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Benutzername: 
luisa_loves_literature
Wohnort: 
NRW

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 22.03.2021
Die Erfindung der Welt
Sautner, Thomas

Die Erfindung der Welt


gut

Ich bin einfach überwältigt, allerdings meine ich das – genau so wenig wie Thomas Sautner die allermeisten Aussagen in seinem Roman – nicht im augenscheinlichen Sinne. Stattdessen lässt mich der Roman mit einem Gefühl von „das war alles viel zu viel, aber eigentlich doch irgendwie gar nichts“ zurück. So ist der Auftakt des Romans nahezu genial und einfach überragend. Die Schriftstellerin Aliza Berg erhält einen ominösen Brief mit der Bitte, einen Roman über das Leben zu schreiben. Alizas Auseinandersetzung mit dem Schreiben, ihre Art nach literaturwissenschaftlicher Manier jedem Wort und jedem Satzzeichen der Aufforderung einen tieferen Sinn abzutrotzen, ist meisterhaft und wahnsinnig unterhaltend. Ebenso grandios werden ihre Ankunft in Litstein, dem Ort in dessen Nähe der Auftragsroman angesiedelt sein soll, sowie ihre ersten Begegnungen mit den eigenwilligen und interessanten Figuren dieser Gemeinde geschildert. Wäre es so weitergegangen, hätte ich diesen Roman für immer bei mir getragen.

Stattdessen schwingt sich der Roman jedoch hinauf in die weiten Sphären des Universums, in existenzielle Problemstellungen und verliert sich in das Leben, den Sinn des Lebens, des Liebens und das Dasein hinterfragenden Episoden und Anekdoten. Er wird bevölkert von Figuren, die da oder doch nicht anwesend sind, und zerrinnt in metaphysisch anmutenden Betrachtungen. Die Handlung bleibt dabei naturgemäß nahezu auf der Strecke, während die Figurenentwicklung auf dem Altar des Universums geopfert wird. Ab einem gewissen Punkt verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Imagination, nichts ist mehr so greifbar und bodenständig wie die entschlossen klackernden Absätze von Alizas Schuhen auf dem Trottoir noch zu Beginn (S. 31). Dies ist allerdings gar nicht schlimm, denn ich unterstelle, dass der Roman den Leser verwirren, infrage stellen und zum tieferen Nachdenken anregen möchte, und dies gelingt ihm auf ganzer Linie. Da der Text darüber hinaus sprachlich ein Genuss ist, ist die Lektüre reizvoll und auch die Haptik des Buches mit sinnvoll auf den Inhalt bezogenem Titelfoto, ungewöhnlichem Format und rosa Lesebändchen macht viel Freude.

Dennoch: der Gesamteindruck, der mich am Ende des Romans begleitet ist, dass der Autor sich mit seiner Parabel der Unmöglichkeit die Gesamtheit des Lebens zwischen zwei Buchdeckel zu bannen, ebenso scheitert, wie Aliza selbst – der Kniff, der aus dem Roman wieder ein kleines Kunstwerk macht, ist jedoch gerade diese Erkenntnis: Sautner hat versucht, einen Roman über die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens zu schreiben und tappt dabei in die Falle, die er seiner Romanfigur stellt – aber vielleicht ist genau das so gewollt.

Bewertung vom 19.03.2021
Das Abenteuer beginnt / Flüsterwald Bd.1
Suchanek, Andreas

Das Abenteuer beginnt / Flüsterwald Bd.1


ausgezeichnet

Im Flüsterwald ist so einiges los – das stellt auch der 12-jährige Lukas fest, nachdem er mitten in der Nacht einem ungebetenen Besucher gefolgt ist und sich zwischen Elfen, Bolden, Menoks, Warks und anderen fantastischen Geschöpfen wiederfindet.

Flüsterwald ist ein Abenteuerroman, wie man ihn sich für Kinder wünscht. Er vereint alle Zutaten, die das Werk zu einem Erfolg und ausgesprochenen Lesespaß für Eltern und Kinder macht. Die sehr spannende Geschichte, die mit der perfekten Dosierung von Grusel aufwartet, also nicht zu harmlos ist, sondern schon über ein gutes Maß an Gefahr und Schauermomenten verfügt, wird so anschaulich und lebendig erzählt, dass man sie glatt in einem Rutsch durchlesen könnte. Bevölkert wird der Flüsterwald von liebevoll-verschrobenen Figuren, die sehr authentisch und vor allem auch lustig sind, und darüber hinaus mit feiner Beobachtungsgabe charakterisiert werden. Lukas Familie ist herrlich lebensecht und besonders die Mutter verfügt über einen hohen Wiedererkennungswert. Im Reich der Fabelwesen ist der Menok Rani sicherlich das absolute Highlight, da er mit seinen Eigenarten einfach ein Garant für viele Lacher ist. Hinzu kommt, dass der Autor ein hervorragendes Gespür für Situationskomik hat und so einige Slapstick-Passagen gekonnt einzubauen versteht, die bei Kindern wie Erwachsenen einfach gut ankommen.
Neben dem überbordenen Ideenreichtum, dem absolut glaubhaft transportierten Coolness-Faktor, den der Text in der Figur von Lukas besitzt, und dem einfach gelungenen Sprachstil, überzeugt der Roman auch mit seinem sehr dezent verpackten didaktischen Ansinnen, und verdeutlicht, wie wichtig Freundschaft und Zusammenhalt und wie wertvoll Bücher sind.

Ein wunderbarer und sehr vielversprechender erster Band!

Bewertung vom 22.02.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


ausgezeichnet

Ganz ehrlich: Was für ein Buch! Was für ein Roman! Was für eine Geschichte! Ein echter Glücksgriff – ich fühle mich, als hätte ich in kürzester Zeit eine beste Freundin gefunden. Ich habe jede Seite genossen: glänzende, interessante Unterhaltung mit einiger Tiefe und Interpretationspotential, eine eher seltene Kombi. Vom ersten Satz an taucht man in Hannahs Welt ein, in ihr besonderes Verhältnis zu ihrer sehr speziellen, etwas verschrobenen, eigenwilligen, aber unheimlich wachen Großmutter Evelyn, in ihre obsessive Liebe zu ihrem Professor, in ihre Selbstzweifel und Verlorenheit, die sich auf der Suche nach einem verschollenen Erbe nach und nach verflüchtigen.

Der Roman ist unglaublich fließend, gut und mit leichter Hand geschrieben. Es braucht immer nur ein, zwei Sätze und man ist wieder mittendrin in der Geschichte angekommen, die mit ihren unterschiedlichen Zeitebenen ein ziemliches „page turner“-Potenzial aufweist. Darüber hinaus ist der Text hervorragend und überzeugend kontextualisiert, bindet die verschiedenen Schauplätze und Zeiten sprachlich sehr gut in die Handlung ein und bietet geschickt eingewobene wichtige politische Einblicke, ohne die Story zu überfrachten. Besonders eindrücklich ist die Darstellung der immer furchtbarer, auswegloser und enger werdenden Welt der Goldmanns und der jüdischen Bevölkerung. Die Unmittelbarkeit, die Angst und vor allem auch der Drang, nicht glauben zu können oder zu wollen, was passiert, werden fühlbar transportiert.

Die Jagd nach der Vergangenheit, nach Erinnerungen und den Kunstwerken bieten einiges an Spannung, aber die besondere Stärke des Romans liegt unzweifelhaft in seiner nuancierten, umfassenden und fast schon als wertfrei und neutral zu bezeichnenden Figurenkonzeption. Die feine und durchdringende Beobachtungsgabe des Romans ist begeisternd - die Uniwelt, das Platzhirschgehabe, die Professorenallüren, die Aussichtslosigkeit und Frustration: das alles ist auf den Punkt beschrieben, ohne bitter oder zu übertrieben zu sein, und daher unglaublich gut. Darüber hinaus wird sich wunderbar bis in die Nebenfiguren eingefühlt. Die Autorin nimmt sie so, wie sie sind, und hält sich von zu offensichtlicher Sympathielenkung fern. Auf diese Weise gelingen ihr pointierte und nachvollziehbare, vor allem aber auch unterhaltende und sinnvolle, Charakterisierungen, die ihre Romanwelt bereichern und für ein hohes Maß an Authentizität sorgen. Dies schafft sie durch den konsequenten Wechsel zwischen Fremdperspektive und Innensicht und so liebt man als Leser Figuren wie den übermotivierten Jörg Sudmann, dessen Steckenpferd das Dritte Reich ist, oder die regimetreue Trude zwar nicht, aber man versteht, warum sie so sind, wie sie sind. Ein weiterer großer Pluspunkt im Rahmen der Figurenkonzeption ist der Verzicht auf gegenseitige, selbstbemitleidende Schuldzuweisungen unter den die Handlung tragenden Frauenfiguren. Das gerade so in Mode gekommene Thema der Verantwortlichkeit der Mutter am eigenen misslungenen Leben wird hier erfrischender Weise ausgespart, die Figuren sind bei aller Befasstheit mit ihren problematischen Themen sich ihrer eigenen Zuständigkeit deutlich bewusst.

Dabei will der Roman glücklicherweise nicht zu viel und vor allem nicht alle Stränge und Fäden am Ende lösen. Manche Wege sind eben – wie im echten Leben – auch Sackgassen und einige Themen muss man auch nicht zu einem Schluss bringen. Und wenn man dann für einen Roman wie diesen noch solch einen Schluss im Abendlicht hinbekommt, dann ist die Lesewelt doch einfach schön. Diesen Roman muss man lesen und genießen. Für mich hat er das Zeug zu einem meiner Lieblingsbücher.

Bewertung vom 12.02.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


sehr gut

Vati – wer ist das eigentlich? In ihrem neuen Buch macht sich Monika Helfer auf die Suche nach dem Wesen des Mannes, der ihr Vater war, und entdeckt dabei auch zahlreiche Erinnerungen an sich selbst.

Der Roman ist eine sehr intensive und berührende Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und Vergangenheit, mit schmerzlichen Begebenheiten, Episoden liebevoller Zugeneigtheit und Phasen der Vernachlässigung, die es gibt, weil Erwachsene und Väter eben auch nur Menschen sind. So begibt sich die Autorin mittels Erinnerungsfragmenten, mal chronologisch, mal in eingeschobenen Exkursen, auf die Reise in ihre sehr jungen Jahre, zu Beginn gar in die Zeit bevor sie geboren wurde. Stets ist sie dem Mensch Vati auf der Spur, aber so ganz gelingt die Annäherung und Auseinandersetzung mit ihm nicht. Dies soll sie auch gar nicht, im Gegenteil, denn Vati (und vielleicht alle Eltern) bleiben durch ihre Rolle im Leben immer auch leicht unnahbar, vage und verschwommen – so wie das sehr passende Cover des Buchs. Ganz folgerichtig setzt sich Monika Helfer vielleicht auch deshalb mit dem Umstand auseinander, dass man als Kind gar nicht unbedingt alles über seine Eltern wissen oder diese verstehen möchte.

Der Roman hat – wie bereits angedeutet – keinen durchweg klaren, linearen Handlungsverlauf, sondern reiht prägende Erlebnisse aneinander, sodass zumindest auch in einem Teil des Buchs Vati völlig aus dem Fokus und der Erzählung verschwindet. Trotz dieser gewissen Handlungsarmut ist das Buch eine faszinierende und gelungene Lektüre, da Monika Helfer einen sehr eigenen, besonderen Schreibstil pflegt, der den Leser oft ins Herz trifft.
Aus einer Reflexion über alltägliche Geschehnisse wird kann so sprachlich ein Ereignis werden. Auch gelingt es der Autorin immer wieder, sich detailliert und authentisch in das erlebende Ich einzufühlen. Sollte ich den Roman ausschließlich an seinem letzten Satz messen, dann würde er ohne Zweifel ganz weit vorn unter meinen unvergesslichen Büchern rangieren. Ganz ehrlich: so schreibt man letzte Sätze – denn nur selten habe ich an dieser Stelle etwas Passenderes gelesen. (Bitte jetzt auf keinen Fall den Satz ohne Kontext lesen!)

Für mich ein gelungenes, nachdenkliches Lesevergnügen. Anspruchsvoll, ehrlich, wertig.

Bewertung vom 06.01.2021
Wo du nicht bist
Gebert, Anke

Wo du nicht bist


sehr gut

Irma Weckmüller, Verkäuferin aus kleinen Verhältnissen, findet in dem jüdischen Arzt Erich Bragenheim Ende der 20er Jahre die Liebe ihres Lebens. Trotz aller Repressalien hält Irma an ihrer Liebe zu Erich fest. Als sie nach dem Krieg von seinem Tod im KZ Auschwitz erfährt, setzt sie gegen alle Widerstände die Anerkennung ihrer 1935 nicht mehr stattgefundenen Eheschließung mit ihrem getöteten Geliebten durch. Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten.

Anke Gebert imaginiert mitreißend, authentisch und niemals kitschig Irmas Liebe zu Erich und ihren Kampf um die Anerkennung dieser Verbindung. Außergewöhnlich ist dieser Roman durch seine reale Vorlage, denn der Bezug zu einem wahren Lebensschicksal nimmt dem Thema seine eventuelle doch abwegig anmutende Note. Dass dies recht umfassend gelingt, verdankt Wo du nicht bist seiner Protagonistin Irma Weckmüller, die von Anke Gebert äußerst einfühlsam und sinnhaft konzipiert wird. Es gelingt der Autorin ihre Figur mit sehr viel Naivität, Liebesblindheit und Sturheit auszustatten, wodurch, wenn auch eine Identifikation mit ihr unmöglich ist, zumindest doch eine ansatzweise Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit des Charakters und der Handlungsweisen erreicht wird. Dies wird besonders deutlich zu dem Zeitpunkt, an dem die Schrecken und Vorgehensweisen des Dritten Reichs immer deutlicher zu Tage treten, Irma aber eine umfassende oder gar rationale Bewertung des Geschehens verwehrt bleibt. Gebert gelingt es hier sehr eindrucksvoll, die Unübersichtlichkeit der sich überschlagenden Ereignisse anhand von Irmas Person darzustellen. Ebenso überzeugend ist Irmas Figurenzeichnung, wenn sie den eigentlichen juristischen Kampf aufnimmt und Gebert sie auf eine verhärmte Frau reduziert, die einsam nur noch zwischen Zigaretten und Alkohol existiert, angetrieben von dem fast schon obsessiven Verlangen die nachträgliche Anerkennung der Eheschließung zu erlangen. Ein kleiner Wermutstropfen ist in diesem Teil allerdings die Tatsache, dass die Autorin um eine klarere Ausleuchtung des Geisteszustands Irmas herumlaviert und auch die Verselbstständigung der nunmehr fast schon „fixen“ Idee unkommentiert bleibt. Stattdessen versucht der Roman bis zum Ende der Liebeshandlung treu zu bleiben und verschenkt so möglicherweise Potenzial – dies ist aber auch mein einziger größerer Kritikpunkt.

Der Aufbau des Romans ist sehr gelungen, da er zu Beginn mehr oder weniger linear erzählt und später dann in Irmas Rechtsstreit zahlreiche Rückblenden einbindet. Dies ist im Rahmen der Handlung überaus sinnvoll, erhöht den Spannungsbogen (was bei einem Roman, bei dem das Ende an sich schon mehr oder weniger bekannt ist) nicht unerheblich ist und führt zu einer Annäherung an die Diskrepanz zwischen dem Gefangensein in einer Situation und der wissenden Rückschau auf das Geschehen.

Sprachlich ist der Roman sehr lesbar, flüssig und angenehm geschrieben. Der Text stellt sich völlig in den Dienst seiner Geschichte ohne sentimental oder rührselig zu sein, auch das ist bei dem Thema dieser einzigartigen Liebesgeschichte schon ein ziemliches Unterfangen.

Insgesamt ein Roman, der nachdenklich macht, der berührt und beschäftigt, der aber eventuell mehr Einblick in die sich wandelnde Psychologie der Hauptfigur verdient gehabt hätte. Für mich ist das Buch dennoch eine absolute Lebensempfehlung.

Bewertung vom 30.12.2020
Als die Nacht begann
Hartung, Alexander

Als die Nacht begann


sehr gut

In Als die Nacht begann begleitet der Leser Kriminalkommissar Jan Tommen und seine Freunde auf der Jagd nach einem Heckenschützen, der Berlin unsicher macht. Der Roman bietet eine unterhaltsame, solide Tätersuche mit konstantem Spannungsbogen.

Der Aufbau des Romans ist chronologisch an die Tätersuche angebunden und so verfolgt man Sackgassen, die umfassend untersucht werden, ebenso wie heiße Spuren, die natürlich zu der abschließenden (befriedigenden) Lösung führen. Der Fall ist interessant, aktuell und zumindest in den Grundzügen vorstellbar und wird sehr spannend, kurzweilig und mit hoher Lesbarkeit erzählt. Sicherlich wird das eine oder andere Klischee bedient, aber das gehört beim Thriller-Genre ja fast dazu. Den Epilog hätte der Text meiner Meinung nach nicht gebraucht – hier wird leider sehr deutlich, dass Hartung sich nicht am romantischen Genre versuchen sollte – der Schluss trägt nichts zur eigentlichen Handlung bei und ist eher ungelenk.

Die Figuren sind wie im Thriller üblich sehr funktional gezeichnet. Eine schöne Abwechslung ist, dass Jan Tommen im Gegensatz zum stereotypen einsamen Ermittlerwolf hier über ein ganzes Freunde-Team verfügt, das sich gegenseitig unterstützt und auch oftmals zum gemeinsamen Essen zusammenkommt. Gleichzeitig ist diese Unterstützer-Gruppe für mich auch immer etwas unglaubwürdig, da ich Polizeiarbeit doch für sehr vertraulich halte und mich daher fragen muss, inwiefern solche inoffiziellen Mitarbeiter realistisch sind. Obwohl ich bisher keinen Tommen-Roman gelesen habe, ist es weitestgehend möglich die Figurenkonstellation gut einzuordnen und der Handlung zu folgen. Sicherlich hatte ich ab und an den Eindruck, dass mir eventuell noch etwas an Hintergrundinformationen zum Beziehungsgeflecht fehlt, aber insgesamt kann man diesen Krimi auf jeden Fall sehr gut lesen, auch wenn man die vorherigen Bände nicht kennt.

Insgesamt bietet Als die Nacht begann spannende Lesestunden mit sehr amüsanten Momenten, in der eine Entdeckung wie bei einer Schnitzeljagd zur nächsten führt. Für Krimi-Veteranen ist das Ende vielleicht nicht unbedingt überraschend, aber die Tätersuche macht dennoch viel Spaß.

Bewertung vom 21.12.2020
Fuchs, D: HOLIDAY Reisebuch: Atlas der Naturwunder
Fuchs, Don; Johnen, Ralf; Lammert, Andrea; Miethig, Martina; Schetar, Daniela

Fuchs, D: HOLIDAY Reisebuch: Atlas der Naturwunder


sehr gut

Der Atlas der Naturwunder ist ein wunderbares Buch zum Kopfreisen und Träumen. Er widmet sich in verschiedensten Rubriken der einzigartigen, abwechslungsreichen Schönheit und den besonderen Phänomenen unseres Planeten.

Die Aufmachung und der Aufbau des Bandes sind äußerst gelungen. So sind die besprochenen Naturwunder nach Kontinenten gegliedert – und recht ungewöhnlich - selbst die Antarktis fehlt hier nicht. Die Kapitel zu den Kontinenten werden mit einer recht groben Übersichtskarte eingeleitet und dann noch mal in Unterkapitel wie „Geologie“, „Fauna“, Flora“ und „Wüste“ eingeteilt. Neben diesen offensichtlicheren, erwartbaren Kategorien gibt es aber auch außergewöhnlichere wie „Lost Places“ oder „Wetter & Astronomie“. Besonders die unter diesen Überschriften gelisteten „Sehenswürdigkeiten“ sind oft sehr reizvoll. Jedes Naturwunder wird von einem kurzen Erläuterungstext, einem Tipp zur besten Reisezeit und zum bestmöglichen Erlebnis sowie von mindestens einem hochwertigen und Foto, das bei bekannteren Einträgen durchaus auch mal einen ungewöhnlicheren Blickwinkel präsentiert, begleitet. Die kurzen, lexikonartigen Begleittexte sind aufschlussreich, für meinen Geschmack allerdings etwas eintönig und aufgrund der Kürze auch manchmal zu oberflächlich. Ausgesprochen überzeugend ist hingegen die Auswahl der vorgestellten Naturwunder. Nicht nur die unglaubliche Vielfalt der dargestellten Schönheiten, sondern auch die Tatsache, dass hier so viele „unbekannte“ Plätze gezeigt werden, begeistert sehr. Sicher mag man vielleicht etwas vermissen oder hätte selbst einen anderen Ort hinzugefügt, aber insgesamt bietet der Atlas der Naturwunder sehr anregende und inspirierende Lese- und Blätterstunden. Ein wunderschönes Buch für zukünftige Reiseträume!

Bewertung vom 18.12.2020
Bergsalz
Kalisa, Karin

Bergsalz


schlecht

Bergsalz sollte eine Geschichte über eine Graswurzelbewegung sein. Das war der Roman zu Beginn auch und startete recht verheißungsvoll. Aber ganz schnell wurde aus der Story ein didaktisch ausgerichteter, "visionärer" Flüchtlingsbericht, darauf folgte der Lebensbericht einer jungen Frau mit Bindungsängsten, danach kam eine Geschichte über einen entwurzelten Mann aus dem Norden Englands, gepaart mit einem gewollt humoristischen Einblick in die Kleinstadtpolitik und schließlich eine obskure religiöse Erweckungsgeschichte. Dazu gab es noch "historische" Einschübe zum Bauernaufstand. Und das alles auf knapp 200 Seiten...

Zumindest der Beginn der Geschichte ist ganz nett und passt eigentlich gut in die Adventszeit mit ihrem aufkeimenden Gefühl der Nächstenliebe. Bei "nett" bleibt es aber leider und, wie man meinem kurzen Inhaltsabriss entnehmen kann, tut sich dieser Roman äußerst schwer mit seiner Handlung, denn irgendwie hängt jeder Handlungsstrang in der Luft, alles bleibt unvollendet. Dazu ist die Herangehensweise des Textes an sein Thema sehr konservativ, vorhersehbar und leider auch recht uninteressant. Die Art und Weise wie hier um Zusammenhalt und Gemeinschaft gerade im Flüchtlingsteil geworben wird, ist mir einfach zu platt - das passt eher in ein Kinderbuch. Eine so offen didaktische Funktion in einen Erwachsenenroman einzubinden, erscheint mir sehr unangebracht. Die in der Renaissance angesiedelten Teile lassen sich nur mit sehr viel gutem Willen an das heutige Geschehen binden und die schließlich etablierte Verbindung kann überhaupt nicht überzeugen, im Gegenteil: man muss sich fragen, ob das überhaupt eine Verbindung ist. Das ist schon sehr weit hergeholt. Am Ende erfolgt dann noch ein ziemlich unsäglicher, leider auch unfreiwillig komischer, religiöser Teil.

Der Schreibstil ist recht umständlich. Unzählige Erläuterungen zum Wind und Wiederholungen in der sowieso spärlichen Innensicht der Figuren verlängern und verlangsamen das Lesen unnötig. Vieles soll poetisch klingen, das funktioniert aber nur selten und in Wahrheit verbergen sich hinter dem zeitweise lyrischen Charakter der Sprache nur leere Füllsätze ohne Bedeutung, wodurch das Problem der Handlungsstringenz auf 200 Seiten verschärft wird. Die teilweise künstlich anspruchsvolle Sprache wird auch nicht durchgängig gehalten, sondern wechselt sich mit einem Stil ab, der Namen nur in Verbindung mit Artikeln verwendet. Darüber hinaus gibt es unzählige Sätze, die über mindestens 14 Zeilen gehen und an die 100 Wörter aufweisen. Meist fragt man sich ratlos am Ende eines Satzes, wie er nochmal begonnenen hat. Zumindest korrespondiert der Stil was dies anbelangt mit der Inhaltsebene - da fragt man sich am Ende auch, wie es nochmal angefangen hat.

Ich hätte mir dringend eine tiefere und komplexere Figurenzeichnung gewünscht, stattdessen ist fast jede Figur austauschbar und es hat den Anschein, als interessiere sich der Text nicht für seine Figuren. Es gibt zahlreiche Figuren, die mal für ein paar Sätze inklusive angerissener Vita auftauchen und dann für immer verschwinden, aber auch wesentlichere Figuren, an die sich der Roman plötzlich ausufernd erinnert.

Insgesamt passt in diesem Buch kaum etwas zusammen - viel verschenktes Potenzial lässt den Eindruck entstehen, dass wir es hier mit einem Roman zu tun haben, der selbst nicht weiß, was er will und deshalb die Lust am Erzählen verliert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.12.2020
2024 Grüne Neue Welt
Fritz, Hanns

2024 Grüne Neue Welt


gut

2024 entwirft das Bild eines neuen, anderen Deutschlands in nicht allzu ferner Zukunft, indem sich der Teenager-Sohn des Bundeskanzlers schwer verliebt und so die Sicherheit seines Vaters und des Landes gefährdet.

Der Roman ist vieles auf einmal: Zukunftsvision (wobei sicherlich darüber diskutiert werden kann, ob utopisch oder dystopisch), Liebesgeschichte, Coming-of-Age, Familienstory, Thriller und politische Debatte. Für ein Erstlingswerk ist das eine ziemliche Liste an Genres, die hier bedient werden, doch weitestgehend glückt die Verquickung dieser Themen, wenn sie auch alle für sich gesehen jeweils mehr Tiefe und Raum verdient und z.T. auch benötigt hätten.

Die Zukunftsvision, die 2024 ausmalt, ist für den Leser eine Herausforderung, da sie dadurch, dass sie an das Jahr 2024 gebunden wird, nicht allzu weit entfernt ist, aber ein ökologisch nachhaltiges Deutschland zeichnet, dass bei allem Idealismus so momentan nicht vorstellbar ist. Die fiktionale Welt, die vorgestellt wird, ist in sich geschlossen, dicht, glaubwürdig und sinnvoll, mir ist sie auf der zeitlichen Achse jedoch einfach zu nah.

Die Liebesgeschichte entwickelt sich ausgesprochen schnell, intensiv und fast überstürzt. Da es sich bei dem Pärchen um sehr junge Leute handelt, ist diese Art der amour fou schon nachvollziehbar, mir bereitete sie aber im Gesamtkonstrukt Schwierigkeiten, da sie sich nicht „echt“ genug anfühlte und sich am Ende auch zusätzlich eine logische Leerstelle auftat. Das, mit der Liebeshandlung verbundene, Coming-of-Age sowie der Familienhandlungsstrang, der die veränderte Beziehung zwischen Vater und Sohn betrachtet, sind hingegen überzeugend und sehr gelungen. Sprachlosigkeit und das Haften an Erinnerungen dienen hier der Skizzierung der zerfallenden Beziehungsebene. Der Thriller-Part ist interessant aufgezogen und sorgt im Leseprozess für ein hohes Maß an Spannung und Atemlosigkeit, die auch durch die kurzen Kapitel erreicht wird. Auch wenn manche Szenen im Kontext der Story überzogen wirken mag, hält der Roman hier auf jeden Fall, was er verspricht. Die politische Debatte, die sich zwischen Datenschutz und Nachhaltigkeit entspinnt, ist zudem nicht nur ein reizvolles Gedankenprojekt, sondern vor allem genau im richtigen Maß in den Text eingebunden, sodass Raum für eigene Überlegungen bleibt.

Sprachlich und stilistisch weist der Roman zu Beginn ein paar Stolpersteine auf, die sich aber im Verlauf des Textes verflüchtigen. Ist der Romananfang textlich und auch inhaltlich noch etwas holprig, so gerät er doch relativ schnell in einen guten Fluss, der für eine angenehme Lesbarkeit sorgt.

Insgesamt ein durchaus ansprechendes Debut, das ich aufgrund der Thematik und des Protagonisten Lukas allerdings eher als einen Roman für die Zielgruppe „junge Erwachsene“ einordnen würde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.