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Benutzername: 
MarionHH
Wohnort: 
Schenefeld

Bewertungen

Insgesamt 120 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2019
Das Erbe von La Florentina (eBook, ePUB)
Colwey, Anne

Das Erbe von La Florentina (eBook, ePUB)


sehr gut

Laura van Dyck ist Ende zwanzig, ihre geliebte Tante Harriet ist gerade gestorben, und sie hat mal wieder ihren Job als Köchin verloren, als ihr unerwartete Post ins Haus flattert. Laura fällt aus allen Wolken: Sie hat ein Weingut in der Nähe von Neapel geerbt! Das bringt sie ihrem Traum, ein eigenes Restaurant mit ihrer Freundin Fiona zu eröffnen, ein gutes Stück näher. Kurzentschlossen bricht sie nach Süditalien auf, um das Weingut schnellstmöglich zu verkaufen. Womit sie allerdings nicht gerechnet hat: Schnell wachsen ihr Landschaft, Weingut und die Menschen ans Herz, und vor allem ein ganz bestimmter Mensch droht ihr Herz zu erobern, obwohl sie doch eigentlich Gefühlen abgeschworen hat...

Sehr schöne romantische Geschichte mit sympathischen Figuren, die einen mitleben und träumen lassen. Die Autorin versteht es, die wunderschöne Landschaft vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen, wozu auch das sehr hübsch gestaltete Cover beiträgt. Ihr Schreibstil ist nicht unbedingt gehoben-literarisch, jedoch niemals platt oder seicht, einfach sehr eingängig und sehr gut zu lesen. Locker und flüssig gleitet die Geschichte dahin, ohne Längen zu besitzen, und die Autorin beschreibt geradezu liebevoll Landschaften und Menschen. Mir haben besonders (wie immer) die zwei Zeitebenen gefallen. Der Hauptteil wird aus der Sicht Lauras erzählt, doch Amalias Tagebuch, der Besitzerin des Weingut nach dem zweiten Weltkrieg, gibt ungemein tiefe Einblicke in die Ereignisse der damaligen Zeit. Amalias Erkenntnisse helfen Laura, Entscheidungen zu treffen und zu begreifen, wie alles zusammenhängt. An der einen oder anderen Stelle ging es mir allerdings eher zu schnell, und einige Geheimnisse bleiben auch im Dunkeln. Ich hätte zum Beispiel gerne noch mehr über Carls Vergangenheit erfahren, und auch der Meinungsumschwung Lauras kam mir etwas zu plötzlich.

Die Protagonisten sind nicht unbedingt vielschichtig und komplex, aber dennoch haben sie Persönlichkeit. Laura möchte man manchmal schütteln und zur Vernunft bringen, aber so wie sie lernt ihre Mutter zu verstehen, versteht man auch ihre Entscheidungen besser einzuschätzen, wenn man die Hintergründe kennt. Sie macht durchaus eine Entwicklung durch und ringt mit sich und ist voller Zweifel, hält aber (zunächst) stur an ihrer Entscheidung fest. Dass sie dann aber Stärke und Mut beweist, spricht für ihren starken Charakter, und außerdem gefiel mir, dass sie nie ihren eigenen Traum, ein eigenes Restaurant zu eröffnen, aus dem Augen verliert. Natürlich liegt der Fokus sehr auf Laura und Matteo, ich fand aber sehr gut, dass nicht nur ihre Liebesgeschichte im Vordergrund steht, sondern auch das Familiengeheimnis und die Verstrickungen der beiden Familien van Dyck und Santoro eine sehr große Rolle spielen. Auch bei den Charakteren hätte ich mir mitunter ein bisschen mehr Tiefgang gewünscht, letztlich jedoch tut das dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Es ist eine schöne Liebesgeschichte voller Sympathie für ihre Figuren.

Fazit: Die Autorin beweist erneut, dass sie eingängige romantische Liebesgeschichten schreiben kann, die einen in eine andere Welt zum Träumen einladen. Sie bietet einige Stunden sehr gute Unterhaltung, lässt einen mit ihren Figuren mitleben und macht Lust auf Mehr!

Bewertung vom 24.09.2019
Tagebuch meines Verschwindens / Profilerin Hanne Bd.2
Grebe, Camilla

Tagebuch meines Verschwindens / Profilerin Hanne Bd.2


ausgezeichnet

In dem schwedischen Dorf Ormberg finden 2009 drei Teenager, Anders, Kenny und Malin, das Skelett eines Kindes. Der Fall bleibt ungelöst. Acht Jahre später werden einige Cold Cases wieder aufgenommen, darunter eben dieser Leichenfund, und Malin, inzwischen Polizistin, wird ebenfalls ins Team berufen, da sie hervorragende Ortskenntnisse hat. Zum Team gehören auch Profilerin Hanne und Ermittler Peter, die auch privat ein Paar sind. Die Ermittlungen stagnieren, als eines Tages Hanne verwirrt im Wald aufgefunden wird und Peter verschwunden ist. Hanne kann sich an nichts erinnern, und bei den Bewohnern des Dorfes stoßen Malin und ihre Kollegen auf eine Mauer des Schweigens…
Tagebuch meines Verschwindens ist ein ungewöhnlicher Thriller, bei dem es sehr lange dauert, bis sich scheibchenweise die Mosaiksteinchen ineinanderfügen. Es ist nicht nur ein Whodunnit-Krimi, sondern Psychogramm einer Dorfgemeinschaft und einzelner ihrer Mitglieder. Tatsächlich sind die Hintergründe so komplex und es tauchen immer wieder neue Wendungen auf, dass man als Leser mehrfach aufs Glatteis geführt wird. „Klassische“ Ermittlungsarbeit findet an sich kaum statt, stattdessen erfährt man aus verschiedenen Perspektiven von Malin, dem Jungen Jake sowie Hanne – zunächst in Form ihres Tagebuchs -, was passiert. Die Spannung lebt meines Erachtens stark von der Tatsache, dass sich Hanne nicht erinnern kann und dass das Tagebuch, in dem sie alles notiert, für die Ermittler nicht zugänglich ist und sie daher das Verschwinden Peters und seine Ermittlungsergebnisse nicht nachvollziehen können. Die Autorin macht dies sehr geschickt, denn auch der Leser, der zwar das Tagebuch mitliest, weiß dadurch nicht mehr als die Ermittler.
Den Titel des Buches kann man auf mehrere Aspekte der Geschichte anwenden – vieles verschwindet, Personen und Dinge, doch am erschütterndsten ist das Verschwinden von Hannes Gedächtnis. Das Tagebuch macht deutlich, wie verzweifelt sie ist und wie die Krankheit auch ihre Persönlichkeit verändert. Doch auch Malins und Jakes Innenleben wird intensiv beleuchtet, neben diesen dreien schienen mir die anderen Protagonisten eher schwach dargestellt zu sein. Diese drei sind ganz klar die Hauptpersonen, auf ihnen liegt der Fokus. Über Malin und Jake erfährt man zudem, wie die Dorfgemeinschaft funktioniert, und über allem hängt eine alles in allem düstere Atmosphäre, voller Geheimnisse und ein großes unangenehmes Schweigen, wie es nicht aus Zusammenhalt und Sympathie, sondern aus Misstrauen entsteht. Alle drei machen Entwicklungen durch und erfahren Schicksalsschläge, wobei Jake mir am besten gefallen hat, da er die positivste Wandlung erfährt. Der Fall selber – das tote Mädchen, das Verschwinden Peters – scheint mitunter ein klein wenig in den Hintergrund zu geraten ob dieser starken Präsenz der drei, doch plötzlich, wenn man es gar nicht erwartet, taucht wieder eine neue Entwicklung, eine neue Spur oder Entdeckung auf, und auch durch die persönliche Involviertheit Malins und die sukzessive Annäherung an die Lösung bleibt die Spannung auf einem sehr hohem Niveau. Für mich jedenfalls kamen die vielen Wendungen und die Lösung überraschend und ich fand die Erzählweise der Autorin sehr packend.
Fazit: Ein gelungener Psychothriller mit drei starken Protagonisten, die den Leser in ihren Bann ziehen. Wer blutige Leichen oder Psychoduelle zwischen Ermittler und Täter sucht, wird hier nicht fündig. Stattdessen erwartet ihn ein ungewöhnliches Psychogramm eines Dorfes und die nachdenklich machende Erkenntnis, dass Ormberg in uns allen ist.

Bewertung vom 02.09.2019
Ein neues Blau (eBook, ePUB)
Saller, Tom

Ein neues Blau (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Berlin, 1985: Schülerin Anja, bei der zurzeit einiges im Argen liegt, wird von ihrem Vertrauenslehrer angehalten, sich bei der alten Dame Lili Kuhn zu melden und sich als deren Gesellschafterin zu bewerben. Die ist einigermaßen überrascht, lässt sich aber darauf ein. Lili erzählt aus ihrem bewegten Leben, ihren jüdischen Wurzeln, weiht Anja in die Geheimnisse der Porzellanherstellung und in die japanische Teezeremonie ein. Die beiden ungleichen Frauen beginnen sich behutsam aneinander anzunähern, und nach anfänglichem Widerwillen werden für
beide die Besuche immer wichtiger und helfen jeder von ihnen, ihren inneren Frieden zu finden.

Lustig, traurig, berührend, packend, erschütternd – es gibt fast keine Emotion, die dieses Buch nicht auslöst. Obwohl der Erzählstil des Autors teilweise eher sachlich und reduziert wirkt und er sich keinerlei überflüssiger Bemerkungen schuldig macht, so trifft er doch immer den richtigen Ton, ohne schwülstig oder verkrampft zu werden. Gekonnt wechselt er die Perspektive und erzählt im Wechsel aus der Sicht Anjas, in der Ich-Form, die Geschehnisse in der Gegenwart und als allwissender Erzähler aus der Sicht Lilis deren Leben von 1919 bis 1932. Dies tut er im Falle der Anja-Perspektive eher flapsig-jugendlich und im Falle der Lili-Perspektive gehoben-literarisch. Der Leser erhält zudem in dem Maße, in dem Anja von Dritten mehr aus Lilis Leben erfährt, ebenfalls weitere Informationen über diese Zeit hinaus. Mitunter meint man geradezu, dass der allwissende Erzähler das Geschehen ironisch kommentiert. Jedenfalls entsteht so nach und nach das Bild einer außergewöhnlichen Frau und ihres ungewöhnlichen Lebens, in welchem Porzellan eine große Rolle spielt und die Farbe Blau sich wie ein roter Faden durchzieht. Es geht jedoch nicht um eine lückenlose Biografie oder eine nüchterne Schilderung von Ereignissen. Es geht um Liebe und Freundschaft, Familienbande, Treue über den Tod hinaus, Mut und Stärke, sein Leben in die Hand zu nehmen und nicht zuletzt um die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln und Vergebung.

Obwohl die Geschichte eine der leisen Töne ist und ohne große Action daherkommt, fesselt sie doch ungemein und besticht durch ihre außergewöhnlichen Charaktere. Lili ist eine unglaubliche Persönlichkeit, und ihr Leben und ihre Erlebnisse machen einmal mehr die Schrecken des Nationalsozialismus deutlich. Für eine Frau in jener Zeit macht sie ungewöhnliche Dinge und hat dabei nicht wenige Schicksalsschläge zu ertragen. Dabei steht ihr zu jeder Zeit ein ebenso faszinierender Mensch zur Seite: ihr lebenslanger Beschützer und Vaterersatz Takeshi, von dem man gerne mehr erfahren hätte. Diese absolute Verbundenheit berührt sehr und macht einen Großteil des Reizes dieser wunderbaren Geschichte aus. Mich berührte aber noch mehr, wie Anja sich entwickelt, wie sie nach anfänglichem Missmut immer mehr in die Welt Lilis eintaucht, sich ihrer eigenen Wurzeln bewusst wird, ihre Gegenwart und Verhalten hinterfragt und schließlich lebenswichtige Entscheidungen trifft. Sie wird vom verstörten, sich schuldig fühlenden Kind zur verantwortungsbewussten jungen Frau, die ihren Weg geht.

Fazit: Ein wunderbares Buch und jedem zur Lektüre wärmstens ans Herz gelegt. Berührt einen im tiefsten Innern und hallt lange nach. Wer starke und vielschichtige Frauenfiguren liebt und sich für Bindungen interessiert, wird dieses Buch lieben!

Bewertung vom 26.08.2019
Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1 (eBook, ePUB)
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Was geschah mit Aurora Jackson?
In einem Waldstück in der Nähe von Southampton findet ein Kind zufällig eine stark verweste Leiche. Der zum Tatort gerufene Ermittler, Jonah Sheens, ist sich sicher: Das ist die vor dreißig Jahren verschwundene 14jährige Schülerin Aurora Jackson, die dort zu jener Zeit mit einer Gruppe Jugendlicher zelten war. Kann nun endlich dieser lang zurückliegende Fall, der ihn sein ganzes Leben beschäftigt hat, gelöst werden? Sheens stürzt sich mit seinem Team, darunter die neue Kollegin Juliette Hanson, in die Ermittlungen, und bald sind nicht nur die damals Beteiligten verdächtig, sondern auch ein Lehrer und sogar Sheens selber…

Toller, eher klassischer Krimi, der sehr von der Tatsache lebt, dass das eigentliche Verbrechen lange zurückliegt und nicht leicht rekonstruiert werden kann sowie von seinen Dialogen und der Interaktion seiner Figuren. Er kommt dabei wohltuenderweise ohne allzu grausame Action oder blutige Szenen aus und schafft auf hintersinnige Art und Weise Spannung. Die Ermittlungsarbeit besteht zum Großteil aus Befragungen der damals beteiligten Personen, die inzwischen natürlich erwachsen sind und die alle einen Ruf zu verlieren haben. Hieraus und aus der Tatsache, dass auch Chief Sheens die Tote gekannt hat, zieht der Thriller meines Erachtens den Hauptteil seiner Spannung. Die verschiedenen Perspektiven beleuchten die unterschiedlichen Aspekte der Geschehnisse sowie die persönlichen Hintergründe, Motive und Gefühle der einzelnen Beteiligten. Besonders packend sind die Rückblenden in das Jahr der Ereignisse und die daraus resultierenden Abhängigkeiten der Gruppe voneinander. An sich ist der Kreis der Verdächtigen eher klein, doch nach und nach fügen sich all diese Puzzleteile ineinander und enthüllen, was wirklich geschah. Die Lösung war denn auch – wenn auch nicht vollkommen überraschend – so doch fesselnd im Hinblick auf die Manipulationen und psychischen Zwänge des Täters. Einiges hätte für meinen Geschmack auch ruhig noch stärker herausgearbeitet werden können, aber vielleicht wäre das dann auch zu sehr in Richtung Psychothriller abgedriftet, und es war trotz allem durchaus eine kompakte Story und ein komplexer Fall

Die Figuren sind interessant und vielschichtig angelegt, mit sehr eigenen Persönlichkeiten und mitunter auch ein bisschen mysteriös. Die Mitglieder aus Sheens Ermittlerteam scheinen alle ihr Päckchen zu tragen zu haben, ihr Privatleben bleibt aber (noch) vage, denn sie sind eher verschlossen. An Sheens kam ich nicht unmittelbar gleich heran, obwohl ich ihn faszinierend fand. Er ist ein erfahrener Polizist und sowohl mit hoher Intelligenz als auch Intuition gesegnet. Später wurde das aber sehr viel besser, und zwar in dem Maße, in dem intimere Einblicke in seine Gefühlswelt gewährt und seine Zweifel und sein Willen, den Fall endlich aufzuklären, offenkundig wurden. Am meisten fieberte ich aber mit der jungen Juliette Hanson mit, die zwischen Loyalität und dem Wunsch, die Wahrheit herauszufinden, zerrissen ist und auch starke persönliche Probleme wälzt. Über sie hätte ich gerne noch mehr erfahren, hoffe hier aber auf Folgebände!

Fazit: Eher ein Krimi der – vermeintlich – leisen Sorte und nichts für Fans des rasanten oder ausgefeilten (Psycho-)Thrillers mit vielen Wendungen. Ich fand ihn aber sehr spannend und war gefesselt von den Charakteren und deren Beziehung zueinander. Der Autorin ist ein starkes Debüt gelungen, das Lust auf weitere Fälle und auf ein Wiedersehen mit den bekannten Figuren macht!

Bewertung vom 12.08.2019
Der Kastanienmann (eBook, ePUB)
Sveistrup, Søren

Der Kastanienmann (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

SUPERMEGAGIGA-spannender Thriller, mehr geht nicht!! Dieses Buch hat alles und viel mehr, was ein herausragender Thriller braucht: eigenwillige Ermittler, einen spannenden Plot, düstere Atmosphäre, einen komplexen Fall mit vielen überraschenden Wendungen und einen faszinierenden Täter. Dazu allesamt vielschichtige Charaktere und einen immens packenden Schreibstil. Dem als Drehbuch-Autor bekannten Verfasser ist ein herausragendes Thriller-Debüt gelungen, das seinesgleichen sucht und sich in die Reihe der erfolgreichen Skandinavien-Thriller nicht nur einreiht, sondern sie in meinen Augen anführt. Über einen Zeitraum von einem Monat im Herbst – ohne den circa dreißig Jahre zuvor spielenden Prolog – hält ein Serienmörder die Kopenhagener Kriminalermittler in Atem, der ihnen immer einen Schritt voraus ist und sie nach Strich und Faden manipuliert. In sehr kleinen Schritten und häppchenweise sammeln Thulin und Hess Puzzleteile, die zunächst kein einheitliches Bild ergeben, und es dauert lange, bis sich der Schleier hebt und einige schreckliche Dinge ans Licht kommen, die in der Vergangenheit liegen und sich lange Zeit ihrer Aufdeckung verweigern.

Obwohl sich die Erzählperspektiven auf Thulin, Hess und auch auf Rosa Hartung konzentrieren, die den meisten Anteil haben, so gibt es doch sehr viele weitere Perspektivwechsel, die die Spannung ungemein erhöhen. Besonders die aus Opfersicht erzählten Passagen gehen unter die Haut, und der Autor spart auch nicht an blutigen Details, bleibt aber immer sachlich. Seine Sprache ist geradezu nüchtern und eher wenig detailverliebt, er lässt dadurch viel Raum für Fantasie und in keinem Moment Langweile aufkommen. Die Geschichte fesselt einfach von der ersten Zeile an und die Spannung steigert sich stetig. Sowohl Motiv als auch Täter bleiben lange Zeit im Dunkeln, und besonders bei letzterem kam für mich die Auflösung sehr überraschend. Der Täter selbst erhält keine Erzählplattform, er ist aber natürlich sehr präsent in seinem Wirken, und dadurch ist die Geschichte eher ein whodunnit-Thriller als ein Psychogramm. Sie lebt sowohl von der herausragenden Intelligenz des Täters als auch von der verbissenen und hartnäckigen Arbeit der beiden ungleichen Ermittler Thulin und Hess.

Thulin, der man in manchen Situationen fast schon autistische Züge bescheinigen könnte, hatte sofort meine Loyalität und Sympathie. Sie ist jung, ehrgeizig, eigenwillig, intelligent, unprätentiös, zurückhaltend. Als alleinerziehende Mutter versucht sie Job und Privatleben mehr schlecht als recht unter einen Hut zu bringen. Sie ist eine Vollblut-Ermittlerin, die die Aufklärung eines Falles über alles stellt. Ich fand sehr wohltuend, dass ihr Privatleben zwar Thema, aber nie überherrschend war. Deshalb kann sie mit Hess auch zunächst nichts anfangen, dieser sammelte durch seine Einstellung auch bei mir keine Sympathiepunkte. Man merkt ihm seine Unlust regelrecht an, er will an sich erst einmal nur seine Zeit absitzen, bis er wieder bei Interpol tätig werden darf. Auch das trägt natürlich zum Spannungsaufbau bei. Wie soll ein solches Ermittlerteam erfolgreich zusammenarbeiten? Nach und nach erweist sich Hess aber nicht nur als Mann mit vielen ungewöhnlichen Talenten und außergewöhnlichen Methoden, der hervorragend um die Ecke denken und sich in Menschen hineinversetzen kann, sondern auch als derjenige, der nicht aufgibt und weswegen auch Thulin letztlich am Ball bleibt.

Fazit: Für mich bis dato der beste Thriller des Jahres. Ein Buch, das einen noch beschäftigt, wenn man grade nicht drin liest, und zu dem man in dem Fall auch schnellstmöglich zurückkehren möchte. Authentische Atmosphäre und Charaktere, jede Figur vielschichtig und in seinem Aufbau und seiner Logik unglaublich durchdacht. Der Schluss setzt noch einen drauf und man fragt sich, ob wirklich alles vorbei ist. ich jedenfalls wünsche mir mehr davon!!!

Bewertung vom 30.07.2019
Opfer / Carl Edson Bd.1
Svernström, Bo

Opfer / Carl Edson Bd.1


ausgezeichnet

Schwedenthriller mit ungewöhnlicher Struktur - Gelungenes Debüt und Start einer neuen Reihe
Carl Edson, Ermittler bei der Stockholmer Mordkommission, wird zu einem besonders grausigen Tatort gerufen: Ein Mann wurde nackt an die Wand genagelt und brutal gefoltert. Mit Schrecken stellen die Kriminaltechniker und Ermittler fest, dass der Mann noch lebt, doch aussagen kann er nicht mehr, denn er erliegt kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen, und es dauert nicht lange, da werden noch mehr Opfer gefunden, die alle ähnliche grausame Folterspuren aufweisen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Opfern, bis auf die Tatsache, dass alle aus kriminellen Kreisen kommen. Carl Edson und sein Team stehen vor einem Rätsel und ermitteln auf Hochtouren, und auch Journalistin Alexandra Bengtsson berichtet beinahe in Echtzeit über die Todesfälle…

Brutal, überraschend, anders – tolles Thriller-Debüt des schwedischen Autors und erster Fall für Carl Edson. Ein echter Pageturner und eine neue Ermittler-Reihe, die sich gegenüber ihren großen Brüdern und Schwestern der skandinavischen Erfolgsthriller nicht verstecken muss und Lust auf mehr Fälle des eigenwilligen Ermittlers macht. Über einen Zeitraum von sechs Wochen erstreckt sich die Handlung des Buches, der Leser jedoch folgt atemlos den Ereignissen, und immer wenn man denkt, jetzt ist aber alles klar und logisch, kommt der Autor mit einer überraschenden Wendung um die Ecke. Nicht nur ist der Schreibstil einfach wahnsinnig flüssig und gut zu lesen, man ist sofort in der Geschichte drin und lebt – so ging es mir zumindest – auch gleich mit Carl Edson mit, sondern auch der Aufbau des Thrillers ist in meinen Augen untypisch und erhöht die Spannung ungemein. Teil eins beschreibt zunächst das Auffinden der Opfer und die Ermittlungsarbeit des Polizistenteams. Hierbei spart der Autor auch nicht an blutigen Details. So weit, so klar. Der Perspektivwechsel in Teil zwei ist dann aber insofern ungewöhnlich, als dass dieser Teil komplett aus der Sicht des Täters erzählt wird, hier spielt Carl eine Nebenrolle. Daran musste ich mich erst gewöhnen, denn ich hatte mich auf die Ermittlungsarbeit des Teams eingelesen und erwartete nun die Puzzleteile, die sich nach und nach zusammenfügen. Weit gefehlt, in diesem Teil wird die Identität des Täters und auch sein Motiv bekannt gegeben, aber dennoch ist die komplette Lösung noch in weiter Ferne. Im Nachhinein betrachtet erhöht dies die Spannung beträchtlich, zumal in Teil drei alle Fäden zusammenlaufen und wieder aus Sicht des allwissenden Erzählers berichtet wird. Man erfährt allerdings nicht viel darüber, wie die Ermittler zu ihren Erkenntnissen gelangen, und die Schlusslösung ist vielleicht nicht jedermanns Sache, doch ich fand sie überzeugend und sehr überraschend.

Carl Edson als Ermittler hat es mir besonders angetan. Er ist kein einfacher Charakter und schlägt sich beruflich wie privat mit vielen Zweifeln herum. Er ist überkorrekt, hadert mit Vorgesetzten und fühlt sich von seinem Chef und auch von seiner Familie missverstanden. Dennoch ist er ein vielschichtiger Charakter mit analytischem Verstand und viel Bauchgefühl und durchaus interessanten Methoden. Der Autor fokussiert sich nicht nur auf Carl als Ermittler, es wird deutlich, dass Carl auf die Arbeit seiner Kollegen dringend angewiesen ist. Auch sein Team, besonders Jodie und Simon, und die Mitarbeiter der Kriminaltechnik, der muffelige Chef Wallquist und die Rechtsmedizinerin Cecilia Abrahamsson, sind mehr als Nebenfiguren, sie sind starke Charaktere und haben einen hohen Wiedererkennungswert.

Fazit: Ungewöhnlicher Thriller, der aus der Masse heraussticht und nichts für schwache Nerven ist. Es ist kein klassischer Whodunnit-Krimi, also nichts für Leser, die gerne selbst ein bisschen mit ermitteln und einer stringenten Handlung folgen, sondern eher ein Psychogramm mit originellem Handlungsverlauf und überraschendem Ende. Wer sich darauf einlässt

Bewertung vom 22.07.2019
Die geheime Mission des Kardinals
Schami, Rafik

Die geheime Mission des Kardinals


ausgezeichnet

Schlichtweg großartig. Der Autor versteht es meisterhaft, mit seiner bildhaften, mal poetischen, mal locker-flapsigen Sprache, seinen Dialogen und seinen lebendigen Figuren zu fesseln. Er ist nicht nur ein Sprachkünstler, sondern entwirft zudem einen spannenden Krimiplot in einem für uns exotischen, faszinierenden, für die handelnden Protagonisten jedoch schwierigen Umfeld. Dabei geht dies alles in Hand in Hand, den Figuren werden Sätze in den Mund gelegt, von denen nicht wenige eingerahmt an die Wand gehängt gehören. Die Beschreibungen des Lebens in Syrien und besonders in Damaskus und der Ermittlungsarbeit sind ebenso spannend zu lesen wie der Fall selbst. Fast nebenbei lernt der Leser einiges über die Situation im Land, wie die Menschen trotz Diktatur leben und lieben, immer auf der Hut vor Spitzeln, und wie die verschiedenen religiösen Gruppierungen um die Macht kämpfen. Die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die oft verarmt und Analphabeten und voller Aberglauben sind, wird überdeutlich. Der Autor beleuchtet politische und religiöse Aspekte, indem er seine Protagonisten Diskurse führen lässt, außerdem wechselt er zwischen Erzählperspektiven. Auf der einen Seite der allwissende Erzähler, auf der anderen Barudis Tagebuch, in welchem Barudi über sein Leben reflektiert, seine Erfahrungen und Gefühle, aber auch seine geheimsten Gedanken zum Fall und zu politischen und religiösen Fragen preis gibt. An sich ein klassischer whodunnit-Krimi, aber auch wieder nicht, denn zwar gibt es auch hier überraschende Wendungen, doch eher auf die leise Art, und das Ende führte bei mir als Leser zu einem lachenden, aber auch zu einem großen weinenden Auge. Der Roman ist vielmehr ein Gesellschaftsportrait und eine Hymne auf den aufrechten, aufgeklärten und liberalen Syrer, eine Geschichte um Freundschaft, Loyalität und Liebe.
Das Hardcover kommt zunächst einmal sehr edel gebunden mit Lesezeichen und einem interessanten Schutzumschlag daher, der mich an die Ornamente einer Moschee erinnert. Unterteilt ist der Roman in 51 Kapitel mit treffenden Überschriften, einige zusätzlich mit dem Hinweis, dass es sich um Barudis Tagebuch handelt. Grundsätzlich verläuft die Handlung chronologisch, auch wenn mitunter bereits geschehene Dinge aus Barudis Perspektive kurz noch einmal erzählt werden, was aber keine Dopplung, sondern eine Ergänzung darstellt. Der Schreibstil ist sehr eingängig, ich als Leser war sofort in der Geschichte gefangen und lebte besonders mit Barudi stark mit. Barudi ist ein vielschichtiger Charakter, eine starke Persönlichkeit und ein vielseitiger Mensch mit vielen faszinierenden Eigenschaften. Er vereint großes Sach- und Fachwissen mit Menschenkenntnis und Intelligenz, ist loyal gegenüber seinen Mitarbeitern, durchaus analytisch, bedient sich aber oft einer orientalisch-blumigen Sprache und reflektiert ungeheuer viel über gesellschaftliche und politische Themen, über das Leben und die Liebe und über seine Mitmenschen. Die Dialoge im Roman sind spritzig und oft lang und behandeln häufig die Themen, die auch Barudi in seinem Tagebuch aufgreift. Manch einer könnte das langatmig finden, ich fand es aufgrund des für mich ungewöhnlichen Plots und des exotischen Umfelds, in dem Barudi ermittelt, faszinierend und spannend. Der Fall selbst gerät auch nie in den Hintergrund, er ist komplex und gestaltet sich schwierig, einfach weil Barudi und sein Kollege Mancini, der zu seinem Freund wird, bei verschiedenen religiösen Gemeinschaften und Gesellschaftsschichten ermitteln. Neben Barudi, der ganz klar die Hauptfigur ist, bei dem die Fäden zusammenlaufen, gab es aber auch bis in die Nebenfiguren hinein interessante Persönlichkeiten, denn keine ist blass oder einseitig gezeichnet, sondern teilweise so vielschichtig (für mich unter anderem Rebellenführer Scharif!), dass man gerne mehr über sie erfahren hätte. Besonders Mancini in Kombination mit Barudi, mit dem er ein erfolgreiches Team bildet, fand ich sehr gelungen.

Bewertung vom 04.06.2019
Die stille Tochter / Kommissar Tommy Bergmann Bd.4 (eBook, ePUB)
Sveen, Gard

Die stille Tochter / Kommissar Tommy Bergmann Bd.4 (eBook, ePUB)


gut

Im Juni 2016 wird Tommy Bergmann, eigenwilliger Ermittler der Osloer Kripo, zu einer Wasserleiche gerufen, deren Tod offensichtlich schon länger zurück liegt. Identität und Täter lassen sich zwar nicht eindeutig ermitteln, dennoch wird der Fall im Oktober, sehr zu Bergmanns Missfallen, eingestellt. Kurz darauf wird er durch seinen Chef Reuter zu einem mysteriösen Treffen mit dem Sicherheitschef der Polizei, Jan Amundsen, beordert. Dieser erzählt ihm von der verschwundenen deutschen Ex-Spionin Christel Heinze und vermutet sie in der unbekannten Toten vom Juni. Er beauftragt ihn, einen illegalen Einbruch bei einem ehemaligen Geliebten Heinzes zu begehen und dabei Spuren zu finden. Bergmann tut wie befohlen, beginnt aber Hintergründe zu hinterfragen. Er setzt sich auf die Spur Heinzes und verbeißt sich in einen Fall, der weit in die Vergangenheit zurück reicht…

Bereits der vierte Fall für Tommy Bergmann, der, obwohl selbst mehr als einmal tief gefallen, sich tief in seine Fälle hineingräbt und so lange hartnäckig am Ball bleibt, bis jede Unklarheit zufriedenstellend aufgelöst ist. Dafür scheut er keine Kosten und Mühen, handelt oftmals eigenmächtig und ohne Rückendeckung und nimmt von der Suspendierung bis zum Jobverlust alles in Kauf. Bergmann ist ein Zweifler und Haderer, der die Abgründe der menschlichen Seele genauestens kennt, und am besten seine eigenen. Auch dieser Fall führt ihn wieder in allerhöchste Kreise und geht weit über die eigentliche Polizei- und Ermittlungsarbeit hinaus. Bergmann muss sich über die geheime Tätigkeit von Spionen und Doppelagenten klar werden in einem Milieu, in welchem die Akteure immer mit einem Bein im Grab stehen und daher verschwiegen sind wie die Toten selbst. Dies führt ihn sogar bis nach Berlin, wo er der Geschichte schließlich nach und nach auf die Spur kommt.

Ich muss sagen, ich bin ein schwerer Fan von Tommy Bergmann, ich mag seinen eigenwilligen Charakter und seine unorthodoxe Arbeits- und Denkweise. Er ist hochintelligent, unangepasst, mit viel Gerechtigkeitssinn und er macht fortwährend von Buch zu Buch eine Entwicklung durch. Auch dieser Fall ist spannend – allerdings war es für mich zu sehr Spionagethriller als klassischer whodunnit-Krimi. Die anfangs sehr häufigen Zeit- und Perspektivwechsel verwirrten mich zunehmend, zumal ich mit Agenten, Doppel- und Doppeldoppelagenten mit mehreren Tarnnamen und dem ganzen Drumherum nur wenig anfangen kann. Die Geschichte springt zu Anfang schnell von Oktober 2016, sprich der Gegenwart, wo Bergmann seine erneuten Ermittlungen aufnimmt, zurück zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit, bis sie sich schließlich bei einem Wechsel zwischen Gegenwart und der Geschichte von Christel Heinze einpendelt. Letztere nimmt dann zeitweise einen größeren Raum ein als die eigentliche Ermittlertätigkeit Bergmanns und plätschert phasenweise etwas träge dahin, ohne dass es größere Handlungsfortschritte gibt. Dazu kam außerdem, dass ich mit der Person Christel Heinzes nicht viel anfangen konnte. Sie handelt in meinen Augen weitgehend emotional und irrational, ist wenig analytisch und daher leicht manipulierbar und sehr ferngesteuert. Ich fand sie inkonsequent und konnte die meisten ihrer Handlungen nicht nachvollziehen. Erst im zweiten Drittel nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf und dementsprechend steigt die Spannung. Die Frage nach dem eigentlichen Täter kam für mich nicht völlig überraschend, den Schluss selbst fand ich aber sehr abrupt und geradezu abgehackt. Dennoch sind die Hintergründe durchaus verzwickt und wie Bergmann auch diese verworrenen Fäden wieder aufdröselt, ist einfach genial.

Fazit: Schwankt irgendwie zwischen Spionagethriller und Krimi und weiß nicht richtig, was es sein will. Dennoch ein spannender Fall für Tommy Bergmann, der einmal mehr im Alleingang alles aufdeckt. Für alle Bergmann-Fans ein Muss, für Einsteiger in die Reihe nicht geeignet. Die beginnen besser mit seinem ersten

Bewertung vom 28.05.2019
Die Zarin und der Philosoph / Sankt-Petersburg-Roman Bd.2
Sahler, Martina

Die Zarin und der Philosoph / Sankt-Petersburg-Roman Bd.2


ausgezeichnet

Schlichtweg großartig! Ein toller Historienschmöker, der keine Wünsche offenlässt, nahe an den geschichtlichen Fakten und doch leidenschaftlich und packend. Die Autorin verfügt nicht nur über fundiertes Wissen, sie verpackt dieses in eine fesselnde, zu Herzen gehende Geschichte mit viel Herzblut und sehr authentischen Figuren. Ihr Schreibstil ist gehoben und dennoch sehr eingängig, ihre Sprache anschaulich ohne kitschig zu sein, sie lässt die Stadt vor unserem inneren Auge entstehen, lässt Menschen und ihre Geschichte lebendig werden. Der Leser taucht ein in ein farbenprächtiges Panorama und gewinnt außerdem tiefste Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten. Fast nebenher erlangt der Leser großes Wissen in Katharinas Politik, aber noch viel spannender sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, die unverhofften und oft überraschenden Freundschaften und Allianzen, die sich bilden. Die Autorin versteht es meisterhaft, die verschiedenen Perspektiven und Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen, so dass es nicht eine Sekunde langweilig wird. Der Leser erhält so tiefe Einblicke in alle gesellschaftlichen Schichten, vom Leibeigenen und Aufrührer bis zum Hofstaat, und erfährt, was die Menschen motiviert und umtreibt, von ihren Ängsten und Zweifeln, ihrem Mut und ihrer Opferbereitschaft.

Das Buch wimmelt von interessanten Charakteren, auch wenn natürlich einige Nebenfiguren bleiben und die Autorin, wie sie selbst sagt, aufgrund der Fülle an Informationen über Katharina und der Menge an Personen in ihrem Umfeld naturgemäß eine Auswahl treffen musste. Dafür sind diejenigen, die im Buch vorkommen, umso vielschichtiger angelegt, jeder ist besonders in seiner Persönlichkeit und viele machen im Laufe der rund dreizehn Jahre, in denen das Geschehen stattfindet, eine starke Entwicklung durch. Dass die Handlung in einem Zeitrahmen von dreizehn Jahren spielt, macht die Geschichte kompakt und übersichtlich und sie lässt sich leichter verfolgen, ein Pro- und ein Epilog geben ihr zudem einen Rahmen und umschließen sie gleichsam aufs Trefflichste. Formal ist das Geschehen in drei Bücher unterteilt mit fortlaufenden Kapiteln. Sehr hilfreich sind Zeittafel und Personenregister am Anfang des Buches.

Als herausragender Charakter sticht natürlich Katharina hervor. Sie ist eine extrem starke, aber auch zwiespältige Persönlichkeit. Man muss sie für vieles bewundern, aber auch für einiges kritisieren. Die Autorin zeigt den Menschen hinter der Monarchin, eine Frau, die sich durchzusetzen weiß, die um Anerkennung und Liebe ringt, die hochintelligent ist, aber dennoch oft ein anderes Selbstbild hat als ihre Umgebung und ihr Volk von ihr haben. Sie lässt einerseits die Kultur in ihrer Stadt erblühen, fördert Künstler, Literaten und Philosophen, errichtet Bildungsstätten, setzt Reformen durch, herrscht aber andererseits als Autokratin und Despotin und schlägt Rebellionen blutig nieder, umgibt sich mit Jasagern und Schmeichlern und macht die Leibeigenschaft im Land stärker denn je. Aufs tiefste gedemütigt durch den Verrat in ihrem engsten Umfeld, lässt sie trotz der großen menschlichen Enttäuschung am Ende doch Gnade walten, überwältigt von einem großen Liebesbeweis.

Die für mich faszinierendste Figur neben Katharina war übrigens nicht der titelgebende Philosoph Mervier – er beeindruckte mich erst am Schluss -, sondern Katharinas Ziehkind Sonja sowie Merviers Frau Johanna. Erstere ist eine originelle Person, deren Geschichte sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht und die eigentlich immer präsent ist. Über sie würde ich liebend gern mehr lesen. Letztere macht meines Erachtens den deutlichsten Wandel durch. Johanna entwickelt sich von einer schüchternen, von Selbstzweifeln geplagten und anfangs depressiven schwachen Person zu einer erfolgreichen Künstlerin, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, schließlich zu ihrer Liebe steht und ihren Weg geht.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.04.2019
Dschungel
Karig, Friedemann

Dschungel


weniger gut

Psychedelischer Dschungeltrip
Felix ist verschwunden, verschollen im kambodschanischen Dschungel. Er meldet sich bei keinem mehr, daher macht sich der Ich-Erzähler, auch im Auftrag von Felix‘ Mutter, auf, um seinen besten Freund zu finden. Auf seinem Weg trifft er Hippies, Kriminelle, Rucksacktouristen und Lebenskünstler und lernt Land und Leute mehr kennen als ihm lieb ist. Am Ende hat er durchaus etwas gefunden, doch auch sehr viel verloren.
Ein Roadtrip der besonderen Art, der mich als Leser etwas irritiert zurückließ. Zunächst einmal kam ich leider in die Geschichte nicht recht hinein, was auch an dem für mich holprigen, teilweise abgehackten und mir zu flapsigen Schreibstil lag. Es las sich einfach nicht flüssig. Zum anderen brachte es mir auch nicht Land, Leute und Kultur nahe. Keine Rede davon, dass meine Lust auf mehr Kambodscha oder Dschungel gestiegen wäre. Zum Dritten hatten die Figuren keine Substanz, ich kam nicht an sie heran.
Felix ging mir nach kürzester Zeit auf den Wecker und der Ich-Erzähler bleibt genauso farblos wie anonym. Auch die anderen Figuren, die er im Laufe seiner Reise trifft, sind weder skurril noch liebenswert noch sonst etwas, sie hallen einfach nicht nach. In den Kapiteln wechseln sich Rückblicke auf die Erlebnisse mit Felix und die Erlebnisse der Suche nach ihm ab, und mehr und mehr wird deutlich, wie manipulativ und selbstzerstörerisch der angeblich beste Freund ist. Wenn es drauf ankommt, lässt Felix ihn fallen, und vermeintlich Gutes entpuppt sich lediglich als alberne Mutprobe und Ausloten der Grenze, wie weit sein Freund für ihn, Felix, gehen würde. Beide teilen ein schreckliches Geheimnis, was sicherlich den psychischen Knacks erklärt, den beide in ihrer Kindheit erleiden. Der Ich-Erzähler selbst jedoch, so scheint es, hat ein stabiles Elternhaus und führt als Erwachsener ein halbwegs normales Leben mit Job und Freundin, die ihn liebt, doch er setzt alles aufs Spiel. Wofür? Im Laufe der Geschichte war mir so, als hätte er gar nichts verarbeitet, nichts begriffen und sich auch in keinster Weise weiterentwickelt. Der Trip durch den Dschungel ist haarsträubend, einige Szenen sind zwar durchaus spannend und entbehren auch nicht einer guten Brise Situationskomik, doch alles in allem erschien mir alles zu weit hergeholt und unglaubwürdig. Am Ende fragte ich mich, was eigentlich wirklich passiert oder nur in der Vorstellung des Ich-Erzählers (er fragt sich das übrigens auch selbst) stattfindet. Und so ist es für mich kein Selbstfindungstrip, sondern der Versuch, durch Vergessen und Verdrängung ein Trauma zu verarbeiten, was zum Scheitern verurteilt ist.
Fazit: Leider nicht meins. Für Leute, die psychedelische Trips jenseits der Bewusstseinsebene mögen und sich gut in den gewöhnungsbedürftigen Stil hineinlesen, wahrscheinlich das Richtige. Ich habe es nicht verstanden.