Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Diamondgirl
Wohnort: 
Stolberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 120 Bewertungen
Bewertung vom 08.10.2018
Der Horror der frühen Medizin
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Medizin


ausgezeichnet

Lehrreich, gruselig und dennoch unterhaltsam

Mitte des 19. Jahrhunderts war alleine die Durchführung von Operationen ohne jegliche Betäubung aus heutiger Sicht haarsträubend. Wen wundert es da, dass ein guter Chirurg hauptsächlich daran gemessen wurde, wie schnell er eine OP durchführen konnte. Damalige Chirurgen konnte man guten Gewissens als Knochenklempner bezeichnen. Eine Amputation unter einer Minute war erstrebenswert in Anbetracht der fürchterlichen Qualen, die die Patienten dabei erleiden mussten. Mit der Entdeckung des Chloroforms hatten diese Zustände zum Glück ein Ende.
Allerdings brachte dies den Nachteil, dass nun umso häufiger zu Messer und Säge gegriffen wurde, da die Eingriffe selbst nicht mehr so furchterregend waren. Meist jedoch kam es einem Todesurteil gleich, wenn man in ein Krankenhaus musste, um sich einer Operation zu unterziehen. Die Kranken lagen eng gedrängt in total überfüllten Sälen, wo sich Keime problemlos und blitzschnell verbreiten konnten. Aus diesem Grund bezeichnete man Krankenhäuser umgangssprachlich auch als Todeshäuser. Wer es sich leisten konnte, bestellte den Operateur nachhause und hatte deutlich bessere Überlebenschancen.
Sind heutzutage die multiresistenten Erreger als sog. Krankenhauskeime überall im Gespräch, so sind sie wirklich ein Klacks im Vergleich zur damaligen Zeit, wo noch nicht einmal bekannt war, was die fürchterlichen Entzündungen nach Gewebeverletzungen auslöste. Nicht selten starb sogar der Operateur nach dem OP, weil er sich dabei eine kleine Verletzung zuzog. Es gab praktisch keinerlei Hygiene - weder im OP noch im Krankenhaus allgemein. Mehrere OPs nacheinander wurden mit dem gleichen Besteck durchgeführt, ohne es auch nur abzuspülen zwischen den Eingriffen. Auch die Reinigung der Hände vor dem OP war nicht gebräuchlich. Als unvermeidbare Nebenerscheinung wurden die zahlreichen Todesfälle von allen Beteiligten hingenommen.
Der junge englische Chirurg Joseph Lister jedoch gibt sich nicht damit zufrieden. Er ist bekennender Anhänger der Mikroskopie und macht sich beständig und hartnäckig auf die Suche nach den Auslösern der unseligen Entzündungen und Blutvergiftungen, die meist zum Tode führten. Er leidet sehr darunter, dass er seine Patienten nicht retten kann, obwohl der OP an sich sehr gut verlaufen ist und große Hoffnungen machte.

Lindsey Fitzharris präsentiert in ihrem Buch nicht nur einen ausgesprochen interessanten und informativen Blick auf die medizinischen Verhältnisse jener zum Glück vergangenen Epoche. Es ist vielmehr eine Biografie des Chirurgen Joseph Lister, den der Leser auf den zahlreichen Wegen seiner beruflichen Laufbahn und der Suche nach den Krankenhauserregern begleiten kann, dem immer klarer wird, dass die hygienischen Verhältnisse Schuld tragen an den hohen Opferzahlen. Während seiner verschiedenen Anstellungen werden ihm auch oft genug Steine in den Weg gelegt, die er jedoch hartnäckig umgeht.
Trotz dieses eigentlich trockenen Stoffes liest sich dieses Buch wie ein spannender Roman. Der Schreibstil ist angenehm locker und auch nicht voyeuristisch, sondern ausgesprochen sachlich. Eine ausgesprochen angenehme Art, sich auch einmal mit etwas Lehrreichem zu unterhalten.

Fazit: Schön, dass die gute alte Zeit längst vorbei ist!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2018
Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste
Schwenke, Philipp

Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste


ausgezeichnet

Wahrheit wird manchmal überbewertet
Jedenfalls könnte man zu diesem Schluss kommen, wenn man es mit der Wahrheit hält wie Karl May, der wohl immer noch meistgelesene und in die meisten Sprachen übersetzte deutsche Autor. Jeder kennt seine berühmten Protagonisten Winnetou, Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, um die die meisten seiner an die 90 Geschichten gestrickt wurden. Und eifrige Leser seiner Bücher hängen natürlich mit ihren Herzen ebenso an den zahlreichen, teils wunderbaren Nebencharakteren seiner spannenden Romane. Leider waren diese Romane jedoch nicht als solche gekennzeichnet, sondern erschienen als Reise-Erzählungen eines Ich-Erzählers und irgendwie verpasste Karl die Gelegenheit, dies richtig zu stellen.
Also baute er um sich herum die Legende des weit gereisten Abenteurers auf, der sämtliche Kontinente bereiste und alle Sprachen dieser Erde beherrschte. Im wilden Westen überall bekannt als Old Shatterhand, im nahen Osten hingegen als Kara Ben Nemsi. Und wer seine Bücher kennt der weiß, dass er kurz vor perfekt - ach was sag ich... der perfekteste aller Perfekten war: Der beste Kämpfer, Schütze, Fährtenleser, Reiter, Anpirscher, Jäger und was man sich sonst noch so vorstellen kann - von seinen sprachlichen Kenntnissen ganz zu schweigen.
Leider kam der 1842 geborene May bis zu seinem 57. Lebensjahr jedoch nie über die Grenzen Sachsens hinaus und nicht einmal der englischen Sprache war er ordentlich mächtig. Was seinen Büchern ja keinen Abbruch tat, seiner Glaubwürdigkeit jedoch sehr wohl. Als die ersten Journalisten davon Wind bekommen folgen unschöne Zeitungsberichte, in denen seine Reisen ziemlich direkt angezweifelt werden. Unter anderem um diesen Gerüchten ein Ende zu setzen, begibt Karl sich auf eine Orientreise, um von dort aus den unterschiedlichen Blättern Ansichtskarten zu senden - quasi als Beweis seiner Reiselust.

Philipp Schwenke lässt uns Karl auf dieser gut 15monatigen Reise begleiten, und das auf ausgesprochen gelungene und launige Art und Weise. Leider ist unser Pseudo-Held längst selbst nicht mehr recht imstande, Wirklichkeit und Realität zuverlässig zu trennen und sieht sich selbst als Opfer einer Kampagne missgünstiger Neider. Immer wieder redet er sich selbst ein, dass er dies oder jenes doch schon hunderte Male im Westen oder als Kara Ben Nemsi gemacht hat und er das schon schaffen wird. Die Realität sieht deutlich anders aus und das beginnt er immer mehr zu begreifen. Sein größter Gegner ist er leider selbst und er hat einen harten, steinigen Weg vor sich.
Die Reiseschilderungen werden jeweils mit einem Palmenblatt nebst aktuellem Datum begonnen. Unterbrochen werden sie von Erzählungen unter einem Eichenblatt, da sie zuhause in Deutschland, meist in Sachsen handeln. Sie betreffen den Zeitraum kurz nach Rückkehr von der Reise bis in die Weihnachtszeit 1902. Insgesamt eine sehr aufreibende, kräftezehrende Zeit im Leben des Karl May. Betreffen die Reisekapitel eher den inneren Zustand Karls, so geht es bei den Heimatkapiteln verstärkt um seine privaten Probleme mit Gattin Emma.
Es ist lange her, dass ich ein Buch so genossen habe und es hat mich keine Sekunde gelangweilt. Aber ich muss auch gestehen, dass ich in meiner Jugend Karl Mays Bücher verschlungen habe - mehrfach - alle, die ich bekommen konnte. Und Philipp Schwenke schafft es, dessen Schreibweise wieder auferstehen zu lassen.
Dabei lässt er es nie an einer guten Portion Humor mangeln. Er seziert selbst die Marotten und Schwächen Karls so amüsant und dennoch nie böse sondern warmherzig, dass sogar das ein Vergnügen war zu lesen.
Dazu scheint er mit farbenprächtiger Phantasie gesegnet zu sein, der er hemmungslos Raum lässt, vor allem was den Reiseteil anbetrifft.
Man sollte keinesfalls eine Biografie erwarten, sondern das, was drauf steht: einen Roman!

Fazit: Wer die Bücher Karl Mays liebt, wird auch dieses Buch mögen.

...und wenn es nicht um ihn ginge, würde er es sicher auch mögen.

Bewertung vom 22.09.2018
Neujahr
Zeh, Juli

Neujahr


ausgezeichnet

Henning könnte es eigentlich gut gehen. Er hat eine Frau, die er sehr liebt, zwei gesunde Kinder und einen guten Job. Trotzdem wird er immer öfter von Panikattacken heimgesucht, die ihm regelrecht den Atem rauben und an den Rand der Verzweiflung treiben. Und das Schlimmste von allem: Er kann sie sich nicht erklären. Er hat keine Idee, wieso sein Leben ihm innerlich so entgleitet.
Er bucht einen Urlaub auf Lanzarote für die Weihnachtsferien und dieser verläuft alles andere als in friedlicher Eintracht. Am Neujahrsmorgen entschließt er sich spontan, mit dem Leihrad zum Pass von Fermés aufzubrechen. Eine Strecke, die für einen ungeübten Radfahrer eine wirkliche Herausforderung darstellt. Mit dieser Fahrt beginnt das Buch "Neujahr". In verschiedenen Rückblicken erfährt der Leser, wie Hennings und Theresas Leben aussieht, wie seine Angstzustände ihre Beziehung immer mehr belastet.
Am Ende seiner Kräfte erreicht er am Pass einen kleinen Ort und stellt fest, dass ihm alles vertraut erscheint. Erstaunt erkennt er, dass er bereits früher an diesem Ort gewesen sein muss. In Bruchstücken kommt die Erinnerung zurück und gemeinsam mit Henning gleitet der Leser Stück für Stück in dessen frühe Kindheit zurück, um die schrecklichen Stunden mitzuerleben, die zwei kleine Kinder durchleben mussten und endlich den Auslöser seiner immer wieder aufkeimenden Panik zu erfahren.

Es war mein erstes Juli Zeh Buch, aber es wird ganz sicher nicht mein letztes bleiben. Sie versteht es wirklich, den Leser zu fesseln und mitzunehmen. Das Ende war vielleicht etwas zu abrupt, aber insgesamt passt auch dieses.
Ihr Schreibstil ist wirklich beeindruckend. Sie schreibt einen klaren, prägnanten Stil und schafft es, dem Leser sowohl die Örtlichkeiten als auch die Charaktere sehr deutlich zu entwickeln. Der Rückblick ins Kindesalter war teils für mich schwer zu ertragen, denn wenn man selbst Kinder hat, kann man fast körperlich die Angst und Verzweiflung fühlen, die sie ergriffen haben muss. Obwohl Zeh nie ins voyeuristische abgleitet, sondern immer eine nüchterne Sachlichkeit bewahrt.
Fazit: Absolute Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2018
Der Blumensammler
Whitehouse, David

Der Blumensammler


sehr gut

Blumige Erinnerungen

Der Roman ist auf drei Strängen aufgebaut: Professor Cole, der bei einer Meeresuntersuchung per UBoot auf Umwegen einen Flugdatenschreiber findet zu einem Flugzeugabsturz, der seit über 30 Jahren ungeklärt ist - Dove, der als Telefonist im Notdienst arbeitet und immer wieder Erinnerungsfetzen eines anderen sieht, nämlich die von Peter Manyweathers, der 30 Jahre zuvor einen alten Liebesbrief in einem Buch fand, in dem die 6 seltensten Blumen der Welt erwähnt stehen und der sich auf den Weg zu eben jenen Blumen machte, um sie in ihrem natürlichen Umfeld zu erleben. Er bildet den dritten Erzählstrang.

Ich habe eine Schwäche für Bücher, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. Ich liebe es, wenn das verschwommene Bild durch stetigen Perspektivwechsel immer mehr aufklart und mir als Leser mehr als eine Sichtweise geboten wird.
Und im Gegensatz zu bisher gelesenen Büchern dieser Art habe ich dieses Mal keinen Erzählstrang von dem ich sagen müsste, dass ich ihn nicht mag. Am spannendsten ist zweifellos Peters Strang, am unterhaltsamsten war für mich der von Professor Cole, weil dieser Protagonist schon eine sehr spezielle und direkte Art hat. Leider ist sein Part nur recht klein innerhalb der Geschichte.
Mit und mit entwickelt sich die durchaus spannende Geschichte des Peter Manyweathers und erst recht spät bekommt man eine Ahnung, wie die einzelnen Stränge ein in sich geschlossenes Ganzes bilden. Dabei sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass längst nicht alles in dieser Story tieferer Recherche standhält. Allerdings entschuldigt eine gute Geschichte m. E. so manches. Definitiv kann man dem Autor eine gute Portion Phantasie sowie Fabulierkunst nicht absprechen.
Der Schreibstil ist angenehm flüssig zu lesen und hielt beständig meine Neugier aufrecht, wie sich letztlich alles zusammenfügen mag. Mich hat es über die komplette Lesezeit ausnehmend gut unterhalten und ich habe mich immer gefreut, wenn ich es wieder zur Hand nehmen konnte. Da kann man über die ein oder andere sachliche Schwäche durchaus hinwegsehen.

Fazit: Ein Buch, das ich wirklich empfehlen kann, wenn man auch mal Fünfe gerade sein lassen und sich einer Geschichte hingeben kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2018
Vox
Dalcher, Christina

Vox


ausgezeichnet

Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der eine große Gruppe nichts mehr sagen darf? Wie fühlt ein Mensch sich, der seine Stimme nur für 100 Wörter am Tag klingen lassen darf?
Christina Dalcher gelingt es in ihrem utopischen Roman ganz hervorragend, dieses erschreckende Szenario darzustellen. Ganz eindeutig ein dystopischer Roman, zumindest aus Frauensicht, denn um die Unterdrückung aller Frauen in Amerika geht es in diesem Buch, das allenfalls wenige Jahre in der Zukunft spielt, wenn überhaupt.

Die neue amerikanische Regierung beschließt, dass Frauen wieder die Rolle einzunehmen haben, die ihnen von Natur aus - und erst recht aus Sicht religiöser Fanatiker die in der Regierung vornehmlich vertreten sind - zusteht: Den Mann als Herrn betrachten und sich ausschließlich um Familie und Heim kümmern. Keine darf mehr berufstätig sein und sämtliche akademischen Titel werden ihnen aberkannt. Der grausamste Schritt ist jedoch die Limitierung ihrer Sprache, denn sie dürfen lediglich 100 Wörter am Tag sprechen. Um das zu kontrollieren trägt jedes weibliche Wesen einen Wortzähler am Handgelenk (nein... ich werde sie nicht Armband nennen), der ihnen notfalls schmerzhaft zu verstehen gibt, wenn sie über diese Erlaubnis hinaus gesprochen haben. Jean ist 4fache Mutter und war Wissenschaftlerin. Sie leidet stark unter dieser Entrechtung, zumal sie u. a. eine kleine Tochter hat.

Schnell entwickelt sich ein sehr bedrückendes Klima in dieser Geschichte. Es packt einen das Grauen und zugleich auch Unverständnis, dass der männliche Teil der Bevölkerung so still bleibt und dies alles geschehen lässt, bis es zu spät ist, einfach die Uhr zurück zu drehen. Schließlich ist ein großer Teil der Männer verheiratet, hat Töchter und jeder hat eine Mutter.
Alles erinnert mich unweigerlich an die Machtübernahme der Nazis in den 30er Jahren. Auch da begann alles langsam und allmählich und als das Feindbild erkannt und die Hemmungen erst einmal gefallen waren, empfand der größte Teil der Bevölkerung sämtliche rassistischen Übergriffe und Einschränkungen nahezu als normal oder sogar begründet.
Der Roman entwickelt sich immer mehr zu einem packenden Gesellschafts-Thriller, der langsam aber stetig Fahrt aufnimmt. Mich hat er von der ersten Seite an mitgenommen und mitgerissen. Der Schreibstil ist hervorragend zu lesen und ich hoffe, dass von dieser Autorin noch viele Romane erscheinen werden. Ich bin überhaupt keine SiFi-Leserin und erst recht keine von Dystopien - dieses Buch jedoch hat mich absolut überzeugt!

Bewertung vom 30.07.2018
Gork der Schreckliche
Hudson, Gabe

Gork der Schreckliche


sehr gut

Gork der Schreckliche, ein grünhäutiger Drache, erzählt uns aus seinem Leben...
Geschlüpft ist er auf der Erde als Waisendrache und wurde im zarten Alter von 3 Jahren von seinem Großvater Dr. Schrecklich zurück auf seinen Heimatplaneten Blegwesia geholt, wo er die WarWings-Militärakademie besucht. Zur Abschlussfeier plant er die Vermählung mit einer angebeteten Drakonette zur Feier der EierLege, um mit seiner Queen einen fremden Planeten zu erobern. Schafft er es nicht, sie zur Queen zu gewinnen, wird er als Sklave auf einem bereits eroberten Planeten eines anderen Paares sein Leben fristen.
So weit so gut - gäbe es da nicht ein klitzekleines Problem. Denn Gork ist nicht wie die anderen Drachen. Sein Spitzname lautet Weichei und sein Wille-zur-Macht-Status liegt bei Kuschelbär. Er hat ein für Drachenverhältnisse schon unanständig großes Herz mit einer gehörigen Portion Empathie für andere Wesen und zu allem Überfluss fällt er auch noch regelmäßig in Ohnmacht, wenn es zu aufregend für ihn wird. Denkbar schlecht mental ausgerüstet startet er also die wichtigste Mission seines Lebens.

Eines sei vorweg gesagt: Wer hier einen gediegenen Fantasyroman erwartet, der hat das falsche Buch erwischt. Zwar sprudelt es nur so vor lauter verrückten Einfällen, aber irgendwie erinnert mich das alles eher an ein Jugendbuch als an Pratchett oder Tad Williams.
Der Schreibstil ist rotzfrech - es wird geflucht und gepöbelt, dass es einem manchmal wirklich zu viel ist. Etwas weniger wäre da vielleicht mehr gewesen. Aber ich konnte insgesamt gut drüber weg lesen, denn es ist tatsächlich sehr flott zu lesen. Man muss sich darauf einlassen, dass dieses Buch von einem pubertierenden Drachen geschrieben wurde und warum sollte er sich gewählter ausdrücken als viele Menschen gleichen Alters?
Die häufigen Wiederholungen hingegen störten mich schon deutlich, vor allem zu Anfang des Buches. Irgendwann habe ich sie überlesen. Mir ist nicht klar, was der Autor mit seinen ständig wiederholten Begriffen (schuppiger grüner Ar..., schwimmhäutige Füße etc.) erreichen wollte. Jedenfalls würde niemand so sprechen - nicht mal ein Pubertier.

Ungewöhnlich die Idee, dass Blegwesia quasi wie ein SiFi-Planet dargestellt wird. Reichlich Raumschiffe, Transmitter, Roboterdrachen und sonstiger technischer Firlefanz wie den Powerstab, den jeder Drache bei sich zu tragen scheint und der ganz offenbar zu jedem Gesicht die passenden Daten nebst Bioranking anzeigt. Es erinnert einen fast an gewisse SocialMedia-Seiten.

Überhaupt finden sich etliche Parallelen zum realen Leben, nur alles stark überzogen. Um Erfolg zu haben braucht man: Stärke, große Hörner, WilleZurMacht, Mut und vor allem ein kleines Herz, um keinerlei Mitleid oder Schwäche zu fühlen. Das kommt einem doch alles ganz vertraut vor, wenn man sich die Machthaber in Politik und Wirtschaft so anschaut.

Alles zusammen genommen hat mich das Buch wirklich gut unterhalten. Leider schaffte es der Autor nicht, Bilder vor meinem geistigen Auge zu erschaffen. Alles blieb ein wenig konturlos und auch die Charaktere blieben leider leer.
Fazit: Ein netter Spaß für zwischendurch ohne besonderen Tiefgang.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.07.2018
Spur der Schatten / Leander Lost Bd.2
Ribeiro, Gil

Spur der Schatten / Leander Lost Bd.2


ausgezeichnet

Und weiter geht es in Fuseta

Leander Lost ist inzwischen gut in seinem Leben in Fuseta angekommen. Er wird respektiert von seinen Kollegen und deren Familie und er gibt sich auch die größte Mühe, sich "normalen" Menschen anzupassen, damit er kein Außenseiter bleibt - was gar nicht so einfach ist, da er Asperger Autist und Eidetiker ist. Wie er das anstellt, will ich hier jedoch nicht verraten, denn das Buch bringt so viele gute Einfälle, dass es schade wäre, sie in einer Rezension vorweg zu nehmen.
Zum Kriminalfall: Eine beliebte und erfahrene Polizistin verschwindet - sie erscheint einfach nicht zum Dienst und ist vor allem ohne ihr heißgeliebtes Handy aufgebrochen. Graciana ahnt, dass dies kein gutes Zeichen ist. Kurz darauf wird sie ermordet aufgefunden und erst einmal stehen die Ermittler Graciana, Carlos und Leander recht ratlos da.

Diesen Kriminalfall fand ich deutlich spannender und mitreißender als den ersten Lost-Krimi. Da mich jedoch auch der erste Band schon begeisterte ist keine Frage, dass mich der zweite noch mehr für sich einnimmt.
Er war für mich ein echter Pageturner und ich musste sehr oft schmunzeln und das ein oder andere Mal auch herzhaft lachen, denn die Situationen, die sich durch Losts besondere Begabung ergaben, waren wirklich z. T. sehr amüsant.
Begeistert hat mich, wie Ribeiro es schafft, immer neue Facetten in den Personen (vor allem natürlich die von Lost) anzulegen. Vor allem die Entwicklung, die auch seine Kollegen (allen voran Carlos) durch ihn und mit ihm machen, sind einfach toll zu lesen.
Dieser Roman hat alles, was ein guter Roman für mich haben muss: Spannung, phantastische Charaktere, eine gute Portion Humor und dazu noch recht viel Hintergrundinformationen - sei es zu landestypischen Gerichten und Landschaft oder auch zur historischen Rolle Portugals während und nach der Kolonialzeit. Eine ganze Weile tappt man völlig im Dunkeln und fragt sich genau wie die Kommissare, was wohl alles dahinter stecken mag und erst während der Roman sich entwickelt bekommt man eine Ahnung, wie alles miteinander verquickt sein könnte.
Hoffentlich bleibt uns Lost noch lange erhalten! Wenn das keine TV-Serie wird, dann weiß ich es auch nicht. Als typischen Regionalkrimi würde ich ihn übrigens nicht bezeichnen. Er könnte überall woanders spielen, solange die Protagonisten mitziehen.

Fazit: Lohnt sich auf jeden Fall, wenn man nicht unbedingt bluttriefende Thriller lesen möchte. Hervorragender, kurzweiliger Schreibstil!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.06.2018
Das Eis
Paull, Laline

Das Eis


gut

Zu viel des Guten

Ausgangspunkt der Geschichte ist das Auftauchen eines schon länger vermissten Mannes, dessen Leiche das wohl nicht mehr so ewige Eis beim Kalben eines Gletschers freigibt. Bei dem Toten handelt es sich um Thomas Harding, einen recht charismatischen Umweltschützer, der seit einer Exkursion in eine Höhle unter dem Eis vermisst wird. Es gibt eine gerichtliche Untersuchung über diesen Vorfall, den sein bester Freund Sean Cawson mit viel Glück überlebt hat. Dies bildet den Rahmen für das Buch.

Eingeleitet wird jedes Kapitel von kurzen Geschichten aus der Zeit der ersten Expeditionen in die Arktis, die die zum Teil sehr extremen Situationen beschreiben. Dieser Part gefiel mir recht gut, weil er insgesamt zur Auflockerung beitrug.

Im Rahmen der o g. gerichtlichen Untersuchung erfährt man, wie es zu dem Unglück kam, welche wirtschaftlichen Interessen sich hinter der Erschließung der Arktis verbergen - egal ob als Rohstoffquelle oder als neuer deutlich kürzerer und politisch sicherer Transportweg bis hin zu illegalem Waffenhandel ist alles dabei. Auch der Wandel der Freundschaft (hört bei Geld ja oft auf) und der Klimawandel wird hier angerissen. Letzterer bei der Untersuchung durch den Auftritt eines Gutachters, der leider fast schon als Karikatur rüberkommt. Gewürzt mit ein bisschen Mystik dann und wann und mit einem bekehrten Helden am Schluss lässt mich das Buch etwas ratlos zurück.

Es packt viele unterschiedliche Themen an, will meiner Meinung nach aber zu viel. Man kann einiges über die Arktis lernen und vermeintliche Menschenkenntnis erweist sich im Laufe der Handlung oft als verhängnisvoller Irrtum.
Geschrieben ist es sehr ansprechend und es ist wirklich gut zu lesen, aber ich finde die Verquickung der verschiedenen Bereiche nicht wirklich geglückt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.05.2018
Die letzte Stunde / Pest-Saga Bd.1
Walters, Minette

Die letzte Stunde / Pest-Saga Bd.1


gut

Zum Inhalt:
Im Jahre 1348 bricht in Südengland die Pest aus. Innerhalb kürzester Zeit sterben in manchen Landstrichen alle Menschen. Lady Anne, die Herrin von Develish erkennt die Situation richtig und schottet ihr Dorf hermetisch von der Außenwelt ab. Sogar ihrem Mann verweigert sie nach einer Reise den Zutritt. In der Abgeschlossenheit treten Konflikte auf und eines Tages geschieht sogar ein Mord. Thaddeus, der nach dem Tod des Gutsherren von Lady Anne zum Verwalter ernannt wurde macht sich mit fünf Jugendlichen auf die Suche nach Vorräten. Die weitere Handlung beschäftigt sich mit den Erlebnissen der Gruppe und dem Überlebenkampf der Zurückgeblieben gegen Räuber und den internen Intrigen. Der Mord wird auf den letzten zwei Seiten so nebenbei aufgeklärt.
Stilistisch ist das Ganz recht gut geschrieben. Es liest sich recht flüssig, obwohl bei den Charakteren an manchen Stellen noch etwas mehr Tiefe und Feinschliff zu wünschen wäre.
Genre?
Die Buchbeschreibung auf dem Schutzumschlag erweckt - m. E. durchaus beabsichtigt - den Eindruck, als würde es sich um einen historischen Krimi handeln. Das basiert wahrscheinlich auf der Vermutung, dass es sich besser vermarkten lässt, weil Minette Walters üblicherweise Krimis schreibt. Obwohl ein Mord passiert ist dieser und auch dessen Aufklärung dennoch reine Nebensache.
Ob es ein historischer Roman ist, ist etwas schwieriger zu beantworten. Sicherlich ist er um 1350 angesiedelt und manche Sitten und Gebräuche werden auch so beschrieben wie es wahrscheinlich damals zuging, aber Lady Anne kommt mit für damalige Verhältnisse revolutionären Ideen um die Ecke. Sie bringt den Leibeigenen lesen und schreiben bei, kümmert sich um Kranke und hat für damalige Verhältnisse sehr innovative Ideen zum Thema Hygiene. Sogar einen Leibeigenen, Thaddeus, macht sie nach dem Tod ihres Gatten zum Verwalter. Ob das im Jahre 1348 tatsächlich funktioniert hätte, sei mal dahingestellt. Für mich ist es rundweg unglaubwürdig und genau da liegt für mich das Problem bei der Bezeichnung historischer Roman. Natürlich hat ein Roman fiktive Handlung, aber ich erwarte dennoch einen größtenteils realistischen Rahmen, was mir bei diesem Buch leider fehlt.
Zum Ende noch eine Bemerkung:
Auf der letzten Seite erfährt der geneigte und danach womöglich verärgerte Leser, dass der Roman als Fortsetzungsgeschichte konzipiert ist. Dies war vorher definitiv nicht zu vermuten und erschließt sich auch nicht aus dem Klappentext. So wird man nach 650 Seiten ziemlich allein gelassen auf weiter Flur und kann sich dann überlegen ob tatsächlich Interesse an der Weiterentwicklung dieses phantasiereichen sozialen Experiments besteht oder nicht. Auf mich trifft Letzteres zu.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.04.2018
Strafe
Schirach, Ferdinand von

Strafe


ausgezeichnet

Mehr als schwarz und weiß

Auf gewohnt sachlich distanzierte Weise präsentiert Ferdinand von Schirach uns mit seinem neuen Buch 12 neue Erzählungen aus dem Bereich der deutschen Rechtsprechung. Sehr gut gewählt ist wieder der Titel des Buches, denn dieses Mal geht es um nicht erteilte Strafe, die eigentlich auf ein Verbrechen folgen sollte. Jedenfalls, wenn es gerecht zuginge vor den Gerichten - der allgemeinen Einschätzung nach zumindest.
Doch was passiert, wenn man diese Erzählungen liest? Man ertappt sich bei der ein oder anderen Story, dass man aufatmet, weil die Tat nicht gesühnt wurde. Wie kann das angehen, wenn man selbst doch durchaus ein meistenteils gesetzestreues Mitglied unserer Gemeinschaft ist? Das wird wohl das Geheimnis des Ferdinand von Schirach bleiben, wie er solche Misstöne in das gesunde Gerechtigkeitsgefühl des Lesers zu setzen vermag.
Wie immer geht er ganz leise ans Werk, schleicht sich mit der durchaus detaillierten jedoch nie überladenen Schilderung der Lebensumstände von Opfer und Täter an und dann schlägt er zu. Manches Mal hält man die Luft an, wenn das Ende einer Story naht. Ein anderes Mal muss man wirklich schmunzeln, wie beim kleinen Mann. Am meisten beeindruckt und mitgenommen hat mich gleich die erste Geschichte Die Schöffin und auch Subotnik. Wie unsagbar bürokratisch kann unser Rechtssystem sein, dass sowohl die Gerechtigkeit als auch die Leben der am Prozess beteiligten Personen dem untergeordnet werden. Man kann es kaum nachvollziehen.

Bei jedem seiner Bücher erstaunt mich immer wieder, wie von Schirach es fertig bringt, den Leser trotz seiner knappen distanzierten und tatsächlich nahezu emotionslosen Schilderung so einzunehmen. Ich gestehe, dass es nur wenig Bücher gibt, die mich so ergreifen wie seine. Vielleicht weil er wirklich alles schreibt und nichts umschreibt. Weil man solch umfassende Geschichten in kurzen, prägnanten Sätzen serviert bekommt, sodass kaum Zeit bleibt, sich zu wappnen. In einem Absatz kann so viel passieren, wie sonst bei anderen Schriftstellern auf etlichen Seiten.
Wie auch immer: Ich liebe seine Bücher!
Und deshalb kann ich auch dieses Buch nur wärmstens empfehlen.