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Anna625

Bewertungen

Insgesamt 87 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2020
Ada
Berkel, Christian

Ada


gut

Ada wird 1945 in Leipzig geboren. Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt sie mit ihrer Mutter in Argentinien, da diese Jüdin ist. Von einem Vater fehlt jede Spur, bis die beiden 1954 nach Deutschland zurückkehren und nun in Berlin leben. Dort treten zwei Männer in Adas Leben - Otto und Hannes. Mit beiden scheint ihre Mutter eine gemeinsame Vergangenheit zu teilen, und obwohl es Otto ist, der von nun an offiziell als Adas Vater gilt, bleibt in Ada stets ein leiser Zweifel zurück. Die Frage nach ihrer wahren Identität dehnt sich auch aus auf ihre Nationalität und ihre Religion: Ist sie Deutsche, weil dort geboren, oder Argentinierin, weil dort aufgewachsen? Jüdin, da ihre Mutter eine ist, oder Christin, weil sie so erzogen wurde? Oder ist sie alles davon, oder, schlimmer - nichts? Ada selbst äußert ihrem Psychologen gegenüber, den sie später als 45-Jährige aufsucht, sie habe eine glückliche Kindheit verlebt. Und dennoch steht hinter allem stets die Suche nach einer Identität, die Frage nach Heimat und Zugehörigkeit.

Mit Ada schenkt Berkel seinem Roman eine sympathische, vielschichtige Protagonistin. Aus der Ich-Perspektive geschrieben ermöglicht er dem Leser einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt Adas, die sich schon als kleines Mädchen mit vielen schwierigen Themen auseinandersetzen muss, was nicht zuletzt dem gerade erst überstandenen Krieg geschuldet ist. Die Erwachsenen sind Ada keine große Hilfe, denn kaum jemand ist bereit dazu, die Vergangenheit neu aufleben zulassen, und auch Adas Mutter selbst weicht den Fragen ihrer Tochter aus.


Der Schreibstil gefiel mir gut, trotz der ernsten Thematik musste ich beim Lesen manches Mal schmunzeln. Es gelingt Berkel, die Kulisse der Nachkriegszeit glaubhaft und eindringlich nachzuzeichnen und an vielen Stellen wird die Melancholie, das Bedrückende, geradezu greifbar. Man kann der Geschichte gut folgen, und es macht auch nicht wiklich etwas, wenn man Berkels Debüt "Der Apfelbaum" vorher nicht gelesen hat. Vielleicht hätte das die ein oder andere Frage zur Vergangenheit der Eltern Adas geklärt, aber ich bin auch so zurechtgekommen - ich war in vielen Punkten eben genauso unwissend wie Ada.

Trotz aller positiven Aspekte hat mir irgendetwas gefehlt. Manche Szenen fand ich zu ausführlich, andere kamen mir dagegen zu kurz vor, da hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht. Außerdem war mir das Ende zu abrupt und nach dem Lesen hatte ich den Eindruck, dass da noch irgendetwas hätte kommen müssen.

Ich habe das Buch gerne gelesen, auch wenn ich nicht zu hundert Prozent damit warmgeworden bin!

Bewertung vom 18.10.2020
Verlangen
Hofstede, Bregje

Verlangen


weniger gut

Nach jahrelanger Beziehung muss die junge Bregje eines Tages einsehen, dass irgendetwas nicht stimmt. Eigentlich liebt sie Luc, die beiden sind seit ihrer Teenager-Zeit zusammen und die meiste Zeit über wirkte ihre Beziehung auch recht harmonisch. Dann aber beginnt Bregje, immer weiter abzunehmen, schläft kaum noch, bekommt einen unerklärlichen Hautausschlag. Sie fühlt sich eingeengt und einfach nicht mehr wohl in ihrem Leben, das doch so schön hätte sein sollen. Also trifft sie eine Entscheidung, denn sie muss da irgendwie raus - sie packt kaum mehr als ihre alten Tagebücher und eine Zahnbürste in ihren Rucksack und zieht von Hostel zu Airbnb durch ihre Heimatstadt Brüssel. Für wie lange - das weiß nicht nur Luc, sondern auch sie selbst nicht.

Das Buch handelt von der Macht der Erinnerung, vor allem aber auch von der Frage, wie sehr wir uns selbst und andere belügen, wie weit wir uns selbst und den, der wir wirklich sind, verstecken, unterdrücken können, ohne dabei verlorenzugehen.


Ich hatte mir viel von diesem Buch erhofft. Klappentext und Cover haben mich sofort angesprochen und auch die Leseprobe hat mir gut gefallen. Leider konnte das Buch meinen Erwartungen nicht gerecht werden, denn obwohl der Einstieg mir gut gefiel, hatte ich ab einem bestimmten Punkt das Gefühl, dass die Geschichte auf der Stelle tritt. Ich hatte kein Buch mit viel Action erwartet, und dennoch passierte mir hier schlichtweg zu wenig.

Vom Schreib- und Erzählstil finde ich es schön gestaltet und beide sollen hier positiv Erwähnung finden. Der Autorin gelingt es, den Fokus auch auf die kleinen Dinge zu lenken, sie hat einen wunderbaren Blick fürs Detail und so manche Gedankengänge der Protagonistin sind sehr tiefgreifend und muten philosophisch an. Hinzu kommt die interessante Erzählweise, denn es wird zwischen gleich vier verschiedenen "Perspektiven" gewechselt, die dennoch alle von der Protagonistin ausgehen. Da wäre einmal die "normale" Ich-Perspektive, in der wir erfahren, was Bregje gerade tut, was um sie herum geschieht. Dann haben wir solche Textpassagen, in denen sie sich direkt an Luc zu wenden scheint, ihn mit "Du" anspricht, als wären wir, die Leser, er; weiter gibt es kürzere Tagebucheinträge, in denen die Protagonistin uns indirekt einen Blick in ihre Vergangenheit mit Luc erlaubt, sowie Ausschnitte, die aus der Ich-Perspektive heraus direkt in ihrer Kindheit spielen. Diese verschiedenen Sichtweisen ermöglichen es, einen umfassenden Eindruck der Protagonistin zu erhalten - und dennoch blieb sie mir merkwürdig fremd. Woran das liegt, kann ich gar nicht so genau sagen, aber ich wurde nicht mit ihr warm.

Vielleicht war sie mir zu passiv, auch zu dimorph gewissermaßen in ihrem Handeln und Denken, was es mir schwer gemacht hat, sie in meinem Kopf zu einer stimmigen Person zusammensetzen zu können. Dabei stört es mich gar nicht mal, dass ihre Wahrnehmung in den Tagebucheinträgen von ihren Erinnerungen und diese wiederum von der Realität abweichen - sie ist eine unzuverlässige Erzählerin, das macht sie eigentlich nur glaubwürdiger. Ich hatte eher das Gefühl, dass sie sich zu wenig entwickelt, dass sie an irgendeinem Punkt in ihrem Leben in die verschiedenen Eigenschaften ihrer Persönlichkeit zersplittert ist und dabei das verloren hat, was nötig wäre, all diese Teile wieder zusammenzufügen. Weshalb ihr das auch nicht wirklich gelingt.


Zusammenfassend muss ich also sagen, dass auch der Schreib- und Erzählstil leider nicht wieder aufwiegen können, was mir auf Seite der Hauptfigur und ihrer Geschichte fehlt. Meine Schwierigkeiten damit, eine gewisse Nähe zur Protagonistin aufzubauen und ihre Denkweise zu verstehen, haben das Buch für mich streckenweise sehr langatmig gestaltet; bis zum Ende hat es mich auf seine Art sehr fasziniert, dennoch war es wohl einfach nicht meins.

Bewertung vom 06.10.2020
Wild like a River / Kanada Bd.1
Mohn, Kira

Wild like a River / Kanada Bd.1


sehr gut

Haven kennt nichts anderes als den Wald. Nach dem Tod ihrer Mutter vor vielen Jahren hat ihr Vater einen Job als Ranger im Jasper Nationalpark angenommen und ist gemeinsam mit seiner kleinen Tochter in eine einsame Holzhütte, ein gutes Stück entfernt von der nächsten Kleinstadt, gezogen. Bald schon verblassen Havens Erinnerungen an ihre frühe Kindheit, sie fühlt sich vollkommen wohl umgeben nur von den Bäumen und Tieren in den tiefen Wäldern Kanadas. Alles, was diese Harmonie gelegentlich stört, sind die Fragen: Wie wäre es, wenn sie in einer Stadt leben würde? Hätte sie Freunde? Ein "normales" Leben wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter auch? Und - wäre es nicht einen Versuch wert, einfach bloß um zu wissen, was sein könnte?

Da taucht eines Tages Jackson im Park auf, um ein paar Tage in der Natur zu entspannen und die Semesterferien zu genießen. Er wohnt in Edmonton, Havens früherer Heimatstadt, und während sie Jackson besser kennenlernt, kommt Haven zu einem Entschluss. Doch kann sie, das Waldmädchen, einem Leben in der Stadt wirklich standhalten?


Zunächst einmal finde ich es sehr schön, hier mal eine Protagonistin zu haben, die nicht viel mit dem Verhalten Gleichaltriger anfangen kann. Warum sind alle ständig am Handy, schreiben sich Nachrichten, statt einfach schnell 2 Minuten zu telefonieren? Was spielt es für eine Rolle, weche Kleidung man trägt, wenn der Mensch darunter doch derselbe bleibt? Ich habe mich Haven gleich sehr verbunden gefühlt.

Auch wird gerade im ersten Teil des Buches die Natur sehr eindrucksvoll beschrieben. Man hat die kleine Hütte Havens und ihres Vaters direkt vor Augen, umgeben von hohen Bäumen, in der Nähe die Wasserfälle, ein kleiner, versteckt liegender See... Die Kulisse lässt nichts zu wünschen übrig. Ich hatte anfangs die Befürchtung, dass die Natur im Laufe des Buches immer weiter in den Hintergrund rückt, doch auch während Haven in der Stadt lebt spielt der Wald weiterhin eine große Rolle für sie.

Dass sich zwischen Haven und Jackson eine Beziehung anbahnt, ist natürlich absehbar, dennoch fand ich es die meiste Zeit über nicht allzu kitschig und offensichtlich, was als nächstes passieren würde.

Der Schreibstil ist nichts Besonderes, lässt sich aber gut und flüssig lesen. Die Nebencharaktere blieben mir teils etwas zu blass, da hätte sicher noch mehr herausgeholt werden können. Dafür liegt der Fokus auf Havens beachtlicher Entwicklung, denn sie muss wirklich Einiges mitmachen, ist das Leben in der Stadt für sie doch in jeder Hinsicht ungewohnt und neu.

Insgesamt hat mir "Wild like a River" sehr gut gefallen. Eine sanfte Liebesgeschichte mit authentischen Protagonisten und interessanter Ausgangssituation vor atemberaubender Kulisse. Ich denke, alle Leser von Young-Adult-Romanen sowie Freunde von Kanada-Büchern kommen hier voll auf ihre Kosten, daher kann ich guten Gewissens eine Leseempfehlung aussprechen!

Bewertung vom 25.09.2020
Bildvagabunden
Keidner, S.C.

Bildvagabunden


ausgezeichnet

Nachdem Caro und Ryu, die die Fähigkeit besitzen, mit sogenannten Wandersteinen durch bestimmte Bilder in die darauf abgebildeten Welten zu reisen, bereits in Band 1 und 2 einige Gefahren hinter sich gebracht haben, gelangen sie ins Dämmerreich. Schon bald müssen sie feststellen, dass sie mitten hineingeraten sind in einen Krieg zwischen Mavrosryk und Soumrak, den beiden verfeindeten Völkern dieser Welt. Auf ihrer Suche nach einem Bild zur Weiterreise begegnen die beiden in den weiten Felsenlandschaften Asrah, einer weiteren Bildvagabundin, die ihnen rät, sich auf den Weg zum Hort zu machen. Denn an diesem Rückzugsort der Soumrak soll es zahlreiche Bilder geben - perfekt für Caro und Ryu. Doch der einzige Weg zum Hort wird belagert von den Kriegern der Mavrosryk und so gestaltet es sich schwieriger als gedacht, an ein geeigentes Bild zu kommen. Wie sollen Caro und Ryu in den Hort gelangen, ohne dem Feind in die Hände zu fallen?

Waren die ersten beiden Bände der Reihe bereits sehr spannend, stellt dieser Teil für mich nochmal eine enorme Steigerung dar. Mit dem Dämmerreich gelangen Caro und Ryu in eine weitere schön gestaltete Welt, die sich deutlich von allen vorangegangenen unterscheidet - wie auch die Probleme, mit denen die beiden Protagonisten hier zu tun bekommen. Man hat nicht das Gefühl, dass sich irgendetwas wiederholt, auch wenn die eigentliche "Aufgabe" - das Finden eines Bildes zur Weiterreise - ja in jeder Welt dieselbe ist. Caro und Ryu sind weiterhin sehr sympathische Protagonisten, deren Handlungen ich beim Lesen immer gut nachvollziehen konnte. Zusätzlich zu der Sichtweise der beiden Bildvagabunden bietet der dritte Band auch Einblick in zwei weitere Figuren: Einmal in Asrah, die Caro und Ryu zwar zunächst freundlich gesinnt scheint, ihnen aber doch das ein oder andere verschweigt und so im Laufe des Buches zu einer Antagonistin wird, die man jedoch gerne ins Herz schließen wird. Und zweitens in Banor, einen der Anführer der Mavrosryk-Krieger, der nicht nur Caro und Ryu gefährlich zu werden droht, sodass auch sein Handlungsstrang spannend mitzuverfolgen ist.
Die sich abwechselnden Sichtweisen sind alle durchweg fesselnd geschrieben und gestalten das Lesen sehr vielfältig. Es gibt keine Längen, die Geschichte hält ein paar unerwartete Wendungen parat und der flüssige Schreibstil sorgt gemeinsam mit der steigenden Spannung für einen sehr angenehmen Lesesog.

Mein Fazit also: Es war sehr schön, Caro und Ryu auf ihrer Reise durch eine weitere Welt begleiten zu können! Es fällt leicht, sich von der Geschichte mitreißen zu lassen und ins Dämmerreich einzutauchen. Wem die ersten beiden Bände gefallen haben, der macht auch mit dem dritten nichts falsch. Ich bin schon sehr gespannt auf die Fortsetzung!

Bewertung vom 13.09.2020
Volkswagen Blues
Poulin, Jacques

Volkswagen Blues


gut

Als Jack Waterman, ein eher unbekannter Autor mit mäßigem Erfolg, vierzig wird, stellt er fest, dass ihm etwas in seinem Leben fehlt. Womit könnte er also besser beginnen als mit der Suche nach seinem Bruder Theo, von dem er seit etwa 20 Jahren nichts mehr gehört hat? Mit seinem alten Bulli macht Jack sich also auf den Weg und begegnet unterwegs Pitsémine, die in Begleitung ihres kleinen schwarzen Katers per Anhalter unterwegs ist. Schon bald stellen die beiden fest, dass sie ein gutes Team sind, und so suchen Jack und Pitsémine, die auch die "Große Heuschrecke" genannt wird, von nun an gemeinsam nach Theo. Dabei führen sie die Spuren, denen sie folgen, einmal quer durch die USA.

Das Buch hat mich etwas unschlüssig zurückgelassen. Im Großen und Ganzen hat es mir gut gefallen, Reisebücher sind toll und bei diesem hier verspürt man sofort die Lust, sich ebenfalls in einen alten Bus zu setzen und sich in Richtung Oregon Trail aufzumachen. Trotzdem haben mir verschiedene Dinge gefehlt. Zum Beispiel wurden zwar viele Orte und Schauplätze erwähnt, die Jack und die Große Heuschrecke bestaunen dürfen, mir waren da aber tatsächlich die Beschreibungen ein wenig zu knapp. Natürlich sind seitenlange Landschaftsbeschreibungen auch nicht gerade spannend, aber in den allermeisten Fällen wurde hier irgendwie vorausgesetzt, dass man im Kopf schon die passenden Bilder parat hat; was bei mir leider nicht immer der Fall war, und das hat es mir schwieriger gemacht, mich wirklich in die Umgebung hineinzufühlen. Ebenso dazu beigetragen hat der Schreibstil, der nicht schlecht ist, mich aber auch nicht überzeugen konnte. Ich konnte keine Nähe zu den Figuren aufbauen, und obwohl ich die beiden als Leser ja gewissermaßen auf ihrem Roadtrip begleitet habe, blieben sie mir merkwürdig fremd. Vielleicht hat da auch mit reingespielt, dass über Jack häufig nur als "der Mann" gesprochen wurde, und auch "Jack" ist eigentlich nur ein Pseudonym; wer er wirklich ist erfährt man nicht wirklich, auf seine Vergangenheit wird nur ganz knapp angespielt; vielleicht sollte das so, aber bei mir hat es verhindert, dass ich eine Beziehung zu den Figuren aufbauen konnte.

Pluspunkte gibt es dafür, dass Bücher eine große Rolle spielen, es werden einige Werke amerikanischer und kanadischer Autoren erwähnt, das hat mir gut gefallen. Auch, dass immer wieder über die Geschichte bzw den Untergang der Indianerstämme gesprochen wurde, war spannend.

Mein Fazit also - ich weiß nicht. Ich glaube, das Buch hätte deutlich mehr Potenzial gehabt, als hier ausgeschöpft wurde. Das Ende lässt mich unbefriedigt zurück, denn die Botschaft wurde mir einfach nicht klar, ich weiß nicht, was mir dieses Buch sagen wollte. Um ein paar Stunden mal abzuschalten und sich auf einen kleinen gedanklichen Roadtrip zu begeben, ist es dennoch gut. Man kann es lesen, muss man aber auch nicht.

Bewertung vom 16.08.2020
Jahresringe
Wagner, Andreas

Jahresringe


ausgezeichnet

Als Leonore aus Ostpreußen fliehen muss, ist sie 21 Jahre alt. Zumindest behauptet sie das, denn als dreizehnjähriges Mädchen käme sie nicht weit. Ihr Weg führt sie immer weiter nach Westen, das ist ihr einziges Ziel - bis sie irgendwann in einem kleinen Dorf am Rand des Bürgewalds strandet, der später als "Hambacher Forst" bekannt wurde. Leonore bleibt, sie trotzt der Ablehnung, die ihr, dem Flüchtling, von den meisten Dorfbewohnern entgegengebracht wird. Auch noch nach Jahren ist sie die Fremde, fühlt sich nie vollständig angekommen in ihrem neuen Zuhause. Und doch bedeutet ihr dieser Ort viel, das wird ihr vor allem bewusst, als eines Tages Pläne für die Umsiedelung des Dorfes und seiner Bewohner geschmiedet werden. Denn der Wald soll gerodet werden, um an die großen Braunkohlevorkommen darunter zu gelangen.

Das Buch beginnt mit der Ankunft Leonores im Dorf und erzählt zunächst, wie sie sich dort ein neues Leben zu erkämpfen versucht. Der zweite Teil handelt dann von Paul, dem Sohn Leonores, während dessen Jugend das alte Dorf dem Erdboden gleichgemacht wird. Auch er sieht sich nun mit der Frage konfrontiert, was Heimat bedeutet und wo sein Zuhause ist. Im letzten Teil wiederum geht es um Sarah und Jan, Pauls Kinder. Für beide stellt der Hambacher Forst den Mittelpunkt ihres Lebens dar - für Paul wurde er zum Arbeitsplatz, Sarah bietet er einen Platz zum Leben.

Alle Figuren verbindet somit neben ihrer Verwandtschaft vor allem eines - sie sind auf der Suche, auf der Suche nach einem Zuhause, einer Heimat. Einem Ort, an dem sie bleiben und Schutz finden können. Gleichzeitig wird, zunächst wie nebenbei, die Geschichte des Hambacher Forstes erzählt, der einstmals von Karl dem Großen unter Schutz gestellt wurde und nun seinem Ende entgegensieht.


Einfühlsam, atmosphärisch und bewegend gelingt es Andreas Wagner hier mit seinem Debütroman, nicht nur die Geschichte Leonores und ihrer Familie zu erzählen, sondern leise und beinahe unbemerkt noch eine viel größere. Denn: Der Hambacher Forst steht nicht zuletzt auch symbolisch für das, was gerade im großen Stil mit der Erde geschieht. So, wie der einstige Bürgewald für viele als Heimat verloren ging, sind wir im Begriff, auch den Planeten Erde, unsere Heimat, immer weiter zu zerstören.


Ich bin sehr positiv überrascht von diesem Debütroman, der sehr angenehm zu lesen war und nachdenklich zurücklässt. Ich bin gespannt auf weitere Werke des Autors und kann eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen!

Bewertung vom 31.07.2020
Im nächsten Leben wird alles besser
Rath, Hans

Im nächsten Leben wird alles besser


gut

Arnold hat bisher eigentlich ein recht durchschnittliches, beschauliches Leben geführt: Er besitzt eine kleine Buchhandlung, mit der er seinen knappen Lebensunterhalt verdient, hat zwei bereits erwachsene Kinder und ist verheiratet. Doch als Arnold eines Morgens aufwacht, kann er zunächst nicht glauben, wie sehr sich sein Leben über Nacht verändert haben soll. Denn es ist zwar wie erwartet der 16. Februar, jedoch nicht im Jahr 2020, sondern im Jahr 2045. Arnold ist nun 73 und muss sich nicht nur in seinem plötzlich um 25 Jahre gealterten Körper, sondern auch in einer hochtechnisierten Welt zurechtfinden. Fenster sind keine Fenster, sondern nur von Nanobots erzeugte Illusion, tägliches Einnehmen von Funktionstränken hält den Alterungsprozess auf und überall trifft man auf sogenannte synthetische Charaktere, nahezu perfekte künstliche Intelligenzen in exakten Nachbildungen von menschlichen Körpern. Einer dieser synthetischen Charaktere ist Gustav, Arnolds persönlicher Assistent, der ihm im Alltag zur Seite steht. Doch Arnolds scheinbar plötzlich und unerklärlich aufgetretene Amnesie erregt Aufmerksamkeit in einer Welt, in der alles kontrolliert abläuft und in der die Superreichen an der Macht sind. Da Arnold eine potenzielle Gefahrenquelle darstellt, soll er nach Times Beach umgesiedelt werden - an einen virtuellen Ort, in den das Bewusstsein der einzelnen Menschen eingespeist werden kann, sodass sie fortan in der Realität nur noch als Datensatz existieren...

Im ersten Moment denkt man vielleicht, diese Entwicklungen seien zu weit hergeholt. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass gerade in der Technik die Fortschritte immer schneller aufeinanderfolgen, und so fragt man sich beim Lesen dieses Buches sicherlich mehr als einmal, ob so oder so ähnlich wohl tatsächlich unsere nähere Zukunft aussehen könnte. Denkbar wäre es zumindest in Teilen allemal. Ich fand diese Vorstellung einerseits irgendwie beklemmend, andererseits ist sie hochinteressant. Entwicklungen, die sich schon heute abzeichnen (etwa Fitnesstracker und Co), werden hier auf die Spitze getrieben und gleichzeitig aber auch so dargestellt, dass es durchaus vorstellbar bleibt und nicht zu abstrus wirkt. Der Schreibstil ist wie vom Autor gewohnt humorvoll, behält jedoch auch stets einen gesellschaftskritischen Unterton bei. Insgesamt lässt sich das Buch sehr gut lesen und lädt zum Nachdenken ein!

Bewertung vom 29.07.2020
Der Ruf der rosa Delfine
Montgomery, Sy

Der Ruf der rosa Delfine


gut

Direkt vorab: Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, nur hatte ich irgendwie die Erwartung, es ginge um Delfine. Ging es aber nicht, zumindest nicht so wirklich.

Dem Buch, das erstmals vor 20 Jahren erschienen ist, wurde ein zweites, aktuelles Einführungskapitel vorangestellt. Schon auf diesen ersten Seiten erhält der Leser einen erschreckenden Einblick, wie schlimm es um die Wälder des Amazonasgebietes steht und wie wenig bisher für ihren Erhalt getan wurde. Im eigentlichen Hauptteil wird dann Sy Montgomerys Reise nach Brasilien und Peru beschrieben, auf die sie sich begeben hat, um mehr über die sagenumwobenen, kaum erforschten rosa Delfine, auch Botos genannt, in Erfahrung zu bringen.

Was mir sehr gut gefallen hat, sind zum einen der gut lesbare Schreibstil, der auch kompliziertere Fakten leicht verständlich macht, und zum anderen die kleinen Illustrationen von Tieren des Amazonasgebiets, die alle paar Seiten eingestreut wurden. Insbesondere ist auch die wirklich hohe Informationsdichte an interessanten Fakten über Tier- und Pflanzenwelt, aber auch über die Lebensweise und Bräuche der Einheimischen sowie die (zu dem Zeitpunkt) aktuelle gesellschaftliche Situation hervorzuheben. Das bietet einen tollen Einblick in diese uns so fremde Welt. Besonders schön fand ich auch, dass an einer Stelle auf die zeitgeschichtliche Entwicklung eingegangen wurde.

Würde der Titel nun also "Der Ruf des Amazonas" lauten, wäre ich insgesamt vermutlich vollkommen zufrieden gewesen mit diesem Buch, das einen so schönen Rundumblick auf so viele verschiedenen Aspekte bietet und im Leser die Bilder wunderschöner Wald- und Flusslandschaften oder von Städten mit ihren Märkten voller pulsierenden Lebens hervorruft.

Da der Titel aber nunmal "Der Ruf der rosa Delfine" lautet, hatte ich automatisch die Erwartungshaltung, vorrangig auch genau das zu bekommen - rosa Delfine eben. Und ja, natürlich spielen sie eine Rolle, denn sie sind ja der Grund, aus dem die Autorin sich überhaupt erst auf diese Reise begeben hat, und auch ihr Handeln vor Ort ist größtenteils darauf ausgerichtet, den Delfinen zu begegnen. Nur will das einfach nicht so recht gelingen, da sich die Delfine gerade anfangs kaum zeigen und man sie wenn, dann auch nie vollständig zu Gesicht bekommt. Ich kann es absolut nachvollziehen, dass dadurch wirkliche Beobachtungen ungemein erschwert werden. Allerdings hatte ich gerade weil der Titel etwas von Delfinen sagt und ja auch einer auf dem Cover abgebildet ist, erwartet, dass es letztendlich doch gelingen wird. Jedoch kann kaum etwas über die Delfine in Erfahrung gebracht werden, die meisten Informationen werden noch am ehesten aus Geschichten und Sagen bezogen, die die Autorin immer wieder von Einheimischen erzählt bekommt. Leider wird das beim Lesen irgendwann eher nervig, da die Geschichten sich alle schon sehr stark ähneln, und wenn man mehr oder weniger dieselbe Geschichte gerade zum siebten Mal liest... Naja.

Am Ende des Buches bin ich mit sehr gemischten Gefühlen zurückgeblieben. Einerseits hat mir die Gestaltung des Buches sehr gut gefallen, ich fand die vielen Informationen wirklich sehr spannend und habe mich auch wirklich gedanklich ins Amazonasgebiet versetzt gefühlt. Andererseits hatte ich mich auf das Buch gefreut, weil ich die Erwartungshaltung hatte, etwas über die rosa Delfine zu erfahren, und das war leider nicht der Fall. Sie sind nach dem Lesen ein genauso großes Mysterium wie zuvor und neue Erkenntnisse über sie habe ich nicht erlangt.



Mein Fazit also: Das Buch ist wirklich gut, keine Frage, ich hatte mir nur etwas ganz anderes erhofft und bin daher etwas enttäuscht. Trotzdem schätze ich die Arbeit, die die Autorin in das Buch gesteckt hat und habe die vielen Fakten über den Amazonas sehr genossen. Ich denke, wenn man im Voraus schon weiß, dass die Delfine nur Nebenfiguren sind und nicht der Hauptgegenstand, kann man mit einer ganz anderen Sicht an das Buch herangehen. Diese Information hätte ich mir a

Bewertung vom 28.04.2020
Akkretion
Amerein, R. M.

Akkretion


sehr gut

"Wir sind der letzte Atemzug der Menschheit, Juna. Wir müssen tun, was nötig ist."

Es kam, wie es kommen musste: Die Erde ist vollkommen unbewohnbar. Gerade noch rechtzeitig werden einige Raumschiffe, die sogenannten Archen, in Richtung Alpha Centauri entsandt, um dort die Menschheit neu aufzubauen. Doch als die Besatzung der Longevity nach der langen Reise aus dem Kälteschlaf geweckt wird, ist der Schock groß - denn sie befinden sich keinesfalls in der Nähe der neuen Supererde, sondern weit entfernt in einem völlig anderen Sonnensystem. Gemeinsam mit der Themba, einer zweiten Arche, beginnt der Kampf ums Überleben, denn die Bedingungen auf jenem Planeten, welcher nun besiedelt werden soll, entsprechen keinesfalls dem, was sich die Menschen vor ihrer Reise erhofft hatten...

Die Handlung erstreckt sich über einen verhältnismäßig großen Zeitraum, um die Entwicklung der Menschen auf dem Planeten Sirona erfassen zu können. Dadurch gibt es häufiger Zeitsprünge, teils auch recht große, was jedoch kaum stört. Protagonist ist anfangs Jaron, ein Astrophysiker der ursprünglichen Besatzung, später treten dann erst sein Sohn Noah und daraufhin auch dessen Tochter Juna weiter in den Vordergrund. Verfasst ist das Ganze in der 3. Person und wir erhalten Einblicke sowohl in die Geschehnisse auf Sirona, als auch in die auf der Longevity, welche sich meist in der Nähe des Planeten aufhält und von dort wichtige Aufgaben koordiniert. Denn die Besiedelung des neuen Planeten läuft nicht ganz so reibungslos ab wie erhofft, und es tauchen immer wieder große Hindernisse auf, die es zu bewältigen gilt.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen - man fliegt förmlich durch das Buch und merkt kaum, wie die Zeit vergeht. Das wird auch noch davon unterstützt, dass die ganze Handlung durchweg sehr spannend ist: Schon ganz zu Beginn auf den ersten paar Seiten beginnt man, mit den Protagonisten mitzufiebern und mitzuhoffen, und auch gegen Ende des Buches lässt die Spannung keinesfalls nach, im Gegenteil. Längen sind schlichtweg keine vorhanden, was sicher auch den Zeitsprüngen zu verdanken ist. Durch die werden häufig zwar wichtige Entwicklungsschritte übersprungen und man sieht sich öfters mit vollendeten Tatsachen konfrontiert, doch gerade dadurch wird es ja erst möglich, die Ereignisse über mehrere Generationen hinweg so gut aufzuzeigen. An einigen Stellen hätte ich mir dennoch einen etwas tieferen Einblick in das Gefühlsleben und die Gedankenwelt der Figuren gewünscht; das kommt in meinen Augen etwas kurz und hätte einem die Protagonisten vielleicht noch etwas nähergebracht. Sympathisch und interessant waren sie aber auf jeden Fall!

Insgesamt kann ich sagen, dass ich froh bin, dass ich eine Reise in diesen weit entfernten Winkel des Universums unternehmen durfte - es hat mir sehr gut gefallen und ich hatte einige tolle Lesestunden! Ich bin schon gespannt auf weitere Abenteuer aus dieser Welt!

Bewertung vom 21.03.2020
Das Lächeln des Drachen
Büchle, Elisabeth

Das Lächeln des Drachen


sehr gut

Nach dem Tod ihres Vaters reist Olivia im Jahre 1859 auf dessen letzten Wunsch hin nach England, um dort ihre Patentante zu treffen. Als sie dort ankommt, muss sie jedoch erfahren, dass diese bereits verstorben ist. Da draußen ein Unwetter tobt, bleibt Olivia auf Drängen des Butlers hin dennoch eine Nacht auf dem Anwesen in Devonshire, welches inzwischen von Simon, dem Sohn von Olivias Patentante, alleine geführt wird. Bei Simon lässt der Aufenthalt Olivias längst vergessen geglaubte Erinnerungen und Gefühle aus Kindheitstagen auferstehen, doch nicht jeder scheint erfreut zu sein über den Besuch der jungen Lady...

Mehr als 150 Jahre später, im Jahr 2013: Nachdem vor vielen Jahren bereits ihre Eltern kaltblütig vor ihren Augen ermordet wurden, entgeht die Studentin Junia nur knapp wiederholten Entführungsversuchen. Sie flieht nach Sable Island, einer kleinen Insel vor der Küste Kanadas, wo sie bei Forschern unterkommt. Diese rufen ihren Sohn Falk zur Hilfe, um Junia zu beschützen und das Geheimnis um den Tod ihrer Eltern zu lüften. Es beginnt eine Suche voller Gefahren, die Junia, Falk und dessen Freunde schließlich bis ins England des 19. Jahrhunderts führt...


Die Geschichte ist zweigeteilt: Der erste, etwas längere Teil handelt von Olivia und Simon, der zweite von Junia und Falk. Dadurch, dass beide Geschichten nacheinander erzählt werden, kann man jeweils sehr gut darin eintauchen, da nicht ständig Ort und Zeit gewechselt werden. Beide Geschichten könnten zudem theoretisch unabhängig voneinander gelesen werden, sind hier jedoch auch wunderbar miteinander verknüpft worden! Der Wechsel fiel mir dabei relativ leicht, nach ein paar Seiten konnte ich mich bereits gut auf die neue Situation umstellen. Besonders gelungen finde ich auch, dass sich ganz klar eine Veränderung im Schreibstil feststellen lässt, sodass die Sprache jeweils sehr gut zu den Geschichten passt und beide Male auch wirklich angenehm und flüssig zu lesen ist.

Die Charaktere sind durchweg sehr gut gezeichnet, tiefgründig, individuell. Das wird auch toll an der jeweiligen sprachlichen Ausgestaltung deutlich: Wo beispielsweise Simon seinen Zweifeln, Ängsten und zurückgehaltenen Gefühlen mittels innerer Monologe Ausdruck verleiht, lässt Falk entsprechend seiner sehr offenen Art seine Freunde und den Leser ungefiltert an allen Emotionen teilhaben, indem er - man muss es einfach so sagen - wirklich sehr viel spricht. Damit gelingt es ihm mehr als einmal, angespannte Situationen zu lösen und neuen Mut zu machen. Und auch abgesehen von Falk und Simon fällt es nicht schwer, Sympathie für die verschiedenen Figuren zu verspüren.

An Spannung fehlt es in keiner der beiden Geschichten, und so lässt sich das Buch wirklich sehr gut lesen. Ich hatte eine wirklich sehr schöne Lesezeit, daher gibt es von mir 4,5 Sterne.