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miss.mesmerized
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Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2018
Drei Grazien / Kostas Charitos Bd.11
Markaris, Petros

Drei Grazien / Kostas Charitos Bd.11


ausgezeichnet

September in Athen, endlich Urlaubszeit für Kostas Charitos und seine Frau Adriani. In Epirus lernen sie im Hotel drei Rentnerinnen kennen, die sie die „Drei Grazien“ taufen und mit denen sie sich prächtig verstehen. Zurück Zuhause halten sie Kontakt mit den Damen und treffen sich regelmäßig zum gemeinsamen Essen, auch weil Kostas an einem aufsehenerregenden Fall arbeitet und sie wie das ganze Land neugierig sind, was dahintersteckt. Zuerst wird der Minister Klearchos Rapsanis mit einer vergifteten Torte getötet, kurz danach der Staatssekretär Archontidis beim Joggen überfallen und erschlagen und zuletzt wird Professor Stelios Kostopoulos tödliche Blausäure injiziert. Nach allen drei Morden gehen Bekennerschreiben ein, die eine eindeutige Verbindung schaffen: all drei waren politisch aktiv und haben dafür ihre Posten an der Universität ruhen lassen. Leidtragend waren einzig die Studenten, denen die Lehrer fehlten, wohingegen die Herren bequem nach Ende des Ausflugs ins politische Haifischbecken zurückkehren konnten. Für den Mangel an Anstand und Rücksicht auf die nachfolgende Generation sollten sie bezahlen. Dass dahinter keine Einzelperson stecken kann, ist offenkundig, aber welche Organisation ist zu gleich drei Morden fähig?

Bereits seit 1995 lässt Petros Markaris seinen charismatischen Kommissar Charitos in Athen ermitteln, die „Drei Grazien“ sind sein nunmehr 12. Fall, der wie gewohnt aktuelle politisch-soziale Entwicklungen in Griechenland thematisiert und dabei auch das Privatleben des Ermittlers, der erfreulicherweise so gar nicht den gängigen Klischees entspricht, weiterverfolgt. Im aktuellen Roman greift er die prekäre Situation der Universitäten auf, die wie alle öffentlichen Institutionen wegen der anhaltenden Krise unter Geldmangel leiden, was sich bei ihnen dadurch verschärft, dass zahlreiche Dozenten sich als Politiker versuchen und dafür ihre universitären Aufgaben ruhen lassen ohne dass es für sie einen Ersatz gäbe. Scheitern ihre politischen Ambitionen, kehren sie zurück in den Schoß der Alma Mater und machen weiter, als wenn nichts geschehen wäre.

Der aktuelle Fall lässt den Kommissar lange Zeit im Dunkeln tappen, da sein Vorgesetzter sich gerade in den Ruhestand verabschiedet hat, lastet eine zusätzliche Bürde auf Charitos, da er direkt dem Polizeipräsidenten und Minister berichten muss. Viele Ermittlungsrichtungen und zugleich keine wirklich heiße Spur. Diese ist jedoch einmal mehr nicht das, was die Kriminalromane von Petros Markaris auszeichnen. Für mich liegt seine Stärke in der impliziten Gesellschaftskritik, die auch deutlich macht, wie sehr er seine Heimat liebt und wie es ihn offenkundig schmerzt, die Entwicklungen der vergangenen Jahre mitanzusehen.

Auch wenn in Deutschland die Vermischung von Hochschule und Politik nicht im gleichen Maße vorhanden ist wie in Griechenland, hat mich doch eine Aussage einer Figur aufhorchen lassen:

„Heutzutage gibt es aber gar keine Gelehrten mehr, sondern nur noch Intellektuelle, Herr Kommissar.“
„Und worin liegt der Unterschied?“, frage ich verblüfft.
„Gelehrte sind Menschen, die ihr Leben in Bibliotheken, mit Studien und wissenschaftlicher Arbeit verbringen. Intellektuelle sind Spezialisten für alles und jedes. Gelehrte verfügen über Wissen, Intellektuelle über eine Meinung, die sie gerne und bei jeder sich bietenden Gelegenheit kundtun. (...) Die Hochschullehrer sind zu Universitätspersonal verkommen, und die Gelehrten zu Intellektuellen.“ (S. 205f).

Wie sieht es also aus um unsere geistige Elite? Nur noch Menschen mit Meinungen, aber keine belesenen und gebildeten Gelehrten mehr? Sicherlich überspitzt formuliert, aber in einer immer schnelllebigeren Welt, in der Fakten von heute morgen schon veraltet sind, wo nicht das Wissen selbst, sondern nur noch die Kenntnis, wo man es nachlesen kann, zählt,erfährt der Mensch mit klassischer Bildung und umfangreichem Wissen im besten Fall gefälliges Lächeln, im schlechtesten Ignoranz und Verachtung.

Bewertung vom 25.07.2018
Before She Sleeps
Shah, Bina

Before She Sleeps


ausgezeichnet

A virus has seriously affected human population. Even though men and women get infected equally, it is only deadly for the later with the consequence that the number of female citizens has drastically been diminished. Thus, in Green City, women are assigned several husbands and closely monitored to keep the number of children born as high as possible. This is the single task for them and there is no alternative to functioning as a kind of human breeder. But some women just don’t want to comply with the assigned role and a kind of secret underground community has been formed known as the Panah. To keep their group alive, the women offer a service which is not provided by the wives anymore: non-sexual companionship. Sabine is one of the women living underground, but when she collapses on the street after visiting a client, the whole community is threatened to be revealed.

Bina Shah, a Pakistani writer, columnist and blogger who has published several novels and short story collections has created quite an interesting feminist dystopian novel with “Before She Sleeps”. Since Margaret Atwood’s “The Handmaid’s Tale” has been talked about a lot in the last couple of months, it is quite natural to compare the two pieces of work since they belong to the same genre. In my opinion, Shah does not have to hide from the great Mrs Atwood.

What I found the strongest in the novel was the picture of the society highly affected by a drastically decreased number of women. On the one hand, they are worshipped since they are the only ones who can cater for an increase in population, on the other, they easily become the victims of rape and male outrage due to the non-fulfilled sexual needs. They are regarded not as equal human beings but in terms of their functionality and thus severely reduced in their significance as humans. Both, men and women, have no say when it comes to the choice of a partner. From a political point of view, this makes sense, but it is obvious that it doesn’t actually support social rest and satisfaction or content. What the new society lacks most seems to be compassion and emotion, this is only visible in the women living underground.

I also liked the protagonist Sabine. Her motivation for fleeing for her duty as a woman is well motivated and her family story comprehensibly portrayed. Also her state of mind and how she is betrayed by a man whom she trusted to a certain extent and the effect the abuse has on her psychologically seemed to me quite authentic and believable.

All in all, an important contribution to the ongoing discussion about women’s rights and the way they are treated by men.

Bewertung vom 25.07.2018
Uns gehört die Nacht
Libaire, Jardine

Uns gehört die Nacht


ausgezeichnet

Elise richtet das Gewehr auf Jamey. Sie sind in einem Motelzimmer in Wyoming, es ist Juni 1987 und sie wird auf ihren Freund zielen. Wie konnte es dazu kommen? Rückblende, eineinhalb Jahre zuvor lernen sie sich kennen, sie sind Nachbarn in New Haven, könnten aber kaum verschiedener sein. Jamey Hyde ist der Spross einer Privatbanken Familie, der in Yale studiert und sein Leben lang nur in der Welt der Superreichen verkehrte. Elise Perez kennt ihren Vater nicht und wuchs mit der Mutter und den jüngeren Geschwistern in Bridgeport zwischen Drogenabhängigen und Kleinkriminellen auf, hat keinen Schulabschluss und auch keinerlei beruflichen Ambitionen. Der Student ist fasziniert und abgestoßen zugleich von diesem etwas asozialen Unterschichtenmädchen. Was als bedingungsloser Sex beginnt, wandelt sich zunehmend und wird zur regelrechten Obsession. Elise ist nicht die Frau an seiner Seite, kann sie nicht sein, sie ist nicht standesgemäß. Aber er kommt auch nicht mehr von ihr los. Er versteckt sie vor seiner Familie, doch es kommt der Tag, wo er sich entscheiden muss: Elise mit allem, was sie ausmacht, oder seine Familie mit all ihrem Geld und Ansehen.

Jardine Libaires Roman beginnt mit einem Schreckmoment, wie können die Protagonisten kurz davor stehen, sich gegenseitig umzubringen? Doch nach nur wenigen Zeilen wird diese Frage durch jene, wie es so weit kommen konnte abgelöst. „Uns gehört die Nacht“ ist der sechste Roman der texanischen Autorin, der im englischsprachigen Raum als einer der Highlights des Sommers 2017 gilt.

„Uns gehört die Nacht“ erzählt eine klassische amour fou zwischen zwei sehr verschiedenen Charakteren. Hierin liegt auch die größte Stärke des Romans, die Figurenzeichnung ist überzeugend und wirkt authentisch. Elise wie auch Jamey sind in ihrer Welt verhaftet und haben zunächst kaum Zugang zu der des anderen. Sie verstehen Werte und Verhaltensweisen des anderen nicht und wenn der Zufall sie nicht in benachbarte Häuser geführt hätte, wären sie sich auch nie begegnet. Beide haben sie Schwierigkeiten, sich in der Welt des anderen zurechtzufinden, weshalb sie auch keine reibungsfreie Beziehung führen.

Jamey ist immer wieder verunsichert durch Elises Impulsivität und kämpft mit widersprüchlichen Empfindungen: er weiß, dass sie nicht die Partnerin ist, die seine Familie von ihm erwartet und die das gewünschte Bild der New England Upper Class aufrechterhalten kann. Und was werden die Freunde dazu sagen? Aber er liebt sie, doch reicht das aus, um sich gegen die Familie und alle Überzeugungen zu stellen? Elise wirkt nach außen stark in ihrer bisweilen aggressiven Art, doch diese überspielt nur ihre Unsicherheit. In ihrem Revier weiß sie sich zu bewegen, aber in New York und vor allem in Jameys Welt fühlt sie sich fremd und unbehaglich, sie kann sich nicht anpassen und wird nie dazugehören. Schnell ist ihr das bewusst und sie rechnet tagtäglich damit, dass Jamey die Lust an ihr verliert und sie rauswirft. Was er mit seinem Geld kaufen kann, kann sie durch ihren lebenserfahrenen Pragmatismus ergänzen und zusammen ergänzen sie sich und werden ein ungewöhnliches Paar.

Man folgt den beiden Figuren auf ihren Weg und ist fasziniert von ihren Emotionen, die ganz wesentlich ihr Verhalten leiten. Dass diese Liebe nicht gutgehen kann, scheint von der ersten Begegnung an klar. Mit der Ausgangsszene im Hinterkopf wartet man auf den Bruch, den tragischen Moment, der alles verändert. Doch die Autorin hat einige Überraschungen in petto, so dass man seine Annahmen revidieren muss. Diese unerwarteten Wendungen sind nicht nur wohldosiert, sondern auch glaubwürdig motiviert und bieten immer wieder Raum für völlig neue Entwicklungen. Ein rundum fesselnder Roman, intensiv und mitreißend.

Bewertung vom 24.07.2018
Der Kormoran / Max Anger Bd.1
Österdahl, Martin

Der Kormoran / Max Anger Bd.1


ausgezeichnet

Mitte der 1990er Jahre entwickeln sich in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion zunehmend demokratische Strukturen. Die anstehenden Wahlen werden die erste große Probe für die junge Republik sein. Vektor, Ein schwedischer Thinktank, beobachtet die Situation und bewertet die Lage, Max und Sarah von Stockholm aus, Paschie in Sankt Petersburg. Als letztere verschwindet, schwant ihren Kollegen bereits Schlimmstes, weshalb sich Max in die russische Metropole aufmacht. Eigentlich hat er dafür keine Zeit, denn gerade ist er einen entscheidenden Schritt weitergekommen bei der Frage, was 1944 geschehen ist und wie diese Ereignisse mit ihm und seiner Familien in Verbindung stehen. Doch er liebt Paschie und ihre Sicherheit hat Vorrang. Die letzte Nachricht der jungen Frau war kryptisch, was hat sie entdeckt? Max ahnt nicht, dass sie sich mit einem mächtigen Gegner angelegt hat, für den die neue Zeitrechnung noch nicht begonnen hat und dem zahlreiche Verbündete zur Verfügung stehen.

Martin Österdahls Thriller „Der Kormoran“ baut auf klassischen Mustern wie dem Ost-West-Konflikt, offenen alten Rechnungen und einer Armada von Geheimagenten, die den Staat unterwandern. Österdahl setzt diese jedoch geschickt ein und hat so einen überzeugenden und mitreißenden Roman geschaffen, der an Komplexität und Tempo schwer zu überbieten ist. Das Debüt des Historikers, der lange für das schwedische Fernsehen gearbeitet hat, ist der Auftakt einer Trilogie um Max Anger.

Im Wesentlichen treiben zwei Rätsel die Handlung des Thrillers voran: einerseits die privaten Ermittlungen Max Angers, die wesentlich mit den Ereignissen gegen Ende des zweiten Weltkrieges zu tun haben und immer wieder in Form von historischen Einschüben präsentiert werden und langsam erahnen lassen, welche Auswirkungen die alten Machenschaften auf die aktuelle Lage haben. Im Vordergrund steht jedoch ein großer russischer Plot, der sowohl politisch wie auch wirtschaftlich motiviert ist und sich modernster Technik bedient. Als Nebeneffekt wird hierbei die Fragilität der russischen Republik zu Ausgang des 20. Jahrhunderts deutlich, die grundlegend für die Entwicklungen nach der Jahrtausendwende waren. Beide Handlungsstränge werden glaubhaft miteinander verknüpft und sauber gelöst.

Insgesamt ein runder Thriller, der mit einem starken Protagonisten punktet und sich vor der großen skandinavischen Konkurrenz in keiner Weise verstecken muss. Die Tatsache, dass nicht nur persönliche Motive zu einer Serie von Morden führen, sondern ein komplexes Geflecht von Aspekten hinter dem Agieren der Figuren steht, das zudem historisch glaubhaft eingebettet wird, hebt ihn deutlich von der Masse der Neuerscheinungen im Genre ab.

Bewertung vom 23.07.2018
Der Schatten
Raabe, Melanie

Der Schatten


ausgezeichnet

Nach der Trennung von ihrem Freund sucht sich Norah nicht nur eine neue Wohnung, sondern nimmt auch ein Jobangebot in Wien, weit entfernt von Berlin, an. An einem ihrer ersten Tage begegnet der Journalistin eine Bettlerin, die ihr prophezeit, am 11. Februar einen Mann namens Arthur Grimm töten zu werden. Dies an sich wäre schon verstörend genug, aber der 11.2. ist zudem just der Tag, an dem ihre beste Freundin Valerie Selbstmord begangen hatte. Norah ist bestürzt und als in ihrer neuen Wohnung ominöse Dinge vor sich gehen – Gegenstände verschwinden, dafür tauchen andere auf – und sie sich zudem von Arthur Grimm, den sie zwischenzeitlich ausfindig gemacht hat, latent bedroht fühlt, kommt sie mehr und mehr zu der Überzeugung, dass die Bettlerin nicht gesponnen hat, sondern etwas Wahres an der Geschichte sein muss. Der Countdown läuft und das Datum nähert sich unheilvoll – würde sie wirklich einen Mord begehen können? Aber warum?

Melanie Raabes dritter Thriller spielt einmal mehr mit Wahrheit und Fiktion und vermischt geschickt Wirklichkeit und Einbildung. Was deuten wir nur in einer bestimmten Weise, weil wir regelrecht darauf konditioniert sind, alles in ein passendes Schema zu packen, und was ist eigentlich in der Realität ganz als wir es uns erklären? Ihre Protagonistin Norah läuft genau in diese Falle und wir als Leser rennen ihr hinterher.

Die Spannung des Romans wird vor allem durch zwei Aspekte befeuert: zum einen ist offenkundig, dass jemand Norah bedroht, jedoch bleibt bis zum Ende im Dunkeln, woher diese Bedrohung kommt und welche Motivation die Person hierfür hat. Auch zu welchen drastischen Taten sie bereit sein wird, ist nicht klar; sind die Unfälle wirklich nur Unglücke oder steckt doch mehr dahinter? Der zweite Faktor ist die Zeit. Die Handlung spielt innerhalb weniger Tage und läuft zielgerichtet auf das unheilvolle Datum zu. Man weiß, dass etwas geschehen wird, nur was genau bleibt unklar.

Die Lösung des Falls kam für mich mit einiger Überraschung, war jedoch nachvollziehbar motiviert und konstruiert. Insgesamt eine stimmige Geschichte, die zahlreiche Gedankenspiele zulässt, wie sich alles in ein stimmiges Bild fügen könnte und es schafft, lange mit der tatsächlichen Auflösung zu warten. Vermutlich wäre ich noch einen Tacken mehr gepackt gewesen, wäre die Protagonistin mir sympathischer gewesen, leider fand ich sie von Beginn an ziemlich überheblich und egoistisch, was mein Mitgefühl mit ihrer Lage nicht allzu groß werden ließ. Melanie Raabe gelingt eine deutliche Steigerung zum Vorgänger und lässt die Erwartungen an weitere Roman steigen.

Bewertung vom 16.07.2018
Die Kunst, einfache Lösungen zu finden
Ankowitsch, Christian

Die Kunst, einfache Lösungen zu finden


ausgezeichnet

Der Journalist Christina Ankowitsch widmet sich in seinem aktuellen Sachbuch einem Thema, das uns alle täglich gleich mehrfach beschäftigt: Probleme. Bzw. besser gesagt: der Lösung von Problemen, die möglichst schnell, einfach und nachhaltig sein sollen. Aber wenn es diese Lösungen gäbe, wären wir vermutlich schon von selbst auf sie gekommen und würden keinen Ratgeber benötigen. Der Autor holt zunächst weit aus, um sich dem Thema zu nähern, bevor er konkreter wird und an Ende erwartungsgemäß das Nichtlösen thematisiert. Dabei sind die Ausführungen durch zweierlei Dinge gekennzeichnet: zahlreiche Verweise auf wissenschaftliche Forschungen und ein ausgesprochen unterhaltsamer Plauderton, der die Lektüre nicht nur nicht langweilig gestaltet, sondern ausgesprochen gut unterhält.

Mir hat das Buch rundum gefallen, von den Vorüberlegungen, weshalb es die einfachen Lösungen nicht geben kann in einer komplexen Welt, weshalb es manchmal zumindest Situationsverbesserungen gibt, die greifbar vor uns liegen, wir sie aber nicht wahrnehmen und unserem Gehirn, das so manche banale Leistung schlichtweg nicht leisten kann, weil es nun einmal so funktioniert, wie es eben funktioniert. Am stärksten fand ich den zweiten Teil, der durchaus sehr konkrete Tipps gibt, wie man mit Problemen und deren Lösung umgehen kann, vom Wechsel der Perspektive über manchmal einfach Nichtstun bis hin zum nicht logisch nachvollziehbaren Bauchgefühl, das auch ein sehr guter Ratgeber sein kann. Aber auch der Abschluss, der nachvollziehbar begründet, weshalb wir vielleicht insgeheim gar kein Interesse daran haben, unser Problem zu lösen, war für mich schlüssig und gut begründet.

Ob mit oder ohne akutem Problem lohnt sich die Lektüre, weil Ankowitsch es versteht, seinen Leser zu packen und gedanklich mitzureißen. Zudem fasst das Buch vieles zusammen, was durchaus bekannt ist, aber prägnant vom Autor nochmals auf den Punkt gebracht wird. Auch wenn es kein klassischer Ratgeber ist, kann man doch viele sehr konkrete und nützliche Hinweise finden, die einem im Umgang mit einer kniffligen Situation vielleicht helfen, keine umfassende große Lösung, aber dennoch einen geeigneten Umgang zu finden.

Bewertung vom 14.07.2018
Ida
Adler, Katharina

Ida


sehr gut

Als Dora ist sie weit über die Welt der Psychologie hinaus bekannt geworden. Sigmund Freuds berühmteste Patientin, der er in jungen Jahren Hysterie attestierte und die ihr Leben lang unter der Diagnose leiden sollte. Ihre Urenkelin Katharina Adler erzählt nun die andere Geschichte der Dora, oder Ida, wie sie tatsächlich hieß. Wie das immerzu kranke Mädchen in jungen Jahren unglaublichsten Therapien unterzogen wird, bis sie schließlich bei dem berühmten Wiener Arzt landet. Wie sie sich von ihrer Familie befreit und im Theater ihr Glück sucht und wie schließlich die dunkle Zeit über Europa hereinbricht, die sie als Jüdin in größte Gefahr bringt.

Die etwas unkonventionelle Biographie, die in der Tat mehr Romancharakter hat und durch den diskontinuierlichen Aufbau auch nicht der Chronologie der Ereignisse folgt, zeichnet das Bild einer Frau, deren Erlebnisse als junges Mädchen so tiefgreifende Einfluss auf ihren späteren Lebens- und Entwicklungsweg nehmen, dass man unweigerlich wieder bei der Psychologie landet, die ihr erst die weltweite Berühmtheit brachte. Allerdings blieb mir das Mädchen bzw. die spätere Frau in weiten Teilen zu sehr hinter den politischen Ereignissen zurück, dabei hätte sie das Potenzial gehabt, ganz in den Mittelpunkt gerückt zu werden und die Geschichte zu tragen.

Zugegebenermaßen hatte ich mit den vielen Zeitsprüngen etwas zu kämpfen, es ist auch nicht ganz nachvollziehbar, weshalb sich Katharina Adler für diese Struktur entschieden hat, denn dies bremst meines Erachtens das Nachvollziehen der Entwicklung Idas enorm. Die interessantesten Passagen warn für mich zum einen die Erlebnisse mit Hanns Zellenka und die Reaktion ihres Umfeldes darauf: in penetrantester Weise bedrängt er das noch junge Mädchen und niemand schenkt ihr Glauben. Wie unsäglich dies später von Freud im Roman verdreht wird, setzt dem ganzen noch die Krone auf. Der psychologische Druck, der auf die junge Ida ausgeübt wird, wird nur noch durch die – man kann es kaum anders sehen – physischen Misshandlungen durch die anderen Ärzte getoppt. Hier ist die Erzählung dicht, nach bei der Protagonistin und lässt einem auch als Leser nicht kalt.

Leider sind diese Passagen in der Gesamtbetrachtung zu kurz geraten, was für mich der größte Kritikpunkt vor allem im Hinblick auf die Werbung für das Buch ist. Unabhängig davon wurde durchaus geschickt das Einzelschicksal mit dem historischen Lauf verwoben, was aber für mein Empfinden eine ganz andere Geschichte ist. Auch die vielen Zeitsprünge sind für mich nicht nachvollziehbar motiviert. Fazit: interessant zu lesen, aber nicht ganz den Erwartungen entsprechend.

Bewertung vom 13.07.2018
Sommernachtstod
Motte, Anders de la

Sommernachtstod


sehr gut

Als der kleine Billy vom Hof seiner Eltern in Nordschweden verschwindet, ist die Aufregung im ganzen Ort groß. Tagelang wird nach dem Jungen gesucht, doch es findet sich keine Spur. Lediglich einen Verdächtigen gibt es, der bereits wegen anderer Vorfälle aus der Dorfgemeinschaft verstoßen wurde. Das Verschwinden kann nie aufgeklärt werden und auch als Erwachsene wird seine Schwester Veronica immer wieder daran erinnert, auch wenn sie bereits direkt nach der Schule geflüchtet ist. Als in der Therapiegruppe, die sie leitet, ein junger Mann auftaucht, der berichtet, dass er immer noch unter dem spurlosen Verschwinden seines damaligen Freundes leidet, reißt die alte Wunde wieder auf, aber auch Hoffnung keimt: könnte dieser Mann vielleicht selbst Billy sein? Wird der unheilvolle Sommer von 1983 endlich zuendegehen und es Antworten auf all die offenen Fragen geben?

Anders de la Motte arbeitete selbst als Polizist, bevor er sich dem Schreiben zugewandt hat. Auch wenn die Polizeiarbeit in seinem Krimi „Sommernachtstod“ einen bedeutenden Raum einnimmt, steht sie jedoch nicht im Mittelpunkt, da die Nachforschungen hauptsächlich von Veronica wieder aufgenommen werden. Die Handlung verläuft parallel auf zwei Zeitebenen, so erfahren wir, was damals in dem unheilvollen Sommer geschah und was sich aktuell in Veronicas Leben abspielt. Dazwischen finden sich mysteriöse Liebesbriefe, deren Bedeutung sich jedoch erst ganz zu Ende enthüllt und die vieles noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Insgesamt ist der Krimi sauber konstruiert, bietet eine Reihe von Fährten, die man mit der Protagonistin verfolgen und wieder verwerfen kann und am Ende wird der Fall sauber und glaubwürdig gelöst. Ich fand ihn nicht übermäßig spannend, auch wenn es einige für Veronica kritische Situationen gab, war doch zu deutlich, dass sie das Rätsel wird lösen müssen und daher immer wieder einen Ausweg wird finden können. Zwar hat der Autor versucht, die Figur nicht eindimensional zu zeichnen, indem er ihr eine psychologisch relevante Vorgeschichte zu den aktuellen Ereignissen zuschrieb, jedoch wirkte diese für mich nicht nur sehr konstruiert, sondern auch völlig überflüssig. Das Enthüllen darüber, was genau zwischen ihr und ihrem Ex geschehen war, wird künstlich in die Länge gezogen, was jedoch nur begrenzt zusätzliche Spannung bietet. Hiervon abgesehen, ein runder, recht typischer skandinavischer Krimi, der sehr gut die ländlich-dörfliche Gegend und die damit verbundene Kultur der Gemeinschaft verdeutlicht und dies überzeugend in die Handlung einbaut und als leichte Sommerlektüre bestens geeignet ist.