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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2016
Fremdes Land / Weldon Holland Bd.1
Burke, James Lee

Fremdes Land / Weldon Holland Bd.1


sehr gut

„Fremdes Land“ ist ein texanisches Epos, in dessen Zentrum ein Mann mit reinem Herzen steht, Weldon Avery Holland. Gewidmet ist dieses Buch Weldon Benbow „Buddy“ Mallette, Burkes Cousin, dessen Lebensgeschichte die Inspiration für die Hauptfigur lieferte, wie der Autor in einem Interview bemerkte.

Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise, und Weldon Avery Holland lebt mit seiner mental instabilen Mutter bei seinem Großvater, einem harten Knochen und früheren Texas Ranger, der für die Verhaftung des Outlaws John Wesley Hardin verantwortlich zeichnet. Der Landstrich wird zwar immer wieder von Sandstürmen heimgesucht wird, aber sie haben ihr Auskommen. Für den Heranwachsenden verlaufen die Tage monoton, die Perspektiven sind rar. Das tägliche Einerlei wird lediglich einmal durch einen Zwischenstopp des Gangsterpärchens Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Chestnut Barrow unterbrochen. Die pubertären Schwärmereien und die Faszination des Jungen für die Gangsterbraut Bonnie werden ihn über die Jahre begleiten.

Zehn Jahre später, nach einem Studienabschluss an der Texas A&M, ist Weldon auf Seiten der Amerikaner an der Ardennenoffensive beteiligt, und seine Erlebnisse während dieser Zeit festigen seinen Begriff von Moral und Ehre. Er rettet seinen verschütteten Kameraden Hershel Pine und macht sich mit diesem auf den Weg, heraus aus den feindlichen Linien der Deutschen. In einem verlassenen Konzentrationslager der Nationalsozialisten retten sie aus den Leichenbergen die einzige Überlebende, Rosita Lowenstein, eine junge Sozialistin jüdischen Glaubens, die daraufhin mit ihnen weiterzieht. Noch ahnt Weldon Holland nicht, welchen Einfluss Hershel und Rosita auf sein weiteres Leben haben werden: Rosita wird seine Ehefrau und Hershel sein Geschäftspartner. Zurück in Texas besorgen sich die beiden das nötige Startkapital für ihre neu gegründete Firma und steigen in das boomende Ölgeschäft ein. Aber die alteingesessenen Ölbarone mögen es so gar nicht, wenn Neulinge ihre Pfade kreuzen, und dazu kommen auch immer wieder Rückschläge und falsche Entscheidungen, die die junge Firma in finanzielle Schwierigkeiten und Abhängigkeiten von dubiosen Geldgebern bringen. Nicht zu vergessen die privaten Probleme Hershels, dessen Gattin Linda Gail, ein Mädchen vom Lande mit hochfliegenden Ambitionen, rücksichtslos ihre eigenen Pläne verfolgt. Weldons Feinde wissen genau um seine Schwachstellen, und so gerät auch noch Rosita aufgrund ihres politischen Hintergrunds in das Visier der Kommunistenjäger. Und dennoch, zu keinem Zeitpunkt stellt er seine persönliche Moral in Frage…

„Fremdes Land“ ist der erste Roman Burkes, der mich mit zwiespältigen Gefühlen zurücklässt. Natürlich ist es wieder eine Geschichte von Gut und Böse, aber diesmal hat der Autor meiner Meinung nach eindeutig zu dick aufgetragen. Wenn er Rositas Schenkel als „lange goldene Karpfen“ beschreibt und den Liebesakt mit einem Sonett von Petrarca vergleicht, stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Er zitiert Shakespeare, bezieht sich auf Homer, das Rolandslied und Chaucers „Canterbury Tales“. Und das alles nur um aufzuzeigen, dass sich der Gute gegen das Böse behaupten muss, um die Menschen zu schützen, die ihm etwas bedeuten.

Aber glücklicherweise spielt Burke in „Fremdes Land“ auch seine Stärken aus, wenn er die historischen Fakten des texanischen Ölbooms in seine Story einarbeitet. Diese Beschreibungen sind ausgesprochen bildhaft und lebendig, fangen die Stimmung und das Wesentliche dieser Periode ein und erwecken mit ihren detailreichen Zeichnungen diese besondere Zeit des Aufbruchs zum Leben. Natürlich passen auch die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen und die bis ins Letzte stimmigen Charakterisierungen der Hauptfiguren perfekt zu der Story, ganz gleich, ob liebenswert und sympathisch oder nicht. Und das versöhnt am Ende dann doch noch, auch wenn mich die beiden Vorgänger des Holland-Zyklus, „Regengötter“ und „Glut und Asche“, weitaus mehr überzeugen konnten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.05.2016
Das Gesetz des Sterbens / Inspektor Rebus Bd.20
Rankin, Ian

Das Gesetz des Sterbens / Inspektor Rebus Bd.20


ausgezeichnet

Zweimal hat sich der ehemalige Inspektor John Rebus bereits in den Ruhestand verabschiedet. Zwar ohne Abschiedsparty, aber das war glücklicherweise auch nicht notwendig, denn seine ehemaligen Kollegen wissen noch immer, wo sie ihn finden können, wenn sie seine Unterstützung benötigen. Im Zweifel bietet sich da doch immer die Oxford-Bar an, sein zweites Wohnzimmer, auch wenn er auf ärztlichen Rat hin weniger rauchen und trinken sollte. Und diesmal ist seine Unterstützung mehr denn je gefragt.

Aber schön der Reihe nach: Siobhan Clarkes aktueller Fall entwickelt sich von einem missglückten Einbruch zu einer Mordermittlung, als bei der Leiche des ehemaligen Staatsanwaltes Lord Minton ein Zettel mit der Nachricht „Ich bringe dich um für das, was du getan hast“ gefunden wird. Die ehemalige Kollegin von Rebus ist nun auch im Rang eines DI und leitet die Untersuchungen. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Malcolm Fox werden die beiden zu Big Ger Caffertys Haus gerufen. Jemand hat durch das Fenster geschossen, aber Cafferty weigert sich, mit den Polizisten zu reden. Als einzigen Gesprächspartner akzeptiert er nur seinen alten Feind und Weggefährten John Rebus, der daraufhin zum Tatort gebracht wird. Es stellt sich heraus, dass der Edinburgher Unterweltboss die gleiche Mitteilung wie Minton erhalten hat. Tragen hier konkurrierende Gangs aus Glasgow und Edinburgh ihre Revierkämpfe aus, um die alleinige Herrschaft zu erlangen? Clarke braucht alle Hilfe, die sie bekommen kann, und so engagiert sie ihren ehemaligen Chef als Berater in diesem Fall. Eine neue Karriere für John Rebus. Parallel dazu behält Malcolm Fox, der ehemalige Fachmann für interne Ermittlungen, die Glasgower Kollegen im Blick. Diese sind auf das kürzlich in Edinburgh aufgetauchte Vater-Sohn Duo Joe und Dennis Stark aus der Stadt am Clyde angesetzt. Offenbar sind diese beiden nicht nur hinter einem ihrer Kumpane her, der mit einer Wagenladung Drogen spurlos verschwunden ist, sondern möchten auch ihren Einflussbereich ausdehnen.

Es sind komplexe Handlungsstränge, die Ian Rankin in seinem neuen Kriminalroman „Das Gesetz des Sterbens“ (wieder einmal prima übersetzt von Conny Lösch) nach und nach entwickelt und im Verlauf der Handlung souverän miteinander verknüpft. Natürlich die aktuellen Fälle, die die beiden Detectives Clarke und Fox und ihr „Freier Berater“ Rebus bearbeiten, aber auch Ereignisse aus der dunklen Vergangenheit der Stadt, die im Laufe der Ermittlungen plötzlich aufploppen und mit denen niemand gerechnet hat. Und hier wird auch der Bezug zu dem Originaltitel „Even dogs in the wild“ (nach einem Song der schottischen Post Punk Band „The Associates“) deutlich: „Even dogs in the wild will protect and will care for whatever means most to them“. Und wie so oft ist alles mit allem verbunden…

Aber auch das Katz und Maus-Spiel der beiden „alten Männer“, deren Zeit allmählich vorbei ist, hat dieser Story einen besonderen Effekt gegeben. Eine lebenslanger Feindschaft, aber auch die Verbundenheit zweier Weggefährten, die jeder für sich die verschiedensten Herausforderungen im Umgang mit dem jeweils anderen meistern muss, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen.

Und nicht zu vergessen Edinburgh, die heimliche Hauptdarstellerin der Rebus-Krimis. Nicht einmal in Ansätzen „cozy“, sondern immer „noir“, immer „a punch in the gut“, mit ihrer besonderen Atmosphäre. Dunkel, etwas spröde, mit bewegter Vergangenheit und Gegenwart, einfach mitten im Leben. Wie Ian Rankins Krimis!

Bewertung vom 18.05.2016
Der große Mann
Hooper, Chloe

Der große Mann


ausgezeichnet

„Der große Mann: Leben und Sterben auf Palm Island“ ist im Original bereits 2008 erschienen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Nun ist diese Reportage, dem Verlag Liebeskind sei Dank, endlich auch ihn deutscher Übersetzung erhältlich. Die Geschichte, die die australische Autorin Chloe Hooper darin erzählt, beruht auf einem tatsächlichen Ereignis, ist aber weit mehr als die Schilderung eines gewaltsamen Todes und des nachfolgenden Prozesses.

Der Vorfall trägt sich im November 2004 auf Great Palm Island zu, jener zu Queensland gehörenden Insel, die der Regierung als Abschiebelager und Ghetto für Aborigines dient und als äußerst gewalttätiger Ort bekannt ist. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 90 Prozent, Alkoholismus und Drogensucht ist weit verbreitet, Gewalt in jeglicher Form, Mord und Selbstmord gehören zur Tagesordnung. Es ist quasi ein rechtsfreier Raum.

Auf die ca. 2500 Einwohner kommen eine Handvoll Polizisten unter der Leitung von Christopher Hurley, einem „Großen Mann“, allesamt weiß. Hurley gefällt sich in seiner Rolle als Gesetzeshüter und harter Bursche, und so ist es nicht verwunderlich, dass er Respekt einfordert. Den Aborigines gegenüber fühlt er sich überlegen, gefällt sich in seiner Rolle als Gesetzeshüter. Und so jemandem muss man natürlich Respekt entgegenbringen.

Cameron Doomadgee, ein Aborigine, lässt diesen offenbar vermissen, als er in angetrunkenem Zustand kontrolliert wird und daraufhin das Lied „Who let the dogs out“ vor sich hin summt. Er wird verhaftet und auf die Wache transportiert, und eine knappe Stunde später liegt er tot am Boden. Angeblich ist er über eine Stufe gestolpert und hat sich dabei schwer verletzt. Ein blaues Auge, Blutergüsse am ganzen Körper, die Leber in zwei Teile gerissen, diverse gebrochene Rippen und eine Bauchvenenruptur. Zuerst passiert nichts. Erst als die Öffentlichkeit ihrer Empörung Luft macht, sieht sich der Generalstaatsanwalt genötigt zu reagieren und ein Gerichtsverfahren gegen Hurley einzuleiten.

Chloe Hooper erzählt nicht nur die Geschichte von Cameron Doomadgee, sondern zeichnet damit auch das Bild einer Gesellschaft, die sich auf Rassismus gründet. In der einer ganzen Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Hautfarbe die Identität genommen wird. Die Aborigines werden ins Abseits gedrängt Grundrechte verweigert, Übergriffe werden durch die staatlichen Stellen geduldet, der Willkür ist Tür und Tor geöffnet – ein Leben ohne Perspektive, analog dem Umgang der US-Regierung/-Bürger mit den Afroamerikanern und den Natives. Hooper zeigt das Große im Kleinen, beschreibt eine erschütternde, australische Tragödie. Nachdrücklich empfohlen!

Bewertung vom 17.05.2016
Inspektor Jury und die Frau in Rot / Inspektor Jury Bd.23
Grimes, Martha

Inspektor Jury und die Frau in Rot / Inspektor Jury Bd.23


sehr gut

Nach „All die schönen Toten“, dem 2010 erschienenen Kriminalroman mit Inspektor Richard Jury, hatte ich mich eigentlich dafür entschieden, die Reihe nicht mehr weiter zu verfolgen. Die Story war uninspiriert, das Personal lieblos gezeichnet, die Luft war raus. Aber alte Bekannte lässt man nicht so einfach ziehen, und so habe ich mit Interesse die Kritiken nach dem Erscheinen von „Vertigo 42“, so der Originaltitel des vor kurzem in der deutschen Übersetzung erschienenen „Inspektor Jury und die Frau in Rot“, dem 23. Band mit Richard Jury, verfolgt. Nur gut, dass ich meine Meinung revidiert habe, denn offenbar hat die lange Pause der Autorin und somit auch ihrem Werk gut getan.

Jury trifft sich mit Tom Williamsson, dem Bekannten eines Freundes, in der Londoner „Vertigo 42“ Bar (Verbeugung vor Altmeister Hitchcock). Dieser bittet ihn darum, den ungeklärten Todesfall seiner Frau Tess wieder aufzurollen. Diese stürzte infolge einer Schwindelattacke vor vielen Jahren zu Tode, so die offizielle Version. Doch es bleibt ein Rest von Zweifel bei dem Witwer, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, da seine verstorbene Frau in den tragischen Unfalltod eines Mädchens bei einer Party, die sie für die Nachbarskinder veranstaltet hatte, verwickelt war. Jury übernimmt den Fall, und um sich von den Gegebenheiten vor Ort zu überzeugen, macht er sich auf den Weg nach Devon. Aber nicht, ohne vorher bei seinem alten Freund Melrose Plant auf Ardry End vorbeizuschauen. Und auch dort gibt es einen seltsamen Todesfall. Eine junge Frau, gekleidet in eine rote Designerrobe, wird in der Nähe des Landsitzes am Fuße eines Turms tot aufgefunden. Ein Fall für den Amateurdetektiv Plant, natürlich mit der Unterstützung seines Freundes Jury…

Im vorliegenden Kriminalroman sind es miteinander verwobenen Fälle, wobei die Todesfälle der Vergangenheit ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart zeigen und Richard Jury beschäftigen. Und wie so oft geht es um verhängnisvolle Beziehungen, um Freundschaft, um Liebe und um Hass.

Martha Grimes schreibt britische Cozy-Krimis in Reinkultur à la Agatha Christie, die sie mit den entsprechenden „Zutaten“ entsprechend aufpeppt. Exzentrische Figuren, der typische schräge Humor, die englischen Rituale – dies alles macht aus dem vorliegenden Roman eine höchst unterhaltsame Lektüre, bei der der Leser auch die eine oder andere Ungereimtheit im Handlungsaufbau verzeiht. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Autorin zukünftig nicht nur mit den bekannten Versatzstücken arbeitet, sondern auch neue Ideen einbringt, damit ein frischer Wind durch ihre Krimis weht. Denn irgendwann ist auch das erfolgreichste Pferd tot geritten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.05.2016
Im Schatten der Königin
Fremantle, Elizabeth

Im Schatten der Königin


ausgezeichnet

Die Autorin Elizabeth Fremantle konzentriert sich in ihren historischen Romanen auf eine höchst interessante Epoche der englischen Geschichte. Es ist das Zeitalter der Tudors und der englischen Renaissance, und Fremantle beschreibt in farbenprächtigen Bildern nicht nur das Leben am Hofe, sondern auch ganz besondere Einzelschicksale wie beispielsweise in ihrem Erstling „Spiel der Königin“, in dessen Zentrum Catherine Parr steht, die sechste und letzte Ehefrau Henrys VIII.

In ihrem aktuellen Roman „Im Schatten der Königin“ geht Fremantle weiter in der Chronologie, denn hier dreht sich nun alles um die Töchter der Familie Grey. Jeder, der sich mit der englischen Geschichte der Tudorzeit beschäftigt, kennt das tragische Schicksal der „Neuntagekönigin“ Lady Jane Grey, der protestantischen Nachfolgerin Edward VI. auf Englands Thron, die das Festhalten an ihrem Glauben mit dem Leben bezahlen musste. Auch nach ihrer Hinrichtung sind sowohl ihre Mutter Frances als auch ihre beiden Schwestern Katherine, die herzgesteuerte Schönheit, und Mary, die Intelligente mit körperlichem Makel, am Hofe von Queen Mary zu finden und leben tagtäglich in der Angst, das gleiche Schicksal wie Jane zu erleiden. Als nach dem Tode der „Bloody Mary“ Elisabeth I. den Thron besteigt, entspannt sich die Situation kurzzeitig, aber schon bald müssen die Schwestern schmerzlich feststellen, dass es ihr eigener Wille nichts gilt, sondern dass es immer die Monarchen sind, die schlussendlich das letzte Wort bei Entscheidungen haben.

Es sind drei verschiedene Perspektiven, aus denen die Autorin diese turbulente Jahre erzählen lässt. Zum einen sind das natürlich die beiden Grey-Schwestern Katherine und Mary, zum anderen werden deren Schilderungen durch die Sicht Levinas ergänzt. Diese ist nicht nur eine loyale Freundin der Familie Grey, sondern auch noch eine Porträtmalerin und kommt somit auch mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt. Ihre Sichtweise ergänzt die höfischen Details der Adligen mit den Darstellungen des Lebens der „normalen“ Menschen am Hofe. Gleichzeitig ist sie die kommentierende Stimme, die analysiert und zu ergründen versucht.

„Im Schatten der Königin“ ist ein üppiger Roman, in dessen Zentrum zwei ungleiche Schwesternpaare stehen. Einerseits Mary und Elisabeth, in Hass verbunden, andererseits Katherine und Mary, die füreinander durchs Feuer gehen würden. Schwesternliebe, Schwesternhass und Loyalität – auf diesen drei Säulen ruht Fremantles Geschichte, die eng an den historisch belegbaren Tatsachen bleibt. Eine höchst unterhaltsame Geschichtsstunde, allen Lesern wärmstens empfohlen, die sich für die englische Historie interessieren.

Bewertung vom 10.05.2016
In der Finsternis
Dazieri, Sandrone

In der Finsternis


ausgezeichnet

Sandrone Dazieri ist in Italien ein bekannter Drehbuchschreiber für Kriminalfilme. Daneben hat er aber auch einige Romane und Kinderbücher veröffentlicht. Mit „In der Finsternis“ liegt nun sein aktueller Roman vor.

Im Zentrum der Handlung stehen zwei ungewöhnliche Protagonisten, die beide zwar schwerwiegende psychische Probleme haben, aber auf ihren Gebieten Meister ihres Fachs sind. Da ist zum einen Dante Torre, der freiberufliche Profiler mit den herausragenden Fähigkeiten, der in den Menschen wie in einem offenen Buch liest. Diese Fähigkeiten hat er allerdings durch leidvolles Erleben erworben. Als Kind entführt, elf Jahre in einem Betonverlies gefangen gehalten, hängt sein Überleben davon ab, dass er jede kleinste Regung seines Entführers erkennen und deuten kann. Aber auch nach seinem Entkommen kann er diese Zeit der Gefangenschaft nicht einfach abhaken, es verfolgt ihn und bestimmt sein Leben. Die andere Hauptfigur ist Colomba Caselli, eine Polizistin Anfang dreißig, die sich nach der missglückten Festnahme eines Serienmörders in einem Restaurant für den Tod unbeteiligter Gäste verantwortlich fühlt und ihren Beruf eigentlich an den Nagel hängen will. Diese beiden nun arbeiten gemeinsam am Fall eines Jungen, der bei einem Familienausflug spurlos verschwunden ist. Dessen Mutter wird unmittelbar danach geköpft aufgefunden. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden – der Familienvater wird verhaftet. Aber Casellis Vorgesetzter bezweifelt dessen Täterschaft, kommen ihn die Umstände der Tat doch seltsam bekannt vor. Und was Torre und Caselli im Laufe ihrer Ermittlungen zutage fördern, verschlägt selbst einem altgedienten Polizeichef den Atem…

Dazieri hat mit „In der Finsternis“ einen hochspannenden, temporeichen Thriller geschrieben, der sich durch zahlreiche unerwartete Wendungen auszeichnet und damit den Leser an die Seiten fesselt. Wirklich herausragend sind allerdings seine beiden Ermittler, deren persönlicher Hintergrund die Story maßgeblich beeinflusst, und zwar in einem wesentlich weiteren Sinn, als das die skandinavischen Autoren mit ihren depressiven Alkoholikern schaffen.

Bewertung vom 08.05.2016
The Bread Exchange
Elmlid, Malin

The Bread Exchange


ausgezeichnet

Brot ist ein elementares Lebensmittel, und mir ging es damit ähnlich wie der schwedischen Globetrotterin und Autorin Malin Elmlid. Seit geraumer Zeit ärgere ich mich darüber, dass fast in jeder Bäckerei das gleiche Angebot vorhanden ist. Brote mit merkwürdigen Phantasienamen, alle ausnahmslos mit dubiosen Backmischungen hergestellt, die Stoffe beinhalten, die man absolut nicht benötigt, um ein gesundes, wohlschmeckendes Ergebnis zu erhalten. Meine Konsequenz daraus war und ist das Selberbacken. Natürlich ist dies mit zeitlichem Aufwand verbunden, aber selbst als Vollzeit-Berufstätige ist das kein Problem, solange die entsprechende Motivation vorhanden ist.

Wasser, Mehl und Salz – drei Zutaten, die immer und überall erhältlich sind, mehr braucht es nicht für ein gutes Brot. Und natürlich etwas Zeit. Und genau damit startet Malin Elmlids Projekt. Mittlerweile ist sie fast rund um die Welt gereist, den Sauerteig im Gepäck. Hat viele interessante Menschenund ihre Geschichten kennengelernt. Backt ihr Brot und tauscht es gegen die verschiedensten Dinge ein. Lernt neue Rezepte kennen. Und teilt ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit uns Lesern/Hobbybäckern auf ihrem Blog „thebreadexchange.com“ und in den Sozialen Netzwerken. Seit neuestem ist nun auch „The Bread Exchange: Vom Reisen und Tauschen mit einem Sauerteig im Gepäck - Geschichten und Rezepte“ (veröffentlicht bei Prestel) erhältlich, ein Back-Reise-Tagebuch mit vielen schönen Fotografien, in dem man ihre Geschichten und Rezeptanleitungen nachlesen kann.

Aber da der Mensch nicht nur von Brot allein lebt, findet man natürlich auch Rezepte für Aufstriche oder typische, brotlose Gerichte aus den Ländern, die Malin Elmlid bereist hat, immer verknüpft mit besonderen Situationen oder Personen, die dabei ihren Weg gekreuzt und sie nachdrücklich beeindruckt haben. Man kann es nur vermuten, aber ich denke, dass die Autorin ähnliches mit uns im Sinn hat. Sie möchte ihre Erlebnisse mit und teilen, Anstöße geben und inspirieren. Dazu animieren, dass wir uns wieder auf die elementaren Dinge des Lebens besinnen. Wie sie bereits vor einiger Zeit in einem Interview mit der englischen Zeitschrift „The Guardian“ sagte: “Eating, baking bread, sleeping, making jokes and falling in love”.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Bewertung vom 08.05.2016
Nadjas Katze / Kommissar Berndorf Bd.10
Ritzel, Ulrich

Nadjas Katze / Kommissar Berndorf Bd.10


ausgezeichnet

Auch in seinem zehnten Berndorf-Krimi bleibt der Autor Ulrich Ritzel seinem bewährten Konzept treu. Er taucht ein in die deutsche Zeitgeschichte, mischt Fakten mit Fiktion und konstruiert eine vielschichtige, aber dennoch bis ins Detail logische Geschichte, in der sich sein Ermittler der eigenen Vergangenheit stellen muss.

Es beginnt alles mit einem schmalen Heftchen, das die ehemalige Freiburger Studienrätin Nadja Schwertfeger in einem Antiquariat findet. Ihre Passion gilt den vergessenen und unbekannten Schriftstellern. Die Lektüre der „Nachtwache des Soldaten Pietzsch“, so der Titel der Erzählung, verunsichert sie aber zutiefst, denn neben den Geschehnissen in der Nacht des 19. April 1945 in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb ist darin auch von einer speziellen Stoffkatze die Rede. Und genau das gleiche Kuscheltier besitzt die adoptierte Nadja als einzige Erinnerung an ihre leibliche Mutter. Und so beginnt sie mit Hilfe ihrer Freundin Wally nachzuforschen, inwieweit die Erzählung des unbekannten Autors Anderweg einen realen Kern hat. Die Spur führt auf die Schwäbische Alb in das kleine Dorf Wieshülen, aber kaum jemand mag mit ihr über die Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkriegs reden. Man verweist sie an Hans Berndorf, den ehemaligen Ulmer Polizisten, jetzt in Berlin lebend, der ebenfalls dort aufgewachsen ist. Gemeinsam begeben sich die beiden auf Spurensuche, nicht wissend, dass sie sich damit auch ihrer eigenen Vergangenheit stellen müssen, sondern auch ein dunkles Kapitel des Dorflebens enthüllen werden.

Wie immer nähert sich Ulrich Ritzel behutsam dem eigentlichen Thema seines Kriminalromans, dem Verdrängen und Verschweigen und den Auswirkungen, die dieses Verhalten bis in die Gegenwart nach sich zieht. Sei es nun der Umgang mit den Fremden, den Flüchtlingen und Zwangsarbeitern, die die dörfliche Ruhe stören. Aber auch die strammen Gefolgsleuten Hitlers, die nach Kriegsende ihr Schäflein ins Trockene bringen, geraten in den Fokus. Das Ende eines Krieges, das kein neuer Anfang, sondern ein kollektives Verleugnen von Schuld ist.

Der Autor erzählt eindringlich und realistisch, nutzt dafür auch historisches Quellenmaterial, das am Ende des Buches aufgeführt wird. Die klassische Frage nach Opfer und Täter in dem fiktionalen Strang seines Kriminalromans wird zur Nebensache, wesentlich interessanter ist die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Ereignissen, denn „…im Wald der Erinnerungen (…) darf man keinen Schritt zur Seite tun. Und das Gebüsch am Wegrand nicht zur Seite schieben. Nicht in diesem Land. Überall liegen noch Skelette herum.“