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Benutzername: 
Morten
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 76 Bewertungen
Bewertung vom 24.02.2022
Glücksfisch: Hallo, das bin ich!

Glücksfisch: Hallo, das bin ich!


sehr gut

Das Schöne an Kindern? Sie haben keine Vorurteile. Erst einmal. Und am besten bleibt das so. Das ist natürlich in erster Linie die Aufgabe der Eltern, aber auch Bücher können hier eine Rolle bei der vorurteilsfreien Erziehung spielen. Schön, wenn ein Buch die Vielseitigkeit der Menschen in Bilder und Wörter hüllt, dass es schon Zweijährige verstehen und dabei kleine und große Unterschiede einfach völlig normal sein lassen. Wie „Hallo, das bin ich!“ aus dem Glückskind-Verlag.

Verschiedene Haarfarben, Male, Brille, Hörgeräte – alles wird hier ganz natürlich dargestellt. Und die Hautfarbe nicht einmal bewusst thematisiert, weil es überhaupt keine Rolle spielen sollte, ob Menschen schwarz oder weiß sind. So lässt sich die Vielseitigkeit des Körpers wundervoll entdecken. Und die Kinder nehmen alles ganz unvoreingenommen war, entdecken Merkmale, die sich selbst haben, die sie von Freunden kennen oder die ihnen noch unbekannt sind.

Diese Inklusivität ist die große Stärke des Buchs, das in einem simplen, aber ganz hübschen Stil von Maria Nedarova illustriert wurde. Kleine Klappen zeigen, wie die fünf Sinne des Menschen funktionieren, an Rädchen tanzt ein Kind oder es wird gezeigt, was es nach dem Schlaf am liebsten macht.

Nicht jede Interaktion, nicht jede Seite ist völlig gelungen, das Trinken des Wassers und das Zähneputzen werden zwar groß und interaktiv dargestellt, aber hier wäre sicher noch mehr Potenzial bei der Darstellung und den Reaktionen des Körpers gewesen.

Für Zweijährige ein schönes Buch, um den eigenen und andere Körper zu entdecken, von Gliedmaßen über Gefühle bis zur richtigen Körperpflege und Ernährung. Für Kinder, die auf die 3 Jahre zugehen, vielleicht schon etwas zu wenig informativ, aber gerade in dieser Altersklasse passiert so viel, so schnell, dass es nicht immer einfach ist, das Interesse über längere Zeit aufrecht zu erhalten. Ist aber auch gar nicht so schlimm. Denn schöner ist es, dass es Bücher wie dieses gibt – inklusiv, lehrreich und dabei ganz und gar nicht belehrend.

Bewertung vom 22.02.2022
Mein großes Lichter-Wimmelbuch: Im Wald
Grimm, Sandra

Mein großes Lichter-Wimmelbuch: Im Wald


sehr gut

Wimmelspaß mit Leuchteffekt

Wundervoll bunt geht es zu im Wald. Eichhörnchen, Dachse, Füchse und Rehe tummeln sich zwischen Bäumen und Büschen, knallig und harmonisch illustriert.

Kurze Textblöcke starten die Entdeckungsreise durch die Tierwelt und erzählen dabei auch gleich etwas über den Alltag einzelner Tiere, die sich per Knopfdruck entdecken lassen. Denn vier Knöpfe lassen zahlreiche Lichter aufblinken – in Spechten, Mäusen, Nüssen und mehr.

Und das ist erst der Auftakt zur Wimmelreise: Denn neben den durch Text und Licht hervorgehobenen Tieren lässt sich auf den Seiten noch vieles mehr entdecken. Ein großer Spaß für Kinder um die zwei Jahre, der auch Erwachsene begeistert.

Ein kleiner Wermutstropfen: Für die Kleinsten sind die Knöpfe etwas zu starr und auf den ersten Seiten nicht immer gut erreichbar, aber mit etwas Übung und Hilfe blinkt und leuchtet es auch für sie im Wald.

Bewertung vom 22.02.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


ausgezeichnet

Exzellent geschrieben, unerträglich zu lesen

Bryony sitzt auf dem Dach. Eingesperrt von ihrem Vater. Er will sie nur beschützen, vor dem Leben, den anderen Menschen. Aber vor seinem Wahn kann er sie nicht retten. Im Gegenteil – es wird noch schlimmer.

Zurück zum Anfang. Terrence Cave ist alleinerziehender Vater von 14 Jahre alten Zwillingen. Bis sein Sohn Reuben bei einer Mutprobe von einer Straßenlampe abrutscht und auf dem Asphalt der Straße stirbt. Etwas zerbricht in ihm, einem Antiquitätenhändler aus York. Und auch das Band zu seiner Tochter Bryony beginnt zu reißen, da Mr. Cave es nicht erträgt, wie sie ihre Trauer bewältigt und gleichzeitig voll in der Pubertät steckt, das Leben und Lieben und Erwachsenwerden lernt.

Bremsen kann Mr. Cave zunächst nur die Cynthia, die Mutter seiner Frau Helen, die bei einem Raubüberfall auf ihren Antiquitätenhändler starb, als die Zwillinge noch klein waren. Doch auch ihr Einfluss wird geringer, immer weniger traut er ihr, immer mehr traut er nur seinen Gefühlen.

„Der fürsorgliche Mr. Cave“ ist eine faszinierende Psychoanalyse eines überforderten Vaters. Und sie ist kaum zu ertragen. Schon die ersten Regeln, die er aus Liebe zu seiner Tochter aufstellt, überschreiten Grenzen und sie sind erst der Anfang, in seinem Versuch, die Kontrolle über Bryonys Leben zu behalten. Er verfolgt sie, er hört sie ab, er bietet ihrem Freund Geld, damit er sie in Ruhe lässt, er …

Matt Haigs Buch, das er viele Jahre vor seinen Erfolgen mit „Ein Junge namens Weihnacht“ und „Die Mitternachtsbibliothek“ geschrieben hat, ist ein echter Pageturner, gleichzeitig aber so angsteinflößend, triggernd und abstoßend, dass hier keine höhere Wertung als drei Sterne stehen kann. Dafür nur eine Bitte an alle Väter da draußen: Seid nicht so! Werdet nicht so!

Bewertung vom 22.02.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


sehr gut

La vita agrodolce

Ich: Wie zeitlos kann ein Buch sein?
Der letzte Sommer in der Stadt: Ja.

1973 ist Gianfranco Calligarichs Roman erschienen. Vor 49 Jahren. Zwei, fast drei Generationen junger Leute später wirkt „Der letzte Sommer in der Stadt“ frisch wie am ersten Tag.

Ein junger Mann in einer großen Stadt, der ewigen Stadt, Rom, natürlich. Das sorglose Leben, wenn die Schulzeit hinter und noch so vor einem Menschen liegt. Die flüchtigen Bekannt- und besseren Freundschaften. Jobs, die noch keine Arbeit sind. Durchfeierte Nächte. Und die Liebe, ja, die Liebe, oder besser: Amore.

Die findet Leo Gazzarra, der (Anti-)Held dieser Geschichte, in Arianna. Schön ist sie, wankelmütig, undurchschaubar. Und trotz aller Nähe wahrt sie eine gewisse Distanz, die Leo schier um den Verstand bringt, aus Rom weg in die Mailänder Heimat treibt, die längst keine mehr ist.

Calligarich hat hier vor fast fünf Jahrzehnten einen Roman geschaffen, der mehr ist als nur eine Verbeugung vor amerikanischen Literaten wie Kerouac oder Hemingway. Es ist ein Werk, dass Beat-Literatur mit La Dolce Vita von Fellini verknüpft – nur dass es oft agrodolce ist. Bittersüß. Von Seite zu Seite bis zu seinem Ende nimmt die Süße ab, verschwindet die Wärme, das Wohltun des Sommers, hin zum großen Finale.

Ein wunderbares Buch, eine großartige Wiederentdeckung, eine tolle Übersetzung. Und kein Jahr gealtert. Amore!

Bewertung vom 22.02.2022
Zusammenkunft
Brown, Natasha

Zusammenkunft


sehr gut

Thunderbolt and Lightning

Wie ein Blitz ist dieses Buch. Unglaublich grell. Und schnell vorbei. Viel zu schnell? Nein. Sein Nachhall, der Donner, wirkt lange und laut.

Die Protagonistin arbeitet im Finanzsektor. Hat sich aus prekären Verhältnissen hochgearbeitet. Führende Position, Eigentumswohnung in London, keinerlei Sorgen. Finanzieller Art. Denn sie ist eine Frau. Und schwarz. Und somit Opfer von Sexismus und Rassismus. Mal offen und direkt, wie bei einer Begegnung mit einem Betrunkenen in der Bahnstation. Meist versteckt oder (gar-nicht-mal-so-)nett verpackt, in zynischen Bemerkungen von Kollegen oder den Eltern ihres Freundes, die sie eh nur als „die aktuelle Freundin ihres Sohnes“ sehen.

Natasha Brown erzählt ihre Geschichte, aber auch die einer ganzer Generation von Menschen anderer Herkunft, von Frauen, von Rollenbildern und Rollen in diesem Theater, das wir Leben nennen. Ohne etwas vorweg nehmen zu wollen, um den Nachhall dieses Buches nicht zu zerstören: Manche Themen sind in den letzten Jahren publik geworden dank #metoo und BLM, manche sind neu, aber eigentlich auch nur für die Leser:innen, die nicht davon betroffen sind, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben.

Brown gelingt dabei eine starke Dramaturgie – von „random Einzelfällen“ (die natürlich keine sind) zum Leben der Protagonistin. Von ihrem Berufsalltag hin zu ihrer Beziehung mit einem Sohn reicher, einflussreicher Eltern und weiter zu ihrer Krebserkrankung, die sie nicht behandeln lassen möchte, da der Krebs der Gesellschaft mehr schmerzt als der in ihrer Brust.

Und obwohl „Zusammenkunft“ so kurz wie eine Novelle erscheint, so steckt auf den 113 Seiten mehr als in manchem 400 Seiten-Roman. Mehr Inhalt, mehr Tiefe, mehr Gewicht. Es ist schnell gelesen. Aber vorbei ist es damit noch lange nicht. Achtet auf den Nachhall – und nehmt etwas davon mit in euer Verhalten!

Bewertung vom 22.02.2022
Edition Piepmatz: Fahren, Fliegen, Rollen
Nahrgang, Frauke

Edition Piepmatz: Fahren, Fliegen, Rollen


sehr gut

200 Fahrzeuge, unendlicher Wimmelspaß

Und wieder etwas entdeckt: Da rennt der Bauarbeiter auf der Baustellenseite doch ganz hektisch aufs Dixiklo. Großes Gekicher. Und das auf fast jeder Seite. Aber erst einmal zum Anfang.

„Fahren, Fliegen, Rollen“ ist das Fahrzeug-Lexikon aus der Ravensburger Edition Piepmatz-Reihe – die perfekten Bücher für Leser:innen ab zwei Jahren. Oder besser gesagt: Entdecker:innen, denen noch fleißig vorgelesen wird, bevor sie selbst blättern, auf etwas zeigen und Dinge beim Namen nennen. Und das geht in diesem Buch richtig gut. Und nicht nur das.

Das Buch liegt wunderbar in der Hand, ist aus sehr angenehm greifbarer Pappe gestaltet – und unfassbar toll illustriert. Eigentlich total simpel, die Figuren erinnern gar an eine Meme-Figuren-Reihe, aber diese reduzierte Art lässt alle Fahrzeuge, Menschen, Tiere und Gegenstände umso klarer und schöner erscheinen.

Im Buch geht es in die Luft – vom Zeppelin über das Flugzeug bis hin zu Nils Holgersson (Papa, wer ist das? – Das lesen wir noch!), ins Meer mit brennendem Containerschiff und zum Glück weit entfernter Entenfamilie, bis zur schon genannten Baustelle.

Fahrzeuge mit viel Trara und Tatütata werden genauso entdeckt wie endlos lange Güterzüge, riesige Monstertrucks und winzige Flitzer aus dem Kinderzimmer vom Schiebeauto bis zu den Rollschuhen. Aber bloß nicht an den Schlitten rangehen, darauf schläft die Katze!

Ganz zum Schluss wird’s doppelt lehrreich: Das Fahrzeug-ABC lässt die Entdecker:innen alle Buchstaben lernen (okay, beim X wird etwas gefuddelt und beim Y ist es nicht die vom Duden empfohlene, aber immerhin akzeptierte Schreibweise), auf der Doppelseite darauf sind sie Autos, Roller, Schiffe und Jets noch einmal nach sechs bunten Farben geordnet.

Ein wirklich wundervolles Buch, um neue Fortbewegungsmittel und neue Wörter zu entdecken – in einer unglaublich liebevollen Umsetzung. Chapeau, Ravensburger. Auch dafür, dass das Pferd der Kutsche einen formschönen Haufen auf die Straße gesetzt hat. Und für das große Gekicher, das darauf folgte.