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Benutzername: 
mrs-lucky
Wohnort: 
Norddeutschland

Bewertungen

Insgesamt 196 Bewertungen
Bewertung vom 20.05.2021
Der erste letzte Tag
Fitzek, Sebastian

Der erste letzte Tag


sehr gut

Ein neues Buch von Sebastian Fitzek mit dem Untertitel „Kein Thriller“, hat mich gleich aufhorchen lassen. Er wird als Autor oft hochgelobt, mir persönlich liegt die Art seiner Thriller einfach nicht, die sich zu sehr an Grausamkeiten und brutalen Details weiden, ich mag es eher subtiler.
Ein humorvoller und zugleich dramatischer Roadtrip klingt dagegen interessant genug um auszutesten, ob Fitzek mich in einem anderen Genre mehr überzeugen kann. Der Titel „Der erste letzte Tag“ gibt schon einen kleinen Hinweis dazu, welches Thema im Mittelpunkt steht. Als Livius Reimann von München zurück nach Berlin reisen will, wird sein Flug aufgrund des Schneewetters abgesagt. Die verfügbaren Leihwagen sind begrenzt, so dass Livius sich für die Reise mit der jungen und extravaganten Lea von Armin zusammenschließt. Mit ihrer forschen Art schafft es Lea schnell, Livius in provokante Diskussionen zu verwickeln und ihn zu überreden, sie bei einem Experiment zu unterstützen. Wie wäre es, einen Tag so zu leben, als wenn es der letzte wäre? Ehe Livius sich versieht ist er Teil des Experiments und gerät in zum Teil absurde Situationen, die er sich nicht in seinen Träumen ausgemalt hätte.
Die Geschichte ist überspitzt, bringt in einigen Szenen zum Lachen, um einen dann im nächsten Moment mit einem Paukenschlag auf den Boden zurück zu holen oder gar die Tränen in die Augen zu treiben. Lea überrumpelt Livius immer wieder im Verlauf der reise mit ihren spontanen Einfällen und erkennt sehr schnell, wie sie ihn dazu lenken kann, bei ihren Ideen mitzumachen.
Das Buch beginnt eher verhalten, erinnert thematisch stark an Geschichten von Nicolas Sparks, gewinnt aber im Verlauf mehr an Tiefe und Originalität. Viele Dialoge lassen den flüssigen und leichten Erzählstil noch lebendiger wirken.
Ich habe das Hörbuch gehört, in dieser Fassung unterstreicht der oft sarkastisch wirkende Erzählstil Simon Jägers die Stimmung der Geschichte. Obwohl es sich dabei um eine gekürzte Fassung handelt, hatte ich diesmal nicht den Eindruck, dass etwas fehlt. Hut ab für dieses Buch, dass mich positiv überrascht hat. Fitzek hat offenbar mehr drauf, als „nur“ Thriller zu schreiben, mir gefällt es auch, dass er sich bei diesem Genrewechsel nicht wie viele andere Autoren hinter einem Pseudonym versteckt.

Bewertung vom 03.05.2021
Rattenkönig (eBook, ePUB)
Engman, Pascal

Rattenkönig (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Bei dem Thriller „Rattenkönig“ von Pascal Engman ist die Geschichte so vielschichtig und greift so viele Interessante Aspekte auf, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.
Zu Beginn wird eine junge Frau, Emelie Rydén, tot in ihrer Wohnung in Stockholm aufgefunden, getötet durch mehr als mehr zwanzig Messerstiche. Emelie hatte sich gerade von ihrem Freund Karim Laimani getrennt, der im Gefängnis noch einen kleinen Rest seiner Haftstrafe absitzen muss, da sie mit einem neuen Partner ein neues Leben in Malmö beginnen wollte. Vanessa Frank, die bereits im ersten Band der Reihe mit dem Titel „Feuerland“ eine Hauptrolle gespielt hat, wird an den Ermittlungen beteiligt und bekommt schnell den Eindruck, dass hier irgendetwas nicht stimmt.
Ein weiterer Handlungsstrang folgt Jasmina Kovac, einer jungen Reporterin der Zeitung „Kvällspressen“, die unter anderem zum #Metoo-Thema recherchiert und auf grausame Weise nicht nur selber zum Opfer grausamer Gewalt wird, sondern auch durch einen Kollegen und ihren selbstherrlichen Chef Frauenhass und -diskriminierung erleiden muss.
Gewalt gegen Frauen in verschiedener Form zieht sich wie ein roter Faden durch den Thriller, wobei es der Autor schafft, neben dem Einfluss von Journalisten auch die zunehmende Bedeutung der sozialen Medien eindrucksvoll und in teils verstörenden Bildern in Szene zu setzen.
Tom Lindbeck ist ein weiterer Charakter, der mir beim Lesen eine Gänsehaut verschafft hat. Er steht beispielhaft für die Gruppierung der sogenannten Incels, jungen Männern, die den Frauen die Schuld dafür geben, dass sie keine Partnerin finden. Ihre schnell wachsende Zahl ist ebenso beängstigend wie der in Gewalt ausschlagende Hass auf Frauen, der nicht nur in den Foren verbreitet wird sondern auch in der Realität ausgelebt. Mit Tom Lindbeck zeigt der Autor auf erschreckende Weise, wie sich dieser Hass immer weiter entwickelt und zu fatalen Aktionen führen kann.
Der Spannungsbogen ist hoch, es passiert viel, die klare Gliederung der Geschichte sorgt jedoch dafür, dass man nicht den Überblick verliert.
Neben den teils drastischen und brutalen Szenen gibt es aber immer wieder auch Ruhephasen, kleine Nebenhandlungen, die die Geschichte auflockern. Dazu gehört die liebevolle Beziehung der Obdachlosen Eva Lind und Börje Rohdén, die eine wichtige Rolle spielen, oder auch die Szenen zwischen Nicolas Paredes, einem weiteren Protagonisten, der schon aus dem ersten Band bekannt ist, und Celine, dem 12-jährigen und frühreifen Mädchen aus seiner Nachbarwohnung.
Es fasziniert mich immer wieder, wie der Autor mit knappen Worten und Sätzen eine derartige Intensität schafft, in gewalttätigen Szenen ebenso wie in kleinen zwischenmenschlichen Beziehungen, die nebensächlich scheinen aber die Geschichte so lebendig und real wirken lassen.
Es ist schwierig, die ganze Bandbreite dieses Thrillers in einer Rezension wieder zu geben, wer Thriller mag, dem kann ich diesen Band sehr empfehlen.

Bewertung vom 28.04.2021
Der schwarze Sommer / Kommissar Tommy Bergmann Bd.5 (eBook, ePUB)
Sveen, Gard

Der schwarze Sommer / Kommissar Tommy Bergmann Bd.5 (eBook, ePUB)


sehr gut

In Gard Sveens Thriller „Der schwarze Sommer“ ermittelt Tommy Bergman erneut in einem spannenden Spionagefall mit Bezug in die Vergangenheit.
Im Sommer 2017 wird in Oslo bei der Explosion einer Autobombe der ehemalige Botschafter Leif Wilberg getötet, während seine Frau Hannah spurlos verschwindet. Tommy Bergman, der unweit der Unglücksstelle wohnt, ist als einer der ersten zur Stelle und sehr betroffen von der Grausamkeit der Tat, bei der auch unschuldige Passanten getötet und schwer verletzt werden. Bergman arbeitet inzwischen für den Verfassungsschutz, wo er mit seiner Einstellung und seinen Alleingängen ähnlich aneckt, wie vorher bei der Polizei. Als er in diesem Fall ermittelt, stößt er schnell auf Ungereimtheiten, die auf ein größeres Geheimnis schließen lassen.
Der Leser folgt einerseits Thommy Bergmann und den Ermittlungen im Jahr 2017, die Zusammenhänge erschließen sich schrittweise mithilfe von Rückblenden in das Jahr 1982, als sich Leif Wilberg und seine spätere Frau Hannah in unterschiedlichen Funktionen in Beirut aufhalten. Die Stadt steckt mitten im Bürgerkrieg und wurde gerade von den Israelis besetzt, die Lage wird auch für europäische Bewohner stetig kritischer, Hannah erlebt als Krankenschwester täglich hautnah das Leid durch die Gräueltaten der verfeindeten Parteien. Dies ist der 5. Teil der Reihe um den Hauptcharakter, er ist in sich abgeschlossen, bezieht sich jedoch in einigen Teilen auf die Vergangenheit Tommy Bergmanns und seine persönliche Entwicklung. Die Geschichte ist wie schon in den Bänden zuvor komplex, die Schilderungen bisweilen schonungslos aber dabei nie überzogen brutal. Die Handlung greift tief in politische Verwicklungen auf, meine Kenntnisse reichen nicht aus, um zu beurteilen, wie weit diese der Realität entsprechen oder nahekommen, auf mich wirkt der Hintergrund jedoch gut recherchiert.
Insbesondere der in der Vergangenheit spielende Teil besitzt eine sprachliche und inhaltliche Intensität, die Bilder schafft, die man so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommt. Einige Entwicklungen lassen sich schnell erahnen, dennoch bleibt viel Raum für Spekulationen, unerwartete Wendungen erhöhen die Spannung. Mir hat es gut gefallen, dass die persönliche Geschichte Tommy Bergmans mit seinen oft sehr düsteren Stimmungen weniger Raum bekommen hat als in anderen Bänden.
Gard Sveen hat auch hier wieder eine packende Geschichte erzählt, vielleicht nicht der stärkste Band der Reihe aber in sich schlüssig und überzeugend.

Bewertung vom 25.04.2021
Kronsnest
Knöppler, Florian

Kronsnest


ausgezeichnet

Der Roman „Kronstnest“ von Florian Knöppler ist ein bemerkenswertes Debüt, das eines der Lesehighlights meines Jahres bleiben wird, und das nicht nur, weil er in der Nähe meines Heimatortes spielt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 15-jährige Hannes, der Ende der 1920er Jahre in der Elbmarsch in der Nähe der Krückau auf einem ärmlichen Bauernhof aufwächst und seinem Vater bei den anfallenden Arbeiten zur Hand geht. Hannes ist ein aufgeweckter, sensibler Junge, der in der Schule unter Mobbing zu leiden hat und es dem strengen Vater auf dem Hof nie recht machen kann. Von seiner Mutter hat Hannes die Liebe zu Büchern geerbt, die ihm eine Flucht bieten aus dem tristen Alltag ebenso wie die aufkeimende Freundschaft zu Mara, der Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers, die ihn zu Ausflügen mit gleichaltrigen Jugendlichen mitnimmt.
Die Geschichte wird in ruhigem Ton erzählt, der Autor versteht es, mit wenigen prägnanten Worten deutliche Bilder zu schaffen von dem Leben der damaligen Zeit, der Landschaft, die mal lieblich mal rau daherkommt, und dem arbeitsreichen Alltag auf den kleinen Höfen in der Elbmarsch. Die Wirtschaftskrise macht auch den Bauern zu schaffen, es wird zunehmend schwerer rentable Preise zu erzielen, das bereitet auch in dieser Gegend dem aufkeimenden Nationalsozialismus offenen Türen.
Hannes steht nicht nur an der Schwelle zum Erwachsenwerden und muss mit wechselnden Gefühlen kämpfen, auch das Leben um ihn herum befindet sich im Wandel und macht es ihm schwer, seinen Platz zu finden.
Der Leser begleitet in erster Linie Hannes Entwicklung aber auch die einiger seiner Freunde, die in zum Teil ganz unterschiedlichen Bedingungen aufwachsen. Dabei entsteht eine zunehmende Nähe insbesondere zu der Hauptfigur, man kann seinen Erlebnissen und tiefsten Gedanken folgen. In vielen Szenen ist es dabei gerade das Ungesagte, das tief nachhallt, eine ganz besondere Atmosphäre schafft und die Figuren so real erscheinen lässt. Mir hat der Stil dieser Geschichte ausgesprochen gut gefallen, die knappen Worte, die Pausen und die manchmal bedächtige Art und Weise der Charaktere passen gut zu der Gegend und den Menschen, die dort leben. Einerseits haben viele der geschilderten Szenen den Charakter eines Gemäldes, dann wieder lassen sie viel Raum für Kopfkino.
Ich wünsche diesem Debüt eine breite Aufmerksamkeit, da ich es sowohl inhaltlich als auch sprachlich bemerkenswert finde, und freue mich darauf, dass bereits die Veröffentlichung der Fortsetzung in Planung ist. Auf Ausflügen nach Kollmar und Glückstadt werde ich die Landschaft mit anderen Augen betrachten.

Bewertung vom 19.03.2021
Montecrypto (eBook, ePUB)
Hillenbrand, Tom

Montecrypto (eBook, ePUB)


sehr gut

Tom Hillenbrands neuer Thriller „Montecrypto“ erinnert im Stil sehr an seine Science-Fiction Bände „Hologrammatica“ und „Qube“, spielt aber in diesem Fall in einer näheren Zukunft und steigt tief in die Finanzwelt ein.
Nach dem Tod des Start-Up Gründers Greg Hollister engagiert seine Schwester den Privatdetektiv Ed Dante, um dessen in Kryptowährung angelegtes Privatvermögen zu finden. Es beginnt eine Schatzsuche, die sich von den digitalen Medien geschürt bald einem Shitstorm gleich ausbreitet. Zusätzlich muss Ed Dante feststellen, dass sich außerdem Geheimdienste und zweifelhafte ausländische Gruppierungen für das Vermögen Hollisters interessieren und sich hinter dieser Schatzsuche ein ausgemachter Finanzskandal verbergen könnte.
Von Bitcoin habe ich schon gehört, Details zu dem Umgang waren mir bislang fremd: Ed Dante kennt sich als ehemaliger Wallstreetbanker zwar in der Finanzwelt aus, bei digitalen Währungen und den Geschäften um die verschiedenen Kryptowährungen hat jedoch auch er noch einiges dazuzulernen. Ein großer Teil der Geschichte dreht sich um Erklärungen zu Hintergründen der digitalen Geldflüsse und geschäftlichen Verflechtungen Greg Hollisters und seiner Kompagnons. Wer wie ich nicht vom Fach ist, dem schwirrt dabei schnell mal der Kopf, ich musste das Buch ab und an beiseite legen, weil mir die theoretischen Ausführungen zu weitschweifend waren. Die Fülle an technischen Begriffen und Ausführungen lässt auf eine akribische Recherche schließen, da das Thema sehr speziell ist und viele Erklärungen notwendig macht, kommt die Spannung etwas kurz. Es gibt einige actionreiche Szenen, von einem Thriller ist das Buch in meinen Augen weit entfernt.
Ansonsten gefällt mir Hillenbarnds Erzählstil, es gibt immer wieder auch amüsante Szenen, der typische Humor zeigt sich besonders in der Figur Ed Dantes, ein sehr spezieller und interessanter Charakter, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt und damit die Geschichte auflockert.
Wenn man sich auf die Geschichte einlässt und am besten noch etwas Hintergrundwissen über Bitcoin mitbringt, findet man hier einen amüsanten und spitzfindigen Finanzkrimi, mir persönlich liegt die Science Fiction Welt aus Hologrammatica mehr.

Bewertung vom 14.03.2021
Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1 (eBook, ePUB)
Hancock, Anne Mette

Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Braucht die Lesewelt noch eine neue Thriller-Reihe? Vermutlich nicht, bei skandinavischer Spannungsliteratur kann ich trotzdem selten nein sagen, erst Recht nicht, wenn wie in diesem Fall der Auftakt „Leichenblume“ der Autorin Anne Mette Hancock laut Werbung sogar Jo Nesbø und Jussi Adler-Olsen den Rang abläuft.
Die Geschichte spielt in Kopenhagen, Hauptfigur ist die Journalistin Heloise Kaldan, die sehr überrascht ist, als sie Briefe bekommt von einer mutmaßlichen Mörderin, die sich seit ihrer brutalen Tat vor einigen Jahren auf der Flucht befindet. Zudem enthalten die Briefe Details aus Heloise Leben, die eigentlich niemand außer ihr wissen dürfte. Was will Anna Kiel mit ihren mysteriösen Briefen Heloise mitteilen? Sie beginnt, Nachforschungen zu dem alten Fall anzustellen und in Annas Umfeld zu recherchieren. Zur selben Zeit erhält Kommissar Erik Schäfer Hinweise über Anna Kiel und nimmt neue Ermittlungen auf. Als ein weiterer Mord geschieht und Heloise mit Schäfer zusammentrifft, muss sie sich entscheiden, ob sie mit der Polizei zusammen arbeiten oder ihre eigene Story verfolgen will.
Die Geschichte ist spanend und wendungsreich, als Thriller würde ich ihn jedoch nicht einstufen, an die Intensität und Komplexität von Nesbø und Adler-Olsen kommt zumindest dieser Auftaktband nicht heran. Allerdings ist die Kombination aus journalistischen und kriminologischen Ermittlungen vielversprechend und sorgt für einen abwechslungsreichen Verlauf. Das Thema um Pädophilie und Selbstjustiz ist brisant, der Leser wird immer wieder auf falsche Fährten gelockt. Die Autorin lässt den Leser an vielen Stellen über die Zusammenhänge mitspekulieren, versucht aber etwas zu oft, Spannung zu erzeugen, in dem sie Tatsachen unausgesprochen lässt. In meinen Augen werden die Hauptthemen zu oberflächlich abgehandelt, da könnte man mehr einsteigen und Spannung erzeugen.
Die Hauptfiguren wirken authentisch und sind interessante Charaktere, allerdings sind es eher die Nebenfiguren, die polarisieren und beim Lesen starke Gefühle hervorrufen. Heloise und Schäfer wirken dagegen eher blass, andererseits bleibt so Potential zur weiteren Entwicklung in folgenden Bänden.
Der Vergleich mit Nesbø und Adler-Olsen ist aus meiner Sicht etwas unfair und weckt zu hohe Erwartungen, für sich genommen und eher als Krimi betrachtet, bietet dieser Auftaktband spannende Unterhaltung und weckt Lust auf mehr.

Bewertung vom 13.03.2021
Als wir uns die Welt versprachen (eBook, ePUB)
Casagrande, Romina

Als wir uns die Welt versprachen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Als wir uns die Welt versprachen“ erzählt Romina Casagrande nicht nur eine bewegende Geschichte, sondern macht zudem aufmerksam auf ein wenig rühmliches Stück Zeitgeschichte. Vom 17. Jahrhundert an wurden jährlich bis zu 4000 Kindern aus verschiedenen Alpenregionen als Arbeitskräfte auf Höfe überwiegend in Schwaben gebracht. Aufgrund zunehmender Armut in den ländlichen Bergregionen zogen die Kinder vor Beginn des Frühjahrs über die Berge nach Norden, um dort auf „Kindermärkten“ an die Bauern weitervermittelt zu werden.
Edna, Hauptfigur des Romans, gehört zu einer der letzten Generationen, die kurz vor dem 2. Weltkrieg diesen Weg gehen muss und auf einem Hof in der Nähe Ravensburgs landet. Dort lernt sie den gleichaltrigen Jacob kennen, der sie gegen die harte Behandlung auf dem Hof zu schützen versucht. Das Schicksal trennt die beiden, Edna fühlt sich Jacob gegenüber jahrelang schuldig, dass sie nur seinen Vornamen kennt, macht es ihr unmöglich, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Sie ist fast 90 Jahre alt, als sie in einer Zeitschrift ein Bild von Jacob entdeckt. Um endlich ihre Schuld begleichen zu können, bricht sie auf zu einer lange vorbereiteten Reise, die sie auf der Route zurück nach Ravensburg führt, die sie vor vielen Jahren als Kind genommen hat. Mit dabei ist auch Endas Papagei Emil, der damals auf dem Hof insbesondere Jacob viel bedeutet hat.
Der Roman wird in zwei Zeitebenen erzählt, neben der aktuellen Reise bekommt der Leser in Rückblenden Einblicke in das beschwerliche Leben Ednas auf dem Hof und die Historie der Schwabenkinder. Insbesondere die Schilderungen aus kindlicher Sicht erzeugen mit ihrer Schlichtheit und ihrem emotionalen Gewicht ein Gefühl der Beklommenheit.
Ednas Reise scheint zunächst unter keinem guten Stern zu stehen, sie muss einige Hürden überwinden, wirkt zudem verwirrt und nicht in der Verfassung, diesen schweren Weg zu überstehen. Diese Reise ist nicht nur physisch für sie eine Herausforderung, sondern auch ein Weg zurück in ihre Vergangenheit zu lange verschlossenen Erinnerungen.
Die Autorin schafft es, dieses ernste Thema auf eine unterhaltsame Weise aufzuarbeiten. Ednas manchmal schrullig wirkende Art lockert die Geschichte ebenso auf wie ihre zum Teil komisch anmutenden Begegnungen. Die Geschichte ist bewegend und regt zum Nachdenken an über den Umgang der Menschen miteinander, Freundschaft und Loyalität aber auch das Loslassen und Vergessen.

Bewertung vom 28.02.2021
Hard Land
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

ein intensiver Roman über einen bittersüßen Teenagersommer mit viel Flair der 80er Jahre:
„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“ Dieser erste Satz aus Benedict Wells aktuellem Roman „Hard Land“ sagt kurz gefasst aus, worum es in dieser Geschichte geht. Liebe und Tod, Freude und Leid sind einerseits gegensätzlich, stehen hier jedoch eng beieinander und symbolisieren die widersprüchlichen Gefühle, mit denen die Hauptfigur zu kämpfen hat. Schon der erste Satz wirkt wie ein Peitschenhieb und ist einer von vielen Sätzen, für die man beim Lesen Zeit zum Verarbeiten braucht.
Die Geschichte spielt im Sommer 1985 in der kleinen Stadt Grady irgendwo in Missouri. Sam ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt, ein eher schmächtiger und schüchternen Junge, dessen bester Freund vor kurzem weggezogen ist, so dass Sam mit Grauen an die bevorstehenden 12 Wochen der Sommerferien und die damit verbundene Langeweile denkt. Zudem sorgt die Krebserkrankung seiner Mutter, die jederzeit wieder auszubrechen droht, bei ihm zuhause für eine bedrückende Stimmung. Um diesem zu entgehen, nimmt Sam einen Ferienjob im örtlichen Kino an und findet Anschluss an eine Clique von Jugendlichen, die etwas älter sind als er und kurz vor dem Wechsel zum College stehen.
Der Roman ist ein Buch über das Erwachsenwerden, es spiegelt die wechselnden Gefühle eines Teenagers zwischen Freundschaft und erster Liebe einerseits, Verlustängsten und Abschied andererseits. Sam erlebt einen sehr intensiven Sommer, strampelt sich gewissermaßen frei von seinen Eltern, was in diesem Alter ein normaler Prozess ist, für Sam durch den Tod seiner Mutter jedoch eine weit größere Tragweite erlangt und in ihm Gefühle weckt, an denen er zu zerbrechen droht.
Es ist faszinierend, wie es Benedict Wells gelingt, die unterschiedlichen Stimmungen in diesem Roman einzufangen. Man spürt, wie nahe ihm die Figuren stehen, wie lange er an diesem Roman gearbeitet hat, um diesen bittersüßen Sommer in lebendigen Bildern wirklich werden zu lassen. Bei mir mag mitspielen, dass ich selbst zu dieser Zeit aufgewachsen bin mit den Coming-Of-Age Filmen, die diesen Roman geprägt haben, aber auch mit „Zurück in die Zukunft“, dessen Held Marty McFly auf Sam großen Einfluss besitzt, oder auch den Songs von Billy Idol, dessen „Dancing With Myself“ durch das ganze Buch mitschwingt.
Trotz der nostalgischen Anmutung ist das Thema alles andere als veraltet, ich erkenne auch meine eigenen Kinder wieder, die jetzt im selben Alter sind wir die Figuren des Buches, und die heute an einem ähnlich Umbruchpunkt ihres Lebens stehen mit einer ähnlichen Achterbahn der Gefühle. Für mich ist dies ein großartiger Roman, mit seiner unglaublichen Intensität und seinen liebevoll angelegten Charakteren hat er mich ebenso zum Schmunzeln gebracht wie zu Tränen gerührt.

Bewertung vom 22.02.2021
Homefarming (eBook, ePUB)
Rakers, Judith

Homefarming (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Jetzt, wo der winterliche Frost nahtlos in Frühlingstemperaturen über gegangen ist, kommt Judith Rakers Buch mit dem Titel „Homefarming“ genau richtig.
Ein wenig Erfahrung habe ich schon mit dem Gärtnern, Rückschläge sorgen jedoch immer wieder zu Demotivation, Gartenbücher sind mir oft zu wissenschaftlich oder auf größere Flächen ausgelegt, als mir zur Verfügung steht.
An Judith Rakers aus dem GU-Verlag gefällt mir besonders, dass aus ihren eigenen praxisnahen Erfahrungen berichtet, und Anfängern Mut macht, auch ohne grünen Daumen zu gärtnerischen Erfolgen zu kommen. Das Buch enthält viele pragmatische Tipps und hilfreiche Hinweise, wie Fehler vermieden werden können.
Die Gliederung und Bebilderung finde ich sehr ansprechend, die Themenauswahl reicht vom Anlegen des ersten Beetes bis zur Verarbeitung der geernteten Produkte, dazu gibt es nicht nur Tipps zur Auswahl pflegeleichter Obst- und Gemüsesorten sondern auch zur Düngung oder Schädlingsbekämpfung. Dabei hat man nie den Eindruck, von Informationen erschlagen zu werden, kleine Geschichten aus Judith Rakers eigenen Erlebnissen mit ihrem Garten lockern die Lektüre auf. Dazu gibt es am Ende der Kapitel Kästen einer Zusammenfassung der wichtigsten Infos.
Der Ratgeber wendet sich auch an Leser, die über keinen eigenen Garten verfügen, sondern auf dem Balkon oder der Fensterbank Kräuter und Gemüse ziehen wollen, das würde ich jedoch eher als Ergänzung sehen, dieser Bereich bildet nur einen kleinen Bereich des Buchs und lohnt aus meiner Sicht die Anschaffung nicht.
Die Haltung von Hühnern nimmt ebenfalls einigen Umfang der 240 Seiten ein, ist sehr speziell und sicher nicht jedermanns Fall. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Aus den Schilderungen Judith Rakers klingt eine Begeisterung, die Ansteckend wirkt, ich habe schon einige Pläne für das kommende Frühjahr geschmiedet unter anderem für ein Hochbeet und den Anbau von Kartoffeln. Jetzt warte ich sehnsüchtig darauf, dass die Gartenmärkte in ein paar Tagen wieder öffnen und ich loslegen kann.

Bewertung vom 19.02.2021
Die Mitternachtsbibliothek (MP3-Download)
Haig, Matt

Die Mitternachtsbibliothek (MP3-Download)


sehr gut

In seinem aktuellen Roman „Die Mitternachtsbibliothek“ setzt sich Matt Haig erneut mit dem Thema Depressionen auseinander, das ihm aus eigener Erfahrung sehr am Herzen liegt.
Nora Seed ist Mitte dreißig, als sie in ihrem leben einen Tiefpunkt erreicht. Nach vielen privaten Tiefschlägen gehen ihre sozialen Kontakte gegen Null, ihr Job wurde ihr gekündigt, und dann wird auch noch am selben Tag ihr Kater Voltaire tot am Straßenrand aufgefunden. Es ist kurz vor Mitternacht, als Nora beschließt zu sterben und sich unversehens statt im Jenseits in einer scheinbar unendlichen Bibliothek wieder findet. In der Mitternachtsbibliothek stehen nicht nur die Zeiger der Uhren still, auch die Bücher dort sind etwas besonderes. Sie erzählen die Variationen von Noras Leben, die möglich geworden wären, wenn sie andere Entscheidungen getroffen hätte. Nun bekommt Nora die Möglichkeit herauszufinden, welche Entscheidungen sie bedauert. Jedes Buch führt sie in eine andere parallele Welt, in der sie in ihr Alter Ego schlüpfen und erfahren kann, ob sich dieser Lebensweg für sie besser anfühlt.
Die Idee hinter diesem Buch ist ebenso zauberhaft wie seine Umsetzung. Vermutlich wird jeder Mensch schon einmal eine Entscheidung bereut haben oder sich gefragt haben, wie sein Leben anders hätte verlaufen können.
Der Einstieg in die Geschichte ist düster, Noras depressive Gedanken sind schwer zu ertragen, sie ertrinkt in Selbstmitleid und scheint sich kein selbst Glück zu gönnen. In der Mitternachtsbibliothek wird sie gezwungen, sich mit sich selbst und ihrem Leben auseinander zu setzen. Hier liegt für mich einer der Haken der Geschichte, denn durch die Bücher wird Nora in eine andere Version ihres Lebens versetzt, muss sich dort in einer fremden Umgebung zurecht finden, weiß nicht, wie sich ihr anderes Ich in dieser Welt verhält, und mit wem es Umgang hat. Das sind stressige Situationen, in denen man aus meiner Sicht nicht wirklich empfinden kann, ob man sich in diesem Umfeld wohl fühlt.
Dennoch ist der Gedanke reizvoll erleben zu dürfen, was einem im Leben entgangen ist, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Auch Nora wird schnell klar, dass anders nicht unbedingt besser sein muss. Im Vergleich zu diesen unzähligen Möglichkeiten lernt sie nach und nach zu schätzen, was sie in ihrem eigenen Leben hat. Nora verfügt über viele Talente, die sie nicht ausgelebt hat, hier sehe ich eine weitere Schwäche des Romans. Ihre Figur verfügt über sehr viel Potential, was hier zu interessanten Geschichten führt, es dem Leser aber schwer macht, sich in ihr wieder zu finden.
Insgesamt ist dies ein Buch, das Mut macht, man selbst zu sein mit allen Stärken und Schwächen, sich auf das Wesentliche zu besinnen, das uns ausmacht. Der Roman enthält viele philosophische Gedanken und das nicht nur, weil Nora Philosophie liebt und studiert hat. Die Sprache bleibt dennoch einfach, die Geschichte ist bildhaft und sehr lebendig erzählt und lässt dennoch Raum für eigene Gedanken.
Anette Frier vermittelt bei der Hörbuchfassung sehr authentisch Noras unterschiedliche Stimmungen und lässt die Geschichte lebendig werden.