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Marianna T.

Bewertungen

Insgesamt 154 Bewertungen
Bewertung vom 30.10.2020
Ein Mann der Kunst
Magnusson, Kristof

Ein Mann der Kunst


sehr gut

Herrlich unterhaltsam

KD Pratz hat Jahrzehnte Einsamkeit auf seiner Burg am Rhein hinter sich. Seine Berühmtheit als Maler hat dies noch gesteigert. Vorallem gilt er als ungehobelt, kratzbürstig und unfreundlich. Nun macht sich ein Förderverein auf den Weg zu ihm, um ihn zu vereinnahmen. Es folgen chaotische und spannende Begegnungen, die aus jedem Einzelnen Erstaunliches hervorbringen.

Dieser Roman hat mir überraschend gut gefallen, erschien doch die Geschichte anfänglich nicht so spannend. Die ersten Kapitel sind auch etwas spröde, doch die Geschichte entwickelt sich zunehmend interessant. Dies liegt bestimmt auch an dem rundum sympathischen Constantin Marx, der als beteiligte Figur die Geschichte erzählt. Er und seine Mutter gehören zum Kunstverein des Museums, welcher KD Pratz ein eigenes Gebäude widmen möchte - jedoch sind noch nicht alle überzeugt, es gibt sogar Kritiker. Umso neugieriger sind alle auf die alles entscheidende Begegnung mit dem Künstler. Dieser ist aber so, wie sein Image erwarten ließ und doch nicht so, wie er gern sein soll.

Die Dynamik, die dadurch im Kunstverein entsteht, aber auch zwischen dem Künstler und den Einzelnen ist wirklich spannend. Vor allem aber komisch und unterhaltsam. Eine richtige Satire. So krisen- und konfliktreich die Situationen auch sind, so real und wahr sind sie doch. Bis zum Ende wird jeder Charakter entblöst und zur Schau gestellt, alle geraten außer sich. Die Einsichten, die man dabei über die Einzelnen bekommt, sind lehrreich und machen nachdenklich.

Dass die Charaktere eher grob gezeichnet und wenig detailiert sind macht garnichts. Lediglich am Ende wird es etwas zu "schön" und sehr versöhnlich. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Wendung zu erwarten und inhaltlich notwendig war. Insgesamt ist der Roman sehr gefällig - ob das nötig ist?

Unterhaltsame Einblicke in eine Horde Kunstwütige, die einen Künstler anders will, als er ist. Entblößend, krisenreich und sehr sympathisch. Aber etwas zu gefällig.

Bewertung vom 21.10.2020
Das Buch eines Sommers
Kast, Bas

Das Buch eines Sommers


gut

Begegnung mit sich selbst

Nicolas stellt in den mittleren Jahren fest, dass er in seinem Job unzufrieden ist. Trotz großer Träume Schriftsteller zu werden, ist er seinem Vater in der Pharmafirma nachgefolgt. Zudem kriselt es in seiner Ehe. Mit dem Tod seines geliebten Onkels beginnt er die Dinge infrage zu stellen.

Nicolas ist eine sympathische Hauptfigur, die mit schlechten Entscheidungen lebt. Sicherlich können viele Lesende nachvollziehen, wie schwer es ist, unabhängig von den Erwartungen anderer Entscheidungen zu treffen. Mit dem Tod seines Onkels bekommt er die Chance, über den Alltag hinaus zu denken. Das ist nachvollziehbar. Das macht das Thema so real und nahbar. Die Entwicklung, die Nicolas macht ist dadurch umso interessanter.

Die Geschichte ist schnell erzählt und sehr vorhersehbar. Es fehlt ihr an Tiefe. Zudem folgt sie dem üblichen Schema einer feel-good-Geschichte, bei der eine Hauptfigur über sich hinaus wächst. Ungewöhnlich, aber auch nicht übermäßig spannend ist das Fantasy-Element des geheimnisvollen Gesprächspartners.

Die Geschichte liest sich gut, aber durch die fehlende Spannung eher in gemächlichem Tempo. Trotz geringer Seitenzahl zieht sich das Lesen in die Länge. Dies ist jedoch nicht nur schlecht. Die Geschichte enthält einige kluge Gedanken, die zu berühren vermögen. Neue Erkenntnisse sind es jedoch nicht. Trotzdem bleibt einem beim gemächlichen Lesen Zeit sich die ein oder anderen Gedanken darüber zu machen.

Insgesamt eine berührende feel-good-Geschichte, nach dem üblichen Schema - sehr vorhersehbar. Spannung und Tiefe fehlt.

Bewertung vom 21.10.2020
Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2
Horowitz, Anthony

Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2


sehr gut

Solider englischer Krimi

"Mord in Highgate" ist der zweite Band um das Ermittlerduo Hawthorne und Horowitz. Die Geschichte entwickelt sich eigenständig gegenüber dem ersten Band, kann also unabhängig davon gelesen werden.
In diesem klassischen englischen Krimi stellt sich der Autor erneut selbst als aktive Figur, als Chronist des genialen Ermittlers Hawthorne dar. Der ehemalige Polizist Hawthorne wird als Privatdetektiv zu einem Fall gerufen, in dem die Polizei nicht weiter kommt. Hawthorne dagegen ermittelt unbeirrbar in die richtige Richtung, fällt durch seine scharfsinnige Beobachtungs- und Kombinationsgabe auf.

In einem reichen Stadtteil Londons wird ein berühmter Scheidungsanwalt durch eine Weinflasche erschlagen vorgefunden. An die Wand wurden seltsame Zahlen geschrieben und schnell sind eine Handvoll Verdächtige ausgemacht. Hawthorne und Horowitz müssen sich nicht nur durch das Beziehungsgeflecht und die unvollständigen Aussagen der Beteiligten wühlen, sie werden auch von den ermittelnden Polizisten unter Druck gesetzt, die in den Beiden Konkurrenz sehen.

Ähnlich wie im Vorgängerband ist der Umgang zwischen Hawthorne und Horowitz durch viel Ironie und Spannung geprägt. Sie erinnern an Holmes und Watson. Es ist interessant zu sehen, wie sich die Beziehung zwischen den Beiden entwickelt. Schon im ersten Band waren die ewigen Spannungen und der ewig schwache Horowitz schwer erträglich, doch in diesem zweiten Band zeigen die Beiden vermehrt sympathische Züge.

Die Geschichte entwickelt sich sehr vielschichtig und ist in keinster Weise vorhersehbar. Dadurch entsteht eine Spannung, die durch die Nebenhandlung zwischen den zwei Ermittelnden verstärkt wird. Die Beschreibungen der Schauplätze und Charaktere tragen ebenfalls zur Atmosphäre bei. Die Erzählung ist stellenweise düster und bedrückend.

Die Lesenden werden in das Geschehen miteinbezogen. Schon im ersten Band fiel mir auf, dass durch das Auftreten von Horowitz als Assistent, der seine Gedanken, Vermutungen und Beobachtungen darlegt, eine Verbindung zu den Lesenden hergestellt wird. Das gemächliche Tempo, in dem der Fall untersucht wird, ermöglicht es den Lesenden zudem mitzurätseln und alles gut mitzuverfolgen. Trotzdem bleiben die Lesenden bis zum Schluss im Dunkeln, die Auflösung ist umso überraschender.

War ich nach dem Lesen des ersten Bandes eher skeptisch, bin ich es nach diesem zweiten Teil weniger. Die Geschichte entwickelt sich sehr unterhaltsam, ist sehr klug und vielschichtig erzählt. Die Ermittelnden zeigen ihr Entwicklungspotential und profitieren voneinander. Wenig überzeigend ist das bekannte Holmes-Watson-Motiv und die nervigen Charaktereigenschaften und Spannungen zwischen den Ermittelnden.

Fazit: Nicht vollkommen begeisternd, aber solide. Klug und vielschichtig erzählt mit nervigen Charakteren und einer düsteren Stimmung.

Bewertung vom 17.08.2020
flüchtig
Achleitner, Hubert

flüchtig


gut

Wechselhafte Erzählung

Maria ist nach langen Ehejahren einfach verschwunden und hat Herwig mit einer schwangeren Freundin zurück gelassen. Ihr Weg führt bis nach Griechenland und nicht nur sie ist auf dem Weg.

Hubert Achleitner hat seinen Roman in Österreich und Griechenland angesiedelt. Seine Charaktere sind allesamt auf der Reise. Maria und Herwig stehen dabei im Mittelpunkt. Es geht um ihre Lebensflucht, die verflüchtigte Liebe und die Momente des flüchtigen Glücks.

Die Erzählung ist warmherzig, die Charaktere wirken stark und eigensinnig. Die jeweiligen Hintergründe der Personen kommen gut zur Geltung. Die Geschichten um die anderen Beteiligten, zum Beispiel Lisa, Mikis, Herwigs Freundin Nora und Vater sind sehr berührend. Obwohl diese so unterschiedlich sind, werden ihre Sichtweisen in die Geschichte miteingebunden und ihre eigenen Geschichten bekommen viel Raum. Dadurch ist die eigentliche Erzählung um Maria und Herwig häufig unterbrochen, die Geschichte eher gestückelt. Der Autor bemüht sich sehr die einzelnen Versatzstücke in Einklang zu bringen. Hinzu kommen seltsame, überraschende Wendungen. Darauf muss man sich als Leser einlassen. Es ist wie ein Tanz hin und zurück, mal eine Schleife oder Drehung. Dadurch wird das Lesen schwerfällig und an einigen Stellen lang.

Achleitner zeigt in der Erzählung vor allem seinen Blick auf die Welt. Es ist spannend wie geschichtliche, politische und religiöse Ereignisse und Gedanken in die Geschichte verwoben sind. Es wirkt fast so, als wollte der Autor seine Ideen von Leben vermitteln. Dies gelingt ihm gut, sicherlich auch wegen seiner feinen, klugen Ausdrucksweise.

Fazit: Eine verrückte Geschichte, wechselhaft erzählt mit berührenden Charakteren. Wertevermittlung in Romanform. Die Geschichte hat jedoch einige Längen.

Bewertung vom 17.06.2020
Der Gepäckträger
Rawlings, David

Der Gepäckträger


sehr gut

Lehrreich

"Der Gepäckträger" ist eine Parabel über den Umgang mit dem eigenen Gepäck. Gillian fühlt sich seit jeher mangelbehaftet gegenüber ihrer Schwester, David pflegt seine (Zerstörungs-)Wut und Michael erfüllt unglücklich die Vorstellungen seines Vaters. Auf dem Flughafen vertauschen die drei aus Versehen ihre Koffer und bemerken die Verwechslung erst, als für sie schon viel auf dem Spiel steht. Die Konfrontation mit dem jeweiligen schweren Gepäck, die dann folgt, ist sehr spannend.

Alle drei Personen bringen unterschiedliches Gepäck mit und stehen beispielhaft für die verschiedensten Typen von Menschen. Dazu passend sind die Charaktere eher oberflächlich und typisiert beschrieben, sodass sich viele Menschen darin finden können. Das was in anderen Büchern stark vereinfacht und zu schwarz-weiß wirken würde, passt hier genau hin. Die Gefühle, Beweggründe und der Leidensdruck sind gut nachvollziehbar. Die Lesenden sind damit konfrontiert sich selbst oder andere Menschen in diesen Beispielen zu erkennen. Es ist spannend, wie das Gelesene zur eigenen Reflektion anregt und auch das Verständnis für andere Menschen erhöht. Das gefällt vielleicht nicht Jedem. Unabhängig davon ist das Buch leicht zu lesen, die Geschichte fließt - wenn auch gemächlich - aber in jedem Fall auf das Wesentliche reduziert dahin. Trotz aller Schwere hat die Erzählung etwas Unterhaltsames und lässt sich deswegen sehr schnell lesen. Das Buch drängt sich nicht auf. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie sehr die Geschehnisse reflektiert werden.

Das Buch hat besondere Aspekte. Da ist zum Beispiel das leerstehende Lager, in dem die Koffer ausgetauscht werden sollen und das nicht immer das ist wonach es scheint. Der Gepäckträger mit den lockigen Haaren, der scheinbar alles weiß ist die Hauptfigur, die weise durch die Geschichte führt. Beide Aspekte haben etwas märchenhaftes und entsprechend einer Parabel etwas lehrreiches. Im Anschluss an die Geschichte bieten Fragen zu den einzelnen Teilen nochmal die Möglichkeit anders über die Entwicklungen und Beweggründe der Personen nachzudenken. Dadurch bekommt die Geschichte etwas reales und interaktives. Dies ist eine gelungene Mischung aus einer distanzierten Erzählung und einem Selbsterfahrungsbuch.

Insgesamt ist dieses Buch sehr zu empfehlen: ein rundherum unterhaltsames Gleichnis, das sich in einem Schwung lesen lässt und die ein oder andere Erkenntnis über das Leben zu bieten hat.

Bewertung vom 29.05.2020
Pandatage
Gould-Bourn, James

Pandatage


sehr gut

Herzerwärmend

Danny Maloony verliert seit dem Tod seiner Frau vor einem Jahr die Verbindung zu seinem 11 jährigen Sohn Will. Dieser spricht seitdem kein Wort mehr. Dazu kommt ein aggressiver Vermieter, der Verlust seines Jobs und der Mangel an Perspektiven. Die Verzweiflung treibt Danny dazu sich ein Pandakostüm zu kaufen, mit ungeahnten Folgen.

Der Roman ist inhaltlich besonders stark. Die berührende Beziehung zwischen Vater und Sohn sowie der Verlust der Mutter sind bedeutende Themen. Es ist spannend zu begreifen welche Rollen die einzelnen Familienmitglieder einnehmen und wie Familien durch den Verlust einer Person auseinanderfallen können. Die Entwicklung der einzelnen Charaktere ist beeindruckend. Dem Autor gelingt es dabei sehr gut die Schwierigkeiten, Beweggründe und Gefühle der beiden Hauptpersonen darzustellen und die Lesenden auf deren Reise mitzunehmen.

James Gould-Bourn hat einen leichtfüßigen Erzählstil, der durch derbe Situationen und viel Humor gekennzeichnet ist. Ebenso sind es die Nebenfiguren, wie Dannys Freund Ivan, eine knallharte Stangentänzerin oder der aggressive Vermieter mit seinem Hinkebein, die das Ganze urkomisch und gleichzeitig sehr ernst erscheinen lassen. Mit solchen Figuren und den filmreifen Entwicklungen könnte eine Geschichte leicht oberflächlich werden. Das geschieht hier jedoch nicht. Trotzdem wirkt die Handlung vereinfacht sowie fatalistisch und dadurch leicht überzogen. Dies schadet der Aussagekraft letztendlich nicht, steht doch die Tragik vieler Menschen dahinter, die sich abstrampeln, um das Nötigste in einem trostlosen Leben zu bekommen.

Schade ist dabei, das solch eine Geschichte scheinbar zwangsläufig gut enden muss. Und zwar ausschließlich gut. Die Aussage an die Lesenden lautet: Alles, was vorher schlecht war, wird gut werden. Nichts wird schlecht bleiben. Dies erscheint jedoch zu sehr schwarz-weiß und damit unrealistisch. Andererseits hat der Hoffnungsaspekt darin auch was für sich und macht das Buch zu einem vergnüglichen Leseabenteuer.

Ein urkomischer feel-good-Roman über einen großen Verlust, einen sprachlosen Sohn und seinen Vater im Pandakostüm.

Bewertung vom 29.04.2020
Eine kurze Geschichte vom Fallen
Hammond, Joe

Eine kurze Geschichte vom Fallen


gut

Beschwerliche Biografie

Joe Hammond beschreibt in der "kurzen Geschichte vom Fallen" seinen Alltag mit der Motoneuron-Erkrankung und seinen Abschied vom Leben.

2019 verstarb der Autor nach zweijähriger Krankheit in England. Sein Roman umfasst mehr als die angekündigte Auseinandersetzung mit dem Sterben. Hammond bezieht sich viel auf biografische Erfahrungen seiner Kindheit und seines Erwachsenenalters und fasst diese im Rückblick zusammen.

Die Authentizität des Themas ist eindringlich. Joe Hammond wird sterben und gibt Einblicke in sein Leben. Das Buch ist thematisch in Kapitel unterteilt und zeigt Bilder aus dem Familienalltag. Diese Struktur macht das Lesen angenehm, ebenso die thematische Zuordnung. Die Bilder vermögen zu berühren und erzeugen Sympathie. Hammond erzählt von den unberechenbaren Stürzen, vom Moment der Diagnose und der Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Die Beziehung zu seinen Kindern und seiner Frau spielt eine große Rolle, ist emotional sehr einnehmend. Hier wird deutlich wie sich der Abschied gestaltet und er sich um deren Zukunft ohne ihn sorgt.

Anders als erwartet geht es darüberhinaus zum großen Teil rückblickend um sein Aufwachsen. Die schwierige Beziehung zu seinen Eltern, seine entbehrungsreiche Kindheit machen deutlich wie er sich durch das Leben kämpfen musste. Die Erkrankung wirkt wie eine dazu passende natürliche Entwicklung und steht fast schon in Konkurrenz zu seiner glücklichen Partnerschaft und der zu kurzen Elternschaft. Das macht die Erzählung noch bedrückender als sie ohnehin schon ist.

Hammond hat anfänglich eine sehr humorvolle, fast schon unbeschwerte Ausdrucksweise. Einzelne Bilder, die er erzeugt, machen nachdenklich und sind eindrücklich. Seine Gedanken sind sehr tiefgründig und berührend. Die Leichtigkeit seiner Ausdrucksweise scheint sich im Laufe des Buches zu verändern, trauriger und distanzierter zu werden. Die Erzählung wirkt zunehmend zusammengewürfelt und immer beschwerlicher. Seine Gedanken sind ausschweifend und seine ungewöhnlichen Sprachbilder wirken vermehrt umständlich und wenig nachvollziehbar.

Das lässt Begreifen, wie seine zunehmende Bewegungsunfähigkeit sich auf seinen Gedankenfluss und das Erleben der Gegenwart auswirkt. Umso größer die Einschränkungen werden, umso mehr scheint sich die Perspektive auf die Vergangenheit, speziell seine Kindheit, zu richten. Es ist nicht das, was der Titel und die Beschreibung ankündigt und ist deswegen etwas enttäuschend. Andererseits ist die Erzählung sehr berührend, denn sie gibt tiefe Einblicke in den Abschied vom Leben.

Eine bemerkenswerte Thematik, beschwerlich erzählt. Anders als erwartet geht es viel um Vergangenes, die Gegenwart ist zu viel im Hintergrund. Tiefe Einblicke in den Abschied vom Leben. Eine beachtliche Leistung.

Bewertung vom 19.04.2020
Was wir sind
Hope, Anna

Was wir sind


sehr gut

Was wir gerne wären

Die Freundinnen Hannah, Cate und Lissa stehen mit 30 mitten im Leben und genießen das Zusammenwohnen in London. Ihre Träume und Hoffnungen breiten sich vor ihnen aus. In den nächsten zehn Jahren werden sie mit den Härten des Lebens umgehen müssen.

Anna Hope beschreibt in ihrem Roman, wie sich das Leben und die Freundschaft der drei Frauen alles andere als geradlinig entwickelt. Ungeschönt und schonungslos beschäftigt sie sich mit enttäuschten Hoffnungen, Einsamkeit und der verzweifelten Suche nach einem Platz im Leben. Das Ringen mit der Elterngeneration und dem eigenen Werden zu Erwachsenen, die Kompromisse machen müssen steht im Mittelpunkt. Hope hat damit einen spannenden Generationen- und coming-of-age Roman geschrieben, in dem Freundschaft eine wichtige Rolle spielt.

Lissa, Hannah und Cate haben es nicht leicht, es ist anstrengend und niederschmetternd wie unglücklich die drei immer wieder sind und wie sehr ihre Hoffnungen von dem tatsächlichen Alltag abweichen. Sie sind ständig davon bedroht zu scheitern. Es ist lange kaum vorstellbar, dass sich dieses Geschehen nochmal wenden könnte.

Umso gelungener ist das doch überraschende Ende. Die Autorin schafft es nach der langen Leidensphase ein tröstliches Ende zu formulieren, das weder beschönigend noch übertrieben und schon gar nicht "gut" ist.

Der Roman entwickelt sich gemächlich, zwischenzeitlich nimmt er Fahrt auf. Die Frauencharaktere werden einfühlsam, nahbar und berührend beschrieben. Sie gefallen nicht immer, haben ihre Ecken und Kanten. Das Geschehen entwickelt sich erstaunlich, erschreckend und ist immer authentisch. Erzählungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart werden geschickt verknüpft. Die Wechsel zwischen den Charakteren und den Situationen sind in der ersten Hälfte des Romans nicht immer leicht nachzuvollziehen. Der zweite Teil des Romans fließt mehr, dann sind auch die Figuren vertrauter.

Ein sehr bewegender coming-of-age Roman, der auf Beschönigungen und ein gutes Ende keinen Wert legt.

Bewertung vom 12.04.2020
Dankbarkeiten
Vigan, Delphine

Dankbarkeiten


ausgezeichnet

Wahnsinnig ergreifend

Michka und Marie verbindet eine vertrauensvolle Beziehung, sie trägt die Beiden auch als Michka ins Altenheim zieht und immer mehr ihre Sprache verliert.

Dies ist ein Roman über den Wert von verantwortungsvoller Sorge umeinander, den Zusammenhalt unterschiedlicher Generationen und das Abschiednehmen, wenn der Tod naht. Mit großer Emotionalität erzählt die Autorin von der Bedeutsamkeit menschlicher Nähe, die schützen und tragen kann. Ebenso geht es um das Erinnern und Vergessen. Damit beschäftigt sich die Autorin mit vielen bedeutsamen Themen, die alle Menschen betreffen. Der Roman hat eine große und sehr positive Aussagekraft: dankbar sein und sich dankbar zeigen. Die Erzählung ist nie albern oder übermäßig tränenreich und bedient sich angenehm wenig an Vorurteilen.

Das Buch ist abwechselnd kapitelweise aus der Sicht von der jungen Marie und dem Logopäden Jérome erzählt. Die Autorin weiß mit Worten umzugehen und verwendet sie mit Bedacht. Die Erzählung ist weder ausschweifend noch besonders geschmückt, ist eher nüchtern und zurückhaltend und lässt vieles offen. Michkas Einschränkungen der Sprache lassen sich dadurch gut nachvollziehen und werden erfahrbar. Die Geschichte ist schnell gelesen, die Spannung hoch.

Am Ende bin ich sehr berührt von der positiven Aussagekraft des Romans und nachdenklich über diese anregenden Themen.

Ein sehr berührender und schlichter Roman zu bedeutsamen Themen des Erinnerns und Vergessens, vorallem aber über menschliche Nähe.

Bewertung vom 28.03.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Eindrucksvoll und aussagekräftig

Das Mattias nicht mehr lebt, ist ein großer Verlust für die Angehörigen. In acht Geschichten, geht es außer den Angehörigen, um Menschen die direkt oder indirekt von ihm berührt wurden. Durch ihre Geschichten entsteht ein Bild von Mattias.

In einzelnen Kapiteln werden die unterschiedlichsten Geschichten erzählt und es ist spannend auf welche Weisen diese untereinander und zu Mattias Bezug nehmen. Einzelne Kapitel scheinen zuerst nur für sich zu stehen, bei diesen gelingt es erst zum Ende des Buches eine Verbindung zu Mattias herzustellen.

Das Ende hat es dann nochmal in sich, verbindet die Geschichten zu einem großen Ganzen und eröffnet eine unerwartete und bedeutsame Thematik. Sind schon die einzelnen Geschichten für sich voller Gefühl und Bedeutung, so ist es das große Ganze umso mehr. Bewundernswert ist, wie es der niederländische Autor schafft so unterschiedliche Menschen mit ihren berührenden Schicksalen unter einen "Hut zu bringen", ja sogar Verbindungen herzustellen.

Das ist schließlich auch das Tröstliche an der Erzählung. Es geht um Trauer, aber vor allem Zuversicht. Es wird klar, das uns Menschen mehr verbindet als trennt und das sich innerhalb gesellschaftlicher Dynamiken Schicksale verändern.

Sehr gelungen ist auch die Sprache und der Aufbau des Buches. Die kurzen Kapitel befördern den Lesefluss und den Spannungbogen. Der Text ist einerseits nüchtern und klar, jedes Wort hat seine Berechtigung. Andererseits ist die Sprache spielerisch, voller Ausdruck, besonders die anregenden Sprachbilder.

Dies ist ein wahnsinnig anregender Roman, mit einer schwerwiegenden Thematik. Sprachlich und inhaltlich eine Wucht.