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Juma

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Insgesamt 96 Bewertungen
Bewertung vom 19.03.2023
Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1
Werrelmann, Lioba

Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1


gut

Ich habe mir den Krimi "Tod in Siebenbürgen" als Geschenk gewünscht, weil mir die Annotation und auch die Leseprobe wirklich gut gefallen haben. Noch nie habe ich über Siebenbürgen oder Rumänien ein Buch gelesen und auch die Schriftstellerin Lioba Werrelmann kannte ich bisher nicht.
Man lernt also Paul Schwartzmüller kennen, knapp 50 Jahre alt und freier Journalist, der mit 14 Jahren aus Siebenbürgen nach Deutschland kam. Sein Vater hatte ihn in einer Nacht- und Nebelaktion außer Landes gebracht, danach waren alle Brücken in die Vergangenheit und alle Verbindungen, auch zur geliebten Tante Zinzi, abgerissen. Auch nach dem Ende der Ceaușescu-Ära änderte sich daran nichts. Bis zum Beginn des Romans in der heutigen Zeit weiß Paul auch nicht, dass seine Tante noch lebte. Nun hat sie ihm ihr Haus vererbt und er muss notgedrungen nach Rumänien reisen, um die Formalitäten zu klären. So weit so gut und recht glaubhaft beschrieben.
Dann aber gerät Paul in ein wirklich mysteriöses, an Merkwürdigkeiten kaum zu überbietendes Dorf. Er quartiert sich in "seinem Haus" bei einer eher abschreckend wirkenden Frau Namens Maia ein und erlebt recht Abartiges. Gleich am Beginn trifft er seinen Schulfreund wieder, der als Führer auf der Burg Bran die Leute erschreckt. Als am nächsten Tag ein Mann Namens Günther tot aufgefunden wird, mit dem blutverschmierten Freund Sorin daneben, ist für die Polizei die Sache klar. Sorin landet in Untersuchungshaft und hofft, dass sein alter Freund Paul ihn rettet. Paul aber findet eher Beweise gegen als für seinen Freund und beginnt sich im Dorf bekannt zu machen und umzusehen. Natürlich muss auch dieser Krimi wieder für einen Umweltskandal herhalten, man findet ja heute kaum noch Autoren, die nicht das eine oder andere grüne Thema in die Story einfließen lassen. Nicht ganz mein Interesse. Besonders, wenn es so ekelerregend geschildet wird, wie in diesem Buch. Und die Zigeuner sind es dann auch, die am meisten darunter zu leiden haben.
Paul gerät in recht missliebige Situationen, mal hat er eine tote Fledermaus im Leihwagen, mal liegt eine gepfählte Schaufensterpuppe zur Abschreckung vor seinem Bett, er bekommt auch vergiftete Suppe spendiert, der wirkliche Mörder und Verbrecher hat es ganz offenbar auf ihn abgesehen. Paul aber tappt bis fast zum Ende im Dunklen, hat Schuldgefühle und ständig "eine kalte Hand im Nacken". Ein Zigeunermädchen namens Pušimori entpuppt sich im Laufe der Handlung als äußerst geschickte Hackerin und gibt Paul den einen oder anderen Tipp für seine "Ermittlungen".
Über den Ausgang der Geschichte gebe ich natürlich nichts preis, wen die Story interessiert, der soll auch bis zum Schluss die Spannung behalten.
Mir hat der Stil nicht besonders gut gefallen, immer wieder die Wiederholung von Standardsätzen, die Paul durch den Kopf huschen, die Handlung eher verwirrend, die Protagonisten gewöhnungsbedürftig. Dass Paul durch einen Schnellschuss mit einem Artikel über den Umweltskandal beinahe seine weitere Karriere aufs Spiel setzt, finde ich etwas unglaubwürdig, kein normaler investigativer Journalist wäre bei klarem Verstand so leichtsinnig. Und mit einem Handy einen ellenlangen Artikel in ein Redaktionsnetzwerk zu fummeln, nun ja, wer es glaubt. Das der kluge Deutsche für seine Unternehmungen einen halb toten Kleinwagen mietet, ist auch eher ein Running Gag fürs Buch. Etwas besser sollte man schon recherchieren, was einem für Straßenverhältnisse bevorstehen.
Sollte Paul Schwartzmüller weiter ermitteln, muss er das leider ohne mich tun.

Bewertung vom 12.02.2023
Als Großmutter im Regen tanzte
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


ausgezeichnet

Schweigen ist so schmerzhaft wie die Wahrheit
Eine junge Frau mit dem hoffnungsvollen und fröhlichen Namen Juni flieht auf eine Insel. Sie hat das Haus ihrer Großeltern, die schon länger tot sind, von ihrer Mutter Lilla geerbt. Juni ist schwanger von ihrem Mann Jahn, der cholerisch und gewalttätig ihr Leben zur Hölle machte, das Kind möchte sie nicht behalten. Juni ist von Selbstzweifeln und Selbstmitleid geplagt, sie versteckt sich nicht nur vor Jahn, sondern auch vor sich selbst. Nun will sie auf der Insel zur Ruhe kommen. Der alte Nachbar Alfred ist ihr eine moralische Stütze, denn er kannte noch ihre Großeltern Tekla und Konrad, natürlich auch Lilla.
Juni beginnt das Haus aufzuräumen und findet verschiedene Dinge, die die Vergangenheit plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ein Foto ihrer Großmutter, an die Juni sich liebevoll erinnert, zeigt Tekla mit dem deutschen Soldaten Otto. Tekla war eine Tyskertøs, ein verachtetes Deutschenmädchen. In zwei unterschiedlichen Zeit- und Erzählebenen erfährt der Leser ihre Geschichte und begleitet Juni auf ihrer Reise in die Vergangenheit.
Doch zuerst hat Jahn ihre Spur gefunden und als sie ihm weder gehorchen noch nach Hause folgen will, schlägt er sie zusammen. Der alte Alfred und ein plötzlich auftauchender Mann namens Georg Alsaker helfen ihr und Jahn wird von der Polizei abgeholt. Nur langsam erholt sich Juni von dem Schock, der neue Nachbar Georg erweist sich als ein einfühlsamer und kluger Freund. Juni erzählt ihm von der Geschichte Teklas und ihrem Verdacht, dass Großvater Konrad wohl nicht der Vater ihrer Mutter Lilla sein würde. Gemeinsam machen sie sich anhand einiger Dokumente auf die Spurensuche. Diese führt sie später auf einer gemeinsamen Reise nach Demmin, woher Otto, der deutsche Soldat auf dem gefundenen Foto, ursprünglich stammte. Parallel zur Spurensuche entwickelt die Autorin auf der zweiten Zeitebene die tragische Lebensgeschichte von Tekla, die mit der Ausreise aus Norwegen und der Heirat eines Deutschen gleichzeitig ihre norwegische Staatsbürgerschaft verliert.
Demmin, 1945 geschah dort Unbeschreibliches, Hunderte Frauen mit ihren Kindern, aber auch Männer, nahmen sich binnen weniger Tage das Leben. Der Einmarsch der Roten Armee, die Vergewaltigungen und Plünderungen durch entmenschlichte Rotarmisten, das Niederbrennen der Stadt, das konnten viele nicht ertragen oder sie hatten Angst, dass es auch ihnen noch geschehen würde. Demmin ist ein humanitäres Unglück, das lange verschwiegen wurde, in der ehemaligen DDR waren Erzählungen dieser Art über die "Freunde" generell unerwünscht und wurden als westliche, feindliche Propaganda abgetan und verfolgt. Selbst mehr als 30 Jahre nach der Wende ist das Wissen über die Geschehnisse immer noch kein Allgemeingut, nur wer sich tatsächlich interessiert, wird in Büchern und Zeitschriften, teils auch im Fernsehen, fündig. Für Juni ist es ein wahrer Schock.
So wird sich herausstellen, dass Otto von Russen erschossen wurde und Lilla bei einer Massenvergewaltigung durch diese Russen entstanden ist. Tekla wird trotz allem ihr Kind bekommen und mit Konrads Hilfe den Weg zurück nach Hause, nach Norwegen finden. Das Schweigen aber wird sie alle, Tekla, Konrad, Lilla und auch Juni immer begleiten. Juni wird bei der weiteren Suche, begleitet von Georg, immer tiefer eindringen in die Familiengeheimnisse und am Ende auch noch das letzte Rätsel ihrer Herkunft lösen können.
Die ersten Kapitel hatten mich etwas ratlos gemacht und irritiert, aber mit Beginn der zweiten Erzählebene um Teklas Lebensweg hat sich das geändert. Es war spannend, ihn zu verfolgen. Die Unbedingtheit des Bruders von Tekla zu erfahren, die sie fast das Leben gekostet hätten, aber auch die Hilfe von Menschen, die selbst wenig oder nichts hatten, zu erleben, das war sehr eindrucksvoll und berührend. Dabei wird auch der Ursprung der Liebe von Tekla zum Tanz im Regen erklärt, was die Geschichte zu einem Ganzen verbindet. Der Roman verheißt ein tröstliches Ende. Vielleicht werden es Juni und Georg sein, die sich mit Liebe, Offenheit und Vertrauen ein neues Leben aufbauen.
Der Roman liest sich gut und schnell findet man sich in die Zeitebenen ein. Die Protagonisten sind so charakterisiert, dass man keine Probleme hat, sich diese als lebendige Menschen vorzustellen. Trude Teige hat ein weiteres Mal bewiesen, dass sie eine hervorragende Menschenkennerin und -beobachterin und eine perfekte Geschichtenerzählerin ist.

Bewertung vom 30.01.2023
Saubere Zeiten (eBook, ePUB)
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Aus einer wahren Begebenheit in der Geschichte seiner Familie macht Andreas Wunn einen fulminanten Roman, der sein Alter Ego Jakob Auber auf einer aufregenden, hochemotionalen Reise in die Vergangenheit begleitet.
Jakob ist Ende dreißig, Journalist, frisch getrennter Ehemann, Vater des kleinen Oskar, Ex- und immer mal wieder Freund von Teresa, Sohn von Hans, Enkel von Theodor Auber. All das in seiner Verdichtung schon nicht leicht, schleppt Jakob jede Menge Erinnerungen mit sich herum, die ihn psychisch fordern: der frühe Tod der Mutter, das Aufwachsen als Halbwaise mit einem Vater, der sich mit seiner Trauer ganz in sich selbst zurückzieht und Jakob wenig hilft, den Verlust zu bewältigen. Nun liegt ebendieser Vater nach einem Schlaganfall im Koma, der Sohn reist von Berlin nach Trier, um ihn zu sehen, vielleicht ein letztes Mal mit ihm zu sprechen.
In Trier warten auf Jakob Überraschungen, mit denen er im Leben nicht gerechnet hat. Das letzte Rätsel, das ihm sein Vater hinterlässt, ist ein Zettel mit den Worten „Drempel“ und „Kiste“, die Spur führt in sein altes Kinderzimmer und Jakob glaubt seinen Augen nicht, als er es wiedersieht: ein Archiv aus Ordnern, Bildern, Tonbändern. Der Vater hat ihm sein ganzes Leben hinterlassen, Jakob kämpft sich durch diese Hinterlassenschaften und muss erkennen, dass er von seiner Familiengeschichte, aber auch von seinem eigenen Vater und dessen Problemen kaum etwas wusste.
Der Werbespruch „Auber macht sauber“ war denn auch das Einzige, dass er noch in Erinnerung behalten hatte, wenn es um die Waschmitteldynastie seines Großvaters Theodor Auber ging. Den hatte Jakob noch kennengelernt, er starb, als Jakob acht Jahre war, die Großmutter hatte er noch weit besser in Erinnerung. Und die kühle Atmosphäre, die er zwischen seinem Vater und der Großmutter bemerkte. Nun erfährt er von den Großeltern Dinge, die er vielleicht lieber nicht wüsste. Der Großvater „übernahm“ die Drogerie seines jüdischen Lehrmeisters und Chefs Stein im Jahr 1938, eine Arisierung, über die in der Familie nicht gesprochen wird. Dass nach dem Krieg Bella, Steins Tochter, die als einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt hat, bei Theodor Auber Arbeit findet, wird nicht thematisiert. Die Erinnerungen von Hans an diese junge Frau werden erst in den Tonbändern lebendig, die Jakob nun anhört.
Jakobs Vater erwacht nicht mehr aus dem Koma, aber Jakob erfährt von einer merkwürdigen Begebenheit kurz vor der Krankheit des Vaters. Er soll in einem Supermarkt heftig randaliert und ganze Regale mit Waschmittelpulver zerstört haben. Für Jakob unfassbar, warum rief sein Vater immer wieder den Namen „Bella“? An dieser Stelle nimmt der Roman eine neue Wendung, ich möchte anderen Lesern nicht die Spannung verderben, deshalb gibt es hier keinen Spoiler. Nur so viel, es bleibt spannend und interessant bis zum Schluss.
Andreas Wunn hat einen perfekten Stil gefunden für das Hin- und Her dieser Erinnerungen, die gepaart sind mit den Gedanken und Gefühlen, die Jakob überrollen. Das Buch benötigt keine Zeitangaben in Kapitelüberschriften, wer genau und aufmerksam liest, wird über die Zeiten nicht stolpern.
Besonders gut gefallen hat mir die Zeichnung der Charaktere, jeder der männlichen wie weiblichen Protagonisten bleibt mir mit seinen Eigenheiten, seinen unangenehmen Seiten, seinen Liebenswürdigkeiten in Erinnerung. Ja, Großvater Theodor als Oberhaupt der Familie mag unangenehm erscheinen, aber auch er findet bei Jakob seinen Platz, nicht zuletzt, weil sein Vater Hans ihm alles so lebendig erzählt auf seinen Tonbändern. Sehr anrührend fand ich die Passagen, in denen sich Jakob an seine Mutter erinnert, die ihm immer so wunderbar und feenhaft erscheint. Als Pendant dazu wird er die Kindheit und Jugend seines Vaters wie in einem Hörbuch erfahren. All das erzählt und verknüpft Andreas Wunn auf höchst glaubwürdige Weise, es ist nicht nur eine Familiengeschichte geworden, sondern auch eine Geschichte über eine deutsche Familie im 20. Jahrhundert. Die Wahl des Titels "Saubere Zeiten" ist genial, das Cover passt perfekt!
Ein Buch, das sich gut liest, das ich ungern aus der Hand gelegt habe und an das ich mich gern erinnern werde.

Bewertung vom 27.01.2023
Alma
Fohl, Dagmar

Alma


sehr gut

Vernichtetes Lebensglück, trotzdem ein Happy End
Dagmar Fohls Buch Alma hatte ich mir als Geschenk gewünscht, nachdem ich schon ihre Bücher „Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“ und „Frieda“ gelesen hatte. Die Thematik des Nationalsozialismus, des Holocaust und auch der Euthanasie ist mir seit meiner Kindheit vertraut, immer wieder stoße ich seitdem auf neue Bücher, Filme oder Hörspiele. Aber die Verarbeitung der Thematik in fiktionale Geschichten sehe ich als eine besondere Herausforderung an, einerseits verlangt sie nach Geschichtswissen und klaren Fakten, andererseits muss ein Roman menschliches Leid und die Vielfalt der tatsächlichen Einflüsse auf menschliches Verhalten widerspiegeln. Das ist gar nicht so einfach, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Umso mehr gefallen mir die Bücher von Dagmar Fohl, denn sie hat eine große, empathische Fantasie, die ihr beim Schreiben hilft.
Nun zum Buch: Hamburg, 1938, Antisemitismus, Verfolgung, Entrechtung der Juden. Alma ist die zu früh auf die Welt gekommene Tochter des jüdischen Musikalienhändlers und Cellisten Aaron Stern und seiner jungen Frau Leah. Beide haben endlich die Papiere für die Schiffspassage nach Cuba in der Hand, als die Frühgeburt einsetzt. Ein befreundeter Arzt rettet das Kind und versichert den jungen Eltern, dass er sie bei sich behält, bis „alles vorbei sei“. Aaron und Leah begeben sich schweren Herzens auf die St. Louis, die tragische Geschichte dieser Schiffsreise ist bekannt, am Ende der Reise landen beide wieder in Europa. Sie werden von den Niederlanden aufgenommen, aber sofort im Lager Westerbork interniert. Westerbork ist nach der Besetzung durch Deutschland übergangslos zum Sammellager der Juden in den Niederlanden und zum Ausgangspunkt der Deportation von Hunderttausenden geworden. Aarons Cellospiel in Lagerorchester rettet weder ihn noch Leah, beide werden im Viehwaggon nach Auschwitz verfrachtet. Aaron schafft es wieder, im Orchester einen Platz zu erhalten, Leah aber ist den Strapazen nicht gewachsen. Das Einzige, was Aaron nun am Leben hält, ist der Wille, seine Tochter Alma nach der Befreiung wiederzufinden. Bis auf den Tod bleibt ihm aber nichts erspart, er gelangt nach Bergen-Belsen, überlebt knapp und begibt sich endlich in seiner Heimatstadt auf die Suche. Vergeblich. Mit seinem Freund Ludwig plant er die illegale Einreise nach Palästina, unglücklicherweise mit dem Schiff Exodus. Auch diese traurige Geschichte, die der Welt noch heute die Schamröte ins Gesicht treiben müsste, überlebt er und landet irgendwann wieder in Hamburg.
Sein ganzes Leben in Freiheit wird Aaron unter Panikattacken, Angstzuständen und Depressionen leiden. Dagmar Fohl beschreibt nicht nur seine seelischen Schmerzen, sie beschreibt auch, wie er damit umgeht. Gut nachvollziehbar, dass er teilweise versucht, den Mantel des Vergessens über seine Vergangenheit zu legen, andererseits das Misstrauen gegenüber seinen Mitmenschen niemals aufgeben kann.
Im letzten Drittel des Romans ist mir der Schreibstil manchmal ein wenig zu schwülstig, aber offenbar verlangt die Geschichte nach all den Schrecken der Vergangenheit auch nach ein wenig Romantik und Schönheit. Ein Happy End liefert das Buch dann auch.
Der Roman ist geschrieben als eine Art Lebensbericht des mittlerweile fast einhundertjährigen Aaron, das gibt dem Buch einen durchgehenden Halt und roten Faden.
Ich kann dieses Buch sehr empfehlen und bin gespannt, welches Thema die Autorin als nächstes aufgreift.

Bewertung vom 23.01.2023
Totes Moor / Janosch Janssen ermittelt Bd.1
Engels, Lars

Totes Moor / Janosch Janssen ermittelt Bd.1


sehr gut

Lars Engels präsentiert uns seinen ersten Krimi und der ist auch gut gelungen. Janosch Janssen, junger und etwas zu kurz geratener Kriminalkommissar, wird zu einem Leichenfundort gerufen. Nicht, weil er erste Wahl ist, sondern weil er ganz in der Nähe wohnt. Für Janssen in mehrerlei Hinsicht problematisch. Er muss seine kranke Mutter, in deren Haus er seit einer Weile wieder lebt, alleine zu Hause lassen und er fährt mit einem äußerst unguten Gefühl ins Rote Moor zum Leichenfund. Rund neun Jahre zuvor war seine heimliche Jugendliebe Matilda nach einem mysteriösen Autounfall, den sie noch selbst der Polizeileitstelle meldete, für immer verschwunden. Janssens Vater ist derjenige, der für den vermutlichen Tod Matildas verantwortlich zu sein schien. Er ertrug den Druck nicht und nahm sich das Leben. Nun ist Janssen derjenige, der ihn rehabilitieren möchte. Denn die gefundene Moorleiche wird als Matilda Nolte identifiziert. Aber Janssen ist nicht allein mit seiner Absicht, den Tod nun aufzuklären, auch Diana Quester, Kriminaloberrätin, und schon vor neun Jahren mit diesem vertrackten Fall beschäftigt, geht nun wieder in die Spur. Aus meiner Sicht nicht gerade die freundlichste Person im Spiel. Ihr Adlatus setzt noch einen drauf.
Janssen versucht alles, um Licht ins dunkle Moor zu bringen, ob die Lösung des Falles aber so einfach wird, verrate ich lieber nicht. Spannung bleibt bis zum Schluss, die will ich nicht kaputtschreiben.
Was mich ein wenig störte, sind die "Moorerklärungen", das war mir ein bisschen viel Biologie. Die Zeitwechsel im Buch aber sind gut gelungen, man liest sich mit der Zeit ein und versteht die Zusammenhänge. Mich störte rein optisch der kursive Satz der Rückblenden, in der kleinen Schriftart ist das Kursive schlecht lesbar. (Bin nicht mehr die Jüngste und Brillenträger.) Der Schreibstil insgesamt ist flüssig und gut lesbar, für einen Erstling sage ich "Hut ab!".
Übrigens: das Cover wird auf dem Büchertisch im Laden bestimmt ein Hingucker, gefällt mir sehr.

Bewertung vom 19.01.2023
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


sehr gut

Ungewöhnlicher "Kriminalfilm"
Aufgebaut sind die Kapitel dieses Krimis wie ein Drehbuch, z. B. "INNEN – PONTIAC GRAND AM – NACHT" - diese stakkatoartigen Überschriften sind wie kleine Hammerschläge. Was passiert? Was denkt die Studentin Charlie in den nächsten paar Minuten? Ist es klug, eine Mitfahrgelegenheit zu nutzen, wenn man weiß, dass ein Serienkiller noch nicht hinter Schloss und Riegel ist? Der gesunde Menschenverstand sagt eher nein, aber dann wäre das Buch bald zu Ende. So begibt sich Charlie in eine Situation, der sie stellenweise nicht gewachsen ist. Dann driftet sie kurz in die von ihr so sehr geliebte Filmwelt ab und weiß manchmal nicht so genau, hat sie geträumt oder phantasiert? Josh, der der Fahrer dieser Nacht ist, verhält sich auch höchst merkwürdig, Charlie glaubt sich in den Fängen des ominösen Serienkillers und setzt alles daran, dass ihr (Ex-)Freund sie aus der Misere befreit. Ob er das schafft, verrate ich hier natürlich nicht.
Nur soviel, bis zur Mitte des Buches muss man unbedingt durchhalten, man braucht da schon einen etwas längeren Atem, manchmal wollte ich das Buch schon zur Seite legen. Erst als es über den Peak ist, wurde es spannend. Manchmal dachte ich tatsächlich, Charlie wacht auf und hatte nur einen etwas zu wilden Traum. Aber die Sache wird dann doch noch sehr spannend.
Das Ende gefiel mir am besten, aber wehe, jemand liest es zuerst, das verdirbt den Spaß am spannenden Buch!

Bewertung vom 05.01.2023
Das Sams und die große Weihnachtssuche / Das Sams Bd.11
Maar, Paul

Das Sams und die große Weihnachtssuche / Das Sams Bd.11


sehr gut

Wundersame Geschichten, die das Sams-Leben so schreibt
Paul Maar ist mit seinen Sams-Büchern einer Vielzahl von Lesern bekannt, und das schon seit fast genau 50 Jahren. Mit „Das Sams: Ein Leben voller Samstage“ hat 1973 alles begonnen. Unterdessen sind also nicht nur Generationen mit dem Sams aufgewachsen, sondern, wie ich, auch mit ihm alt geworden. Nun habe ich das erste Mal seit vielen Jahren ein Kinderbuch gelesen und mich damit sehr amüsiert und gut unterhalten.
Dass man vielleicht einige „Vorkenntnisse“ haben sollte, sei auch erwähnt, aber der Autor stellt dem Buch einige Seiten an den Anfang, die zumindest die Grundlagen der Sams-Welt erklären. Und dann ist man auch schon ganz schnell drin im aktuellen Sams-Leben, bei Sams‘ Papa Taschenbier und der Nachbarin Frau Rotkohl. Weihnachtsfeier und Drumherum lesen sich lustig und die immer wieder eingefügten Reime sind meist auch niedlich. Manchmal scheint durch all den Spaß ein bisschen der erhobene Zeigefinger durch, wenn die Leser bzw. Vorleser auf das eine oder andere Fehlverhalten mit der Nase gestoßen werden: z. B. Weihnachtspapier zusammenfalten und wiederverwenden, das interessiert wohl eher die Alten als die Kleinen.
Das Reimen und das Worte Verwechseln und Verdrehen macht gewiss den älteren Lesern Spaß, für die jüngeren sehe ich das eher problematisch. Kinder mit sieben oder acht Jahren kennen die richtige Schreibweise noch nicht, manchmal wahrscheinlich nicht einmal die verwendeten Begriffe (z. B. adoptieren/apportieren). Da sollte der Vorleser auch ein Erklärer sein, um den Kindern die Bedeutung dieser Wortspiele vielleicht auch spielerisch zu erklären. Das reine Selbstlesen dürfte für Kinder dieser Altersklasse schwer sein.
Ich habe mich aber zum Beispiel sehr über das Rodeln mit dem „Dzongo“ (ein Backblech dieses Namens ist eine super Idee) gefreut. Dass Paul Maar sich dann ein Alterego bastelt, in dessen Haustür das Sams und Papa Taschenbier rumsen, fand ich köstlich. Ebenso wie das „Selbstporträt“ auf Seite 79, das macht diesen Abschnitt für mich zum genialsten im ganzen Buch. Nur, wie Paul Maar gerade auf den Familiennamen „Weinstein“ kam, habe ich mich dann doch gefragt, er ist für Leser Ü 18 doch etwas negativ besetzt. Paul Maar hat so eine schöne, blühende Fantasie, er hätte ja auch Sektkühler oder Weinberg oder Schiller nehmen können.
Als das Mini-Sams dann zu Gast bei Familie Schemmel ist, musste ich immerzu an Horst Schlemmer denken, genauso stellte ich mir den Vater vor. Das Buch befeuert geradezu die Fantasie!
Mir hat dieses Buch wirklich gut gefallen, das Mini-Sams mit seinen frechen Sprüchen und den Wunschpunkten, die hinten und vorne nicht gereicht haben, habe ich wirklich ins Herz geschlossen.
Das Cover ist übrigens der absolute Hingucker auf dem Büchertisch, wer greift da nicht gern gleich zu. Sollte es wieder einmal eine Sams-Geschichte geben, werde ich ganz gewiss auch wieder deren Leser sein.

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Bewertung vom 19.12.2022
Codename: Sempo
Neuenkirchen, Andreas

Codename: Sempo


sehr gut

Der Titel Codename Sempo hat in mir zuerst den Gedanken ausgelöst, es handele sich um einen Spionageroman. Erst der Untertitel wies den richtigen Weg. Danach habe ich eine Biographie erwartet, keinen Roman – bei Biographien ist es in der Regel ja so, dass Zeitgeschichte, Ortkenntnis, beteiligte Personen, Episoden, die nichts mit der Hauptperson zu tun haben, viele Spekulationen und viel Phantasie den Mantel um das "Skelett" der Hauptperson legen. Dieser Mantel wird dann vom Autor mehr oder weniger gekonnt und heftig ausgepolstert. So auch hier in den ersten Kapiteln. Der Autor ist mangels vieler historischer Dokumente zu Chiune Sugihara auf Sekundärliteratur und auch auf das Internet u. a. Quellen bzw. Zeitzeugen angewiesen.
Andreas Neuenkirchen führt den Leser also nach Japan, wo Chiune Sugihara aufwächst, später nach Harbin, in das sagenhafte Paris des Ostens. Diese Stadt ist wie ein Moloch, die japanische Herrschaft wird zur Tortur, die angelandeten Flüchtlinge sind sich ihres Lebens nicht sicher, besonders die Juden (insb. aus der damaligen Sowjetunion) geraten in Gefahr. Mich verblüfft diese angehäufte Vielfalt von Militär, Diplomatie, Spionage und Luxusleben auf der einen Seite, auf der anderen wird die dramatische Armut und Verelendung der chinesischen Bevölkerung natürlich nicht so ausführlich behandelt.
Chiune Sugihara selbst bin ich in diesem Teil noch nicht so recht nahegekommen, das liegt sicher auch daran, dass viele seiner Gedanken und auch Tätigkeiten eher nur gemutmaßt werden können. Für mich ist er nach dem Studium der perfekte Spion in öffentlichen Diensten. Egal wie seine Funktion genannt wird, es steht wahrscheinlich niemals in seinen Papieren, was er wirklich tut/tun soll. Harbin ist da genau der Schmelztiegel, den es braucht für die "Aufzucht" von Spionen.
Der Schreibstil mit seiner manchmal etwas flapsigen, umgangssprachlichen Attitüde ist vielleicht nicht für jeden angenehm, für mich hat er den (kultur)-geschichtsträchtigen, langwierigen Lesefluss etwas aufmischt. Ich gebe ehrlich zu, es sind so einige Passagen, gerade mit den vielen ungewohnten japanischen Namen, die auch etwas müde machen.
Die Kapitel über Sugiharas Arbeit als Diplomat (und gleichzeitig Spion) sind sehr interessant, seine zweite Ehefrau begleitet ihn ohne zu klagen, die Kinder werden in dieses unstete Leben einbezogen. Eigentlich hätte ich mir gerade in diesem Teil des Buches etwas mehr Ausführlichkeit, vielleicht auch künstlerische Freiheit gewünscht. Wirklich dramatisch gestaltet sich der Aufenthalt in Kaunas. Sugihara lernt hier jüdische Familien kennen und schätzen, hilft das eine oder andere Mal mit einem Transitvisum aus und befindet sich plötzlich in der Situation, Hunderten, ja Tausenden Juden das bedrohte Leben retten zu können. Kurz bevor die deutsche Wehrmacht in Litauen einmarschiert, kann er durch sein beherztes Eingreifen tatsächlich vielen zur Flucht auf dem Landweg durch die Sowjetunion nach Japan verhelfen. Seine Frau und Botschaftsmitarbeiter helfen dabei. Doch die japanische Regierung unterstützt das Vorhaben nur halbherzig, so dass er nicht allen helfen kann, er muss das Land verlassen, das Konsulat wird geschlossen.
Für Sugihara und seine Familie beginnt dann eine mehrere Jahre währende Odyssee, ehe er und die Seinen fast mittellos und erschöpft 1947 Japan wieder erreichen. Der Autor hat für diesen bewegenden Lebensabschnitt einen anderen, „seriöseren“ Schreibstil gewählt. Ironische Bemerkungen finden sich kaum mehr. Trotzdem fehlt mir ein wenig Empathie im Gelesenen, ich meine, eine gewisse Distanziertheit zu erkennen. Fast, als würde der Autor die den Japanern als charakteristisch nachgesagte Kühle und Beherrschtheit für sich übernehmen.
Eines der wichtigsten Erkenntnisse aus den letzten Kapiteln ist für mich die Tatsache, dass die von Chiune Sugihara geretteten Juden (rund 10.000 plus/minus) 250.000 Nachkommen haben.
Der literarische und monetäre Wettstreit um seine Biographie nach Sugiharas Tod wird ausführlich beschrieben, ist aber für mich nicht unbedingt erhellend. Eine Ehefrau, ein Sohn und (ein) Historiker im Wettstreit um die Deutungshoheit, das ist ein übliches Geplänkel, wenn es um so brisante Themen geht.
Für mich ist viel entscheidender, dass Sempo/Chiune Sugihara in Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt wird. Auf der Internetseite zu diesem Eintrag befinden sich diverse Fotos und auch Kopien des Visums für Zorach Wahrhaftig, das er ausgestellt hat. Natürlich kann jeder heutzutage im Internet recherchieren, aber warum hat der Autor sein Buch nicht mit einem kleinen Bildteil versehen? Das Buch wäre dadurch bestimmt etwas persönlicher und emotionaler geworden.
Fazit: viele interessante und detaillierte Informationen über ein für mich unbekanntes Land und seine Kultur und Geschichte, die verwoben sind mit der Biographie eines stillen Helden. Chiune Siguhara bekommt ein würdiges literarisches Denkmal auf deutsch.

Bewertung vom 09.12.2022
Als die Welt zerbrach
Boyne, John

Als die Welt zerbrach


ausgezeichnet

Elisabeth Günther hat sich mit dieser tragisch-komischen Geschichte in mein Herz gelesen. Sie spricht Gretel und die anderen Figuren mit soviel Gefühl und Stimmmodulation, dass man glaubt, einem stundenlangen Hörspiel zu lauschen. Chapeau, Frau Günther, und Glückwunsch an den Hörbuch-Verlag für diese Sprecherwahl plus perfekte Dramaturgie.

Zur Geschichte: John Boyne liefert einen gelungenen Nachfolgeroman zu „Der Junge im gestreiften Pyjama“, der tief ins Herz sticht. Gretel, Tochter eines (fiktiven) KZ-Kommandanten, die in Auschwitz aufwächst, dort ihren Bruder verliert und das erste Mal verliebt ist in einen jungen, schicken SS-Mann, ist die absolut anziehende Hauptperson in dem sich entwickelnden Drama. Gretel erzählt wie nebenbei ihre Lebensgeschichte, die sich zum Ende als Lebensdrama erweist. Sie ist unterdessen 90 Jahre, lebt in London und ist verwitwet. Ihr Sohn, um die 60, heiratet zum vierten Mal, Nachbarin Heidi hat eine Demenz, aber von Zeit zu Zeit lichte Momente, die neu eingezogene Familie mit dem kleinen Sohn Henry bringt zuerst Abwechslung, dann Tragik ins alltägliche Einerlei. Boyne schildert alles, das Heutige wie das Vergangene mit unglaublicher Leichtigkeit und trotzdem einer psychologischen Tiefe, die niemanden kalt lassen kann.
Einzig die Begegnung Gretels mit dem ehemaligen SS-Mann Kurt in Australien einige Jahre nach dem Krieg birgt eine gewisse Trivialität. Dorthin hatte sich Gretel nach dem Tod der Mutter in Paris, wohin beide am Kriegsende geflüchtet waren, aufgemacht, um das alte Leben und die von ihr als bedrückend empfundene Schuld endgültig hinter sich zu lassen. Das funktioniert nicht und ihr Weg führt sie weiter nach England. Dort lernt sie ihren späteren Ehemann Edward kennen und lebt viele Jahre ein halbwegs normales Leben. Dass dieses Leben im hohen Alter noch einmal völlig auf den Kopf gestellt wird, wird höchst unterhaltsam und doch tiefgründig erzählt.
Die Last der Schuld, die einem Mädchen aufgebürdet wird, das neben einem Vernichtungslager, mit einem Vater, der das Morden verantwortet, mit einer Mutter, die es toleriert, mit einem Bruder, der in diesem Vernichtungslager auch durch ihr Zutun „versehentlich“ stirbt, diese Last wird geradezu körperlich spürbar. Ob diese Schuldgefühle berechtigt sind, kann auch Boyne nicht abschließend beantworten. Ja, Gretel hat auch für den Führer geschwärmt und an das tausendjährige Reich geglaubt, aber irgendwann ist auch bei ihr der Gedanke gereift, dass es Unrecht war, was sie als Kind erlebt hat.
Gretel, die ein ganzes Leben lang damit leben muss, sich immer damit quält und die Wahrheit verstecken möchte bis zum Ende ihrer Tage, diese 90jährige Gretel aber erlöst sich auf gänzlich unerwartete Art am Ende des Romans selbst. Großartig. 5 Sterne.

Bewertung vom 09.11.2022
Kant und der Schachspieler / Kommissar Kant Bd.2
Häußler, Marcel

Kant und der Schachspieler / Kommissar Kant Bd.2


ausgezeichnet

Spannend bis zum Schluss

Wer den Münchner Ermittler Kant noch nicht kennt, sollte das bald möglichst nachholen. Es lohnt sich, Häußlers Krimis zu lesen. Ein feiner, unprätentiöser Stil, die Protagonisten kommen als echte Menschen daher, der Kriminalfall ist geheimnisvoll, aber ohne Mystik oder völlig abgedrehte Ideen. Ein handfester, bodenständiger Krimi!
Joachim Kant ist leitender Kriminalhauptkommissar mit einem festen Team, das in diesem zweiten Teil noch Zuwachs bekommt. Seine Kollegen sind Anton Rademacher, Petra Lammers und Ben Dörfner, die „Neue“ ist Hanna Weiß. Alle werden im Allgemeinen nur beim Familiennamen genannt, was mich überhaupt nicht störte, nur bei Hanna ist das anders, das Küken heißt eben Hanna. Jeder der Kriminalisten hat sein privates Päckchen zu tragen. Kant ist mitten in der Scheidung, seine pubertäre Tochter Frida ist bei ihm eingezogen und fühlt sich zeitweise mehr zu FFF als zu ihm hingezogen. Trotzdem nehmen bei beiden Liebe und Verantwortungsgefühl einen ersten Platz ein. Rademacher ist in einer tiefen Krise, er verheimlicht seine Krebserkrankung und die geplante OP vor seinen Kollegen, bis es nicht mehr anders geht (insbesondere Kant ist davon schwer getroffen). Dörfner hat immer seinen Vater im Kopf, wenn es um Verwahrlosung und Obdachlose geht. Lammers versucht, über allem zu stehen, was ihr meistens ganz gut gelingt. Und das Küken Hanna hat neben einer sehr hohen Intelligenz jede Menge psychische Probleme, die sich als Zwangsneurosen und Minderwertigkeitskomplexe darstellen, trotzdem ist sie taff und eine echte Bereicherung. Ein ganz normales, sympathisches Team also mit jeder Menge Macken und trotzdem viel Zuneigung untereinander.
Der Fall: man findet in einem Leinöltank auf einem Abrissgelände eine Leiche, bekleidet mit einer noch erkennbar teuren Lederjacke und einer Schachspieldame in der Hand. Hanna findet tatsächlich eine passende vermisste Person, Jakob Holler, und die Suche nach dem Täter beginnt. Dass die Aufklärung des Falles nicht ganz so einfach ist, man sich noch mit anderen Verschwundenen und Toten und mit jeder Menge Verdächtiger zu beschäftigen hat, liegt auf der Hand. Sonst wäre es ja kein Krimi geworden, sondern eine Kurzgeschichte. Mir hat die Art der Ermittlungen gut gefallen, Zeugenbefragungen und (Outdoor)-Schachspieler inklusive, ein paar Bösewichte gibt es natürlich auch, Immobilienspekulanten und Rechtsanwälte müssen ebenso herhalten wie ein Ex-Boxer und ein Dame, die harmloser tut, als sie ist. Das Obdachlosenmilieu spielt auch eine Rolle, wird aber nicht für hypermoralische Erklärungen, sondern für die Aufklärung des Falles benötigt. Es gibt jedenfalls ein fulminantes, nicht vorhersehbares Ende. Mehr sei nicht verraten.
Fazit: Die Geschichte ist spannend, hat ein paar kleine Längen in der ersten Hälfte, läuft aber dann zur Hochform auf.
Und ich empfehle dieses Buch aus ganzem Herzen!