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LichtundSchatten

Bewertungen

Insgesamt 246 Bewertungen
Bewertung vom 24.03.2024
Unsere neue beste Freundin, die Zukunft
Salcher, Andreas

Unsere neue beste Freundin, die Zukunft


ausgezeichnet

Ein Unterhaltung auf Augenhöhe zwischen Alt und Jung, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Theorie und Praxis. Andreas Salcher vermittelt Vertrauen ins eigene Leben, er regt an, die Fähigkeiten zu entwickeln, die man hat - und nicht jene, die man sich wünscht.

Es stimmt, gerade in turbulenten Zeiten ist es gut zu wissen, dass bestimmte Dinge gleich bleiben. Mit diesem Wissen lässt es sich leichter in einen Anfänger Modus überwechseln: „Wenn Dein Geist leer ist, dann ist er bereit für alles. Im Anfänger Mindset gibt es immer viele Möglichkeiten, aber im Experten-Mindset nur wenige.“ (S. Suzuki)

So beginnen wir im Zen-Buddhismus über den Klippen der Westküsten in Kalifornien und lernen, warum Reisen uns hilft, das Zeitempfinden zu verlangsamen, sonst würde das Leben gleichförmig blitzschnell dahin fließen. Reisen also, um das Zeitgefühl zu verjüngen und zu verstärken, ein guter Gedanke. Auch das ist zielführend: „Wenn Du dein Leben lang gelernt hast, im Augenblick zu leben, dann wirst Du auch im Angesicht des Todes genau wissen, was du tun musst.“

Hoher Sinn liegt oft im kind’schen Spiel, sagte schon Schiller und das Anfänger Mindset bedeutet nichts anderes, als immer offen zu sein für überraschende, gerne auch naive Vorstellungen von Neuem. Kinder sind nie fertig mit dem Lernen und dem Staunen. Dass Schüler von Andreas Salcher in Altenheime gehen und dementen Menschen zuhören, scheint als eine Zeitreise vor und zurück. „Die älteste und zweifellos größte Universität ist jene des Lebens.“

„Zelebrieren Sie Premieren in Ihrem Leben.“ Ein weiterer Satz in diesem Buch, das gespickt ist mit Hinweisen und Wendungen, die ermuntern und neu justieren, die schöpferisch zerstören, wieder aufbauen und die Möglichkeiten des Geistes weit ausloten.

Es stimmt, moderne Führung baut auf drei Prinzipien auf: Sinn, Zuversicht und Einflussmöglichkeit. Genau das wird in den Gedanken dieses Buches vermittelt, eine sehr gelungene Mischung, jenseits von richtig oder falsch, ein Ort von Kreativität, Menschlichkeit und Innovation, von Jetzt und Zukunft.

Bewertung vom 24.03.2024
Das Erbe des Tennos
Wagner, Wieland

Das Erbe des Tennos


ausgezeichnet

Japan ist eine ganz eigene Welt, uns vertraut von den Autos und Fotoapparaten, aber doch Galaxien entfernt, wenn wir an seine Monarchie denken. Wir wissen wenig von den Minderwertigkeitskomplexen den Amerikanern gegenüber und wie ein verlorener Krieg mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki auf die Menschen wirkten und wirken.

„Die USA und sind für viele Japaner das Hauptargument, warum sie es nicht für nötig halten, die eigene Geschichte kritisch zu hinterfragen.“ Sie sehen sich mit den Atombomben eher als Opfer des Krieges und nach wie vor als ein Land der Götter mit dem Kaiser im Zentrum.

Zerrissen zwischen alter Größe, dem verlorenen Krieg und dem Bemühen, den Tenno in die Jetzt-Zeit zu bringen vermittelt dieses Buch die Probleme und Anstrengungen, die Japan heute prägen, höchst spannend und mit umfangreichen Detailkenntnissen unterlegt.

Bewertung vom 24.03.2024
Wir müssen reden, bevor es zu spät ist
Eric, Yassir

Wir müssen reden, bevor es zu spät ist


ausgezeichnet

Yassir Eric konvertierte vom Islam zum Christentum und benennt die Fallstricke zwischen den monotheistischen Religionen. „Sehr viele von den Konvertiten (vom Islam zum Christentum) erzählen mir, dass sie im Christentum das Bild von einem liebenden Gott attraktiv finden und diesen Liebes- und Beziehungsaspekt im Islam vermissen.“

Das Buch versucht ingesamt Verständnis und Vertrauen zu wecken, es grenzt nicht aus, sondern ist aus einem liebenden Geist beseelt. Man erkennt die Unterschiede und kann so aktuelle Zusammenhänge, auch Trennendes, besser verstehen.

Ob es Muslimen gelingt, im Geist der Liebe auf andere Religionen zuzugehen? Ob sie sich für Frauenrechte, Homosexuelle etc. einsetzen? Das Buch gibt Hinweise, die man aber durch eigenes Studium der Grundlagenwerken ergänzen muss. Nur so ist ein vollständiges Bild möglich.

Yassir Eric benennt u.a. die Schwierigkeiten von Muslimen, über den Koran zu reden oder ihn gar zu kritisieren. Das Beispiel von Mahmoud Muhammad Taha wird angeführt. Wer das verinnerlicht, erkennt die Unmöglichkeit einer Kontextualisierung in die Jetzt-Zeit und versteht auch, warum es Khorchide mehr als schwer hat.

Bewertung vom 23.03.2024
Im Namen der Deutschen
Frei, Norbert

Im Namen der Deutschen


ausgezeichnet

Der Bundespräsident handelt indem er spricht. Der erste, Theodor Heuss, entwickelte, zusammen mit dem Kanzler Adenauer, jene Maßstäbe, die auch heute noch gelten für die Vergangenheitsbewältigung bzw. die Behandlung der Nazi-Diktatur. „Wir haben von den Dingen gewusst,“ sagte Heuss und meinte damit wohl eher jene Schicht der Politiker und höherer Beamter, die davon Kenntnis hatten, was Juden von 33-45 erleiden mussten.

Das präsidiale, gern genommene „Wir“ kann natürlich nicht für die gesamte Bevölkerung gelten und nicht allen BP’s war es vergönnt, alle Landsleute hinter sich zu bringen, wie es der volkstümliche Heuss und der weise Intellektuelle Richard von Weizsäcker konnten. Sie sind Anfangs- und Endpunkte einer Entwicklung, die sich als ein Weg von der Vergangenheitsbewältigung hin zur Erinnerungskultur skizzieren lässt.

Ich habe in diesem spannenden Buch viele Dinge gelernt, die mir bislang weniger bekannt waren, speziell auch im durchaus wetterwendischen Heuss, der mit nicht verhohlenem Ehrgeiz das Amt des ersten Bundespräsidenten anstrebte, obwohl er, wie vermutlich die meisten Politiker, das Gegenteil sagte.

Er schrieb in seinen ca. 100 Leitartikeln in der Rhein-Neckarzeitung ab 1945 bis 49 wenig über den Nationalsozialismus oder trat als zukunftsorientierter Kopf hervor. „Sein Metier blieb auch jetzt die historische Betrachtung, namentlich die demokratischen Traditionslinien im deutschen Südwesten.“ Heuss präsentierte sich als Stimme derer, die dem NS-Regime distanziert gegenüber standen. Den NS Verbrechern sollten seiner Meinung nach die Deutschen den Prozess machen, nicht die Alliierten, so positionierte sich Heuss als Redakteur der Rhein-Neckar-Zeitung damals.

„Erlöst und vernichtet in einem“, so brachte Heuss die deutsche Befindlichkeit bei Kriegsende auf den Punkt. Er hatte nach eigenem Bekunden ein kleines Präsidialamt, schrieb fast alles selber und sagte dies über sich: „Welches Glück, dass ich einmal Journalist gewesen bin, der außer über Mathematik und Musik so ziemlich über alle Dinge einmal zu schreiben hatte oder geschrieben hat.“

Wir kommen den Bundespräsidenten mit diesem sehr gut recherchierten Buch näher und können uns ein Bild von den Verstrickungen der damaligen Zeit machen.

Bewertung vom 23.03.2024
Jahrmarkt der Befindlichkeiten
Ahrbeck, Bernd

Jahrmarkt der Befindlichkeiten


ausgezeichnet

Grenzenlose Gerechtigkeit und Inklusion allerorten - kein anderes Land lebt diesen Irrsinn stärker als Deutschland. Die grün-rote Opfergemeinschaft kennt keine Grenzen mehr und trennende Kulturen können problemlos im gleichen Haus untergebracht werden. Ja, man braucht diese nicht einmal mehr zu analysieren, alles ist gut. "Aufgerufen wird die Phantasie einer nahezu allmächtigen Gestaltungskraft, der Wunsch nach einer unbegrenzten Verfügungsgewalt über das Leben."

Rousseau geht also heute im Gleichschritt marsch marsch mit den neuen technischen Möglichkeiten, eine Welt, deren moralisches Oberkommando tief in den Strudel morastiger Rechthaberei abgeglitten ist. Wie das entstehen würde, hat Enzensberger schon 1994 beschrieben: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Bernd Ahrbeck skizziert in diesem Buch den fatalen Zustand unserer Gesellschaft treffend in seinen nachgerade absurden Ausprägungen. Ganz kurz: Es sind immer die Moralisten, die am meisten Unheil anrichten. (Max Frisch) Kernproblem ist, dass moralische Argumente immer süffiger und süßer sind als vernunftbezogene. Der Rausch und ihre Ekstase versprechen den Himmel, hinterlassen aber immer die Hölle.

Bewertung vom 08.03.2024
Karl May im Kreuzfeuer
Kramer, Thomas

Karl May im Kreuzfeuer


ausgezeichnet

Natürlich gehört für mich das Museum in Radebeul zum Pflichtprogramm eines Lesers von Jugend an, einer, der Karl May immer noch verehrt für so viel wunderbare Unterhaltung, Spannung und kulturelle Bereicherung. Nie werde ich das vergessen und habe mich in diesem Buch festgelesen und spannende Unterhaltung bzw. Aufklärung gefunden. Alles zum Thema Karl May interessiert mich so wie sich Old Shatterhand für die Belange von Winnetou einsetzte.

Wenn Anselm Grün Abenteuerromane schreiben würde, ginge er in die Richtung Karl Mays, ich bin sicher. Allerdings würde er Das Spiel aus Gut und Böse so toleranzschummrig betreiben wie alle, die heute vor maximaler Toleranz nicht mehr die Wahrheit aussprechen. Karl May wollte aufklären bzw. erklären, was Christentum ist und was Islam, er hatte hier einen festen Standpunkt, der heute nicht mehr anzutreffen ist in einem Land, das Cancel Culture und Hochmoralik vertritt, in dem es sogar verboten ist, als Indianer verkleidet zum Fasching zu gehen.

Ernst Bloch sagte, es gäbe nur Karl May und Hegel, alles dazwischen sei eine unreine Mischung. So viele junge und auch ältere Leser verehren jenen kreativen Geist, dessen letzte Worte am frühen Abend des 30. März 1912 waren: „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot.“ Karl May hatte bis zum Schluss um seine Reputation gekämpft und sah aber seinen Sieg klar vor Augen. Kein anderer dürfte heute höhere Auflagen sein eigen nennen, wenige haben solche ungeheueren Zahlen erreicht.

Was mich heute besonders interessiert, ist sein Spätwerk, dessen Romane auf einer Ebene verfasst sind, die mich in Erstaunen versetzt, ebenso wie sein letzter Vortrag in Wien am 22.3.1912, Thema: „Empor ins Reich der Edelmenschen.“  May plädierte für eine Welt des Friedens, eine Abkehr von der Ichsucht und von Gewalt sowie für eine Anstrengung jedes einzelnen im Sinne menschlich-christlicher Vervollkommnung. Sein Weg von einem bitterarmen Kind aus Ernsttal in die große, weite Gedankenwelt glich einem Traumflug, befeuert in der zweiten Hälfte des 19. Jh. durch neue Druckverfahren und die damals entstehenden Unterhaltungsmagazine wie Gartenlaube oder Familienblatt. Karl May löste sich durch Kreativität vom überkommenen Sitten- und Ständebild, um sich ein eigenes Universum zu schaffen, in dem er die Rolle des Erziehers, Ermöglichers und positiven Denkers spielte.

Bewertung vom 08.03.2024
Kein Mensch lebt nur für sich allein
Grün, Anselm

Kein Mensch lebt nur für sich allein


gut

Man muss Anselm Grün bewundern für seine Vielzahl an Büchern, die sich um Dinge kümmern, die Menschen bewegen. Auch hier lesen wir viele Hilfestellungen, die im ersten Moment oft banal klingen, aber doch durchdacht sind: alles in klarer, verständlicher Sprache.

„Ich kann das Vergangene nicht einfach vergessen, ich kann es loslassen, ich kann die Verletzung beim anderen lassen.“ Ob das dann auch bei ganzen Völkern klappt, schwer zu erkennen, aber vielleicht doch möglich. Ob das ohne Bewerten stattfinden sollte, wie im Buch auf Seite 192 vermittelt, da hätte ich meine Zweifel.

Neid könne man dadurch mildern, indem man auf sich selbst schaut und dankbar ist für das eigene Leben. Oder indem man dankbar auf Andere schaut, die erfolgreicher sind als man selbst. „Und vielleicht erkenne ich, dass der andere eine Herausforderung für mich ist, die mir guttut.“

Die biblischen Tugendkataloge als Weg zu einer guten Verbundenheit sind es wert, immer wieder gelesen zu werden: es geht um aufrichtiges Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut. Vor allem aber liebt einander, sie ist das Band, das alles zusammenhält.

Über allem also thront die Liebe, sie kann alles erlösen. Feindschaft ist nach der christlichen Botschaft keine Lösung. Die schöne Verbundenheit mit allen Völkern verkennt aber ein Wort von Jesus: „Ich bin nicht gekommen , den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. Übersetzt man diesen Satz tatsächlich aus dem Aramäischen in richtiger Weise (Franz Alt: Was Jesus wirklich gesagt hat) , dann heißt er: Seid nicht gutgläubig, seid wachsam! Wenn Ihr Euch mit anderen zusammensetzt, zieht das "Schwert der Worte" und streitet für Eure Sache. Meine Aufopferung, mein Selbstopfer bedeutet nicht Frieden, Erlösung als Automatismus, sie ist eher der Beginn des Kampfes um Wissen und Wahrheit.“

Bewertung vom 08.03.2024
Zauberberge - Als es die Dichter und Denker auf die Schweizer Gipfel zog
Lesti, Andreas

Zauberberge - Als es die Dichter und Denker auf die Schweizer Gipfel zog


ausgezeichnet

Ich kenne die Orte und Punkte, die Andreas Lesti beschreibt, aus eigenem Erleben und habe mit den Inhalten dieses Buches Vieles wieder- und Vieles neu entdeckt.

Reisebeschreibungen, Kultur, Träume und Gespräche mit Menschen verbinden sich hier zu Orten in der Höhe, die mir immer wieder Erfrischung, Erholung und Abkehr von der gefürchteten Allergie bringen.

Über 1200 m ist alles Allergische (Frühblütler) bei mir weg und Freunde können oft nicht verstehen, wenn ich sage, dass der erste Atemzug in Sils Maria das Wertvollste am ganzen Urlaub ist. Und alle Atemzüge danach. Stilles Wandern auf der Halbinsel im Silser See, dort, wo Nitzsche entlang spazierte und dachte, wenig Dinge sind schöner als dies und lange Spaziergänge im Fex-Tal direkt hinter dem Waldhaus beginnend.

Was Andreas Lesti in den Gesprächen mit Urs Kienberger nicht beschreibt, ist die Tatsache, dass Adorno im Waldhaus eine Sache nie ausgelassen hat: die kostenlosen Konzerte der Waldhaus-Trio-Kapelle. Er scheint dort nicht unbedingt beliebt gewesen zu sein. „Eigentlich hattest Du immer den Eindruck, sie waren nicht zufrieden. Aber sie kamen immer wieder.“ So Urs Kienberger, der hier seinen Vater zitiert.

Wir lesen am Endpunkt des Spaziergangs aus dem Fextal eine wirklich zutreffende Beobachtung: „Und dann stand ich plötzlich wieder vor dem Waldhaus. Auf der Terrasse aßen die Gäste ihr Mittagessen, das Waldhaus-Trio spielte Stücke aus dem 19. Jh. und eine Pferdekutsche fuhr glockenklingelnd vorbei. Ich stand da und fragte mich, ob die Vergangenheit, mit der ich mich seit Tagen beschäftigte, durch irgendeinen Zauberberg-Trick zur Realität geworden war.“

Es sind in der Tat Zauberberge, die Andreas Lesti beschreibt, und zauberhafte Erinnerungen, auch sehr traurige, die mich beim Lesen gefesselt haben. Adorno war in Zermatt mit seiner Frau im Hotel Bristol zu Gast, Zimmer Nr. 30, mit Blick auf den Friedhof, auf der Flucht vor dem Busen-Attentat in Frankfurt und den zu intellektuellen Gesprächen im Hotel Waldhaus. Er wollte nochmals ganz hoch hinaus und starb dort bzw. in Visp an einem Herzinfarkt. Er wollte noch seine Schuhe in Ordnung bringen lassen, die er wohl bei einer zu ausgiebigen Hoch-Tour am Tag zuvor ramponiert hatte. Mir war das etwas zu viel Adorno, aber sei’s drum, man hat viel erfahren und Spannendes gelesen.

In Zermatt würde ich eine Helio-Heli-Tour empfehlen. Mit der Air Zermatt um das Matterhorn zu fliegen, gehörte für mich zum höchst Bemerkenswerten überhaupt.

Bewertung vom 08.03.2024
Einigt Euch!
Kuntze, Sven

Einigt Euch!


weniger gut

Die zurückliegenden, friedlichen, erfolgreichen, prosperierenden Jahrzehnte sind aktuell in einer diffusen Auflösung begriffen. Es dominieren Hass, ideologischer Irrsinn und Kompromisslosigkeit. Die Ergebnisse kann jeder heute täglich besichtigen und nachlesen bzw. hören.

Sven Kuntze plädiert für eine Reichsacht, die man global vergeben sollte, über alle Kulturen und Religionen. Die Ermahnung an alle Führer, sich zu einigen und den Kompromiss zu suchen, klingt zwar nach wie vor richtig, aber nicht auf einer halb-garen Analyse.

„Wenn es etwas an Trump zu bewundern gibt, dann den Mut, das Amt, trotz des Mangels jeglicher Eignung anzustreben.“ Nun, hier hätte ich eine sachliche Analyse seiner ersten 4 Amtsjahre erwartet. Stattdessen lesen wir einen Rückgriff auf Ulysses S. Grant, einem Trinker und Bereichere. Er war der 18. Präsident der VS.
Kuntze sieht Trump als Kriegserklärung an die zivilisatorischen Voraussetzungen demokratischer Kultur.“ Wer so argumentiert, wendet sein ganzes Buch gegen sich selbst, weil er bestimmte Gruppen aus der Diskussionsraum einfach entfernt.

Kuntze redet einer globalisierten Welt das Wort, auch wenn dort in vielen Ländern Frauen, Homosexuelle und andere Religionen völlig entrechtet werden. Davon lesen wir nichts. Dieses Problem sieht er nicht und wandelt damit auf den Pfaden jener, die heute die 3 Elefanten im Raum nicht sehen wollen und allen zurufen: wir schaffen das, wenn wir nur in jahrelangen Kompromissen den kleinsten, gemeinsamen Nenner suchen.

„Kehr nie zurück, du störst“, wurde Herrn Kuntze von seiner Mutter geraten als er in Rente ging. Ein weiser Rat und ich denke, Tübingen ist ein schöner Ort, um Besinnung und Kompromisse zu suchen, ganz so wie in den 70ern. Er studierte dort Soziologie, Psychologie und Geschichte, um später sein Wissen in den Öffentlich Rechtlichen zum Besten zu dramatisieren.

Dort könnte es ihm gelingen: „die Behaglichkeit, der Rückzug aus der Vielfalt und damit der Verzicht auf Kompromisse" zu geneißen. Nicht die schlechtesten Aussichten für einen erkenntnisreichen älteren Herrn.

Der Satz aber, der Kuntze verfolgt: "Die Zeit drängt. Mit der Natur sind keine Kompromisse zu haben. Im günstigsten Fall ist Aufschub möglich."

Bewertung vom 08.03.2024
Am Ende der gewohnten Ordnung
Pornschlegel, Sophie

Am Ende der gewohnten Ordnung


weniger gut

Selten habe ich etwas Unverständlicheres, aber auch Banaleres gelesen, ich erkenne nicht, was mir die Autorin sagen will. Sie blickt in ihrer Analyse meist auf amerikanische oder europäische Fernseh-Serien, um von daher die Realität bzw. Optimierungen zu greifen. Ein buntes Panoptikum des müsste, sollte, könnte.

Ich lese das: „Besonders die Sozialdemokratie hat sich dem Kapitalismus gebeugt, sich deutlich konservativen Positionen angenähert und damit den Rechten die Domäne des Aufbegehrens überlassen.“

Sich dem Kapitalismus beugen, also das habe ich noch nie gehört. Hat Frau Pornschlegel sich mit der Veröffentlichung dieses Buches ebenso dem Kapitalismus gebeugt?

Domäne des Aufbegehrens? Durch Rechte? Wer sind Rechte? Ich stimme mit Enzensberger überein: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Frau Pornschlegel scheint aus einer progressiven Attitüde heraus Dinge schreiben zu können, die weder belegt noch realistisch sind, dagegen schwingen Vorurteile und Angstgefühle mit, die mit sozialer Marktwirtschaft nicht mehr grundiert scheinen.

Gerne würde ich der Autorin motivierende Stupser geben, um weitere individuelle Handlungsräume für Demokratie, Menschlichkeit und Liebe in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu würde als erstes dieses Buch von Ilhan Arsel gehören: „Frauen sind Eure Äcker.“