Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Havers
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 09.02.2017
Sein blutiges Projekt
Burnet, Graeme Macrae

Sein blutiges Projekt


ausgezeichnet

Den schottischen Autor Graeme Macrae Burnet habe ich zum ersten Mal wahrgenommen, als die Nominierung seines Romans für den Man Booker Prize 2016 in der englischen Presse hohe Wellen schlug. Crime Fiction auf der Longlist? Undenkbar. Aber dann hat es „His Bloody Project“, veröffentlicht in einem kleinen, unbekannten Verlag, sogar auf die Shortlist geschafft. Grund genug, sich dieses Werk einmal genauer anzuschauen, zumal auch der von mir sehr geschätzte Vater der Rebus-Krimis, Ian Rankin, von der Qualität dieses Buches überzeugt ist.

Culduie, ein Weiler im Westen Schottlands, mitten im Nirgendwo. Kleinpächter beackern winzige Parzellen, die Erträge sind gering. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Jeder kennt jeden, und nicht alle sind sich grün. Wir schreiben das Jahr 1869, als dort ein Dreifachmord geschieht. Roderick Macrae, gerade einmal siebzehn Jahre alt, erschlägt den brutalen und tyrannischen Nachbarn Lachlan Broad, Constable und Vertreter des Großgrundbesitzers, dessen halbwüchsige Tochter und den dreijährigen Sohn. Und zur Verwunderung aller streitet er die Tat nicht ab, sondern gesteht diese mit Stolz erhobenem Haupt. Die Frage nach dem Warum beschäftigt Ermittler, Fachleute und nicht zuletzt den Leser, während Roderick in Inverness eingekerkert ist und auf seinen Prozess wartet. Ist er ein Verrückter oder ein Monster?

Mit „Sein blutiges Projekt: Der Fall Roderick Macrae“ ist Graeme Macrae Burnet außergewöhnliche Literatur gelungen, die gekonnt mit den Erwartungen der Leser spielt. Eine Mischung aus historischem Roman und Psychothriller, der als clever gemachte True Crime Story mit „zufällig“ aufgefundenen „authentischen“ Dokumenten daherkommt, hochpolitisch in der Schilderung der Lebensbedingungen der armen schottischen Landbevölkerung sowie dem repressiven Klassensystem der damaligen Zeit. Dazu kommt der entlarvende Einblick in die Anfänge der Kriminalpsychologie, vertreten durch den Psychiater James Bruce Thomson, der die absurdesten Theorien vertritt und in Roderick lediglich einen anthropologischen Forschungsgegenstand sieht. Abgerundet werden diese stimmigen Schilderungen durch die hervorragenden Charakterisierungen aller Personen sowie diese wundervoll lebendige Sprache. A bloody masterpiece and definitely a must-read!

Bewertung vom 08.02.2017
Letzter Schmerz / D.I. Helen Grace Bd.5
Arlidge, Matthew J.

Letzter Schmerz / D.I. Helen Grace Bd.5


sehr gut

Es ist ein sehr persönlicher Fall, mit dem Helen Grace, Detective Inspector im südenglischen Southampton, in „Letzter Schmerz“ konfrontiert wird. Nicht nur, dass sie das Mordopfer kennt. Nein, sie hat auch eine ganz spezielle Beziehung zu dem Toten, der in einem einschlägig bekannten Etablissement der BDSM-Szene aufgefunden wurde. Leser der Reihe wissen, dass sie, getrieben von ihren inneren Dämonen, dessen Dienste öfter in Anspruch genommen hat. Und natürlich soll dieses Geheimnis nicht an die Öffentlichkeit gelangen, vor allem ihre Kollegen dürfen davon nichts erfahren. Ein zweites Mordopfer wird gefunden, und wieder lässt sich eine Verbindung zu DI Grace herstellen. Wem ist daran gelegen, ihre Karriere zu ruinieren? Ihr alles zu nehmen, was für sie von Bedeutung ist? Und dann stellt sich natürlich auch noch die Frage nach dem Warum. Hängen diese Morde etwas mit einem früheren Fall zusammen? Und Helen muss sich entscheiden, ob sie, um ihr Privatleben zu schützen, sich in diesem Fall zum Opfer machen lässt, oder ob sie aktiv und offensiv sich der Herausforderung und dem Mörder stellt.

„Letzter Schmerz“ ist der fünfte Band der Reihe mit DI Helen Grace und ihrem Team. Mit an Bord sind aber nicht nur die Kollegen, mit denen sie ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, sondern auch solche, die es darauf anlegen, ihr zu schaden. Und auch außerhalb des Reviers muss Grace sich mit aller Macht gegen Intriganten behaupten, die nur darauf warten, dass ihr ein Fehler unterläuft. Allerdings sind diese Spielchen aus den Vorgängerbänden mittlerweile hinreichend bekannt, etwas frischer Wind würde nicht schaden.

Nichtsdestotrotz ist dem Autor wieder einmal ein spannender, unterhaltsamer Thriller gelungen, der sich in einem Stück weglesen lässt. Die kurzen Kapitel sorgen für hohes Tempo und der fulminante Showdown am Ende lässt uns gespannt auf die Fortsetzung der Reihe warten. Der sechste Band „Hide and seek“ liegt im Original bereits vor, Band sieben „Love me not“ erscheint Mitte des Jahres.

Bewertung vom 08.02.2017
Totenfang / David Hunter Bd.5
Beckett, Simon

Totenfang / David Hunter Bd.5


sehr gut

Simon Beckett gehört zu den englischsprachigen Autoren, deren Kriminalromane/Thriller in Deutschland wesentlich erfolgreicher als in ihrem Heimatland sind. Über die Gründe kann man nur spekulieren, aber neben unterschiedlichen Lesevorlieben spielt wahrscheinlich auch das Überangebot auf den jeweiligen Buchmärkten eine Rolle. Und offenbar bleiben die deutschsprachigen Leser ihren Serienheldinnen und -helden eher treu als die Fans aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum. So zählt auch David Hunter, der forensische Anthropologe aus Simon Becketts Thrillern, zu den Lieblingen der deutschen Leserschaft, und mit „Totenfang“ liegt nun der fünfte Band der Reihe vor.

In der Grafschaft Essex wird eine Leiche gefunden. Sie liegt in dem schwer zugänglichen, verschlammten Marschland und muss möglichst vorsichtig geborgen werden, damit keine durch Unachtsamkeit zerstörten Hinweise die Identifizierung erschweren oder gar völlig unmöglich machen. Und für die Obduktion wird natürlich ein Fachmann benötigt, weshalb der DI vor Ort David Hunter in dessen Funktion als Berater der Polizei um Hilfe bittet. Aber es soll nicht bei einer Leiche bleiben. Und es ist David Hunters Sachverstand der schlussendlich Licht ins Dunkel bringt.

Wenn man „Totenfang“ mit den anderen Bänden der Reihe vergleicht, ist eine Veränderung in Becketts Stil auffällig. Er verzichtet hier weitgehend darauf, im Detail die Arbeitsweise des Forensikers mit all ihren, auch teilweise unappetitlichen Facetten, zu beschreiben. Stattdessen nehmen ausführliche Landschaftsbeschreibungen einen großen Raum ein, die dafür sorgen, dass die besondere Atmosphäre der „Essex Backwaters“ sehr stimmungsvoll transportiert wird. Natürlich geht das zu Lasten des Erzähltempos, was ich aber nicht weiter störend finde, im Gegenteil. Dadurch entwickelt sich der Plot zwar langsamer, kommt dafür aber um einiges eindringlicher daher als die beiden letzten Romane, die auf mich eher oberflächlich, lieblos und schnell heruntergeschrieben wirkten. Spannend ist „Totenfang“ allemal, dafür sorgen schon die diversen Cliffhanger und losen Handlungsfäden im Lauf der Geschichte. Und im letzten Drittel geht es richtig zur Sache – dann aber mit Karacho!

Bewertung vom 08.02.2017
Die Straße ins Dunkel
Mendelson, Paul

Die Straße ins Dunkel


ausgezeichnet

Der britische Autor Paul Mendelson zeichnet in seinem zweiten Roman „Die Strasse ins Dunkel“ ein bedrückendes Bild der südafrikanischen Gesellschaft, die noch immer mit tiefgehenden Verletzungen kämpft. Mit Wunden, die nicht nur der alte, sondern auch der neue Rassismus versursacht hat. Mit Machtstrukturen, die sich zwar verschoben, aber im Kern nicht geändert haben. Mit einer Vergangenheit, die noch immer Einfluss auf die südafrikanische Gegenwart nimmt. Schwarz und weiß, zwei Seiten einer Medaille?

Die Kap-Region, eine schillernde Kulisse, aber nicht das Südafrika der Reisemagazine. Dies hat Paul Mendelson nach „Die Unschuld stirbt, das Böse lebt“ wiederum als Hintergrund für seinen zweiten Thriller mit Colonel Vaughn De Vries gewählt hat. Dieser ermittelt als Leitender in einem Mordfall, der so eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Taryn Holt, eine schwerreiche Erbin und Kunstmäzenin, wird in ihrer Villa abgeschlachtet, was für den Ermittler zwei Fragen aufwirft. Zum einen, wie der Täter die extremen Sicherheitsvorkehrungen dieser „Gated Community in bester Lage“ überwinden konnte, zum anderen natürlich die nach Täter und Motiv. Das Arrangement des Leichnams lässt ein Verbrechen aus Hass vermuten, es könnte aber ebenso mit der Art und Weise zusammenhängen, mit der Holts Vater zu dem Familienvermögen gekommen ist.

Zur gleichen Zeit treibt ein Copkiller sein Unwesen. Er tötet der Reihe nach Polizisten, die vor zwanzig Jahren gemeinsam eine schwarze Familie in den Townships ermordeten. De Vries war zwar nicht aktiv daran beteiligt, wurde aber Zeuge des Vorfalls und schwieg aus falsch verstandener Loyalität…und Angst um seine eigene Familie. Aber niemand wird verschont, und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass auch De Vries für sein Schweigen zur Rechenschaft gezogen wird.

Niemand wird in Paul Mendelsons Roman verschont, der die Lügen und Widersprüche einer Gesellschaft thematisiert, die auf Ungleichheit aufgebaut ist. Ganz gleich, ob schwarz oder weiß, Unrecht ist und wird geschehen. Und das ist keine Frage der Hautfarbe. Ein Thriller über Schuld und Moral, über die Zerissenheit eines Landes und nicht zuletzt über das Streben nach Macht und deren Missbrauch. Aber auch über Veränderungen in kleinen Schritten.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2017
Rain Dogs / Sean Duffy Bd.5
McKinty, Adrian

Rain Dogs / Sean Duffy Bd.5


ausgezeichnet

Die Sean Duffy-Reihe des nordirischen Autors Adrian McKinty, mit das Beste, was es momentan im Krimibereich gibt, geht mit „Rain Dogs“ in die fünfte Runde, und wie bereits bei dem Vorgänger „Gun Street Girl“ ist der Titel einem Song (und einem Album) des amerikanischen Musikers Tom Waits entlehnt.

Ein „rain dog“ ist, wie der Begriff ahnen lässt, ein Hund im Regen, dessen größter Wunsch es ist, den Weg nach Hause zu finden, was ihm aber nicht möglich ist, da der Regen alle Spuren weggewaschen hat. Im übertragenen Sinne wird er für die Menschen, die ihr Heim verloren haben, auf der Straße leben und nichts haben als die Erinnerungen an bessere Zeiten, verwendet.

Nordirland, Ende der achtziger Jahre, die gewaltsamen Auseinandersetzungen („Troubles“) zwischen Katholiken und Protestanten dauern mittlerweile fast zwanzig Jahre an. Noch immer gehört es zur täglichen Routine von Sean Duffy und seinen Kollegen bei der Polizei den Unterboden ihrer Fahrzeuge nach angebrachten Bomben zu checken. Das Land ist meilenweit von der Normalität entfernt, die allgegenwärtige Gewalt bestimmt den Alltag. Die anhängigen Fälle sind jetzt auch nicht so der Kracher, oder kann man die Suche nach der verschwundenen Brieftasche eines finnischen Geschäftsmanns als den Raub des Jahrhunderts bezeichnen? Aber wenn der Vorgesetzte mit Nachdruck darauf besteht, dass man sich des Falls annehmen muss, weil der Finne Jobs nach Nordirland bringen könnte, kann er den Befehl schwerlich verweigern.

Nichts Neues unter der Sonne also, außer der Tatsache, dass Duffys Privatleben einmal mehr in Trümmern liegt, weil sich seine Freundin von ihm getrennt hat. Aber da gibt es ja diese attraktive Reporterin, bei der er sich Chancen ausrechnet. Aber auch daraus wird nichts, denn am nächsten Morgen wird ihre Leiche in Carrickfergus Castle gefunden. Die erste Vermutung geht Richtung Selbstmord, aber die Ergebnisse der Gerichtsmedizin lassen anderes vermuten. Und nachdem Duffy feststellt, dass das Notebook der Journalistin verschwunden ist, gehen bei ihm die Alarmglocken an. Offenbar war die Journalistin einer großen Sache auf der Spur, und es gibt Kräfte, die mit aller Macht die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse verhindern wollen. Und diese Menschen schrecken auch nicht vor Mord zurück. Aber Duffy wäre nicht der, der er ist, wenn er sich nicht mit aller Macht in diesen Fall verbeißen würde, ganz gleich, ob er sich damit selbst in Gefahr bringt, wenn er die schmutzigen Verstrickungen und Geheimnisse der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes im Laufe seiner Ermittlungen enthüllt.

Es erstaunt mich immer wieder, wie es Adrian McKinty schafft, in jedem seiner Troubles-Romane dieses hohe Niveau zu halten. Die messerscharfen Dialoge, gepaart mit dem Zeitkolorit und den gesellschaftspolitischen Themen, die so ganz nebenbei eingeflochten werden, einfach genial. Ich bin ein bekennender Fan, gerade weil McKinty es wie kaum ein anderer Autor versteht, seine Leser im wahrsten Sinne des Wortes mit auf die Reise zu nehmen – nicht nur nach Belfast, sondern auch in diese Zeit der Troubles. Er kreiert mit wenigen Sätzen diese ganz besondere Atmosphäre, wie beispielsweise in dem Eingangskapitel mit Ali, dessen Gang durch die Menge man beim Lesen bildlich vor Augen hat. Dazu kommen die immer wieder eingestreuten Songtitel sowie die Erwähnung realer Personen, die dem Geschriebenen Authentizität verleihen.

Und es geht weiter. „Police at the station and they don’t look friendly” (Duffy, Bd. 6) ist im Original bereits erhältlich. Ich hoffe nur, dass der Verlag den Titel beibehält.

Bewertung vom 31.01.2017
The Dry
Harper, Jane

The Dry


sehr gut

„The Dry“, das Debüt der australischen Autorin Jane Harper sorgte bereits kurz nach der Veröffentlichung für Furore, weil sich die Schauspielerin und Produzentin Reese Witherspoon die Filmrechte sicherte. Dass Witherspoon ein glückliches Händchen mit ihren Literaturverfilmungen hat, wissen wir seit dem Film „Der große Trip“ (nach der Vorlage von Cheryl Strayed), in dem sie die Hauptrolle spielte und für einen Oscar nominiert wurde.

Worum geht es in „The Dry“? Kiewarra, eine Kleinstadt irgendwo im australischen Nirgendwo, leidet unter einer unsäglichen Hitzewelle. Die Böden sind komplett ausgetrocknet, das Gras verdorrt, die Tiere krepieren elendiglich, Existenzen gehen den Bach runter, die Luft brennt. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass der eine oder andere komplett durchdreht und schreckliche Dinge tun. Wie der Farmer Luke Hadler, der seine Frau und seinen kleinen Sohn erschießt und zuletzt sich selbst eine Kugel in den Kopf jagt. Nur das Baby verschont er.
Lukes Jugendfreund Aaron Falk, mittlerweile in Melbourne bei der Polizei tätig, reist nach Kiewarra, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Und da der ortsansässige Polizist Zweifel an der Selbstmordtheorie hat, bittet sowohl er als auch der Vater des Toten Falk um Unterstützung bei den Ermittlungen, was in dem Städtchen gar nicht gerne gesehen wird. Denn Ereignisse aus der Vergangenheit werfen lange Schatten auf die Gegenwart.

Es waren einmal vier Freunde: Luke, Aaron, Gretchen und Ellie, eine verschworene Gemeinschaft, bis Ellie eines gewaltsamen Todes stirbt und Aaron des Mordes verdächtigt wird. Luke gibt ihm ein Alibi, aber die Zweifel an Aarons Schuld bleiben. Und auch zwanzig Jahre später wird er noch immer misstrauisch beäugt…

Die Autorin lässt sich die Zeit, die sie benötigt, um die Geschichte um Ellies Tod zu entwickeln. Akkurate Beschreibungen der Ermittlungen in der Gegenwart werden immer wieder von Rückblenden in die Vergangenheit unterbrochen und lassen nach und nach ein stimmige Bild der damaligen Geschehnisse entstehen.

Mich hat Jane Harpers Erstling angenehm überrascht, aber ich hatte auch keinen Thriller, sondern eher etwas Richtung „Aussie Noir“ erwartet, und dieser Erwartung entspricht „The Dry“. Harper zeichnet in eindringlichen Bildern das Porträt einer Kleinstadt am Abgrund, die ihren Bewohnern nichts, aber auch gar nichts zu bieten hat. Dazu diese unsägliche Hitze, die buchstäblich jeden Funken Hoffnung verdorren lässt und alte Animositäten an die Oberfläche spült, was man den noch nie wohlgelittenen Rückkehrer Aaron Falk deutlich spüren lässt.

„The Dry“ ist eine Geschichte von Erwartung und Enttäuschung, Freundschaft und Loyalität, Misstrauen und Vergebung, und nicht zuletzt von Heimat.

Bewertung vom 29.01.2017
Das Ende aller Geheimnisse / Heidi Kamembas Bd.1
Keller, Stefan

Das Ende aller Geheimnisse / Heidi Kamembas Bd.1


gut

„Das Ende aller Geheimnisse“, Kriminalroman aus der Feder Stefan Kellers, ist der Reihenauftakt mit Heidi Kamemba, die nach ihrem Einsatz bei der Einsatzhundertschaft Duisburg nun ins KK 12 der Kripo Düsseldorf wechselt. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn sie nicht schwarz und die erste deutsche Kriminalkommissarin mit afrikanischen Wurzeln wäre. Sie wirkt so auffällig wie ein rosa Elefant, aber es ist nicht nur diese Sonderstellung und das damit verbundenen Medieninteresse, das ihr den Einstieg erschwert. Nein, sie hat auch ein Talent dafür, unangenehme Fragen zu stellen, die bereits am ersten Tag ihre zukünftigen Kollegen gegen sie aufbringen. Wie die nach den Todesumständen ihres Vorgängers. Aber es ist genau diese Eigenschaft, nachzubohren, wenn sie das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt, lässt sie auch ausgetretene Pfade der Ermittlungsarbeit verlassen und im Zweifel ihrem Instinkt zu folgen. Wie im Fall der verkohlten Leiche, die in einem Waldstück gefunden wird.

Im vergangenen Jahr ging eine Meldung durch die Medien, dass die Sicherheitslücke eines Internetproviders kriminellen Aktivitäten Tür und Tor öffnete. Dadurch wurde es mit dem Einsatz einer bestimmten Software möglich, Privat-Accounts zu hacken, diese auszuspionieren und die damit erlangten Informationen zum Schaden des Kontoinhabers zu nutzen. Und es ist genau diese Ausgangssituation, die Stefan Keller seinem Kriminalroman zugrunde legt.

Die technologischen Hintergründe, aber auch deren politische Relevanz, werden angerissen, aber leider bleibt Stefan Keller hier doch sehr an der Oberfläche, und ich hätte mir gewünscht, dass er etwas tiefer in die Materie eintaucht. Gleiches gilt für den mysteriösen Todesfall von Kamembas Vorgänger. Keller bietet zwar eine Auflösung an, handelt diese aber relativ kurz und knapp ab, die eine oder andere überraschende Wendung wäre wünschenswert gewesen. Hier ist definitiv noch Luft nach oben.

„Das Ende aller Geheimisse“ ist im Wesentlichen ein Polizei-Roman, der die Ermittlungsarbeit in den Vordergrund stellt. Und glücklicherweise spielt der regionale Aspekt keine große Rolle. Die Ereignisse könnten sich überall so zugetragen haben, und das KK 12 könnte an jedem beliebigen Ort in Deutschland beheimatet sein.

Der Autor verwendet viel Zeit dafür, das Team rund um Kamemba vorzustellen und Hinweise darauf zu geben, welche Leichen sie im Keller haben könnten: Spielsucht, ein (eventuelles) Alkoholproblem, Beziehungsprobleme. Das bietet noch genügend Material für die Zukunft. Sein Hauptaugenmerk gilt allerdings der Gruppendynamik hinsichtlich der Integration seiner Kommissarin mit den kongolesischen Wurzeln. Und dieser Aspekt ist ihm durchaus gelungen. Wir dürfen gespannt sein, wie es mit Heidi Kamemba und dem KK 12 weitergeht.

Bewertung vom 26.01.2017
Lunapark / Kommissar Gereon Rath Bd.6
Kutscher, Volker

Lunapark / Kommissar Gereon Rath Bd.6


ausgezeichnet

Volker Kutscher ist mit „Lunapark“, dem sechsten Band seiner Gereon Rath-Reihe mittlerweile im Jahr 1934 angelangt und nicht nur Berlin sondern ganz Deutschland befindet sich mittlerweile fest in nationalsozialistischer Hand. Die Menschen sind der Willkür und dem Terror der SA-Schergen ausgeliefert. Die einen begrüßen diese neuen Verhältnisse und werden Teil der Diktatur, die anderen organisieren sich im Verborgenen und planen den Widerstand. Wieder andere stecken den Kopf in den Sand, arrangieren sich mit den Verhältnissen und leben nach dem Ich-schau-mal-lieber-weg-und-werde-deshalb-nicht-auffallen Prinzip. Wie Gereon Rath, Kommissar, der zwar sieht, was um ihn herum geschieht, sich aber einredet, dass es seine Aufgabe als Polizist ist, Verbrechen aufzuklären. Und die politischen Verhältnisse haben seiner Meinung nach damit überhaupt nichts zu tun. Ein typischer Scheuklappenträger. Ich warte schon auf den Tag, an dem er aufwacht und es ihm wie Schuppen von den Augen fällt. Aber noch ist es nicht soweit.

Berlin, 1934, das Jahr des Röhm-Putsches. Innerhalb kürzester Zeit werden die Leichen zweier SA-Männer aufgefunden. Erschlagen und auf das Übelste zugerichtet. Ein Fall für die Kommissar Rath. Aber nicht nur, denn auch das Geheime Staatspolizeiamt Gestapa (Vorläufer der Gestapo) mischt mit. Am Fundort der ersten Leiche prangt nämlich eine kommunistische Parole an der Wand. Und damit ist klar, aus welcher Ecke der Täter kommt. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Rath findet während seiner Ermittlung heraus, dass viele Mitglieder der zerschlagenen Ringvereine sich mittlerweile der SA angeschlossen haben – wie die beiden Toten. Und dann taucht auch noch Marlow, König der Unterwelt und ein alter Bekannter des Kommissars, auf, der einen Gefallen einfordert. In der Ruinenlandschaft des Lunaparks kommt es zum Showdown…

Der Lunapark, eine Vergnügungsstätte, in den Augen der Nationalsozialisten ein Ort der Ausschweifungen, unmoralisch und subversiv, ein Schandfleck. Passt nicht in ihr Weltbild, lenkt die Untertanen vom Wesentlichen ab, muss zerstört werden. Metaphorisch für das Leben in Deutschland. Erschreckende Parallelen zum Heute sind erkennbar. Die Lager, die vor den Toren der Stadt entstehen für alle Andersdenkenden, Andersgläubigen, die Verweigerer, wenn es gilt, Deutschland zu alter Größe wiederauferstehen zu lassen. Warum kommt mir sofort ein amerikanischer Wahlkampf- Slogan in den Sinn?

Die historischen Gegebenheiten sind wie immer akribisch recherchiert, aber noch stärker wirkt dieser Roman in den eher nebensächlichen Beschreibungen, den Kleinigkeiten des damaligen Lebens, die für stimmige Bilder im Kopf des Lesers sorgen. Die Dunkelheit, die sich über das Land und seine Menschen legt, kann man förmlich greifen. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Und wer nicht lesen will, kann schauen. Die Verfilmung des ersten Bandes des Gereon Rath-Reihe „Der nasse Fisch“ wird im Herbst 2017 im Pay-TV zu sehen sein.

Bewertung vom 25.01.2017
REBUS
Rankin, Ian

REBUS


ausgezeichnet

Wahrscheinlich hat es sich der schottische Autor Ian Rankin nicht in seinen kühnsten Träumen ausgemalt, dass John Rebus im Laufe der Jahre Kultstatus erreichen würde. Der knorrige Detective aus Edinburgh ist mittlerweile sogar so populär, dass ihm zu Ehren, aber auch natürlich anlässlich des 30. Jahrestages der Veröffentlichung des ersten Bandes der Reihe, „Knotts and Crosses“ (dt. „Verborgene Muster“), vom 30. Juni bis 02. Juli diesen Jahres in Edinburgh ein RebusFest veranstaltet wird.

Und auch „Rebus: Alle Inspektor Rebus-Stories“, eine Kurzgeschichten-Sammlung (plus eine längere Erzählung), zusammengestellt von Ian Rankin, zollt ihm Respekt. Wir begleiten John Rebus von seinen ersten Tagen als Detective bis in die Zeit nach seiner Pensionierung und treffen alte Bekannte wie seine ehemaligen Assistenten Brain Holmes wieder, der in den aktuellen Romanen keine Rolle mehr spielt, aber auch Siobhan Clarke, die in der Zwischenzeit Karriere gemacht hat. Obwohl die Geschichten, gemessen an den Romanen, relativ kompakt (aber sehr gut geplottet) sind, schafft es Ian Rankin dennoch, auch die schottischen Eigenheiten und die besondere Atmosphäre Edinburghs einzufangen. Und es sind auch immer wieder Anspielungen auf „alte“ Fälle versteckt, die zumindest diejenigen Leser verstehen und einzuordnen wissen, die mit der Rebus-Reihe vertraut sind. Von daher eignet sich die Sammlung natürlich als Zwischendurch-Lektüre für Fans - die werden sie natürlich eh lesen - aber auch als auch als Einstieg für Krimileser, die schon viel von dem schottischen Detective mit den sehr eigenen Moralvorstellungen und den unkonventionellen Methoden gehört haben und erstmals in das Rebussche Universum eintauchen wollen.

Ich habe den Blick zurück und die Reise in die Vergangenheit genossen und freue mich auf Ian Rankins 20. Kriminalroman mit John Rebus „Ein kalter Ort zum Sterben“ („Rather be the devil“ im Original), der am 13. März 2017 bei Goldmann erscheinen wird. Slàn leibh!