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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2017
Insomnia / Bobby Dees Bd.2
Hoffman, Jilliane

Insomnia / Bobby Dees Bd.2


gut

„Insomnia“ (lateinisch für „Schlaflosigkeit“) ist eine Erkrankung, bei der die anfänglichen Schlafstörungen allmählich begleitet werden durch Konzentrations-, Denk- und Gedächtnisstörungen, später auch Halluzinationen. Und nach und nach verwischen die Grenzen zwischen Realität und Einbildung, Wahn und Wirklichkeit. Passt auf den mörderischen Protagonisten in Jilliane Hoffmans neuem Thriller „Insomnia“ (Originaltitel „The girl who cried monster“).
Ein Serienmörder geht um in Florida. Er entführt junge Mädchen, quält und ermordet sie. Aber eines seiner Opfer entkommt ihm. Mallory Knight kann sich befreien. Allerdings stellt sich im Verlauf ihrer Befragung schnell heraus, dass sie die Ermittler an der Nase herumgeführt hat. Ein Spießrutenlaufen für sie und ihre Familie beginnt. Ein paar Jahre später studiert Mallory Jura. Ein Ortswechsel, eine neue Identität. Und doch holt sie die Vergangenheit wieder ein. Von da an ist es mit ihrer Ruhe vorbei...

Wenn man nur an der Handlung entlang liest, ist „Insomnia“ durchaus spannend. Aber bei genauerem Hinschauen offenbaren sich die Schwächen dieses Thrillers. Die Autorin bewegt sich auf ausgetretenen Pfaden, und die „überraschenden Wendungen“ sind für jeden geübten Krimileser vorhersehbar. Auch die Nebenschauplätze generieren keine neuen Perspektiven, sondern zementieren lediglich bereits vorhandene Vermutungen. Dazu viel Füllmaterial, Drumherumgerede und zu wenig Sorgfalt bei der Charakterisierung des Personals, keine Sympathieträger, ergo keine Anteilnahme an deren Schicksal seitens des Lesers.

Dass Jilliane Hoffman nicht zimperlich in der Wahl ihrer Beschreibungen ist, wenn es um Gewaltdarstellungen geht, ist seit ihrem diversen Bestsellern bekannt. Wahrscheinlich schöpft die ehemalige Staatsanwältin (und juristische Beraterin bei diversen Spezialeinheiten der Polizei) aus dem breiten Repertoire ihrer früheren Fälle, wenn sie Material für einen neuen Thriller sammelt und verarbeitet (für mich übrigens die stärkste Szene dieses Buches: die Einführungsvorlesung an der juristischen Fakultät.)

Die Autorin schreibt routiniert den Mix aus Selbstmitleid, Bedauern, Psychoterror und Brutalität herunter, unterhaltsamer Popcorn-Thrill für die breite Leserschaft. Aber leider nichts Neues, nichts Überraschendes, Dutzendware, alles schon zigmal gelesen. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 24.01.2017
Operation Zagreb / Bernie Gunther Bd.10
Kerr, Philip

Operation Zagreb / Bernie Gunther Bd.10


ausgezeichnet

Jeder Leser, der die Bernie Gunther-Romane des schottischen Autors Philip Kerr verfolgt, weiß, dass die Reihe nicht chronologisch angelegt ist. In „Operation Zagreb“, dem zehnten (übersetzten) Band, schickt der Autor seinen Protagonisten aus dem Jahr 1956 zurück in die Jahre 1942/43.

1956: Bernie Gunther hat es mittlerweile an die Französische Riviera verschlagen. Als er einen Film mit der Schauspielerin Dalia Dresner anschaut, wird er von den Erinnerungen an die Ereignisse des Jahres 1942 eingeholt.

Damals lebt er in Berlin und hat eine Stelle im Präsidium am Alexanderplatz inne, die ihm ein ehemaliger Weggefährte besorgt hat. Es gibt genug zu tun, die Kriminalität ist hoch. Und doch meint Joseph Goebbels, seit 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Präsident der Reichskulturkammer, Bernie Gunther wie seinen Laufburschen behandeln zu können. Wenn er pfeift, muss Gunther springen. Und wenn der Minister meint, dass er eine ganz bestimmte Schauspielerin, in diesem Fall Dalia Dresner, für einen Propaganda-Film haben möchte, weil er sich in sie verguckt hat, muss Gunther sie herbeischaffen, auch wenn er dafür ins Ausland reisen muss. Denn Dresner stellt Bedingungen: nur wenn sie Informationen über den Verbleib ihres Vaters bekommt, wird sie Goebbels Wunsch erfüllen. Und so macht sich Gunther auf die Suche nach dem ehemaligen Priester, der sich der Terrororganisation Ustascha angeschlossen hat. In Kroatien wird er fündig, aber damit fangen die Schwierigkeiten erst richtig an.

Philip Kerr schreibt packende historische Kriminalromane, die aber über die bloßen Schilderungen von in fiktive Inhalte verwobenen Fakten hinausgehen. Die Ergebnisse seiner Recherchen schmerzen, denn er schont seine Leser nicht, sondern führt ihnen die menschenverachtenden Grausamkeiten der regimetreuen Gruppierungen, in diesem Fall die der kroatischen Faschisten, deutlich vor Augen. Mittendrin sein Protagonist Bernie Gunther, von dem immer wieder der Spagat zwischen gehorsamer Befehlsausführung und seiner eigenen moralischen Integrität in einem zutiefst unmoralischen System gefordert wird.

Der Roman ist nicht immer einfach zu lesen. Zum einen fehlt, wie bereits erwähnt, der Reihe die Chronologie, zum anderen werden auch innerhalb der Geschichte verschiedenen Zeitebenen bedient. Dazu die verarbeiteten Themen, was dem Leser stellenweise hart an die Nieren geht. Aber Kerrs Bücher sind wichtig, legen sie doch immer wieder den Finger in Wunden, machen bewusst und animieren zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 22.01.2017
Simple
Henry, Diana

Simple


ausgezeichnet

„Wer in England anständig speisen will, muss dreimal am Tage frühstücken“, dieses Zitat des bekannten britischen Schriftstellers William Somerset Maugham spukt offenbar noch immer in den Köpfen vieler Reisenden herum, wenn das Gespräch auf die Qualität der englischen Küche kommt. Ich habe auf alle Fälle bei jedem meiner zahlreichen Aufenthalte auf der britischen Insel hervorragend gegessen. Offenbar ist es aber leider noch nicht zu jedem durchgedrungen, dass Großbritannien mit einer Vielzahl innovativer Köche und Food-Journalisten aufwarten kann. Nigel Slater, Gordon Ramsay, Jamie Oliver oder Nigella Lawson, um nur die bekanntesten zu nennen – die Reihe lässt sich endlos fortsetzen.

Auch Diane Henry gehört dazu, Kochbuchautorin und Journalistin mit regelmäßigen Food-Kolumnen in diversen englischen Zeitungen und Magazinen. Mittlerweile gibt es von ihr zehn Kochbücher (leider nur eines, nämlich „Alle meine Hähnchen“, in der deutschen Ausgabe erhältlich), wovon „Simple“ ihr neuestes Werk ist. Bereits der Untertitel zeigt, worum es ihr geht: „Kleiner Aufwand, großer Geschmack“.

Die Aufteilung des Kochbuchs orientiert sich zum einen an der bekannten klassischen Einteilung, wie wir sie aus Kochbüchern kennen, zum anderen aber auch an der Hauptzutat, um die herum die Autorin raffinierte Rezepte, jedoch mit überschaubarem Zeitaufwand zu realisieren, kreiert. Die Zutaten sind (zumindest bei uns, und ich wohne in einer Kleinstadt) ohne besonderen Aufwand erhältlich. Allerdings scheint es, als ob wir einkaufstechnisch in einer privilegierten Situation wären: im Umkreis von 10 Autominuten gibt es einen großen italienischen Supermarkt, diverse türkische Läden, einen Asia-Shop, zwei große Bio-Supermärkte und einige Biobauern. Und selbst Cavolo nero (die Autorin bezeichnet ihn als Palmkohl, ich kenne ihn aus meinem Italien-Urlaub als Schwarzkohl) baut der Demeter-Bauer im Nachbarort an.

Die Rezepte zeigen Einflüsse aus dem mediterranen Bereich, aber auch orientalisch und fernöstlich inspirierte Gerichte sind zu finden. Die Zubereitungen selbst sind überwiegend unaufwendig, auch von Anfängern zu realisieren, und nicht sonderlich zeitraubend, so dass sich auch Berufstätige nach einem Arbeitstag durchaus mit einem leckeren Gericht verwöhnen können. Alternativ dazu kann man das eine oder andere Rezept bereits auch am Vorabend vorbereiten. Die Bebilderung ist angenehm normal und „unstylisch“ und verzichtet auf Deko-Schnickschnack. Das, worum es geht, fängt das Auge des Betrachters ein, nämlich das leckere Resultat. Begeistert hat mich die Haptik des Buches, dieses Gefühl in den Fingern, wenn man es in die Hand nimmt. Wenn ich es beschreiben müsste, würde mir am ehesten das Attribut "Country Cooking" dazu einfallen.

Nach der Leseprobe konnte ich natürlich nicht abwarten und habe die Pappardelle mit Cavolo nero, Chili und Haselnüssen nachgekocht - ein Gedicht! Und gestern gab es die Ofensüßkartoffel mit Chorizo, Champignons und Ei, ein schnelles Gericht, das eine regelrechte Geschmacksexplosion im Mund auslöst. Wenn ich durch die Rezepte schaue, kann ich mich gar nicht entscheiden, was ich als nächstes ausprobieren möchte!

Das Register ist durchdacht. Es gibt zwei Kategorien, zum einen sind die Rezepte alphabetisch gelistet, zum anderen nach Zutaten, was die Suche bzw. die Auswahl ungemein erleichtert.

Wer ein schönes Kochbuch sucht, das frischen Wind in die Küche bringt, kann hier ohne Bedenken zugreifen!

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Bewertung vom 18.01.2017
Blut in den Bayous / Dave Robicheaux Bd.2
Burke, James Lee

Blut in den Bayous / Dave Robicheaux Bd.2


ausgezeichnet

1991 bereits in der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Mississippi Delta – Blut in den Bayous“ erschienen und 1996 filmisch mit Alec Baldwin in Szene gesetzt, liegt nun, dem Pendragon Verlag sei Dank, in einer überarbeiteten Fassung als „Blut in den Bayous“, zweiter Band der Dave Robicheaux-Reihe vor.

New Orleans und die Mordkommission sind Geschichte, mittlerweile betreiben Robicheaux und seine Frau mit einem Helfer einen Angelshop samt Bootsverleih in Louisianas Süden. Und so lebten sie froh und glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Mitnichten, denn spätestens als sie Zeuge eines Flugzeugabsturzes werden und Robicheaux die einzige Überlebende, ein kleines Mädchen, aus dem Wasser zieht, kann man bereits ahnen, dass dieses Ereignis unerwartete Wendungen nach sich ziehen wird. Und so kommt es auch. Er erfährt, dass es sich bei den anderen Toten um salvadorianische Flüchtlinge handelt, deren Zahl aber von den Behörden nicht korrekt angegeben wird, was wiederum sein Misstrauen weckt. Wer kann ein Interesse an dieser Manipulation haben? Und warum?

Es ist nicht vorrangig dieses Wer und Warum, Burke lässt uns vielmehr hinschaue und zeigt, wie diese Ereignisse Verhalten und Leben des Protagonisten formen. Wie beispielsweise das Mädchen, das er gerettet hat, das er beschützt und für das er sich fortan so verantwortlich fühlt, dass er es adoptiert. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, denn im Gegenzug bewahrt ihn dieses Kind davor, sich endgültig dem Suff zu ergeben. Aber die Alkoholabhängigkeit ist nur eines der Probleme, mit denen Robicheaux zu kämpfen hat. Es sind die Erinnerungen, die ihn verfolgen. Ihn, das verlassene Kind, das der verlorenen Kindheit hinterher trauert, aber auch den jungen Mann, den seine Kriegserlebnisse in Vietnam noch immer quälen. Diese Traumata beschreibt der Autor glaubhaft und ohne Schönfärberei und gewährt uns so einen Blick in Vergangenheit und Gegenwart eines Getriebene, eines Mannes, dessen moralische Integrität immer wieder dann in Frage gestellt wird, wenn er sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz konfrontiert sieht.

Sprachlich wie immer vom Feinsten, mit geschliffenen Dialogen, immer auf den Punkt. Und wie in allen Romanen James Lee Burkes, natürlich auch in „Blut in den Bayous“, die grandiosen Landschaftsbeschreibungen des amerikanischen Südens, sodass man sich während der Lektüre in die Sumpflandschaft Louisianas versetzt fühlt, die dampfende Luft auf der Haut, die Gerüche der Bayous in der Nase, den Swamp-Blues im Herzen und den Rhythmus des Zydeco in den Beinen spürt. Heimat von James Lee Burke und seinem Alter Ego Dave Robicheaux.

Bewertung vom 18.01.2017
Totenrausch / Totenfrau-Trilogie Bd.3
Aichner, Bernhard

Totenrausch / Totenfrau-Trilogie Bd.3


sehr gut

Es gibt etwas Neues von Bernhard Aichner, dem österreichischen Bestsellerautor: „Totenrausch“, nach „Totenfrau“ und „Totenhaus“ der abschließende Band der Trilogie um die Bestatterin Brünhilde Blum.

Die engagierte und liebevolle Mutter zweier Mädchen ist zwar durch unvorhersehbare Umstände zur mehrfachen Mörderin geworden, möchte aber endlich wieder Normalität für sich und ihre kleine Familie. Nicht mehr flüchten müssen, keine erzwungenen Auslandsaufenthalte mehr, nur noch ganz normaler Alltag und ein bisschen Sicherheit.

Sie kommt nach Deutschland und der Zufall führt sie nach Hamburg, aber die Vergangenheit lässt sich nicht so leicht abstreifen. Da Blum eine neue Identität für sich und die Kinder benötigt, muss sie einen Pakt mit dem Teufel schließen. Egon Schiele, der zwielichtige Kiezkönig, kann helfen, ringt ihr aber als Ausgleich für diese Gefälligkeit eine Zusage ab. Als Bezahlung verspricht Blum, jemanden für Schiele zu töten, wenn er ihre Dienste benötigt. Wie bitte? Das hat mich dann doch überrascht. Natürlich hat sie gemordet, aber nur wenn sie persönlich involviert war, wenn ihr Leben oder das einer ihr nahestehende Person bedroht war. Aber sich quasi als Auftragskillerin zu verpflichten, passt doch überhaupt nicht zu ihrem Gerechtigkeitsempfinden und ihren Moralvorstellungen. Ob sie sich wohl aus dieser Zwickmühle befreien kann?

Nachdem der zweite Band eher wirr und total überladen war, findet Bernhard Aichner in „Totenrausch“ wieder zu seiner alten Stärke zurück, die wir aus „Totenfrau“ kennen. Gradlinig und sauber geplottet legt er von Anfang an ein hohes Tempo vor, wobei die unzähligen Kapitel durch ihren geringen Umfang dafür sorgen, dass die Lektüre zügig vonstattengeht. Dazu kommen die knackigen, schwarzhumorigen Dialoge im Staccato-Stil, die für kurzweiliges Lesevergnügen sorgen und den blutigen Details immer wieder die Schärfe nehmen. Spannende Unterhaltung – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Eine Bemerkung zum Schluss: Die Filmrechte sind verkauft, und aus der Trilogie soll eine sechsteilige Miniserie entstehen. Wir dürfen gespannt sein!

Bewertung vom 16.01.2017
Das Haus in der Nebelgasse
Goga, Susanne

Das Haus in der Nebelgasse


sehr gut

London und seine faszinierende Geschichte, ein Stoff, der immer wieder für historische Romane gut ist. So bildet die englische Metropole auch den Hintergrund von Susanne Gogas neuestem Buch „Das Haus in der Nebelgasse“, einem Romantic-Thriller für die weibliche Leserschaft. Inspiriert wurde die Autorin durch die beiden Werke zur Stadtgeschichte „London – Die Biographie“ und „London Under“ des Briten Peter Ackroyd, wie sie in dem Nachwort verrät.

Wir schreiben das Jahr 1900. In kleinen Schritten bemühen sich Frauen um den Abschied von tradierten Rollenbildern. So auch Matilda Gray, eine patente Lehrerin an einer renommierten Mädchenschule, die die jungen Frauen zu eigenständigem Denken und Handeln, soweit gesellschaftlich akzeptiert, erziehen möchte, auch wenn sich das mit den vorgegebenen Erziehungszielen der Schule nicht vereinbaren lässt. Umso mehr trifft es sie, dass Laura, eine ihrer besten Schülerinnen, unter fadenscheinigem Vorwand von ihrem Vormund aus dem Unterricht genommen wird. Und dann erhält Matilda eine Ansichtskarte von Laura, unter deren Briefmarke sich eine mysteriöse Anweisung verbirgt, die die junge Lehrerin auf eine abenteuerliche Suche schickt, an deren Ende die Auflösung des Geheimnisses des Hauses in der Nebelgasse steht. Glücklicherweise hat sie aber Unterstützung: ihre Vermieterin, Autorin von Groschenromanen, ein misanthropischer Sammler von Artefakten, und ein Historiker geben ihr wertvolle Hinweise, die schlussendlich zur Lösung des Rätsels führen.

Susanne Goga hat sich intensiv mit der Historie der englischen Metropole beschäftigt und immer wieder en passant interessante Informationen zur Stadtgeschichte in die Handlung ihres Romans eingearbeitet. Dabei bezieht sie sich neben Ackroyd auch häufig auf den großen Chronisten Samuel Pepys, dessen Tagebücher das Leben im London des 17. Jahrhunderts bildhaft beschreiben. Dennoch verliert sich Goga nicht in trockenen Fakten, sondern konzentriert sich auf ihre Geschichte und deren Fortgang, auch wenn sie hier und da in die Klischeefalle tappt. Natürlich muss es eine Love Story zwischen der Protagonistin und dem gutaussehenden Historiker geben, die die Autorin allerdings eher diskret abhandelt. Total überflüssig allerdings dessen familiäre Backstory, das wäre nun absolut nicht nötig gewesen und erinnert fast schon an viktorianische Schauerromane. „Das Haus in der Nebelgasse“ ist ein netter, gefälliger Schmöker für einen Lesesonntag auf der Couch, wenn es nicht gar zu blutrünstig zugehen soll.

Noch eine Schlussbemerkung: Ein schöner Einfall der Autorin, den seltsamen Sammler Mr Arkwright zu nennen, der lautmalerische Bezug zu Peter Ackroyd lässt sich nicht verleugnen.

Bewertung vom 14.01.2017
Küchle, Curry und Carpaccio
Becker, Marianne;Mocek, Claudia

Küchle, Curry und Carpaccio


ausgezeichnet

Die Veranstaltungen der Evangelischen Akademie Bad Boll werden jährlich von über 20.000 Teilnehmern besucht, die neben den Seminaren auch die angeschlossene Hotellerie und Gastronomie nutzen. Letztere ist bereits seit den achtziger Jahren dank engagierter Mitarbeiter ein Vorreiter in Sachen nachhaltiger Küche und wurde deshalb auch bereits mehrfach ausgezeichnet. Ein Konzept, das beweist, dass auch im Großküchenbereich eine schmackhafte, ökologisch und sozial verträgliche Kochkultur möglich ist. Die eingesetzten Produkte werden aus dem Umland der Schwäbischen Alb bezogen und mit Sachverstand und Kreativität zu schmackhaften Gerichten verarbeitet.

Mit „Küchle, Curry und Carpaccio“ aus dem Silberburg-Verlag liegt nun erstmals ein Akademie-Kochbuch vor, das Einblick in diese Kochkultur gewährt und zum Nachkochen einlädt. Dabei beschränkt man sich nicht nur auf Rezepte, sondern stellt auch die regionalen Zulieferer samt Adressen und Öffnungszeiten der entsprechenden Hofläden vor. Nachdenkliche Texte über Esskultur, landwirtschaftliche Produktionsmethoden und Umweltschutz ergänzen dies und runden das Thema ab.

Der Aufbau entspricht den Jahreszeiten, innerhalb deren die Anordnung sich an der klassischen Menüfolge orientiert. Dabei findet man unter anderem sowohl eine „Badische Grünkernsuppe“ als auch ein „Italienischer Rinderschmortopf mit Pasta“ sowie eine „Cassiscreme“. Also nicht nur schwäbische Hausmannskosten, sondern raffinierte Rezepte aus den Küchen der Welt, geeignet gleichermaßen für den Kochanfänger wie auch den ambitionierten Hobbykoch. Die Zubereitung wird ausführlich beschrieben, Zutaten und einzelne Schritte im Detail aufgelistet. Die Koch/Backzeiten samt Temperaturen sind angegeben, so dass der erforderliche Zeitaufwand im Vorfeld bereits abgeschätzt werden kann. Die dazugehörigen Fotos verzichten auf stylischen Schnickschnack sondern stellen das fertige Gericht in den Mittelpunkt.

Die Zutaten sind, zumindest im Schwäbischen, überall erhältlich. Ausgefallene Gewürze gibt es im Hofladen oder im Supermarkt, Obst, Gemüse, Käse und auch Fleisch kann beim Biobauern in ausgezeichneter Qualität eingekauft werden – oft zu einem Bruchteil der Preise, die für konventionell erzeugte Lebensmittel ausgegeben werden müssen, deren Herkunft zudem noch zweifelhaft ist.

Ein wunderschönes Kochbuch, das nicht nur zum Nachkochen, sondern auch zum Nachdenken über unser Essen animiert.

Bewertung vom 12.01.2017
Die Spiegelstadt / Passage Trilogie Bd.3
Cronin, Justin

Die Spiegelstadt / Passage Trilogie Bd.3


ausgezeichnet

Der Kreis schließt sich. Nach „Der Übergang“ und „Die Zwölf“ liegt nun mit „Die Spiegelstadt“ der dritte und letzte Band der Passage-Reihe des amerikanischen Autors Justin Cronin vor. Obwohl der Autor zu Beginn einen ausführlichen Rückblick liefert, empfehle ich allerdings, wenn noch nicht geschehen, zuerst die beiden Vorgängerbände zu lesen, damit man ein Gefühl für den Fortgang der Geschichte bekommt und Personen sowie Ereignisse entsprechend einordnen kann.

Es ist die Zeit danach, die Zwölf sind besiegt, die Virals verschwunden, und so langsam kehrt wieder Normalität in das Leben der Menschen ein. Die einen kümmern sich um ihre Familie, die anderen versuchen noch immer das Geschehene auf die eine oder andere Art zu verarbeiten. Vergessen kann niemand, aber man kann gemeinsam den Alltag bewältigen, und das gemeinsame Ziel ist das Erschaffen einer neuen, einer besseren Gesellschaft.

Doch im Verborgenen, weit entfernt, lauert das Verderben. Zero, der Erste, der den Ursprung des Virus in sich trägt. Von Hass und unbändiger Wut zerfressen, kennt er nur ein Ziel: die endgültige Vernichtung der Menschheit. Und dafür hat er bereits unzählige Gefolgsleute um sich geschart, die nur auf seinen Einsatzbefehl warten. Alles läuft auf den finalen Showdown zwischen Gut und Böse, zwischen Zero und Amy, hinaus…

Zwei Aspekte verdienen meiner Meinung nach besondere Erwähnung. Zum einen ist die Charakterisierung der Akteure, ganz gleich, ob sie zu den Guten oder den Bösen gehören, sehr ausführlich und detailliert. Zum anderen ist die Story natürlich exzellent aufgebaut. Die allmähliche Steigerung des Erzähltempos baut Spannung auf, die noch durch zahlreiche Cliffhanger gesteigert wird, dazu kommen die Zeitsprünge und Perspektivwechsel, die für Abwechslung sorgen. Bleibt nur festzustellen, dass Justin Cronin mit „Die Spiegelstadt“ einen gelungenen Abschluss der Passage-Trilogie geschaffen hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2017
Ich vergebe nicht / Detective Ray Drake Bd.1
Hill, Mark

Ich vergebe nicht / Detective Ray Drake Bd.1


sehr gut

Mark Hill ist mir zum ersten Mal mit seinem Blog Crime Thriller Fella aufgefallen, auf dem er umfassend Krimis/Thriller, TV Serien, Filme und noch vieles mehr dieses Genre betreffend, vorgestellt und besprochen hat. Von Haus aus Journalist und Produktionsleiter bei BBC Radio 2, ist er nun auch noch unter die Autoren gegangen und hat mit „Ich vergebe nicht“ („The Two O’clock Boy“ im Original, bisher nur als ebook erhältlich, Printausgabe folgt lt. Autor im April 2017) seinen ersten Thriller veröffentlich.

Detective Sergeant Flick Crowley ist engagiert und gut in ihrem Job, und das möchte sie nun beweisen. Ihr erster großer Fall, für dessen Aufklärung sie verantwortlich zeichnet, ist die grausame Hinrichtung einer kompletten Familie. Als weitere Morde mit ähnlichen Tathergängen folgen, wird allen Beteiligten schnell klar, dass es einen Zusammenhang geben muss. Sie wird zwar von ihrem Boss an die kurze Leine genommen, lässt aber dennoch nicht locker. Die Spuren führen in die Vergangenheit, zu einem Waisenhaus in London, wo vor über dreißig Jahren schreckliche Dinge geschehen sind.

Crowleys Vorgesetzter, Detective Inspector Ray Drake betrachtet ihre Ermittlungen argwöhnisch, denn die Vorgehensweise bei den Morden und die Verbindung zu dem Waisenhaus bringt bei ihm eine tief vergrabene Erinnerung an die Oberfläche. Und plötzlich wird er genau mit den Erlebnissen aus seiner Vergangenheit konfrontiert, vor denen er sein Leben lang weggelaufen ist und die er um jeden Preis vergessen möchte. Aber um die Mordserie und den Killer zu stoppen, und nicht selbst zum Opfer zu werden, muss er sich seinen Dämonen stellen.

Die tägliche Polizeiarbeit, business as usual und ein Detective Inspector, dessen Tun durch unbewältigte Kindheitstraumata beeinflusst wird. Vergangenes und Gegenwärtiges in Zeitsprüngen. Durchaus nicht ungewöhnlich und von den verschiedensten Autoren umgesetzt. Mark Hill hat mit seinem Erstling „Ich vergebe nicht“ den Thriller nicht neu erfunden, und auch die großen Überraschungsmomente bleiben aus. Soweit alles ganz solide und konventionell. Aber die Story ist spannend und die Charaktere interessant mit Potenzial - hab‘ ich gerne gelesen. Und vielleicht gehen DI Ray Drake und DS Flick Crowley ja sogar in Serien. Who knows…

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.01.2017
Miss Terry
Cody, Liza

Miss Terry


ausgezeichnet

London, lange Zeit Inbegriff einer multikulturellen Metropole, in der ein friedliches Neben- und Miteinander der verschiedenen Ethnien existiert. Dass dies allerdings eine Illusion war und ist, zeigt die Autorin Liza Cody in ihrem Roman „Miss Terry“ auf entlarvende Art und Weise.

Nita Tehri, von allen nur Miss Terry genannt, ist eine Engländerin wie aus dem Bilderbuch. Sie kommt aus Leicester, hat einen britischen Pass, führt ein unauffälliges Leben, arbeitet als Grundschullehrerin und hat sich den Traum von einer Eigentumswohnung in einem unproblematischen Viertel erfüllt. Aber, und jetzt kommt es, sie ist keine hellhäutige Weiße. Sie hat pakistanische Vorfahren und ist dunkelhäutig. Die üblichen rassistischen Bemerkungen, die sie im Alltag hören muss, sind bisher von ihr abgeprallt, aber das ändert sich, als Bauarbeiten in ihrer Nachbarschaft beginnen und ein riesiger Abfallcontainer vor dem Haus platziert wird. Dieser wird von den Anwohnern zwischen Nacht und Dunkel nicht nur als öffentlich zugängliche Müllentsorgungsanlage genutzt, sondern, von wem auch immer, als Ablageplatz für eine Säuglingsleiche. Und da das tote Kind ebenfalls dunkelhäutig ist, gehen alle, die ermittelnden Polizisten eingeschlossen, davon aus, dass es eine Verbindung zu Nita Tehri geben muss. Stück für Stück bröckelt die Fassade, bösartiger Klatsch wandelt sich zu offenem Rassismus. Anspucken, tätliche Angriffe, Jobverlust – das volle Programm. Obwohl schuldlos gehört sie nicht mehr dazu, steht trotz aller Anpassung plötzlich außerhalb. Die Gesellschaft zeigt ihr hässliches Gesicht.

Liza Codys Kriminalromane haben nichts mit den betulichen Beschreibungen gemein, wie wir sie so oft von britischen Autorinnen geliefert bekommen. Keine heimelige Atmosphäre mit Teatime, Scones und Sandwiches, sondern englischer Alltag mit allen negativen Begleiterscheinungen. Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile, misstrauisches Beobachten und Ausgrenzen, vor allem dann, wenn man nicht die richtige Hautfarbe hat. Und da hilft auch keine Anpassung bis zur Selbstverleugnung.

Obwohl bereits 2012 im Original erschienen, nimmt die Autorin viele hässliche Auswüchse vorweg, die sich nach dem Brexit in Großbritannien häufen, wobei die Sympathien der Leser immer bei der Protagonistin und ihren wenigen Unterstützern sind. Der Fall des toten Säuglings wirkt nur als Auslöser und scheint mir eher nebensächlich, viel beeindruckender und wichtiger ist die Gesellschaftskritik, die die Autorin in „Miss Terry“, wie auch bereits in ihrem Roman „Lady Bag“, ohne erhobenen Zeigefinger, aber dennoch oder gerade deshalb sehr eindringlich transportiert. Lesen!

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