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Benutzername: 
miss.mesmerized
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Deutschland
Über mich: 
https://missmesmerized.wordpress.com/

Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 04.04.2018
Wahrheit gegen Wahrheit
Cleveland, Karen

Wahrheit gegen Wahrheit


ausgezeichnet

Vivian ist eine der besten Analysten der CIA. Seit Jahren hat sie an russischen Schläfern in den USA gearbeitet und jetzt scheint sie ganz nah daran zu sein, eine ganze Zelle aufzudecken. Als sie das entscheidende Dokument auf dem Rechner eines Verdächtigen öffnet, das, nachdem sie seit Jahren gesucht hat, bleibt ihr Herz stehen: sie kennt einen der fünf Schläfer. Sie kennt ihn sogar sehr gut. Sie teilt ihr Leben mit ihm. Er ist ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder. Als sie auf die gemeinsamen Jahre zurückblickt, erscheint schlagartig so manches in einem anderen Licht. Doch: was soll sie nun tun? Soll sie ihren Mann ausliefern oder gibt es einen anderen Ausweg?

Karen Clevelands Debüt kann restlos überzeugen. Sie hat ein recht klassisches Setting gewählt, das einen typischen Spion bzw. Doppelagenten Plot mit einem sehr persönlichen Dilemma verknüpft, was nicht so einfach gelöst werden kann. Da die Handlung mit sehr hohem Tempo spielt und eine Krise die nächste jagt, kann man den Roman kaum aus den Händen legen. Oftmals wünscht man sich auch für die Protagonistin, dass alles einfach vorbei ist – egal wie nun der Ausgang ist, so sehr leidet man mit ihr.

Im Zentrum steht das typische Catch-22 Dilemma: Vivian kann entweder gegenüber ihrem Arbeitgeber und Heimatland loyal sein – oder gegenüber ihrem Ehemann. Diesem kann sie jedoch eigentlich nicht mehr vertrauen, aber dennoch ist er der Vater ihrer Kinder und sie hatten auch eine gute Zeit miteinander. Als Vivian einen Fehler macht und sich so den Russen ausliefert, kann sie aus der Situation selbst nicht mehr herauskommen ohne selbst ins Gefängnis zu wandern und ihre Kinder zu riskieren. Sie befindet sich in einem Teufelskreis, in den sie sich immer tiefer verstrickt. Bis zur letzten Seite fiebert man mit, denn eine Lösung ist alles, aber nicht offenkundig und doch hat Cleveland einen überzeugenden Schluss gefunden.

Bewertung vom 02.04.2018
Summ, wenn du das Lied nicht kennst
Marais, Bianca

Summ, wenn du das Lied nicht kennst


ausgezeichnet

Südafrika, 1976. Das Land ist durch die Apartheit klar geteilt, die Rollen der Schwarzen und Weißen unumstößlich festgeschrieben und wenn sich ihre Wege kreuzen, weiß jeder, wo er steht. Doch die kleine Robin muss schon jung miterleben, dass womöglich doch nicht alles in Stein gemeißelt ist. Als ihre Eltern von Schwarzen ermordet werden, kommt sie bei ihrer recht progressiven Tante Edith unter. Diese ist gänzlich ungeeignet, sich um ein Kind zu kümmern und möchte auch ihren Job als Stewardess nicht aufgeben. Eine Lösung finden sie in Beauty, einer schwarzen Lehrerin aus der Transkei, die in Johannesburg nach ihrer Tochter sucht, die sich dem Kampf gegen die Unterdrückung angeschlossen hat. Im Laufe der Zeit lernt Robin, dass es Gut und Böse auf beiden Seiten gibt und dass im Leben nicht die Hautfarbe das Entscheidende ist.

„Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ ist ein etwas sperriger Titel, der sich jedoch recht schnell im Roman erklärt. Letztlich ist es das, worum es geht: sich im Leben zu helfen wissen und sich mit der Situation zu arrangieren. Dies ist jedoch im Apartheits-Setting Südafrikas nicht ganz einfach, der Autorin ist jedoch gelungen, eine passende Perspektive zu finden, um die Positionen klar zu machen, ohne sich einseitig gegen die Unterdrückung zu stellen. Durch Robins kindlich-naiven Blick, der Dinge erst einmal als gegeben nimmt, was sie aber nicht daran hindert, sie zu hinterfragen, kann sie umso besser unterstreichen, wie absurd die Vorurteile waren.

Die beiden Protagonistinnen könnten verschiedener nicht sein: nicht nur ihre Hautfarbe trennt sie, auch das Alter und ihre gesellschaftlich zugewiesenen Rollen sollten eigentlich jede Art von Zuneigung verhindern. Doch beide, Robin wie Beauty, sind einfach Menschen, was sich positiv in Bezug auf ihre Freundschaft auswirkt, wie auch negativ, indem sie ihren Emotionen folgen und so Fehler machen. Beide sind auf ihre Art jedoch sympathisch und tragen die Handlung.

Besonders gut gefallen hat mir, dass nicht nur die Unterdrückung der Schwarzen thematisiert wurde, sondern auch Juden und Homosexuelle als Randgruppen und Opfer von Ausgrenzung und Gewalt thematisiert wurden. Selten ist es in einem Unterdrückungsstaat nur eine Minorität, die den Anfeindungen ausgeliefert ist.

Trotz der Ernsthaftigkeit der Geschichte wird diese mit einem lockeren, oft sogar lustigen Ton erzählt, was nur unterstreicht, dass es keinen Sinn macht, den Kopf in den Sand zu stecken, egal wie verzweifelt man ist.

Ein gelungener Roman, der zudem vom Verlag wunderschön gestaltet wurde und so auch optisch richtig etwas hermacht.

Bewertung vom 31.03.2018
Wie man die Zeit anhält (eBook, ePUB)
Haig, Matt

Wie man die Zeit anhält (eBook, ePUB)


sehr gut

Er sieht zwar aus wie ein durchschnittlicher 41-Jähriger, aber Tom Hazard ist älter. Viel älter- mehr so 400 Jahre alt. Geboren gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf einem französischen Schloss wurde seine Mutter schon früh der Hexerei beschuldigt und zum Tode verurteilt. Seither ist Tom vorsichtig. Nur ein einziges Mal hat er sich verliebt, in Rose, und mit ihr hat er eine Tochter bekommen, die dasselbe Schicksal erlitten hat wie er. Doch schon seit ewigen Zeiten hat er sie nicht mehr gesehen, weiß auch nicht, ob sie noch lebt. Alle paar Jahre muss sich Tom von seinem gewohnten Leben verabschieden, um nicht aufzufallen. Gerade hat er wieder eine neue Identität angenommen und arbeitet als Lehrer für Geschichte – was auch sonst. Doch am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, denn Tom droht etwas zu tun, was er nicht darf: sich verlieben.

Ich bin nun wahrlich kein Fan von übernatürlichen Vorkommnissen und Untoten, aber zugegebenermaßen konnte mich Matt Haig mit seiner Geschichte fesseln. Auch wenn das Grundkonzept völlig absurd ist, sein Protagonist trägt durch die Handlung, die immer wieder Episoden seiner Vergangenheit evoziert und so sein Leben nicht nur interessant, sondern auch spannend werden lässt. Wen hat er alles getroffen, den großen Shakespeare ebenso wie Scott F. und Zelda Fitzgerald. Aber es sind nicht die großen Namen und die Begegnungen, die die Geschichte so außergewöhnlich machen, es ist die Figur Tom selbst.

Weder ist er verbittert ob all der schlimmen Dinge, die er erleben musste – die Pest ebenso wie zwei Weltkriege neben all den kleinen Katastrophen – noch wird er zynisch. Er ist im positiven Sinne weise und melancholisch. Er mag die Menschen, auch wenn er weiß, dass er jeweils nur eine kurze Zeit mit ihnen teilen kann. Und er ist treu. Obwohl seine Beziehung mit Rose 400 Jahre zurückliegt, hat doch nie eine andere sein Herz in dem Maße erobern können wie diese einfache Verkäuferin. Auch wenn sich die Zeiten gewaltig verändert haben, die Menschen sind geblieben wie sie immer waren und er kann noch so viel Geschichte unterrichten – sie werden nicht aus ihr lernen, da ihr Blick in der Gegenwart verhaftet ist.

Eine geradezu bittersüße Geschichte, ideal, um den Alltag zu vergessen.

Bewertung vom 30.03.2018
Suzanne
Barbeau-Lavalette, Anaïs

Suzanne


sehr gut

Anaïs sieht ihre Großmutter nur einmal als Kind, als diese sie heimlich besuchen kommt und wieder davonschleicht. Jahre später wird sie sie mit ihrer Mutter nochmals aufsuchen, doch die Ablehnung der alten Frau ist deutlich und grausam. Sie will Tochter und Enkelin nie mehr sehen. Erst als Suzanne stirbt, wird Anaïs wieder ihre Wohnung betreten, dieses Mal entschlossen herauszufinden, wer diese Frau war. Suzanne Meloche wird 1926 in eine französischsprachige Familie im englischsprachigen Ottawa als eines von unzähligen Kindern geboren. Das Geld ist knapp, ebenso die Zuneigung der Eltern. Früh schon flieht sie aus dem Haus und schließt sich einer Gruppe von Malern, Bildhauern, Dichtern und Schauspielern an, entschlossen, die Welt zu verändern. Doch auch dort bleibt sie Außenseiterin und so wird sie ihr Leben lang auf der Flucht und der Suche sein, nach ihrem Platz.

Anaïs Barbeau-Lavalette zeichnet das Bild einer nicht nur einsamen, sondern auch immer gehetzten Frau nach. Niemand scheint Suzanne das geben zu können, was sie braucht. Die Mutter verwehrt ihr die Zuneigung, nach der sie sich sehnt. Das Klavier im elterlichen Haus, das eine magische Anziehung auf sie ausübt und das sie so gerne zum Erklingen gebracht hätte, bleibt für sie ein Tabu. Die Faszination, die die Freigeister und Künstler auf sie ausüben, ist leicht nachvollziehbar, jetzt scheint das Leben möglich, von dem sie so lange geträumt hat. Doch der Alltag holt sie ein, der Lebensunterhalt muss finanziert werden, bald auch schon die erste Tochter und die Zeit ist noch nicht reif für fortschrittliche Gedanken.

Suzanne irrt durch die Welt, nachdem sie ihre Kinder und den Mann verlassen hat. Doch weder in Europa noch bei den Rassekämpfen in den USA kann sie das finden, was sie sucht. Sie bleibt ihr Leben lang eine Frau auf der Flucht. Erst 1980 werden ihre Gedichte unter dem Titel Aurores fulminantes veröffentlicht, nachdem die Künstlergruppe Automatistes sich schon längst aufgelöst hat und ihr jedes Interesse an öffentlichem Ruhm fehlt. Der Originaltitel der Biographie „La femme qui fuit“ ist deutlich aussagekräftiger als nur der Vorname wie in der deutschen Ausgabe. Insgesamt ein lesenswerter Bericht über das Leben einer von der Geschichte vergessenen Frau.

Bewertung vom 28.03.2018
Unter der Mitternachtssonne
Higashino, Keigo

Unter der Mitternachtssonne


ausgezeichnet

Der Mord an einem Pfandleiher wirft im Osaka des Jahres 1973 Fragen auf. Kirihara wird in einem verlassenen Gebäude gefunden, der Polizist Sasagaki und seine Kollegen finden jedoch keine wirklich verwertbare Spur, einzig zu einer bescheidenen Frau und deren Tochter, doch es scheint zu abwegig, dass diese etwas mit dem Mord zu tun haben. Die Jahre vergehen, immer wieder gibt es Vorfälle in Osaka, die nicht wirklich geklärt werden können: Überfälle auf junge Frauen, Menschen verschwinden. Sasagaki lässt der alte Fall keine Ruhe und stetig verfolgt er die Spuren, bis er irgendwann eine Verbindung erkennt, die sich immer wieder auf ein Pärchen zurückführen lässt: der Sohn des Pfandleihers und die Tochter der verdächtigen Frau. Aber es ist doch undenkbar, dass die beiden über Jahrzehnte eine Spur der Verwüstung hinter sich herziehen, oder?

Keigo Higashino ist ein auch in Deutschland seit vielen Jahren sehr populärer japanischer Krimi- und Thriller Autor, „Unter der Mitternachtssonne“ ist inzwischen mein dritter Roman von ihm und wieder einmal kann er mich mit dem sehr eigenen japanischen Flair und einer psychologisch reizvollen Geschichte überzeugen.

Zunächst tappt man ganz wie die Polizei im Dunkeln, der Mord am Pfandleiher steht im Zentrum, wird aber dann scheinbar aufgegeben. Erst langsam erschließt sich dem Leser, worum es eigentlich geht. Die Geschichte zieht immer weitere Kreise, mehr und mehr Figuren kommen hinzu, verwirren zunächst das Konstrukt, nur um dann umso klarer ein Bild der beiden rücksichtslosen Menschen zu ergeben. Dass sie hinter den zahlreichen Taten stecken, ist recht schnell durchschaut, spannender wird nun die Frage: gelingt es dem Ermittler, ihnen auf die Spur gekommen und was genau geschah beim Mord an dem Pfandleiher und vor allem: warum musste er sterben?

Der Thriller weicht gewagt vom klassischen Szenario ab, was ihm jedoch kein bisschen an Spannung nimmt. Im Gegenteil, das hochriskante Spiel wird in immer neuen Varianten ausgetragen und erhält so seinen Reiz. Genaugenommen handelt es sich nicht um einen einzigen Mordfall, sondern um viele, die miteinander verbunden sind und sich nach und nach spiralförmig dem Showdown nähern.

Eine ausgesprochen komplexe Handlung, die durch die vielen Figuren mit ihren japanischen und damit doch eher ungewöhnlichen Namen eine Herausforderung darstellen. Diese sollte man jedoch unbedingt annehmen, denn „Unter der Mitternachtssonne“ ist ein kleines Meisterwerk.

Bewertung vom 28.03.2018
Krokodilwächter / Kørner & Werner Bd.1
Engberg, Katrine

Krokodilwächter / Kørner & Werner Bd.1


ausgezeichnet

Eine junge Frau wird in Kopenhagen ermordet. Julie wurde in ihrer WG überfallen und durch zahlreiche Messerstiche verstümmelt. Was wie ein grausamer, aber doch recht normaler Mord beginnt, erhält schnell eine seltsame Note: Die Vermieterin Julies, Esther de Laurenti, die im selben Gebäude wohnt und die Studentin natürlich kannte, ist gerade dabei einen Krimi zu schreiben und der Mord an Julie entspricht genau dem Szenario, das sie sich ausgedacht hatte. Die Ermittler Jeppe Kørner und Anette Werner schließen die ehemalige Professorin als Täterin aus, aber es muss eine Verbindung geben. Er hat Zugang zu dem unveröffentlichten Manuskript und wer wollte sich an Julie oder Esther rächen?

Katrine Engberg ist in Dänemark keine Unbekannte, als Tänzerin und Regisseurin hat sie sich bereits einen Namen gemacht, nun wagt sie sich auch ins literarische Fach und konnte mich mit ihrem Debut restlos überzeugen. „Krokodilwächter“ steht den großen skandinavischen Krimis in nichts nach: ein komplexer Fall, der sich im völlig durchschnittlichen dänischen Milieu abspielt; zwei Ermittler, die keine Superhelden sind, sondern auch mit ihren privaten Problemchen zu kämpfen haben und dennoch den Fall zielgerichtet und mit menschlichen Maß lösen.

Viele vermeintliche falsche Fährten legt Engberg aus, immer wieder findet sich das Ermittlerduo an einem toten Ende und muss von Neuem beginnen. Interessant ist jedoch, dass keine der Spuren wirklich ins Nichts führt, sondern dass es der Autorin gelingt, am Ende alle Fäden zu einem stimmigen und glaubwürdigen Gesamtbild zusammenzufügen. Dabei verzichtet sie auf allzu detaillierte und grausame Mordbeschreibungen, was jedoch durch kleine Szene, die ihr eigenes Gruselpotenzial haben, ganz locker aufgewogen wird. Besonders gut gefallen hat mir die Verortung des Romans in Kopenhagen, wenn man die Stadt ein wenig kennt, findet man vieles davon im Roman wieder. Und es ist durchaus nicht von der Hand zu weisen, dass Dänemark ein kleines Land mit wenigen Bewohner ist, was zu so mancher unliebsamen Begegnung führen kann. Handlung und Setting spielen so immer wieder Hand in Hand.

Ein vielversprechender Auftakt einer neuen Serie, der vermutlich nicht nur in Dänemark begeisterte Leser findet.

Bewertung vom 25.03.2018
Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
Brunt, Carol Rifka

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause


ausgezeichnet

Er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird; die Krankheit, die er hat, hat zwar inzwischen einen Namen, aber man ist noch weit davon entfernt, ihren tödlichen Verlauf abbremsen oder gar aufhalten zu können. Noch ein letztes Bild will der Maler Finn erschaffen, von seinen beiden geliebten Nichten Greta und June. New York Mitte der 80er Jahre. Dass ihr Onkel sich mit AIDS infiziert hat, weiß June lange Zeit nicht, es ist auch egal, sie liebt ihn abgöttisch. Und wenn sie nicht die Zeit bei ihm verbringt, streift sie durch die Wälder der Vorstadt. Doch mit dem Tod Finns ist da eine Leere, die sie mit nichts füllen kann. Bis sie Nachrichten erhält. Toby, Finns Lebensgefährte, den sie nie kennenlernen durfte, denn ihm geben ihre Eltern die Schuld an Finns Krankheit. Die gemeinsame Trauer verbindet sie und eine zarte Freundschaft im Verborgenen entsteht.

Carol Rifka Brunts Debutroman, der im den USA mit Lobeshymnen überschüttet wurde, ist ein leiser Roman, der die Nuancen der teils widersprüchlichen, teils harten Gefühle im Umgang mit Verlust und Trauer, aber auch mit AIDS in unglaublicher Weise umzusetzen vermag. Auch wenn das Thema Sterben im Vordergrund steht, haucht sie ihren Figuren so viel Leben ein, dass sie authentisch und glaubwürdig wirken und keinerlei Spuren von Stereotypen oder Klischees aufweisen.

Der Umgang mit AIDS war in den 1980ern, als man wenig darüber wusste und lediglich die Bedrohung wahrgenommen hat, alles andere als entspannt. Dies zeichnet die Autorin im Roman überzeugend nach, die Verzweiflung ob der Hilflosigkeit schlägt in Hass und Ablehnung um, was sich alles in der Figur Toby sammelt. Dieser hat gar keine Chance als Mensch wahrgenommen zu werden, zu stark ist die Projektion der Krankheit auf ihn. Erst durch die langsame Annäherung mit June entfaltet er sein Wesen, das von einer unheimlichen Zerbrechlichkeit ist und die Empathie für ihn nur noch verstärkt.

Aber es ist auch ein Coming-of-Age Roman, in dem ein junges Mädchen erwachsen werden, sich von den Eltern lösen muss und gezwungen wird, Position zu beziehen. Der Verlust eines geliebten und nahestehenden Menschen stößt diesen Prozess an, sie ist am Ende nicht mehr das Mädchen, das sich unbekümmert in den Wald in ihre Traumwelt flüchten kann. Innerhalb nur weniger Wochen werden alle Beziehungen auf eine Probe gestellt und sie müssen eine neue Basis finden, auf der sie weiterhin funktionieren können.

Die Autorin hat eine poetische Sprache gefunden, die sowohl zu den Gesprächen über Kunst wie auch zu den Empfindungen in der Natur passt und diese mit vielen Zwischentönen wiedergibt. Dieser leise und feinfühlige Ton gleitet durch die Handlung und unterstreicht die feinsinnige Figurenzeichnung.

Ein rundum gelungener Roman, den man nach dem Lesen nicht einfach weglegt, sondern der noch nachwirkt.

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