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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 14.07.2016
Schwarze Wut / Georgia Bd.7 (Audio-CD)
Slaughter, Karin

Schwarze Wut / Georgia Bd.7 (Audio-CD)


ausgezeichnet

Nachdem mich „Pretty Girls“ nicht überzeugen konnte, habe ich mit einer gewissen Skepsis zu dem Hörbuch des neuen Thrillers von Karin Slaughter „Schwarze Wut“ gegriffen. Glücklicherweise unbegründet, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.

„Schwarze Wut“ setzt die Reihe mit Special Agent Will Trent, Georgia Bureau of Investigation, und Sara Linton, Kinderärztin und Polizistenwitwe, und seit neuestem in einer Beziehung mit Will Trent, fort. Der Handlungsort in diesem speziellen Fall verlagert sich allerdings weg von Atlanta nach Macon im Herzen von Georgia. In der dortigen Drogenszene ist Will Trent in einem Undercover-Einsatz unterwegs, um „Big Whitey“, deren geheimnisvollen Boss zu enttarnen und dingfest zu machen. Aber die Dinge laufen leider nicht immer so, wie ursprünglich geplant. Als Wills (temporäre) Biker-Kumpel im Zuge einer Racheaktion Lena Adams zuhause überfallen und bei der Schießerei ihren Mann Jared lebensgefährlich verwunden, muss er gezwungenermaßen Sara Linton die schlimme Nachricht überbringen, denn Jared ist ihr Stiefsohn. Es ist ein Eiertanz für Will, Sara gegenüber zum einen seine Beteiligung an dieser Aktion nicht zuzugeben, zum anderen aber auch das Auffliegen seiner Tarnung zu vermeiden. Denn dann wäre in der Tat damit zu rechnen, dass Sara sich einmischt.

Aber auch der Kriminalfall ist nicht ohne und zeigt die unterschiedlichsten Facetten. Eine Biker-Gang, ein Drogenring und dessen mysteriöses Oberhaupt, ein lebensgefährlich verletzter Polizist, Verrat und Korruption in den eigenen Reihen und ein Agent im Undercover-Einsatz, der sich mit ganz üblen Subjekten herumschlagen muss. Soweit, so stereotypisch für viele amerikanische Thriller. Was die Autorin speziell seit „Cop Town“ aus dieser Masse hervorhebt, sind die gesellschaftspolitischen Aspekte, die sie in ihre Thriller einarbeitet. Immer wieder Diskriminierung, offenbar ein Südstaatenthema. Wegen Hautfarbe, wegen Geschlecht oder der sexuellen Orientierung. Wer sich von der Masse unterscheidet, hat schlechte Karten.

Auf der persönlichen Ebene sind es verschiedene Themen, die Karin Slaughter in „Schwarze Wut“ behandelt. Vieles dreht sich um Vertrauen und Gefühle. Die unterdrückte Wut, die Sara noch immer Lena Adams gegenüber hat, die sie nicht nur für den Tod ihres Mannes verantwortlich macht, sondern auch dafür, dass ihr Stiefsohn momentan mit dem Tode ringt. Will, der seinen verdeckten Einsatz nicht gefährden möchte und deshalb Sara nicht ins Vertrauen zieht. Lena, die mit alten Verletzungen und neuen Schuldgefühlen kämpft.

Das Hörbuch liegt in einer (leider) gekürzten Fassung vor, die mit knapp 7 Stunden auf 6 CDs verteilt ist. Gelesen wird in bewährter Weise von Nina Petri, die es durch ihre Stimmmodulationen perfekt schafft, die entsprechenden Personen und Situationen so lebendig zu transportieren, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.07.2016
Portugiesisches Erbe / Lissabon-Krimi Bd.1
Sellano, Luis

Portugiesisches Erbe / Lissabon-Krimi Bd.1


sehr gut

Ganz Frankreich ist besetzt. Von deutschen Autoren, die dem Leser mit wohlklingenden Pseudonymen ihre Zugehörigkeit zur „Grande Nation“ suggerieren und in ihre Plots mehr oder weniger gelungen die französischen Besonderheiten von Land und Leuten einarbeiten. Und auch von Italien sind diverse Fälle bekannt.

Aber es geht weiter, denn nun schwappt diese Welle bis nach Portugal. Luis Sellano hat mit seinem Erstling „Portugiesisches Erbe“ Lissabon, die Metropole am Tejo, als Handlungsort für sich reklamiert. Wer ist dieser Sellano? Hinter diesem Pseudonym steckt – natürlich – kein Portugiese sondern ein deutscher Autor, der in verschiedensten Genres unterwegs ist. Science Fiction, Horror, aber vor allem Thriller und Krimis. Sehr positiv finde ich die Tatsache, dass er kein Geheimnis um seine „portugiesische Identität“ macht, sondern diese völlig selbstverständlich auf seiner Website offenlegt. Bei Interesse bitte googeln.

Wie bereits der Titel vermuten lässt, geht es um eine unverhoffte Erbschaft, die der Ex-Polizist Henrik Falkner gemacht hat. Als er nach dem Tod seines Onkels zur Testamentseröffnung nach Lissabon reist, stellt er zu seiner Überraschung fest, dass dieser ihm ein Haus mit den dazugehörigen Mietern sowie das Antiquitätengeschäft im Erdgeschoss vermacht hat. Und dann überstürzen sich die Ereignisse: er erhält ein total überhöhtes Kaufangebot, überlebt nur knapp einen Anschlag und erfährt, dass sich sein verstorbener Onkel mit einem Mordfall beschäftigt und Beweise gesammelt hat und damit offenbar jemandem in die Quere gekommen ist. Falkners verloren geglaubter Polizisteninstinkt wird geweckt, und er schickt sich an, den Spuren zu folgen, die sein Onkel für ihn ausgelegt hat, um das lange zurückliegende Verbrechen zu lösen.

Der Autor schreibt routiniert und entwickelt seine doch eher konventionelle Geschichte schlüssig, allerdings hätte auch ein etwas höheres Tempo dieser mit Sicherheit nicht geschadet. Aber vielleicht wäre das dann zu Lasten der verschiedenen Beschreibungen gegangen, seien es nun die Orte oder die Personen, die ich als sehr gelungen empfunden habe.

Luis Sellano kennt und liebt Lissabon, das merkt man seinem ersten Kriminalroman an, in dessen Zentrum Henrik Falkner steht. An der Seite dieses Protagonisten lässt der Autor den Leser sich durch die Millionenstadt bewegen, streift die touristischen Highlights, aber auch die eher unbekannten Viertel und streut wohldosiert Informationen zu all demjenigen ein, das Lissabon so besonders macht, wie z.B. der Fado. So weckt er das Interesse der „Urlaubskrimi-Leser“, die Lissabon noch keinen Besuch abgestattet haben, versorgt aber auch Kenner der Stadt mit interessanten Fakten. Dabei behält er aber immer seinen Plot im Auge, sodass sein Roman nicht zum bloßen Reiseführer mutiert sondern Krimi bleibt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.07.2016
Bretonische Flut / Kommissar Dupin Bd.5
Bannalec, Jean-Luc

Bretonische Flut / Kommissar Dupin Bd.5


sehr gut

Paul Gaugin und die Schule von Pont-Aven, Fleur de Sel aus Guérande, Belon-Austern, Fischfangquoten, Schmuggel und das maritime Naturschutzgebiet Parc Iroise. All das und noch viel mehr ist charakteristisch für die Bretagne. Für Jean-Luc Bannalec, deutscher Autor mit französischem Pseudonym, ist diese sturmumtoste Halbinsel im Westen Frankreichs nicht nur Wahlheimat sondern auch der Mittelpunkt seiner Kriminalromane um den aus Paris nach Concarneau strafversetzten Kommissar Dupin. Bannalec greift sich immer ein für die Bretagne typisches Thema sowie eine bestimmt Region heraus und baut darum herum seine Kriminalromane mit französischem Flair: „Bretonische Verhältnisse“, „Bretonische Brandung“, „Bretonisches Gold“, „Bretonischer Stolz“ und nun der fünfte Band der Reihe mit dem Titel „Bretonische Flut“.

Für den neuesten Fall muss Dupin einmal mehr seine Angst vor dem offenen Meer überwinden, denn ein Leichenfund in der Fischauktionshalle von Douarnenez (Département Finistère) erfordert Ermittlungen auf der Île de Sein, dem Wohnort der Toten. Céline war eine Einzelgängerin, eine der wenigen Küstenfischerinnen, die ihren Broterwerb auf dem offenen Meer suchte. Als schließlich eine weitere junge Frau getötet wird, entdecken Dupin und seine Kollegen Verbindungen zwischen den beiden Mordopfern. Die eine hat für die Umweltorganisation, die das maritime Naturschutzgebiet Parc Iroise betreut, gearbeitet, die andere hat offenbar illegale Aktionen in selbigem Gebiet beobachtet und diese an die entsprechenden Stellen weitergegeben. Und es ist immer wieder derselbe Name, der in den Befragungen, die der Kommissar mit seinem Assistenten Riwal auf der Île de Sein durchführt, auftaucht…

Jean-Luc Bannalec ist Wahl- bzw. Teilzeitbretone, und es ist offensichtlich, dass er die Bretagne mit all ihren Facetten liebt. Diese verpackt er in eine Krimihandlung. So weit, so gut, oder aber auch nicht. Denn genau das ist das Problem. Der Leser wird mit diversen Informationen zu den verschiedenen Départements, Städten und Landschaften versorgt. Das reicht von keltischen Mythen bis zu der Historie der Gegenwart, von detailverliebter Schilderung der Salzgewinnung bis zu der Erörterung der aktuellen Fangquoten in der Hochseefischerei. Die Betrachtung der bretonischen Ernährungsgewohnheiten darf hier natürlich auch nicht fehlen. Und last but not least natürlich ausführliche Landschafts- und Wetterbeschreibungen. Das ist alles höchst informativ und macht große Lust auf einen Urlaub in der Bretagne. Und genau wegen diesen imaginären „kleinen Fluchten“ lese ich die Bücher des Autors gerne.

Aber - „Bretonische Flut“ will kein Reiseführer sondern ein Kriminalroman sein. Und an diesem Anspruch muss er sich messen lassen. Von einem Kriminalroman erwarte ich nicht nur ein gut beschriebenes Setting und zwei Leichen, sondern zusätzlich interessantes Personal, Tempo, Spannung und eine gut geplottete Story. Das bleibt leider bei „Bretonische Flut“ durch die Überfütterung mit den unzähligen Informationen fast komplett auf der Strecke. Schade!

Bewertung vom 04.07.2016
Füchsin
Bruen, Ken

Füchsin


ausgezeichnet

Angie ist clever, sie ist die titelgebende „Füchsin“ in Ken Bruens Kriminalroman (erschienen im Polar Verlag in der Übersetzung von Karen Witthuhn, mit einem Nachwort von Alf Mayer). Angie hat einen Plan. Florida, dort sich einen stinkreichen Typen angeln, das ist das Ziel ihrer Träume. Schmackhaft hat ihr dies ihre ehemalige Zellengenossin gemacht. Aber um dort hinzukommen braucht sie Bares, und zwar in größeren Mengen. Angie agiert zielorientiert und ist eine begnadete Manipulatorin. Und sie ist nicht nur außergewöhnlich schön, sondern auch absolut skrupellos. Um ihr Ziel zu erreichen, ist ihr jedes Mittel recht.

Da trifft es sich gut, dass sie Ray und Jimmy kennerlernt. Letzteres ist nicht das hellste Licht, aber Ray hat die im wahrsten Sinn des Wortes zündende Idee. Sprengstoffanschläge gepaart mit Erpressung, das sollte das nötige Geld in die Kasse bringen. Nur dumm, dass seine telefonisch gestellten Forderungen bei der Southeast London Police eingehen, der Einheit um DS Brant, bestens bekannt aus dem Vorgänger „Kaliber“ (der im Original aber nach der „Füchsin“ erschienen ist). Und mit denen sollte man sich besser nicht anlegen…

Gut und Böse, wer in diesen Kategorien denkt, wird von dem irischen Autor schnell eines Besseren belehrt. Seine Londoner Polizisten, sind Psychopathen, allen voran Detective Sergeant Brant, haben mit Recht und Gesetz so überhaupt nichts am Hut und unterscheiden sich von den Kriminellen nur durch Uniform und Dienstmarke. Sie machen sich ihre eigene Moral, leben ihre Vorurteile und die Gewalt aus, kennen keine Skrupel und füllen sich mit Vorliebe die eigenen Taschen.

Bruen schreibt hart und präzise, ist nicht zimperlich in der Wortwahl. Und diese Präzision lässt er auch seiner Story angedeihen, die er gradlinig angelegt hat und schnörkellos hämmernd in seiner flapsigen Sprache auf 173 Seiten durchpeitscht. Schwarzhumoriger Highspeed von Anfang bis Ende. Große Klasse!

Bewertung vom 29.06.2016
Die Stunde der Entführer / Charles Boxer Bd.3
Wilson, Robert

Die Stunde der Entführer / Charles Boxer Bd.3


ausgezeichnet

32 Stunden, 6 Entführungsopfer und keine Lösegeldforderung. Aber etwas ist faul an der Geschichte. Ein neuer Fall für Charles Boxer, Ex-Polizist, Ex-Militär, der nun eine Non Profit-Organisation betreibt, die vermisste Personen aufspürt – der Mann für die besonders heiklen Fälle.

„Die Stunde der Entführer“ (erschienen bei Goldmann, in der Übersetzung von Kristian Lutze) führt nach „Stirb für mich“ und „Ihr findet mich nie“ die Reihe um und mit Charles Boxer fort. Und diesmal sind es gleich mehrere vermisste Personen, die er aufspüren soll. Zum einen ist Conrad Jensen verschwunden, ein ehemaliger Geheimagent, der in dubiose Geschäfte zwischen privaten Rüstungsfirmen und der US Regierung verwickelt ist und damit offenbar ein Vermögen gemacht hat.

Zeitgleich werden innerhalb von 32 Stunden an verschiedenen Orten in London sechs junge Leute verschiedener Nationalitäten entführt. Die einzigen Merkmale, die sie verbinden, sind ihrer Väter, allesamt viele Milliarden schwer und noch immer in engem Kontakt zu den Regierungen ihrer Heimatländer.

Aber erstaunlicherweise bleiben erst einmal Lösegeldforderungen aus. Die Entführer fordern lediglich einen Zuschuss zu ihren Unkosten, dieser ist allerdings nicht von schlechten Eltern, denn es geht immerhin um 25 Millionen Pfund pro Opfer. Im Gegenzug garantieren sie dafür – nichts! Und da die Sonderermittlungstruppe mit der Situation völlig überfordert ist, kommt Charlie Boxer zum Einsatz, der bald feststellt, dass die beiden Fälle eng zusammenhängen…

Robert Wilson setzt in dem dritten Band der Charles Boxer-Reihe auf Tempo. Das lässt sich schon an dem zeitlichen Rahmen festmachen, in dem er seinen Thriller platziert. Fünf Tage, dann ist der Fall vom Tisch und erledigt. Dem Leser macht er es dabei nicht immer einfach, denn er packt nicht nur unzählige Polit-Themen so ganz nebenbei in die Geschichte, sondern führt auch jede Menge Personen ein. Aber trotz einiger Längen im Mittelteil halten die unerwarteten Wendungen im Handlungsverlauf das Interesse des Lesers gefangen.

Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass es dem Autor ein großes Anliegen ist, seinen Lesern die Komplexität der Welt und die vielfältigen Verflechtungen von Wirtschaft, Kapital und Politik begreiflich zu machen. Das ist ihm zweifelsohne gelungen. Lesen!

Bewertung vom 22.06.2016
Kalter Ort / D.I. Helen Grace Bd.3
Arlidge, Matthew J.

Kalter Ort / D.I. Helen Grace Bd.3


ausgezeichnet

„Kalter Ort“ ist nach „Einer lebt, einer stirbt“ und „Schwarzes Herz“ der dritte Teil der Thrillerreihe, in deren Mittelpunkt Detective Inspector Helen Grace und ihre Kollegen bei der Polizei von Southampton stehen. Die Umbildung des Teams ist noch immer in vollem Gange, bewährte Kollegen sind ausgeschieden, andere sind auf dem Sprung, neue sind hinzugekommen. Und noch immer nutzt Helens Vorgesetzte Cari Harwood jede Gelegenheit, um sie zu schikanieren und bloßzustellen. Bossing in der reinsten Form, welches auch Helens persönliches Umfeld einbezieht, Zwietracht sät und Menschen verletzt, die ihr viel bedeuten.

Aber auch der Fall, an dem sie aktuell mit ihrem Team arbeitet, belastet sie über die Maßen, denn vom Erfolg ihrer Arbeit hängt das Leben einer verschwundenen jungen Frau ab. Ein Serienmörder entführt junge Frauen, hält sie gefangen und foltert sie solange, bis ihm ein neues, potenzielles Opfer ins Auge springt, womit das Schicksal seiner Gefangenen besiegelt ist. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass dieser offenbar nur auf einen bestimmten Frauentyp Jagd macht. Und eine vermisste junge Frau passt genau ins Opferprofil. Die Zeit läuft.

Die Idee, die M. J. Arlidges Thriller zugrunde liegt, ist nicht neu und wurde bereits von einigen seiner Autorenkollegen verarbeitet. Von daher birgt der Plot keinerlei Überraschungen. Selbst die Entlarvung des Täters bewegt sich eher im konventionellen Rahmen und ist für den Leser vorhersehbar. Und dennoch überzeugt der Autor auch mit diesem Thriller. Zum einen ist dies natürlich der Erzählweise geschuldet. Kurze Kapitel aus wechselnden Perspektiven schaffen Nähe zu den Personen, ganz gleich, ob zu den Ermittlern, dem Täter oder den Opfern. Dazu kommen die zahlreichen Cliffhanger, die das Tempo forcieren und das Interesse des Lesers konstant hoch halten. Und alle diejenigen, die bereits Teil 1 und 2 der Reihe gelesen haben, sind wahrscheinlich ebenfalls brennend daran interessiert, wie sich die Beziehungen innerhalb des Teams verändern bzw. welche Geheimnisse D.I. Grace zu verbergen hat. Denn hier hält uns der Autor noch immer an der kurzen Leine und lässt die Informationen nur spärlich fließen.

Und so warte ich voll Ungeduld auf die Fortsetzung der D.I. Helen Grace-Reihe. Ende August erscheint bei Rowohlt „In Flammen“ und Ende November „Letzter Schmerz“, die Bände vier und fünf. Und für die ungeduldigen Leser ist die englische Originalausgabe von Band sechs „Hide and seek“ ab Anfang September im Handel.

Bewertung vom 20.06.2016
Hundert Herzen
Kowalski, William

Hundert Herzen


ausgezeichnet

Der amerikanische Autor William Kowalski schreibt Familiengeschichten, aber es sind nicht diese idealtypischen Familien, die wir so oft in der Literatur vorgestellt bekommen. Vor Jahren habe ich seine Romane um und mit Billy Mann verschlungen („Eddies Bastard“ und „Das Leben brennt wie grüner Chili“) und war von der lässigen Fabulierfreude dieses Autors höchst angetan. Und auch sein neuer Roman „Hundert Herzen“ (in der Übersetzung von Jürgen Bürger), ausgezeichnet mit dem Thomas Raddall Atlantic Fiction Award 2014, ist in dieser Tradition geschrieben.

Es ist ein wichtiges Thema, mit dem sich Kowalski auseinandersetzt. Was macht der Einsatz in Kriegsgebieten mit denen, die weit entfernt von zuhause für abstrakte Ziele kämpfen? Kampf für die Freiheit am Hindukusch? Bullshit, sie kämpfen für nichts und niemanden, und nicht nur jeder Beteiligte, sondern auch jeder Außenstehende weiß das. Und was geschieht in den Familien, wenn die Soldaten wieder zurück in der Heimat sind? Alles eitel Freud‘ und Sonnenschein?

Diese Illusion hat Jeremy Merkin verloren, im Gegensatz zu vielen seiner Gefährten und Mitsoldaten ein Überlebender. Fast noch ein Kind, ist er nach Afghanistan in den Krieg gezogen. Mittlerweile ist er Mitte zwanzig und seit längerem wieder zuhause in Elysium, Kalifornien. Wie früher lebt er bei und mit seiner dysfunktionalen Großfamilie: den Großeltern Helen und Al, seiner Mutter Rita, Tante Jeanie und deren Sohn Henry. Was sich nach außen als ein Stück Normalität darstellt, ist leider nur ein äußerst instabiles Gebilde, denn die physischen und psychischen Wunden, die ein Krieg verursacht, gehen tief. Schuldgefühle, körperliche Schmerzen und Panikattacken gilt es auszuhalten, und das geht manchmal nur mit Marihuana, oder wie bei seinem Großvater Al, dem Vietnamveteran, mit Alkohol. Denn auch dieser kämpft seit vielen Jahren mit Dämonen, ist aber immer bemüht, dies vor seiner Familie zu verbergen. Auch wenn es offensichtlich ist, dass der Krieg seine Persönlichkeit zerstört hat.

Kowalski beschreibt seine Personen mit viel Wärme und großer Sympathie. Die Dialoge sind lebendig und humorvoll, auch wenn einem in der einen oder anderen Situation das Lachen im Halse stecken bleibt. Großvater und Enkelsohn, diese beiden Charaktere stehen im Zentrum des Geschehens. Und indem der Autor zwischen Als und Jeremys Perspektive hin und her springt, führt er dem Leser direkt die Auswirkungen vor Augen, die die Vergangenheit in der Gegenwart zeigt. Und so bleibt es auch nicht aus, dass Verborgenes ans Licht kommt und die Sichtweise der Protagonisten verändert, denn jeder ist zugleich Opfer als auch Täter und muss lernen, mit diesem Wissen zu leben.