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R. S.

Bewertungen

Insgesamt 168 Bewertungen
Bewertung vom 11.01.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


sehr gut

Eine gut erzählte Familiengeschichte, der etwas mehr Emotionalität gutgetan hätte

In dem melancholisch angehauchten Roman "Saubere Zeiten" von Andreas Wunn ist der Titel Programm, denn in der Familie Auber ist nicht alles so sauber, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Als Jakobs Vater Hans nach einem erlittenen Schlaganfall im Sterben liegt, reist Jakob von Berlin nach Trier. In dem Haus seines Vaters findet sich Jakob mit Tonbandaufnahmen seines Vaters und Tagebucheinträgen seines Großvaters Theodor Auber konfrontiert, die ihm ein bis dahin unbekanntes Kapitel der eigenen Familiengeschichte offenbaren. Während er die Tonbandaufnahmen sich anhört und die Tagebucheinträge seines Großvaters liest, erfährt er mehr über die Kindheit seines Vaters und dem Aufstieg und Fall seines Großvaters, dem das bekannte Waschmittel Auber gehörte und durch dieses zu Reichtum gelangte, bis er dieses jedoch durch Fehlinvestitionen verlor. In den Erinnerungen taucht auch der Name Bella auf und Jakob begibt sich auf der Suche nach ihr, eine Suche, die ihn bis nach Brasilien führt.

Wechselnd zwischen Vergangenheit und Gegenwart folgt man gebannt den drei Männern der Familie Auber und stößt dabei auf ein wiederkehrendes Muster, eine fehlende emotionale Nähe und das Verdrängen bzw. Schweigen über Familienangelegenheiten, die die jeweiligen Vater-Sohn-Verhältnisse prägten. Besonders die fehlende Emotionalität spiegelt sich auch im Schreibstil des Autors wieder. Zwar liest sich der Roman flüssig dank der kurzen Sätze und des eindringlichen Schreibstils, aber eine emotionale Nähe lässt sich trotz guter Charakterzeichnung nicht zu den handelnden Personen aufbauen. Dadurch verliert die Geschichte etwas an Schlagkraft, was etwas schade ist, denn es handelt sich um eine lesenswerte und gut konstruierte Familiengeschichte, die so wirklich hätte sich ereignen können.

Der Roman erzählt aber nicht nur eine spannend erzählte Familiengeschichte, sondern auch eine Reise Jakobs zu sich selbst. Im Verlaufe seiner Recherche reflektiert Jakob seine eigenen Beziehungen und Gefühle und erfährt so einiges über sich selbst, versinnbildlicht wird diese durch Erinnerungen an seine Kindheit, an seine gescheiterte Ehe und an Momente mit seinem Sohn.

"Saubere Zeiten" ist insgesamt ein gut erzähltes Familienporträt über verschiedene Generationen, über die Folgen des Schweigens und dass sich Vater und Sohn manchmal näher und ähnlicher sind, als man zunächst denkt. Einzig ein emotionaler Schreibstil hätte der Geschichte gutgetan, so verbleibt diese teilweise doch etwas oberflächlich.

Bewertung vom 07.01.2023
Rote Sirenen
Belim, Victoria

Rote Sirenen


ausgezeichnet

Bewegendes ukrainisches Familienporträt

4,5/5

In dem autobiografischen Roman "Rote Sirenen" verknüpft die Autorin auf fesselnde und bewegende Art und Weise die Vergangenheit mit der Gegenwart, sowohl was die eigene Familiengeschichte wie auch die Geschichte der Ukraine betrifft. Man folgt gebannt, wie die Autorin Victoria Belim sich auf ihre ukrainischen Wurzeln zurückbesinnt und wie sie sich im Jahr 2014 auf dem Weg von Brüssel aus in ihre alte Heimat macht, um dort das Rätsel um Nikodim, dem älteren Bruders ihres Urgroßvaters Sergij zu lösen, der im Kampf um eine freie Ukraine in den 30er-Jahren starb und dessen Geschichte fast ein Jahrhundert später immer noch ein Tabu ist.
Unterkunft findet Victoria bei ihrer Großmutter Valentina im ukrainischen Dorf Krutyi Bereh. Während sie gemeinsam mit ihrer Großmutter sich um den Obst- und Gemüsegarten kümmert, versucht sie mehr über das Schicksal von Nikodim herauszufinden, was aber anfangs auf heftigen Widerstand von Seiten ihrer Großmutter stößt.

Schon bald wird auch klar, was die Hähne auf dem Buchcover und der Buchtitel "Rote Sirenen" mit dem Buchinhalt zu tun haben, nimmt doch das als Hahnenhaus bezeichnete Gebäude des KGB eine wichtige Rolle bei der Recherche über Nikodim ein. So ist der KGB zwar längst aus der Gegend von Poltawa, wo die Familie lebte, zwar längst verschwunden, das ehemalige Hauptquartier des KGBs übt aber immer noch einen Schrecken auf die dortige Bevölkerung aus. Im Hintergrund ihrer Suche nach Antworten spitzt sich der Konflikt mit Russland nach der Annexion der Krim zu, während Victoria die KGB-Archive durchsucht, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.
Im Verlaufe ihrer Nachforschungen macht sie neue Bekanntschaften und lässt die Leser*innen an der großen ukrainischen Gastfreundschaft teilhaben und bringt so auch einem die ukrainische Kultur und Geschichte näher, die teilweise noch sehr stark von sowjetischen Zeiten geprägt ist.

Auf persönlicher Ebene löst Victorias Rückkehr in die Ukraine und zu ihrer Großmutter bei ihr viele Kindheitserinnerungen aus, an denen sie die Leser*innen teilhaben lässt und die dem ganzen Roman durchziehen und ihm so eine ganz persönliche Note verleihen. Unter der Feder der Autorin werden die Orte, an denen sie ihre Kindheit verbracht hat, lebendig.
Am Ende des Romans hat Victoria nicht nur Antworten auf ihre Fragen in Bezug auf Nikodim gefunden, sondern ihre Suche half ihr auch mit dem Tod ihres Vaters abzuschließen und wieder ihren ukrainischen Wurzeln näherzukommen.

"Rote Sirenen" ist eine berührende, authentische und emotionale Familiengeschichte sowie Reise durch die Ukraine, die obwohl vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 geschrieben wurde, nicht an Aktualität einbüßt. Tolles und eindringliches Familien- und Landesporträt.

Bewertung vom 07.01.2023
Das College
Ware, Ruth

Das College


gut

Spannungsarme Suche nach dem Mörder

Die Prämisse von "Das College" von Ruth Ware ist zunächst vielversprechend und verspricht, ein spannender und wendungsreicher Thriller zu werden. Doch leider ist das nur bedingt der Fall. Anhand wechselnder Zeitebenen wird die Geschichte des ermordeten "It-Girls" April und der Suche ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin Hannah 10 Jahre später, wer sie wirklich umgebracht hat, nachdem der vermeintliche Mörder von April im Gefängnis verstirbt.

Hannah Jones ist die Erste in ihrer Familie, die nach Oxford geht und fühlt sich unwürdig, als sie dort ankommt. Die erste Person, die sie kennenlernt, ist ihre Mitbewohnerin April, die schöne Tochter wohlhabender Eltern, die durch eine perfekte Kombination aus Schönheit, Intelligenz, Charme und Glamour von sich reden macht. Sie ist das "It-Girl" und zieht alle in ihren Bann, sodass Hannah am ersten Abend Strip-Poker mit Leuten spielt, die sie gerade erst kennengelernt hat: Will, Emily, Hugh und Ryan, die alle zu festen Freunden werden. Das Universitätsleben ist gut, bis April am Ende des zweiten Semesters ermordet wird.
Zehn Jahre später stirbt der John Neville, der ehemalige Pförtner in Oxford und der vermeintliche Mörder von April, im Gefängnis. Währenddessen erwarten Hannah und Will erwarten ihr erstes Kind und haben die Vergangenheit hinter sich gelassen, bis ein Journalist Hannah kontaktiert und ihr mitteilt, dass neue Beweise darauf hindeuten, dass Neville unschuldig war, und plötzlich werden Hannahs alten Wunden von damals wieder aufgerissen. Sie ist wie besessen davon, die Wahrheit herauszufinden und wieder Kontakt zu ihren alten Freunden aufzunehmen, die jetzt alle etwas zu verbergen scheinen.

Dank des kurzweiligen und angenehm zu lesenden Schreibstils sowie den kurzen Kapiteln lässt sich der Thriller gut lesen, aber richtig gefesselt wurde ich von der Geschichte nicht. Nämlich Spannung kommt erst gegen Ende hin so richtig auf, davor plätschert die Handlung so vor sich hin. Dem Spannungsbogen hätte es insgesamt besser getan, wenn Hannah weniger lang am Anfang gezweifelt hätte und viel schneller sich auf die Suche nach dem wahren Mörder begeben hätte. So wahren ihre wiederkehrenden Gedanken und Sorgen auf Dauer etwas ermüdend.
Leider konnte auch die Enthüllung, wer der wirkliche Mörder von April war, mich nicht richtig überraschen und so für zusätzliche Spannung sorgen.
*Spoiler* Aprils Mord war ein "locked-room"-Mord, es konnte also niemand in das Zimmer rein oder raus gelangen, sodass dem geübten Krimileser ziemlich schnell klar sein wird, was passiert ist, besonders wenn man Aprils Liebe für böse Scherze und ihr schauspielerisches Talent berücksichtigt. Natürlich ist auch der unwahrscheinlichste, dann der wahrscheinlichste Mörder. Für mich war das Rätsel bzw. das Motiv hinter Aprils Ermordung insgesamt zu wenig überzeugend und das Ende wirkte dementsprechend zu konstruiert.
Auch hätte ich mir gewünscht, dass die akademische Welt von Oxford eine größere Rolle gespielt hätte. Oxford dient eigentlich nur als Schauplatz und als Möglichkeit für die Charaktere, sich zu treffen, und deshalb hat das Buch definitiv nicht dieses dunkle akademische Gefühl, das ich mir erhofft hatte.

Alles in allem ist "Das College" ein Thriller, der seinem Namen nicht wirklich gerecht wird. Zu wenig Spannung, zu wenig Dark Academy und wenig Überraschungen sorgen für ein eher unbefriedigendes Leseerlebnis.

Bewertung vom 02.01.2023
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


weniger gut

Nacht der Naivität und der Absurdität

Der wendungsreiche, aber insgesamt wenig überzeugende Thriller "NIGHT - Nacht der Angst" von Riley Sager spielt im Jahr 1991 und handelt von Charlie, einer filmbegeisterten Studentin.
Charlie ist auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit für die sechsstündige Autofahrt in ihre Heimatstadt in Ohio, als sie Josh an der Mitfahrzentrale trifft, der in die gleiche Richtung fährt, wie sie. Als Charlie ins Auto steigt, wächst bei ihr nach und nach der Verdacht, dass Josh Baxter der "Campus-Killer" sein könnte, ein Serienmörder, der unter anderem ihre ehemalige Mitbewohnerin und Freundin Maddy kürzlich ermordet hat. Charlie fühlt sich für den Tod ihrer Freundin verantwortlich und wird von filmähnlichen Halluzinationen heimgesucht, die ihr es schwer machen, zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden. Ist Josh wirklich der "Campus-Killer" oder spielt ihr Gehirn ihr einen Streich? Was ist in der Nacht, in der Maddy ermordet wurde wirklich passiert und wird Charlie diese Autofahrt überleben?

Die Prämisse des Thrillers sprach mich zunächst an, auch konnte man dank des gut zu lesenden und spannend gehaltenen Schreibstils schnell in die Handlung eintauchen. Zudem war eine düstere und leicht klaustrophobische Atmosphäre spürbar. Doch leider verlor der Thriller nach dem vielversprechenden Beginn schnell an Spannung, die er erst wieder zum Ende hin zunahm, dafür driftete die Handlung dann ins Absurde ab, sodass aus einem mittelmäßigen Thriller ein schlechter wurde. Ich erwarte von Thrillern nicht zu viel Realismus, aber die Handlung sollte an sich schon glaubwürdig und nicht zu sehr an den Haaren herbeigezogen sein.
Anstatt auf Logik und gesunden Menschenverstand zu setzen, standen eindeutig billige Tricks im Vordergrund, um künstlich Spannung und Überraschungsmomente zu erzeugen, wie man es von schlechten Filmen kennt. Die Glaubwürdigkeit der Protagonistin durch Halluzinationen und vorheriger Medikamenteneinnahme infrage zu stellen, hat sich als Stilmittel überholt. Wenig überzeugend ist auch, dass Charlie ohne große Bedenken mit einem ihr fremden Mann sich auf eine mehrstündige Autofahrt begibt, nachdem erst kürzlich ihre beste Freundin ermordet wurde und dann das sich nicht versucht, vor Josh zu fliehen, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätte. Was die Naivität und Leichtgläubigkeit von Charlie bis dahin noch nicht geschafft hatte, schafften dann die "Twists" am Ende, um den Thriller endgültig ins Lächerliche zu ziehen, sodass man sich wie bei einer schlechten Kinovorstellung sein Geld zurückwünscht.

Bewertung vom 02.01.2023
Verschwiegen / Mörderisches Island Bd.1 (eBook, ePUB)
Ægisdóttir, Eva Björg

Verschwiegen / Mörderisches Island Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Atmosphärischer Reihenauftakt mit Potenzial nach oben

3,5/5

Elma ist nach dem Ende ihrer langjährigen Beziehung nach Arkanes zurückgekehrt, und ihr erster Fall hat es in sich. Elísabet die nach einer schlimmen Kindheit aus Arkanes geflohen ist, wird tot in einem der Leuchttürme der Stadt gefunden. Warum ist sie zurückgekommen und warum musste sie sterben?

"Verschwiegen" ist ein gut durchdachter und atmosphärischer Island-Krimi, der aus Sicht verschiedener Charaktere erzählt wird, mit zwei sich abwechselnden Zeitebenen. Die Haupthandlung spielt in der Kleinstadt Akranes Ende 2017 mit zahlreichen Rückblenden auf die Ereignisse in derselben Stadt in den Jahren 1989 bis 1992.
Mit Elma als Protagonistin bietet der Krimi auch eine unerschrockene Ermittlerin, die auch nicht vor unbequemen Fragen zurückschreckt. Sie ist entschlossen, etwas über das frühere Leben und die Geheimnisse des Mordopfers zu erfahren und Informationen von denen zu sammeln, die sie dreißig Jahre zuvor kannten.

Gut gefallen hat mir der lebendige und stimmungsvolle düstere Schreibstil, auch war der Fall an sich gut konzipiert, jedoch das Erzähltempo und der Aufbau konnten mich nicht restlos begeistern. Insgesamt kam nicht viel Spannung auf und auch die verschiedenen Perspektiven und die Rückblicke, zwar interessant besonders in Bezug auf erlittenes Trauma und dessen Folgen, waren dem Erzählfluss auf Dauer aber eher abträglich. Ich fand die Abschnitte in 2017 interessanter, und ich denke, weniger Rückblenden hätten ausgereicht.
Auch blieben mir die Charaktere seltsam fremd und ich fühlte wenig Verbindung zu ihnen.
Erst gegen Ende des Buches wird enthüllt, wie die beiden Zeitebenen zusammenhängen, jedoch werden nicht alle aufgeworfene Fragen geklärt, sodass meiner Meinung nach zu viele losen Handlungsfäden verknüpft bleiben. Das Cliffhanger-Ende soll offensichtlich Lust auf den nächsten Band in der Reihe um Elma machen, ein bisschen mehr Aufklärung hätte ich mir trotzdem gewünscht.

Alles in allem ist "Verschwiegen" ein vielversprechender Auftakt einer neuen Krimireihe aus Island mit Potenzial nach oben.

Bewertung vom 01.01.2023
Anatomy
Schwartz, Dana

Anatomy


ausgezeichnet

Ein Buch, das zu viel auf einmal sein will

Die 17-jährige Lady Hazel Sinnett aus gutem Hause möchte im frühen 19. Jahrhundert in Edinburgh Chirurgin werden, aber die Gesellschaft und ihre Familie sind nicht begeistert davon, soll sie doch ihren Cousin, den Sohn des Vicomte von Almont, heiraten. Nachdem sie sich eines Nachmittags in einen chirurgischen Kurs geschlichen hat, beschließt Hazel, dass es das Beste ist, sich als ihr verstorbener Bruder George auszugeben, um so ihr Examen als Chirurgin ablegen zu können.
Sie lernt einen Jack Currer, einen jungen Mann und Grabräuber kennen, der Leichen an die Anatomiegesellschaft verkauft, bei der sie studieren möchte. Während sich beide näherkommen, werden in der Zwischenzeit die Armen von Edinburg entführt und gegen ihren Willen an ihnen chirurgische Operationen praktiziert.

Die Inhaltsangabe von "Anatomy" von Dana Schwartz machte Lust auf eine historische Gothic-Fiction, verknüpft mit einer süßen und verbotenen Liebesgeschichte über eine junge Frau, die davon träumt, Chirurgin zu werden, und einen jungen Mann, der Leichen aus den Gräbern stiehlt, um sie an Chirurgen zu verkaufen. Aber die Romanze steht in dieser Geschichte nicht im Vordergrund. Tatsächlich spürt man erst am Ende das Gewicht der Gefühle, die Jack und Hazel füreinander haben. Und genau hier liegt eines der Probleme, die ich mit "Anatomy" hatte, den beim Lesen war ich mir nicht sicher, ob das Buch nun eine Liebesgeschichte, ein Krimi, ein historischer Gothic-Roman oder eine Coming-of-Age-Erzählung sein wollte. Es war etwas von allem, aber leider nicht auf eine gute Art und Weise. Das Tempo der Romanze war perfekt, aber es gab nicht genug davon, um in die Kategorie "Liebesgeschichte" zu fallen. Das Mysterium ist kaum ein Mysterium, es ist mehr oder weniger ein Gespräch über einige seltsame Ereignisse, alle paar Kapitel. Ich habe keine Ahnung, in welche Kategorie ich dieses Buch einordnen soll, denn das einzige Genre, in das es sich einordnen lässt, ist das Historische.
Abgesehen davon schritt auch der größte Teil der Handlung ziemlich langsam voran, um dann in einen sehr offenen Schluss überstürzt zu enden und eine übernatürliche Richtung zu nehmen, die nicht wirklich zum Rest der Geschichte passte, die eher düster und realitätsnah war. Am Ende bleiben mehr Fragen offen, als geklärt wurden.
Gut gefallen hat mir der sehr atmosphärische und flüssige Schreibstil, der einem beim Lesen direkt in das Edinburg um 1800 versetzte. Man folgt gespannt Jack bei seiner Arbeit als Grabräuber und spürt richtig die düstere Stimmung, die auf den Friedhöfen vorherrscht. Ebenso lebendig ist Hazels Weg, eine Chirurgin zu werden, beschrieben.

Insgesamt ist "Anatomy" ein Buch mit einer vielversprechenden Prämisse, deren Umsetzung mich leider nicht vollständig überzeugen konnte. Einzig der stimmungsvolle und lebendige Schreibstil konnten mich begeistern, das Erzähltempo und die Ausarbeitung einiger Handlungspunkte weisen Schwächen auf.

Bewertung vom 30.12.2022
Zeit der Sehnsucht / Die Töchter der Ärztin Bd.1
Sommerfeld, Helene

Zeit der Sehnsucht / Die Töchter der Ärztin Bd.1


gut

Leichte Kost für zwischendurch – für Fans von „Die Ärztin“

Wie der Name der Trilogie "Die Töchter der Ärztin" schon andeutet, stehen im ersten Band die beiden Töchter Henny und Antonia von Ricarda Thomasius, die manchen aus der "Die Ärztin" – Trilogie schon bekannt sein dürfte, im Mittelpunkt der Handlung.
Die beiden Schwestern könnten kaum unterschiedlicher sein, Antonia "Toni" ist im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Henny eher abenteuerlustig und hat ihren eigenen Kopf. So macht sich Toni nach Beendigung ihres Medizinstudiums auf den Weg nach Daressalam in Afrika, um dort sich auf die Suche nach ihren Wurzeln zu begeben anstatt wie von Henny erhofft mit ihr gemeinsam in Hennys Arztpraxis in Berlin-Mitte zu arbeiten.
In Afrika angekommen ist jedoch für Toni vieles anders als gedacht, so fehlen Medikamente und medizinische Ausrüstung in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet auch wird sie vom Leiter der Klinik schikaniert.
In Berlin folgt man Henny, wie sie als Ärztin in ihrer eigenen Praxis mit einem neuen Röntgenapparat ihren Weg geht und wie privat ihr Leben und das ihrer Tochter durch die Rückkehr ihres Ex-Mannes auf dem Kopf gestellt wird.
Neben den beiden Handlungssträngen der Schwestern spielt auch die Handlung um Ricarda und ihrer weiteren Familie eine Rolle, wodurch man auch einen Einblick in Zeit der Goldenen Zwanziger in Berlin bekommt.

Verschiedene Schauplätze und mal mehr oder weniger dramatische Ereignisse sorgen dafür, dass der Erzählfluss nicht ins Stocken gerät. Leider fehlt es aufgrund der Fülle an handelnden Personen und Geschehnissen der Handlung teils deutlich an Tiefe. Auch fällt außer für Toni und Henny die Darstellung der anderen, insbesondere der männlichen Charaktere etwas oberflächlich aus. Ebenso hätte ich mir manchmal auch etwas mehr Fokus auf den medizinischen Aspekt gewünscht, so liest sich besonders der Handlungsstrang rund um Toni in Afrika mehr als Abenteuerroman.
Trotz des leicht zu lesenden und bildlichen Schreibstils, der dafür sorgt, dass man schnell in die Geschichte rund um die Töchter der Ärztin Ricarda sowie deren Familie hineinfindet, konnte mich zu keinem Zeitpunkt die Geschichte so richtig in ihren Bann ziehen.
Fans von "Die Ärztin" werden bestimmt mehr Gefallen an dem Roman finden.

Bewertung vom 27.12.2022
Wehrlos
Benrath, Nora

Wehrlos


sehr gut

Wenn dein Kind verschwindet - düster und beklemmender Thriller

"Wehrlos" von Nora Benrath beschreibt den Horror aller Eltern.
Mieke ist mit ihrer Tochter Nele auf dem Spielplatz und spielt dort mit den anderen Kindern, bis sie, nachdem sie händehaltend mit einem fremden Mädchen über den Spielplatz läuft und danach spurlos verschwindet. Eine große Suchaktion der Polizei und der Bevölkerung läuft an, doch zunächst ohne eine Spur von Nele. Als eine männliche Leiche und dann später noch eine Kinderleiche gefunden wird, wird den Ermittlern klar, dass es sich bei Neles Verschwinden nicht um einen Entführungsfall handelt, sondern dass sich dahinter ein regelrechtes Netzwerk befindet. Als Mieke sich allein auf die Suche nach ihrer Tochter begibt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.


Bedingt durch das emotional Thema Kindesentführung und dem düsteren atmosphärischen und bildlichen Schreibstil herrscht von Beginn an eine bedrückende Stimmung. Definitiv keine leichte Kost.
Aus Sicht der ermittelnden Polizisten, der verzweifelten Mieke, den Entführern und auch den verschwundenen Kindern erzählt, gewinnt der Thriller an großer Emotionalität und löst beim Lesen ein beklemmendes Gefühl aus.

Von Anfang bis Ende ist der fesselnde Thriller gut konstruiert und durchdacht und durch den Bezug auf die Zurschaustellung von Kindern durch ihre Eltern auf Social-Media-Platformen thematisiert das Buch auch eine aktuelle und brisante Entwicklung.

Alles in allem ist "Wehrlos" von Nora Benrath ein fesselnder, atmosphärischer und gut geschriebener Thriller, der besonders durch sein bedrückendes Thema wirkt.

Bewertung vom 19.12.2022
Das letzte Versprechen
Lind, Hera

Das letzte Versprechen


schlecht

Ein erzählenswertes Schicksal, das eine andere Autorin verdient hätte

Weihnachten 1944 ändert sich das Leben von Anna „Anni“ Eckhardt, einer Banatdeutschen, für immer auf schreckliche Art und Weise. Sie wird von ihrer Mutter getrennt und kommt in ein jugoslawisches Kinderheim, wo großes Leid und Hunger herrschen. Ihre Mutter Amalie hingegen wird für fünf Jahre nach Sibirien in ein Arbeitslager geschickt. Während dieser Zeit kümmert sich Annis Großmutter um ihre Enkelin, wie sie es Annis Mutter versprochen hat. Als ein paar Jahre später Anni nach Deutschland kommt, werden die seelischen Wunden deutlich, die die traumatischen Erlebnisse bei ihr wie auch bei ihrer Mutter hinterlassen haben.

Diese schrecklichen Ereignisse verarbeitet mehr schlecht als recht der Tatsachenroman "Das letzte Versprechen" von Hera Lind, der auf der Lebensgeschichte von Anna Eckhardt und ihren Tagebucheinträgen basiert. Gleich zu Beginn des Buches wird jedoch darauf hingewiesen, dass das Buch keinen "Anspruch auf Faktizität erhebt" und dass eine "Verschränkung von Wahrheit und Fiktion" stattfindet. An sich ist das ja kein Problem, viele Romane, die auf wahren Lebensgeschichten beruhen, tun dies doch sollte man dann den Roman als Tatsachenroman bezeichnen? Wird so nicht eine Faktizität vorgetäuscht, die nicht vorhanden ist?
Inhaltlich kann der Roman auf dieser Ebene nämlich meiner Meinung nach nicht wirklich überzeugen, denn zu viele Ungereimtheiten bzgl. manchen Ereignissen, ein vereinfachtes Denken in bösen Partisanen bzw. russischen Soldaten auf der einen und guten Deutschen auf der anderen Seite, eine fehlende Einordnung des ganzen Geschehens in dem gesamtgeschichtlichen Kontext sowie keine weiteren Quellen außer Annas Tagebuch hinterlassen einen fragwürdigen Eindruck. Dementsprechend würde ich den Roman auch eher als historischen Roman bezeichnen, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.
Doch auch hier kann das Buch nicht überzeugen, den sprachlich und stilistisch ist es nicht wirklich gelungen. Besonders am Anfang, als die Ereignisse aus Sicht der fünfjährigen Anni erzählt werden, wird ein einfacher und kindlicher Schreibstil verwendet, der meist zu kindlich und dann zu erwachsen für eine Fünfjährige klingt. Dieser banale und sprachlich wenig ansprechende Schreibstil bleibt dann auch über das ganze Buch erhalten. Auch trieft der Roman von Kitsch und unnötiger Dramatisierung, um ja Empathie und Bestürzung gegenüber dem schweren Leben von Anni zu empfinden. Ein bisschen weniger Rührseligkeit hätte dem Roman besser getan, so würde dann auch die Geschichte authentischer und glaubhafter erscheinen.
Das i-Tüpfelchen ist aber dann aber die Autorin selbst, die selbst während der Geschichte in die Handlung einfügt und dann am Ende noch Eigenwerbung für sich selber macht, sodass ich mich am Ende Frage, ob hier die Geschichte von Anni und dem Leid der Banatdeutschen erzählt wird oder die Autorin eine erzählenswerte Geschichte für ihren eigenen Nutzen verwendet.

"Das letzte Versprechen" von Hera Lind hatte die Möglichkeit auf das Schicksal der Banatdeutschen bzw. der Donauschwaben zu Ende und nach dem 2. Weltkrieg aufmerksam zu machen, doch genutzt wurde diese Chance nicht.

Bewertung vom 19.12.2022
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


gut

Eine Party, die nicht so richtig in Schwung kommt

Der kurzweilig erzählte Krimi "Die letzte Party" von Clare Mackintosh spielt am Mirror Lake in Wales, wo jeder jeden kennt. In der Silvesternacht veranstaltete Rhys Lloyd, ehemals erfolgreicher Sänger und der nun mit seiner am See gelegenen Ferienhaussiedlung "The Shore" ziemlich erfolgreich ist, eine Party, zu der auch die walisischen Dorfbewohner eingeladen sind. Während die Dorfbewohner mit den neuen wohlhabenden Nachbarn Champagner trinken, verschwindet Rhys um Mitternacht. Später wird dann seine Leiche im eiskalten Wasser des Sees gefunden.

Wer hat ihn getötet und warum?

Ein Dorf voller Verdächtigen erwartet DC Ffion Morgan, als sie zur Untersuchung des Falles gerufen wird. Als Bewohnerin dieser kleinen Gemeinde kennt sie jeden. Die Verdächtigen sind ihre Nachbarn, Freunde und Familie, und sie selbst hat private Angelegenheiten zu verbergen. Als Ffion und ihr neuer Partner Leo Brady tiefer graben, entdecken sie, dass es in diesem winzigen Dorf viele Geheimnisse gibt und dass jeder einen Grund hatte, Rhys zu hassen.


Ein Dorf voller Geheimnisse und Verdächtigen sowie das Setting haben das Potenzial für einen spannenden und geheimnisvollen Krimi, dass jedoch nur zum Teil genutzt wird.
Die Handlung springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zwischen verschiedenen Charakteren hin und her, wobei das Hauptaugenmerk auf Ffion und Leo gelegt wird. Da, abgesehen von der linear erzählten Mordermittlung zunächst die Ereignisse rückwärts von der Silvesterparty und dann auf ihr zugehen erzählt werden, wiederholen sich manche Szenen. Der Geschichte fehlt es dadurch besonders am Anfang deutlich an Spannung. Auch dass jeder Bewohner des Dorfes oder "The Shore" eine Hintergrundstory hat, die erzählt werden muss, trägt nicht unbedingt zum Spannungsaufbau bei.
Ein paar Details weniger wären hier mehr gewesen, denn die Geschichte an sich ist nicht schlecht. Ein angenehm zu lesender Schreibstil, kurze Kapitel, gut gezeichnete Charaktere sowie eine gut durchdachte Handlung, mit der ein oder anderen Überraschung zum Ende hin sorgen für einen überzeugenden Kriminalfall. Es fehlt aber das Besondere etwas, dass einem an das Buch fesselt und einen über die Langatmigkeit hinwegsehen lässt.

Für Fans von Slow-Burn-Krimis, die nicht durch eine Vielzahl an Charakteren und Handlungssträngen abgeschreckt werden, ist "Die letzte Party" durchaus ein Versuch wert. Auch gut geeignet als leicht verdaulicher Lesestoff zum Hangover nach einer langen Silvesternacht.