht an der Zeit ist aufzuhören. Wenn sie einen Fehler macht, riskiert sie ihr Leben und schadet dem Ruf der Firma. Besonders der junge Kollege Bullfight hat es auf sie abgesehen. Er nennt sie respektlos „Omi“ und begegnet ihr mit Ablehnung und offener Feindseligkeit. Hornclaw bemerkt, dass er ihr bei Aufträgen hinterherspioniert, um sie bei Fehlern zu erwischen. Es dauert lange, bis sie begreift, mit wem sie es zu tun hat, als ihre neue Zielperson ausgerechnet zu einer Familie gehört, für die sie so etwas wie Zuneigung empfindet, was nur Bullfight beobachtet haben kann. Ihr Leben lang hat sie ohne Bedauern und Schuldgefühle gemordet. Jetzt entwickelt sie zunehmend Empathie, was das Risiko gefährlich erhöht.
Ich habe den Roman gern gelesen, zumal er auch kritische Einblicke in die südkoreanische Gesellschaft gewährt, vor allem die Stellung der Frau. Die Charaktere sind sorgfältig gezeichnet, wobei ich mich gewundert habe, wie sympathisch mir die Serienmörderin Hornclaw war. Rückblenden in ihre Kindheit und Jugend zeigen, warum sie diesen Weg gegangen ist. Ein interessanter, sehr empfehlenswerter Roman.

Bewertung vom 16.11.2022
Der mexikanische Fluch
Moreno-Garcia, Silvia

Der mexikanische Fluch


gut

Ein feministischer Schauerroman
Silvia Moreno-Garcías Roman “Der mexikanische Fluch“ spielt im Mexiko der 50er Jahre. Noemí Taboada lebt in Mexico City. Sie ist attraktiv, liebt schöne Kleider und amüsiert sich gern. Die jungen Männer liegen ihr zu Füßen. Eines Tages erhält ihr Vater einen verstörenden Brief ihrer Kusine Catalina, die Virgil Doyle geheiratet hat, einen Spross einer ehemals reichen englischen Familie, die in ihren Silberminen indigene Arbeiter ausbeutete. Mehrere Epidemien dezimierten die Belegschaft. Catalina bittet um Hilfe, weil sie überzeugt ist, dass ihr Mann sie vergiftet. Noemi reist zum Familiensitz High Place in einer ländlichen Gegend und ist entsetzt über Catalinas Zustand. Sie ist bettlägerig, hat Halluzinationen und verhält sich wie eine Verrückte. Noemi reagiert verstört auf den heruntergekommenen Zustand des Hauses, den Gestank, die überall wuchernde Pilze, und bald hat auch sie Albträume und unrealistische Visionen und beginnt schlafzuwandeln. Die Bewohner des Hauses und das Personal begegnen ihr feindselig, und sie gerät immer stärker in die Gewalt der Finsternis, die das Haus und seine Bewohner beherrscht. Die einzige sympathische Figur in diesem Umfeld ist Virgils Vetter Francis, der allein zu schwach ist, um sich gegen die anderen Doyles aufzulehnen, gegen seine unsympathische Mutter Florence oder gegen Howard Doyle, den totkranken alten Patriarchen. Noemí sieht lange keine Möglichkeit, ihrer Kusine zu helfen und womöglich die Flucht für Catalina, Francis und sich selbst zu organisieren, aber sie ist stark und gibt nicht auf.
“Der mexikanische Fluch“ verbindet die Tradition des englischen Schauerromans mit Elementen mexikanischer Mythologie. Dabei wird die Atmosphäre immer düsterer und bedrohlicher, der Horror zunehmend unappetitlich. Es werden Themen wie Verfall, Opferung und Wiedergeburt behandelt und Theorien zur Überlegenheit bestimmter Rassen gegenüber anderen entwickelt, womit die Doyles gern ihre Verbrechen in der Vergangenheit schönreden. Der Roman ist nicht schlecht, aber mir persönlich gefällt die Anhäufung von Horrorelementen nicht. Das muss man wohl mögen.

Bewertung vom 01.10.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


sehr gut

Die Geschichten, die wir erzählen
Celeste Ngs neuer Roman “Unsre verschwundenen Herzen“ spielt in den USA in der nahen Zukunft. Das PACT (Preserving American Culture and Traditions Act) genannte Gesetz beendete 10 Jahre zuvor eine schwere Krise, die viele Menschen in den Ruin trieb. Man gab Asien, vor allem China die Schuld an allen Krisen und Fehlentwicklungen. Per Gesetz wird die amerikanische Kultur geschützt und alle subversiven Elemente sollen ausgemerzt werden. Eine große Zahl von Büchern verschwindet, chinesische Straßennamen werden geändert, und die Bürger tragen demonstrativ die amerikanische Flagge als Abzeichen. Um Kinder vor schädlichen unamerikanischen Einflüssen zu schützen, werden Familien auseinandergerissen und die Kinder unter neuem Namen an unbekanntem Ort in Pflegefamilien und Heime verfrachtet. Dieses Schicksal droht auch dem 9jährigen Noah Gardner, genannt Bird, weil seine Mutter Margaret Min die Tochter chinesischer Einwanderer ist. Sie hat einen Gedichtband veröffentlicht, aus dem das Gedicht „All our Missing Hearts“ stammt, das zum Schlachtruf einer Protestbewegung gegen PACT geworden ist. Um ihre Familie zu schützen, verschwindet Margaret spurlos. 3 Jahre später schickt sie ihrem geliebten Sohn eine Zeichnung, und Bird macht sich auf die Suche. Der Roman erzählt seine Odyssee und die Szenen von Diskriminierung und Gewalt, deren Zeuge bzw. Opfer der nicht wie ein reinrassiger Amerikaner aussehende Junge wird.
Die berührende Geschichte beschreibt aktuelle Tendenzen, ja sogar Geschehnisse, die es in der Vergangenheit bereits gegeben hat: Kinder aus indigenen Familien wurden zum Beispiel in Kanada und Australien von ihren Familien getrennt, ggf. auch getötet, wie die noch immer auf dem Gelände ehemaliger Heime in Kanada gefundenen Massengräber beweisen. Unter Trump wurden an der amerikanisch-mexikanischen Grenze Eltern von ihren Kindern getrennt, und Trump bezeichnete diese Einwanderer als „bad hombres“. Die aktuelle Pandemie war für ihn „the China Flu.“
Ng zeigt in ihrem Buch, dass wir den Menschen nicht mit Misstrauen und Furcht begegnen sollten, sondern mit Liebe und Empathie. Sie rühmt die Macht der Worte, die Rolle der Bücher. Bibliotheken werden bei ihr zu einem Ort der Zuflucht und der Begegnung. Die Geschichten, die wir uns erzählen, sind wichtig. Mir gefällt die Figur des Jungen und das Porträt dieser Mutter-Kind-Beziehung sehr. Ein sehr empfehlenswerter Roman.

Bewertung vom 24.09.2022
Der Sturm
Harper, Jane

Der Sturm


gut

Leid und Schuld
Kieran Elliott kommt nach 12 Jahren in seinen Heimatort Evelyn Bay an der tasmanischen Küste zurück, um seiner Mutter bei einem Umzug zu helfen. Er wird begleitet von seiner Freundin Mia und der kleinen Tochter Audrey. Hier hatte sich damals während eines furchtbaren Sturms ein Unglück ereignet, bei dem Kierans älterer Bruder Finn genauso ums Leben kam wie Toby, der Bruder seines Freundes Sean. Außerdem verschwand damals Gabby Birch, 14, die jüngere Schwester von Olivia, die ebenfalls zu dem Freundeskreis gehört. Der Polizist Chris Renn, inzwischen Sergeant, ist immer noch in der Polizeistation tätig. Kaum ist Kieran in seinem Heimatort angekommen, wird eine junge Frau tot am Strand gefunden. Bronte Laidler war die Mitbewohnerin von Olivia Birch. Kieran ist in Evelyn Bay nicht willkommen, weil man ihm die Schuld am Tod der beiden Männer gibt. Aus diesem Grund ist auch sein Verhältnis zu seiner Mutter gespannt. Keiner im Ort hat die damalige Tragödie vergessen, und vor allem die Angehörigen der Toten und des verschwundenen Mädchens trauern noch immer. Im Verlauf der Ermittlungen kommen immer mehr Details aus der Vergangenheit ans Licht. Die Polizei will wissen, was damals wirklich geschah und gleichzeitig den aktuellen Mordfall aufklären.
Ich kenne die drei Vorgänger dieses Romans, die allesamt spannender waren und Landschaft und Klima in viel stärkerem Umfang einbezogen. Hier geht es immer nur um die eine kleine Bucht mit den drei eisernen Statuen, die bei Flut im Wasser verschwinden, sowie den Eingängen zu den beiden Höhlen mit dem Labyrinth von Gängen im Inneren. “Der Sturm“ hat mich enttäuscht, nicht zuletzt wegen der schlechten Qualität der Übersetzung und der erheblichen Zahl von Fehlern, die ein sorgfältiges Lektorat hätte ausmerzen können.

Bewertung vom 18.09.2022
Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1
Yokomizo, Seishi

Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1


sehr gut

Ein raffinierter Plot
Mit “Die rätselhaften Honjin-Morde“ des vor gut 40 Jahren verstorbenen in Japan berühmten Autors Seishi Yokomizo liegt endlich die deutsche Übersetzung eines Kriminalromans vor, der bereits 1946 als Serie und 1973 als Buch existierte. Der Autor hat gründlich recherchiert, eine Menge Material zusammengetragen und Zeugen befragt. Als Ich—Erzähler ist er Teil der Geschichte und wendet sich immer wieder direkt an den Leser, um sicherzustellen, dass seine Hinweise verstanden werden.
Kenzo Ichiyanagi, der älteste Sohn der Witwe Itoko, will im Alter von 40 Jahren endlich heiraten. Seine Auserwählte, die junge Lehrerin Katsuko, wird jedoch wegen ihrer bäuerlichen Herkunft von der Familie zunächst abgelehnt. Kenzo setzt sich durch und bereitet die Hochzeit auf dem Anwesen der reichen und angesehenen Familie vor. In der Hochzeitsnacht sind jedoch plötzlich Schreie zu hören und jemand spielt die Koto. Als sich Angehörige Zugang zum Schlafzimmer der Brautleute verschaffen, bietet sich ihnen ein furchtbarer Anblick. Die Eheleute liegen in ihrem Blut auf dem Bett. Das Besondere daran ist, dass es keine Hinweise auf einen Eindringling gibt, auch nicht wie dieser das von innen verschlossene Zimmer verlassen hat. Ginzo, der Onkel der Braut, ruft den befreundeten Privatdetektiv Kosuke Kindaichi zu Hilfe. Diesem gelingt es schließlich, den Tathergang zu rekonstruieren und das Rätsel des Locked Room Murder Mystery zu lösen. Dem Leser gelingt das mit Sicherheit nicht. Da gibt es falsche Fährten und Verdächtige wie den heruntergekommenen Mann mit den drei Fingern, der vor der Tat im Dorf gesehen wurde und der sich ausdrücklich nach der Adresse der Familie erkundigt hatte.
Der Autor schreibt einen Roman in einem traditionellen Genre, zeichnet aber auch ein Porträt von komplizierten Familienstrukturen und äußert sich kritisch zu gesellschaftlichen Verhältnissen. Trotz des geringen Umfangs erhält der Leser ausreichende Informationen über die beteiligten Personen und den Schauplatz. Ich habe den spannenden Roman gern gelesen.

Bewertung vom 10.09.2022
Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1
Joshi, Alka

Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1


sehr gut

Eine Frau kämpft ums Überleben
Alka Joshis Roman “Die Hennakünstlerin“ spielt in Indien Mitte des 20. Jahrhunderts nach Ende der britischen Kolonialherrschaft. Im Mittelpunkt steht die junge Lakshmi, die mit 15 von ihren Eltern verheiratet wurde, weil sie sie nicht länger ernähren konnten. Nach zwei Jahren flieht sie, um ihrem gewalttätigen Ehemann Hari zu entkommen und bringt damit Schande über ihre Familie. Lakshmi lebt in der Großstadt Jaipur und hat sich einen guten Ruf als Hennakünstlerin erworben. Reiche Frauen aus der Oberschicht lassen sich von ihr kunstvoll bemalen oder bei gesundheitlichen Problemen mit ihren von der Schwiegermutter erworbenen Kenntnissen in der Kräuterheilkunde helfen. Auch bei traditionellen Festen und Ritualen aller Art ist ihre Hilfe sehr gefragt. Trotz der allgemeinen Wertschätzung bleibt ihr der gesellschaftliche Aufstieg versagt, weil sie bei ihrer Arbeit die Füße ihrer Kundinnen berührt, was sonst nur Frauen der niedrigsten Kaste tun. Dann holt sie eines Tages ihre Vergangenheit ein, als ihr Ehemann mit ihrer 13jährigen Schwester Rhada bei ihr auftaucht, von deren Existenz sie nichts wusste.
Der Roman erzählt, wie sich die schwierige Beziehung zwischen den Schwestern entwickelt und wie sich Lakshmi gegen die ständigen finanziellen Forderungen ihres Mannes wehren muss. Sie wird Opfer einer Verleumdungskampagne und verliert ihre Kundschaft und ihre Existenzrundlage, aber Lakshmi gibt nicht auf. Joshis Roman lässt den Leser auch sprachlich tief in eine fremde Welt eintauchen, wo die Zugehörigkeit zu einer Kaste und gesellschaftlichen Klasse über das Leben der Menschen entscheidet und die soziale Ungerechtigkeit besonders Frauen benachteiligt. Da freut sich die Leserin doch, in einer westlichen Kultur zu leben.
Mir hat die mit viel Empathie erzählte Geschichte sehr gut gefallen und ich empfehle sie gern allen, die bereit sind, sich auf eine fremde Welt einzulassen.

Bewertung vom 10.09.2022
Das siebte Mädchen
Willingham, Stacy

Das siebte Mädchen


sehr gut

Die Monster sind mitten unter uns
In Stacy Willinghams Debütroman “Das siebte Mädchen“ geht es um entführte und ermordete Mädchen 20 Jahre zuvor und in der Gegenwart. Chloe Davis, 32, ist Psychologin in Baton Rouge und ist noch immer schwer traumatisiert durch das, was sie mit 12 Jahren erlebte. Damals verschwanden innerhalb kurzer Zeit sechs junge Mädchen. Ausgerechnet Chloe fand Beweismaterial im Kleiderschrank und übergab es der Polizei und machte belastende Aussagen, die zur Verhaftung und Verurteilung ihres Vaters führten. Ihr Vater gestand die Taten, und die Familie zerbrach. Die Mutter unternahm einen Selbstmordversuch und lebt seitdem als Pflegefall im Heim. Chloe blieb nur der drei Jahre ältere Bruder Cooper. Dann werden wieder zwei Mädchen ermordet. Gibt es einen Nachahmungstäter, oder sitzt der Falsche seit 20 Jahren im Gefängnis? Das zweite Mädchen verschwand nach ihrem ersten Gesprächstermin bei Chloe. Chloe mit ihrer komplizierten Vorgeschichte gerät in den Fokus der Polizei, aber niemand glaubt ihr, wenn sie Verdächtige nennt. Sie ist mit Daniel Briggs verlobt und will in Kürze heiraten. Auch Daniels Schwester Sophie verschwand vor 20 Jahren. Aaron Jansen, ein Reporter, interviewt Chloe und kommt ihr näher. Chloe wird seit der Tragödie in ihrer Kindheit von Ängsten und Albträumen gequält und vertraut eigentlich niemand mehr. Sie überlebt nur mit Hilfe von Medikamenten. Als die Tochter ihrer Freundin verschwindet, greift sie massiv in die Ermittlungen ein und geht verschiedenen Verdachtsmomenten nach.
Der mit einigen Längen erzählte Thriller ist von der Plotidee her nicht neu und hat viele überraschende Wendungen, nicht alle plausibel. Ich habe die Auflösung frühzeitig erraten, die Geschichte dennoch bis zum traurigen Ende verfolgt. Der Roman hat mir weniger gut gefallen, als ich erwartet hatte.