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luisa_loves_literature
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NRW

Bewertungen

Insgesamt 116 Bewertungen
Bewertung vom 17.05.2021
So wie du mich kennst
Landsteiner, Anika

So wie du mich kennst


sehr gut

Anika Landsteiner ist ein über ganz weite Strecken ausgezeichneter Roman gelungen, der mich begeistern und fesseln konnte. Marie, Fotografin in Manhattan, verunglückt bei einem Verkehrsunfall tödlich. Ihre Schwester Karla reist nach New York, um Maries Leben dort zu rekonstruieren und aufzulösen, ihre Habseligkeiten zu verpacken und das, was von ihrem Leben bleibt, wieder mit nach Franken zu nehmen.

Wer New York liebt, wird diesen Roman sehr genießen, denn es gelingt der Autorin das Flair der Stadt, ihren Atem und Lebensrhythmus, ihre Anonymität und die kleinen Inseln der Zwischenmenschlichkeit sehr authentisch, lebensnah und überzeugend einzufangen, ohne dabei "mehr New Yorker zu sein als die New Yorker". Allein deshalb hat mir dieser Roman sehr viel Freude gemacht - man spürt die Wärme in den Straßen, die Brise auf Coney Island, die Begrenztheit des eigenen Lebens auf den limitierten Bereich der eigenen Nachbarschaft und die unbegrenzten Möglichkeiten, die jenseits des eigenen kleinen Apartments warten.

Der Weltmetropole wird die Beschaulichkeit der fränkischen Provinz gegenüber gestellt, in der die Lokaljournalistin Karla ihr Leben gestaltet. Hier dominieren Naturbeschreibungen, Erinnerungen an Sommernachmittage am See und die erdrückende Wirkung des Bekanntseins mit jedem einzelnen Bewohner.

Das zentrale Thema des Romans aber sind die Geheimnisse, die es zwischen Schwestern gibt. Wie ein roter Faden zieht sich die Diskrepanz zwischen oberflächlichem Kennen, tiefer innerer Verbundenheit und Scham, das Unaussprechliche der anderen gegenüber zu formulieren, durch den Roman. Dies geschieht sehr nachvollziehbar - manchmal erfordert es aber auch hohe Konzentration, da der Informationsvorsprung, den der Leser durch die zwischen den Schwestern wechselnden Erzählperspektiven erhält, manchmal vergessen lässt, dass Karla bestimmte Dinge (noch) nicht weiß.

Die Figurenzeichnung ist ausgesprochen gut gelungen, hier gelingt das Leben durch fremde Augen auf sehr eindrucksvolle Weise, zumal Karla bei ihrer Reise nach New York auch in gewisser Weise beginnt, Maries Leben zu leben. Ebenso faszinierend ist der Spannungsbogen, denn zu einem recht frühen Zeitpunkt schleicht sich langsam ein Handlungsstrang ein, der einer Krimi-Handlung gleicht, und dem Leser gemeinsam mit Karla Rätsel aufgibt.

Bei allem was dieser Roman richtig macht, besonders auch im Hinblick auf die Beschreibung von Trauerformen, Trauerarbeit und Trauerbewältigung, geht ihm leider auf den letzten Metern die Luft aus. Leider will die Autorin zum Ende hin für ihre Figuren noch alles besser machen und überfrachtet die sich in die Länge ziehende Endpassage mit Klischees und im Falle einer Figur auch noch mit einer unnötigen Backstory. So fügt sich das Ende wenig harmonisch an den sonst beeindruckenden Roman und erfüllt leider meine Befürchtung, dass hier ein toller Text nicht vernünftig über die Ziellinie gebracht wird. Von dieser Kritik möchte ich ausdrücklich den Epilog ausnehmen, der wiederum sehr berührend geraten ist.

Insgesamt ein Roman, der mir ausgesprochen gut gefallen hat, spannend und gut zu lesen war, aber der auf den letzten Seiten sein Niveau nicht mehr konsequent halten kann.

Bewertung vom 07.05.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


gut

Das "Hauskonzert" entzieht sich eigentlich von vornherein einer Bewertung, denn wem stünde es zu, den Inhalt eines Lebens, die Ziele, Wünsche, Träume, den Alltag eines anderen Menschen zu bewerten? Und all diese Faktoren spielen nun einmal ungefragt und unumstößlich in die Leseerfahrung des "Hauskonzerts" hinein.

So paradox es klingt, aber versucht man den Menschen Igor Levit aus dem Buch herauszuhalten, so bekommt man im wesentlichen das, was das "Hauskonzert" leistet: einen eindringlichen Einblick in den Künstler, den Pianisten Igor Levit, in die faszinierend, wahnwitzig schwere Arbeit, die hinter der Virtuosität auf dem Klavier liegt, in die Freude am Spiel, den Willen zur Innovation. Mich hat der Ausflug in die Welt des Pianisten begeistert. Mit Erstaunen ist mir so erst wirklich bewusst geworden, dass das Klavierspiel nicht nur körperlich harte Arbeit bedeutet, sondern dass auch jede einzelne Note, jeder Takt und jede Phrase ihre Daseinsberechtigung hat und eine Interpretation verdient hat. Die Passagen, die sich der Musik widmen, waren erhellend und inspirierend.

Was man außerdem im "Hauskonzert" bekommen soll, sind Erkenntnisse die (politische) Haltung Igor Levits zu wesentlichen gesellschaftlichen Themen, wie Antisemitismus und die Flüchtlingskrise, betreffend. Auch diese werden geliefert. Allerdings werden sie nicht annähernd so überzeugend von Florian Zinnacker transportiert, wie die musikalischen Passagen. Während in den Musik-Teilen ein festes Fundament, ein starker Kontext, eine ganze Lebenswelt aufgebaut wird, ist das politische Engagement zu flüchtig, zu oberflächlich dargestellt, irgendwie wirkt es nur wie angerissen. Die wichtigen Positionen, die Igor Levit vertritt, hätten für mich einfach mehr Tiefe im "Hauskonzert" verdient. Sie im wesentlichen nur durch Auftritte in TV-Sendungen, über Twitter-Meldungen und Witze zu illustrieren, war mir einfach ein bißchen wenig - schade, da wurde Potenzial verschenkt.

Überhaupt erscheint es mir am Ende des Buches so, als ob zu wenig Igor Levit in dem Text steckt. Das Layout der Verfassernamen suggeriert, dass das "Hauskonzert" ein Buch von Igor Levit sei, assistiert von Florian Zinnacker, stattdessen ist es der Blick des Journalisten auf Igor Levit, der nur in Sequenzen, meist in Interview-Auszügen, wirklich selbst zu Wort kommt. Und so liest sich auch der Großteil des Buches wie ein sehr langer Zeitungsartikel, zu präsent ist der beobachtende journalistische Stil des Verfassers, zu starr die Einengung der Person Igor Levits auf die zwei Aspekte "musikalisch" und "politisch". Man wird so beim Lesen stets auf Distanz gehalten und kann sich nicht wirklich annähern. Zu diesem distanzierten Eindruck trägt auch die wirre Chronologie bei, die in der Zeit hin- und herspringt und mitunter fast chaotisch wirkt.

Abschließend ist das "Hauskonzert" ein sehr bereichernder Einblick in das musikalische Leben des Igor Levit, dem es aber an dem Willen zur Offenheit in anderen Bereichen schlichtweg fehlt. Bei einer Biographie muss man als Biograph und auch als beschriebenes Objekt Mut zur Enthüllung habe und dieser Mut, der fehlte mir.

Bewertung vom 05.05.2021
Laudatio auf eine kaukasische Kuh
Jodl, Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh


sehr gut

Auf geht es nach Georgien mit Olga Evgenidou und ihrer lauten, verrückten, traditionellen Familie. Ihr immer auf den Fersen der arg verliebte Jack, obwohl doch Olgas Herz eigentlich für den fast schon aristokratisch wirkenden Felix van Saan schlagen soll.

Dieser Roman ist ein launiges, unterhaltsames, fröhliches und manchmal auch romantisches Buch in bester ZDF-Herzkino-Manier. Wer auf der Suche nach einem luftig-leichten Vergnügen mit ein paar ernsteren Tönen – gerade auch in Bezug auf die Identitätsproblematik – ist, liegt hier goldrichtig.

Ich persönlich habe sehr viel Freude an den, zugegebenermaßen oftmals auch sehr stereotypen und überzeichneten Figuren gehabt, aber man kommt mit Olgas Familie auf dem Trip in die georgische Heimat vor lauter Gastfreundschaft, Schnaps und Wein picheln aus dem Spaß gar nicht mehr heraus. Georgien wird in diesem Roman ein liebevolles und augenzwinkerndes Denkmal gesetzt, das teilweise so fantastisch wirkt, dass man es gar nicht glauben mag – aber ich kenne mich weder mit dem traditionellen Frauenraub noch mit den sonstigen patriarchalischen Strukturen dort aus – deshalb muss ich mich mit einem Urteil bezüglich der Authentizität der Darstellung des Landes zurückhalten.

Fest steht auf jeden Fall, dass die Figur der Olga in ihrer Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen und zwei Männern überzeugend geraten ist – Deutsch sein und aus Deutschland kommen sind nur zwei der Identitätskonzepte, die im Rahmen dieses Romans locker ausgelotet werden. Der Roman ist und bleibt eine vorwiegend kulturelle Komödie, die sicherlich einige Klischees bedient, dies aber mit sprachlichem Gefühl, romantischen Verwicklungen und viel Situationskomik wieder wettmacht. Leider zieht sich der Roman zum Ende hin in die Länge und gerät zu wenig innovativ, da hätte es der Freite nicht geschadet, wenn sie sich etwas von vorhersehbaren Mustern gelöst hätte, und auch die Szene mit der titelgebenden Kuh hätte es für mich in dieser Ausführlichkeit nicht gebraucht...insgesamt aber ein humoriges Lesevergnügen.

Bewertung vom 24.04.2021
Drei Frauen im Schnee
Imboden, Blanca

Drei Frauen im Schnee


weniger gut

Drei Frauen im Schnee ist für mich eine ganz nette, anspruchslose Geschichte, die einigermaßen unterhält, aber nicht vom Hocker haut, und deren Reiz wohl zu einem Großteil darin besteht, dass sie eine Weihnachts-Silvester-Story ist. Die Protagonistin ist eine Frau Anfang 40, die sich im Spannungsfeld von untreuem Ehemann, geltungssüchtiger Schwiegermutter, pubertären Zwillingstöchtern und freigeistiger Schwester wiederfindet und so schließlich die Flucht ergreift. In den Bergen der Schweiz findet sie Freundschaften und das Glück kehrt zu ihr zurück.

Der Roman plätschert durchaus gefällig dahin, mehr aber auch leider nicht. Die überaus konventionelle Story, die ab der Hälfte auch noch unglaublich vorhersehbar wird, wird in flüssigem, aber unspannendem Stil erzählt. Weder inhaltlich noch sprachlich kommt es hier zu Überraschungsmomenten und leider ist es für mich daher nicht vielmehr als eine gutgemeinte Lektüre für den Nachmittag zwischen Bügelbrett und Waschmaschine. Keine der Figuren ist überaus reizvoll und die angestrebte Situationskomik und Familienkomödie ist einfach zu bieder, um zu überzeugen. Dazu wird jede Problematik im Zuckerguss erstickt, der Hallodri ist vom ersten Satz an als solcher zu erkennen, und das Happy End ist selbst für eine Weihnachtsgeschichte zu wohlmeinend. Dennoch wäre das Buch sicherlich die perfekte Grundlage für einen Weihnachtsfilm, den man aber leider doch schnell wieder vergessen würde. Mein Fazit: ganz nett, muss man aber nicht wirklich lesen.

Bewertung vom 24.04.2021
Der Junge, der das Universum verschlang
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


weniger gut

An diesen Roman hatte ich unglaublich hohe Erwartungen: nicht nur das farbenprächtige Cover erschien mir verheißungsvoll, sondern auch der mysteriöse Titel und vor allem die Tatsache, dass es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte – mein bevorzugtes Genre – handelte, erschienen mir äußerst verheißungsvoll.

Leider konnte der Text selbst diese Hoffnungen nicht erfüllen. Der Junge, der das Universum verschlang ist lediglich deshalb reizvoll, weil der Autor darin wohl eigene Jugenderfahrungen verarbeitet – ansonsten ist der Roman mindestens 50% zu lang und vor allem viel zu langatmig erzählt und geschrieben. Alles, was hier auf über 500 Seiten erzählt wird, hätte man knapper und kondensierter erzählen können. Dies hätte dem Roman sicherlich gutgetan. Über weite Strecken habe ich mich trotz des kriminellen Drogenmilieus, der eingestreuten, teils überzogenen Brutalität und der Ekelmomente gelangweilt und mich immer wieder gefragt, welche Relevanz diese oder jene Information für den Plot haben soll. Dazu kommen etliche nicht gelöste Fragestellungen und dann, wenn endlich einmal Erklärungen für den seltsamen Bruder Gus oder ein ominöses, rotes Telefon geliefert werden könnten, schreckt der Roman davor zurück, sich selbst seine surreale und schräge Atmosphäre zu nehmen. Am Ende wird noch ein unnötig in die Länge gezogener Thrillerversuch hinzugefügt, der aber auch seine Wirkung verfehlt, weil man ab dem Zeitpunkt eigentlich schon hofft, dass das Ende nun naht bzw. das Ende im Grunde schon längst stattgefunden hatte.

Keine der Figuren hat mich berühren können, selbst die Hauptfigur Eli wirkte recht leblos. Slim Halliday als Mentorfigur bringt ihm so einiges über die Zeit und Gefängnisausbrüche bei, auch ohne die immer wiederkehrenden Bezüge wird dies deutlich. Als Slim schließlich verschwindet, hat man trotz Elis kurzer Trauerbekundung nicht den Eindruck, dass ihm die prägende Figur nun wirklich fehlen würde.
Insgesamt bleibt bei mir der Eindruck, dass hier sehr viel auf einmal gewollt, aber nicht konsequent überlegt wurde, was genau das sein sollte. So wirkt die Geschichte unnötig überfrachtet und fantastisch und man fragt sich am Ende, warum das alles erzählt werden musste.

Bewertung vom 29.03.2021
Die gestresste Seele
Dobos, Gustav

Die gestresste Seele


sehr gut

Die gestresste Seele sensibilisiert leicht verständlich dafür, wie eng Körper und Psyche miteinander verzahnt sind. Dies geschieht, wann immer möglich und soweit verfügbar, mit einem Hinweis auf belegbare Daten, allerdings wird auch oftmals angemerkt, dass dieser Zusammenhang in vielen Bereichen nur vermutet wird. Wissenschaftliche Fakten, komplexere Sachverhalte und medizinisches Basiswissen wird nachvollziehbar aufbereitet und die Darstellung der Erkenntnisse immer auch durch konkrete, illustrierende Fallbeispiele ergänzt. Negativ fallen lediglich die häufigen Wiederholungen von bereits genannten Fakten und Themenbereichen auf, die man als aufmerksamer Leser bereits abgespeichert hatte.
Der abschließende 8-Wochen-Plan, der die Ausführungen zur gestressten Seele abrundet, ist ein sehr motivierender und anregender Bonus, allerdings greifen gerade die Ausführungen zur Ernährung hier etwas kurz. Darüber hinaus würde ich den Plan eher als Anreiz sehen; im Alltag auf sich gestellt solch einen ambitionierten Plan umzusetzen, der so viele Bereiche betrifft, ist ohne Begleitung schon eine ziemliche Herausforderung, sodass ich die Praxisnähe hier etwas skeptisch sehe.
Insgesamt aber ein Buch, das einen sehr wach und aufmerksam dem eigenen Wohlbefinden und den regelmäßigen körperlichen Unpässlichkeiten gegenüber zurücklässt.

Bewertung vom 26.03.2021
Die Schule der magischen Tiere - Das Kochbuch
Kührt, Christiane

Die Schule der magischen Tiere - Das Kochbuch


sehr gut

Eine so erfolgreiche und gelungene Reihe wie Die Schule der magischen Tiere verlangt geradezu nach Zusatzmaterial - und was könnte da besser geeignet sein als ein Kochbuch, in dem die magischen Tiere ihre Lieblingsrezepte vorstellen und Kindern gut verständliche und einfache Anleitungen zum Kochen bieten?

Das Buch ist sehr schön gestaltet. Nicht nur die zahlreichen Illustrationen aus der Welt der magischen Tiere fügen sich perfekt in die vielen Rezepte ein, auch die Fotos von den Gerichten sind optisch sehr schön und appetitanregend und verführen dazu, auch Mahlzeiten auszuprobieren, die Zutaten beinhalten, die normalerweise oftmals verschmäht werden. Wenn selbst das Foto noch nicht genügend Überzeugungsarbeit leisten konnte, dann schafft es meist der mittels Sprechblase eingefügte Kommentar von einer Figur aus der Welt der magischen Tiere. Diese Einbindung der Romanreihe in das Kochbuch macht sehr viel Spaß und ist ausgezeichnet gelungen. So erhält man selbst beim Kochen noch viel zusätzliche Hintergrundinformationen.

Die Rezepte sind alle sehr kindgerecht und recht simpel, allerdings fehlt mir doch einige Male der Überraschungseffekt, denn es sind viele "Standard"- Gerichte, die zwar den Kindergeschmack genau treffen, denen aber meist der Hauch von Twist fehlt, um ein wenig besonders zu sein. Auch hätte ich mir noch ein bisschen mehr Fokus auf "gesunde Ernährung" gewünscht.

Insgesamt aber ein zu empfehlendes Kinderkochbuch, das im Bereich der Länderküche sehr überzeugt.

Bewertung vom 22.03.2021
Die Erfindung der Welt
Sautner, Thomas

Die Erfindung der Welt


gut

Ich bin einfach überwältigt, allerdings meine ich das – genau so wenig wie Thomas Sautner die allermeisten Aussagen in seinem Roman – nicht im augenscheinlichen Sinne. Stattdessen lässt mich der Roman mit einem Gefühl von „das war alles viel zu viel, aber eigentlich doch irgendwie gar nichts“ zurück. So ist der Auftakt des Romans nahezu genial und einfach überragend. Die Schriftstellerin Aliza Berg erhält einen ominösen Brief mit der Bitte, einen Roman über das Leben zu schreiben. Alizas Auseinandersetzung mit dem Schreiben, ihre Art nach literaturwissenschaftlicher Manier jedem Wort und jedem Satzzeichen der Aufforderung einen tieferen Sinn abzutrotzen, ist meisterhaft und wahnsinnig unterhaltend. Ebenso grandios werden ihre Ankunft in Litstein, dem Ort in dessen Nähe der Auftragsroman angesiedelt sein soll, sowie ihre ersten Begegnungen mit den eigenwilligen und interessanten Figuren dieser Gemeinde geschildert. Wäre es so weitergegangen, hätte ich diesen Roman für immer bei mir getragen.

Stattdessen schwingt sich der Roman jedoch hinauf in die weiten Sphären des Universums, in existenzielle Problemstellungen und verliert sich in das Leben, den Sinn des Lebens, des Liebens und das Dasein hinterfragenden Episoden und Anekdoten. Er wird bevölkert von Figuren, die da oder doch nicht anwesend sind, und zerrinnt in metaphysisch anmutenden Betrachtungen. Die Handlung bleibt dabei naturgemäß nahezu auf der Strecke, während die Figurenentwicklung auf dem Altar des Universums geopfert wird. Ab einem gewissen Punkt verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Imagination, nichts ist mehr so greifbar und bodenständig wie die entschlossen klackernden Absätze von Alizas Schuhen auf dem Trottoir noch zu Beginn (S. 31). Dies ist allerdings gar nicht schlimm, denn ich unterstelle, dass der Roman den Leser verwirren, infrage stellen und zum tieferen Nachdenken anregen möchte, und dies gelingt ihm auf ganzer Linie. Da der Text darüber hinaus sprachlich ein Genuss ist, ist die Lektüre reizvoll und auch die Haptik des Buches mit sinnvoll auf den Inhalt bezogenem Titelfoto, ungewöhnlichem Format und rosa Lesebändchen macht viel Freude.

Dennoch: der Gesamteindruck, der mich am Ende des Romans begleitet ist, dass der Autor sich mit seiner Parabel der Unmöglichkeit die Gesamtheit des Lebens zwischen zwei Buchdeckel zu bannen, ebenso scheitert, wie Aliza selbst – der Kniff, der aus dem Roman wieder ein kleines Kunstwerk macht, ist jedoch gerade diese Erkenntnis: Sautner hat versucht, einen Roman über die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens zu schreiben und tappt dabei in die Falle, die er seiner Romanfigur stellt – aber vielleicht ist genau das so gewollt.

Bewertung vom 19.03.2021
Das Abenteuer beginnt / Flüsterwald Bd.1
Suchanek, Andreas

Das Abenteuer beginnt / Flüsterwald Bd.1


ausgezeichnet

Im Flüsterwald ist so einiges los – das stellt auch der 12-jährige Lukas fest, nachdem er mitten in der Nacht einem ungebetenen Besucher gefolgt ist und sich zwischen Elfen, Bolden, Menoks, Warks und anderen fantastischen Geschöpfen wiederfindet.

Flüsterwald ist ein Abenteuerroman, wie man ihn sich für Kinder wünscht. Er vereint alle Zutaten, die das Werk zu einem Erfolg und ausgesprochenen Lesespaß für Eltern und Kinder macht. Die sehr spannende Geschichte, die mit der perfekten Dosierung von Grusel aufwartet, also nicht zu harmlos ist, sondern schon über ein gutes Maß an Gefahr und Schauermomenten verfügt, wird so anschaulich und lebendig erzählt, dass man sie glatt in einem Rutsch durchlesen könnte. Bevölkert wird der Flüsterwald von liebevoll-verschrobenen Figuren, die sehr authentisch und vor allem auch lustig sind, und darüber hinaus mit feiner Beobachtungsgabe charakterisiert werden. Lukas Familie ist herrlich lebensecht und besonders die Mutter verfügt über einen hohen Wiedererkennungswert. Im Reich der Fabelwesen ist der Menok Rani sicherlich das absolute Highlight, da er mit seinen Eigenarten einfach ein Garant für viele Lacher ist. Hinzu kommt, dass der Autor ein hervorragendes Gespür für Situationskomik hat und so einige Slapstick-Passagen gekonnt einzubauen versteht, die bei Kindern wie Erwachsenen einfach gut ankommen.
Neben dem überbordenen Ideenreichtum, dem absolut glaubhaft transportierten Coolness-Faktor, den der Text in der Figur von Lukas besitzt, und dem einfach gelungenen Sprachstil, überzeugt der Roman auch mit seinem sehr dezent verpackten didaktischen Ansinnen, und verdeutlicht, wie wichtig Freundschaft und Zusammenhalt und wie wertvoll Bücher sind.

Ein wunderbarer und sehr vielversprechender erster Band!