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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 354 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2023
Erinnere dich!
Reiter, Max

Erinnere dich!


ausgezeichnet

Spannung pur. Ich habe schon lange nicht mehr einen derart guten Thriller gelesen. Und es will schon was heißen, wenn ich mir den Wecker extra früh stelle, um morgens vor der Arbeit noch weiterlesen zu können, weil ich ja müdigkeitsbedingt am Abend Max Reiters "Erinnere dich!" irgendwann aus der Hand legen musste, um zumindest einige Stündchen schlafen zu können. Im Roman gibt es deutliche Parallelen zu Edgar Allen Poe, nicht nur im Handlungsablauf, sondern auch weil Privatdozent Arno Seitz an der Berliner Humboldt-Universität sich im aktuellen Semester genau diesem Autor widmet. Ein 20-jähriges Abiturtreffen und das Wiedersehen mit der alten Clique lässt etwas längst Vergessenes aus der Erinnerung auftauchen: Das plötzliche Verschwinden von Maja, seiner großen Liebe von damals. Arno erhält zudem anonyme Mitteilungen, die ihn auffordern sich zurückzuerinnern und einzugestehen, dass er Maja damals umgebracht habe. Ein subtiler Grusel, der langsam Fahrt aufnimmt und Arno daran glauben lässt, er habe die Tat tatsächlich begangen... und so langsam kommt die Erinnerung zurück und Arno beginnt an seinem Verstand zu zweifeln. Und wie verlässlich sind unsere Erinnerungen eigentlich? Als dann noch einer seiner Studenten verschwindet, der ihm kurz zuvor eine selbstgeschriebene Geschichte über ein verschwundenes Mädchen zu lesen bittet und auch noch die ähnlich aussehende, jüngere Schwester der damals verschwundenen Maja auftaucht... Beste Wochenendlektüre!

Bewertung vom 18.07.2023
Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)
Boyle, T. C.

Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)


sehr gut

Einzigartig. Mit "Blue Skies" ist T.C. Boyle wieder einmal ein Wek gelungen, von dem man uneingeschränkt behaupten kann: "Am Puls der Zeit". Einzigartig ist seine Art zu beschreiben, zu bennenen und in leicht absurder Übertreibung die Dinge auf den Punkt zu bringen und uns den erbarmungslosen Spiegel vor Augen zu halten. Wie lebt es sich in einer Welt, die am Abgrund steht, wo am einen Ende von Amerika nicht nur die Wälder brennen und am anderen die Überschwemmungen zum Alltag geworden sind? Wie gelingt da die Fortführung des 'normalen Lebens'? in "Blue Skies" wird geliebt, verlassen, geheiratet, getrunken, gerettet, geboren und gestorben. Und es geht ein Riss durch eine Familie. Es gibt Anpassungsversuche, die dazu dienen sollen, das sich in bedrohlicher Schieflage befindliche, ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen, die aber allesamt lächerlich wirken. Es gibt das Artensterben und verzweifelte Zählaktionen, um zu bestimmen, wieviele Exemplare einer Spezies noch existieren. Und einige Arten scheinen besser fürs Überleben ausgestattet zu sein. Und die Natur - in Form einer einfachen Zecke - beist mit fatalen Folgen zurück... Und es wird vernachlässigt - sind doch einige der Protagonisten viel zu sehr mit sich selbst und ihren Mikroproblemlagen beschäftigt - und das im Angesicht der dem Erdball drohenden Katastrophe. Und so treffen sich dann auf der symbolischen Ebene das Private und das Globale. Und am Schluss dann doch noch die Entdeckung einer verschwunden geglaubten Schmetterlingsgattung... ein letzter, nur angedeuteter Hoffnungsschimmer: "Eine Brise strich durch die Bäume..., und die Falter lösten sich voneinander, sanken herab und stiegen wieder auf wie Blätter, wenn Blätter aufsteigen könnten. Sie versuchte sie zu zählen, denn deswegen waren sie ja hier, aber es waren einfach zu viele." Dieses Buch ist Pflicht!

Bewertung vom 13.07.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


sehr gut

Kein schönes, aber ein gutes Buch! Caroline Wahl ist mit "22 Bahnen" ein beachtlicher Debütroman gelungen. Sie versteht es, ihre Geschichte rund um die außergewöhnlich mathematikbegabte Tilda gleichzeitig nüchtern und doch extrem bewegend zu erzählen. Sie schildert das Leben, den Alltag der Protagonistin in einer präzise beschreibenden Art, aber man ahnt stets, dass es unter der Oberfläche rumort. Bildlich umgesetzt ist dies darin, dass Tilda zusammen mit ihrer kleineren Schwester Ida und ihrer alkoholkranken Mutter ohne Vater in der 'Fröhlichstraße' wohnt. Da ist zum einen Tildas eigenes Leben; sie trifft im Schwimmbad auf Viktor, den älteren Bruder eines verstorbenen Freundes und traut sich, sich mit ihm 'wegzuträumen'; und da ist Tildas Leben für andere - sie bekommt als Hochbegabte eine Promotionsstelle in Berlin angeboten, fühlt sich aber gleichzeitig gefordert, Verantwortung für ihre Familie zu übernehmen, sich um die kleine Schwester zu kümmern und all das zu übernehmen, was die Mutter aufgrund ihrer Alkoholkrankheit nicht leisten kann. Es sind die kleinen Szenen, die überzeugen... und die Botschaft, dass Gutes auch im Schlechten seinen Platz finden kann. Darüber hinaus ist "22 Bahnen" durchaus ein Entwicklungsroman - und das nicht nur, weil Tilda am Ende 23 Bahnen schwimmt ;-)

Bewertung vom 10.07.2023
Gelegenheiten
Schneider, Romy

Gelegenheiten


sehr gut

Sommerlektüre. Leichtgängige Kost mit Botschaft... aber ohne den verhassten 'erhobenen Zeigefinger'. Selbstfindungs- und Liebesgeschichte in wunderbarem Ambiente...so könnte man "Gelegenheiten" von Romy Schneider, veröffentlicht in ihrem selbstgegründeten Kopfreisen-Verlag, in aller Kürze charaktersieren. Und wenn man sich als Leser:in zuweilen fragt, wieviel denn von den jeweiligen Autor:innen im Roman steckt, so kann man hier wohl sagen: eine ganze Menge. Karla, seit Jahren in Berlin in einer regelrechten Luxusbeziehung mit ihrem sehr karriereorientierten Freund, glaubt sich selbst verloren zu haben, hat das Gefühl, im falschen Leben festzustecken und erinnert sich an einen alten Traum - Schriftstellerin zu werden. 'Gesagt - getan' wäre jetzt zu einfach, aber darum geht es im Prinzip. Ein kleines Häuschen in der Provence wird angemietet, Bekanntschaft mit einer Buchhändlerin geschlossen, die Natur wiederentdeckt; die Romanidee zeichnet sich relativ schnell ab, Karla lernt einen attraktiven Weingutbesitzer kennen und verliebt sich nicht nur in seinen hervorragenden Rosé... und alle Personen in der neuen Umgebung und auch die altbewährten Freundinnen glauben an Karlas Romanprojekt... eigentlich eine banale Geschichte, die abgesehen von kurzen Phasen des Selbstzweifels, kurzen Startschwierigkeiten beim Schreibprojekt und kleinen 'Wegbiegungen' der Liebe relativ gradlienig abläuft. Gleichwohl: Die Geschichte ist gut geschrieben, weil wohl nahe dran am Leben der Autorin, und entfaltet ihren Charme. Unbeding bei schönem Wetter unter einem schattigen Baum lesen... und dabei eine Flasche gut gekühlen Rosé griffbereit haben ;-))

Bewertung vom 02.07.2023
Die Prinzessinnen: Fünf gegen die Finsternis
Endres, Christian

Die Prinzessinnen: Fünf gegen die Finsternis


sehr gut

Fulminant. Wäre ich der erfolgsverwöhnte Produzent eines Streaminganbieters, ich würde aus "Die Prinzessinnen - Fünf gegen die Finsternis" von Christian Endres eine Fantasy-Saga machen. Meine Begeisterung erklärt sich vielleicht daraus, dass ich seit "Herr der Ringe" über Jahrzehnte hinweg keine Fantasy mehr gelesen habe. Vielleicht habe ich da ja etwas verpasst, vor allem was beste Unterhaltung betrifft... weil das ist dem Schmöker nämlich hervorragend gelungen. Was mir gefallen hat: Weibliche Helden mit flotten Sprüchen und vielfältiger sexueller Orientierung; eine bunte Welt aus gefährlichen Wesenheiten, die die weibliche Kampfkraft der Prinzessinnen herausfordern; die klassische 'Heldenreise' der Hauptperson, Prinzessin Narvila, die sich nach ihrer Befreiung von einer Bande Gesetzloser durch die Söldnertruppe der vier Prinzessinnen dazu entschließt, dem verwöhnten Lebensstil am Hofe ihres Vaters zu entsagen und sich als die fünfte der Prinzessinnen dem Kampf für eine bessere Welt bzw. gegen unterschiedlichste Monster anzuschließen und in ihrer Persönlichkeit zu waschsen. Und es warten bis zum (vorläufigen) Ende der Geschichte eine Menge Aufträge auf die Truppe. Ok, es fließt eine Menge Blut... aber dafür ist es nie langweilig!

Bewertung vom 29.06.2023
Die Revanche des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.2
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Die Revanche des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.2


gut

Kann man mögen - muss man aber nicht. Der zweite Teil der Reihe rund um die Gaunertruppe von Monsieur Lipaire "Die Unverbesserlichen - Die Revanche des Monsieur Lipaire" des Autorenduos Volker Klüpfel und Michael Kobr ist eher eine klamaukige Gauner-Komödie, denn ein Kriminalroman, weshalb das Cover ja durchaus passend ist. Die Handlung ist eigentlich schnell erklärt, geht es doch einzig und allein darum, zu verhindern, dass die Adelsfamilie Vicomte daran gehindert werden soll, das schöne Städtchen Port Grimaud in ein kleines Fürstentum umzuwandeln, in der die einfachen Menschen keinen Platz mehr finden werden, weil sie den Wohlhabenden weichen sollen. Verrrückt-absurde Pläne werden von den 6 Freunden geschmiedet, die immer wieder eine 'Zwischendurch-unterstützung' durch das 'Phantom' erhalten, wenn sie mit den Planungen in einer Sackgasse stecken. Natürlich geht eine Menge schief, so dass sich die Antihelden durch die stellenweise etwas zähe Handlung über die fast 400 Seiten hinweg förmlich zum ersehnten Erfolg stolpern. Dabei kann man immer wieder lachen, manchmal reicht es aber nur für ein müdes Schmunzeln ("Mein lieber Herr Gesangsverein!" "Ich sehe gar keinen Chor!?") und manches ist auch schlichtweg überflüssig (die Pudelreihe Louis 14-16 inkl. Haarfärbeaktion). Schönster Satz, weil gut mit Worten gespielt: „Vielleicht seid ihr die Unverbesserlichen, aber nicht die Unverzichtbaren. Ihr sollt zu den Untragbaren gemacht werden. Höchste Zeit also, die Unbesiegbaren zu werden!“ Die Autoren nutzen das bewährte Muster 'David gegen Goliath' - und das geht natürlich auf. Und am Ende wissen wir, dass es ein drittes Abenteuer geben wird! Jubelanlass für all diejenigen, die das Buch mögen werden.

Bewertung vom 26.06.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Atmosphärisch dicht. Das ist eine Schreib-Kunst, die Robert Seethaler beherrscht wie kaum ein Zweiter - auf nicht überbordend vielen Seiten eine Welt entstehen zu lassen, den Figuren mit nur wenigen Pinselstrichen eine Tiefe zu geben und die Lesenden in eine dichte Atmosphäre eintauchen zu lassen, aus der sie sich am liebsten nie wieder verabschieden mögen. Und genau das ist dem Autor auch in seinem aktuellen Roman "Das Café ohne Namen" wieder einmal gelungen. Eigentlich eine belanglose Geschichte - nämlich die eines Cafés in den auslaufenden 60-er Jahren Wiens. Ein Ort für die kleinen (Lebens-) Geschichten: Da ist Robert Simon selbst, als Betreiber des Cafés, wohnhaft bei einer Kriegswitwe und zwischendrin ein wenig in Jascha verliebt; da ist der Metzgermeister von gegenüber, dessen Frau immer wieder aufs neue Kinder gebären muss, damit ihr Leben nicht sinnentleert ist; da ist die Bedienung Mila, die mit einem Alkoholiker liiert ist und da sind die beiden alten Damen, die täglich kommen und wie Chronistinnen des Geschehens rund um das Café und rund um Wien wirken, aber gleichzeitig auch Chronistinnen der Veränderung sind und altersweise Gedanken von sich geben: "Wenn alles traurig wird, muss man sich eine innere Fröhlichkeit bewahren. Es gibt nichts Hässlicheres als depressive, alte Menschen. Man sollte sich lieber dem Schwachsinn nähern als der Verbitterung... Man ist dem Wein dankbar, dass er immer noch schmeckt, dem Körper, dass er ihn immer noch verträgt, und der Rentenkasse, dass sie alles finanziert." Als am Ende das Café schließen muss, wird sehr deutlich, dass nichts mehr so bleiben wird, wie es einmal war... dass der nicht mehr zu stoppende Wandel Fahrt aufgenommen hat... und dass ein Lebensgefühl dabei auf der Strecke bleiben wird, dem Einzelnen seine Heimat in der Gemeinschaft genommen wird, der Aufschwung seine Opfer haben wird... Sinnbild dafür ist der Brückeneinsturz am Ende und das große Abschiedsfest für das Café ohne Namen - welches fast schon ein Fest aus Verzweiflung ist. Ein großartiger Roman!

Bewertung vom 24.06.2023
Institut für gute Mütter
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


ausgezeichnet

Eine wahre Tragödie. Schon lange hat mich ein Roman nicht mehr derart berührt, wie Jessamine Chan's "Institut für gute Mütter". Frida, alleinerziehend und überfordert, ist in der Betreuung ihrer noch sehr kleinen Tochter Harriet ein Fehler unterlaufen: Sie hat sie über eine Stunde lang unbeaufsichtigt gelassen, um für ihren wenig verständnisvollen Professor etwas zu erledigen und sich einen Kaffee zu besorgen. Von Nachbarn angeschwärzt, bekommt sie Besuch von der neuen, staatlichen Kinderschutzbehörde; ohne wirklich irgendeine Chance zu haben, wird sie zu einem neu aufgelegten, einjährigen 'Mütter-Erziehungs-Programm' gezwungen, sofern sie verhindern möchte, dass ihr der Kontakt zu und die Fürsorge für ihre Tochter endgültig entzogen und Harriet in die Obhut ihres Mannes gegeben wird, der sich wegen einer jüngeren Frau zuvor von Frida getrennt hatte. Frida lässt sich gezwungenermaßen auf das Programm ein: An einem abgelegenen 'Trainingszentrum' muss sie mit anderen Müttern zusammen an 'Robot-Kindern' üben, wie gute Mutterschaft funktionieren kann. Ein absurdes Programm, welches autoritär durchgezogen wird. Von Anbeginn an und dann Kapitel für Kapitel wird die Situation beklemmender, schnürt einem beim Lesen förmlich den Hals zu. Fridas Verzweiflung wächst, bis sie am Ende fast schon an die Liebe zu dem ihr zugeordneten Roboter-Kind Emmanuelle glaubt... Und sich am Ende dann zu einem Akt der Verzweiflung hinreißen lässt. Die Inobhutnahme gefährdeter Kinder ist eine wichtige und notwendige Maßnahme, ganz ohne Zweifel. Was aber Jessamine Chan gelingt, ist uns dazu zu bringen, konsequent die Perspektive der Mütter einzunehmen, denen das Kind entzogen wird. Und so ganz nebenbei geht es auch um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, um Rassismus und die Benachteiligung von Frauen. Besonders erschreckend: Ein für die nahe Zukunft durchaus vorstellbares, grausames Szenario. Ein gutes & wichtiges Buch!!!!

Bewertung vom 18.06.2023
Melody
Suter, Martin

Melody


sehr gut

Typisch Suter. Dass Martin Suter sein Handwerk versteht, das hat er mit seinem aktuellen Roman "Melody" erneut unter Beweis gestellt. Manchmal ist es nicht so sehr die eigentliche Handlung, die selbstverständlich auch in "Melody" wieder einmal gut durchkomponiert ist; vielmehr ist es Suters Fähigkeit, die Lesenden ab der ersten Seite an die Hand zu nehmen, um die Seelentiefen und Motive seiner Figuren zu erkunden. Und zumeist ist Suters Literatur auch ein Sinnenrausch - und wie oft ist mir in"Melody" bei den beschriebenen kulinarischen Köstlichkeiten das Wasser im Munde zusammengelaufen. In "Melody" versucht sich der Autor zum Thema Fiktion und Wirklichkeit - ob sich denn die Fiktion der Wirklichkeit anzupassen habe, oder umgekehrt und ob nichtvielleicht jeder gerne seine Lebenswahrheit zu einer wünschenswerten Fiktion umkonstruiert ... Dr. Stotz beauftragt den jobsuchenden Juristen Tom, seinen Nachlass zu regeln; dieser bekommt dafür einen herausragend gut dotierten Jahresvertrag und Kost und Logis bei seinem Dienstgeber; er solle ein für die Öffentlichkeit bereinigtes Bild des Lebens von Ex-Nationalrat Stotz herstellen. Dabei wird Tom in hochherrschaftlicher Umgebung zum Zuhörer von Stotz' Lebensgeschichte und dessen immer noch andauernder Suche nach seiner großen Liebe Melody, die vor Jahrzehnten kurz vor der geplanten Hochzeit spurlos verschwunden ist. Und bald ahnt Tom, dass Stotz ihm nich alles offenbart und er begibt sich mit Unterstützung von Stotz' Nichte Laura auf die Suche. Und erst auf der letzten Seite offenbart sich schließlich das letzte Geheimnis. Eine gute Lektüre, die in der Tradition von Max Frischs Überlegungen zum Thema 'Biographie' steht. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 13.06.2023
30 Tage Dunkelheit
Madsen, Jenny Lund

30 Tage Dunkelheit


ausgezeichnet

Klasse! Ein wirklich guter Krimi. "30 Tage Dunkelheit" von Jenny Lund Madsen ist zurecht 'Bester dänischer Kriminalroman 2021'! Warum? Weil er so erfrischend anders ist! Schon der Einstieg: Die zwar bepreiste, aber was die Verkaufszahlen ihrer Bücher betrifft, eher weniger erfolgreiche Schriftstellerin Hannah Krause-Bendix lässt sich bei einer Buchmesse zu einer Herausforderung hinreißen, nämlich innerhalb eines Monats einen Krimi schreiben zu können; damit will sie vor allem dem sehr erfolgreichen Krimiautoren Joern J. beweisen, dass er trotz beachtlicher Verkaufszahlen literarisch in der untersten Liga spielt. Welch außergewöhnlicher Einstieg in einen Krimi - die Auseinandersetzung über den Stellenwert der Kriminalliteratur gegenüber der 'hohen Literatur'. Für dieses einmonatige Schreibprojekt verfrachtet Hannahs Literatur-Agent sie in ein kleines Örtchen auf Island. Natürlich fragt sich Hannah, was einen guten Krimi ausmacht... mindestens zwei Morde und ständiger Perspektivwechsel in kurzen Kapiteln. Und genau das macht Jenny Lund Madsen nicht... und genau das macht "30 Tage Dunkelheit" so erfrischend anders. Und natürlich wird Hannah auf der Insel selbst Teil eines Kriminalfalles, der sich kontinuierlich zuspitzt und unerwartet wendet ... und ganz nebenbei ihrem Schreibprozess dienlich ist; auch darf man hin und wieder schmunzeln. Dass Hannah am Ende ihre totale Ablehnung der bloßen Unterhaltungsliteratur aufgibt und bei ihren kommenden Büchern näher an der Leserschaft schreiben wird, das versteht sich fast von selbst.