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jenvo82
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Oberschöna

Bewertungen

Insgesamt 216 Bewertungen
Bewertung vom 08.10.2018
Bösland
Aichner, Bernhard

Bösland


sehr gut

Ben kann sich an den Augusttag, an dem er für den Mord an seiner Klassenkameradin Mathilda weggesperrt wurde nur noch dunkel erinnern. Ein Golfschläger war es, der ihr den Kopf zerschmetterte und der Junge verbringt die nächsten Jahre in der geschlossenen Psychiatrie. Nur mit Hilfe seiner engagierten Therapeutin Frau Vanek gelingt es ihm nun, im Erwachsenenalter ein einigermaßen normales Leben zu beginnen. Die Psychiaterin empfiehlt ihm dennoch, sich den Erinnerungen aus der Vergangenheit zu stellen und seinen Heimatort aufzusuchen, sich mit alten Freunden zu treffen und sich mit seiner Mutter auszusprechen. Ben weiß, dass es ihm gelingen muss, alles aufzuarbeiten und stellt sich der schwierigen Aufgabe. Doch seine Mutter leidet an Demenz, nimmt ihn nur widerwillig bei sich auf. So beginnt Ben auf dem alten Dachboden zu stöbern, dort wo einst sein gewalttätiger Vater Selbstmord beging und sich sein jugendliches Leben vor dem Mord abgespielt hat – sein ganz persönliches Bösland. Er entdeckt das alte Filmmaterial von sich und seinem damals besten Freund Felix Kux und schaut sich alle Videos an. Doch auf dem letzten macht er eine unglaubliche Entdeckung und mit Gewalt dringt die Wahrheit zu ihm durch. Nun muss er unbedingt zu Felix, doch der hat längst kein Interesse mehr an seinem alten Freund …


Meinung


Endlich habe ich es geschafft einen Thriller von Bernhard Aichner zu lesen, von dem bereits mehrere auf meinem SUB lagern. Denn interessant klingen die Klappentexte allemal, versprechen sie doch Geschichten über dunkle Geheimnisse, kaltblütige Morde und hartherzige Menschen. Mit dem Titel „Bösland“ konnte ich zunächst wenig assoziieren, doch erklärt sich alles von selbst, wenn man erst mal in das Buch hineingelesen hat. In kurzen prägnanten Kapiteln entwirft der Autor die Geschichte eines schwer misshandelten Jungen, der nun im Erwachsenenalter versucht, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen. Die gewählte Ich-Perspektive wirkt sehr persönlich und man spürt deutlich die seelischen Qualen, die der Protagonist erleidet. Denn „Bösland“ ist nicht unbedingt das Psychogramm eines Mörders, sondern auch der Hilfeschrei einer verletzten Seele, die nie gelernt hat, sich der Wahrheit zu stellen und Konsequenzen zu ziehen.


Die weitaus interessantere Figur ist jedoch Felix Kux, der nun in der Gegenwart ein äußerst erfolgreicher Unternehmer eines großen Pharmaziekonzerns ist und sich den lästigen Ben irgendwie vom Hals schaffen möchte. Dennoch teilt er bald sein großes Anwesen, seine knappe Freizeit und wenig später sogar seine Frau mit dem Jugendfreund. Und bei all der trauten Zweisamkeit geht es um nichts anderes als versteckte Machtspielchen und sorgsam bewahrte Lebenslügen. Ben und Felix beginnen ein mörderisches Spiel mit weiteren Opfern und einer der beiden wird dabei auf der Strecke bleiben, fragt sich nur wer den längeren Atem besitzt.


Das Buch hat einen hochspannenden Mittelteil, der mich sehr begeistert hat, fängt aber eher gemächlich an und flaut dann auch wieder ab, so dass das Spannungsniveau eher schwankend zu beurteilen ist. Auch das Seelenleben von Ben empfand ich stellenweise als hilflos, dann jedoch wieder entschlossen und zielgerichtet. Eine ambivalente Figur, die manchmal wie eine Marionette wirkt, dann wieder wie der perfekte Drahtzieher.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen Thriller, der weniger Gänsehaut verursacht, dafür aber die Thematik Schuld und Sühne intensiv behandelt und Psychopathen auch mal in einen anderen Kontext setzt. Als Leser ist man hier vor allem auf den Handlungsverlauf gespannt, denn man weiß sehr genau, wer der Held des Buches und wer der Antigonist ist. Sehr aufschlussreich ist auch der Ansatz bezüglich des Geldes und der Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer Zwec

Bewertung vom 06.10.2018
Hippie
Coelho, Paulo

Hippie


sehr gut

„Ihm war endlich klargeworden, dass wir letztlich allem, was uns widerfährt, ohne Angst begegnen müssen, weil alles zum Leben gehört.“


Inhalt


Paulo Coelho nimmt uns mit im Magic-Bus nach Nepal, uns und seine Gefährtin Karla, die regelrecht auf ihn gewartet hat, um gemeinsam mit ihm eine Reise zu unternehmen, die beiden Bereicherung und Sinnhaftigkeit im Leben geben soll. Der Start der Route in Amsterdam ist ganz einfach, es finden sich mehrere Interessenten, die sich kaum kennen und starten für nur wenig Geld und wenig Komfort, um mit zwei Reiseleitern zu einer unkonventionellen Fahrt aufzubrechen.

Längst sind es nicht nur „Hippies“, die im Bus sitzen, sondern auch Menschen, die sich bewusst aus ihrem gutbürgerlichen Leben ausgeklinkt haben, um ihre Wurzeln zu finden. Natürlich schwingt das Lebensgefühl der Generation mit, so dass die Thematik freie Liebe, Konsum von Drogen und eine Antihaltung gegenüber Dogmen jeder Art zur Sprache kommt, doch ist das längst nicht alles. Coelho entwirft vielmehr einen autobiografischen Roman, der sich darauf konzentriert, den Sinn des Lebens, die Wirkung der Spiritualität und auch die verschiedenen Wege aufzuzeigen, die ein Mensch gehen kann – allein für sich selbst oder gemeinsam in einer Gruppe.

Und während Karla am liebsten für immer in Nepal bleiben möchte, fühlt sich der junge Paulo von den Sufis in Istanbul inspiriert. Und weil alle frei sind, entscheidet jeder für sich, wo die Endstation des Magic Busses liegt …


Meinung


Der brasilianische Autor Paulo Coelho zählt zu meinen Lieblingsautoren, weil seine Romane immer Tiefgang haben und die Philosophie des Lebens nutzen, um das Menschsein zu definieren. Seine Texte basieren auf Glaubensgrundsätzen, sie entwerfen ein umfassendes Bild über das Schöne und Erstrebenswerte im Dasein und sparen die Prüfungen, die Steine auf dem Weg nicht aus, vielmehr gleichen die Texte selbst einer Reise durch die Vielfalt des Lebens. Und weil mir dieser Ansatzpunkt so ausgesprochen gut gefällt, finde ich zu jedem seiner Bücher Zugang und teile eine gewisse Warmherzigkeit mit seinen Geschichten.

Zunächst war ich mir unsicher, ob ein autobiografisches Buch, meine Erwartungshaltung erfüllen kann, doch die Zweifel lösen sich schnell auf, was wohl auch darin liegt, dass der Autor von sich in der dritten Person Singular spricht. Dadurch entsteht Distanz, der junge Mann im Buch könnte auch Roberto, Vladimir oder Pascal heißen, sein Leben ein ganz anderes sein und dennoch im Rahmen dieser Erzählung greifen.

Also Vorsicht, wer hier mehr über Paulo selbst erfahren möchte! Bis auf eine eher kleine Passage einer Verhaftung und der daraus resultierenden Angst bezüglich Polizeigewalt, findet man nur wenig Spezielles und außerdem ist es sehr unwichtig, was im Einzelnen geschieht. Die Dominanz des Textes beruht auf der Entwicklung eines Menschen und seiner Suche nach einem übergeordneten System, einem Glauben, einer Ethik, einer alles durchdringenden Empfindung bezüglich der Liebe. Der Magic Bus ist scheinbar nur ein willkürliches Instrument und die Menschen darin eine mögliche Melodie.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne, denn ich mag es, wie der Autor Begriffe aus Religion, Philosophie und spirituellen Handlungen aufgreift und sie zu einer unterhaltsamen Geschichte verknüpft.

Empfehlen möchte ich das Buch aber in erster Linie denjenigen, die seine Texte kennen und mögen, denn es ist nicht sein „bestes“ Buch. Die Botschaft dahinter ist eher versteckt, der Mehrwert liegt nicht unmittelbar auf der Hand, eine Autobiografie der klassischen Art ist es ebenso wenig wie eine rein fiktive Erzählung.

Eigentlich wirkt es wie ein bunter Mix aus Erfahrungen, Enttäuschungen, Hoffnungen und Erkenntnissen – das Leben wird hier auf der positiven Seite betont, ohne dass der Optimismus das tragende Element wäre. Erlebt, Begriffen, Entschieden – jeder so wie er mag.

Bewertung vom 18.09.2018
Ein Winter in Paris
Blondel, Jean-Philippe

Ein Winter in Paris


ausgezeichnet

Victor ist nicht nur Lehrer geworden, sondern auch Schriftsteller, genau wie er es sich vor 30 Jahren ausgemalt hat, denn Romane waren ihm immer schon wichtig, weil er der analytischen Sicht auf die Dinge längst nicht so viel abgewinnen konnte, wie der persönlichen. Mit 19 war er Student am renommierten Lyceé D. in Paris – ein Einzelgänger, ein junger Mann, dem man nicht allzu viel zugetraut hat, jemand der sich am Rande aufhielt und im Schatten anderer stand. Dort hatte er keine Position, keinen Stellenwert, traf sich in den Pausen zum Rauchen mit seinem einzigen Bekannten, der noch dazu eine Jahrgangsstufe unter ihm war.

Victor nahm sich vor, mehr aus dieser zarten Bande zu machen und beschloss Mathieu zu seinem Geburtstag einzuladen. Doch dazu kam es nicht mehr, denn Mathieu stürzte sich während einer Unterrichtseinheit in den Tod und für Victor war dieses Drama der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Fortan wollte jeder wissen, was die beiden jungen Männer verband, warum Mathieu sich für Selbstmord entschieden hat und welche Rolle Victor einnahm. Victor bekam plötzlich all jene Aufmerksamkeit, die er sich damals nicht mal ansatzweise erträumte, doch sehr genau weiß er zu unterscheiden, welchen Wert er für die diversen Beteiligten hat und wählt sehr bewusst, wem er seine Zeit schenkt.


Meinung


Der französische Autor Jean-Philippe Blondel schreibt echte Herzensbücher, die nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern sich sehr intensiv mit den Emotionen der Protagonisten auseinandersetzen. Von seinem Können bin ich bereits durch die Romane „6 Uhr 41“ und „This is not a lovesong“ überzeugt und auch hier beweist er wieder viel Fingerspitzengefühl bei der Reflexion der Gedankengänge als Folge eines dramatischen Ereignisses.

Der Ich-Erzähler des Buches bekommt hier eine markante Position, führt er den Leser doch durch diese persönliche Geschichte, mit allen Verwirrungen, allen Fragen der Schuld und des Unverständnisses für den frühzeitigen Tod eines Menschen. Victor fasst das „Unfassbare“ zusammen, schildert nicht nur die Veränderung, die sein eigenes Leben nach dem Tod des Freundes nahm, sondern auch den Umgang seiner Umwelt mit ein und dergleichen Situation. Im Zentrum seiner Betrachtung rückt das eigentliche Opfer immer weiter in den Hintergrund, insbesondere weil Matthieu eigentlich noch gar nicht den Stellenwert eines echten, innigen Freundes besaß. Stattdessen berührt die Erzählung durch eine Annäherung zwischen Victor und Patrick Lestaing, dem Vater des Selbstmörders. Dieser möchte einfach nur verstehen, was seinen Sohn in den Tod getrieben hat, rätselt ob es vielleicht die Scheidung der Eltern sein könnte oder der Leidensdruck an der Universität und Victor kann zwar keine Antworten geben, doch er lebt, er ist da und hört zu und nimmt bereitwillig die Rolle des verlorenen Sohnes ein, vielleicht weil er spürt, dass der Hinterbliebene genau das braucht.


Doch das Buch bietet noch mehr, setzt es sich doch auf den wenigen Seiten sehr gekonnt mit den Rangordnungen innerhalb des Schulbetriebs auseinander, zeigt wohin Leistungsdruck führen kann, der von Lehrern ausgeübt und von Schülern ganz unterschiedlich aufgenommen wird. Während die einen nicht wissen, wie sie dem standhalten können, ignorieren andere, so wie Victor selbst die Vorgaben, setzen vielmehr eigene Wertmaßstäbe und dann gibt es auch noch die, die sich immer aktiver engagieren, die kämpfen, die mehr wollen und die gerade unter diesen Bedingungen zu ihrer Höchstform auflaufen, so wie Paul, der neue gute Bekannte von Victor, der zum Jahrgangsbesten avanciert. Und der Autor schafft ein wahres Porträt all dieser Menschen, ihrer Motive, ihrer Verfehlungen aber auch ihrer ungeahnten Möglichkeiten.


Was mir auch sehr gut gefällt, ist die erzeugte Stimmung des Buches, die

Bewertung vom 09.09.2018
Loyalitäten
Vigan, Delphine

Loyalitäten


ausgezeichnet

Ausgehend von der Erzählung der Lehrerin Hélène lernen wir den 12-jährigen Theo Lubin kennen, er lebt jeweils eine Woche beim Vater und die andere bei seiner Mutter. In der Schule ist er ein stiller Junge, der nur einen einzigen Freund hat und mit dem all seine Zeit verbringt. Hélène beobachtet ihre Schüler sehr genau und entdeckt an Theo Veränderungen, die niemand sonst sehen will. Der Junge scheint ein echtes Problem zu haben, und sie möchte ihm gerne helfen, doch Theo lässt sich darauf nicht ein, immer wieder beteuert er Erwachsenen gegenüber einfach nur müde zu sein und unter Schlafstörungen zu leiden. Körperliche Verletzungen kann nicht einmal die Schulschwester entdecken und der Lehrerin sind gewissermaßen die Hände gebunden. Es bleibt ihr nicht viel mehr, als den Jungen weiter zu beobachten und das Gespräch mit den Eltern zu suchen.

Mathis, Theos Freund weiß, was ihn wirklich bedrückt, doch er möchte ihn nicht verraten, will nicht erzählen, dass Theos Vater immer mehr abrutscht und der Sohn alles vertuschen muss, damit sein imaginäres Familienmodell nicht einstürzt. Im Alkohol versucht Theo all sein Leid zu vergessen, er möchte nur einmal die Schwelle zum Koma überschreiten, abtauchen und von jeder Last befreit sein. Die einzige die den Alkoholmissbrauch der Jungen bemerkt ist die Mutter von Mathis, doch diese hadert mit dem eigenen Leben und bringt nicht die Kraft auf, auch noch den Freund des Sohnes aus dem Sumpf zu holen. Und so nimmt ein gefährliches Spiel seinen Lauf …


Meinung


Die preisgekrönte französische Autorin Delphine de Vigan greift in ihrem aktuellen Roman ein Tabuthema auf, ohne jedoch weiter auf das Phänomen des Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen einzugehen.


Sie setzt ihr Augenmerk vielmehr auf die zwischenmenschliche Komponente, die zeigt, wie dicht und komplex das Beziehungsgeflecht diverser Personengruppen ist und wie schwierig es für den Einzelnen ist, eine falsche Entwicklung nicht nur zu erkennen, sondern vor allem aufzuhalten. Der Titel des Buches ist sehr treffend gewählt, denn Loyalitäten können zwar einerseits Flügel verleihen, weil sie Kräfte entfalten, die nur mit Treue und Hingabe erreichbar sind, doch sie können ebenso vernichtend wirken, wenn man in schwierigen Situationen derart an seine Versprechungen gebunden ist, dass es schier unmöglich wird, einen Schlussstrich zu ziehen.


Dieser Roman hat mich irgendwie geplättet, nicht nur auf Grund der bemerkenswerten, durchaus ungewöhnlichen Thematik, die hier sehr einprägsam beschrieben wird, sondern vielmehr wegen seiner Perspektivenvielfalt und der Verflechtung einzelner Lebenswege. Manchmal sind es eher die Banalitäten, die so immense Bedrückung auslösen. Ein Trennungskind zu sein, ist keine Schande, doch zum Spielball zwischen den zerstrittenen Elternteilen zu werden eine echte Last. Noch schlimmer, wenn die Eltern nicht mehr in der Lage sind, ihr Kind als das wahrzunehmen, was es ist, wenn sie selbst in einem Sumpf aus Vorwürfen und Abgründen versinken.


Und dann natürlich das Unvermögen, sich als Kind aus dieser Situation zu befreien, ohne andere Menschen mit hineinzuziehen, ohne jemanden zu verletzen, ohne Hilfe für sich selbst beanspruchen zu wollen. Der Leser entdeckt Theo immer wieder neu, in jedem Satz und sieht ihn doch nach und nach Verschwinden, sieht seinen persönlichen Weg des Abschiednehmens von der Normalität. Gleichzeitig wird auch die Berührungsachse mit seinen Mitmenschen sichtbar, die eben jene Entwicklung immer wieder verdrängen, ihr kaum Bedeutung beimessen und sie schönreden. Ganz nach dem Motto: „Ein Junge, der keine Probleme macht, kann auch keine haben.“ Der fatale Verlauf des Geschehens macht wiederrum deutlich, welch Trugschluss sich dahinter verbirgt.


Au

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Bewertung vom 04.09.2018
Königskinder
Capus, Alex

Königskinder


sehr gut

„Ach so, ein Mädchen!, ruft Prinzessin Elisabeth. Na, wenn´s weiter nichts ist. Die Alpen hätte ich ihn nicht herbeischaffen können, aber ein Mädchen – das kriegen wir hin.“


Inhalt


Während Max und Tina, ein langverheiratetes Ehepaar eine Nacht im eingeschneiten Wagen verbringen müssen, erzählt Max seiner Frau eine Geschichte vom Kuhhirten Jakob, der eigentlich einsam und allein in seiner Almhütte in den Bergen von Greyerz lebte und dessen großer Liebe Marie, die als die Tochter des wohlhabendsten Bauern, lange Zeit unerreichbar für ihn blieb. Und so vertreiben sich die beiden Eingeschneiten die Zeit und fiebern mit dem Liebespaar von einst mit, ob es diesem nicht vielleicht doch gelingt, zueinander zu finden.


Meinung


Endlich habe ich es auch einmal geschafft, ein Buch des prämierten Schweizer Autors Alex Capus zu lesen, auf dessen Bücher ich schon mehrfach aufmerksam geworden bin. Inhaltlich gesehen widmet sich der Autor in seinem aktuellen Roman der Liebe, die auch die Jahre überdauert, die bleibt und wächst trotz zahlreicher Entbehrungen und die sich auch von außen nur schwer lenken lässt. Eingebaut in eine sehr unterhaltsame, humorvolle Rahmengeschichte, in der ein Paar sich unterhält, welches zwar 26 Jahre glücklich verheiratet ist, aber sich nach wie vor über die Kleinigkeiten des Alltags in die Haare bekommt, entwirft er das Bild einer nicht erwünschten Beziehung in der Vergangenheit.


Das Buch ist mit seinen 185 Seiten eher schmal und erzählt doch gleich zwei Geschichten, auch wenn es von beiden natürlich nur Lebensausschnitte sind. Tatsächlich konnte ich der Rahmenhandlung mit Max und Tina im Auto nicht immer etwas abgewinnen, waren mir ihre Dialoge doch manchmal zu überspitzt, fast schon nervig, selbst wenn sie an das normale Leben anknüpfen und einige Parallelen zu langjährigen Partnerschaften erkennbar sind.

Vielmehr ansprechen konnte mich die Liebesgeschichte aus der Vergangenheit. Der Autor setzt ganz bewusst Grenzen, und zeigt, dass zum Beispiel die Allmacht des Elternhauses damals eine sehr entscheidende Komponente war, warum Liebende nicht ohne weiteres zueinander finden konnten. Doch er baut in seine fiktive, wenn auch auf einigen wahren Begebenheiten basierende Geschichte, das Glück, die Zufälle und die Kraft der Liebe, ihre Geduld und Unbeirrbarkeit ein. Ganz nebenbei führt er den Leser an den französischen Hof, zeigt ein verkommenes Schloss Versailles, einen beinahe entmachteten Adel und gleichzeitig die Bemühungen des Volkes, ihr Land zu revolutionieren. Historische Hintergründe findet man also auch noch.


Das Besondere an dem Buch ist einfach nur eine liebenswerte, äußerst humorvolle Schreibweise, die Aussagekräftiges ausschmückt oder Unwichtiges retuschiert. Im besten Sinne des Wortes ein Roman, mit lebhafter Erzählung, interessanten Aspekten, vertrauensvollen Protagonisten und einer wichtigen Botschaft, auch wenn diese leider nicht so ganz klar zu Tage tritt.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen Unterhaltungsroman, der nicht den Anspruch stellt Neues zu offenbaren, sondern sich auf das Erzählen, das Ausdenken von Zusammenhängen, die kleinen liebenswerten Widersprüche und die zwischenmenschlichen Töne beruft. Ich habe ihn gerne gelesen, auch wenn mir manchmal die Handlung zu seicht war, das Aufbegehren zu vorhersehbar, das Positive zu dominant. Gerade am Ende des Buches habe ich mir doch mehr Drama, mehr Tiefgang erhofft – doch der Autor überlässt es dem Leser, seine persönlichen Schlüsse zu ziehen. Ich empfehle das Buch denjenigen Lesern, die sich einfach in eine andere Zeit, mit andern Menschen hineindenken möchten und Unterhaltung suchen, all das wurde hier hervorragend umgesetzt. Mir hat es etwas an Schwere und Innerlichkeit gefehlt, beides meine Präferenzen bei Liebesgeschichten und diese hier ist einfach nur … schön.

Bewertung vom 01.08.2018
Ida
Adler, Katharina

Ida


gut

Ida hat keine ganz leichte Kindheit, denn immer überschatten diverse größere und kleinere Unpässlichkeiten ihren Alltag. Entweder ist sie selbst krank und wird von einem schlimmen Husten geplagt, oder die Mutter liegt nieder, oder der Vater braucht Pflege. Dadurch, dass Ida gut betucht aufwächst lässt sich das durchaus hinnehmen, denn irgendwann, so hofft sie, wird der Tag kommen, an dem das Leid ein Ende hat. Ihr großes Vorbild und gleichzeitig der innigste Freund ist ihr großer Bruder Otto, der einzige, den sie tatsächlich bewundert. Nicht nur, weil er so klare Vorstellungen von seiner Zukunft in der sozialdemokratischen Partei hat, sondern auch, weil es ihm gelingt jeden Stein, der ihn in den Weg gelegt wird, beiseite zu räumen. Und so erträgt Ida die sinnlosen, an Frechheit grenzenden Stunden bei Doktor Freud, die außereheliche Liebschaft zwischen dem Vater und der befreundeten Pepina Zellenka und die unsittsamen Annäherungsversuche des Hans, denn sie schwört sich, dass der Tag kommen wird, an dem sie ihren wahren, starken Charakter offenbart und über diejenigen triumphiert, die ihr so gar nichts zutrauen wollen. Als sie den schmucken Ernst Adler kennenlernt, beschließt sie ihn zu heiraten und damit den Zwängen des elterlichen Zuhauses zu entkommen …


Meinung


Die Autorin Katharina Adler ist selbst die Urenkelin der Hauptprotagonistin Ida Adler-Bauer des vorliegenden Romans. Für dieses Buch, ihren Debütroman ist sie bereits für den Alfred-Döblin-Preis nominiert wurden und hat ihrer Urgroßmutter ein Denkmal gesetzt jenseits ihres Stempels, den diese als Patientin „Dora“ des berühmten Sigmund Freuds aufgedrückt bekommen hat. Der Roman beschäftigt sich intensiv mit der Persönlichkeit Ida, mit der Vielfalt ihrer Versionen, mit einer nicht ganz einfachen aber sehr bestimmten Frau, die sich im Rahmen eines bewegten halben Jahrhunderts beweisen musste und diese Herausforderung durchaus angenommen hat.


Weite Teile der Erzählung erstrecken sich auf die Jugend der Protagonistin, führen dann aber hinein ins Erwachsenenalter, einer Zeit, in der sie selbst Mutter wurde, ihre Ansprüche an den Sohn sehr hoch schraubte und ihn förderte, damit er etwas aus seinem Leben machen würde. In Anbetracht der geschichtlichen Epoche, die sich zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg abspielt und der euphorischen Zeit dazwischen, entfaltet sich der zweite Schwerpunkt des Romans. Krieg und Demut, Aufschwung und Hoffnung, Selbstüberschätzung und Vernichtung. Ida durchlebt ihr Jahrhundert als genau das, was es ist, ein ständiges Auf und Ab, ein Überlebenskampf für alle Gesellschaftsschichten, so dass sogar eine Ida Adler-Bauer, die immer wohlhabend und gut situiert dastand, im zweiten Weltkrieg die dramatischen Auswirkungen einer Flucht aus Hitlerlanden erleben muss, um sich in ihrer neuen Heimat Amerika niederzulassen. Der zweite Teil des Buches hat mich deutlich mehr inspiriert und unterhalten, als es die ersten 300 Seiten vermochten.


Tatsächlich hat mir die Entwicklungsgeschichte von Otto Bauer und sein Wirken in der Sozialdemokratie in den Zeiten der Weimarer Republik wesentlich besser gefallen, birgt sie doch über den rein menschlichen Aspekt auch noch ein politisches Zeitzeugnis mit interessanten Informationen und dramatischen Entwicklungen. Die Protagonistin selbst bleibt leider etwas blass, allein durch die vielen Querelen, die sie mit verschiedenen Personen pflegt, andere die sie immer wieder vor den Kopf stößt und dann jene, die ihr trotz allem immer tief verbunden bleiben. Von Sympathiewerten sind wir weit entfernt, wenn auch eine entsprechende Vielfalt aufgebaut wird, so hat mich der Text doch nicht wirklich gefesselt und ich musste mich motivieren, die doch langatmige Geschichte w

Bewertung vom 08.07.2018
Das weibliche Prinzip
Wolitzer, Meg

Das weibliche Prinzip


gut

Die junge Studentin Greer Kadetzky, die selbst ihren Weg im Leben sucht, da ihre Eltern für sie keine Vorbildfunktion haben, begegnet der charismatischen Feministin Faith Frank, die eine Vorreiterin der Frauenbewegung ist und mit Herzblut für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts kämpft. Tatsächlich gelingt es Greer mit der im Rahmenlicht stehenden Faith Kontakt zu knüpfen und kurze Zeit später erhält sie sogar die absolut fantastische Möglichkeit, für ihr Idol zu arbeiten. Faith Frank arbeitet nun für eine Stiftung, die Frauen aus ihrer sexuellen Abhängigkeit holt und ihnen zeigt, wie man mit ganz normaler Arbeit auf eigenen Beinen stehen kann. Greer schreibt Reden und hält diese auch selbst, voller Freude und Engagement ist sie bei der Sache, bis sie einen heißen Tipp bekommt, dass die Finanzierung des Projektes Unregelmäßigkeiten aufweist und längst nicht mehr die ausgebeuteten Frauen im Fokus stehen, sondern nur der Profit. Desillusioniert und betreten trifft Greer eine eigene Entscheidung und stellt dabei fest, dass auch große Vorbilder keinen Heiligenschein tragen.


Meinung


Dieser aktuelle Roman aus der Feder der amerikanischen Schriftstellerin Meg Wolitzer ist mein erstes Buch von ihr. Bereits die Vorgängerromane haben mein Interesse geweckt und ich wollte nun endlich einmal herausfinden, welche Art der zeitgenössischen Belletristik mich erwartet. Doch zugegeben, „Das weibliche Prinzip“ hat meinen Lesegeschmack nicht ganz getroffen. Die Geschichte an sich klingt sehr vielversprechend, allein weil es faszinierend ist, jungen Menschen beim Finden ihrer eigenen Überzeugung zuzuschauen, auch weil es spannend ist, sie durchs Leben zu begleiten und ihre Entscheidungen wahrzunehmen – doch die Umsetzung hier, brachte mir zu wenig Dynamik, eine nur geringe innere Beteiligung und streckenweise sehr langatmige Passagen, die mich dazu verleitet haben, das Buch immer wieder beiseite zu legen und andere Schmöker vorzuziehen. Der Funke ist bis zuletzt nicht übergesprungen und es ist mehr dem vielschichtigen, erzählendem Schreibstil zu verdanken, dass ich drangeblieben bin, als der Erzählung an sich.


Der Ansatz von Meg Wolitzer konzentriert sich auf das Menschsein in der reinsten Form. Deshalb ist es auch nicht Greer allein, die hier als Hauptprotagonistin auftritt, sondern auch Faith und darüber hinaus noch Greers Freund Cory und ihre Kommilitonin Zee. Jeder hat gute und weniger gute Charakterzüge, alle handeln gleichbleibend menschlich und treffen weise aber auch falsche Entscheidungen. Es gelingt ihnen, sich im Leben zurechtzufinden und mit mehr oder weniger Einsatz, ihren Platz zu behaupten. Dazu nutzt die Autorin viele kleine Nebenhandlungen, die sich mit den jeweiligen Personen beschäftigen, die aber auf mich einen zerfaserten, unsteten und unbestimmten Eindruck hinterlassen. Cory trifft ein persönlicher Schicksalsschlag, Zee wird sich ihrer Homosexualität bewusst, Faith kämpft mit dem fortschreitenden Alter und Greer sieht ihre einstigen Wunschvorstellungen und Überzeugungen davondriften. Was nach Unzufriedenheit klingt, ist nichts anderes als der Lauf des Lebens, den alle erfahren und mit dem sie unterschiedlich umgehen.


Der Autorin gelingt es, mit einprägsamen Sätzen und einer guten Übersichtsstruktur die verschiedenen Charaktere in diversen Lebensphasen zu zeichnen, alles wirkt überaus realistisch und nachvollziehbar, doch leider empfinde ich beim Lesen kaum emotionale Beteiligung, die Banalität der Handlung und die vielen Hochs und Tiefs wirken so mühsam und langatmig auf mich, dass ich mir hin und wieder ein kleines Highlight gewünscht habe, doch vergebens. Greer Kadetzky und ihre ganz persönliche Entwicklung konnte mich einfach nicht fessel

Bewertung vom 12.06.2018
Häuser aus Sand
Alyan, Hala

Häuser aus Sand


sehr gut

Erzählt wird hier die Geschichte der wohlhabenden Familie Yacoub, begonnen bei Salma, der Großmutter, die in jungen Jahren ihre Heimat Jaffa verlassen musste. Hinein in das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder, die alle im Laufe ihres Lebens erkennen müssen, dass sie die Heimat, mit der sie sich verbunden fühlen nicht immer frei wählen können und das sie die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Verbundenheit mit den Menschen und Kulturen mehr im Herzen tragen müssen. Obwohl es die politischen Unruhen, die gewaltsamen Kriege waren, die einst dafür verantwortlich waren, dass eine Flucht unabdingbar wurde, so bleibt es Jahrzehnte später die ungewisse Lage, die Alia und ihren Mann Atef bindet. Mit dem Blick auf die Kinder, der Sicherheit vor Augen bleibt eine Rückkehr ausgeschlossen. Und für die Enkelkinder stellt sich die Frage nach einem Leben in Palästina nicht mehr, findet ihr Leben doch jenseits dieser Welt statt, denn plötzlich ist Amerika das Herkunftsland und nur die älteren Familienmitglieder erinnern an eine andere Abstammung.


Meinung


Die palästinensisch-amerikanische Autorin Hala Alyan fokussiert in ihrem Debütroman nicht nur die Entwurzelung von Menschen, deren Heimatland keine Sicherheit bietet, sondern erzählt in erster Linie einen groß angelegten Familienroman, der sich mit dem Leben an sich, den normalen und unberechenbaren Entwicklungen beschäftigt und räumt dabei den Gedanken ihrer Protagonisten einen immensen Stellenwert ein. Die ursprüngliche Aussage, die darin liegen mag, dass es keinen Ort gibt, der für immer und ewig Bestand hat, wandelt sich schnell in eine epische Erzählung über Mütter, Töchter und Söhne, ihre Probleme, ihre Wünsche und Hoffnungen aber auch die Enttäuschungen auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Ursprünglich habe ich etwas mehr Bedrohung von außen erwartet, um dann festzustellen, dass es vielmehr um die Ängste aus dem Inneren geht. Denn ein weiteres Augenmerk stellt auch der Widerstand der Kinder dar, die sich nicht in die alten Rollenmuster ihrer Eltern flüchten möchten, sondern so, wie es ihre Zeit vorschreibt, Neuerungen und Änderungen anzunehmen.


Ein flüssiger Schreibstil, der manchmal leider von unnötigen Fremdworten begleitet wird (das Glossar am Buchende gibt Auskunft, dennoch habe ich nicht viel darin geblättert), nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Untiefen einer Gemeinschaft, die Blutsbande und Freunde gleichermaßen sind. Sehr schön aufgefächert ist die Gliederung zwischen den traditionsbewussten Eltern, den rebellischen Kindern, den autonomen Enkeln. Und dadurch, dass die Autorin eine Kapiteleinteilung nach ihren diversen Protagonisten vornimmt, gelingt es dem Leser auch, sich in alle Köpfe hineinzuversetzen und immer die zwei Seiten der Medaille wahrzunehmen. Diesen Schachzug finde ich sehr clever und angenehm abwechslungsreich für diese Art der Erzählung.


Zum Lieblingsbuch fehlte mir dann aber doch etwas, manchmal hätte ich mir einen strafferen Handlungsrahmen gewünscht, ganz sicher auch mehr Einblicke in die politischen Hintergründe und nicht zuletzt eine tatsächliche Aussage, eine über die man auch nach dem Lesen des Buches noch nachsinnen kann. So bleibt es doch ein persönlicher, ein durchaus normaler Familienroman, ohne herausragende Persönlichkeiten, geprägt vom ganz alltäglichen Wahnsinn, von Abschieden und Ankünften von Liebe und Aufopferung, von Verlusten und Gewinnen.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen umfassenden Familienroman, der viele Generationen miteinander verbindet, der sich psychologisch in die jeweiligen Mitglieder der Gemeinschaft hineinversetzt und sie zu etwas Besonderem macht. Das Buch würdigt die Arbeit aller Mütter und Väter in der E

Bewertung vom 12.05.2018
Ein mögliches Leben
Köhler, Hannes

Ein mögliches Leben


sehr gut

Gemeinsam mit seinem Enkel Martin unternimmt der betagte Franz Schneider noch einmal eine Reise nach Amerika, besucht die Orte seiner längst vergangenen Kriegsgefangenschaft während des 2. Weltkrieges. Dort wo er einst in Baracken gelebt hat und Baumwolle pflückte, wo er Freunde fand, die ihm wichtig waren und Menschen, die ihre Hitlerliebe mitgebrachten um andere damit zu tyrannisieren. Rückblickend ergibt sich das Bild über die vielen Jahre in der Obhut einer fremden Regierung, mit der Franz durchaus sympathisierte. Es zeigt sich, warum der alte Mann, ein Geheimnis um seinen verlorenen Finger macht und warum er seiner Tochter Barbara die Briefe einer Freundin zukommen lässt, die vielleicht in der Gunst seiner Zuneigung noch weiter ober rangierte als ihre Mutter. Und auch Martin entdeckt Seiten an seinem Großvater, die ihm bisher unbekannt waren und beginnt seine eigenen Beziehungen zu überdenken.


Meinung


Der junge Hamburger Autor Hannes Köhler setzt sich in diesem Roman mit einer eher ungewöhnlichen Problematik der Kriegsjahre auseinander, die in der Literaturlandschaft relativ unbefleckt daherkommt. Denn obwohl in der Gegenwartsliteratur die Thematik des zweiten Weltkrieges und seine Ausuferungen gerne im Mittelpunkt stehen, fand ich diesen Abstecher in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager sehr inspirierend und informativ. Man merkt dem Text die fundierte Recherchearbeit an, obwohl er wie im Nachwort vermerkt, ein fiktives Werk ist, lediglich in Anlehnung an historische Begebenheiten.


Eingebettet in eine Familiengeschichte erzählt der Autor aus dem Leben eines Mannes, der zwar dem Krieg in der Heimat entkam, nicht aber den Schrecken und Ängsten seiner fatalistischen Auswirkungen. Im Zentrum der Erzählung findet man eine besondere Spezies Mensch, ich würde sie als „Die Aufgelesenen“ bezeichnen, Menschen die in der Fremde für den offiziell politischen Gegner Strafarbeit leisten müssen. Doch die Lebensbedingungen sind nicht schlecht und die Arbeit zwar schwer aber auch gerecht. So dass es den Soldaten, die allesamt an der Front und im Hinterland gekämpft haben, gar nicht so schlecht geht wie anzunehmen. Vielmehr sind es ihre Einstellungen zum Leben, zum Krieg, ja auch zum Führer, die für Reibereien sorgen. Eine Art Gruppendynamik in den Lägern entsteht, zwischen denen, die auf den Endsieg Hitlers hoffen, anderen die sich klar auf die Seite der Amerikaner stellen und jenen, die sich schweigend zurückziehen oder ihr Fähnchen einfach in den Wind halten. Schon bald steuert der Leser auf den Kern der Geschichte zu, der sich zwischen Kameradschaft, Hass und Ausgrenzung befindet und der zeigt, welche Ausmaße das nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat.


Doch das ist nicht alles, die Erzählung streift sehr viele zwischenmenschliche Belange, nicht nur die Gefühle der Soldaten, den Zwiespalt, in dem sich die Verantwortlichen befinden, sondern eben auch die langfristigen Auswirkungen auf das normale Leben nach dem Krieg, auf Familienbande, die zwar entsteht aber längst nicht so unbelastet ist, wie gewünscht. Das Buch ist sehr vielschichtig, in leiser eindringlicher Erzählsprache gehalten, so dass man sehr gut in die Geschichte hineinfinden kann. Doch bis zur Hälfte des Textes konnte der Funke nicht so richtig überspringen, vielleicht weil mir persönlich zu Vieles angesprochen wurde. Einerseits ist es nämlich die persönliche Sicht, die Erlebnisse des Kriegsbetroffenen, die besprochen werden, andererseits die gegenwärtige Handlung einer eher schweigsamen, durchaus belasteten Familiengeschichte zwischen Vater, Tochter und Enkelsohn. Der Wechsel der beiden Handlungsstränge konnte mich nicht immer fesseln, erschwerte mir in gewisser Weise die Nähe zum Text.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen alternativen

Bewertung vom 07.05.2018
Wie man die Zeit anhält
Haig, Matt

Wie man die Zeit anhält


gut

Tom Hazard hat viele Namen, spielt zahlreiche Rollen und ist immer wieder auf der Flucht vor seinem ganz alltäglichen Leben, denn anders als die normalen Menschen ist er mittlerweile 439 Jahre auf der Erde und sieht jetzt gerade mal wie Anfang vierzig aus. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass es verdammt schwer ist, sich dauerhaft irgendwo niederzulassen, denn die Menschen werden misstrauisch, wenn man einfach nicht älter wird. Doch er ist nicht allein - ein gewisser Hendrich Pietersen hat eine Gesellschaft gegründet, die sich „Die Albatrosse“ nennt. Mitglied wird derjenige, der von einem anderen eingeladen wird und sich auf die Suche nach weiteren „Zeitlosen“ macht, die irgendwo auf der Erde leben, solange bis sie entdeckt werden. Hendrich verspricht dem zermürbten Tom, der sich derzeit als Geschichtslehrer in London verdingt, seine Tochter Marion zu finden, die das Krankheitsbild ihrer Vaters geerbt hat und demnach in echter Gefahr schwebt – doch den Preis, den Tom zahlt ist kein geringer, aller acht Jahre muss er weiterziehen, einen neuen Auftrag annehmen und sich von sämtlichen Menschen, die ihm etwas bedeuten fernhalten. Als er die warmherzige Französischlehrerin Camille trifft, wird ihm bewusst, dass er zu alt ist, um wieder in eine neue Rolle zu schlüpfen …


Meinung


Der britische Bestsellerautor Matt Haig, der mich schon mit seinem Roman „Ich und die Menschen“ überzeugen konnte, hat abermals ein sehr ansprechendes Gedankenkonstrukt erschaffen, welches sich explizit mit der Bedeutsamkeit der verrinnenden Zeit beschäftigt, mit dem verlangsamten Lauf des Lebens und einer Krankheit, die fast an Unsterblichkeit erinnert. So oder zumindest ähnlich könnte es sein, wenn man selbst 700 Jahre leben würde und genau diese Frage wirft diese unterhaltsame Geschichte auf. Wäre es wirklich so erstrebenswert sich dem ewigen Leben anzunähern? Oder würde man das Menschsein nicht einfach in die Dauerschleife legen und keinerlei Wertsteigerung mehr erleben.


Die Geschichte selbst fliegt nur so durch die Jahrhunderte, denn in klar umrissenen Kapiteln erfährt der Leser etwas über die Hexenverfolgung, über das Theater des William Shakespeare und das harte Leben als Seefahrer auf dem Höhepunkt der Piraterie – Tom war nämlich immer dabei, als Zeitzeuge sozusagen. Wechselnd erzählt zwischen damals und heute, nähert man sich dem leicht desillusionierten, melancholischen Helden an, der schon öfter den Wunsch verspürte, seinem Leben ein unnatürliches Ende zu setzen. Doch mit Eintritt in die Gesellschaft der „Albatrosse“ bekommt sein Dasein erstmals eine neue Dimension und diese Aufgabe hält ihn zumindest bei der Stange.


Schade finde ich nur, dass der Plot sehr oberflächlich ausgearbeitet wurde, weniger die wichtigen Fragen stehen im Zentrum, sondern eher die Akzeptanz einer Unmöglichkeit. Der Text bleibt weitgehend locker, die Sprache sehr modern, was nicht immer zum historischen Hintergrund passt und mich eher an eine zeitgenössische Erzählung mit fantastischen Elementen erinnert. Mein Anspruch an die Geschichte war auch ein anderer, habe ich mir doch erhofft, zu erfahren, was wirklich wichtig ist, welche Möglichkeiten in der Vorstellung an sich liegen und wo genau sich die Schnittstellen zwischen der Endlichkeit und der Unsterblichkeit befinden – selbst wenn es nur ein imaginärer Ansatz hätte werden können – gefunden habe ich ihn hier leider nicht.


Fazit


Ich vergebe durchschnittliche 3 Lesesterne für einen sehr lockeren, unterhaltsamen Roman. Man findet hier eine inspirierende Geschichte mit hinreichend interessanter Handlung und gut dargestellten Figuren. Dieses Buch ist auch schon für jüngere Leser geeignet, weil es die Phantasie anregt, ohne vorgefertigte Denkweisen zu präsentieren. Für ein kurzes, abenteuerliches Lesevergnü