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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 19.10.2016
Die letzten vier Tage des Paddy Buckley
Massey, Jeremy

Die letzten vier Tage des Paddy Buckley


sehr gut

Spätestens seit Bernhard Aichners Totenfrau-Trilogie mit der Bestatterin Blum wissen die Leser, dass es nur des entsprechenden Autors bedarf, um selbst diesem Gewerbe in der literarischen Verarbeitung Spannung und skurrile Momente abzuringen.

So auch in dem ersten Roman des Iren Jeremy Massey „Die letzten vier Tage des Paddy Buckley“. Tod, dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch Paddys Leben. Kein Wunder, arbeitet er doch mit Hingabe als Bestatter. Aber nicht nur sein berufliches Leben wird dadurch bestimmt, auch im Privaten folgt ihm der Tod auf Schritt und Tritt. Nicht nur, dass seine Eltern bereits gestorben sind, auch seine schwangere Frau hat er vor zwei Jahren durch eine heimtückische Krankheit verloren. Aber glücklicherweise kann er auf zahlreiche Freunde zurückgreifen, die als Ersatzfamilie fungieren und auf die er sich immer und überall verlassen kann. Und das ist auch gut so, denn durch einen unglückseligen Zufall gerät Paddy ins Visier eines Gangsters, der ihm nach dem Leben trachtet.

Dabei fängt alles so gut an: eine frischgebackene, attraktive Witwe sucht Trost und körperliche Zuwendung bei Paddy, stirbt aber unglücklicherweise auf dem Höhepunkt in dessen Armen. Total verstört setzt er sich hinter das Steuer und überfährt in einem Moment der Unaufmerksamkeit einen Fußgänger. Völlig außer sich identifiziert er das Opfer als Donal Cullen, den Bruder eines gefährlichen Kriminellen, springt daraufhin in sein Auto und verlässt unerkannt und mit quietschenden Reifen den Unfallort. So weit, so schlecht, denn am nächsten Tag steht Vincent Cullen, Boss der Dubliner Unterwelt samt Anhang vor ihm und beauftragt ihn mit der Ausrichtung der Trauerfeierlichkeiten für seinen Bruder, nämlich Paddys Unfallopfer…

Jeremy Massey ist mit „Die letzten vier Tage des Paddy Buckley“ ein erstaunliches Debüt gelungen. Obwohl sein Stil eher der schlichten Ecke zuzuordnen ist, wirkt er doch nie plump und auf billige Effekte bedacht. Ein irischer Geschichtenerzähler, der uns an den letzten vier Tagen Paddys teilhaben lässt, schnörkellos und auf den Punkt gebracht, immer um die beiden Themen Leben und Tod kreisend. Eine sympathische Hauptfigur, freundlich und hilfsbereit, die sich unbeabsichtigt immer tiefer in Schwierigkeiten bringt. Warmherzig und mit einer ordentlichen Portion irischem Schalk erzählt.

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Bewertung vom 13.10.2016
Wolfsspinne
Eckert, Horst

Wolfsspinne


ausgezeichnet

Wie Wolfgang Schorlau ist auch Horst Eckert ein Schwergewicht unter den deutschen Thrillerautoren. Beide behandeln in ihren Büchern aktuelle Themen der gesellschaftspolitischen Situation in Deutschland. Und beweisen einmal mehr, dass die Realität sehr oft wesentlich spannender als die Fiktion sein kann.

Wie Schorlau in „Die schützende Hand“ beschäftigt sich Eckert in seinem neuesten Politthriller „Wolfsspinne“ mit den Aktivitäten der NSU und deren aktiver und monetären Unterstützung durch staatliche Stellen. Aber er geht noch einen Schritt weiter als der Stuttgarter Autor, belässt er es doch nicht bei der bloßen Auflistung der Fakten und deren Interpretation (wobei das allein schon höchst spannend ist), sondern entwickelt aus den tatsächlichen Ereignissen eine überaus realistische und plausible Was-hätte-sein-können-Story.

Vincent Che Veih und Ronny Vogt, 2011 und 2015, Düsseldorf und Eisenach, Polizeiarbeit und Verfassungsschutz. Dazu Tötungsdelikte, Drogen, Banküberfälle, betrügerische Immobliengeschäfte sowie NSU, Neonazi-Organisationen, Pegida, Flüchtlinge und diverse private Verwicklungen. Das mag auf den ersten Blick eine unglaubliche Stoffmenge sein, aber die Meisterschaft Eckerts besteht darin, all diese unterschiedlichen Themen so gekonnt miteinander zu verquicken, dass der Leser zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hat, eine völlig überfrachtete Geschichte zu lesen, im Gegenteil. Alles hat seine Berechtigung und jedes Steinchen ist an seinem Platz, um abschließend ein Mosaik zu präsentieren, wie es perfekter nicht sein könnte.

Verschiedene Perspektiven und Orts- und Zeitenwechsel bringen von Beginn an Spannung und ein hohes Tempo in die Handlung, das bis zum Ende anhält. Und jeder Leser, der auch nur ansatzweise durch die Medien mit den Ermittlungen in der NSU-Affäre vertraut ist, wird den quasi fiktiven Personen reale Namen zuordnen können.

Als gelernter Journalist hat Eckert ausgezeichnete Recherchearbeit geleistet, die seinen neuesten Thriller um Vincent Veih und das Düsseldorfer KK11 nicht nur zu einer spannenden sondern zugleich auch einer erschreckenden Lektüre machen. Siehe dazu auch den Anhang, in dem unzählige Opfer rechtsextrem motivierter Gewalttäter seit 1990 aufgezählt werden, denn „statt die Radikalisierung der Szene zu stoppen, förderte der Geheimdienst sie mit Steuergeldern“ (S. 415). Absolut beschämend! Wie bereits Bertolt Brecht in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch…“.

„Wolfsspinne“ ist definitiv ein Highlight unter den Thriller-/Krimiveröffentlichungen in diesem Jahr. Deshalb nachdrückliche Leseempfehlung meinerseits!

Bewertung vom 27.09.2016
American Blood / Marshall Grade Bd.1
Sanders, Ben

American Blood / Marshall Grade Bd.1


sehr gut

Falls Jack Reacher mit dem Ruhestand liebäugelt…

…bietet sich mit Marshall Grade, dem Protagonisten in Ben Sanders Thriller „American Blood“, ein Nachfolger an. Die Filmrechte sind bereits an Warner Bros. verkauft, und für die Hauptrolle ist offenbar Bradley Cooper im Gespräch. Wie bereits der Titel vermuten lässt, ist die Handlung des Thrillers in Amerika verortet, obwohl der Autor Ben Sanders Neuseeländer ist.

Zur Story: Eine verdeckte Operation des NYPD geht gründlich in die Hose. Mit dem Resultat, dass Marshall Grade enttarnt und seines Lebens nicht mehr sicher ist. Deshalb muss er im Zeugenschutzprogramm untertauchen und lebt seither unauffällig in Santa Fe, New Mexico. Nicht nur, dass seit einiger Zeit eine Menge zwielichtiger Gestalten hinter ihm her sind, auch ein Auftragskiller trachtet ihm nach dem Leben. Von daher ist es angesagt, besser die Füße stillzuhalten. Leichter gesagt als getan. Denn als eine junge Frau spurlos verschwindet, die jemandem ähnelt, den er früher kannte, schlägt er alle Warnungen in den Wind und begibt sich auf die Suche nach ihr. Es ist ein tiefes Schuldgefühl, das ihn antreibt. Und er muss sie finden, selbst um den Preis seiner eigenen Sicherheit.

Er ist ein tougher Typ, dieser Marshall Grade. Ein absoluter Einzelgänger, Typ einsamer Wolf, der seinen eigenen Kanon für Recht und Ordnung hat. Immer auf der Seite der Opfer. Zurückhaltend mit Worten, dafür aber umso schneller mit Fäusten und Waffen. Ich sagte es bereits, Grade ist ein Kerl wie Lee Childs Jack Reacher. Und wie gemacht für einen Serienhelden.

Hohes Tempo und jede Menge Action, „American Blood“ ist ein Popcorn-Thriller, wie er im Buche steht. Unerwartete Wendungen im Handlungsverlauf treiben die Story voran, wie auch die Technik, jedes Kapitel aus der Perspektive eines anderen Akteurs schildern zu lassen. Der neuseeländische Autor schreibt lebhaft und sehr anschaulich, sodass der Leser bereits während der Lektüre quasi die Verfilmung vor Augen hat. Gut gemacht, Ben Sanders!

Aber falls dieser Thriller der Auftaktband einer Reihe ist, würde ich mir für die nachfolgenden Bände wünschen, dass der Autor der Charakterisierung seiner Personen etwas mehr Raum gibt und etwas weniger Wert auf die detaillierte Beschreibung der Waffen legt.

Bewertung vom 23.09.2016
Lügenland
Lerchbaum, Gudrun

Lügenland


ausgezeichnet

Es ist ein erschreckendes Bild, das die Östereicherin Gudrun Lerchbaum in ihrem Politthriller „Lügenland“ vor den Augen des Lesers ausbreitet. Im Gegensatz zu den Dystopien, die viele ihrer Autorenkollegen entwickeln, verzichtet sie aber darauf, die Handlung in einer fiktiven Umgebung zu inszenieren, sondern wählt ihr Heimatland als passenden Hintergrund aus. Passend, weil dort Rechtspopulismus eine gewisse Tradition hat. Passend, weil die Politik im Zuge der Flüchtlingskrise ihr hässliches Gesicht gezeigt und auf Abschottung gedrängt hat. Passend, wenn man sich das Chaos um die Bundespräsidentenwahl anschaut, deren wahrscheinliches Ergebnis man gar nicht vorstellen mag.

„Lügenland“ spielt in der nahen Zukunft. Die Alpenrepublik ist zu einem diktatorischen Überwachungsstaat geworden, der von Rechtspopulisten regiert wird. Alles natürlich zum Wohl des Volkes, dem man Sicherheit durch Kontrolle suggeriert, und dies überall und rund um die Uhr. Das Volk fügt sich, zumindest diejenigen, die unter diesen Verhältnissen aufgewachsen sind. Wie Mattea, die gehorsame Soldatin, die im Begriff ist, zu heiraten. Um Liebe soll es in dieser arrangierten Ehe nicht gehen, vielmehr um die Zeugung und Aufzucht treuer Untertanen.

Glücklicherweise ergeben sich manchmal Chancen für Veränderungen, die man so nicht erwartet. Für Mattea ist es der Tod ihrer Freundin, den sie verursacht hat. Aus Furcht vor den Konsequenzen ergreift sie die Flucht, wird „wertlos“, weil sie nicht mehr von Nutzen für das Regime ist. Sie ist quasi eine „Vogelfreie“, denn alles, worauf sie ihr bisheriges Leben gegründet hat, soll für sie plötzlich keine Bedeutung mehr haben. Nicht weil sie es so möchte, sondern weil die Institutionen dies nach ihrem Regelverstoß es so entschieden haben. Fliehen um der Bestrafung zu entgehen, scheint ihre einzige Option. Aber selbst das ist nahezu unmöglich, da sie einer Terroristin bis aufs Haar gleicht. Doch dieser Umstand bedeutet gleichermaßen Glück im Unglück, denn deren Gesinnungsfreunde erweisen sich als Retter in der Not, sind sie doch überzeugt davon, die verschollene Mitstreiterin im revolutionären Kampf vor sich zu haben. Solidarität und Hilfe von Menschen, die ihr ein Leben lang als Feinde präsentiert wurden – es scheint, ob für Mattea der ideale Zeitpunkt gekommen wäre, um alte Strukturen zu hinterfragen…

Österreich als Orwellscher Überwachungsstaat und eine junge Frau, deren Wertesystem in Schwanken gerät, nachdem sie sich auf der „falschen“ Seite wiederfindet – es ist ja nicht so, dass solche Verhältnisse komplett aus der Luft gegriffen sind. Nun gut, vielleicht ist der eine oder andere Aspekt sogar bereits in Europa zu finden, man denke nur an die allgegenwärtigen Kameras in den Hauptstädten. Oder die Terrorhysterie in den Vereinigten Staaten, mit der jede Schweinerei von staatlicher Seite zu rechtfertigen ist. Oder Nordkoreas Kim Jong Un, dessen Bildnis auch niemand entkommen kann, auch wenn es (noch) nicht als Hologramm durch die Städte flackert.

Gudrun Lerchbaum schildert diese Verhältnisse der schönen neuen österreichischen Welt erschreckend anschaulich. Gleichzeitig zeigt sie aber auch die Zerrissenheit der Menschen, die in und mit einem solchen System leben und plötzlich anfangen, dessen Werte zu hinterfragen. Beeindruckend und erschreckend, routiniert geschrieben und thematisch mit George Orwells „1984“ und Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ vergleichbar. Lesen!

Bewertung vom 21.09.2016
Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger
Kaminer, Wladimir

Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger


sehr gut

Es gibt etwas Neues aus dem Hause Kaminer zu hören: „Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger: Ein Unruhestand in 21 Geschichten“, wie immer gelesen von dem Autor, der einmal mehr aus dem Nähkästchen seiner Familie plaudert. Nachdem er bereits seiner „kaukasischen Schwiegermutter“ ein Buch gewidmet hat, stellt er den Hörern nun seine Mutter vor, die mit Mitte achtzig noch sehr aktiv ist.

Es sind Szenen aus dem Alltagsleben, die Kaminer beschreibt und denen immer eine ganz eigene Logik immanent ist. Wahrscheinlich versteht diese nur seine Mutter, da ihre Sichtweise auf das deutsche Leben noch immer geprägt ist von den Erfahrungen, die sie in der Zeit gemacht hat, als sie noch in Russland lebte. So wie ihre Verehrung des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, die so weit geht, dass sie unbedingt dessen Sprache lernen möchte. Und so besucht sie seit vielen Jahren Englisch-Kurse an der Volkshochschule. Ob mit Erfolg sei dahingestellt, denn der Ausflug nach Großbritannien endet noch auf dem Kontinent, da der Pass ihrer Reisebegleiterin leider sie nicht zur Einreise berechtigt.

Aber auch technischen Neuerungen gegenüber ist sie sehr aufgeschlossen. Ein Staubsauger, der ohne ihre Mithilfe die ganze Wohnung auf Vordermann bringt, verspricht zusätzliche freie Zeit. Dessen Erwerb scheint die logische Konsequenz. Aber wer hätte gedacht, dass eine Maschine zum Tyrannen wird und ein Eigenleben entwickelt? Die Katze ist traumatisiert und Kaminers Mutter behandelt den Saugroboter fast wie ein neues Familienmitglied.

Die Geschichten haben alle ihren ganz eigenen Charme, der durch Wladimir Kaminers Akzent und seinen fast emotionslosen Vortrag noch verstärkt wird. Getrübt wird das Hörvergnügen einzig durch die Tatsache, dass es eine fast um die Hälfte gekürzte Lesung ist, da die beiden CDs des Hörbuchs lediglich 17 (und nicht 21!) der ursprünglich 33 Geschichten (des Buchs) enthalten.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2016
Eden / Eden Archer & Frank Bennett Bd.2
Fox, Candice

Eden / Eden Archer & Frank Bennett Bd.2


gut

Die australische Autorin Candice Fox führt mit „Eden“, dem zweiten Band der geplanten Trilogie, die Geschichte ihrer Protagonisten fort. Und das macht sie äußerst gekonnt, was allerdings kein Wunder ist, hat sie doch ihr Handwerk in der Schreibwerkstatt des Bestsellerautors James Patterson gelernt.

Eden arbeitet bei der Mordkommission in Sydney, eigentlich unverständlich, wenn man ihre persönliche Geschichte kennt, mit der uns die Autorin in „Hades“, dem ersten Band, bekannt gemacht hat. Durchtrainiert, gewaltbereit und ohne Skrupel, mit einem eigenen Sinn für Gerechtigkeit, immer zielorientiert, erledigt sie ihre Aufgaben. Sie wie im Fall der verschwundenen Mädchen, in dem sie aktuell ermittelt. Auf die Hilfe ihres Partners Frank Bennett muss sie derweil verzichten, da dieser mit Hilfe von Alkohol und Drogen die Gespenster in seinem Kopf in Schach halten will, die sich dort seit dem gewaltsamen Tod seiner Freundin eingenistet haben. Daran ändert auch der Auftrag wenig, den er von Hades, Edens Ziehvater erhält, wenig, denn dieser möchte unbedingt wissen, wer ihn warum stalkt.

War „Hades“ meiner Meinung nach noch ein außergewöhnlicher Pageturner, erfüllt „Eden“ die Erwartungen zweifelsfrei nicht, sondern ist der typische schwache Mittelband einer Trilogie. Die Protagonisten bleiben blass, entwickeln sich nicht weiter, einziger Lichtblick ist die neu eingeführte Polizeipsychologin Imogen Stone, die etwas Farbe ins Spiel bringt.

Wenn man diesen Thriller lediglich unter dem handwerklichen Aspekt betrachtet, gibt es, wie bereits eingangs erwähnt, wenig daran zu kritisieren. Die Kapitel sind kurz und bieten durch die Cliffhanger die entsprechende Motivation zum Weiterlesen. Der Perspektivwechsel sorgt für Abwechslung, und die Rückblenden in Hades‘ Kindheit und Jugend waren meiner Meinung nach noch das Interessanteste an diesem Plot. Ansonsten bleibt die Autorin sehr an der Oberfläche, verfängt sich in Klischees (die Szenen auf der Farm im Outback) und glaubt offenbar, dass in einem erfolgreichen Thriller nur genügend Gewaltszenen vorkommen müssen, um den Erfolg zu garantieren. Schade, denn das ist mir eindeutig zu wenig, weshalb ich mir die Lektüre des abschließenden Bandes „Fall“ (Erscheinungstermin Frühjahr 2017) sparen werde.

Bewertung vom 07.09.2016
Schottendisco
Ross, David F.

Schottendisco


ausgezeichnet

Wer „The Commitments“ liebt, diesen genialen Musikfilm nach der Romanvorlage des irischen Schriftstellers Roddy Doyle, wird auch „Schottendisco“ mögen, den Debütroman des schottischen Autors David F. Ross. In beiden Fällen geht es um junge Erwachsene, die ihrem perspektivlosen Leben mit Hilfe von Musik eine Wendung geben möchten.

Anfang der achtziger Jahre. Eine Kleinstadt in Ayrshire, der Grafschaft im schottischen Südwesten. Der Falklandkrieg beherrscht die Medien in Großbritannien und verunsichert die jungen Wehrtauglichen, die jederzeit damit rechnen müssen, eingezogen und in das Krisengebiet gebracht zu werden. So wie Gary, der Bruder von Bobby Cassidy, der nun gezwungenermaßen für etwas kämpfen muss, das keine Bedeutung für ihn hat. Das haben weder Bobby, noch sein Kumpel Joey, auf der Liste. Sie wollen ihre Jugend genießen, locker, frei und ohne Verpflichtungen. Ganz entspannt nach dem Motto „Sex and drugs and Rock ‚n‘ Roll“. Die beiden sind seit ihrer frühen Schulzeit befreundet und haben einen Plan, sie wollen mit einer „mobilen Disco“ ins Veranstaltungsgeschäft einsteigen. Denn im ländlichen Ayrshire ist das oftmals die einzige Abwechslung, die den jungen Leuten geboten wird. Nur zu dumm, dass sie damit Fat Franny Duncans Kreise stören, der die Szene fest in der Hand hat. Und dieser hat nicht vor, sich von den beiden Newcomern aus dem Geschäft drängen zu lassen…

„Schottendisco“ ist ein nostalgisches Buch, an dem speziell die älteren Leser ihre Freunde haben werden, katapultiert es sie doch zurück in ihre wilden Jugendjahre. Gleichzeitig ist es eine Hommage sowohl an die 45er Vinylscheiben auf den Plattentellern als auch an die Popkultur der Achtziger, der der Autor mit zahlreichen Hinweisen im Text seine Referenz erweist.

Doch das Leben ist keine immerwährende Party, und so mischt sich auch dann und wann eine Prise Melancholie in die Story. Die leisen Töne werden in den Briefen angeschlagen, die Gary seinem Bruder von den Falklandinseln schreibt. Hier schildert der Autor sehr eindrucksvoll die Auswirkungen, die dessen Kriegseinsatz auf die Familie und die nächsten Angehörigen hat.

Spritzig geschrieben, voll mit schräger Situationskomik und warmherzigen Beschreibungen der Personen – die dazu passenden Bilder entstehen fast von selbst im Kopf.

Am Ende des Buches findet man eine Auflistung der Musiktitel, die den Autor beim Schreiben inspiriert haben, viele kenne und schätze ich, andere habe ich noch nie gehört. Und dann gibt es noch ein wunderbares Goodie, nämlich einen QR-Code zum kostenlosen Song-Download des exklusiven Songs zum Buch, Interpreten sind „Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen“.

Wenn ihr wissen wollt, wie eine Jugend in den Achtzigern auf dem Land - nicht nur in Schottland, sondern auch hier bei uns - ausgesehen hat, wenn ihr in das Flair der Achtziger eintauchen wollt, oder wenn ihr einfach nur in Erinnerungen schwelgen wollt – lest „Schottendisco“ von David F. Ross.

Bewertung vom 31.08.2016
Asphaltseele
Weber, Gregor

Asphaltseele


weniger gut

Der Autor Gregor Weber ist äußerst vielseitig. Begonnen hat der Saarländer seine Karriere als Schauspieler, es folgte eine abgeschlossene Kochlehre bei Kolja Kleeberg. 2009 verarbeitet der diese Erfahrungen in seinem autobiografischen Buch „Kochen ist Krieg! Am Herd mit deutschen Profiköchen“. Zwei Jahre später erscheint sein erster Kriminalroman „Feindberührung“, „Keine Vergebung“ folgt zwei Jahre später, beide mit dem Protagonisten Kurt Grewe.

Sein neuer Roman „Asphaltseele“ ist ein Stand alone, in dessen Mittelpunkt der Frankfurter Kriminalkommissar Ruben Rubeck steht, der mit Sicherheit nicht den Liebling-der Herzen-Award gewinnen wird. Sein Kiez ist die Gegend rund um den Hauptbahnhof, wo er in der Regel seine freien Abende in der Kneipe verbringt und sich die Kante gibt. Er sucht Vergessen im Alkohol, um die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, die sich dort seit seinem KFOR-Einsatz in Pristina eingenistet haben, damit er seinen alltäglichen Aufgaben im Job nachkommen kann. Diese Zeit hat nicht nur seine Sicht auf alltägliche Dinge verändert, sondern ihn auch nachhaltig geprägt. Besonders offensichtlich wird dies, wenn es um Regeln geht, denn dann können ihm die Vorschriften gestohlen bleiben und er agiert nur noch nach Gefühl, fast würde ich sagen ohne den geringsten Verstand. Und mögliche Konsequenzen blendet er eh komplett aus.

Genau das passiert auch, als er in eine Auseinandersetzung dreier Rocker gerät, in deren Verlauf Rubeck, angetrunken wie so oft; seine Waffe zieht und schießt. Was er da noch nicht weiß, sein Eingreifen wird weitreichende Folgen haben…

Tja, was soll ich sagen? Zuerst einmal, „Asphaltseele“ ist kein Pageturner. Aber auch kein Politthriller, obwohl diese Thematik immer wieder in den Einschüben aufblitzt, wenn Rubeck sich an seine Zeit im Kosovo erinnert. Diese Passagen wirken authentisch und sind zumindest interessant. Und Thriller? Nicht wirklich, dafür ist der Plot an sich einfach zu dünn.

Schade – ich hatte mir nach Lesen des Klappentextes wesentlich mehr davon erwartet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.08.2016
Rom - Das Kochbuch
Parla, Katie;Gill, Kristina

Rom - Das Kochbuch


ausgezeichnet

„Rom. Das Kochbuch“von Katie Parla und Kristina Gill vereint das Beste, was diese beiden amerikanischen Food-Journalistinnen auszeichnet. Weit entfernt von einem „normalen“ Kochbuch mit den üblichen Gerichten, die man auch beim Italiener um die Ecke bekommt, legt diese Rezeptsammlung den Schwerpunkt auf die traditionellen Speisen, wie sie die italienische Nonna schon immer für ihre Großfamilie gekocht hat. Dazu erhält man interessante Informationen zum kulturhistorischen Hintergrund und der Entstehung sowie Weiterentwicklung der römischen Küche mit all ihren verschiedenen Facetten.

Katie Parla ist eine Expertin, die ihr Leben der italienischen Esskultur gewidmet hat. Sie lebt seit vielen Jahren in Rom und setzt sich mit Leidenschaft dafür ein, dass die Küche Roms ihre Eigenheiten beibehält und sich nicht durch die Fast food Kultur verwässern lässt, wobei sie aber auch die moderne Küche nicht außen vor lässt. Sie hält Vorträge, nutzt aber auch alle Möglichkeiten, die ihr die neuen Medien bieten, denn neben einem Blog entwickelt sie auch Apps zum Thema Essen und Trinken. Wie sie lebt auch die Co-Autorin Kristina Gill in der italienischen Metropole und ist nicht nur eine renommierte Food-Fotografin und Redakteurin, sondern auch eine Rezeptesammlerin und –entwicklerin. Gemeinsam haben die beiden mit „Rom. Das Kochbuch“ eine wunderbare Melange für alle diejenigen Hobbyköche geschaffen, die nicht nur Rezepte nachkochen wollen, sondern auch an deren Herkunft interessiert sowie an der römischen Geschichte interessiert sind. Im Mittelpunkt steht bei beiden Autorinnen aber die Bandbreite der verschiedenen Geschmacksrichtungen, die durch die ausgewählten Rezepte repräsentiert wird.

Gegliedert ist das Kochbuch in diverse Kapitel, die jeweils mit erläuternden Texten versehen sind. Zusätzlich findet man aber auch bei jedem Gericht eine einleitende Passage:

Snacks, Vorspeisen und Street Food
Klassiker und Variationen
Cucina ebraica
Quinto Quarto
Gemüse
Brot und Pizza
Dolci
Getränke

Abgerundet werden die anschaulich beschriebenen und leicht nachzukochenden Rezepte durch ansprechende Fotos, die dem Betrachter das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen und zum Nachkochen animieren. Bleibt nur noch die Aufforderung, die vielen verschiedenen Geschmacksnuancen in die heimische Küche zu holen. Buon appetito!

Bewertung vom 25.08.2016
Neonregen / Dave Robicheaux Bd.1
Burke, James Lee

Neonregen / Dave Robicheaux Bd.1


ausgezeichnet

Endlich!!! Nachdem die meisten der älteren Bände der Dave-Robicheaux-Reihe von James Lee Burke vergriffen bzw. nur noch zu horrenden Preisen antiquarisch erhältlich waren, freue ich mich umso mehr, dass der von mir sehr geschätzte Pendragon Verlag beschlossen hat, nach und nach alle Romane nicht nur in der korrekten Reihenfolge, sondern auch in einer überarbeiteten Fassung herauszugeben. Die Bände 1 – 12 gab es ja bereits in deutschen Ausgaben, wohingegen von den Veröffentlichungen 13 – 20 bisher lediglich „Sturm über New Orleans“ (Bd. 16) in der Übersetzung vorliegt. „Neonregen“, erstmals 1987 erschienen (in dt. Übersetzung), markiert den Auftakt der Robicheaux-Reihe, die dem Autor erstmals nicht nur monetären, sondern auch literarischen Erfolg bescherte (Nominierung für den Pulitzer-Preis, diverse Auszeichnungen u.a. Gold Dagger und Edgar Award).

Dave Robicheaux, Lieutenant der Mordkommission in New Orleans, ist definitiv kein eindimensionaler Charakter: er hat englische Literatur studiert, in Vietnam gekämpft und überlebt, liegt immer wieder im Clinch mit seiner Alkoholsucht, ist eine Spielernatur, praktizierender Katholik, nicht korrumpierbar und moralisch bis ins Mark. Ein Kämpfer für Recht und Ordnung, der sich nicht scheut, dies auch mit brachialen Mitteln durchzusetzen. Aber er ist auch sensibel und hat ein großes Herz, kennt „seine“ Stadt und ihre Bewohner und kümmert sich um sie, und zwar ohne Ansehen der Person.

So auch um einen zum Tode Verurteilten, der in wenigen Stunden hingerichtet werden wird. Wenn er schon sein eigenes Leben verliert, möchte er wenigstens das von Robicheaux retten, denn dieser hat ihn immer korrekt behandelt. So bittet er mit einem letzten Wunsch um dessen Besuch, um Dave zu warnen. Offenbar ist dieser völlig unbeabsichtigt der Drogenmafia in die Quere gekommen, als er beim Angeln die Leiche einer jungen Frau aus dem Fluss gezogen hat. Es stellt sich heraus, dass man ihrer überdrüssig war und sie auf diesem Wege auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen wollte. Hätte ja auch fast geklappt, aber jetzt ist Robicheaux an diesem Fall dran, und er wäre nicht der, der er ist, wenn er klein bei gäbe. Auch wenn er mit seinen Ermittlungen nicht nur dem Kartell, sondern auch den Bundesbehörden auf die Füße tritt. Aber ob das ein kluger Schachzug ist, deren dreckige Geschäfte ans Licht zu zerren?

Es sind die unterschiedlichen Komponenten und deren Verbindung, die James Lee Burkes Robicheaux-Reihe zu etwas Besonderem machen: der Protagonist, der in kein Schema passt, und die poetischen Beschreibungen der Südstaaten-Landschaften. Im Gegensatz dazu dann Bilder des brummenden Lebens in der Metropole mit den dunklen Winkeln, in die man sich tunlichst nicht verirren sollte und die Bezüge zu aktuellen politischen Themen, die Burke auch zu einem Chronisten der Zeitgeschichte machen , wie in „Neonregen“ beispielsweise die Rolle der amerikanischen Geheimdienste in der Iran-Contra-Affäre.

Spannung, Atmosphäre, Reflexion – bei Burke stimmt die Mischung. Lesen!