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Klara

Bewertungen

Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 31.01.2021
Das Verschwinden der Erde
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


weniger gut

Wenn man das Kostbarste verliert
In Julia Phillips Romans „Das Verschwinden der Erde“ verschwinden zwei kleine Mädchen bei einem Spaziergang am Meer auf der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Eine Zeugin sieht Aljona, 11 und Sofija, 8 in ein schwarzes Auto steigen, aber sie kann den Fahrer nicht präzise genug beschreiben. Schon drei Jahre zuvor war im Norden die 18jährige Lilja spurlos verschwunden. Da es sich um ein Mitglied einer verachteten, indigenen Bevölkerungsgruppe handelte, gab sich die Polizei in diesem Fall noch weniger Mühe bei den Ermittlungen. Die Autorin stellt monatsweise fortschreitend jeweils eine andere Familie oder Gruppe in den Mittelpunkt und zeigt, dass sie alle vom Verschwinden der Mädchen in irgendeiner Weise betroffen sind. Aus der Perspektive der Frauen wird über Schicksale und Lebensumstände berichtet. Viele haben Verluste erlitten oder sind mit ihrer Situation zutiefst unzufrieden. Sie leben in einer männlich dominierten Gesellschaft und sind in jeder Hinsicht eingeschränkt. In einem Zeitraum von 11 Monaten entsteht ein Netz aus unsichtbaren Beziehungen, die uns einer Lösung des Rätsels näherbringen.
Der Roman, der kein Thriller ist und keiner sein will, ist wegen seiner ungeheuren Personenvielfalt nicht leicht zu lesen. Da muss der Leser immer wieder das Personenverzeichnis zu Beginn des Romans konsultieren. Eine chronologisch erzählte Handlung fehlt. Ich habe schnell den Überblick verloren und mich durch das Buch gequält. Da half mir auch die wunderbare Landschaft mit Tundra und Wäldern, mit Vulkanen und heißen Quellen und die beschriebene kulturelle und ethnische Vielfalt nicht weiter. Mich hat der Roman enttäuscht.

Bewertung vom 24.01.2021
Hingabe
Belpois, Bénédicte

Hingabe


sehr gut

Wie viel Gewalt verträgt die Liebe?
Bénédicte Belpois` Debütroman „Hingabe“ (Originaltitel: „Suiza“) erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das eines Tages aus einem Heim in der Schweiz flieht, weil es das Meer sehen will und in einem entlegenen Dorf in Galizien landet. Das Mädchen nennt sich Suiza (spanisch für Schweiz). Suiza hat eine lange Reise per Anhalter hinter sich und wird von der Frau, die sie ausgehungert und verdreckt auf ihrem Grundstück findet, an den Kneipenbesitzer Alvaro weitervermittelt. Alvaro nutzt ihre Arbeitskraft aus, nimmt aber wie selbstverständlich auch andere Dienste in Anspruch. Suiza gilt als dumm und wehrt sich nicht. Sie sieht naiv und kindlich aus, verfügt aber über eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf Männer. So verfällt ihr auch der reiche Bauer Tomás López Gabarre, als er sie zum ersten Mal bei Alvaro sieht. Vor aller Augen macht Tomás seinen Besitzanspruch geltend und nimmt Suiza mit. Am Anfang sind ihre Begegnungen von einer befremdlichen Mischung aus Sex und Gewalt bestimmt. Erst allmählich entwickelt sich eine Liebesbeziehung, in der auch Suiza als Person eine Rolle spielt. Auch bei Tomás gibt es Altlasten, die einer solchen Beziehung im Weg stehen. Tomás ist mit knapp 39 Jahren nach fünf Jahren Ehe seit sechzehn Jahren Witwer. Er ist ein grobschlächtiger, nicht empathiefähiger Mann, der nichts über die Liebe weiß und nur mit Prostituierten zurechtkommt. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine Liebesbeziehung, zumal Tomás gleich zu Beginn von seiner Krebsdiagnose erfährt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Die beiden Partner bewegen sich allmählich aufeinander zu, vor allem weil Tomás Ratschläge für den Umgang mit Suiza von seiner Amme Agustina, seinen Helfern Ramón und dem gesellschaftlich ausgegrenzten schwulen Lope sowie dem Ladenbesitzer Luis erhält. Im Laufe der Geschichte wird alles besser, weil Suiza und vor allem Tomás sich verändern, aber kann das ein gutes Ende nehmen, wenn sich zugleich Tomás Gesundheitszustand unaufhaltsam verschlechtert?
Belpois erzählt eine Geschichte von Sex und Liebe, von Besitzansprüchen und Gewalt inklusive Vergewaltigungen, wobei der Anteil von Gewalt in dieser Beziehung ebenso irritierend ist wie die Tatsache, dass Frauen „genommen“ oder weitergereicht werden, ohne dass man sie groß nach ihrer Meinung fragt. Der Roman ist beeindruckend in seiner sprachlichen Qualität und Zeichnung all seiner Figuren. Er hat mir gut gefallen, auch wenn ich auf dieses Ende nicht vorbereitet war.

Bewertung vom 03.01.2021
Groß & Fett
Groß, Maria;Uhlig, Elena

Groß & Fett


ausgezeichnet

Gut kochen und essen - ein Stück Lebensqualität
Köchin Maria Groß und Schauspielerin Elena Uhlig, die sich scherzhaft als Gauklerin bezeichnet, haben gemeinsam zu ihrem Podcast ein lustiges und hilfreiches Kochbuch mit dem ausgefallenen Namen „Groß & Fett - Die eine kocht, die andere isst“ herausgebracht. Für die heutige Zeit, in der der Diätwahn herrscht, eine sehr gute Entscheidung. Nach dem Inhaltsverzeichnis enthält das Kochbuch eine Einführung, in der der Leser erfährt, wie es zu dem Podcast und dem späteren Kochbuch kam. „Es gibt Dinge, die braucht man einfach, um mit uns zu kochen“ (S. 20), und das sind diverse Grundzutaten, die in keiner Küche fehlen sollten. Neben hilfreichen Haushaltstipps und diversen Koch- und Schnitttechniken geht es gleich von der Theorie zur Praxis. Die vorgestellten Rezepte sind bodenständig, ohne viel Schnickschnack. Das gefällt mir sehr gut. Gearbeitet wird bei allen Gerichten mit Zutaten aus der Grundzutatenliste und saisonalem Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse. Hier wird mit heimischen Produkten und Lebensmitteln aus der Region gekocht. Alle Zutaten für die jeweiligen Rezepte sind leicht zu beschaffen. Ich habe verschiedene Gerichte dem Praxistest unterzogen, u.a. Ente mit Klößen auf S. 137. Die Zubereitung war anders, als ich es bis jetzt gewohnt war, dafür hat das Essen hervorragend geschmeckt. Ich werde das Kochbuch noch oft in die Hand nehmen, um auch andere Rezepte, wie etwa die Spargelsalate auszuprobieren. Ein lustiges und interessantes Kochbuch, das ich jedem Hobbykoch, der nicht an Kalorienangaben interessiert ist - denn die findet man nicht - und deftige, schmackhafte Küche mag, ans Herz legen möchte. Ein Kochbuch, in dem Zucker und Fett als Geschmacksträger ihren wichtigen Platz haben, findet man nicht alle Tage. Da muss ich doch an den 1927 von einer Zuckerfabrik geprägten Slogan denken, an den noch die Generation der in diesem Jahrzehnt Geborenen glaubte: "Am Zucker sparen? Grundverkehrt! Der Körper braucht ihn, Zucker nährt." Mir gefällt dieses ungewöhnliche Kochbuch, die tollen Bilder und Anekdoten und vor allem die Einstellung, die dem Ganzen zugrundeliegt: Kochen und Essen müssen Spaß machen. Das ist ein Stück Lebensqualität.

Bewertung vom 03.01.2021
Miss Bensons Reise
Joyce, Rachel

Miss Bensons Reise


ausgezeichnet

Unsere Berufung ist der Ausdruck unserer Identität
Im Mittelpunkt von “Miss Bensons Reise“ steht die anfangs, d.h. im Jahr 1914 - 10jährige Margery Benson. Durch Erzählungen und Abbildungen weckt Margerys Vater das Interesse seiner Tochter für Käfer, speziell für diesen goldenen in Neukaledonien. Im Laufe der Jahre gerät der Plan einer Reise dorthin in Vergessenheit. Sie hat einen Insektenforscher kennengelernt und viel von ihm gelernt. Ihre Liebe zu dem deutlich älteren Mann wird jedoch nicht erwidert. Er hat sie lediglich als kostenlose Arbeitskraft ausgenutzt. Margery arbeitet viele Jahre als Hauswirtschaftslehrerin, bis sie eines Tages so von ihren Schülerinnen gedemütigt wird, dass sich an ihren alten Traum erinnert und eine Expedition nach Neukaledonien vorbereitet. Alles muss sehr schnell gehen, und sie engagiert die schwatzhafte, scheinbar völlig ungeeignete Enid Pretty als ihre Assistentin. Das geschieht Anfang der 50er Jahre.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Beschreibung der ungewöhnlichen Reise mit zahllosen Komplikationen und Gefahren. Zwischen den Frauen wächst allmählich eine tiefe Freundschaft. Sie können sich aufeinander verlassen und helfen einander in der Not. Beide sind traumatisiert – Margery durch ihre freudlose Kindheit bei zwei strengen Schwestern des Vaters, der sich nach dem Tod seiner vier Söhne umgebracht hat, Enid durch eine Serie von Fehlgeburten und den bisher unerfüllten Kinderwunsch. Margery ahnt, dass Enid Geheimnisse vor ihr verbirgt, eventuell sogar eine kriminelle Vergangenheit, vor der sie auf der Flucht ist. Eine weiterer „Schatten“ bedroht die Frauen in der Person des als Assistent abgelehnten Mr. Mundic. Er ist von seinem Kriegstrauma und der aus der Gefangenschaft resultierenden Krankheit schwer gezeichnet und gerät häufig völlig außer Kontrolle. Mundic folgt den Frauen ungesehen auf ihrer Expedition und wartet auf den Moment, in dem er die Führung übernehmen kann.
Die Enthüllung von Geheimnissen und der ungewisse Erfolg des riskanten Unternehmens sorgt für Spannung und macht den Reiseroman in der Tradition großer Vorbilder – z.B. Jules Vernes “In 80 Tagen um die Erde“ – zu einer interessanten Lektüre. Beeindruckend sind hier vor allem die Schilderungen der Natur im Südpazifik. Den Leser berührt die Freundschaft der Frauen und Margerys Entdeckung ihrer eigenen Stärke. Ein Ausblick auf die 80er Jahre zeigt, dass Margery wiederum zu einer Inspiration für eine andere Frau wird. Es geht nicht alles gut aus in dieser Geschichte, aber es gibt einen Silberstreif am Horizont. Mir hat dieses Buch gut gefallen.

Bewertung vom 31.12.2020
Das Vermächtnis / Gabriel Allon Bd.19
Silva, Daniel

Das Vermächtnis / Gabriel Allon Bd.19


sehr gut

Ein Mädchen verschwindet
In “Das Vermächtnis“, dem neuen Roman von Daniel Silva wird ein 12jähriges Mädchen trotz bewaffneter Bodyguards und gepanzerter Limousine in Genf entführt, wo es eine Privatschule besucht. Wie sich herausstellt, handelt es sich um die Tochter von Khalid bin Muhammed, dem Kronprinzen von Saudi Arabien. Dieser engagiert Gabriel Allon, den Chef des israelischen Geheimdienstes, der hier zum 19. Mal in Erscheinung tritt. Ihm steht die Kuratorin Sarah Bancroft vom MOMA in New York zur Seite, eine ehemalige CIA-Agentin, die dem Leser ebenfalls aus früheren Romanen bekannt ist. Sie ist im Roman keine sympathische Figur und gerät selbst in höchste Bedrängnis.

Der Roman erzählt eine wilde Geschichte mit vielen Nebenschauplätzen und vielen Toten. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf real existierende Prominente wie den aktuellen Kronprinzen von Saudi Arabien, Trump und Putin. Eine gewisse Rolle spielt auch ein Gemälde, das vielleicht ein echter da Vinci ist, vielleicht aber auch nicht. Etwas befremdlich ist die Darstellung der Rolle von Frauen in der Welt der Spione. Sie haben andere Aufgaben, können mit den männlichen Helden nicht mithalten. “Das Vermächtnis“ ist vielleicht nicht Silvas stärkster Roman, aber ich fand ihn spannend und fühlte mich gut unterhalten.

Bewertung vom 05.12.2020
PASTA
Pearson, Anna

PASTA


ausgezeichnet

Pasta in höchster Vollendung
Einfach, schnell und unkompliziert wird die Pastaherstellung durch das mit viel Liebe und Wissen zusammengestellte Kochbuch der Schweizer Pasta-Expertin Anna Pearson.

Das Buch beginnt mit einem Vorwort der Kulinarikjournalistin und Kochbuchautorin Katharina Seiser, danach folgt das Vorwort der Autorin und schon geht es zum Inhalt des Buches. Es ist aufgeteilt in drei Teile: 1. Pasta machen, 2. Rezepte, Teil 3. Reise in die Toskana.

In Teil 1 erfährt der Leser alles, was er über hausgemachte Pasta wissen muss. Leicht verständlich, präzise und fast schon akribisch wird die Herstellung von Eierpasta und Hartweizenpasta erklärt. Hier wird auch der ungeübteste Hobbykoch an die Hand genommen und zum Ziel geführt. Die Seitenverweise, die zu den Stellen im Buch führen, an denen das Rezept steht, habe ich noch in keinem anderen Kochbuch so gesehen. Das ist mehr als hilfreich und führt dazu, dass das Buch mit zu den übersichtlichsten gehört, die ich je in den Händen gehabt habe. Hat man sich intensiv mit den Hinweisen und Erklärungen beschäftigt, können die 40 saisonalen Rezepte der Reihe nach nachgekocht werden. Der Rezeptteil ist in die vier Jahreszeiten untergliedert. Ich habe Sugo di Salsiccia auf S. 117 (Frühling) und Spaghetti alla Chitarra - Speck-Tomaten-Sugo auf S. 165 (Herbst) nachgekocht. Beide Gerichte haben sehr lecker geschmeckt. Ich werde mich langsam durch die anderen Rezepte kochen. Für mich steht fest, dass das Kochbuch „PASTA“ von Anne Pearson, das sie in Gemeinschaftsproduktion mit ihrer Schwester Catherine im Eigenverlag Edition gut herausgebracht hat, mit zu den besten Kochbüchern gehört, die ich besitze und wahrscheinlich eines der besten, das die Grundlagen der Pastaherstellung erklärt. Nicht umsonst wurde „PASTA“ 2019 mit jeweils einer Silbermedaille beim Swiss Gourmetbook Award und beim Literarischen Wettbewerb der Gastronomischen Akademie Deutschland (GAD) ausgezeichnet und hat beim Gourmand World Cookbook Award für die Schweiz in der Kategorie „Italien" gewonnen. In ihrem Vorwort schreibt die Autorin: "„Pasta“ ist das zweite Buch in meinem Verlag Edition gut - weitere werden folgen!“ Ich persönlich kann es kaum erwarten.

Bewertung vom 21.11.2020
Dieses ganze Leben
Romagnolo, Raffaella

Dieses ganze Leben


sehr gut

Man kann nicht mit einer Lüge leben
Im Mittelpunkt des neuen Romans von Raffaella Romagnolo, der im Original schon 2013 erschien, steht die knapp 16jährige Paola De Giorgio. Sie wächst zusammen mit ihrem jüngeren behinderten Bruder Riccardo in einer sehr reichen Familie auf. Ihre wichtigsten Bezugspersonen sind der Bruder, den sie täglich im Rollstuhl ausfahren muss, das rumänische Hausmädchen Nina und die Großmutter. Die Eltern sind lieblos, nur mit sich selbst bzw. der Firma Costa Costruzioni beschäftigt. An Paola scheint die Mutter einzig und allein das Gewicht zu interessieren, das sie täglich kontrolliert. In der Schule ist Paola eine Außenseiterin ohne Freunde. Sie wird ausgegrenzt, gemobbt und mit einem peinlichen Video bei Facebook gedemütigt. Nur der zwei Jahre ältere Antonio Ferrari aus der armen Margeriten-Siedlung begegnet ihr freundlich. Paola sieht sich selbst sehr kritisch. Sie findet sich hässlich, was ihr das Video bestätigt, hasst eine Menge Dinge, vor allem solche, die andere schätzen und schweift gern ab.
Mit vielen Zeit- und Gedankensprüngen erzählt sie von ihrer Situation und von ihrer Familie, wo das große Schweigen herrscht und niemand über wirklich wichtige Dinge spricht. Ihr Adressat ist die imaginäre Freundin Carmen. Häufiger wendet sie sich auch direkt an den Leser. Schon frühzeitig hat Paola und mit ihr der Leser den Eindruck, dass mit der Firma ihres Vaters etwas nicht stimmt und alles auf eine Katastrophe zusteuert. Warum hasst ihre Mutter die Margeriten-Siedlung so sehr, und was hat es mit dem Bauprojekt Biosolar auf sich? Am Ende wird das viele Jahre dauernde Schweigen gebrochen, und die Wahrheit kommt endlich ans Licht. Obwohl die Zukunft der Familie in jeder Hinsicht ungewiss ist, erlebt Paola diese Phase als Befreiung.
Paola ist eine sehr sympathische Protagonistin, vor allem in ihrem engen Verhältnis zum Bruder, der sie seinerseits in kritischen Situationen beschützt und keineswegs so hilflos ist, wie es anfangs den Anschein hat. Auch die Charakterisierung der übrigen Figuren ist gelungen, wobei der stets abwesende Vater am blassesten bleibt. Mir hat der Roman gut gefallen, auch wenn mir eine Dimension verschlossen blieb: die der zahlreichen Anspielungen auf Handlung und Personal der Harry Potter-Romane, die ich nicht kenne. Auch so überzeugt mich das Buch, obwohl ich „Bella Ciao“ mit seinem historischen Hintergrund ungleich gehaltvoller fand. „Dieses ganze Leben“ ist auf jeden Fall empfehlenswert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.10.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


ausgezeichnet

Verlust und Heilung
Im Mittelpunkt von Shilpi Somaya Gowdas Roman „Was uns verbindet“ steht eine Familie, die an einer Tragödie zerbricht und sich irgendwann wieder aufeinander zubewegt. Der Investmentbanker Keith Olander ist mit der indischen Diplomatentochter Jaya viele Jahre glücklich verheiratet. Sie haben zwei Kinder, Karina, 13 und Prem, 8. Ein Unglück zerstört eines Tages ihr Glück, und die Überlebenden versuchen jeder für sich, mit Schuld und Schmerz fertig zu werden. Jaya erinnert sich an ihre indischen Wurzeln und sucht Trost in Gebeten, Meditation und Ritualen. Keith arbeitet verbissen und hat Affären. Die Eltern sind schon bald geschieden, und Karina ist auf sich gestellt. Am College hat sie ein verstörendes Erlebnis, das sie erneut aus der Bahn wirft. Sie vertraut sich niemand an, auch nicht Izzy, ihrer besten Freundin seit der Kindheit. Karina findet Zuflucht in einer Kommune, die von dem charismatischen Anführer Micah geleitet wird. Sie verliebt sich in ihn, aber auch er ist der falsche Mann. Er manipuliert die Mitglieder der Kommune und schreckt vor Gewalt nicht zurück. Karina hat erneut ein furchtbares Erlebnis, ehe sie die Oase genannte Gemeinschaft verlässt. Endlich erinnern sich auch ihre Eltern wieder an ihre Pflicht, der Tochter alle Hilfe angedeihen zu lassen, die sie benötigt.
Die Autorin erzählt diese sehr schöne, berührende Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven, wobei auch ein Toter das irdische Geschehen beobachtet und kommentiert – eine etwas ausgefallene Konstruktion. Der Leser ist nicht nur berührt, sondern nimmt eine ganze Reihe von nützlichen Erkenntnissen mit. Die wichtigste ist sicher, dass man irgendwann mit dem Schmerz und der Trauer über vergangene Ereignisse abschließen und nach vorn blicken muss, denn das Leben wartet. Ein sehr lohnendes Buch.

Bewertung vom 22.08.2020
Das Leben ist ein wilder Garten
Buti, Roland

Das Leben ist ein wilder Garten


gut

Aus dem Leben eines Landschaftsgärtners
Roland Butis Roman „Das Leben ist ein wilder Garten“ erzählt eine kurze Zeitspanne im Leben des Landschaftsgärtners Carlo Weiss. Er leidet unter der Trennung von seiner Frau Ana und vermisst seine Tochter Mina, die im Ausland studiert. Dann wird sein Mitarbeiter Agon von zwei Männern krankenhausreif geprügelt und erheblich verletzt. Die Männer nehmen offensichtlich Rache für Geschehnisse im Balkankrieg. Zu allem Überfluss verschwindet Carlos Mutter aus dem Altersheim. Carlo findet sie in einem heruntergekommenen ehemaligen Luxushotel in den Bergen, das inzwischen Betreuung für pflegebedürftige alte Menschen anbietet zu einem Preis, der eine echte Alternative zum Altersheim ist. Dieses Hotel hat im Leben der Mutter einmal eine wichtige Rolle gespielt. Als junges Mädchen lieferte die Bäckerstochter hier Ware aus und wurde wegen ihrer Schönheit umschwärmt. Hier traf sie unter anderem ihre erste Liebe, einen deutschen Adligen.
Carlo erkennt, dass er vieles nicht wusste, weder über seine Mutter noch über seinen Mitarbeiter Agon, den sanften Riesen, der sich nach den Kriegsjahren im Kosovo in der Schweiz eine neue Existenz aufgebaut hat. Dazu gehört auch sein Stück Land mit Hütte in einer Schrebergartenkolonie, das man ihm nun wegnimmt, um dort einen Fußballplatz zu bauen. Seine Hütte wird mit einem Hubschrauber zu einer anderen Stelle transportiert, und er muss wieder ganz von vorn anfangen.
Der Autor erzählt diese Geschichte einfühlsam und poetisch und lässt seine Liebe zur Natur und sein Verständnis für zwischenmenschliche Beziehungen durchscheinen. Das ist an und für sich nicht schlecht, aber es passiert einfach zu wenig. Ich fand die Lektüre zäh und teilweise ziemlich langweilig. Schade.

Bewertung vom 22.08.2020
City of Girls
Gilbert, Elizabeth

City of Girls


sehr gut

Menschen geschehen Dinge
In Elizabeth Gilbert Roman "City of Girls“ liefert Ich-Erzählerin Vivian Morris als alte Frau eine Lebensbeichte ab, die an eine zunächst Unbekannte namens Angela gerichtet ist. Der Bericht setzt 1940 ein, als die 19jährige Vivian Morris das Vassar College verlassen muss, wo sie sich ein Jahr lang hemmungslos amüsiert hat. Ihre enttäuschten Eltern schicken sie nach New York zu ihrer Tante Peg, die in Manhattan das Lily Playhouse leitet. Sie bringt einfache lustige Stücke in Revuen mit hübschen Revuegirls für die Bewohner des Viertels zur Aufführung. Vivian hat bei ihrer Großmutter das Nähen gelernt und fertigt Kostüme an. Sie zieht mit ihrer Freundin, der wunderschönen Celia Ray, jede Nacht durch die Clubs, betrinkt sich und macht eine Menge sexuelle Erfahrungen. Es ist für sie eine völlig neue Welt, ein starker Kontrast zu ihrer Herkunft als WASP (White Anglo-Saxon Protestant)., wobei WASP die Mitglieder der weißen protestantischen Mittel- und Oberschicht bezeichnet. Eines Tages wird ihr Leben durch einen Skandal umgekrempelt. Nach einem kurzen Aufenthalt in ihrem Elternhaus führt sie in New York mit einer Freundin erfolgreich eine Schneiderei für Brautkleider. Die Liebe ihres Lebens wird Frank Grecco, ein schwer traumatisierter Kriegsteilnehmer, dem sie als junge Frau einmal kurz begegnet war. Sie sind einander innig verbunden, aber es ist keine Beziehung wie andere.
Die Autorin zeichnet vor dem historischen Hintergrund vor allem der 40er Jahre das Porträt einer Frau, die auch durch das Vorbild ihrer Tante Peg lernt, ihr Leben so zu führen, wie sie will, ohne sich dafür zu schämen – so wie es Männern längst gestattet ist. Es gibt Dinge, die man nicht ändern kann - den Krieg zum Beispiel -, aber es gibt genügend Bereiche, in denen Frauen ihre eigenen Entscheidungen treffen, wie es im Übrigen auch die Autorin selbst vorgelebt hat, in dem sie sich von ihrem Mann trennte und eine Liebesbeziehung zu einer todkranken Frau einging. Der Roman ist nicht durchweg spannend, aber auf jeden Fall interessant und lesenswert.