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Benutzername: 
hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1127 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2018
Sophies Tagebuch
Remin, Nicolas

Sophies Tagebuch


sehr gut

West-Berlin, Oktober 1989: Erika zur Linde ist Französischlehrerin, Mitte 40 und geschieden. Außer in ihrer Schule hat sie kaum soziale Kontakte, nur ihren Vater Ulrich besucht sie alle 4 Wochen zum Sonntagsessen. Der wurde in den 50er Jahren mit einem Kriegsroman berühmt, hatte sich kurz darauf aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt hat er sich an seinem Schreibtisch erschossen, kurz nachdem er einen Brief aus Amerika bekam. Ein gewisser Paul Singer fragt darin nach seinem Onkel Felix Auerbach, einem Juden, mit dem Ulrich und seine Frau Sophie (Erikas Mutter) während des 2. WKs befreundet waren und nach dessen Manuskript. Erika ist wie vor den Kopf gestoßen, über den Krieg oder gar Felix haben ihre Eltern nie geredet. Ihre Mutter starb, als sie 15 war. Auf der Suche nach weiteren Hinweisen findet sie deren Tagebuch und taucht in die Vergangenheit ihrer Familie ab.

Nicolas Remin erzählt auf 2 Zeitebenen Sophies Geschichte und Erikas Suche nach der Wahrheit.
Sophie heiratet 1939 nach nur wenigen Monaten den älteren Ulrich zur Linde, weil er in der Wehrmachts-Uniform gut aussieht und sie unbedingt Journalistin für eine Frauenzeitschrift werden will, was ihre Eltern ihr verboten haben. Ulrich ist sehr in sie verliebt und erlaubt ihr alles, überhäuft sie mit Geschenken. Allerdings wird ihr schnell klar, dass sie ihn nicht liebt. Sie ist extrem naiv und unpolitisch, tritt nur in die NSDAP ein, um bei Journalistin bleiben zu können und weil sie – wie so viele andere Frauen auch – Hitler anhimmelt.
Ulrichs bester Freund Felix Auerbach ist Jude, aber das spielt für sie keine Rolle. Felix sieht zu gut aus – groß, schlank, blond, wie ein echter Arier. Auch er bewundert Hitler, ist t traurig, dass er nicht wieder an der Front kämpfen darf, wie im ersten WK. Als Ulrich in den Krieg zieht, kümmert sich Sophie um Felix, dessen geplante Emigration immer wieder scheitert. Bald müssen sie ihn verstecken, sein Aussehen hilft ihm dabei. Sophie und er verbringen viel Zeit miteinander ...

Ich fand es schade, dass Nicolas Remin einen so nüchternen Schreibstil gewählt hat, dadurch sind mir Erika, Sophie und auch die anderen Protagonisten fremd geblieben. Obwohl sie viel Schlimmes erleben, bleibt man beim Lesen seltsam distanziert.
Sophie scheint eine verwöhnte Göre gewesen zu sein. Die „ehelichen Pflichten“ erträgt sie nur mit Alkohol. Glücklich ist sie nur, wenn Ulrich einen neuen Orden bekommt und in der Hierarchie der Wehrmacht aufsteigt oder Pakete aus Frankreich schickt, wo er stationiert ist. Erika hat sie immer als ziemlich kühle Frau bzw. Mutter empfunden und ist genau so geworden. Doch nach dem Tod ihres Vaters blüht Erika in kürzester Zeit plötzlich auf. Sie macht eine 180 Grad-Wendung, ändert ihren Kleidungsstil, ihre Frisur, trägt auf einmal Makeup. Aus dem unscheinbaren Mauerblümchen wird ein heißer Feger. Diese Wandlung fand ich zu extrem, ihre Gründe dafür bleiben nebulös. Zudem lebt Erika in West-Berlin und interessiert sich kaum dafür, was gerade auf der anderen Seite der Mauer passiert. Als diese dann fällt, stört sie sich am Geruch der Trabbis, dass die vielen Menschen aus dem Osten h in Berlin „einfallen“ und die Straßen verstopfen. Was das politisch bedeutet, scheint ihr egal zu sein.
Am meisten irritiert aber war ich von Felix. Gab es wirklich Juden, die zu 100 Prozent hinter Hitler standen und dachten, dass nach dem Endsieg alles wieder gut wird, dass die KZs nur Lügen sind? Oder hat Felix sich das nur eingeredet, weil er es glauben wollte? Auch das wird leider nicht wirklich aufgelöst.

Abgesehen von den o.g. Kritikpunkten, hat mir das Buch gut gefallen. Ich fand es faszinierend, wie sich die verschiedenen Menschen in der Nazizeit verhalten und wie viele dabei geholfen haben, Felix zu verstecken oder ihm wieder neue Identitäten zu beschaffen. Der Zusammenhalt und die Freundschaft zwischen Felix, Ulrich und Sophie waren sehr beeindruckend.

Bewertung vom 09.11.2018
Die Brücke zwischen den Welten
Oelker, Petra

Die Brücke zwischen den Welten


sehr gut

Corriger la fortune

... korrigiere das Glück. Würdet ihr das tun, wenn es euch jemand anbietet? Alles was Hans Körner nach seiner Entlassung aus dem Teppichhaus Brooks 1906 dafür machen müsste, wäre für 1 Jahr in die Rolle von Ludwig Brehm zu schlüpfen und an seiner statt in Konstantinopel im Orientteppich-Handelshaus Ihmsen & Witt ein Praktikum (so würde man heute sagen) zu machen. Viel Zeit zum Überlegen hat Hans nicht, der Zug geht schon am gleichen Abend. In Hamburg hält ihn nichts, Familie hat er keine und ähnlich sehen sich Hans und Ludwig auch. „Man kann doch alles sein, wenn man an sich und an seine Pläne glaubt.“ (S. 66)
Doch Hans quälen bereits auf der Reise Zweifel, ob er damit durchkommt. Diese verliert er in seiner Zeit bei Ihmsen & Witt nie ganz. Doch kommt er sich zu Beginn noch wie ein Hochstapler vor, wird er immer mehr zum weltgewandten Ludwig Brehm. Er kleidet sich wie er, wird selbstbewusster, beobachtet seine Umgebung ganz genau, um ja keine Fehler zu machen und lässt sich immer wieder Ausreden einfallen, warum er z.B. nicht Klavier oder Tennis spielen kann, wie der wirkliche Ludwig Brehm es könnte – und er meistert den Drahtseilakt ziemlich gut.
Auf seinen Streifzügen durch Konstantinopel wird er von Edie Witt, der jungen zweiten Frau einer seiner Arbeitgeber, und Milena Bonard, einer Halbrussin/Halbfranzösin begleitet. Letztere soll gleichzeitig seine Fremdsprachenkenntnisse aufpolieren. Und je länger Ludwig in Konstantinopel weilt und hinter die Kulissen blicken kann, um so klarer wird ihm: „Alle waren Hochstapler. ... Alle korrigierten an ihrem Glück herum, betrogen sich selbst, polierten den Schein ...“ (S. 339)

Petra Oelker schreibt sehr bildlich, ausschweifen, überbordend und farbenprächtig – genau so stelle ich mir den Orient vor. Sie fabuliert und lässt die alte Zeit lebendig werden, mehr als einmal hat sie mich dabei an Marco Polo erinnert.

Allerdings hatte ich mir die Handlung etwas anders vorgestellt. Aufgrund des Klappentextes habe ich einen abenteuerlichen Reiseroman, eine Münchhausen-Geschichte erwartet, aber ein Sittengemälde bekommen.
Ludwigs (also eigentlich Hans’) Geschichte ist nur der Rahmen für umfassende Beschreibungen der Stadt, ihrer Bewohner, der Sitten und Gebräuche und der sich stetig verändernden politischen Lage. In Konstantinopel treffen Orient und Okzident aufeinander, Menschen aller Religionen und Völker. Zudem leidet der herrschende Sultan an Verfolgungswahn, lässt immer wieder Leute verhaften, die dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Nicht nur Ludwig, auch die anderen Protagonisten haben Geheimnisse und mit Problemen zu kämpfen. Die sehr junge und modern erzogene Edie Witt muss dauernd hinter der verstorbenen ersten Frau ihres Mannes und vor allem deren Schwester zurückstecken, die sich die letzten Jahre um die Kinder aus dieser Ehe gekümmert hat. Zudem gesteht ihr Mann ihr zwar eine eigenen Meinung und auch Hobbys zu, aber reisen oder gar arbeiten – das geht natürlich nicht!
Auch Milena hat ein schweres Päckchen zu tragen. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten mit ihr aus Russland geflohen, nachdem die Brüder ihrer Mutter als Anarchisten verhaftet und in die Strafkolonie nach Sachalin verbannt wurden. Seitdem haben sie nichts mehr von ihnen gehört. Jetzt macht ihr der russische Maler Sergej neue Hoffnungen – allerdings erwartet er auch eine Gegenleistung ...

Mein Fazit: Leider etwas viel Politik und Fabulierfreude, sonst aber eine schöne historische Erzählung, wenn auch anders als erwartet.

Bewertung vom 05.11.2018
Die kleinen Wunder von Mayfair
Dinsdale, Robert

Die kleinen Wunder von Mayfair


ausgezeichnet

Auch mich hatten das Cover und der Klappentext des Buches angezogen und ich kann verstehen, dass einige Leser enttäuscht wurden. Man erwartet eine magische Liebesgeschichte und bekommt etwas ganz anderes.
Robert Dinsdale hat mich gleichermaßen bezaubert und schockiert. „Die kleinen Wunder von Mayfair“ beginnen als romantisches Wintermärchen, mit Cathys Flucht und Emanzipation von ihrer Familie, den wundervollen Spielzeugen, dem Emporium als Hort ewig dauernder Kindheit („Die Kinder kommen ins Emporium, weil sie Abenteuer erleben wollen, aber die Erwachsenen, weil sie daran erinnert werden möchten, dass die Welt einst mit so viel Magie angefüllt war, wie ihre Fantasie nur hergab.“ (S. 248)) und der zarten Liebesgeschichte, die sich zwischen ihr und Papa Jacks Söhnen anbahnt. Doch den größten Raum in dem Buch nimmt der Krieg ein. Der zermürbende Kleinkrieg zwischen Emil und Kaspar, der ständige Wettbewerb, wer die besseren Spielzeuge baut, der Kampf um Cathys Zuneigung, später um das Geschäft und zum allergrößten Teil die beiden Weltkriege.
Auch mich haben die Schilderungen der Kriegserlebnisse und ihrer Folgen aufgewühlt und ich habe mich gefragt, ob diese beiden so unterschiedlichen Handlungsstränge denn überhaupt zusammenpassen und nicht zu viele Leser abschrecken. Doch der Autor macht auch immer wieder klar, dass man (fast) überall ein kleines bisschen Magie und Hoffnung finden kann, wenn man nur genau genug sucht. „Einem Menschen können die schrecklichsten Dinge zustoßen, aber er wird sich nie verlieren, wenn er sich immer erinnert, dass er einmal ein Kind war.“ (S. 170)

„Die kleinen Wunder von Mayfair“ ist ein sehr philosophisches Buch. Es beschäftigt sich mit Realitäten und Perspektiven, handelt von Hoffnung, Liebe, Mut und Magie. Mein Tipp für alle Fans von „Sophies Welt“ von Jostein Garder.

Bewertung vom 03.11.2018
Madame Bertin steht früh auf / Madame Bertin Bd.1
Masson, Julie

Madame Bertin steht früh auf / Madame Bertin Bd.1


sehr gut

Louise gegen den Rest der Welt

Madame Louise Bertin hat vor Jahren die Pariser Boulangerie von ihrer Mutter übernommen und backt die besten Baguettes von Paris. Darum darf sie diese auch zweimal täglich in den Elysee-Palast liefern. Ausgerechnet an dem Tag, als der neue Präsident Charles Bonnet sein Amt antritt, sieht sie morgens im Nachbarhaus eine blutige Hand an einem Fenster des Treppenhauses. Doch die gerufene Polizei entdeckt bei ihrer oberflächlichen Suche keine Spuren. So beginnt Louise auf eigene Faust, Nachforschungen anzustellen und schon bald zieht der Fall größere Kreise, als sie je ahnen konnte.

Die Beschreibung von Louise Bertin mit ihrem akkuraten grauen Pagenschnitt, dem auffälligen roten Lippenstift und den edlen Designerklamotten hat mich sofort an Anna Wintour denken lassen. Auch das Alter müsste passen, wobei nie genau gesagt wird, wie alt Louise denn nun eigentlich ist. Allerdings hat sie das Tagesgeschäft der Boulangerie schon lange an ihren Neffen und dessen Frau übergeben und backt nur noch die Baguettes für den Präsidentenhaushalt. Auch das fällt ihr immer schwerer, aber: „Das Alter war keine Krankheit, sondern nur eine Herausforderung, die sie bewältigen musste.“ (S. 61) Zudem hält sie auch der Flirt mit dem (verheirateten!) Apotheker Olivier Pellegrini jung. Ihn bezieht sie als erstes mit in ihre Ermittlungen ein, denn er beschafft ihr die Chemikalien, um das Blut im Treppenhaus nachzuweisen.

„Madame Bertin steht früh auf“ ist ein charmanter Cosy-Krimi von Julie Masson und könnte der Start einer Serie sein. Das Paris-Setting kommt allerdings nur bei Louises Brot-Auslieferungsfahrten durch Paris, ihre Boulangerie und den Blick aus diversen Dachfenstern zum Tragen, ansonsten hätte das Buch überall spielen können.
Louise erinnerte an Miss Marple bzw. Jessica Fletcher aus der Fernsehserie „Mord ist ihr Hobby“ – genau wie diese Damen ist sie der Polizei immer mindestens einen Schritt voraus. Leider war mir der Fall etwas zu konstruiert. Louise stolperte mir zu oft über die nächsten Hinweise bzw. Beweise. Zudem fand ich es auch nicht ganz realistisch, dass der ermittelnde Polizist sie immer wieder an Tatorte lässt, sie mit Hintergrundinformationen versorgt bzw. sie ihm mehrfach Unterlagen entwenden kann.
Davon abgesehen ist das Buch sehr unterhaltsam und Louise eine sympathische, liebenswerte und clevere Ermittlerin mit einer sehr guten Beobachtungsgabe, die ihr Gegenüber zur Not mit ihrer Handtasche ausknockt. Falls Louise wirklich in Serie geht, würde ich mir etwas mehr Paris-Feeling und einen Tick mehr Realität bei den Ermittlungen wünschen.
3,5 von 5 Sternen

Bewertung vom 01.11.2018
Keine Ahnung, ob das Liebe ist
Engelmann, Julia

Keine Ahnung, ob das Liebe ist


ausgezeichnet

Julia Engelmann spricht mir wieder einmal aus der Seele – woher weiß man, ob es Liebe ist? „Immer wenn Du bei mir bist, hör ich auf Dich zu vermissen.“ Doch Liebe ist oft zeitlich begrenzt. Und danach, wenn es vorbei ist? So ziemlich jeder hatte schon einmal Liebeskummer. Aber wie verarbeitet man den am Besten? Aussitzen, verdrängen, ins nächste Abenteuer stürzen? „Ich bin gern allein, aber ungern einsam.“ Lässt man ihn sich anmerken oder spielt man nach außen die Coole? Und vor allem, ist man irgendwann wieder bereit, sich auf eine neue Liebe einzulassen? „Geliebt werden ist einfach, aber Lieben ist ein Kunststück.“

Diesen und mehr Fragen geht sie in diesem (Hör-)Buch auf den Grund. Ihre Gedichte handeln auch vom endgültigen Erwachsenwerden, dem Abschied von der Jugend. Den habe ich schon länger hinter mir. Und ich weiß, ein neuer Lebensabschnitt ist immer schwer, um so wichtiger sind Freunde, Gleichgesinnte. „Weil von allem was vergeht, auch ein kleines bisschen bleibt.“ Man braucht „Strukturen im Chaos“.

Ich habe schon beim letzten Hörbuch von ihrer Stimme geschwärmt und tu es wieder! Julia Engelmann ist eine wunderbare Interpretin ihrer eigenen Texte, man fühlt sich ihr so nah, möchte sie manchmal in den Arm nehmen, weil man Angst hat, dass sie sich in ihrer Trauer und ihrem Schmerz verliert. Und wie so vielen Anderen, geht auch mir „Löwenherz“ besonders nah. Wessen Verlust betrauert sie da?
Besonders berührend finde ich, dass sie sich, nachdem sie sich im letzten (Hör-)Buch an ihren Bruder gewandt hatte, dieses Mal bei ihrer Mutter und ihrem Vater bedankt. Man nimmt als Kind so vieles als selbstverständlich und begreift erst später, was Eltern eigentlich alles für ihre Kinder tun. Sie geben uns unsere Heimat, geben uns Flügel und sind unser Sicherheitsnetz.

Julia Engelmann schreibt über Verlust, (Selbst-)Liebe, Verzeihen, Erinnerung, Hoffnung, Dankbarkeit. Über alles, was das Leben ausmacht. Ihre Worte haben mich wieder sehr berührt.

Weitere Lieblingszitate:
„Ich lass zu wenig los und viel zu viel zu.“
„Wahre Stärke liegt am Ende in Verletzlichkeit.“
„Scherben bringen jedem Glück, solange man nicht drauf tritt.“
„Bevor ich dich enttäusche, täusch ich lieber etwas vor.“

Bewertung vom 31.10.2018
Ketchup, Kult und Kino-Küsse
Schumacher, Dirk M.

Ketchup, Kult und Kino-Küsse


ausgezeichnet

Wissen macht Spaß

Badet ihr eigentlich allein oder zu zweit? Mein Mann und ich baden (schon aus Gründen der Wasserersparnis) fast immer zusammen und lauschen dabei gern einem Hörbuch oder lesen ein Wannenbuch. (Diese sind natürlich wasserfest und in 15 Minuten gelesen.)

Dirk M. Schumacher, der Autor von „Buddhas baden besser“, hat jetzt ein neues Wannenbuch geschrieben: „Ketchup, Kult und Kino-Küsse“ kann man super zu zweit lesen und hat noch eine Menge Spaß dabei. Die 33 kniffeligen und kuriosen Fragen drehen sich um Film-Wissen, welches man (hoffentlich) im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Wir haben uns auf jeden Fall köstlich darüber amüsiert, was wir alles nicht oder - mit Überzeugung - falsch wissen. Und da man sich die Antworten nicht alle merken kann, macht es auch noch ein zweites oder drittes Mal Spaß. Wir sagen: Bitte mehr davon!

Das perfekte Buch für Kinofanatiker, Besserwisser und Bade-Pärchen.

Bewertung vom 31.10.2018
Die Dame in Gold / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.7
Trierweiler, Valérie

Die Dame in Gold / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.7


sehr gut

Wien 1904: Adele Bloch ist 23, in ihrem Salon trifft sich alles, was Rang und Namen hat. Ihr Mann Ferdinand ist 17 Jahre älter als sie, liebt sie abgöttisch und überhäuft sie mit Geschenken. Doch Adele ist unglücklich, denn ihr Sohn ist nur wenige Stunden nach der Geburt gestorben. Er ist schon das zweite Kind, das sie verloren hat. Adele ist sich sicher: „Sie schenkt nicht, wie andere Leben, sondern gebiert nur den Tod.“ (S. 15) Um sie aus der monatelangen Depression und Lethargie zu reißen, beauftragt Ferdinand Gustav Klimt, ein Portrait von ihr zu malen. Adele ist fasziniert von Klimt. Aber sein Ruf als Verführer eilt ihm voraus. Er ist berühmt für die Affären mit seinen Modellen – Adele will auf keinen Fall eine von ihnen werden. „... Klimt verkörpert für sie all jene Freiheit, die sie als Frau für sich nicht einfordern kann. Er hat sich von allen geschäftlichen Konventionen befreit, hat zahlreiche Mätressen und steht selbstbewusst zu seinem lockeren Lebenswandel.“ (S. 65) Sie freunden sich während des stundenlangen Modellsitzens an, denn im Gegensatz zu ihrem Mann nimmt er sie als eigenständige Person wahr und gesteht ihr auch eine eigene Meinung zu.

Ich hatte Adeles Biografie erwartet, eine große Liebesgeschichte und die Erklärung, inwieweit sie Klimt künstlerisch beeinflusst hat. Allerdings vermittelt Valérie Trierweiler das Gefühl, dass Adeles Leben mit Klimt endet und beginnt. Dabei war er deutlich älter und ist auch einige Jahre vor ihr gestorben. Aber die Jahre vor ihm werden nicht erwähnt und die danach relativ schnell abgehandelt.

Adele ist eine moderne junge Frau der Oberschicht, die eine Vernunftehe eingegangen ist. Ihr Mann trägt sie auf Händen und verwöhnt sie, aber eine eigene Meinung darf sie nicht haben und aus der Politik hat sie sich rauszuhalten. Dass sie sich für das Frauenwahlrecht interessiert, Zeitungen liest und regelmäßig zu jüdischen Flüchtlingen in die Vorstadt fährt um diese zu unterstützen, versteht er nicht.
Und dann kommt Klimt. Er erklärt ihr seine Bilder und das Zeitgeschehen, versteht aber auch ihren Verlust und den Schmerz. Obwohl sie es bei einer Freundschaft belassen will, drehen sich ihre Gedanken und bald auch ihr Tun überwiegend ums Körperliche. Sie kommt mit ihrem sexuellen Verlangen nach Klimt nicht klar, wirkt oft triebgesteuert. Klingt und sie umkreisen sich, es ist wie ein Tanz – ein Schritt vor, einer zurück. Aber wer führt eigentlich? „Adele, bitte kommen sie zurück, ich brauche Sie. Ich liebe Ihren Körper, vor allem aber ihren Geist.“ (S. 233)
Adeles Portrait wird eher nebenher fertig, gibt sie aber perfekt wieder. Er hat sie als goldene Frau gemalt – dabei steht das Gold sowohl für ihre gesellschaftliche Stellung als auch den goldenen Käfig, in dem sie lebt. Ist es eine Hommage seiner Liebe zu ihr?

„Die Dame in Gold“ ist für mich eher die Geschichte einer leidenschaftlichen Affäre, als einer großen Liebe. Ich habe Adeles Beweggründe nicht immer verstanden, konnte aber ihren Schmerz, die Enttäuschungen und ihre Sehnsucht fühlen, nachvollziehen, warum sie ihren Glauben verlor. Ich fand es schade, dass sie nicht den Mut hatte, aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen, weil ihre Angst zu groß war. Doch ihre Stellung hat ihr auch möglich gemacht, Flüchtlinge und Künstler zu unterstützten. Und man darf nicht vergessen, dass ihr Mann einer der wichtigsten Mäzene von Klimt war und dieser durch seine Unterstützung freier malen konnte. An dieser Stelle hätte es mich gefreut, auch etwas über die geschäftliche Abwicklung zwischen Auftraggeber und Künstler zu erfahren. Wurden die Bilder z.B. bei Auftragserteilung angezahlt? Zudem hätte mich interessiert, wie sehr Adele Klimt wirklich beeinflusst hat. Denn das Buch lehnt sich zwar an das Leben der beiden an, ist aber ein Roman.

Trotz meiner Kritikpunkte hat mich das Buch sehr gut unterhalten. Wien, Adele, ihre Kleider, Schmuckstücke und nicht zuletzt die Bilder werden sehr anschaulich beschrieben.

Bewertung vom 29.10.2018
Die Engelmacherin von St. Pauli
Hanke, Kathrin

Die Engelmacherin von St. Pauli


ausgezeichnet

Bilshausen im Harz, irgendwann zwischen 1882 und 1888: Elisabeth ist Mitte 20 und Hebamme. Allerdings nicht aus Berufung, sondern weil sie viel Geld verdienen und ein besseres Leben will. Ihr ist es egal, wenn mal ein Kind oder die Mutter unter der Geburt sterben. „Ihr Motto war einfach: Nie etwas zugeben, immer alles abstreiten und möglichst einen anderen Schuldigen nennen. Wenn alles nichts half auch ruhig Gott.“ (S. 10)
Leider durchkreuzt ihre eigene Schwangerschaft ihre Pläne, die Abtreibung hat nicht funktioniert, sie bekommt eine uneheliche Tochter. Aber wer weiß, für was die später mal gut ist, denkt sie sich.

Um 1900 lebt Elisabeth in St. Pauli, ist mit dem Kesselflicker Heinrich Wiese verheiratet und zwingt ihre Tochter Paula zur Prostitution. Doch Paula kann fliehen und Elisabeth muss sich nach einer neuen Verdienstmöglichkeit umsehen. Sie vermittelt Kinder lediger Frauen an Pflegefamilien oder neue Eltern. Als einige der Mütter ihre Kinder wiederhaben wollen, sind diese verschwunden. Gerüchte kommen auf und Elisabeth verstrickt sich in Widersprüche – hat sie die Kinder wirklich im umgebauten Küchenofen verbrannt?

„Die Engelmacherin von St. Pauli“ von Kathrin Hanke ist aus der „True Crime“ Reihe des Gmeiner Verlages und der zweite historische Kriminalfall, den die Autorin umfassend recherchiert hat. Zwar wurden viele Akten im 2. WK zerstört, doch trotzdem schafft sie es auf der Basis des noch existierenden Materials, „die Hexe“ und ihre Verbrechen für den Lesers wieder aufleben zu lassen.
Elisabeth wird aus der Sicht verschiedener Beteiligter geschildert. Sie alle erleben sie als kaltherzig, jähzornig, herrisch, brutal und geldgierig. Eine Frau, die ihrem Umfeld Angst macht. Selbst ihr eigener Mann traut ihr nicht, vermutet, dass sie ihn vergiften will um an sein Sparbuch zu kommen.

Ich hatte beim Lesen immer wieder Gänsehaut. Es war erschreckend, was Elisabeth ihrer Tochter und den anderen Frauen angetan hat. Noch während des Gerichtsverfahrens versucht sie, die Schuld auf abzuwälzen – zum Glück erfolglos. Und obwohl es ein reiner Indizienprozess war, wird Elisabeth Wiese am Ende zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Die Beweismittel und vor allem die Widersprüche, in die sie sich immer mehr verstrickt, waren erdrückend.

Kathrin Hanke hat es wieder geschafft mich mit einem Buch zu fesseln, dessen Ausgang vorher bekannt ist. Neben den Protagonisten und ihren zum Teil sehr unwirtlichen Lebensumständen, schildert sie auch Hamburg zur damaligen Zeit sehr anschaulich. Die zwischen den einzelnen Kapiteln angedruckten Prozessaussagen von Zeugen, Reportern etc. machen das Buch besonders eindringlich.

Bewertung vom 26.10.2018
In der Nacht hör' ich die Sterne
Peretti, Paola

In der Nacht hör' ich die Sterne


sehr gut

Schritte in die Dunkelheit

„Wer Angst hat, verpasst das Leben, Mafalda.“ (S. 209) Das sagt sich relativ leicht, wenn man nicht gerade erst 9 Jahre alt ist und an Morbus Stargardt leidet, einer Augenkrankheit, die den Betroffenen nach und nach erblinden lässt. Mafalda flüchtet sich in den Kirschbaum auf dem Schulhof, noch kann sie ihn sehen und daran hochklettern – aber wie lange noch?

„In der Nacht hör’ ich die Sterne“ beruht auf Paola Perettis Geschichte, erklärt sie im Vorwort. Sie ist jetzt in Mafaldas Situation, weiß nicht genau, wie lange sie noch sehen kann. Für eine Erwachsene ist das schon eine schwierige Situation, wie mag es dann erst für ein Kind sein?! Mit viel Einfühlungsvermögen erzählt sie, wie sich Mafalda auf das „Blindsein“ vorbereitet. So hat sie z.B. eine Liste mit Dingen, die sie jetzt noch machen kann und von der sie bald immer mehr Sachen streichen muss. Sie konzentriert sich auf ihre Trauer, das Negative, den Verlust. Erst die neue Hausmeisterin der Schule, die Rumänin Estella, bringt sie darauf, stattdessen eine Liste mit Dingen zu erstellen, die sie dann immer noch machen können wird. Genau wie der kleine Prinz in der Geschichte von Saint Exupery: „Finde deine Rose, Mafalda. Das, was für Dich wesentlich ist. Das, wozu du keine Augen brauchst.“ (S. 48)

Das Buch erzählt die Geschichte von Außenseitern. Mafalda ist nur eine von ihnen. Wegen ihrer Erkrankung grenzen die anderen Schüler sie aus, ihre beste Freundin wendet sich ab. Doch sie bekommt auch unerwartete Unterstützung, findet neue Freunde. Neben Estella, die ihr immer wieder die Wahrheit sagt und ihr Mut macht, setzt sich auch ausgerechnet Filippo, der Schulrüpel, für sie ein. Er sieht sie als Mensch, nicht als Opfer ihrer Krankheit. Und er artikuliert auch, dass ihm gefällt, was er sieht. Zwischen ihnen spinnen sich zarte Bande. Aber darf sich ein blindes Mädchen verlieben? Darf sie glücklich sein? Oder sollte sie sich von der Welt zurück- und auf einen Kirschbaum ziehen?

Mafaldas Geschichte hat mich sehr berührt. Manchmal scheint sie schon sehr weit für ihr Alter, lebensklug, und dann ist sie plötzlich wieder das kleine unsichere Mädchen, dass sich am liebstem vor der ganzen Welt verkriechen und ihren dicken Kater streicheln würde: „Hauptsache, er ist da, wenn ich ein Problem habe und etwas Warmes, Weiches brauche, das ich fest an mich drücken kann.“ (S.14).

Eine Kleinigkeit hat mich gestört: Die verschiedenen Abschnitte werden nicht durch Zeitangaben unterteilt, sondern durch die Schritte, die Mafalda von „ihrem“ Kirschbaum entfernt stehen und ihn trotzdem noch sehen kann. Leider war dadurch nie klar, wie alt sie gerade ist oder in welcher Klasse.