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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 01.08.2022
Blindfisch
Fessel, Karen-Susan

Blindfisch


sehr gut

Die Angst vor der Nacht
Lon - ein sympathischer Jugendlicher mit guten Freunden, sportlich, beliebt, die baldige Klassenfahrt vor Augen - was könnte schöner sein? Wenn da nicht seine Krankheit, das Usher-Syndrom, wäre, die er um jeden Preis erstmal verstecken möchte. Dass er mit Hörproblemen aufwächst und ein Hörgerät trägt, stört keinen, das ist bekannt. Aber jetzt kommt noch der zweite Teil dazu, der ihn weit mehr einschränkt und den er verstecken möchte, solange es irgendwie geht: Sein Sehvermögen nimmt ab. Das äußert sich leider ständig im Alltag: Beim geliebten Volleyballspiel zeigt er nicht mehr seine gewohnte Stärke, Fahrradfahren wird unsicherer, er erkennt Gesichter nicht mehr und auf der Klassenfahrt wird es fast katastrophal, wenn er im Wald verschwunden geht, über Wurzeln stolpert, sich verletzt, auf das Schwimmen im Meer verzichtet aus Angst, die Orientierung zu verlieren.
Armer Lon - warum vertraut er sich nicht seinen Freunden an? Weil die mit anderen Dingen beschäftigt sind? Weil er möglichst lange seine Autonomie bewahren möchte? Weil er selbst nicht wahrhaben möchte, wie stark diese Krankheit seine Freiheit einschränkt und er so lange wie möglich den Anschein der Normalität aufrecht erhalten möchten?
Neben dieser Angst vor der Krankheit bringen aber noch ganz andere Dinge seinen Gefühlshaushalt durcheinander - neue Bekanntschaften, Begegnungen, Annäherungen. Auf der Suche nach sich Selbst und seinen Wünschen und Bedürfnissen begleiten wir den zaudernden und zögerlichen jungen Mann. Wir würden ihm gerne Tipps und Ratschläge mitgeben, doch jeder muss seinen eigenen Weg finden und gehen, Entscheidungen treffen und mit ihnen leben. Dabei wünschen wir ihm alles Gute!
Eine typischer Teenager mit einem untypischen Schicksal, der sein Leben in die Hand nehmen muss, den wir auf seinem Weg zum Erwachsenwerden ein Stück begleiten. Der Jugendroman „Blindfisch“ von Karen-Susan Fessel, der ganz viel Atmosphäre transportiert, flüssig zu lesen ist, dessen Sprache zwischen Eloquenz und stockenden, einsilbigen Antworten changiert, ganz wie es Jugendliche mitunter zu tun pflegen. Eine ruhige, intensive Geschichte, die die Gefühlswelt Lons gelungen einfängt. Aber ob sie tatsächlich Jugendliche zum Lesen einfangen kann, wage ich zu bezweifeln.

Bewertung vom 24.07.2022
Dämmerstunde
Sok-Yong, Hwang

Dämmerstunde


sehr gut

Die arme Künstlerin, der erfolgreiche Architekt, der alte Freund im Koma, die bezaubernde Schülerin aus armen Verhältnissen, der skrupellose Ganove mit Ehrgefühl, der Dan-Träger, der beim offenen Straßenkampf keine Chance hat. Diese unterschiedlichen Figuren begegnen uns in Whang Sok-yongs Roman „Dämmerstunde“ und es wirkt zu Beginn, als würden etwas verworrene, unzusammenhängende Kurzgeschichten erzählt. Aber dann löst sich der Knoten, die Charaktere tauchen erneut auf, interagieren, Beziehungen und Zeitebenen werden deutlich und die Handlungsstränge sichtbar.
Der Leser muss aktive Mitarbeit leisten, um die Nebelwand zu durchbrechen, wird dann aber auch durch Aha-Erlebnisse und eine faszinierende Aussicht belohnt.
Eine spannende Erzählung, die uns in eine fremde Welt entführt, in der Armut, Korruption, Existenznot, Gewalt und Suizid allgegenwärtig sind, aber auch Überlebenswille, Glücksmomente, Freundschaft und Familie, Ehre, Heimat und Zugehörigkeit. Es geht um politisch und gesellschaftlich aktuelle Themen, die Verteilung des Geldes, die Vergabe von Bauaufträgen, Riesenprojekten, Bestechung, Schaffung von Wohnraum für Reiche und Zerstörung desselbigen der Ärmsten, Luxus-Immobilien auf der einen und Slums auf der anderen Seite. Die Gegensätze werden herausgearbeitet, die Wellblechhütten der Slumbewohner und die Nobelvillen der Privilegierten.
Es gibt nur einen Wanderer zwischen den Welten, aber anhand seiner Biografie wird fraglich, inwieweit Geld und finanzieller Erfolg glücklich machen. Ein schaler Geschmack bleibt, die Verhältnisse, die sind halt so.
Wo bleibt die Gerechtigkeit? Die Chance zum Glücklichsein?
Ein gewisser Optimismus ist für mich aber dennoch sichtbar - die Kritik am System, an der Korruption, an der Unmöglichkeit der Selbstverwirklichung der Armen - das ist eine Art Aufklärung, die die Perspektive ändert und das ist durchaus positiv – das Gefühl, was wäre wenn… denn eine Gesellschaft, deren Strukturen so festgefahren und ungerecht erscheinen, hat die Veränderung und Öffnung, die Selbstbestimmung des einzelnen dringend nötig!

Bewertung vom 16.07.2022
Die Schuhe meines Vaters
Schäfer, Andreas

Die Schuhe meines Vaters


sehr gut

Kein Roman, sondern eine intime Rekonstruktion der Beziehung zum Vater, eine Betrachtung des Mannes von der Kindheit bis zum Tod, eine Annäherung an diesen starken, widersprüchlichen, intensiven, schwer zugänglichen Vater.
Andreas Schäfer lässt uns teilhaben an dieser Spurensuche. Schonungslos, teilweise auch extrem detailliert und offen, lernen wir den Vater Robert kennen, der kaum tiefere Kontakte zu seinen Mitmenschen aufbauen kann, obwohl er so kommunikativ und unterhaltsam ist. Als Kind in seiner Heimatstadt Berlin ausgebombt, schon früh sein Elternhaus und die gewohnte Umgebung verloren, wird er ein Getriebener, immer unterwegs, voller Begeisterung für Literatur, Kunst, Kultur, für das Wahre und Schöne, das Reisen und Erkunden, das akribisch vorbereitet wird. Die Beziehung zu seinen beiden Söhnen und seiner griechischen Ehefrau ist wechselhaft, teils intensiver, teils wieder durch Entfremdung geprägt, aber immer wieder auch mit Bewunderung und Zuneigung verbunden.
Letztendlich geht es um das Abschiednehmen vom Vater, der plötzlich einen Hirntod erleidet und nun von den lebensrettenden Maschinen wieder entkoppelt werden muss. Diese Entscheidung müssen die Angehörigen treffen und es ist eigentlich keine Frage nach dem „ob“, sondern nach dem „wann“ und bei diesem Warten und Sich-Anfreunden mit dem Tod ergeben sich diverse Fragen und die Vater-Sohn-Beziehung wird im Nachhinein neu betrachtet, analysiert und bewertet.
Eine literarische Biographie, die dem Leser die Augen für die eigene Vater-Kind-Beziehung öffnen kann, die anregt, Familienstrukturen zu überdenken, eventuell auch Schritte zu unternehmen, die eine Wiederannäherung ermöglichen. Ein nachdenkliches Buch über Verlust, Fernweh, Verstoßen-Werden, Rastlosigkeit, Sehnsüchte und Träume, Wut, innere Ruhe, Anerkennung – die Unbehaustheit eines Exzentrikers. Trotz allem ist das Buch versöhnlich und am Ende begibt sich der Autor nach einer Dusche / Reinigung auf die Suche nach seiner Familie, Frau und Tochter, Repräsentanten der nächsten Genration.

Bewertung vom 10.07.2022
Irgendwann geht auch das vorbei
Rußmann, Pamela

Irgendwann geht auch das vorbei


sehr gut

Be calm and carry on...
Das Corona-Mutmach-Portrait: Starke Fotos von schönen Frauen in all ihrer Vielfalt

Dieses Buch zeigt eine ganz subjektive Auswahl von Frauen, die zu Corona-Zeiten portraitiert werden. Was ist Corona? Was macht das Virus mit uns? Wie verändern wir uns?
Diese Fragen sind aktuell und jede(r) stellt sie sich, jetzt und hier, in dieser Ausnahmesituation. Aber letztendlich sind die Fragen auch universell und zeitlich nicht begrenzt, es geht um den Sinn unseres Lebens.
Aus der Einschränkung und der Distanz ist eine wunderbare Idee zu einem Projekt entstanden, dass es ohne Corona nie gegeben hätten - aus der Not wird eine Tugend gemacht. Die Fotos von ganz unterschiedlichen Frauen sind so intim, wunderschön, ehrlich, stark. Die Frauen geben viel von sich Preis, der Blick ist aber nie voyeuristisch, sondern offen und authentisch, ein Blick auf Augenhöhe.
Durch wiederholte Interviews mit einzelnen Frauen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sehen wir eine Entwicklung bzw. bekommen einen Eindruck von der Stagnation der Pandemie, der großen Auszeit, die das komplette Dasein verändert und die Menschen herausfordert.
Das weite Leben wird dargestellt, eine große Bandbreite von Biographien, der Umgang mit und das Leben während Corona, ein Zeitdokument dieser besonderen Phase.
Was ich mir als Ergänzung vorstellen könnte? Eine größeres Spektrum von unterschiedlichen Biographien: ältere Frauen, jüngere Frauen, Frauen aus anderen Berufsfeldern, vielleicht auch Schülerinnen, Rentnerinnen.
Ich empfinde das Ende tröstlich und warm - irgendwann geht auch diese Phase vorbei. "Spazieren ist das neue Tanzen" - was für ein positiver Ausdruck; wir können, müssen und werden auch so weiterleben und das Beste aus der Situation machen. Immer wieder aufstehen, sich positionieren, weitermachen, positiv denken, das Gute sehen, wir haben es fast geschafft - denn es geht vorbei, wir überstehen auch diese schwierigen Zeiten, wir finden Wege, zu leben, uns das Leben einzurichten, nicht alles läuft immer glatt, es gibt Höhen und Tiefen, aber wir meistern Ausnahmesituationen, finden uns, entwickeln uns, sind widerstandsfähig und stark!
Yes, we can! Verschiedene Wege führen uns durch das Leben und es gibt nicht die eine Lösung und die eine richtige Wahrheit, jede(r) muss seine / ihre Möglichkeiten entdecken, immer wieder aufs Neue.

"Wir richten uns ein in dieser Zeit, wir haben ja nur die eine, und verwandeln uns mit ihr."

Bewertung vom 07.07.2022
Papyrus
Vallejo, Irene

Papyrus


sehr gut

Eine großartige, besondere Form der Literaturgeschichte bzw. der Geschichte der Bücher, die Irene Vallejo hier verfasst. Ein Sachbuch, das alle Vorstellungen von einem Sachbuch sprengt, eher ein Teppich aus 1001-Nacht, gewebt aus bunten Farben, unterschiedlichen Ornamenten und Bildern, Geschichten werden ge- und verknüpft, es wird bestens unterhalten, man möchte tiefer eintauchen in diese neuen, altbekannten Geschichten, die von Liebe und Leidenschaft, von der Sehnsucht nach Wissen und Weisheit handeln. Irene-Sheherazade erzählt die Geschichten, die sich von einem Strang zum nächsten weiterhangeln, man möchte verweilen, überspringen, eintauchen, entschlüpfen. Das Sammelsurium regt zum Blättern und Vertiefen ein, kein Buch, das von vorne bis hinten in einem durchgelesen werden sollte, sondern ein Buch wie ein Spaziergang, wie eine Reise, bei dem Abkürzungen und Pausen gewählt und gewährt werden können. Das einzige Manko des Buches könnte darin bestehen, den großen Weg zu verlassen und sich immer wieder auf kleine Nebenpfade zu begeben, der rote Faden ist nicht immer zu finden und an einigen Stellen vernebeln zu viele Details den Blick.
Nichtsdestotrotz regt das Buch die Sinne und den Intellekt auf wunderbare Weise an, da es die Liebe zum Buch zum Thema macht, bekannte Größen vor allem der antiken Geschichte stehen neben unbekannten HeldInnen, die es zu entdecken gilt, Augen werden geöffnet und der Horizont erweitert. Eine wunderbare Leistung von Vallejo, diese vielen Fäden interessant zu verweben und zu einem Großen und Ganzen zu gestalten. Die subjektiv gewählten Schwerpunkte geben auf knapp 800 Seiten einen Überblick und wollen zum Lesen, Genießen und Goutieren der großen Literatur verführen… ein Leseverführer voller Liebe und Leidenschaft, der verzückt und inspiriert und meiner persönlichen Leseliste neue Nahrung verschafft. Eine Reiseführer in unbekannte Welten und Weiten!

Bewertung vom 23.06.2022
Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen / Die Carbonaro-Saga Bd.1
Giordano, Mario

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen / Die Carbonaro-Saga Bd.1


sehr gut

Ein Familienepos, das in eine fremde Welt eintauchen lässt - die Welt der Gastarbeiter, die vor langer Zeit aus Sizilien nach Deutschland gekommen sind und die Geschichte eines Mannes, Barnaba, der alles erreicht und alles verloren hat. Zeitlich spielt die Handlung zwischen 1880 bis heute, geographisch bewegen wir uns zwischen Sizilien und München. Gegensätze prallen aufeinander, Dorf und Stadt, Veränderungen werden deutlich, die Geschichte des 20. Jahrhunderts als eins der großen Themenfelder.
Trotzdem keine typische Familiensaga, es geht um mehr, glaubwürdige Charaktere handeln, reagieren, kämpfen und lieben, die Geschichte schlittert nah an der Übertreibung und am kitschigen Liebesgeplänkel vorbei, aber Giordano schaffte es dann doch immer noch im letzten Moment die Reißleine zu ziehen, Balance zu halten, zu faszinieren und mitzunehmen. Der Roman erinnert an die großen Romanciers, an Manns Buddenbrocks, an Allendes Geisterhaus, an Márquez‘ Hundert Jahre Einsamkeit, generell an die südamerikanische Erzähltradition. Uns begegnet ein magischer Realismus, Geister bevölkern die Welt und treiben immer wieder ihr Unwesen, barocke Erzählstränge werden mit überbordender Fantasie und abstrusen Momenten durchwebt. Ein wahrhaftiges Lesevergnügen und ein Eintauchen und Abdriften in eine andere, z.T. schockierende und düstere, z.T. lebenslustige und schillernde Welt!

Bewertung vom 17.06.2022
Im Dschungel um acht, bis einer lacht
Henry, Katie

Im Dschungel um acht, bis einer lacht


ausgezeichnet

Katie Henrys Roman „Im Dschungel um acht, bis einer lacht“ ist eine besonderer Coming-of-Age-Roman – eine wunderbare Protagonistin, die sich vom unsicheren Entlein zum starken, selbstbewussten Schwan entwickelt, ein Roman, der zu Herzen geht, der bestens unterhält und berührt.
Wir begleiten Isabel und erleben ihre Entwicklung, die im Zentrum des Romans steht. Zuerst von Unsicherheit geprägt, die Eltern konzentrieren sich auf die Geschwister und sehen sie kaum, der eifersüchtige Freund Alex will sie klein und von ihm abhängig halten, entwickelt sich Isabel / Izzy zu einer Person, die sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst wird, die sich nicht mehr versteckt, sondern es genießt, im Rampenlicht zu stehen. Sie entdeckt ihre Fähigkeit, mit Witz und Ironie Gegebenheiten auf den Punkt zu bringen und punktet dadurch immer wieder in ihrem neuen, zweiten Leben als Stand-up-Comedien, von dem aber die übrige Welt erstmal nichts wissen darf. Was für ein Spagat für Isabel! Wird sie es schaffen, die beiden Welten zu vereinen und sich einen Platz in beiden zu verschaffen?
Nicht nur für Jugendliche ist diese Erkenntnis ein ganz wichtiger Aspekt für den Reifungsprozess: Sei, der du bist, erkenne dich selbst und lebe danach, nicht die Meinung anderer steht im Zentrum, sondern du allein musst dich gut fühlen und mit dir und deiner Umwelt im Reinen sein – die Basis für jedes geglückte Leben!
The show must go on but always with the right spirit!

Bewertung vom 15.06.2022
Tiefes, dunkles Blau
Kobler, Seraina

Tiefes, dunkles Blau


weniger gut

Seraina Koblers Krimi „Tiefes, dunkles Blau“ ist ein Roman, in dem Zürich die Hauptrolle spielt – die Schönheiten, Besonderheiten, die kleinen, unbekannten und geheimnisumwobenen Orte, die Prachtstraßen, die Treffpunkte der nächtlichen Schickeria, Gourmettipps und vor allem der Züri-See in all seinen Facetten – definitiv ein Ort, der eine Reise wert ist.
Dagegen kommt der wahre Krimifan wohl eher nicht auf seine Kosten, der spannende und etwas exzentrische Einstieg mit der Wasserleiche hält nicht, was er verspricht. Schleppend geht es voran, immer wieder vertieft sich die Autorin und mit ihr die Protagonistin Rosa in exotische Gerichte, Amuse-Gueule, eine Vinaigrette aus Liebstöckel, Rotweinessig und wild fermentierten Radieschen und vielen weiteren Delikatessen. Mir geht es beim Goutieren eines Krimis allerdings eher um spannungsreiche Mörderjagd als um kulinarische Genüsse und deshalb sind für mich diese seitenfüllenden Ausführungen eher Überfütterung denn Gaumenschmeichler.
Nun denn, Kommissarin Rosa ist dennoch sympathisch, wenn man auch ihr tiefstes Inneres nicht zu durchdringen vermag und sie mir letztendlich fremd bleibt. Sie versucht als unabhängige, alleinstehende Frau ihren Alltag zu meistern und mit den Narben der Vergangenheit die Gegenwart zu bestehen. Eine neue Liebschaft scheint sich anzubahnen, der Kinderwunsch ist nicht nur bei ihr Thema, sondern er zieht sich auch durch den gesamten Roman. Der Fall der Wasserleiche steht natürlich auch immer wieder im Zentrum und diese wird in Beziehung gebracht zu einigen ganz unterschiedlichen Frauentypen – ehrgeizige Wissenschaftlerin, schöne Gattin, wilde Studentin, die allesamt ein Motiv und nur z.T. ein Alibi haben, diesmal ein typisches Element von Kriminalgeschichten - der Fall schreitet voran und die Lektüre ihrem Ende entgegen.
Unabhängig vom Spannungsaufbau und den Erwartungen einer Krimileserin hat der Roman eines aber durchaus erreicht: Er bereitet einfach viel Lust auf ein neues Erkunden der faszinierenden Stadt am See!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.05.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


ausgezeichnet

Die Würde hört beim Tod nicht auf
Wo beginnt Sterbebegleitung, Sterbehilfe, wo hört sie auf? Wann ist es Mord? Wer ist in der Lage, das zu beurteilen? Was bedeutet Schuld und was ist Gerechtigkeit? Die moralische Verpflichtung, einen geliebten Menschen beim Sterben zu begleiten, ihm zu helfen, auch wenn es gesetzlich untersagt ist, ist eine der zentralen und aktuellen Fragestellungen des Romans „Die sieben Schalen des Zorns“, und anhand eines konkreten Falls werden die unterschiedlichen Positionen erörtert und gegeneinander abgewägt. Immer wieder stehen die Fragen nach Recht, Gerechtigkeit und Gesetzesvorgaben im Zentrum, eingepackt in einen spannenden Fall und der Leser stellt sich immer wieder die Frage: Wie hätte ich in einer solchen Situation gehandelt? Was ist richtiges und moralisches Handeln? Es geht um Freundschaft, Integrität, Wahrheit und auch um unterschiedliche Gottesbilder, die das Weltbild und die Deutung der Geschehnisse bedingen.
Spannend wie ein Thriller, zum Mit- und Nachdenken auffordernd, voller philosophischer Fragestellungen bietet der Roman ein breites Spektrum an Diskussionsanlässen und Themenfeldern. Die unterschiedlichen Zeitebenen lassen den Leser immer tiefer in die Figuren und deren Erlebnisse, Beziehungen, ihre Vergangenheit und Gegenwart eintauchen. Nach und nach entschlüsseln wir die anfänglichen Leerstellen, es bildet sich ein großartiges Beziehungsgeflecht und Verhaltensweisen und Anschauungen werden nachvollziehbar.
Der Göttinger Jurist Markus Thiele schafft es wieder einmal, seine Leser sehr unterhaltsam in die komplexe Welt der Paragraphen und Gesetze eintauchen zu lassen und ermöglicht uns, einen kleinen Einblick in diese fremde Welt zu erhaschen.
„Die einen machen Gesetze, die anderen wenden sie an. Politik ist Politik und Gesetz ist Gesetz.“