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Benutzername: 
herrzett
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lübeck

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 19.04.2021
Kein Entkommen / Katja Sand Trilogie Bd.1
Wortberg, Christoph

Kein Entkommen / Katja Sand Trilogie Bd.1


weniger gut

Eigentlich sollte man nun meinen, dass ein ausgebildeter Schauspieler und jahrelanger Tatort-Drehbuchautor sicherlich einen großartigen dramaturgischen Aufbau, einen spannenden Fall und tolle Szenenwechsel, sowie eine Reihe geheimnisvoller Tatverdächtige parat hat, aber irgendwie war "Trauma - kein Entkommen", so der Titel des ersten Teils, dann mehr eine Art Traumatherapie der Ermittlerin, statt ein wirklich hochbrisanter, spannender Thriller. Wirklich viel passiert in diesem ersten Band nicht gerade. Zwei Mordfälle, die natürlich ganz klar miteinander zutun haben müssen und ja... Der Fokus liegt hier eindeutig mehr auf der Charakterentwicklung und das Leben der Ermittlerin Katja Sand. Und auch wenn ich diesen behind-the-scenes-Blick sehr mochte, er diesen Thriller sehr menschlich macht, war es mir insgesamt einfach zu viel. Der Plot bewegt sich recht weit entfernt von den eigentlichen Tatorten und irgendwie konnte bis auf den kurzen Rest, dieses Buch kaum mit Spannung punkten. Die stärkeren, bedrückenden Einschübe und die traumatischen Erlebnisse des Kindes waren die eigentlichen Höhepunkte dieses Thrillers, aber die Auflösung und ihren Bezug zu den Fällen dann doch recht lange vorhersehbar. Ich hätte mir auch mehr Abwechslung, wie weitere Einschübe aus den Leben der einzelnen Betroffenen gewünscht. Vielleicht hätte gerade das, diesen Fall deutlich spannender und nicht so durchschaubar gemacht. Auch das letzte Kapitel, das bereits auf den nächsten Teil anspielen soll, fand ich beinahe schon lieblos ran gesetzt und die eigentliche Auflösung ging kaum in die Tiefe, sondern wurde binnen einzelner Seiten abgearbeitet und fertig. Es ist ein interessantes Buch über die Auswirkungen von Traumata bzw. Erlebnissen in den verschiedenen Stadien des Lebens, aber es ist eben mehr eine persönliche Entwicklungsstudie mit zwei Mordfällen und kein Thriller bzw. das was man vom Titel "Trauma - kein Entkommen" und der Positionierung erwarten würde. So schwanke ich dann auch zwischen einer enttäuschten zwei-Sterne-Bewertung für den Plot und einer doch recht faszinierenden Sicht auf Mutter-Tochter-Konstellation. Und ob ich den bereits im August erscheinenden zweiten Teil lesen mag... ach, ich weiß nicht.

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Bewertung vom 31.03.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


gut

Ach, diese Jugend. Diese vielen Erinnerungen, die beim Lesen hochkommen und an die schönen, unbeschwerten Zeiten von früher erinnern. Dieser Roman erzählt von so vielen ersten Malen, von den Überraschungen des Lebens und der Liebe und das so locker, leicht, dass es eindeutig ein großartiges Buch für die wärmere Zeit ist. Ich habe mich von Anfang bis zum Ende super unterhalten gefühlt, doch jetzt so im Nachhinein frage ich mich, ob es das ist, was ein gutes Sommerbuch für mich ausmacht? Gute, lockere Unterhaltung mit vielen Themen des Lebens, Liebe, Freundschaft, Drama und Vergnügen bietet Arenz mit "Der große Sommer" voll und ganz, aber so wirklich begeistern kann er mich mit dieser Geschichte rund um Frieders Sommer mit seinen Freunden trotzdem nicht. Zumindest war es mir im Zwischenteil viel zu verrückt und abstrus, ein Großvater, der als Arzt der Bakteriologie im Labor arbeitet und ehrwürdig doktorlike einen Abstrich von einem Tiger im Zoo nimmt und natürlich dürfen sein Enkel und seine neue Freundin ihn spontan begleiten und hautnah neben dem Tier sitzen. Und natürlich gibt es plötzlich ein großes Drama, Schusseligkeiten, jugendliche Eskapaden, Liebeskummer, dies, das, jenes und dann wieder Friede, Freude, Eierkuchen.

Arenz vermittelt trotz aller Vorkommnisse die Leichtigkeit des Lebens, zumindest, wenn man so tolle Großeltern besitzt, die sich um alles kümmern, aber sonst bleibt doch recht wenig übrig. Des Weiteren haben mir meine eigenen Gedanken oft das Bein gestellt, denn bei Aussagen wie "Sie klang ein bisschen atemlos und das fand ich unglaublich erotisch." oder "Sie war ganz heiß." habe ich häufig an den Autor und nicht an Frieder, der es eigentlich dachte, gedacht und das hat mich dann ehrlich gesagt immer wieder verstört, zumal Beate auch noch ein Mädchen ist und es sich bei ihnen scheinbar um die erste große Liebe handelt. Und so komme ich dann am Ende auch eher zu einer durchschnittlichen Bewertung. Ich hoffe nun, dass mich andere Erzählungen nochmal etwas mehr und realistischer in Sommerfreude versetzen und begeistern können, aber der Sommer fängt ja auch erst an und dafür war es schon mehr als okay.

Bewertung vom 17.01.2021
Die Farbe von Glück
Bagus, Clara Maria

Die Farbe von Glück


sehr gut

Die Bücher von Clara Maria Bagus sind für mich immer wieder etwas ganz besonderes. "Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen" habe ich damals schon sehr gerne gelesen und das Buch hat mich durch eine nicht gerade einfache Zeit begleitet. Und ein ähnliches Gefühl hatte ich nun auch mit ihrem neuen Buch. Ihre Romane sind immer so eine Mischung aus einem Lebensratgeber mit zahlreichen Weisheiten und Impulsen, einer begleitenden Geschichte und einem Hauch Spiritualität. Alles was im Leben passiert, auch wenn wir den genauen Grund für unser momentanes Leid oder unsere Zweifel nicht immer erkennen, kann sich positiv auf unser Leben auswirken. Manchmal bedarf es einer anderen Sichtweise oder man benötigt einfach ein bisschen Zeit und Klarheit. Sich im Leben zu finden, mehr zu leben und auch den Tod zu akzeptieren sind die großen Themen in unser aller Leben, mit denen wir uns von Zeit zu Zeit auseinandersetzen (müssen). Und ja, es ist nicht einfach und doch schafft gerade diese Autorin es immer wieder mit ihren Geschichten eine unglaubliche Wärme und irgendwie auch Trost auszustrahlen. In "Die Farbe von Glück - Ein Roman über das Ankommen" dreht sich vieles um das unwiderrufliche Schicksal, die Schuld und das Gewissen. Es geht darum Dinge aus mehreren Perspektiven zu sehen, andere und ihr nicht immer ethisch und moralisch korrektes Verhalten zu verstehen, Geschehnisse anzunehmen, ohne zu bewerten. Verstehen, der wahrscheinlich größte Schlüssel für ein friedvolles Miteinander. Verstehen, um bei sich und im Jetzt anzukommen.
Wolfgang Herles sagte über dieses Buch "So zärtlich hat noch niemand vom Glück erzählt, das aus Unglück wächst. Eine federleicht und doch psychologisch raffinierte Reise ins magische Reich der Seele. Traurig und tröstlich zugleich. Ein großes Geschenk." Und dem hätte ich dann beinahe auch nichts mehr hinzuzufügen. Ich habe mir in diesem Buch viele Stellen und Weisheiten markiert, habe das Gelesene häufig sehr geliebt, gehofft und auf einzelne Situationen meines Lebens übertragen. Clara Maria Bagus hat mich mit ihrer Geschichte bewegt, mit ihren Charakteren sensibilisiert und auf andere Ansichten, Schicksalsfälle, Nöte aufmerksam gemacht - eben jenes, das man aufgrund seines eigenen Denkens und vielleicht auch Leids, häufig aus den Augen verliert.
Auch wenn, diese Geschichte so durch und durch stimmig und toll ist, so haben mich gerade die letzten 50 Seiten etwas enttäuscht, wobei selbst das recht hochgegriffen ist. Die Auflösung und das Ende waren für mich zu 'zufällig' gewollt. Obwohl man bereits seit dem Weggang Charlottes und der stets wachsenden Reue von Jules ein erneutes Aufeinandertreffen erwartet, so war es in diesem Moment, mit all seinen Auswirkungen, doch ein Hauch zu viel... aber selbst das, kann man dann am Ende auch irgendwie verzeihen. Begegnungen können so viel auslösen. Manchmal unbedacht, manchmal hinterlassen sie auch etwas in uns, was uns ein Leben lang begleiten wird. Wir alle beeinflussen uns und unsere Leben ständig gegenseitig. Und Clara Maria Bagus Talent ist es eben, gerade im richtigen Moment, die richtigen Worte zu finden. Ihr Roman hat jeden Zweifel und Gedanken, gerade zu dieser sehr komischen Zeit, etwas optimistischer und wärmer gemacht. Ein tolles Buch, für alle Denker, die dem Leben vertrauen, ans Schicksal glauben und mal so etwas wie Trost brauchen.

Bewertung vom 16.11.2020
Ein Sonntag mit Elena
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


ausgezeichnet

Diese Geschichte war für mich etwas ganz besonderes. Ich habe dieses Buch zu einer Zeit gelesen, als ich mich oft gefragt habe und das eigentlich immer noch tue, wie alles weitergehen soll und ob der jetzige Weg, der richtige für mich ist. Und irgendwie hat mir Gedas unaufgeregte und ruhigere Geschichte da sehr gut getan. Es ist oder eigentlich könnte man es auch einfach einen einfühlsamen Lebensratgeber nennen, denn Fabio Geda erzählt hier von einer zufälligen Begegnung, die beinahe alles wieder ins Rollen bringt und zeitgleich viele verschiedene Themen, wie verschiedene Blickwinkel einer Situation, andere Kulturen, Vorurteile, Herzensbildung, Leben, Sorgen, Abhängigkeiten, Einsamkeit, Erinnerung… streift. Ohne nun zu viel erzählen zu wollen, ist dieser Roman ein Zeuge einer schicksalhaften Begegnung an einem Tag, an dem sich mehrere Menschen einsam gefühlt haben und das Leben ihnen einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gibt. Man muss dem Leben mehr Vertrauen schenken und jeden Moment und Hinweis nutzen, ohne stets das große Ganze verstehen zu wollen. Jeder Rückschlag ist gleichzeitig die Chance einen Neuanfang zu wagen, zu verzeihen oder einfach das Leben so zu leben, wie man es wirklich möchte.

Mit dieser kleinen, feinen Geschichte hat Fabio Geda mich sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht und darüber bin ich sehr froh, zumal ich seinen letzten Roman nicht ganz so begeistert beendet habe. Dieses Buch ist wieder so ganz versöhnlich, anders und bereichernd. Und ich glaube, es ist eins dieser locker, leichten Bücher, die man einfach immer mal wieder lesen kann und beinahe in jeder Lebenssituation eine Stütze sind. Es ist nie zu spät, Hauptsache du fängst einfach irgendwann damit an.

Bewertung vom 16.11.2020
Omama
Eckhart, Lisa

Omama


sehr gut

In "Omama" erzählt die Kabarettistin Lisa Eckhart nun leicht biografisch, ganz schön überspitzt von ihrer Großmutter Helga und eben solchen Erinnerungen. Dieser Roman ist dabei so eine Aneinanderreihung verschiedener Anekdoten und Lebensabschnitte, die von ihrer Großmutter und deren Schwester erzählen. Teils moralisch hinterfragend, schmunzelnd, ungläubig oder einfach nur kopfschüttelnd begibt sich der Leser auf einen wahrlichen Ritt durch alle Bereiche, in denen Eckharts Protagonisten von Angst und Russen getrieben, aufreizend um Anerkennung buhlen oder eben auch skurrilen Ideen Folge leisten. In wie weit das nun alles der Wahrheit entspricht oder im Stile Eckharts bewusst polarisierend aufgearbeitet wurde, sei mal dahingestellt. Das was jedoch sicher ist, ihre Omama hatte ein sehr, sehr aufregendes Leben.

Wer mit Lisa Eckharts Art des Erzählens klar kommt und mal nach etwas anderem sucht wird mit diesem Roman sicherlich ganz gut bedient. Für mich selbst war das Lesen recht schnell sehr anstrengend. Ich habe ständig Frau Eckhart im Ohr gehabt und dachte immer häufiger daran, dass in diesem Fall ein Hörbuch vielleicht sogar die bessere Wahl gewesen wäre. Sie ist speziell und auch ihr Roman ist sehr eigen. Sie verwendet hier und da recht hochgestochene Worte oder haut bitterböse, sarkastische, platte Aussagen heraus. Sie spielt mit den Vorurteilen der Menschen, mit der Geschichte und eigentlich auch dem, was jahrelang im deutschen Raum gang und gebe war. Da brauchen wir jetzt auch Jahre später nicht so tun, als wäre es nicht so gewesen oder wirklich weit hergeholt. Es war so. Und ja, der Ton ist rau, sehr direkt und manchmal auch so ein bisschen drüber. In ihrem Kabarett spielt sie genau mit diesen Archetypen, den überzogenen, diffamierenden und zum Teil auch verachtenden Aussagen, die einen als Zuhörer verstören, im Halse stecken bleiben und eben auch zum Nachdenken bringen. Lisa Eckhart nähert sich auf ihre bekannte polarisierende, überzogene Art in ihrem Roman der Nachkriegsgeschichte an und entweder mag man es dann oder man will sich gerade über ihre gemeine Rotzigkeit, die eben nicht alles schön redet oder abschwächt, aufregen. Die aufgekochte Diskussion und die Reaktionen rund um das Hamburger Harbourfront, über ihr Bühnenprogramm und sie als Person, der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie ... unterstellt wird, kann ich daher auch nur zum Teil nachvollziehen. Aber irgendwie ist es auch ein Teil der deutschen Verdrängungskultur geworden, gerade gegen solche Überspitzungen vorzugehen. Als Kunst, so wie Satire, Kabarett, Film und Co auch eine Form der geduldeten Kunst ist, finde ich diesen Roman insgesamt recht klug, aufreibend und sehr, sehr böse, aber eben auch sehr direkt. Und gerade durch diese überspitzte Darstellung, von der sie sich im Prolog mit den Worten "Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biografie als Hommage oder als Rufmord erachtet. Ich vermag darüber nicht zu urteilen. Wenn ich von meiner Großmutter erzähle, so zeichne ich in jedem Falle keinen von Krieg und Besatzung geprägten, von Ehen enttäuschten, vom Alter gerächten, tätschelnden, verhätschelnden Archetyp des weisen Ahnen." begründet und distanziert, macht diesen Roman aus, lässt den Leser manchmal schlucken, erneut an die damalige Zeit denken oder auch, ich gebe es zu, über einige Äußerungen herzhaft lachen und das zeichnet (auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden ist) für mich dann irgendwie auch gute Literatur aus.

Bewertung vom 12.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


weniger gut

Für mich ist es sehr schwierig für Robert Seethalers Roman "Der letzte Satz", in dem es um die letzte große Reise und das Leben des Dirigenten Gustav Mahlers geht, Worte zu finden. Es ist ein sehr dünnes und recht luftig gesetztes Buch. Es sind die Gedanken und der Rückblick auf das Leben eines der berühmtesten jüdischen Komponisten, Dirigenten und Wegweisers des musikalischen Theaters der Spätromantik. Gustav Mahler lebte von 1860 bis 1911 und gehörte womöglich zu den bekanntesten österreichischen Künstlern seiner Zeit. Robert Seethaler hat sich nun an sein Leben herangewagt und einen sehr melancholischen letzten Blick gewährt.

Es ist sicherlich nicht das beste Buch Seethalers. Ich hatte bereits bei dem Vorgänger "Das Feld" so einige Bedenken und irgendwie setzte sich das mit seinem neuen Roman fort. Es ist ein wie gewohnt recht ruhiges Buch. Klare, direkte Worte umsäumt von sehr poetischen Gedanken. Das Leben, der Tod, die Trauer, ja, auch die Melancholie spielen bei Seethaler immer eine große Rolle und nachdem er bei "Das Feld" den Toten Gehör verschaffte und sie damit quasi wieder ein Stück weit zurückholte, geht es gerade hier um das nahende Ende. Doch was aus dieser Idee entstand ist dann irgendwie eher mau. Die Schiffsfahrt eines alten, an einer Herzmuskelentzündung leidenden Mannes, der punktuell auf sein Leben, die Liebe und sein Wirken zurückblickt und doch irgendwie schon längst aufgegeben hat. Und natürlich (wie sollte es auch anders sein) hat er auch Freud getroffen und versucht bei ihm Lösungen zu finden. Man hätte aus der Biografie Mahlers so viel herausholen, sich der Bedeutung der Musik nähern und den Herausforderungen seines Lebens stellen können, doch irgendwie bleibt für mich am Ende gerade mal das Bild eines ehemals aufgeregt zappelnden Künstlers und seinem wackeligen Holzgestell, der mit dem Alter zwar ruhiger, aber auch ungeduldiger und leidgeprägter wurde, und die Aussage: „Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht.“

Bewertung vom 03.08.2020
Kostbare Tage
Haruf, Kent

Kostbare Tage


sehr gut

Es geht zurück nach Colorado oder besser gesagt in die Kleinstadt Holt. Nach Kent Harufs sehr bewegenden Romanen "Lied der Weite" und "Abendrot" findet die Plainsong-Reihe nun mit "Die kostbaren Tage" ein gebührendes Ende.

Manchmal kann es schnell gehen. Als Dad Lewis von seinem Arzt die Diagnose Krebs erhält, ist sein Ende bereits zum Greifen nah. Ein guter Monat soll ihm noch bleiben und so vegetiert er nun im Sessel vor dem Fenster, schaut der sich stetig verändernden Umgebung, seinen Nachbarn und dem kleinen Mädchen Alice, das neuerdings Radfahren übt, zu. Seine Angestellten und Freunde aus der Eisenwarenhandlung leisten ihm wöchentlich Gesellschaft und auch die Erinnerungen holen ihn bruchstückhaft wieder ein. Das ist er nun, der Abschied. Seine Tochter kommt seiner Frau und ihm zur Hilfe, kutschiert ihn noch einmal durch die kleine Stadt, besucht mit ihm erinnerungsträchtige Orte und so verweilen sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Von seinem Sohn hat Dad schon lange nichts mehr gehört, er brach frühzeitig den Kontakt zu seiner Familie ab und ging seiner Wege. Die letzten Worte bleiben ihm nur in Gedanken, vielleicht wird er ihm jemals verzeihen, vielleicht wird er von Dads letzten Stunden niemals erfahren. "Kostbare Tage" ist eine berührende Familiengeschichte und ein Buch über Vertrautheit, Liebe und den Abschied für immer.

"Er würde also sterben. Das war es, was sie gesagt hatten. Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. Anfang September würde man draußen auf dem Friedhof, drei Meilen östlich von der Stadt, Erde über ihn schütten, auf das, was von ihm übrig war. Man würde seinen Namen auf einen Grabstein meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben."

An sich habe ich mich lange auf eine weitere Fortsetzung der Reihe gefreut. Die Geschichte um Victoria und die McPheron Brüder hatte es mir dann doch sehr angetan. Nach dem Tod des einen Bruders und den neuen Herausforderungen des Lebens blieben noch einige Fragen offen und ich hatte mir nun Antworten erhofft. Leider blieb diese Erwartung unerfüllt. "Kostbare Tage" bezieht sich bis auf einen kleinen Absatz und die Tatsache, dass auch diese Geschichte in Holt spielt, so gar nicht auf die beiden vorherigen Teile. Und das hat mir dieses Buch dann irgendwie etwas madig gemacht. Das heißt zwar nicht, dass ich diesen Roman so gar nicht mochte, aber es war eben anders.
Losgelöst von meiner Erwartungshaltung fand ich den Abschied und die letzten Lebenstage von Dad nämlich sehr bewegend. Kent Haruf erzählt sehr unaufgeregt und gefühlvoll von den Gedanken, Erlebnissen und dem Freundschaftgefüge seiner Protagonisten. Der plötzliche Krebsbefund und die damit einhergehende Schwäche und Endlichkeit des Lebens hat mich aber nicht nur mitgenommen, sondern auch sehr dankbar für das Jetzt gemacht. Krebs ist keine neuartige Erkrankung und beinahe jeder hat in seinem (entfernten) Bekanntenkreis sicherlich schon Berührungspunkte gehabt und eben dann auch erlebt, wie schnell es gehen kann. Und gerade das macht einen nachdenklich. "Kostbare Tage" ist ein melancholisch, bewegender und vor allem menschlicher Roman über den Abschied und irgendwie auch über das Loslassen. Damit beinhaltet jedes Buch nun etwas über ganz entscheidende Phasen des Lebens von dem Aufbruch, der Ankunft, den Herausforderungen bis hin zum Ende. Für alle, die ruhigere Romane über das Leben lieben, ist Haruf eigentlich schon eine Art must-read. Eine sehr große Leseempfehlung!

Bewertung vom 01.05.2020
Pandatage
Gould-Bourn, James

Pandatage


ausgezeichnet

"Pandatage" ist für mich ein recht besonderes Buch. Gerade für die aktuelle Zeit ist es eine perfekte, leichtere Unterhaltungslektüre mit ernsterem Hintergrund. Die Trauerverarbeitung, deren Auswirkungen und eine sich erneut entwickelnde, innige Vater-Sohn-Beziehung und die Herausforderungen des Lebens sowie kuriose Zufälle und Begegnungen prägen diesen Roman. Sehr empathisch und fein nähert sich James Gould-Bourn den Gefühlen und Empfindungen des kleinen Will an und entwickelt dabei so eine abstruse, lustige, aber auch berührende, traurige Geschichte. Zwar finde ich es so ein bisschen schade, dass viele Handlungen vorhersehbar sind und bis zum Ende hin keine wirklichen Überraschungen stattfinden und doch fühlte ich mich bis zur letzten Seite sehr gut unterhalten. Es ist ein Buch, dass ich eher als etwas leichtere Kost einordnen würde, bei dem man sich nicht so sehr konzentrieren muss und irgendwie könnte das alles auch so eine witzige Fernsehkomödie sein. Zumindest habe ich viele Situationen vor meinen inneren Auge gesehen, fand es irgendwie rührend, reizend und schön zugleich. Ich empfehle dieses Buch jedem, der etwas Ablenkung benötigt, vielleicht sogar eine schwierigere Zeit durchmacht oder durchgemacht hat, denn was dieser Roman zeigt, ist dass es zwar immer schlimmer werden kann, aber Unerwartetes und verrückte Ideen sich manchmal als Lebensretter entpuppen können und der Zusammenhalt zwischen der Familie, Freunden und den Menschen selbst nahezu alles überwinden und helfen kann.

An vielen Stellen hat mich dieser Roman übrigens an "Die wundersame Mission des Harry Crane" von John Cohen erinnert, ein Buch, dass ich ebenso gerne gelesen habe und auch so eine kuriose Entwicklung des Protagonisten nach dem Tod seiner Ehefrau beinhaltet. Alles natürlich mit einem HappyEnd. Und manchmal sind es gerade diese Bücher, die einem eine große Freude bereiten können und alles Fragliche da draußen etwas abfangen. Also ich mochte es sehr gerne und kann dieses Buch für seichtere Gemüter oder blödere Zeiten eigentlich nur empfehlen.

Bewertung vom 29.04.2020
Das wirkliche Leben
Dieudonné, Adeline

Das wirkliche Leben


gut

Dieses Buch hat in Hinblick auf die erhaltenen Auszeichnungen sicherlich seine Berechtigung. Dennoch ist es für mich etwas fraglich, zumal ich es häufig mit den Romanen “Harz” von Ane Riel und “Was man sät” von Marieke Lucas Rijneveld verglichen habe und dieses Buch konnte den Vergleichen einfach nicht Stand halten. Die Geschichte zieht sich zu Anfang sehr in die Länge. Und ich habe mich so ein bisschen gelangweilt bzw. mir kam sehr vieles bekannt vor. Es passieren dann zwar hier und da etwas gewalttätige Schnitzer, aber so wirklich fordernd und überrumpelnd wird dieser Roman erst im letzten Viertel. Und das fand ich dann irgendwie schade. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Dieudonné sich mehr auf diese angekündigte Tragödie fokussiert bzw. diese ausarbeitet und diese Hatz- und Waldszene und alles was in der Familie passiert und zu Grunde geht viel, viel umfassender darstellt. Diese Ausflüge in Richtung sexuelle Anziehungskraft oder Drang des Mädchens eine Zeitmaschine zu bauen, Physikstunden zu nehmen und und und waren für mich dann eher so Randgeschichten, die zum Ende hin irgendwie ihre Bedeutung verloren. Es ist eine faszinierende Geschichte, keine Frage, und für viele ist es bestimmt auch genau das richtige Maß an aufwühlenden Erlebnissen, Einblicken in das Gedankenleben der Protagonistin und Spannung, aber für mich war es insgesamt nicht ganz rund und ich fürchte dieser Roman hat durch die Übersetzung auch so einiges an der “funkelnden Sprache” eingebüßt. Die Geschichte ist gut, liest sich sehr schnell und man kann sicherlich tolle Szenen und Elemente finden, aber für große Begeisterungsstürme reicht es bei mir dann leider nicht.

Bewertung vom 08.04.2020
Ein wenig Glaube
Butler, Nickolas

Ein wenig Glaube


ausgezeichnet

"Ein wenig Glaube" von Nickolas Butler ist für mich ein sehr besonderes Buch. Im Großen und Ganzen geht es um die familiäre Liebe, die Abhängigkeit, den Glauben und irgendwie auch um die Angst und den Verlust. Lyle und Peg Hovde leben im ländlicheren Wisconsin. Ihr erstes Glück blieb ihnen verwehrt, denn ihr Sohn Peter starb bereits nach einigen Monaten. Durch einen Zufall erfuhren sie von einem Mädchen, das ein Kind gebar und dieses einfach nicht behalten könne. Sie setzen alles daran, das Kind zu adoptieren und ihm ein behütetes Leben zu schenken. Jahre sind seit dem vergangen, Lyle und Peg sind bereits Großeltern und ihre Tochter Shiloh kehrt mit ihrem Enkelsohn Isaac wieder nach Hause zurück. Während Shiloh arbeiten fährt, kümmert sich Peg um den 5 Jährigen und zwischen ihnen scheint eine ganz besondere Bindung zu bestehen. Doch dann tritt ihre Tochter einer neuen Glaubensgemeinschaft bei. Sie verliebt sich in den Pfarrer und dem Kind werden plötzlich heilende, göttliche Kräfte nachgesagt. Während Shiloh sich nun komplett im neuen Glauben verliert, erahnen die Großeltern bereits Schlimmstes. Ereignisse und Beschuldigungen folgen und die ganze Familienbeziehung wird auf eine harte Probe gestellt. Die Tochter verliert den Glauben an ihre Eltern, sie behauptet Lyle sei ein schlechter Einfluss für Isaac, sei mit dem Teufel verbandelt. Er darf Isaac nicht mehr sehen, soll Abstand halten. Und doch will er am Ende nur eins: seinen Enkel vor dem Einfluss dieser ominösen Sekte retten und das bevor alles zu spät ist.

Nickolas Butler hat mich mit diesem Roman sehr an Kent Harufs Geschichten aus Holt, Colorado erinnert. Es ist ein eher ruhigeres, unaufgeregtes Buch, in dem der äußere Einfluss eine Familie entzwei bringt. Aber es geht wie der Titel schon verrät um den Glauben. Einmal durch diese neue Glaubensgemeinschaft, die alles durcheinander bringt, und Isaac heilende Kräfte nachsagt und auch trotz der staatlichen Verbote Heilungsgebete/-prozessionen abhält, aber es handelt eben auch vom Glauben an bessere Zeiten und an die stärkere emotionale Bindung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und Freunden. Der Glaube wirkt hier wie ein rettender Anker, der letzte Strohhalm, der alle möglichen Kräfte noch einmal mobilisiert. Und so ist es dann auch eine ganz besondere Freundschaftsgeschichte. Ich kann da nun gar nicht so genau ins Detail gehen, denn ruhigere Romane haben ja immer den 'Nachteil', dass da nicht ganz so viel passiert, aber genau das ist die Stärke dieses Buchs. Butler fokussiert sich auf seine Protagonisten, mit jeder weiteren Seite entwickelt sich so eine traute Verbundenheit mit den Großeltern. Man spürt Lyles Verzweiflung, aber auch seine immer wiederkehrende Freude, den Glauben, seinen Optimismus und seine Einsatzbereitschaft. Dieser besondere, feinfühlige Roman basiert auf einer realen Begebenheit, bei der 2008 ein 11 jähriges Mädchen aufgrund so einer fanatischen Glaubensgeschichte ums Leben kam. Es bleibt zu hoffen, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Glaube kann Berge versetzen/mobilisieren; Fanatismus zum frühzeitigen Ende führen. Eine sehr berührende Geschichte.