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easymarkt3
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Insgesamt 850 Bewertungen
Bewertung vom 18.12.2024
Die Passagierin
Friedrich, Franz

Die Passagierin


sehr gut

Zeitreisen nach Kolchis
Die Szenerien spielen in Kolchis und den verschiedenen, mittlerweile abgewrackten Gebäuden des Sanatoriums, dem Bahnhof und dem Postamt. Das Zusammenleben in dieser seltsamen Gemeinschaft einiger Evakuierter verschiedener Zeitreisen wird besonders detailliert und eindrucksvoll beschrieben. Die Nebenfiguren bilden ein buntes Rahmengeflecht. In tief gehenden Dialogen, besonders zwischen den Hauptfiguren Heather und Matthias, geht es um allzeit gültige Gedankenspiele. Während er, aus Frankenhausen als Söldner aus dem tiefsten Mittelalter kommend, schuldbewusst über den damaligen schlimmen Ausgang des Bauernkrieges in Mitteldeutschland und Thomas Müntzer sinniert im Gespräch mit Heather aus Bad Schandau an der Elbe, die mit 15 Jahren vor 52 Jahren evakuiert wurde, geht es z.B. um das Nowikow-Gesetz, um das Wissen, diese verdrehte Vorstellung, aus der Knechtschaft der einen einen Vorteil zu ziehen, anstatt den Reichtum aller für alle zu nutzen oder die Katastrophe hier des Bürgerkriegs nicht einfach so hinzunehmen. Was sind die Gefahren von Zeitreisen? Wie ist es, z.B. aus deiner altertümlichen Zeit herausgerissen in eine weit entfernte Zukunft quasi gerettet zu werden unter Zurücklassung aller Güter und menschlicher Bezugspersonen? Verzweifelt man bei dem Gedanken, dass nicht alle evakuiert, gerettet werden können? Nicht jeder kommt in dieser neuen Welt an und möchte zurück, nicht nur um Schuldgefühle zu beruhigen. Der Sprachstil und die Figuren gefallen, auch wenn die erste Hälfte etwas langatmig ist.

Bewertung vom 15.12.2024
Brennende Felder
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Brennende Felder


gut

Eine etwas verwirrende, anfangs langatmige Lektüre.
Die Szenerie spielt größenteils in Rosental, einem Dorf in Oberösterreich. Im Zentrum steht Luisa Fischer mit ihrem unsteten Leben auch im Ausland. ihren Gedanken, ihrem Handeln, ihrem Empfindens auf die Außenwelt. Bauer und Landrat Ferdinand Goldberger und sein halbwüchsiger Sohn Anton mit autistischen Zügen bilden im zweiten Romanteil den soliden Sockel gegenüber Luisas dysfunktionaler Bauernfamilie im Nachbarort. In dieser ländlichen Idylle mit farbig beschriebenen Jahreszeiten, mit deftiger Jägerschaft und Überlebensproblemen der Landwirte als passender Rahmen entwickelt sich Luisas Kosmos zu einer extrem schwierigen Persönlichkeit. Ihrem Lebensschema der großen anfänglichen Anziehung zu einigen Männern folgt Alltag und Routine, Entfremdung und schließlich Abscheu und Hass – beschrieben mit überzeugenden erzählerischen Qualitäten.
In feinsten Nuancen und Verschiebungen in ihrem Gefühls- und Stimmungsleben ergeben sich aber auch nur vage beschriebene Schlüsselszenen wie z.B. Luisas Idee im Gespräch mit Katja, deren Scheidung von Jacob und Geldteilung oder im Keller zusammen mit Anton und auch den Twist im letzten Kapitel, die der Fantasie zwar freien Lauf lassen, aber den Leser vielleicht etwas ratlos zurücklassen.

Bewertung vom 13.12.2024
Die Projektoren
Meyer, Clemens

Die Projektoren


weniger gut

Eine Hommage an die ehemalige Filmindustrie in osteuropäischen Kriegsgebieten
Das in zwei Segmente unterteilte Cover zeigt im Schriftbild Perspektiven, farblich vor dem mehrschichtigen Hintergrund gut platziert – kreativ.
Mit 1056 Seiten ist dieser Roman sehr umfangreich. Beginnend in Annaberg-Buch im Erzgebirge geht die Zeitreise ins heutige Kroatien, nach Serbien etc., in Orte wie Novi Sad, Split, Belgrad oder ins Velebitgebirge. Stets spielen Projektoren, Filmvorführgeräte in Bioskopen, den Kinos vergangener Zeiten, eine wichtige Rolle neben der historischen Rückbesinnung auf endlose, verwirrende Kampfhandlungen der Partisanen zwischen deutschen, serbischen, kroatischen, russischen Soldaten etc. Auch auf die Helden der Projektoren wird Bezug genommen: Tarzan, Winnetou oder Old Shatterhand neben vielen Stummfilmkomikern. Auf den Autor Karl May, sein Leben und seine Erzählungen wird häufig zurückgegriffen. Wie das Leben eines jungen Meldegängers, Cowboy, in diesen Breiten durch den 2. Weltkrieg ausgesehen hat, wird mittels vieler Albträume bruchstückhaft unsortiert beschrieben. Der Inhalt folgt leider keiner linearen Abfolge, keinem roten Faden. Der Schreibstil, durchsetzt mit kroatischen Begriffen, teils mit langer Satzkonstruktion, ist anstrengend, auch stellenweise wirr. Man braucht robustes Durchhaltevermögen beim Lesen.

Bewertung vom 12.12.2024
Der Fall Miriam Behrmann (eBook, ePUB)
Lewitsch, Lydia

Der Fall Miriam Behrmann (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein bemerkenswertes , vielschichtiges Werk im Universitätsmilieu.
Die Professorin der Philosophie Miriam Behrmann, Leiterin des Instituts THACT an der Universität Wien, rekapituliert als Ich-Erzählerin den gesamten Vorgang ihrer erwarteten Suspendierung aufgrund von Anschuldigungen ihrer Promotionsstudentin Selina Aksoy, aus einfachen, türkischen Verhältnissen stammend. Während Miriam ebenso wie Selina emigrierte und nur durch eigenen Leistungsanspruch ihr diese Karriere gelingt, wird diese Erwartungshaltung von Selina als psychischer Missbrauch ihrer Mentorin empfunden. In der nächsten Generation wird quasi diese Wahrheit durch kaum greifbare Anschuldigungen torpediert, nur weil nun die Work-Life-Balance und andere Interessen Vorrang haben. Die Zusammenarbeit im Institut beleuchtet Situationen, passend zu Selinas Vorwürfen, greift aber auch zurück auf Erinnerungen der Ich-Erzählerin über ihre Familie in Polen, ihr Leben in Princeton und mit ihrer kleinen Familie. Der Schreibstil zeigt philosophisch tiefe Gedankengänge, auch im universitären Gefecht der Geschlechter. Darüber hinaus bieten die Einblicke in Miriams Privatleben liebevoll beschriebene Szenen als Ausgleich für ihre harte Existenzbedrohung. Schließlich regt das Romanende sehr zum Nachdenken an, denn unausgesprochen bleibt das zu erwartende Urteil. Ein Lesevergnügen!

Bewertung vom 11.12.2024
Toni & Toni
Oravin, Max

Toni & Toni


weniger gut

Langatmiger Verlauf mit fremdartig wirkendem Buddhismus
Ein seltsames Paar. Antonia, hier Toni, ausgebildete Tänzerin, findet in Toni, Philosophie Student und an der Pforte des LOFT in Wien arbeitend, den Tanzpartner zur Umsetzung ihres Tanzprojektes. Allein schon diese Tatsache wirkt sehr unrealistisch. Aus den Depressionen der weiblichen Toni erwachsen erneut häufige Selbstverletzungen in Form von Hautritzungen mit Krankenhausbesuchen seit früher Jugend – diese bildlichen Beschreibungen berühren zwar, ermüden jedoch in ihrer Länge. Der männliche Toni flieht aus diesen Tagen des bedrückenden Alltags in Zen-Buddhismus und die japanische Sprache, was menschlich verständlich ist. Hat man als Leser jedoch keine Beziehung zu diesem Fachgebiet, bleibt diese Lektüre nicht nahe genug greifbar. Daher kann dieser Roman langweilen.

Bewertung vom 10.12.2024
Die Rose von Nischapur
Cheheltan, Amir Hassan

Die Rose von Nischapur


gut

Persische Kultur und abwegiges Begehren
Das Cover zeigt das Porträt eines jungen Mannes, dessen obere Kopfhälfte durch rote Rosenblüten verklärt ist, Zu interpretieren ist diese Gestaltung wohl durch den Namen der weiblichen iranischen Hauptfigur Nastaran, was eine Blume, eine Rosenart bedeutet. Die Figur des jungen Mannes soll wohl den Engländer David darstellen, der 2015 über zwei Monate in Teheran den 15 Jahre älteren Schriftsteller Nader und Nastaran so gut kennenlernt, dass sich aus Freundschaft sogar Liebe, Eifersucht und abwegiges Begehren in einem autoritären Staat entwickelt. Die Beschreibung zunehmender Intimität, aber auch der Einsamkeit aufgrund sexueller Tabus klingt taktvoll an.
In diesem Spannungsfeld einer fatalen Beziehungsgeschichte ergeben sich außerdem tiefgehende, auch familiäre Gesprächsrunden um den Dichter Omar Khayyam, um dessen lyrische Gedichte mit prägnanter Aussagekraft, über dessen philosophische Lebenseinstellung als Atheist und Materialist. Diese Thematik persischer Kultur wird wiederholt in weiteren Sequenzen mit historischen und religiösen Fakten vertiefend verknüpft, was zwar informativ ist, aber nicht wie ein roter Faden im Roman verläuft. Die Sehnsucht nach mehr Freiheit innerhalb der Bevölkerung und die gebotene Vorsicht für Reisende aus dem Westen werden ebenso thematisiert. Am westlichen Verständnis von Orientromantik wird hier ordentlich gerüttelt.

Bewertung vom 09.12.2024
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


sehr gut

Ein stimmungsvoller Kriminalroman.
Das Cover auf schwarzem Grund zeigt den Blick hinaus durch ein geöffnetes Fenster auf den kühlen blau gefärbten Himmel vor Sonnenaufgang bzw. Sonnenuntergang, im Meer gespiegelt. Die düstere, geheimnisvolle Stimmung auf der abgeschiedenen Gezeiteninsel Eris ist damit gut eingefangen. Das Setting auf einer wilden, rauen, wettergegerbten Insel im künstlerischen Milieu der Künstlerin Vanessa Chapman gefällt. Zu ihrem ego- und exzentrischen, boshaften, jähzornigen, besitzergreifenden Charakter gesellt sich die jetzt einzige Bewohnerin Grace, ihre Nachlassverwalterin und Allgemeinärztin in kleiner Dorfpraxis, die sich zunehmend als gewalttätige, destruktive Figur outet. Und somit entwickelt sich gleichzeitig Eris, eigentlich ein Ort der Idylle und Zuflucht, zu einem Ort des Schreckens, des Unglücks. James Becker, der Kurator des Museums, ein guter, rücksichtsvoller, höflicher Mensch, wird bei seiner Spurensuche auf dieser Insel von steigender Beklemmung heimgesucht. Die verschiedenen Charaktere haben viel Tiefe, erreicht auch durch Rückblenden in harte Lebenserfahrungen beider Frauen und Tagebucheinträge von Vanessa. Thematisiert werden Mobbing, Gefühle der Einsamkeit und Abgeschiedenheit, auch in die Kunstwelt wird eingetaucht. Der sich langsam entwickelnde Thriller mit einigen finalen Twists brilliert durch einen bildhaften, atmosphärischen Schreibstil.

Bewertung vom 08.12.2024
Wir Gespenster
Kumpfmüller, Michael

Wir Gespenster


sehr gut

Das Leben als Geist nach dem Tod – kreative Romanidee
Die Annäherung zwischen Andrä und Lilli als Geister ist in der Covergestaltung elegant umgesetzt. Um diese zwei Hauptfiguren in der Rolle als Geister geht es in diesem kreativen, unklar aufgeklärten Krimi: Lilli charakterlich eher naiv, in ihrer neuen Rolle unerfahren und dagegen Andrä als starker, hilfsbereiter Routinier, der sich um neulich Verstorbene und Selbsthilfegruppen kümmert. Die skurrilen Nebenfiguren wie Karl & Karl, der Fahrrad liebende, junge Ivo oder die 15-jährige Solveig tauchen ebenso sympathisch in dieser geisterhaften Parallelwelt auf. In drei Teilen geht es um die Zerbrechlichkeit des Lebens In bedächtigem Erzähltempo, denn Geister haben alle Zeit und Geduld der Welt. In dieser Langsamkeit werden die Toten mit all ihren Sorgen und Problemen genauso ernst genommen wie die lebenden Freunde und Verwandten. Mit philosophischen Anklängen wird die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod als Geister in einem Zwischenreich mit normalen Bedürfnissen beschrieben. Die Annäherung zwischen Andrä und Lilli während ihrer Suche nach ihrem Mörder entwickelt sich zu einer leisen Liebesgeschichte mit zärtlichen Momenten, die schließlich tröstlich im siebten Himmel (settimo cielo) endet. Die Aufklärung von Lillis Tod versandet im letzten Drittel. Die kreativen Figuren in diesem fantasievollen Setting einer Zwischenwelt gefallen.

Bewertung vom 08.12.2024
Mord im Himmelreich / Mord auf Achse Bd.1
Winkelmann, Andreas

Mord im Himmelreich / Mord auf Achse Bd.1


sehr gut

Campingplatz Himmelreich – ein tatsächlich vorhandene Idylle
Das Cover mit einem Campingplatz-Setting wirkt friedlich und erholsam. Der Titel macht neugierig: Im Himmelreich sollte es schließlich nicht Mord und Totschlag geben? Dieser Cosy-Krimi spielt in einer Urlaubsidylle mit Sandstrand, Schilf, viel Wasser mit Anlegesteg - nämlich rund um den tatsächlich existenten Campingplatz Himmelreich am Templiner See, nahe Caputh. Die Hauptakteure Kupernikus, Annabelle und Pinguin mit ihren speziellen Vorlieben, Eigenheiten und körperlichen Schwachstellen treten in diesem herbstlich gehauchten Ambiente sehr menschlich und sympathisch in Aktion. Ihre Dialoge sind humorvoll, die Gedankenspiele nachvollziehbar während der inoffiziellen Mordaufklärung dieses selbsternannten Ermittlungsduos. In ihrer Gegensätzlichkeit ergänzen sie sich gut: Kupernikus als Möchtegern-Tatortkommissar – etwas steif, zögerlich, eher Einzelgänger im Gegensatz zur lebenslustigen Künstlerin Annabelle mit reichlich Dynamik. Der Berliner Slang bringt typisches Lokalkolorit in die Geschichte mit überraschendem Ende, thematisiert aber auch Probleme auf dem Immobilienmarkt und im Freizeitbereich mit zu vielen SUP-Fans auf dem Wasser. Zwei Kochrezepte lassen diese amüsante Lektüre angenehm ausklingen.

Bewertung vom 07.12.2024
Schnee, Beton
Wichmann, Marcus

Schnee, Beton


gut

Ein erfolgreiches Berufsleben, auch ein erfülltes Privatleben?
Das Cover zeigt eine graue Betonwand ohne Verschalung, mit nur leichten, vertikalen Ausstülpungen als visuellem Anreiz. Der Buchtitel in gelber Farbgebung ist leider nur schwer lesbar. Insgesamt wirkt dieses Cover sehr trist. So wie das Cover und der Titel des Romans in groben Zügen komprimiert sind, so gelingt auch der Schreibstil - auf das Wesentliche konzentriert: Beton – das Baumaterial des erfolgreichen Hamburger Architekten Julian Seitz. Schnee – schöne Erinnerungen an Erlebnisse mit seiner zwölfjähriger Tochter Mia und auch an seine Kindheit. Sein beruflicher Traum, der Neubau eines Bankgebäudes in Frankfurt am Main, scheint zur Belastung zu werden, mit seinem ständigen Eine-Million-Euro-Koffer-Traum und mit verschiedenen, ihn irritierenden Gebäude-Entwürfen auch mit Bezug zu Nine Eleven, den Twin Towers. Die Beschreibung seines beruflichen und privaten Alltags erfolgt in ruhigem, klarem Schreibstil. Das offene Ende überrascht.