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miss.mesmerized
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 24.03.2018
Der Lügenpresser
Klingl, Livia

Der Lügenpresser


ausgezeichnet

Karl arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in Wien. In der Außenpolitik hat er sich einen Namen gemacht, über den Zusammenfall Jugoslawiens berichtet, ebenso wie über die Kriege im Irak und Afghanistan. Inzwischen ist er, wenn auch nur mäßig zufrieden damit, bei der aktuellen lokalen Tagesberichterstattung und muss dokumentieren, wie seine geliebte Heimat vor die Hunde geht. Kein Politiker hat mehr den Schneid, das auszusprechen, was gesagt gehört. Asylanten überfluten das Land und man erkennt seine eigene Stadt nicht mehr. Aber das denkt er alles nur, schreiben kann man so etwas ja nicht. Zum Glück hat er Sonja, die nicht viel von ihm verlangt, vor allem nicht an ihm rummäkelt und zu einem anderen Mann machen will. Eigentlich könnte er sie heiraten, was er mit seiner ersten Partnerin versäumt hatte. Doch dann kommt alles anders, als Karl es geplant hatte.

Livia Klingl weiß, worüber sie schreibt, als erfahrene und gestandene Journalistin ist sie bestens damit vertraut, wie das Business läuft und dass zwischen dem, was so mancher ihrer Kollegen gerne veröffentlicht hätte, und dem, was dann tatsächlich in der Zeitung zu lesen ist, bisweilen ein großer Graben klafft.

Ihr Protagonist Dr. Karl Schmied ist entsprechend dann auch nicht das, was man von einem angesehenen Reporter erwarten würde. Er sieht nicht die großen Zusammenhänge und kann die aktuellen Entwicklungen einordnen. Er steht nicht über den Dingen und vertritt kein links-intellektuelles Weltbild, das vom Streben nach Weltverbesserung geprägt ist. Ganz im Gegenteil, er ist ein Kleingeist, ein Egoist und ein Mensch, der an einem vergangenen Bild Wiens klebt, das schon längst überholt ist und auch nie mehr wiederkehren wird. Sein innerer Monolog ist geprägt von Banalitäten, die grenzwertig rassistisch sind, von einfachsten Erklärungen und Lösungen, wie man sie am rechten Rand des politischen Spektrums findet. Und von der Abwesenheit jeglicher Reflektiertheit und realistischer Selbsteinschätzung. Er streift die großen Themen, die sowohl Österreich wie auch Deutschland in den letzten 2-3 Jahren bewegt haben und ordnet diese in sein klar und einfach strukturiertes Weltbild ein.

Da dieses auf tönernen Füßen steht, kann es auch recht schnell erschüttert werden. Es beginnt in seinem Privatleben, wo die Frau, die er liebt und ehelichen möchte, sich als eine andere erweist als er dachte. Sein verblendeter Blick auf die Welt hat es ihm verwehrt zu erkennen, mit wem er es eigentlich zu tun hat. Diese Scheuklappensicht fordert nun ihren Preis.

Klingl führt Karl Schmied vor, entlarvt die einfachen Erklärungen und legt damit den Finger in die Wunde, die an der Stelle klafft, wo man so leicht das rechte Gedankengut abqualifiziert, weil es eh nur die Zurückgebliebenen und Dummen anspricht. Ganz im Gegenteil, auch vermeintlich Gebildete sind dafür empfänglich.

Auch wenn der Roman von einem gänzlich unsympathischen Charakter getragen wird, dessen Weltsicht bisweilen heftige Reaktionen bei einem als Leser auslöst, ist er doch durch und durch gelungen, weil er in sich völlig stimmig ist. Hierzu passt auch das überraschende Ende, das sich aber nahtlos in die Figurenzeichnung einfügt. Daneben besticht Livia Klingel mit einer ausgefeilt-pointierten Ausdrucksweise, die einem mehr als einmal schmunzeln lässt. Mal wird über „Menschen mit ohne Intelligenzhintergrund“ gelästert, dann wiederum lässt sie Karl erkennen, dass die Politik auf die Journalisten als Vordenker angewiesen ist und die endlich mal wieder „Altdeutsch“ mit jenen reden sollten, die die hiesige Ordnung nicht verstehen wollen.

Eine literarische Abrechnung mit den Kleingeistern und Ewiggestrigen, die jedoch nicht mit dem Holzhammer plakativ, sondern gelungen subtil erfolgt.

Bewertung vom 22.03.2018
Was nie geschehen ist
Spiegelman, Nadja

Was nie geschehen ist


ausgezeichnet

Die Geschichte ihrer Familie, genauer gesagt, die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Großmutter hat Nadja schon immer fasziniert, zu viele weiße Stellen, Ungereimtheiten und unglaubliche Begebenheiten hat sie gehört, weshalb sie als Erwachsene beginnt, nachzufragen, zu forschen und sie aufzuschreiben. Entstanden ist das Bild einer Frau, die nie geliebt wurde, die Außenseiterin in der eigenen Familie war und früh die Flucht ergriffen hat. Doch es gibt auch eine andere Seite, die Geschichte der Großmutter, die ebenfalls unter ihrer eigenen exzentrischen Mutter gelitten hatte. Mehrere Generationen Frauen, die nie ausgesprochen haben, was geschehen war und sich nun in diesem Buch ihrer Vergangenheit stellen.

Nadja Spiegelman ist die Tochter von Art Spiegelman, der seinerseits für „Maus“ den Pulitzer Prize gewonnen hat, einem Comic, der ebenfalls die Familiengeschichte erzählt. In diesem Kontext ist es nicht mehr ganz so verwunderlich, dass eine junge Frau eine doch schmerzliche Biographie ihrer Mutter vorlegt, die noch lebt und sich ihrer eigenen Geschichte stellen muss. Dadurch, dass Spiegelman die Lebensgeschichte mit ihrer eigenen verwebt, zeigt sie immer wieder Parallelen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart auf, die auch durch unterschiedliche Länder und Zeiten stabil sind.

Vieles in Spiegelmans Familiengeschichte ist auch für den Leser schmerzlich und man fragt sich, wie Familienmitglieder auf diese Weise miteinander umgehen können. Vor allem das wiederkehrende Motiv der Mütter, ihre Töchter auf ihr Aussehen und ihre Essgewohnheiten zu reduzieren ist augenfällig. Auch die Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, wenn es um den Körper geht, fand ich eher seltsam gelöst in der Familie, was auch zu erheblicher Unsicherheit der jungen Frauen führte. Vor allem Françoise leidet unter der Ablehnung und fehlenden Zuneigung ihrer Mutter. Die ältere Schwester wurde immer bevorzugt, was die jüngere durch extreme Leistungen versucht zu kompensieren, um so Aufmerksamkeit zu erringen.

Ein weiterer Aspekt der Erzählung schwebt über dem gesamten Bericht und stellt vieles immer wieder in Frage: wie historisch korrekt sind die Erinnerungen, die die Menschen haben? Haben sich die Ereignisse wirklich so zugetragen oder wird durch die Zeit und die eigene perspektive das Erlebte verfälscht und fügt sich zu einem stimmigen Bild, das womöglich gar nicht der Realität entspricht? Immer wieder steht Nadja vor diesem Problem: Einzelne Aspekte passen zeitlich und örtlich nicht, das Gesamtbild ist nicht stimmig und Mutter und Großmutter erinnern dasselbe Ereignis gänzlich verschieden. An dieser Stelle stritt Erzählen an Erinnern – dies kann versöhnen und das eigene Leben für die jeweilige Person erträglicher machen.

Bewertung vom 20.03.2018
Skandinavisches Viertel
Schulz, Torsten

Skandinavisches Viertel


gut

Als Junge schon ist er durch das Skandinavische Viertel Berlins gestreift, hat auch diejenigen Straßen mit nordischen Namen versehen, die keinen solchen trugen. Zwischen der elterlichen Wohnung und jener der Großeltern hat er sich das Leben ausgemalt, da sein eigenes trist und ereignislos war. Wie die Leben seiner Eltern, das des Onkels, das der Großeltern. Haben sie überhaupt gelebt? Sie sind irgendwann alle gestorben, aber waren sie davor lebendig? Matthias lässt die Gedanken schweifen, denkt an die Geheimnisse, die es in seiner Familie gab und die meist erst kurz vor dem Tod erstmalig offen ausgesprochen wurden. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass alle von einem anderen Leben geträumt haben, es aber nie leben konnten.

Torsten Schulz nähert sich in seinem Roman vielen Themen. Er beginnt in Ostberlin, unmittelbar an der Mauer, die jedoch unüberwindbar bleibt und nur zum Träumen taugt. Er skizziert die Zeit nach der Wende, als der Lebensraum im Osten rücksichtlos von Spekulanten erworben wird und seine Seele zu verlieren droht. Er spricht über Familien, die mehr Zweckgemeinschaften sind als Lebensgemeinschaften, wo Geheimnisse und Nichtgesagtes herrschen und zwischen den einzelnen Mitgliedern keine Vertrautheit und kein Vertrauen entsteht. Und er schickt den Protagonisten über mehrere Kontinente, wobei dieser doch nur erkennt, dass er flüchtet vor Beziehungen, vor Bindungen, vor Menschen und deren Nähe.

Der Roman zeichnet ein trauriges Bild von enttäuschten und unglücklichen Menschen. Selbst in Momenten der akuten Verliebtheit kommt kein positives Gefühl beim Leser auf. Die Sprachlosigkeit der Figuren, ihre Distanziertheit überträgt sich auch auf den Leser, was es sehr schwer macht, eine Beziehung zur Geschichte aufzubauen. Ich fand viele interessante Aspekte, gerade die Familienkonstellation und ihre Auswirkung auf die Figuren eröffnete unheimliche Spielräume, aber der Roman konnte mich nicht wirklich packen. Zu weit weg blieb der Protagonist. Vielleicht hat ihm der Ausbruch gefehlt, der ihn menschlicher hätte erscheinen lassen. So war er lebendig tot, wie auch der Rest seiner Familie. Einzig die Mutter hatte eine kurze Phase des Aufblühens, die das Schicksal dann jäh zunichtegemacht hat. Eine Seelenreinigung durch offenes Reden erkennen die Figuren auch nicht als probates Mittel der Flucht aus ihrer Schockstarre – zu machtlos fühlen sie sich, um ihrem Leben selbst eine Wendung zu geben.

Die Übertragung des emotionslosen, nüchternen Ertragens des Daseins von den Figuren auf den Leser ist geglückt. Das macht das Buch zu keinem emotionalen Highlight, sondern zu einer schweren Lektüre.

Bewertung vom 18.03.2018
Alles was glänzt
Gamillscheg, Marie

Alles was glänzt


sehr gut

Ein vergessenes Dorf am Rande eines Berges; eines Bergs, der schon lange keiner mehr ist, denn immer mehr haben ihn die Menschen ausgehöhlt, alles herausgeholt, was glänzt und das sie weiterverarbeiten können. Nun ist er nur noch ein Gerippe, die äußere Hülle steht noch, aber wie lange? Wann wird er sich zur Wehr setzen? Merih kommt als Regionalmanager in das Dorf, er soll Menschen umsiedeln, den kleinen Dorfkern wiederbeleben. An Leben sieht man nicht mehr viel: Susa, die Wirtin. Wenisch, ihr Gast, der früher täglich in den Berg fuhr um Sprengungen zu veranlassen. Die jungen Schwestern Teresa und Esther, die den Tod Martins betrauern, den der Berg eingefordert hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch das letzte Fünkchen Leben ausgehaucht worden ist.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Manchmal ist es auch Gestein, das funkelt und schillert. Stein in Jahrmillionen von der Natur sorgsam aufgetürmt, um vom Menschen zu seinem Nutzen wieder abgetragen zu werden. Marie Gamillschegs Debütroman „Alles was glänzt“ greift die klassischen Dichotomien zwischen Mensch und Natur, aber auch zwischen Leben und Tod auf. Ein Mensch kann nicht ohne Natur sein, sie ist sein Lebensraum und Lebensspender. Die Natur könnte auch ohne den Menschen sein, aber durch ihn erfährt sie Bedeutung und aus dem einfachen Berg wird ein Ort, der Menschen mit Rohstoffen, Arbeit und Sinn versorgt. So sind auch Leben und Tod zwei Seiten einer Medaille und der Roman zeigt, dass es totes Leben gibt und Tote in Gedanken wieder lebendig werden können.

Es sind allerdings zwei andere Aspekte, die ich im Roman bedeutsamer fand. Zum einen das Sterben der Dörfer. Wer die Möglichkeit hat, den zieht es in die Stadt, der findet dort Arbeit und ein aufregendes Leben. Zurück bleiben die Alten, die die schon immer dort waren und die Geschichte bewahren. Bis auch sie wegziehen, um in der Ferne versorgt zu werden.

Zum anderen ist der bewunderte und bestaunte Berg das Schicksal, das über dem Dorf schwebt. Er fordert immer wieder Leben ein, das der Bergmänner, das der unachtsamen Autofahrer. Aber er wird sich irgendwann auch gegen das wehren, was ihm die Menschen antun, die sein Inneres nach außen befördern und ihm seine Substanz abgraben.

Ein Roman, der von einer melancholisch-traurigen Stimmung getragen wird. Er macht keine Hoffnung, er ist nicht das letzte Aufbäumen. Und doch sind da noch Menschen, gibt es noch Leben.

Bewertung vom 17.03.2018
Die Morde von Pye Hall
Horowitz, Anthony

Die Morde von Pye Hall


ausgezeichnet

Der Autor, von dessen Büchern die Existenz des Verlags abhängt, ist tot. Alan Conway war unheilbar an Krebs erkrankt und hat sich das Leben genommen. Aber glücklicherweise hat er seinen letzten Roman noch kurz vor seinem Ableben in den Verlag gebracht. Seine Lektorin Susan Ryeland freut sich auf die Lektüre, doch mitr Entsetzen muss sie feststellen, dass die letzten Kapitel des Romans fehlen. Der Protagonist Atticus Pünd kann den Mord in Pye Hall nicht aufklären. Susan Ryeland findet nicht nur das, sondern auch die Umstände von Conways vermeintlichen Selbstmord seltsam und beginnt selbst zu ermitteln. Im Stile von Hercule Poirot oder auch Atticus Pünd befragt sie das Umfeld von Conway und stößt gleich auf eine ganze Reihe Menschen, die ein Interesse daran hätten haben können, den Autor aus dem Weg zu schaffen.

Anthony Horowitz kann immer wieder überraschen. Mit „Die Morde von Pye Hall“ hat er einen Roman im Roman geschaffen und geschickt beide Handlungen ineinander verwoben. Er wechselt spielerisch die Erzählebenen und lässt seine Rahmenhandlung dadurch umso authentischer wirken. Die Tatsache, dass er auch dem Leser dieses Romans das Ende des fiktiven Krimis (zunächst) vorenthält, verstärkt unter anderem diesen Effekt und lässt einem munter mitfiebern und ermitteln.

Ein Krimi im Krimi, beide Fälle haben einen gewissen Charme und können auf ihre altmodisch-konventionelle Art überzeugen. Horowitz spielt nicht nur mit dem Genre, nein, er macht sich einen Spaß daraus, gnadenlos alles zu entlarven, was über Jahrzehnte funktioniert, obgleich es unheimlich durchschaubar ist. Agatha Christie war keine begnadete Schreiberin, trotzdem war sie enorm erfolgreich und hat Charaktere für die Ewigkeit geschaffen, die stilbildend für das Genre geworden sind. In gewisser Weise greift Horowitz genau diese Widersprüchlichkeit auf: sein fiktiver Autor ist enttäuscht, dass er sein Geld mit den Kriminalromanen, einem in seinen Augen literarisch minderwertigen Genre, verdient, wo er doch von der hohen Literatur träumt. Belächelt werden diese Autoren, kommerziell erfolgreich zwar, aber doch keine wirklichen literarischen Genies. Nichtsdestotrotz liebt sie die Leserschaft.

Beide Handlungen in „Die Morde von Pye Hall“ folgen den klassischen, vorhersehbaren Mustern und dennoch begeistern sie – deutlicher kann man seine Hommage an den Kriminalroman kaum zum Ausdruck bringen. Und ja, auch diese Bücher haben nicht nur ihre Daseinsberechtigung, sondern sind ein Gewinn in der Buchlandschaft.

Bewertung vom 16.03.2018
Hochdeutschland
Schimmelbusch, Alexander

Hochdeutschland


sehr gut

Sein Name legt es eigentlich schon nahe: Victor ist ein Siegertyp. Als Investmentbanker hat er mehr Geld verdient, als er jemals ausgeben kann und in der Birken Bank kann er sein in den Jahren in verschiedensten renommierten Geldhäusern gesammeltes Wissen vollends ausleben. Dies trifft vor allem die jungen und geldhungrigen Mitarbeiter, von denen er vollen Einsatz und Verzicht auf ein Leben außerhalb der Bak einfordert. Doch Victor erkennt im Laufe der Zeit, dass weder Status noch Geld zu wirklichem Glück und Zufriedenheit führen und er sucht sich ein neues Betätigungsfeld: er will eine politische Bewegung gründen, eine neue Partei, die aus dem Land eine zukunftsorientierte und gewinnbringende AG macht. Mit seinem Wirtschaftswissen ist es nicht schwer, die Grundzüge eines neuen Staates zu skizzieren, der zu allgemeinem Wohlstand führen wird.

Alexander Schimmelbuschs Roman lässt sich nicht einfach fassen. Hat man zunächst den Eindruck, es mit einer unglaublichen Parodie auf die Banker und arrivierten Neureichen zu tun zu haben, rückt zunehmend der gesellschaftliche Blick ins Zentrum und plötzlich wird das Politische immer stärker. Die Figur Victor tritt hinter seinem Pamphlet zur Umgestaltung des Staates zurück und man muss sich fragen, ob diese zunächst abstrus anmutende Idee nicht möglicherweise sogar ihre Anhänger finden könnte.

Der Protagonist, der die Handlung dominiert und der weitere Figuren nur am Rande seiner Existenz zulässt, macht ganz sicher die große Stärke des Romans aus. Das einerseits stereotype Bild ist in sich stimmig: das Auto, die Wohnungen - die Statussymbole und die Haltung gegenüber den Untergebenen zeigen plakativ den Emporkömmling, der den Platz an der Spitze erreicht hat. Gelungen sind die Erläuterungen, wie er zu einem solchen Erfolg gekommen ist, geschickt werden hier die rücksichtlosen Mergers und Acquisitions in ihrer Menschenfeindlichkeit entlarvt. Auch sein Geschick im Umgang mit dem Minister lässt einem leicht den Erfolg der Berliner Lobbyisten nachvollziehen. Eine gewisse Selbstverliebtheit - „Die Diskrepanz zwischen seinem Einfluss und seiner Außenwirkung war langsam wirklich zum Verzweifeln.“ – darf natürlich auch nicht fehlen, wenn er sich auch dessen bewusst ist, was er tut: „Er hatte Geschichte geschrieben, oder zumindest an ihr mitgeschrieben, auch wenn sein Einfluss destruktiv gewesen war.“

Victors Entwurf einer neuen Gesellschaftsform ist die gnadenlose Übertragung ökonomischer Prinzipien auf eine Gesellschaft. Selektion der Besten – sowohl was die Chancen der Bevölkerung als auch was die der Zuwanderer angeht – Leistungsprinzip und Unterordnung des Individuums unter die Idee des großen Ganzen. Statt Leitkultur gibt es Corporate Identity und die Ordnungsmächte werden ertüchtigt, die neuen Prinzipien vollends zu überwachen und bei Missachtung zu sanktionieren.

Ein interessantes Gedankenspiel mit einer ernstzunehmenden Thematik, das keineswegs utopisch aus der Luft gegriffen ist. Ein Protagonist, der in sich stimmig ist und die Last des Romans problemlos tragen kann. Aber ein wenig bleibt man am Ende als Leser doch unzufrieden zurück. Mir war der Roman zu wenig literarisch, es gibt bei genauer Betrachtung fast keine Handlung, zu wenig Interaktion zwischen den Figuren und die kritische Gegenstimme, die diese klare Linie bricht, fehlte ebenfalls. Dies schmälert nicht den Gedanken, den Schimmelbusch mit seinem Roman aufgreift, aber es ist als Roman nicht ganz zufriedenstellend gelöst.

Bewertung vom 15.03.2018
The Zero and The One
Ruby, Ryan

The Zero and The One


ausgezeichnet

Owen is full of fear. He hates flying, maybe because he hasn’t done it quite so often. But there was no way of avoiding his best friend’s funeral, he has to go to New York to attend the service. How could he end on this plane? Owen Whiting has fought his way from his non-academic family up to Oxford where he spends his first months mostly alone and an outsider. Only when Zach approaches and befriends him do things change. The young American has seen something in Owen that was hidden to the others, Owen is his equal, he can share his thoughts and is ready to transgress the boundaries of life. Still, Owen cannot fully comprehend how it all could have ended like this, maybe he will find answers across the ocean.

“The Zero and the One” keeps the secrets about Zach for quite some time; the structure of narrating the events surrounding the funeral and disrupting them with narratives of the past, postpones the clear picture and the full understanding of the events repeatedly. The beginning was rather slow, nevertheless I liked Owen’s background story, his family, his own expectations of life and his fight for a higher education. After the boys have met, the focus shifts a bit and the whole novel becomes a lot more philosophical. Their treasure hunt for the not so famous author of “The Zero and the One” already provides some suspense, however, it is only in the third part that the action really accelerates and Ryan Ruby can surprise the reader. Never would I have imagined such a story as the one that lies beneath it all.

To some extent, it is a classic coming-of-age novel, on the other hand, we also have quite a typical story of an ambitious young person from a poor background who suddenly enters a completely new sphere where he does not fit in at all and where intelligence and thirst for knowledge just aren’t enough. Thirdly, there is a psychological thrill particularly towards the end which I found most intriguing and fascinating. Zach is the character who can enthral the reader and who is not easily tangible, but here, the protagonist has to offer much more than some well-known cliché.

For quite some time I thought “The Zero and the One” was a good and entertaining novel. The closer I got to the climax and the end, the more I was drawn into it and spellbound.

Bewertung vom 13.03.2018
The Red Word
Henstra, Sarah

The Red Word


sehr gut

For a conference, Karen returns to the town she attended college many years before. It is not a pleasant return since the place is connected to sad memories. Going back there brings it all again to her mind. Her roommates, nice girls at first, whose plan got completely wrong. Her then boy-friend and his fraternity GBC who always treated her nicely but also had another, darker side. The teacher they all admired in their gender studies classes. And the scandal that shock the whole town.

Sarah Henstra’s novel tells different tales with only one story. First of all, we have the strong protagonist Karen who as a Canadian always stands a bit outside her fellow students’ circles. She doesn’t have the same background; neither does she have the rich parents who provide her with all she needs not does she come with the intellectual package that most of the others seem to possess. The need to earn money to support herself keeps her from leading the same life as they do. This also brings her into the special situation between the groups who soon find themselves at war.

The central topic, however, is how college students deal with sex. On the one hand, we have the partying during which much alcohol and all kinds of drugs are consumed which makes the young people reckless and careless. On the other hand, we have the planned drugging of young women with Rohypnol to abused them. There is a third perspective, represented by the academic intelligentsia: the classic image of the woman as victim, portrayed in history and literature throughout the centuries and which did not change in more than two thousand years.

“The Red Word” could hardly be more relevant and up-to-date in the discussions we have seen all over the word about male dominance and indiscriminate abuse of their stronger position. Sarah Henstra does not just foreshadow what happens at the student houses, she openly talks about the rape that happens there. And she does provide a credible picture of what happens afterwards, of how women are accused of having contributed or even asked for it, of lame excuses for the male behaviour and of the psychological effect these experiences have on the students – both, male and female. It is not just black and white, there are many shadows and motives behind their actions, Henstra integrates them convincingly.

A felicitous novel with a very important story to tell.

Bewertung vom 12.03.2018
Blasse Helden
Isarin, Arthur

Blasse Helden


ausgezeichnet

Russland in der Post-Sowjet und vor-Putin Zeit. Oligarchen bedienen sich schamlos am Reichtum und den Bodenschätzen des Landes. Das Geld fließt in ihre Taschen wie abends der Champagner in die Münder fließt. Geschäfte dienen den Reichen, der unteren Hälfte der Gesellschaft bleibt nur der Kampf ums Überleben. Anton entflieht dem Westen, wo sogar Revolutionen friedlich und freundlich verlaufen und stürzt sich in die Moskauer Geschäftswelt. Für den Unternehmer Paul Ehrenthal kümmert er sich um das Kohlegeschäft und löst Probleme, wo sie entstehen: mal in Sibirien, mal in der Ukraine. Schnell lernt der Deutsche sich anzupassen, ohne politische Meinung und als Ausländer wird von ihm nicht viel erwartet und er kann in den 1990ern ein lockeres und entspanntes Leben führen. Doch die Zeiten ändern sich und irgendwann muss auch Anton sich entscheiden.

Arthur Isarins Roman ist ein Blick in eine Gesellschaft, die losgelöst vom staatlichen System ihre eigenen Gesetze entwickelt hat und in der alles möglich scheint. Aus heutiger Sicht mit fast 20 Jahren Putin-Herrschaft, ist das Land nicht wiederzuerkennen, verheißungsvoll waren die Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die ersten Schritte im Kapitalismus, die jedoch die Versprechungen nicht halten konnten.

„Blasse Helden“ fängt den Rausch ein, in dem sich diejenigen befanden, die sich schnell umgestellt und mit den neuen Begebenheiten arrangiert hatten. Anton lebt in einer Blase aus Macht und Spaß-Gesellschaft; er hat keine Verpflichtungen und schafft es, sich lässig zwischen den Russen zu bewegen. Die notwendigen Konventionen hat er schnell übernommen, die Moral über Bord geworfen und sich so gemütlich in seinem Dasein eingerichtet. Man bekommt einen Blick in die Geschäftssitten, die klar auf Gewinnmaximierung und Ignoranz etwaiger Gesetzte ausgerichtet sind. Wen man kennt, ist entscheidender, als was man kann.

Schnelllebig wie die damalige Moskauer Zeit liest sich auch das Buch, rasant schreiten die Jahre voran, die Welt außerhalb Antons Kosmos erscheint jedoch immer wieder am Rand. Hier lernt man das andere Moskau, das andere Russland kennen. Armut, Bestechung, Vetternwirtschaft, notwendige Prostitution – die negativen Begleiterscheinungen des Kapitalismus bleiben nicht aus und selbst Anton kann sie nicht gänzlich ausblenden.

Auch wenn der Ton bisweilen ironisch oder gar sarkastisch wird, man spürt den Schmerz eines Erzählers, der das Land liebt und sieht, wie es vor die Hunde geht. Die Menschen haben schon immer viel ertragen und stoisch werden sie das auch weiterhin tun. Es schwebt jedoch die Frage über allem, wieviel ein Volk tatsächlich aushalten kann, bis es sich erhebt. Kommunistische Unterdrückung gefolgt von Ausbeutung durch Oligarchen, beide Extreme haben es dem kleinen Mann nicht leicht gemacht und die Versprechungen wurden nie erfüllt - muss ein starker Mann im Kreml da die Lösung sein? Arthur Isarin lässt einem nachdenklich zurück. Ein berauschendes Buch, dessen Nachwirkung ein Kater ist.

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