Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2008
Die Wahrheit über Bebe Donge
Simenon, Georges

Die Wahrheit über Bebe Donge


ausgezeichnet

Lebensentwürfe. die scheitern, Ehe, die eine Farce sind, Verbrechen, die Genial erscheinen und in sich zusammenfallen und alle Arten von Neurosen und Sehnsüchten, begleiten uns in Simenons Welt. In der schwarzen Idylle der Donge kennt sich Simenon aus. Die Lügen liegen auf der Hand, sie sind nicht von der Art, dass sie ein ganzes Leben durchgehalten werden. Sie drängen ans Tageslicht, sie verlangen eine Lösung, sie ernten ein Verbrechen. Am Ende ist man froh, dass die Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wird, und man nicht für den Rest seines Lebens hinter Gittern sitzen muss. Die Wahrheit über Bébé Donge ist ein Kammerspiel, und wie oft bei Simenon, ist das Spiel mit den Gefühlen das, was einen am Ende umbringt. Keiner von Simenons unvergesslichen Romanen, aber wie zumeist beste Unterhaltung.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2008
Nachtgewächs
Barnes, Djuna

Nachtgewächs


ausgezeichnet

Aus dem normalen Leben geworfen zu werden, ist mitunter gefährlich. Zwar hofft jeder, dass sein Leben noch etwas Abenteuer bietet, aber den Schritt hinaus zu wagen, trauen sich nur wenige. Ist man erst mal ausgestiegen, beginnt der Boden zu schwanken. Nichts ergibt sich mehr von selbst, mag die Vorstellung von Freiheit auch noch so konkret gewesen, die Fesseln abgeworfen sein. Djuna Barnes wußte, wovon sie erzählte. Der Titel ihres Romans ist Programm. Die Pracht der Nachtgewächse wird nur von denen entdeckt, die sie suchen. Barnes Helden treiben umher, wie aus dem Nest geworfen, übereignen sie sich ihren Sehnsüchten und setzen ihr Leben ein, was nur tragisch enden kann. Barnes ist mit diesem Roman ein faszinierendes Portrait der Lost Generation gelungen, die jedes Jahrhundert auf seine Art hervorbringt. Es sind nicht die, die irgendwo am Rand zurückgelassen werden, eher jene, die vorwärts drängen, nicht mehr zu halten sind, über die Grenze stürzen und verbrennen. Barnes erzählt davon mit einer Liebe für ihre Figuren, die sie nicht zu Schatten-, vielmehr zu Nachtgewächsen macht. Man muss sie suchen, lesen, dann findet man sie auch.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2008
In alter Vertrautheit
Wallace, David Foster

In alter Vertrautheit


ausgezeichnet

Wer lesen möchte, was es bedeutet, mit Erzählungen auf der Höhe der Zeit zu sein, der sollte sich David Foster Wallace anvertrauen. Nicht nur, dass er dem Dialog offensichtlich misstraut, ihn wenn überhaupt indirekt wiedergibt, er scheut auch nicht davor zurück, die Sprache der modernen Welt zu benutzen, um seine Figuren darin einzupacken. In Mister Squishy dringt Foster in die Welt der Werbeindustrie ein, sieht sich den Gefahren der Vermarktung eines Schokoriegels ausgesetzt und schafft es trotz aller Werbeblase, Marktanalysen die Menschen dahinter zu zeigen. Das ist nicht einfach zu lesen. Nicht unbedingt als Nachttischlektüre geeignet, auch Freunde von Schmökern werden nicht unbedingt Gefallen daran finden. Wallace entführt uns nicht in eine fremde Welt, er zeigt sie uns, hält sie uns wie einen Happen hin. Wer sich auf Wallace einläßt, wird mit Geschichten verwöhnt, die ihm keiner nachmacht. Seine Sprache reißt mit und verstört. Wie packend einfach er zu erzählen versteht, beweist er in der Inkarnation gebrannter Kinder, die so lebensecht nachgezeichnet ist, dass einen das Grauen packt. Ob Heuchler, ob Lehrer durchdrehen, ob einen bei einem Flug einem Passagier dunkle Ahnungen befallen, Foster ist der Mann, um davon zu erzählen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2008
Die Lehre der Sainte-Victoire
Handke, Peter

Die Lehre der Sainte-Victoire


sehr gut

Peter Handkes Werk schwankt zwischen sprachlicher Vollendung und mythischem Überschwang, bei dem der Gegenstand seiner Betrachtung nicht selten überladen erscheint. Anders in Die Lehre der Sainte-Victoire, wo er sich einem Gemälde Paul Cézannes verschreibt und dessen Impressionismus sprachlich annähert. Er streift durch die Landschaft, dessen Gebirge Cézanne immer wieder zum Gegenstand seiner Betrachtung machte. Wo der Maler ein Bild für die Wirklichkeit zu finden suchte, bemüht sich Handke um einen sprachlichen Ausdruck. So entführt Handke uns aus der Hektik der modernen Welt zurück in die Beschaulichkeit eines Umherschweifens, des Flanierens, bei dem er Betrachtungen, wie Erfahrungen sammelt. Wie ein Maler scheint er den einen Augenblick zu suchen, den es festzuhalten gilt. Sprachlich virtuos, läßt der schmale Band Augenblicke der Muße zurück.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2008
Homo faber
Frisch, Max

Homo faber


ausgezeichnet

Was als Bericht angekündigt ist, einem stellenweise autobiographisch erscheint, kommt gegen Ende mit der Wucht der Tragödie daher. Ein Ingenieur trifft auf hoher See eine junge Frau, verliebt sich in sie und muss feststellen, dass es sich bei ihr um die eigene Tochter handelt. Das ist ein Stoff, aus dem antike Tragödien geschmiedet sind, deren ehernes Urteil über den Menschen wie ein Fanal von Generation auf Generation überliefert wird. Frisch entstaubt dies alles. Sein Bericht, wie er ihn nennt, hat von seiner erzählerischen Kraft bis heute nichts verloren. In Homo Faber irren Sabeth und Faber durch Frankreich, müssen die Hinterbliebenen mit ihren Lügen zu leben lernen und den Tod akzeptieren, der einen Schlussstrich zieht, einen alleine zurück läßt. Es gibt keine Umkehr für Faber. Weit über die letzte Seite hinaus kommt einem dessen Schicksal so nahe, dass uns die Frage, wie dieser Mann weiterlebt, umtreibt. Das vermögen nur wenige Geschichten. Sie haften in der Erinnerung. Faber, Sabeth und Hanna, ihr auf tragische Weise verknüpftes Schicksal wirft all die Fragen auf, auf die es keine endgültige Antwort gibt, und macht das Lesen zu einer faszinierenden Reise zu sich selbst.
Polar aus Aachen

7 von 12 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2008
Die Chronik der Sperlingsgasse
Raabe, Wilhelm

Die Chronik der Sperlingsgasse


ausgezeichnet

Wilhelm Raabe, der in vielen seiner Geschichten das Zeitgeschehen porträtierte, legt sich in diesem Roman Schranken auf. Es wird nicht aus der Mitte der umstürzenden Ereignisse, dem nackten Überleben, dem Tod und dem Untergang berichtet. Johannes Wacholder wird hier zum Beobachter des Privaten. Wie der Titel verrät zum Chronisten der Liebe, von Elend und Verlust. Sein Eruähler ist, aus dem Zentrum an den Rand gerückt, was womöglich einen schärferen Blick auf die Erlebnisse bietet. Es entledigt ihn aber auch seiner bedingungslosen Anteilnahme. Zwar spielen sich in der Sperlingsgasse, kleinere wie größere Dramen ab, doch unterliegt die Beobachtung der Idylle. Nichts vom einstigen Sturm und Drang auf Veränderungen ist darin zu verspüren, die Dinge sind wie sie sind. So erzählt Raabe vom Rückzug, vom Erinnern, vom beschaulichen Leben angesichts von Schändung, Krieg und Überleben. Eines von Raabes beschaulichen, nur oberflächlich ruhig dahin fließenden Romanen, die dem Leser ein Gefühl für das Leben abseits der Geschichte verleiht.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 03.09.2008
Ende einer Dienstfahrt
Böll, Heinrich

Ende einer Dienstfahrt


ausgezeichnet

Was die Literatur der Bundesrepublik ausmachte, was Autoren wie Andresch, Lenz, Kaschnitz, Grass, Walser oder Born auszeichnete, war vor allem das Einmischen. Geschichten wurden zum Spiegelbild einer leeren Gesellschaft, die wirtschaftlich glaubte, auf gesunden Füßen zu stehen, aber ihren Menschen kein Zuhause bot. Um den Begriff Heimat nicht zu verwenden, der geschichtlich vorbelastet ist. Vater und Sohn Gruhl setzten in Bölls Roman ein Fanal und zünden einen Jeep an, was sogleich beurteilt und abgeurteilt wird. Böll zeigt zwei Menschen, die aus der Bahn geworfen werden, Anweisungen zu folgen haben, die keinen Sinn ergeben, und gleichzeitig von einer Obrigkeit - sei es bei den Steuerschulden, sei es bei der Wartung eines Jeeps - überwacht werden. Das familiäre Aufbegehren der Familie Gruhl wird als Happening bagatellisiert. Wo kein Widerstand sein darf, wächst auch keiner. Böll besaß für derlei Verwerfungen ein feines Gesprür. Obwohl seine Geschichten längst in die Moderne Klassik abgewandert sind, bleibt er doch eines: Chronist der inneren Revolte und der politischen Komik.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 01.09.2008
Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes / Kommissar Maigret Bd.5
Simenon, Georges

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes / Kommissar Maigret Bd.5


gut

Maigret verhindert in diesem Roman einen Justizirrtum. Allein die Tatsache, dass er mit Hilfe der Justiz einen zum Tode Verurteilten zur Flucht verhilft, weil ihm sein Bauchgefühl sagt, dass Heurtin womöglich kein Mörder ist, ist schon Konstrukt genug. Im Verlauf der Geschichte, kommt es immer wieder zu merkwürdigen Zufällen, und Maigret schreibt es sich als sein Verdienst an, dass er vor allem eins ist: hartnäckig. Der Geheimnis umwobene Radek versucht ein Spiel mit ihm zu treiben, was natürlich scheitern muss. Maigret spielt nur Spiele, deren Regeln er selber beeinflusst. Dass die komplexe Geschichte immer wieder einer Nacherzählung bedarf, gehört zu den Schwachstellen dieses Romans. Simenon vertraut der eigenen Handlung nicht, muss zurückblickend erklären. Zufälle werden als folgerichtig ausgeschmückt und selbst Simenons Stärke interessante, widersprüchliche Charaktere zu bauen, führt diesmal ins Leere. Dass Maigret über die Justiz obsiegt, die Heurtin am liebsten gleich hinrichten würde, nachdem er zwischenzeitlich untertaucht, ist selbstverständlich. Maigret erscheint so unantastbar, so überlegen, dass Spannung nicht aufkommen will.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 01.09.2008
Deine Augen hat der Tod
Sallis, James

Deine Augen hat der Tod


gut

Wer Driver von James Sallis schätzt, wird womöglich enttäuscht sein von Sallis neuem Thriller. Im Mittelpunkt ein Schläfer, der durch einen Anruf wieder aktiviert wird. Der ehemalige Agent David hat sich in seinem neuen Leben bestens eingerichtet. Ihm scheint nichts zu fehlen. Doch er funktioniert sofort und schickt die ahnungslose Gabrielle fort, damit ihr nichts passiert. Dieser Anfang verspricht mehr als die Geschichte im Verlauf hält. Sie wandelt sich unversehens in ein Roadmovie. Wie bei einem Stationendrama folgen wir dem Agenten von Ort zu Ort, doch dem Plot haftet manchmal etwas Kulissenhaftes an. David bewegt sich durch Amerika, trifft auf ehemalige Kollegen, die ihm mehr oder weniger verdächtig vorkommen. Die wirkliche Bedrohung für ihn ist nicht glaubhaft. Egal, ob man ihn umzubringen versucht, oder er es der Gegenseite lediglich unterstellt. Er kommt einem in der Welt der Agenten wie ein Fremder vor. Zwar hangelt sich der Plot an der Geschichte eines aus der Kontrolle geratenen ehemaligen Killers entlang, zwar tauchen immer wieder Menschen aus der Vergangenheit auf, aber sie tritt zu oft auf der Stelle. Dann erzählt Sallis über sein Land, über Gedichte von Pavese, dann erdrückt der Literaturwissenschaftler den Thrillerautor. Es sind Reflexionen, die zum Innehalten einladen, weniger um die Spannung zu steigern. Auch das Ende überzeugt nicht. Mit welcher Rasanz Sallis zu erzählen vermag, zeigt sich in Driver. Wer den Vergleich nicht kennt, kommt vielleicht zu einem anderen Urteil. In Deine Augen hat der Tod dient der Thriller nicht der atemberaubenden Spannung, sondern einem Bild von Amerika entlang des Highways. Dafür besitzt Sallis ein gutes Auge und die Sprache, um davon zu erzählen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2008
Die Stunde des Mörders
MacBride, Stuart

Die Stunde des Mörders


ausgezeichnet

Es ist kein Geheimnis, dass nach einem gelungenen Start das Können eines Krimiautors sich vor allem im zweiten Buch beweisen muss. Stuart McBride und sein DS Logan McRae gelingt es, nicht nur an den Vorgänger heranzureichen, durch einen geschickt ineinander verschränkten Plot über Brandstiftung, Serienmorden an Prostituierten und einem verschwundenen Ehemann verdichtet er das Geschehen um seine Figuren so, dass einen die Spannung bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Dass hierbei ein Journalist zu Schaden kommt, der im ersten Band des Sequels noch eine prägende Rolle spielte, zeigt, dass Stuart MacBride vor nichts zurückschreckt, wenn es gilt einen in seiner Atmosphäre faszinierenden Thriller zu schreiben. DS Logan wird nach einem gescheiterten Einsatz, bei dem ein Polizist angeschossen wurde und im Koma liegt, von der Internen Abteilung strafversetzt zu DI Steel, einer Vorgesetzten. die vor allem durch ihre chaotische und hemdsärmelige Führung auffällt. Logan ist es, der die Ermittlungen voranbringt, während Steel Verdächtige unter Druck setzt und ihr Team nach Gutsherrenart führt. Besonders sympathisch macht Logan, dass er nicht über den Dingen steht, dass er vor eigenen Fehlschätzungen nicht gefeit ist, seine Menschenkenntnis oftmals dem aufbrausenden Charakter unterwirft. Steel und er sind ein kongeniales Paar bei dem Versuch, dem Verbrechen beizukommen. Logan ist ein Getriebener, kein kühler Analyst, die Ereignisse reißen ihn mit und zwischendurch bleiben ihm ein paar Minuten für sein Privatleben. Das er ausgerechnet mit einer Kollegin lebt, so dass Freizeit etwas ist, was koordiniert werden muss, zeigt den Alltag vor. Ein Thriller, der nicht durch wissenschaftliche Details, Scharfsinn, überbordender Waffentechnik brilliert, vielmehr durch die Menschen, die Stuart MacBride beschreibt.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.