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mapefue
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Kirchbichl

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Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2022
Missing Boy
Fox, Candice

Missing Boy


sehr gut

Dritter Fall für das ungewöhnlichste Ermittlerduo Australiens.

Sara Farrow macht mit ihrem achtjährigen Sohn Richie und zwei weiteren Elternpaaren Urlaub im White Caps Hotel. Sie schaut stündlich nach den vier Kindern, während die Eltern im nahen Restaurant abendessen. Bei ihrer Kontrolle um Mitternacht ist ihr Sohn Richie verschwunden. Alle Überwachungskameras des Hotels dokumentieren, dass Richie das Hotel nicht verlassen hat. Die Suche beginnt.

Die Suche nach dem Jungen ist nur eine Rahmenhandlung im wahrsten Sinn des Wortes. Vielmehr stehen im Mittelpunkt die beiden Gründer und einzigen Mitarbeiter der Conkaffy&Pharrell Detektei: Ted Conkaffy und Amanda Pharrell, beide Außenseiter mit Knasterfahrung und privaten Nackenschlägen. Und wenn einem die Mitmenschen nichts Gutes tun, dann eben Tiere, Amanda mit großer Katzenschar, Ted mit Hund und Gänsen. Sara Farrow will eben diese zwei als Ermittler in der Suche nach ihrem Sohn haben. Damit sind atmosphärische Störungen mit der örtlichen Polizei vorprogrammiert.

Amanda „mit ihrem jugendhaften Körper und dem verfilzten Köterfell auf dem Kopf. Keine Titten und einen Arsch wie zwei Eier im Taschentuch (Zitat S. 99), („No tits, an arse like two eggs in a hanky“ englischer Originaltext), von Kopf bis Fuß tätowiert. Sie ist ein Reibebaum für ihre Umgebung, hat dafür ein ausgeprägtes Sensorium für treffsichere Schlüsse bei ihren Ermittlungen. Konventionslos, panische Angst vor Kindern, steigt in kein Auto, fährt daher das von ihr restaurierte Wehrmachtsmotorrat BMW R75.

Ted, vor zwei Jahren als Unschuldiger von der Öffentlichkeit eines Verbrechens verurteilt ist in den Norden geflohen. Ehe zerbrochen und keinen Kontakt zu seiner kleinen Tochter. Als Expolizist ist er für die hiesige Polizei ein Unmensch, doch er kennt ihre Methoden.

Candice Fox weiß wie sie ihre Leser auch mit dem dritten Teil fesseln kann. Die Spannung ist spürbar, die Krokodile in den Mangroven zu Greifen nahe. Geschickte Winkelzüge geben dem Leser immer wieder neue Rätsel, ich hätte nie und nimmer das gleichen Showdown erwartet. Ein echter Pageturner, nur leider endet die Story von Amanda&Ted.

Jeder Band ist einzeln zu lesen, alle drei zusammen versprechen dreifachen Lesegenuss.

Für eine Verfilmung kann ich mir Amanda nur Rooney Mara als Lisbeth Salander in Verblendung (Originaltitel: The Girl with the Dragon Tattoo) vorstellen.

Bewertung vom 28.01.2022
Die Aufdrängung
Koch, Ariane

Die Aufdrängung


sehr gut

Im schmalen, 177 Seiten umfassenden Debütroman der Schweizer Autorin Ariane Koch erzählt eine namenlose Frau von ihrem Leben mit DEM Gast, den sie zufällig am Bahnsteig trifft und einlädt, in ihrem Haus zu wohnen. In einer schweizerischen Kleinstadt nahe dem Elsass im Schatten eines großen Berges, der einer Pyramide ähnelt. Den zu besteigen sich nicht lohnte, denn die Landschaft "ist schön, aber dumpf, ist schön, aber dumm". "Ich bin das allerälteste Fossil und hasse diese Kleinstadt so sehr, dass ich mich an ihr rächen werde, indem ich nie wirklich von hier weggehe, auch wenn ich ständig so tue, als ginge ich weg."
Sie fühlt sich in diesem Haus als Statthalterin ihrer verachteten Familie, nichts fürchtet sie mehr als deren Auftauchen und Anspruch Erhebung einerseits und sitzt auf Umzugskartons, jedoch unfähig das Haus zu verlassen andrerseits.
„Vielleicht sollte ich ihnen sagen, dass sie Unmenschen sind und sich schämen sollten, ihre luxuriösen und unangebrachten Gelüste zugunsten ihrer kinderartigen Verdoppelung anzumelden, denke ich auf dem Sofa, mich genüsslich ausstreckend.“ (s. S. 50)

Der Gast liegt auf dem Bett, zieht langsam den Reißverschluss seines Schlafsackes auf, im Unterhemd - und nicht viel mehr. „Lieber lege ich mich in die Küche, wo Minusgrade herrschen, als zum nackten Gast, dessen potentielle Nachkommen ich nicht auszubrüten gedenke.“ (s. S. 54)

Auf die gleiche Weise wie die Aspekte-Jury ihre Entscheidung der Preisverleihung an Ariane Koch begründet hat, zieht sich diese wie ein roter Faden durch den Roman. „Dieses hochdiffizile Sprachbild ergebe erst überhaupt keinen und dann sehr viel Sinn.“

Am Ende fragt sich die Erzählerin an einem Ort der Extreme, ‚ob sie eine Person der Extreme sei, oder ob es erstrebenswert wäre, eine Person der Extreme zu werden.‘

Bizarr die Geschichte, ungewöhnlich der Schreibstil. Wenn der richtige Schauspieler (denn nur diese KÖNNEN richtig lesen) den Roman liest, stellen sich beim Zuhörer die Nackenhaare auf.

Ariane Koch, geboren 1988 in Basel, studierte u. a. Bildende Kunst und Interdisziplinarität. Sie schreibt – auch in Kollaboration – Theater- und Performancetexte, Hörspiele und Prosa. Die entstandenen Texte wurden vielfach aufgeführt und ausgezeichnet.
Koch hat für "Die Aufdrängung" 2021 den Aspekte-Literaturpreis des ZDF erhalten.

Bewertung vom 20.01.2022
Eingeholt / Atlee Pine Bd.3
Baldacci, David

Eingeholt / Atlee Pine Bd.3


sehr gut

Die Rahmenbedingungen sind die gleichen wie in den beiden Vorläuferthrillern. FBI Special Agent Atlee Pine ist nach wie vor auf der Suche nach ihrer Schwester Mercy. Vor dreißig Jahren wurden sie und ihre Zwillingsschwester zu Hause überfallen, Atlee bewusstlos geschlagen und Mercy entführt und seitdem spurlos verschwunden. Hartnäckig verfolgt sie eine heiße Spur in New Jersey. Sie hat sich von ihrem FBI-Vorgesetzten eine Auszeit für die Suche geben lassen. Hat quasi ihr Büro in Arizona aufgelöst und ihre 60jährige Assistentin Carol Blum mitgenommen. Atlees obsessive Suche.

„Der Weg zu Mercy war lang und verschlungen, an manchen Tagen schien Pine das Ziel so unerreichbar wie der Mond.“ (S. 13)

Ein Bekannter darf nicht fehlen: John Puller, Spezialermittler der Militärpolizei. Er ist nahe daran ein kriminelles Netzwerk auszuheben, von dem er noch nicht die gesamte Dimension erahnt.

Auf den ersten Blick hat die Such von Atlee nach ihrer Schwester nichts mit den Ermittlungen Pullers zu tun, doch überraschender Weise ergeben sich Verbindungen zwischen ihren beiden Fällen.

Am Beginn scheint es eine vergnügliche unkomplizierte Reise der drei zu werden, doch bald fallen Schüsse und es gibt reihenweise Tote. Das Bemerkenswerte daran ist, dass die Ermittlungen von Puller von allen Seiten boykottiert werden. Wenn das einen Ermittler nicht stutzig macht und besonders anspornt.

Baldaccis literarisches Herz hängt an Atlee, einer kompromisslosen FBI-Agentin, die mit offenem Visier kämpft und der selbst die fiesesten Killer und korrupten Politker nicht gewachsen sind. Unbezwingbar, denn sie wird noch im vierten Band gebraucht. Den Gegenpol stellt die „mütterliche“ Carol Blum dar, sie könnte vom Alter fast die Mutter von Atlee, 36 Jahre alt, sein. Den männlichen Part spielt John Puller, ein smarter Typ, das Backup für Atlee, es scheint nur ganz leicht zwischen den beiden zu knistern.

Baldacci ist routiniert genug, um zu wissen was seine Leser lesen wollen, und er bekommt millionenfach recht. Der Thriller ist keine literarische Offenbarung, jedoch in der Thriller Szene steht Baldacci weit oben. Die Spannung steigt stetig an, der Leser hat verschiedene Vermutungen, die alle über den Haufen geworfen werden. Ein Pageturner, trotz über 500 Seiten. So ist das bei Baldacci.

Und jetzt warten wir auf das (bittere/versöhnliche/überraschende) Ende, beziehungsweise auf das Zusammentreffen von Atlee und Mercy. Baldacci hat sich sicher etwas Besonderes einfallen lassen.

Der Abschluss der Erfolgsserie um FBI-Ermittlerin Atlee Pine ABGERECHNET erscheint am 23. Mai 2022.

Bewertung vom 10.01.2022
Das dunkle Herz von Palma
Kallentoft, Mons

Das dunkle Herz von Palma


ausgezeichnet

Für Tim Blanck ist das Verschwinden seiner damals 16jährigen Tochter Emme DAS Trauma. Seit fünf Jahren - solange sucht er vergebens. Doch er glaubt nicht an ihren Tod. Sie lebt? Inzwischen ist er Vater einer Tochter Aina geworden. Doch wieder verlässt Blanck Schweden und kehrt zurück nach Palma. Es gibt Anzeichen, dass er sich getäuscht hat, dass Emme noch am Leben ist.

Tim, der „verrückte“ Schwede, der unablässig nach seiner Tochter sucht, ist vielen auf Palma bekannt und nicht alle meinen es gut mit ihm und bemitleiden ihn. Sein psychischer Ausnahmezustand lässt ihn zum Spielball, sowohl der mallorquinischen Polizei, als auch der bulgarischen Verbrecherclique werden. Aber diesmal scheint es kein Zurück zu geben, denn gerade die Mafia bietet ihm neue Hinweise an und verlangt dafür eine Gegenleistung von Tim, die ihn zwischen die Fronten der organisierten Kriminalität geraten lässt. Eine atemlose Jagd beginnt, denn Tim muss nicht nur Emme finden, sondern auch brutalen Mafiabanden entkommen, die es auf ihn und seine Familie abgesehen haben.

Hat sich Tims Leben auf eine endlose Reihe von Verlusten reduziert?

Kallentofts Schreibstil ist eigen, ruht nie, lässt dem Leser keine Zeit zum Durchatmen, eine Geschichte, die den Leser psychisch an seine Schmerzgrenze bringt. Ein herausragendes Charakteristikum sind die verschiedenen Perspektivenwechsel: Abwechseln „flüstert“ ihm seine Frau Rebecka und seine Tochter Emme zu. Das Zeitkontinuum wird durchbrochen, so wie in Tims Gedanken Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft vermischt werden.

Kein Buch der Belletristik im Sinne von „schöner“ Literatur, sondern ein Roman, der weniger von der kriminalistischen Handlung lebt, dafür aber ungeheure Empathie beim Leser erzeugt. Tim Blanck, ein moderner Don Quijote.

Der schwedische Originalitel „Hör mig viska“, zu deutsch „Hör mich flüstern“ beschreibt treffender den selbstzerstörerischen Trieb des Vaters, seine Tochter zu finden als „Das dunkle Herz von Palma“.

Bewertung vom 25.12.2021
Spiel mit dem Feuer / Ralf Parceval Bd.3
Landow, Chris

Spiel mit dem Feuer / Ralf Parceval Bd.3


weniger gut

Parceval zum Dritten.
Ja ja, ist schon klar; es geht um seine Schwester Birgit und Nichte Miray. Sie sind vermisst – wurden wahrscheinlich vom IS in Afghanistan verschleppt. Er will sich mit dem Gouverneur Majib „unterhalten“, in dessen Provinz Parceval die beiden Frauen vermutet.

Die Elbphilharmonie in Hamburg wird während eines Konzerts von Duzenden IS-Kriegern, eigentlich alles Terroristen überfallen. Der OberIS Walau, richtig ein Deutscher, stellt Forderungen und lässt ein paar Geiseln töten. Nicht gerechnet hat er mit Parceval, der sich „zufällig“ in der Elbphilharmonie aufhält. „Olympus has fallen“ hatte Landow dabei sicher im Kopf.

Dramaturgie routiniert aufgebaut, rasanter, recht einfacher Schreibstil. Plattitüden gefällig: „Die Würfel sind gefallen, die Dinge waren in Bewegung“, „…das Beste aus Allem machen.“

Das einzig bemerkenswerte ist der ambivalente Charakter von Parceval. Auf der einen Seite trägt er die Einkaufstaschen von alten Damen und auf der anderen Seite eiskalter Killer.

Das Gegenteil von hochwertiger Thriller Literatur ist die Domäne des Autors. Das ist nicht negativ gemeint. Wo immer es Käufer/Leser gibt, sind solche Bücher gerechtfertigt.

Parceval 4 wartet bereits auf seine Leser.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.12.2021
Crossroads / Ein Schlüssel zu allen Mythologien Bd.1
Franzen, Jonathan

Crossroads / Ein Schlüssel zu allen Mythologien Bd.1


ausgezeichnet

CROSSROADS? Eine kirchliche Jugendgruppe, typisch amerikanisch, rund 120 Mitglieder mit vollem Erlebnisprogramm. Und seinen vertrauensbildenden Übungen, dem ganzen Gerede über persönliches Wachstum und mit den heuchlerischen Umarmungszeremonien - „Es tut so verdammt gut“-, jeder liebt jeden, jeder sagt jedem die Wahrheit. Alle sind Engel? Nein, die Teufel werden erst später erkannt. Elvis Presleys „The devil in disguise“ könnte von Crossroads das musikalische Leitmotiv sein:
You look like an angel
Walk like an angel
Talk like an angel
But I got wise
You're the devil in disguise
Oh yes you are
The devil in disguise

Der Leiter, Rick Ambrose, ein Kerl mit strähnigem Haar und glitzernd schwarzem Fu-Man-Chu-Schnauzbart, den Russ aus tiefem Herzen hasst. Perry und Becky sind bei Crossroads.

Franzes orchestriert grandios und gnadenlos das Leben der Pastorenfamile Hildebrandt. Daß es eine Familie mit einem Priester als Oberhaupt sein muss ist nur die Spitze seiner zynischen Ironie. Der Großteil des Romans spielt im Advent, mit Höhepunkt zu Weihnachten und zu Ostern. Die Mitglieder der Familie sind derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie die Welt um sich herum kaum wahrnehmen. Alle, nicht alle wollen Gott gefallen und beten zu ihm, aber bessere Menschen werden sie nicht. Die Familie ist ein Scherbenhaufen. Es ist kein Hoch Lied auf die Familie, sondern er legt ihre strukturellen Probleme offen.

CROSSROADS ist der Auftakt zu einer geplanten, etwas großspurig betitelten Trilogie „Ein Schlüssel zu allen Mythologien“.

Das genussvolles Lesevergnügen beinhaltet auch spirituelle Erfahrungen, denen man sich nicht entziehen kann. Für mich das Highlight des Jahres.

Die Fotografie auf dem Buchumschlag ist ein privates Foto von Franzen und ein Hinweis auf seine frühere Mitgliedschaft in der Jugendgruppe Fellowship.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.11.2021
Der Kinderflüsterer
North, Alex

Der Kinderflüsterer


gut

„Wenn die Tür halb offensteht, ein Flüstern zu dir rüber weht“…

DI Pete Willis, Gefangener in seiner Vergangenheit und Gegenwart, ein zwanzig Jahre vermisstes Kind konnte er nicht finden, jetzt kämpft er mit seinem Polizeijob, Alleinsein und Alkoholproblem: „…so eine Flasche geöffnet hatte, trotzdem konnte er sich noch gut an das tröstliche Klack erinnern, als er den Deckel aufgeschraubt und das Siegel aufgebrochen hatte.“

Tom mit Sohn Jake ziehen in ein neues Haus. Steven King lässt grüßen: „…er macht mich nervös. Mein empfindsamer Sohn, der schlafwandelte und eingebildete Freunde hatte, der mit Leuten sprach, die gar nicht da waren, die ihm Abzählreime vorsagten und versuchten, ihm Angst einzujagen…“

Bis zur Hälfte eine Vater-Sohn-Geschichte, bei der ich mich fragen muss, hat er noch alle emotionalen Tassen im Schrank. Na klar, seine Rebecca gibt es nicht mehr, dann soll er sich halt von Karen küssen lassen. Küssen hat er sich lassen, offenbleibt ob er ihren Kuss erwidert hat. Für mich zu viel Gesülze.

Ab der Hälfte nimmt der Krimi Fahrt auf. Das Ende lässt mich völlig unbefriedigt zurück.

Bewertung vom 19.11.2021
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
Zhang, C Pam

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold


sehr gut

Was macht ein Zuhause zum Zuhause?

Wer die ersten hundert Seiten geschafft hat, liest weiter, die anderen haben das Buch früher beiseitegelegt.

Die chinesisch-amerikanische Schriftstellerin C Pam Zhangs erzählt mit ihrem teilautobiographischen Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ von der Geschichte einer chinesischen Einwandererfamilie auf Goldsuche in Amerika Mitte des 19. JH.

Es ist die Geschichte von zwei Geschwistern, der zwölfjährigen, schlauen Lucy und der elfjährigen, trotzigen Sam (eigentlich Samantha), die aus ihrer Hütte, einem ehemaligen Hühnerstall fliehen und sich auf die Suche nach einem Zuhause und einer geeigneten Begräbnisstelle für ihren verstorbenen Vater Ba begeben. Ihre Mutter Ma, eine chinesische Immigrantin, ist schon ein paar Jahre tot. Mit Nellie, einem dem Lehrer gestohlenen Pferd und der Leiche des Vaters in einer Kiste begeben sie sich auf eine abenteuerliche Reise durch die Weiten Kaliforniens. Ohne „Wild Wild West“-Romantik.

In einer Rückblende wird das Leben drei Jahre zuvor, als die Mutter noch bei ihnen war, als Lucy noch zur Schule ging und Sam als Bub getarnt mit dem Vater in das Kohlenbergwerk ging, aufgerollt. Als chinesische Immigranten – obwohl nur Mutter Ma aus China stammt, Vater und Kinder sind in Amerika geboren – haben sie es schwerer als andere Bergarbeiterfamilien, ihr Leben in der engen Hütte ist geprägt von Entbehrungen.

In einer dritten Ebene erzählt Lucy von der Zeit, da sie in Sweetwater eine neue Heimat gefunden hat. Die rebellische Sam ist nicht mehr da, irgendwann ist sie Lucy abhandengekommen, weil sie einen anderen Weg eingeschlagen hatte.

Im letzten Teil werden Sam und Lucy bewusst, dass nur noch die Indianer unter ihnen „geschichtet“ sind.

Die Geschichte der Chinesen im US-amerikanischen Westen der Pionierjahre ist aus dem kollektiven Gedächtnis der USA weitgehend ausgeklammert. Der vergessenen Präsenz der Migranten aus China, die für den Bau der ersten interkontinentalen Eisenbahnstrecke schufteten setzt Zhang im weißgewaschenen Wilden Westen ein literarisches Denkmal.

Der Roman hat es auf Barack Obamas Leseliste geschafft, sicher nicht auf die aus Trumps Kosmos.

Bewertung vom 11.11.2021
Vor Gericht / Kriminaldirektor a.D. Manz Bd.2
Wittekindt, Matthias

Vor Gericht / Kriminaldirektor a.D. Manz Bd.2


sehr gut

Matthias Wittekindts Roman "Vor Gericht". Ein alter Kriminalfall für Kriminaldirektor A. D. Stephan Manz, der sich plötzlich genauer an die weit zurückliegenden Ereignisse erinnern kann, als er sie je erlebt hat. Er begreift erst spät, worum es wirklich geht.

Es könnte nicht schöner sein, sein Leben in der Pension. Bald fünfzig Jahre mit Christine verheiratet, kümmert sich um die Enkelkinder, rudert auf der Elbe mit seinen Mitsiebzigern und plant den nächsten Kajak-Urlaub in Norwegen.

Doch diese Idylle wird jäh gestört durch einen Brief der Staatsanwaltschaft Berlin: Manz soll vor Gericht aussagen. Es geht um eine Mordermittlung aus dem Jahr 1990, also vor fast dreißig Jahren, seinen letzten Fall in Berlin, den er nicht mehr abschließen konnte, weil er nach Dresden versetzt wurde. Wenige Tage vor Weihnachten war damals die 62-jährige Regina Zeisig im Neuköllner Ortsteil Buckow erwürgt worden. Im Kriminalgericht Moabit findet der Prozess mit dem Angeklagten statt. Zu Manz Überraschung sitzt ausgerechnet derjenige auf der Anklagebank, den Vera und er damals als einzigen ausgeschlossen hatten: Milan.

Der Kriminalroman ist in zwei Teile gegliedert: „Recherche“ und „Vor Gericht“. Im ersten arbeitet Manz sich in den alten Fall ein, liest die Akten noch einmal, die ihm ein Freund und ehemaliger Kollegen überlässt. Im zweiten wird es spannender, weil alle wissen wollen: Wer ist den nun der wirkliche Mörder?

Bewertung vom 09.11.2021
Das Haydn-Pentagramm
Reicher, Anria

Das Haydn-Pentagramm


ausgezeichnet

Nach vier Jahren Autorinnenarbeit ist das Haydn Pentagramm fertig.
Worum geht's?

Es geht ganz viel um Musik, um Liebe, Romantik, um die junge erfolgreiche Cellistin Estrella Pérez, die im Flugzeug den Literaturnobelpreisträger Manuel Maria Gomez kennenlernt, der ihr einen Umschlag gibt, mit der Bitte, auf diesen gut aufzupassen. Auf dem Weg vom Flughafen nach Wien kommt Estrella allerdings der Inhalt des Umschlags – offenbar ein Original-Notenblatt Haydns von unschätzbarem Wert – unter seltsamen Umständen abhanden. Und noch während sie in Wien (und später auch in Eisenstadt) mit ihrem Jugendfreund Peter (ja, eine Love-Story gibt es auch) auf die Suche nach dem wertvollen Notenblatt geht, wird Gomez in Mexiko-City in seiner Wohnung ermordet. Geheime alte Notenskizzen, Verschwörungen, die Freimaurer und Morde, blutiges Pentagramm inklusive. Und natürlich geht's um Joseph Haydn, den Komponisten.

Haydn, die Freimaurer, die Illuminaten und die Orphiker – für jeden was dabei.

Estrella, dieses kleine zierliche schreckhafte Mädchen und so schüchtern. Sie lächelte Peter zaghafte an und griff nach seiner Hand. Schließlich hatte er vor drei Jahren seinen Kopf zwischen ihren Beinen. Oh qué dulce. „Bitte Peter, nimm mich in den Arm“ und er war in ihr Bett gestiegen… Am liebsten hätte sie Peter beiseite genommen, um über die vergangene Nacht zu sprechen, aber sie traute sich nicht; oh, wie scheu sie ist.
Die Schilderung der Protagonistin, diese Gratwanderung, sie einerseits als hochbegabte junge Frau, als Musikerin von Weltklasse zu beschreiben, die andererseits aber eine zutiefst unsichere Persönlichkeit ist, die mit ihren eigenen Dämonen, ihren Ticks und ihrer eigenen Vergangenheit zu kämpfen hat.

In Mexiko-City ermittelt Comisario Ramírez mit seinem Team im Mordfall Gomez. Ihn beschleicht das Gefühl, dass dort ein Maulwurf sein Unwesen treibt. Ein Gringo vom CIA macht ihm das Leben schwer. „Überall lugen lose Enden hervor, und er hatte keine Ahnung, wie und wo er weiter machen sollte,“ Comisario Ramírez (S. 192).

Die Burgenländerin Anria Reicher hat ihr Romandebüt im Musik-Kosmos angesiedelt. Über Haydn und die Lücken bzw. Mythen seiner Vita weiß Anria Reicher dank ihres Vaters nämlich bestens Bescheid. Ihr Vater Walter Reicher, war 30 Jahre lang Intendant der Haydn-Festspiele im österreichischen Eisenstadt/Burgenland. Anria Reichers Verbindung zu Haydn begann in frühester Jugend; mit sieben Jahren trat sie als Statistin in einer Haydn-Oper auf. „Geschichten Ende nie, die man alle gar nicht in einem einzigen Buch unterbringen kann.“ Weshalb Anria Reicher auch eine Trilogie plant und bereits am zweiten Teil schreibt.

Das Cover stellt die Wiener Kirche Maria vom Siege, einen neugotischen Backsteinkuppelbau dar. Ursprünglich eine römisch-katholische Pfarrkirche wurde sie 2015 der koptisch-orthodoxen Kirche geschenkt.