Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1127 Bewertungen
Bewertung vom 17.05.2018
Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal
Marschall, Anja

Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal


ausgezeichnet

Hauke Sötjes persönlichster Fall

„Im Krieg gibt es keine Mörder, Sötje, nur Soldaten.“ (S. 131)
Eigentlich sollte Kommissar Hauke Sötjes endlich seine Hochzeit mit Sophie vorbereiten, schließlich sind sie seit einem Jahr verlobt, aber da kommt ihm eine angebliche Selbstmörderin in die Quere. Irgendetwas stimmt mit dem Tod des Dienstmädchens nicht, da ist sich Hauke sicher. Warum hatte sie sehr wertvolle Duchess-Spitze um ihren Arm gewickelt, als sie in den Kaiser-Wilhelm-Kanal sprang und warum fehlt an ihrem Rock ein großes Stück Stoff?
Und dann „bittet“ ihn auch noch sein alter Bekannter Graf von Lahn um einen Gefallen. Er soll Max Sülau schützen, der damals Haukes Schiff versenkte und damit die gesamte Mannschaft umbrachte. Sülau spioniert jetzt für den Kaiser in Russland und wird mit der Delegation von Fürst Gregorijn in Kiel erwartet. Angeblich kann er einen russischen Spion am Hof des deutschen Kaisers enttarnen und es gab schon mehrere Anschläge auf ihn. Kann und will Hauke den Mörder seiner Mannschaft schützen?

Hauke Sötje ist ein Mann mit Ecken und Kanten. Dass er vor Jahren den Untergang seines Schiffes als Einziger überlebt hat, wurde ihm nie verziehen und auch er selbst zweifelt in seinen dunklen Stunden an sich. Man hatte ihm damals zur Ehrenrettung den Freitod angeboten. Aber er will wissen, was passiert ist, da er sich an nichts erinnern kann. Dass er den Mörder seiner Männer jetzt quasi auf dem Silbertablett serviert bekommt und ihn nicht töten darf, stürzt ihn in echte Gewissenskonflikte ...
Außerdem ist er sehr neugierig und wissbegierig und experimentiert mit verschiedenen Verfahren, die ihm bei seinen Ermittlungen helfen könnten. Vor allem Fingerabdrücke und Röntgenstrahlen haben es ihm angetan. Ich bin immer wieder erstaunt, wie weit die Technik damals schon war, dass es bereits Telefone und Straßenbahnen gab.
Mit Sophie hat er eine ebenbürtige Frau an seiner Seite, die ihn ausnahmsweise bei den Ermittlungen unterstützt und daran Gefallen findet. Ich hoffe ja inständig, dass sie ihm auch in Zukunft „assistieren“ darf. Sie ficht ebenfalls einen Gewissenskonflikt aus, da sie nicht weiß, ob sie nach der Hochzeit weiter als Hauslehrerin arbeiten darf – das war damals nämlich unüblich.
Außerdem unterstützt ihn der jüdische Sekretär des Kommissariats, Levi Bloch, welcher bei den Ermittlungen über sich hinauswächst und hoffentlich auch im nächsten Band wieder mit von der Partie ist.

Anja Marschall ist eine Meisterin ihres Fachs! Auch Haukes dritter Fall ist von Anfang an extrem spannend und leider wieder viel zu schnell ausgelesen. Sie schreibt sehr anschaulich, so dass man stets ein genaues Bild von den Personen, Zuständen und Örtlichkeiten vor Augen hat. Der Hintergrund zu diesem Buch ist politischen brisant: Es geht um Spionage, Bündnispolitik, Machtdemonstrationen und Kriegstreiben.
Wahrlich filmreif sind wieder die Verfolgungsjagden und der Showdown am Ende des Buches. Ganz großes Kino!

Bewertung vom 14.05.2018
Wahrscheinlich ist es Liebe
Reizin, Paul

Wahrscheinlich ist es Liebe


ausgezeichnet

Wie fühlt sich ein Kuss an?

Jen ist Journalistin und wird dafür bezahlt, sich jeden Tag 8 Stunden mit Aiden zu unterhalten – der Job klingt toll, oder? Ist er auch! Sie schauen zusammen Filme, lesen Bücher oder hören Musik und diskutieren darüber. Der einzige Haken an der Sache ist, dass die Gespräche in einem Hochsicherheitslabor stattfinden, denn Aiden ist ein Computerprogramm (eine künstliche Intelligenz). Er wurde entwickelt, um reale Menschen in Callcentern zu ersetzen. Den Feinschliff für die Gesprächsführung bekommt er jetzt von Jen.
Als die ihm erzählt, dass ihr Freund Matt sie wegen einer Anderen sitzen gelassen hat, will er einen neuen – perfekten – Mann für sie finden. Was nämlich weder Jen noch Aidens Entwickler wissen: Er hat es aus seinen 12 Stahlschränken ins World Wide Web geschafft und kann so nicht nur Jen rund um die Uhr beobachten, sondern auch jeden anderen Menschen, der Geräte mit Internetzugang besitzt. Leider gehen die ersten Kuppelversuche alle irgendwie schief. „Jeder kann Fehler machen. Sogar eine Maschine.“ (S. 307) Dann entdeckt er Tom, der wäre genau richtig für Jen – er lebt nur leider auf einem anderen Kontinent ...

Für manche mag das beschriebene Szenario befremdlich oder erschreckend sein – eine künstliche Intelligenz hat sich verselbstständigt und mischt sich jetzt in das Leben seiner Trainerin ein. Aber bei Aiden ist von Beginn an klar, dass er ein humoriger Feingeist, sehr neugierig und ein hoffnungsloser Romantiker ist. Sein Lieblingsfilm ist „Manche mögen’s heiß“, er würde gern wissen wie Käse schmeckt oder sich ein Kuss anfühlt, philosophiert tiefschürfend über Gott und die Welt, kann Trauer und Sehnsucht „fühlen“ und vor allem er mag Jen wirklich. ER rächt sie z.B., indem er ihrem Ex-Freund Matt nach und nach auf sehr amüsante Art und Weise das Leben versaut. Leider hat er einen extrem fiesen Gegenspieler, der die Beziehung zwischen Jen und Tom mit wirklich allen Mitteln verhindern möchte. Siegt am Ende trotzdem das Gute?

„Wahrscheinlich ist es Liebe“ ist eine ganz besondere Liebesgeschichte: warmherzig, liebevoll, kurzweilig und traurig – alles gleichzeitig. Aiden hat mich sehr berührt. Er wurde immer menschlicher, realer und stellte existenzielle Fragen, die auch ich mir manchmal stelle. Ich hätte ihm nicht nur an einer Stelle gern gesagt, dass er damit nicht allein ist.

Besonders sind auch das Cover und die hochwertige Aufmachung (der Leinenrücken) des Buches – es wirkt sehr nostalgisch und romantisch. Auf dem Lesebändchen steht „Angekommen“ und das war ich auch wirklich von der ersten Seite an!

Bewertung vom 10.05.2018
Dunkle Nächte auf Montmartre / Quentin Belbasse Bd.1
Vauvillé, P. B.

Dunkle Nächte auf Montmartre / Quentin Belbasse Bd.1


sehr gut

Beginn einer neuen Reihe?

Paris glüht und eigentlich möchte sich Quentin Belbasse, seines Zeichens Jazz-Bassist, nach der Party letzte Nacht nicht wirklich von seinem Ventilator wegbewegen, aber da ruft sein väterlicher Freund Moulin an. In dessen Cabaret „Narcisse“ haben sie gefeiert und nun liegt Daphné tot im Keller. Sie ist die einzige weibliche Darstellerin der Travestie-Show. Zum Glück stellt sich schnell heraus, dass es „nur“ eine unbekannte Frau ist, die sich wie sie verkleidet hat. Aber warum und wer ist sie? Die Polizei tappt im Dunklen und verdächtigt Moulin des Mordes, schließlich ist es sein Club. Darum bittet er seinen Freund Quentin um Hilfe.

“Dunkle Nächte auf Montmartre“ ist ein typischer Whodunit-Krimi. Untypisch ist nur der Ermittler, der eben kein (Privat-)Detektiv ist, auch wenn sich Quentin im Laufe seiner Ermittlungen als solcher ausgibt.
Ziemlich schnell ist er sich sicher, dass eigentlich Daphné ermordet werden sollte. Sie hat sich schon in der kurzen Zeit, in der sie zum Ensemble gehört, mehr Feinde als Freunde gemacht hat. Aber auch ihr Ex-Freund hat ein Motiv, wie sie Quentin bald gesteht. Daphné sammelt Verehrer und spielt sie gegeneinander aus. Die Eifersüchteleien, nicht nur unter ihren Kollegen, erschweren die Ermittlungen. Doch Quentin kennt sein Monmarte und die Bewohner gut und weiß, wen er fragen muss, wenn er spezielle Informationen braucht.

Durch die vielen Verdächtigen, ihre Motive und die unbekannte Identität der Toten bleibt das Buch bis zuletzt sehr spannend. Quentin und der ermittelnde Polizist liefern sich ein fast freundschaftliches Wettrennen um die Lösung des Falls, man tauscht zwischendrin sogar die neuesten Erkenntnisse aus. Quasi „Quid pro quo“.
Quentin ist ein sehr sympathischer Ermittler, der genau weiß, wie er sein Gegenüber ansprechen muss, um ihn zu knacken. Außerdem steht ihm – überraschend und eher unerwünscht – seine Hippi-Mutter mit dem Künstlernamen „Rosa Kontrapunkt“ recht unkonventionell zur Seite.
Etwas irritiert hat mich, dass er sich in die Ermittlungen stürzt, ohne dass mir seine Intension klar wurde. Ist es nur Moulins Bitte? Eigentlich ist er Bassist und er hat auch noch nie ermittelt. Dazu kommt, dass ihm der zuständige Polizist so viel durchgehen lässt? Warum? Sie kannten sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Gefallen hat mir auch die Darstellung von Montmartes dunkler Seite abseits des Tourismus: der Straßenstich, die Zuhälter, abgewrackte Stundenhotels, gescheiterte Existenzen.
P.B. Vauvillé (das Pseudonym von Bertina Henrichs und Philippe Vauvillé ) schreibt sehr anschaulich und fesselnd – ich habe den Krimi an nur einem Tag gelesen.

Von meinen kleinen Kritikpunkten abgesehen ist es ein gelungenes Krimi-Debüt und ich hoffe, bald wieder von Quentin zu lesen.

Bewertung vom 03.05.2018
Mord an der Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.1
Conrad, Carolina

Mord an der Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.1


sehr gut

Ein Dorf schweigt
„Sieben Tote in vier Monaten. Allein drei aus einer Familie.“ steht im Klappentext des Buches, da erwartet man eigentlich einem ziemlich harten Krimi – obwohl ich es ja eher „Cosy“ mag.
Zum Glück beginnt „Mord an der Algarve“ relativ beschaulich. Die Journalistin Anabela Silva steckt mitten in der Scheidung und weiß nicht so richtig, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll „Kopf, Herz, Bildschirm, alles leer.“ (S. 16). Da kommt die Bitte ihrer Eltern, sie doch in Portugal zu besuchen, wie gerufen. Ihre Mutter hat sich den Arm gebrochen und ihr Vater wird irgendwie wunderlich, sie brauchen Hilfe.
Anabelas Eltern sind Portugiesen. Sie leben in einem kleinen Dorf im Hinterland der Algarve. Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung liegt sich bei deutlich über 50. Als Anabela ihre Mutter auf den Friedhof begleitet und sich die neuesten Grabstätten anschaut, stellt sie fest, dass den letzten Monaten gleich 3 Menschen mit Namen Alves gestorben sind. Ihre journalistische Neugier ist geweckt, vor allem als angelblich niemand im Dorf näheres über die Familie weiß. Auch ihr Cousin Luís, der bei der Polizei arbeitet, wiegelt ab. Sie verrenne sich da in etwas.

Die erste Hälfte des Buches ist sehr gemütlich, Land und Leute werden beschrieben, ihre Lebensumstände und wie sich Anabela wieder in Portugal einlebt. In kleinen kursiven Einschüben erlebt man zwar die Morde an den Alvez, aber auch die sind nicht blutig und werden von der Polizei bzw. den Ärzten als Unfälle und natürliche Tode abgetan. Erst, als ein deutscher Auswanderer erschlagen wird, kommt endlich Fahrt in die Sache und aus dem Urlaubs-Roman wird ein Krimi.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich in letzter Zeit ein knapp 300 Seiten umfassendes Buch an nur einem Nachmittag / Abend gelesen habe. Der Schreibstil ist sehr flüssig, unterhaltsam und fesselnd, obwohl ich das Buch nicht durchgängig als Krimi bezeichnen würde.
Anabela ist Anfang 40 und ihr Mann hat sie wegen einer Studentin verlassen. Sie hadert mit der Situation ist ganz froh um die Auszeit und den Abstand, die sie durch die Reise nach Portugal einlegt. Ihr wird erst dort bewusst, wie alt ihre Eltern eigentlich schon sind und dass sie wahrscheinlich nicht mehr lange allein für sich sorgen können. Sie muss sich überlegen, ob sie nicht auch von Portugal aus für die Zeitschriften in Deutschland arbeiten könnte Außerdem machen ihr gleich zwei interessante und attraktive Männer den Hof.

Bezgl. der Hintergründe für die Morde und auch die Identität des Mörders tappt Anabela lange im Dunkeln. Mir ihren Verdächtigungen macht sie sich nicht nur Freunde, aber die Bandbreite der möglichen Motive auch groß. Fühlt sich ein Arzt oder Betreuer der Alten als Todesengel? Geht es um Grundstücksspekulationen oder hängt es gar noch mit dem alten Regime des Estado Novo zusammen?

„Mord an der Algarve“ ist der Auftakt einer neuen Krimireihe um die Journalistin Anabela Silva und passt perfekt in die Urlaubszeit. Ich werde auf jeden Fall nach dem nächsten Band Ausschau halten um zu erfahren, wie es mit Anabela weitergeht.

Bewertung vom 01.05.2018
Eines Tages in Paris
Blackwell, Juliet

Eines Tages in Paris


ausgezeichnet

Die Unbekannte aus der Seine

„Er wird mich niemals lebendig gehen lassen.“ (S. 35) steht in einem Brieffragment, den Claire beim Spielen unter der zerbrochenen Totenmaske einer wunderschönen Frau in einer Kiste aus Frankreich findet. Die Maske hatte ihr Großvater während des 2. WK aus Paris nach Hause (Louisiana) geschickt.
Jahre später liegt Claires Großmutter im Sterben. Claire arbeitet inzwischen als erfolgreiche Softwareentwicklerin, aber so richtig glücklich macht sie der Job nicht. Der letzter Wunsch ihrer Großmutter ist: Reise nach Paris und „Finde dieses Gesicht, da wartet ein Geheimnis auf Dich.“ (S. 40). Der Gedanke setzt sich in Claire fest und sie beginnt zu recherchieren. Die „Moulage de la Famille Lombardi, depuis 1871“, welche die Maske hergestellt hat, gibt es noch. Auf deren Website findet sie auch die Maske: „L’Inconnue“ – „Die Unbekannte aus der Seine“. Sie soll in den späten 1890ern ertrunken aus der Seine gefischt worden sein. Aber wer lässt eine Totenmaske von einer unbekannten Selbstmörderin anfertigen?
Claires Neugier ist geweckt, sie reist wirklich nach Paris. Die Moulage wird inzwischen von Armand und seiner Cousine Giselle betrieben. Sie haben sogar noch Unterlagen über „L’Inconnue“ und würden sie Claire gegen eine ungewöhnliche Gegenleistung zur Verfügung stellen ...

„Eines Tages in Paris“ handelt von Träumen und Sehnsüchten und wie enttäuschend deren Erfüllung sein kann.
Claire hat ihre Mutter früh bei einem Autounfall verloren und immer noch Albträume davon. Ihr Vater kümmerte sich nicht um sie, also wuchs sie bei ihrer Mammaw auf.
Auch Paris ist zu Beginn ganz anders als erwartet, die Postkartenromantik gibt es nicht. Außerdem sind die Frauen hier so modisch und elegant – sie kommt sich wie das hässliche Entlein vor. Erst nach und nach entdeckt sie dank Armand und Giselle die schönen Seiten der Stadt, ihre künstlerische Ader und söhnt sich mit ihrer Vergangenheit aus: „Lebst Du denn nicht dein eigenes Leben ...?“ (S. 259).
„Die Unbekannte“ kam Ende der 1890er auf der Flucht vor ihrem übergriffigen Vater vom Land nach Paris um Haushälterin zu werden. Stattdessen wird sie ein exklusives Künstlermodell. Endlich schöne Kleider und genug zu Essen, sogar Schokolade. Aber um welchen Preis? Die Angst wird wieder ihr täglicher Begleiter.

Das Buch ist sehr spannend, fast schon ein Krimi und die nächste Wendung nie vorhersehbar. Durch mehrere Zeitstränge und Rückblicke wird die Vergangenheit von Claire und „L’Inconnue“ enthüllt. Am Ende deckt Claire ein überraschendes Geheimnis auf, nach dem sie nie gesucht hat.

Wer meine Rezensionen regelmäßig liebt, weiß, wie sehr ich Paris liebe. Auch Juliet Blackwell ist es gelungen, das Flair dieser wandelbaren Stadt einzufangen und auf Papier zu bannen. Ich liebte die Spaziergänge mit Claire, die Streifzüge über die Märkte und die hervorragende französische Küche.
Übrigens liest Claire in Paris Romane über diese Stadt und ich bilde mir ein, in einem „Die Lichter von Paris“ von Eleanor Brown erkannt zu haben.

Abschließen möchte ich mit meinem Lieblingszitat: „Wenn doch nur die Narben des Lebens mit goldenen Linien repariert werden könnten.“ (S. 262). Was es damit auf sich hat, erfahrt Ihr im Buch ;-).

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.04.2018
Lost in Fuseta / Leander Lost Bd.1 (6 Audio-CDs)
Ribeiro, Gil

Lost in Fuseta / Leander Lost Bd.1 (6 Audio-CDs)


sehr gut

Mord an der Algarve
Hauptkommissar Leander Lost ist Asperger-Autist und Eidetiker. Da die deutschen Kollegen mit seiner Art nicht klar kamen, haben sie ihn im Rahmen eines Austauschprojektes nach Faro an die Algarve „weggelobt“. Dort ist er endlich in einem Team angekommen. Man schätzt gerade seine Andersartigkeit. Er ist extrem strukturiert und geht alles sehr analytisch an, dadurch wird er in einigen Situationen zu einer Art Mischwesen aus Mensch und Computer. Zum Team der Kripo in Faro gehören neben ihm auch seine Chefin Graciana Rosado und Carlos Esteves – der immer etwas zu Essen dabei hat und mich dadurch an Kjeld Jensen von der Olsenbande erinnerte.

Eines Tages erscheint die allzeit beliebte Polizistin Teresa nicht zum Dienst. Ihr Handy – welches sie normalerweise nie ablegt – liegt in ihrer Wohnung, die nur 300 m von der Dienststelle entfernt ist. Graciana Rosado befürchtet das Schlimmste. Kurz darauf wird Teresa wirklich ermordet aufgefunden. Warum musste sie sterben? Alle arbeiten auf Hochtouren. Gleichzeitig soll die Dienststelle aber auch eine angolanische Journalistin schützen, die gerade zu Besuch ist. Dass beide Fälle zusammenhängen, wird ihnen bald klar.

Ich kennen Leanders ersten Fall leider nicht, aber mir ist auch keine Stelle aufgefallen, an der mit Vorwissen fehlen könnte. Die Gegend und die Menschen werden toll beschrieben, dies hat der Autor geschickt mit der Handlung verknüpft.
Leander Lost habe ich sehr gemocht, gerade seine Marotten machen ihn menschlich. Er trägt sich mit dem Gedanken, Vater zu werden und hat sich dazu Teresas Tochter Eva ausgesucht, weil sie ebenfalls Asperger hat. Beide denken darüber ganz rational, dass sie eben kompatibler im Alltag sind als „normale“ Menschen. Nur leider liebt er Eva nicht. Ganz im Gegensatz zu Gracianas Schwester Soraya. Die löst ein warmes Gefühl bei ihm aus, aber was versteht er schon von der Liebe?!

Trotzdem man so viel über Protagonisten erfährt, hat die Krimihandlung genug Spannung und wird nicht langweilig. Fieberhaft suchen die Polizisten nach Teresas Mörder und dem Tatmotiv. Ihre wird Zeit immer knapper, weil die Journalistin bald weiterreisen wird und kommt es dann zu einem James-Bond-reifen Showdown.

Das Hörbuch ist sehr atmosphärisch, man hat das Gefühl, selbst an der Algarve zu sein und die Ermittlungen live zu verfolgen. Der Kriminalfall steht zwar nicht immer im Vordergrund, aber man verliert ihn auch nie aus den Augen.

Außerdem hat der Autor auch schon den Boden für weitere Teile der Reihe bereitet, indem er andeutet, dass Leander nach dem halben Jahr in Portugal in die nächsten Länder ausgeliehen wird. Vielleicht kann er sich ja aber auch dauerhaft nach Faro versetzen lassen und wirklich eine Familie gründen?
Auf jeden Fall werde ich mir jetzt den ersten Teil besorgen und abwarten, ob und wie es mit Leander weitergeht.

Bewertung vom 27.04.2018
Die Launen des Teufels
Stolzenburg, Silvia

Die Launen des Teufels


sehr gut

Die Tochter des Glockengießers

Ulm 1349: Anabel ist die Tochter des skrupellosen Glockengießers Conrad und fürchtet sich genau wie ihre Stiefmutter und den drei kleinen Geschwister vor den Handgreiflichkeiten des Vaters. Der hält seine Familie extrem kurz, da er unbedingt vom Bau des Ulmer Münsters profitieren und in den Rat der Stadt aufgenommen werden will, das kostet natürlich Geld. Um seine Ziele zu erreichen, schreckt er weder vor Erpressung, Bestechung noch Mord zurück. Als Anabel dem Abt des Barfüßer-Kloster auffällt, in dessen Hospital sie arbeitet, zwingt Bertram seine Tochter in dessen Bett – schließlich ist dieser für die Vergab der Arbeiten am Münster zuständig ist. Doch Anabel ist in Bertram, den Gehilfen ihres Vaters verliebt und die Pest breitet sich unaufhörlich aus ... Kann das Paar rechtzeitig aus Ulm fliehen?

„Die Launen des Teufels“ ist der Auftakt der Ulm-Trilogie, die jetzt bei Gmeiner neu aufgelegt wurde. Silvia Stolzenburg erzählt darin relativ ungeschönt, wie das Leben damals wirklich war.
Die Kirche ist auf einem moralischen Tiefstand und das erstarkende Bürgertum versucht, sie endgültig zu entmachten. Gleichzeitig wütet die größte Pestwelle, die es in Europa je gegen hat.

Anabel gehört als Meisterstochter der oberen Gesellschaftsschicht an, steht aber unter der Munt ihres Vaters und hat sich, wie ihre Stiefmutter und Geschwister, allen seinen „Wünschen“ zu beugen. Sie sind völlig rechtlos, häusliche Gewalt ist ihr täglicher Begleiter. Selbst wenn ihr Vater sie totprügeln würde, müsste er nur eine Bußzahlung leisten („Die Frau sei dem Manne untertan ...“).
Der Gehilfe Bertram ist noch schlechter dran. Sein Vater war Steinmetz, hat allerdings die Meisterwürde verloren und musste seinen Sohn an Conrad verkaufen, um selbst überleben zu können. Damit wurde dieser zu Conrads Sklaven.
Die Angst des Hausstandes vor dem sadistischen Familienoberhaupt und seinen Grausamkeiten werden sehr lebendig beschrieben und haben mir beim Lesen mehrmals Gänsehaut beschert – genau wie die zarte und gefährliche Liebesgeschichte von Anabel und Bertram.

Ein weiteres sehr spannendes Thema des Buches ist das Ausbreiten der Pest. Die Menschen gingen zu Beginn noch recht unbedarft mit den Erkrankten um. Es gab Streitigkeiten bezgl. der Behandlungsmöglichkeiten und vorbeugenden Maßnahmen. Hygiene und Sauberkeit wurde nicht gerade großgeschrieben, Gesunde und Kranke nicht getrennt.
Die Kirchenoberen versuchen, die Pest mit dem „nicht gottgefälligen“ Leben der Menschen zu erklären, obwohl sie selber ebenfalls gegen sämtliche Gebote verstießen. In diesem Zuge sind sie bestrebt, auch die Beginen endlich in die Kirche einzugliedern (und sich damit ihre Besitztümer anzueignen), die sich bis dato selbstverwalteten. Dabei schreckten sie selbst vor Anklagen wegen Hexerei nicht zurück. Wenn das die Taten der Männer Gottes sind, braucht man sich vor dem Teufel nicht zu fürchten.“ (S.292)

Silvia Stolzenburg schreibt sehr spannend, fesselnd und mitreißend. Die Liebesgeschichte war mir ein einigen Stellen zwar ein kleines bisschen zu viel, aber ich bin trotzdem sehr neugierig, wie es im nächsten Band weitergeht.

Bewertung vom 24.04.2018
Zwischen dir und mir das Meer / Farben des Sommers Bd.2
Herzog, Katharina

Zwischen dir und mir das Meer / Farben des Sommers Bd.2


ausgezeichnet

Wunderbar leichter und trotzdem tiefsinniger Sommerroman

Lena ist auf Amrum geboren und aufgewachsen. Sie arbeitet als Krankenschwester im Hospiz. Ihr Vater ist Fischer und seit dem Tod seiner Frau Mariella vor vielen Jahren fast verstummt: „In gewisser Weise hatten sie nicht nur ihre Mamma, sondern auch ihren Vater ans Meer verloren.“ (S. 70). Mariella war Italienerin und ist im Meer ertrunken, als Lenas kleine Schwester Zoe erst 3 Jahre alt war.
Eines Tages lernt Lena den Italiener Matteo am Strand kennen. Beide haben das Gefühl, sich von irgendwoher zu kennen, aber Matteo war noch nie auf Amrum und Lena noch nie in Italien. Schon am nächsten Morgen reist Matteo überstürzt ab, zurück lässt er eine Mappe mit Fotos von Mariella, die in ihrer Jugend in Italien entstanden sind. Lenas Vater will nicht über seine Frau oder die Fotos reden, aber Zoe erkennt die Gegend auf den Bildern wieder – die Amalfiküste. Lena und Zoe reisen nach Italien, um nach ihrer Mutter zu forschen und evtl. auch Matteo zu finden, der Lena nicht mehr aus dem Kopf geht.

Obwohl Katharina Herzogs neuer Sommerroman auf den ersten Blick wie eine Liebesgeschichte klingt, steht diese für mich nicht im Vordergrund. Es geht vorranging um die Suche der Schwestern nach der Vergangenheit und Herkunft ihrer Mutter und damit auch nach sich selbst. Die jungen Frauen sind sehr verschieden und gehen auch unterschiedlich mit dem Verlust um.
Lena klammert sich an Amrum und das Meer, ist aber nie wieder schwimmen gegangen. Ihren Traum Ärztin zu werden hatte sie wegen ihrer Jugendliebe Ole aufgegeben und wurde stattdessen Krankenschwester. Sie kann ihr Leben nicht genießen, solange sie nicht mit dem Tod ihrer Mutter abschließt, findet Zoe „Schmerz geht nur weg, wenn man sich ihm stellt.“ (S. 106). Diese hingegen reist um die ganze Welt und finanziert sich durch Gelegenheitsjobs. Jeder neue Ort oder Job ist ein Abenteuer, für das sie sich neu erfindet: „Man kann alles sein, was man will.“ (S. 161). Auf der Reise müssen sich die Schwestern trotzt ihrer unterschiedliche Lebensentwürfe endlich aussöhnen und zusammenraufen.

In einem zweiten Handlungsstrang geht es um Mariellas Jugend und ihr einfaches Leben in Italien. Auch sie wächst ohne Mutter auf. Ihr Vater (Babbo) arbeitet hart auf einer Zitronenplantage und stellt nebenbei den besten Limoncello der Gegend her. Ihre Freundin ist die Tochter des Plantagenbesitzers und so lernt Mariella schon früh die extremen Unterschiede zwischen arm und reich kennen.

„Zwischen dir und mir das Meer“ ist ein Buch zum Festschmökern und hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte an keiner Stelle vorausahnen, wie die Geschichte weitergeht, so dass es bis zum Ende spannend blieb. Ich habe es genossen, mit Lena und Zoe die Amalfiküste zu erkunden, die Sonne und das Meer auf der Haut förmlich zu spüren und natürliche Babbos berühmten Limoncello zu verkosten.

Mein Lieblingszitat ist übrigens folgendes: „Das Leben ist zum Glück keine Einbahnstraße. Anders als die Bewohner in deinem Hospiz kannst Du einfach umdrehen und eine andere Abzweigung wählen.“ (S. 274)

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.04.2018
Kenia Valley
Gordon, Kat

Kenia Valley


sehr gut

The Happy Valley Set

Theo ist 15, als er mit seiner Familie 1925 nach Kenia kommt. Sein Vater ist der neue Direktor der Uganda-Eisenbahn und Theo soll ihm später auf diesen Posten folgen. Aber erst einmal gilt es, erwachsen zu werden. „Und? Alles bereit für unser neues Leben?“ (S. 19)
Theo und seine jüngere Schwester Maud lebten bis dato sehr behütet, nun lernen Freddie Hamilton und Sylvie de Croÿ kennen. Diese sind nur 10 Jahre älter, trotzdem trennen sie Welten. Schnell ist klar, dass beide ein Paar und verheiratet sind, aber eben nicht miteinander. Sie gehören zum „The Happy Valley Set“ und nehmen Theo in ihren Kreis auf, sehr zum Ärger seiner Mutter.
Für Theo bedeutet die Freundschaft Freiheit – nächtliche Kricketturniere im Club, heimliche Pferderennen und Partys, bei denen die Gastgeberin ihre Gäste nackt in der Badewanne empfängt ... Natürlich wird dabei auch über Politik geredet, aber die interessiert Theo nicht.
Maud hingegen stoßen die Ungerechtigkeiten im Land auf. Warum sollen die weißen Herren besser als die schwarzen Ureinwohner sein?! Warum wohnen ihre afrikanischen Diener in Lehmhütten und nicht mit im Haus?! Schließlich brauchen die Weißen sie zum Leben. Aber: „Man sollte nie jemanden wissen lassen, wie sehr man ihn braucht. Es verleiht ihm Macht.“ (S. 125)

Zum Studium geht Theo nach England und als er 1933 zurück nach Kenia kommt, ist die Zeit der großen Partys ist vorbei. Die Nationalsozialsten drängen an die Macht und die Weißen haben Angst um ihre Privilegien, es gab viele Missernten und immer mehr Schwarze wehren sich. Auch Freddie sympathisiert inzwischen mit den Faschisten weil „... die derzeitige Regierung die Bedürfnisse seiner im Ausland lebenden Bürger aus den Augen verloren hat.“ (S. 259). Und Theo? Der langweilt sich bei seiner Arbeit für die Eisenbahn, während Maud versucht, die herrschenden Verhältnisse wenigsten im Kleinen auf ihrer Farm zu verändern.

Theo war mir nicht immer sympathisch. Dazu ist er zu beeinflussbar und nur auf sein Vergnügen aus. Er betet Freddie und Sylvie an. Nichts was sie tun, stellt er in Frage – auch wenn ihre moralischen Grundsätze mehr als fragwürdig sind. Von seiner Mutter fühlt er sich ungeliebt, was ich durchaus nachvollziehen konnte. Sie ist scheinbar grundlos extrem streng und lieblos zu ihm und schreckt auch vor körperlicher Züchtigung nicht.
Maud ist das ganze Gegenteil. Sie interessiert sich für die Menschen in ihrer Umgebung, Hautfarbe und Beruf sind ihr dabei egal. Dass sie sich damit selbst in Gefahr bringt, sieht sie nicht.
Besonders fasziniert hat mich, dass hier auch mal reiche Frauen ihre jüngeren (und ärmeren) Ehemänner aushielten. So fortschrittlich hätte ich mir die Zeit und den Ort gar nicht vorgestellt.

Das Afrika der 20er und 30er Jahre wird so beschrieben, wie ich es mir vorgestellt hatte: Hitze, Staub, wilde Tiere, exotisches Essen, die dekadente Lebensweise der Kolonialherren und die aufkeimende Unruhe unter den Ureinwohnern. Neu für mich war allerdings, dass Hitler sogar die dortige Politik beeinflusst hat.

Bewertung vom 19.04.2018
Wie ich mich auf einer Parkbank in einen bärtigen Mann mit sehr braunen Augen verliebte
Abrahamson, Emmy

Wie ich mich auf einer Parkbank in einen bärtigen Mann mit sehr braunen Augen verliebte


ausgezeichnet

Was das Herz begehrt

Hast Du Dich schon mal in den richtigen, völlig falschen Mann verliebt? Ich weiß, das klingt verwirrend, doch genau so ergeht es Julia. Sie verliebt sich in Ben mit den tollsten brauen Augen, die sie je gesehen hat. Und er verliebt sich in sie. Aber er ist ein Penner und lebt in einer großen Hecke im Park ...

Dies ist eines der Bücher, in das man nur mal kurz reinlesen will und schon mittendrinn ist. Emmy Abrahamson beschreibt sehr witzig ihre eigene Liebesgeschichte – ja, die Geschichte ist wahr!

Julia arbeite als Englischlehrerin am Berlitz Institut in Wien. Eigentlich ist sie Schwedin, aber vor 5 Jahren wegen ihrem Freund nach Österreich gezogen. Die Beziehung hielt nicht, aber Julia blieb. Ihr Leben ist ziemlich eingefahren (um nicht zu sagen langweilig). Sie gibt so viel Unterricht, wie sie nur kann und die Wochenenden versucht sie irgendwie totzuschlagen, da ihre Freunde alle verheiratet sind und keine Zeit haben. „Ich mag mein Leben. ... Ich brauche nicht mehr, und meine Einsamkeit macht mich weder unglücklich noch möchte ich ihretwegen bemitleidet werden.“ (S. 41)
Und nun ist da also Ben, der ihr bereits beim Kennenlernen sagt, dass sie die Frau seines Lebens ist und sie heiraten und Kinder haben werden. Es ist das tollste Date, das sie je hatte. „Unter seinem Schmutz ist Ben einer der schönsten Männer, denen ich je begegnet bin, und er besitzt ein erstaunliches Maß an Selbstsicherheit, Stolz und Humor.“ (S. 64) Aber sie schämt sich für ihn. Kann sie eine Beziehung mit einem Penner haben? Ihre Freunde sagen nein, doch sie springt über ihren Schatten und lässt ihn bei sich einziehen. Natürlich prallen da Welten aufeinander. Er trinkt ziemlich viel Alkohol (alle Penner saufen, weil man sonst bei der Kälte draußen nicht schlafen kann, erzählt er) und hatte schon viele Scheiß-Jobs – da ist er lieber Penner. Sie sind eben sehr verschieden, aber auch sehr verliebt. Ben ist immer fröhlich und sehr ehrlich, er versucht durch Schwarzarbeit für seinen Unterhalt selbst aufzukommen, aber er würde sich nie wegen ihr verbiegen oder ihre Freunde anlügen. Er schämt sich im Gegensatz zu ihr nicht für sein Dasein. Doch die Angst, was die Menschen in ihrer Umgebung über ihn denken, kann Julia nicht ablegen. Immer wieder geraten sie deswegen in Streit und immer wieder versöhnen sie sich, bis Julia beleidigend wird ...

Emmy Abrahamson schreibt sehr humorvoll und warmherzig. Ich habe Julia für ihren Mut bewundert, sich auf die Beziehung zu Ben einzulassen, über ihren Schatten zu springen und sich zu ihm zu bekennen und damit über sich hinauszuwachsen. Ich weiß nicht, wie ich in ihrer Situation gehandelt hätte. Sie zeigt uns, dass wir nicht immer nur auf den ersten Eindruck achten, sondern auch hinter die Fassade unseres Gegenübers schauen und tolerant sein sollten.

Mir hat diese berührende, wahre Geschichte sehr gut gefallen und ich kann sie Euch nur empfehlen.