Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
bookloving
Wohnort: 
Munich

Bewertungen

Insgesamt 321 Bewertungen
Bewertung vom 13.05.2023
In blaukalter Tiefe
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


ausgezeichnet

*Ein fesselnder Segeltörn ins Ungewisse*
Nach ihrem Spiegel-Bestseller „Unter Wasser Nacht“ hat die deutsche Autorin Kristina Hauff mit „In blaukalter Tiefe“ erneut einen höchst fesselnden Spannungsroman vorgelegt.
Hierin nimmt sie uns mit auf einen Segeltörn in die wildromantischen schwedischen Schären mit fünf Protagonisten wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten. Was als ein unbeschwerter Traumurlaub beginnt, der frischen Wind in ihre Ehekrise und schleichende Entfremdung bringen soll, gerät langsam außer Kontrolle und endet schließlich in einem Alptraum.
Mit diesem typischen „closed-room-Szenario“ hat die Autorin das ideale Setting für einen zwar nicht neuen, aber vielversprechenden Plot gewählt, das natürlich aufgrund ungewohnter Nähe und fehlender Rückzugsmöglichkeiten großes Konfliktpotential in sich birgt und dramatische Zuspitzungen befürchten lässt.
Erzählerisch hat mich dieser Roman mit seinem ansprechenden, eindringlichen Schreibstil und insbesondere den atmosphärisch dichten, bildgewaltigen Beschreibungen der Landschaft und Naturgewalten sehr begeistern können.
Bereits mit dem einführenden Erzählstrang werden geschickt ungute Vorahnungen geweckt. Die Autorin versteht es hervorragend, uns mit spannenden Wendungen zu überraschen und die von Beginn an schwelende, unheilvolle Stimmung stetig zu verdichten.
Erzählt wird die Geschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven der vier Protagonisten – Caroline, Andreas, Daniel und Tanja, so dass wir eindrückliche Einblicke in ihre Gedankenwelt, Emotionen und inneren Abgründe erhalten und mehr über. ihre Hintergrundgeschichten erfahren.
Die raschen Perspektivwechsel und die Gegenüberstellung der so unterschiedlichen Charaktere sorgen für einen kontinuierlichen Spannungsaufbau. Gebannt verfolgt man Geschehnissen an Bord der Segelyacht - den zunehmenden Animositäten und sich allmählich zuspitzenden Konflikten, die zwangsläufig auf eine Katastrophe hinauslaufen.
Während die verschiedenen Charaktere anfangs noch die von ihnen erwarteten Rollen spielen, bekommt die künstlich aufrecht erhaltene perfekte Fassade immer mehr Risse, Beziehungen werden infrage gestellt bis schließlich alle Masken fallen und sich jeder – an seine absoluten Grenzen getrieben - in einem psychischen Ausnahmezustand befindet. Hauff ist es hervorragend gelungen, die faszinierende, sich immer weiter verselbständigende Gruppendynamik, die dramatischen psychologischen Entwicklungen und verhängnisvollen Verwicklungen an Bord der „Querelle“ einzufangen.
Auf geniale Weise spiegelt Hauff die explosive Atmosphäre und eskalierenden Machtspielchen während des Segeltörns in den zunehmend aufgeladenen Naturgewalten, und lässt das Ganze schließlich in dem bedrohlichen Aufziehen eines Sturmtiefs kumulieren. Die Autorin zeichnet ein sehr eindrucksvolles und überaus glaubhaftes Psychogramm ihrer Figuren. Ob nun der wortkarge, undurchschaubare Skipper Eric, die distanzierte, karriereorientierte, selbstbewusste Caroline, die von ihrem Mann entfremdet ist und einen Neuanfang sucht, ihr geltungssüchtiger, erfolgsverwöhnter Mann Andreas, oder der ehrgeizige, opportunistische Daniel, der sich als Anwaltskollege von Andreas Hoffnungen auf eine Partnerschaft in der Kanzlei ausrechnet bis schließlich zu seiner bodenständigen, empathischen und unsicheren Freundin Tanja, die sich als schwarzes Schaf völlig deplatziert fühlt – sie alle sind sehr stimmig und tiefgründig ausgearbeitet. Auch wenn sie kaum Sympathien bei mir weckten, habe ich ihre Handlungen angesichts der herausfordernden Krise mit großem Interesse verfolgt und nachvollziehen können.

FAZIT
Ein sehr atmosphärischer und eindringlich erzählter Spannungsroman – mit differenzierten, feinfühligen Charakterstudien, einer mitreißenden Dynamik und eindrucksvollen Natur- und Landschaftsbeschreibungen und!

Bewertung vom 13.05.2023
Roxy
Bülow, Johann von

Roxy


sehr gut

*Faszinierende Rückblicke*
In seinem Roman „Roxy“ erzählt der deutsche Schauspieler und Debüt-Autor Johann von Bülow eine fesselnde Geschichte über das wahre Leben in all seinen Facetten, über prägende Freundschaften, Schicksal und Zufälle, die bisweilen bedeutsame Entscheidungen im Leben leiten.
Im Mittelpunkt der feinfühlig und zumindest anfangs sehr humorvoll erzählten Geschichte steht die besondere, hochkomplexe Freundschaft zwischen dem etwas zurückhaltenden Protagonisten Marc und seinem stets provokant und selbstbewusst auftretenden Kumpel Roy.
Zugleich nimmt von Bülow uns mit auf eine faszinierende Zeitreise in die 1980er und frühen 90er Jahre, die so manchen von uns in eigenen Erinnerungen schwelgen lässt. Er versteht es hervorragend, das damalige Zeitkolorit, das Lebensgefühl jener Zeit und die Befindlichkeiten der jungen Generation sehr stimmungsvoll und treffend einzufangen.
Der Autor versteht es, Stimmungen und Bilder mit viel Feingespür zu schildern und bisweilen regelrecht filmreife Szenen vor unserem inneren Auge heraufzubeschwören.
Während sich Marc zu Beginn des Romans auf dem Weg zur Beerdigung seines einst besten Jugendfreundes Roy befindet, blickt er zurück auf ihre gemeinsame wilde Zeit und auf unvergessliche Erlebnisse, die ihre Freundschaft so einzigartig machten. Ein gelungener, unheilvoller Einstieg, der mich auf Anhieb gefangen genommen hat, möchte man doch ergründen, welche Hintergründe Roys früher Tod hat und was zum Zerwürfnis der beiden beigetragen haben mag.
Der Autor beschreibt in vielen eher assoziativen Rückblenden das Kennenlernen der Freunde, ihre gemeinsame Schulzeit, Parties und Urlaube, aber auch ihre langsame Entfremdung, als sie nach dem Abitur eigene Wege beschreiten, bis hin zur zarten Liebesgeschichte zur faszinierenden Carolin.
Die facettenreich angelegten Figuren wirken mit ihren Ecken und Kanten sehr lebensnah und lebendig und sorgen mit ihren Eigenheiten für so manche Überraschung. Eindrucksvoll ist Roy als ein charismatischer, selbstgefälliger und recht widersprüchlicher Charakter dargestellt, der mit seinem Zynismus, Aggressionspotential und seiner Haltlosigkeit seine Freunde oft verschreckt. Der Sohn aus reichem Hause, dem eigentlich die Welt zu Füßen liegen könnte und sich dennoch als Grenzgänger fühlt und mit dem Leben zu kämpfen hat. Geradezu blass und unsicher wirkt demgegenüber der grundsolide, oft zu zögerliche Marc, der sich häufig im Wege steht und dem es dennoch gelingt, seinen Weg zu gehen, aus der Enge auszubrechen und seinen Traum zu verwirklichen. In verschiedenen Episoden erfahren wir viel über ihre unterschiedlichen Charaktere, Lebenseinstellungen und ihre Suche nach Anerkennung und Liebe.
Von Bülow skizziert das Psychogramm zweier interessanter Charaktere und lässt uns hautnah teilhaben an der unglaublich lebendigen Dynamik ihrer Freundschaft mit all ihren Höhen und Tiefen, die dennoch irgendwann in die Brüche geht. So erzählt er über ihre Rivalität, den stetigen Reibungspunkten, den tiefen Vertrauen zueinander, blindem Verstehen, ihrer Symbiose und ihrer gemeinsamen Entwicklung.
Zugleich reflektiert Marc aber auch sein eigenes Leben, wird auf seine eigenen schmerzvollen Erfahrungen, Fehlentscheidungen und herben Enttäuschungen zurückgeworfen und muss sich letztlich seinen Ängsten vor Scheitern, Zurückweisung und letztlich dem Sterben stellen.
Insgesamt hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Autor seine Geschichte deutlich mehr verdichtet und insbesondere die leider etwas vage bleibende Dreiecks-Geschichte um Caroline früher und mehr auf den Punkt gebracht hätte. Ihre vielversprechende Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte wurde leider nur angerissen und blieb mir größtenteils viel zu nebulös.
Trotz aller Leichtigkeit im Schreibstil stimmt der Roman mit seinen tiefgründigen Passagen nachdenklich. So beginnt man über das eigene Leben nachzudenken, über leichtfertig vergebene Chancen im Leben und in der Liebe, über ein unerklärliches Auseinanderleben oder auch über kostbare Freundschaften, die aus banalen Gründen zerbrochen sind, - über das, was wirklich zählt.

FAZIT
Ein faszinierender Roman über das Leben und besondere Freundschaften.
Schade, dass einige fesselnde Aspekte der Geschichte nicht mehr in den Fokus gerückt wurden!

Bewertung vom 13.05.2023
Samuels Buch
Finzi, Samuel

Samuels Buch


ausgezeichnet

*Faszinierende Autobiografie*
Mit seinem literarischen Debüt »Samuels Buch« hat der bekannte Schauspieler und gefeierte Bühnenstar Samuel Finzi, der eine beeindruckende Filmografie und erstaunliche Schauspiel-Karriere vorzuweisen hat, einen faszinierenden autobiografischen Roman vorgelegt, der mich bestens unterhalten hat.
Im Mittelpunkt steht die humorvoll erzählte Coming of age-Geschichte und bewegte Lebensgeschichte des in den 1970er-Jahren in Bulgarien geborenen Finzi, der im sozialistisch geprägten Bulgarien als Sohn eines berühmten Schauspielers und einer erfolgreichen Pianistin in einer erstaunlich unkonventionellen, etwas exzentrischen Künstlerfamilie aufwuchs.
Samuel Finzi erweist sich als ein höchst talentierter Geschichtenerzähler, der die facettenreichen Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend nicht nur amüsant und spannend, sondern auch berührend und nachdenklich stimmend in Szene zu setzen versteht. Die nicht chronologische, wundervoll assoziative Erzählweise und sein lebendiger Schreibstil haben mir auf Anhieb gefallen. Gekonnt lässt er Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen und beleuchtet in verschiedenen Episoden nicht nur höchst aufschlussreiche Einsichten und Details über sein altes Heimatland Bulgarien sondern gibt uns auch fesselnde Einblicke in die unterschiedlichen Einflüsse, die sein Leben nachhaltig geprägt haben. Hervorragend gelingt es ihm, die besondere damalige Atmosphäre, die ernüchternden Einschränkungen und alltäglichen Absurditäten „im Land der unendlichen Unmöglichkeiten“ einzufangen sowie die Licht- und Schattenseiten für einen im sozialistischen System aufwachsenden Jungen heraus zu arbeiten. Trotz einer gewissen Offenheit und Liberalität erwachen in ihm eine ausgeprägte Sehnsucht nach Freiheit und der unbändige Drang, dieser Enge zu entfliehen. In den geschilderten Erlebnissen und bisweilen skurrilen Geschichten nimmt uns Finzi mit auf eine faszinierende Zeitreise und lässt uns an seinen spannenden Lebenserinnerungen teilhaben. Gekonnt lässt Finzi uns an familiären Aufregungen, nachhaltig prägenden Erlebnissen und sehr witzigen Anekdoten aus seiner Jugend teilhaben. In verschiedensten Episoden gewährt er uns einen humorvollen, tiefgründigen und bisweilen auch überraschenden Blick auf sein hochinteressantes Familienleben. Uns begegnet ein Panoptikum höchst unterschiedlicher, bemerkenswerter wie auch liebenswerter Menschen, zudem wir erfahren , wie es ihm schließlich gelungen ist, seine Heimat zu verlassen, 1989 nach der Wende zunächst nach Paris und dann nach Berlin zu ziehen, um dort schon bald die großen Theaterbühnen zu erobern. Schade, dass das Buch mit dem Beginn seiner großen Karriere in Deutschland endet, denn gerne hätte ich noch mehr über seinen weiteren Werdegang erfahren.

FAZIT
Ein humorvoll und unterhaltsam erzählter Roman – eine faszinierende Zusammenstellung von autobiografischen Episoden aus dem bewegten, hochinteressanten Leben des sympathischen Schauspielers Samuel Finzi!

Bewertung vom 30.04.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


ausgezeichnet

*Ein sehr beeindruckender Roman*
In ihrem neuen Roman „Sibir“ widmet sich die deutsche Autorin Sabrina Janesch einem wenig bekannten, vergessenen Kapitel deutsch-russischer Geschichte.
Hunderttausende deutschstämmige Zivilisten aus den Ostgebieten wurden 1945 nach Ende des 2. Weltkriegs von der Sowjetarmee in die kasachische Steppe nach Sibirien verschleppt. Viele von ihnen durften erst 1955 gemeinsam mit den Kriegsgefangenen aus den Gulags nach Deutschland heimkehren.
Zugleich spürt Janesch ihrer eigenen Familiengeschichte nach, denn das Schicksal der Deportation nach Sibirien ist auch ihrem Vater und seiner Familie widerfahren. Nach ihrer Heimkehr nach Deutschland blieben die Aussiedler in ihrem eigenen Land Fremde, gehörten nie wirklich dazu und wurden als „Russen“ ausgegrenzt.
So finden sich in ihrer sehr bewegenden, teilweise fiktiven Familiengeschichte, die sich über mehrere Generationen erstreckt, auch viele autobiografische Bezüge und aufschlussreiche Elemente ihres eigenen Erlebens.
Mitreißend und bildgewaltig erzählt Sabrina Janesch in ihrem vielschichtigen Roman die Geschichte zweier Kindheiten, einmal die des jungen Josef Ambacher in Zentralasien nach dem Zweiten Weltkrieg und zum anderen die seiner Tochter Leila, die viele Jahre später in den 90ger Jahren in Norddeutschland mit diesem „Anderssein“ aufwächst. Dabei verwebt sie diese beiden Erzählebenen virtuos miteinander, lässt die Geschichten ineinanderfließen und beleuchtet anschaulich ihre Parallelen.
Gekonnt stimmt uns Janesch in ihrer einfühlsam und eindringlich geschilderten Rahmenhandlung in die Ausgangslage ein, die mich mit ihrer Intensität rasch in ihren Bann gezogen hat.
Dem plötzlich vor sich hinsprechenden Vater der Protagonistin und Ich-Erzählerin Leila wird die Diagnose Demenz gestellt. Offenbar hat Josef mit den Stimmen der Vergangenheit von einem entlegenen Ort in der kasachischen Steppe zu kämpfen. Quälende Erinnerungen an bedrückende Geschehnisse und verdrängte Schuldgefühle brechen hervor, während andere Erinnerungen in einem zähen Nebel auf immer ins Vergessen zu entgleiten drohen. Leila beschließt, die alten Geschichten ihres Vaters aufzuschreiben und ihre Leerstellen zu rekonstruieren, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Zugleich versucht sie dieses wichtige „Erbe“ ihres Vaters an sie festzuhalten und dem Ganzen ihre eigene Stimme entgegen zu setzen.
Man spürt beim Lesen sehr deutlich die vielfältigen persönlichen Bezüge der Autorin zum Thema und Verbundenheit zu ihrer Familie.
Auf den meisterlich komponierten Erzählebenen gewährt uns Janesch Einblicke in ein bewegendes Familienschicksal, das auch die Nachfahren nachhaltig geprägt hat. Zugleich erzählt sie eindrücklich über Verdrängen, über Generationen weitergereichte Traumata, über die Suche nach Heimat und die Bedeutung des Miteinanderredens. Durch einen Wechsel der Handlungsstränge und den verschiedenen Schauplätzen wird der Spannungsbogen allmählich immer mehr gesteigert.
Hervorragend gelungen ist der Autorin auch die einfühlsame, vielschichtige Zeichung ihrer faszinierenden Charaktere, die sehr authentisch und lebendig wirken.
Mich persönlich haben vor allem die Schilderungen des Überlebenskampfs in der unwirtlichen Steppe und des unvorstellbar harten Alltagslebens der verschleppten Zivilgefangenen in Kasachstan beeindruckt. Sehr gelungen sind auch die Einblicke in die nomadische Kultur und die beeindruckenden Schilderungen der Wildnis und der Naturgewalten.

FAZIT
Eine äußerst bewegende Familiengeschichte und ein faszinierender Roman über ein wenig bekanntes Kapitel deutsch-russischer Geschichte – grandios komponiert und eindrucksvoll erzählt!
Ein absolutes Lesehighlight!

Bewertung vom 29.04.2023
Homefarming: Das Kochbuch
Rakers, Judith

Homefarming: Das Kochbuch


ausgezeichnet

*Saisonales Kochbuch mit tollen Inspirationen*
Nach ihrem inspirierenden Bestseller „Homefarming – Selbstversorgung ohne grünen Daumen“ gibt es nun von der bekannten deutschen Nachrichten-Sprecherin und Talkshow-Moderatorin Judith Rakers ein neues, dazu passendes Buch mit dem Titel „Homefarming: das Kochbuch. Mit der eigenen Ernte durch das ganze Jahr“.
Während sich das erste Buch an alle Neulinge ohne grünen Daumen und alle Interessierten ohne großes Selbstversorger-Knowhow richtete und mit anfängergerechten Tipps und unterhaltsamen Erfahrungsberichten vielen als Inspiration zum Homefarming diente, möchte die sympathische Autorin in ihrem neuen Buch die Themen Gemüseanbau und Kochen mit eigenen Lebensmitteln aus dem Selbstversorgergarten miteinander verbinden. Ein sehr vielversprechendes Konzept!
Heraus gekommen ist dabei also ein abwechslungsreiches Kochbuch, das uns durch das gesamte Garten-Jahr begleitet - mit einfachen, schnell umsetzbaren Rezeptideen zum frisch Kochen und Haltbarmachen des in den jeweiligen Monaten erntereifen Gemüses und Obstes. Zugleich ist es aber auch ein bisschen Gartenbuch, denn in jedem Monat gibt es passende Informationen und Tipps zu Aussaat, Anbau und Ernte von Obst und Gemüse aus dem eigenen, nachhaltigen Garten oder vom Balkon in übersichtlicher Kurzfassung. Sehr ausführlich sind die jedem Monat dem Rezeptteil vorangestellten Gartentipps allerdings nicht. Wer also mehr anfängergerechte Hinweise und ausführlicheres Praxiswissen braucht, der muss auf das informative Buch Homefarming zurückgreifen.
Insgesamt rund 100 Lieblingsrezepte mit jeweils saisonalem Bezug hat Rakers für uns zusammengestellt, darunter befinden sich auch einige ihrer Freunde und Familie. Die leckeren Gerichte von süß, über herzhaft bis deftig sind vor allem vegetarisch und für Anfänger leicht umsetzbar. Kochprofis dürften hier eher weniger fündig werden. Von Smoothies, Aufstrichen, Suppen und Salaten bis hin zu Pasta, Aufläufen, Desserts und leckeren Ideen für die Vorratshaltung - hier ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Etwas schade finde ich allerdings, dass hier auch Gemüse wie beispielsweise Spargel und Blumenkohl/Brokkoli verwendet wird, das sicherlich nicht jeder Selbstversorger im Garten anbauen wird.
Die monatlichen Rezeptteile sind übersichtlich und abwechslungsreich gestaltet. Die Rezepte sind in der Regel für 2 Personen ausgelegt und haben eine übersichtliche Zutatenliste vorangestellt. Die durchnummerierten Zubereitungsbeschreibungen sind Schritt für Schritt aufgebaut, knapp aber verständlich beschrieben und setzen kaum Vorkenntnisse voraus. Angaben zu Zubereitungszeiten oder den Nährwerten pro Portion fehlen. Zu einigen Rezepten gibt es farblich hervorgehoben, weitere Anregungen oder Vorschläge für Abwandlungsmöglichkeiten. Leider gibt es nicht zu jedem Rezept ein schönes appetitanregendes Foto des zubereiteten Gerichts, was ich schon als großes Manko betrachte.
In vier toll aufbereiteten Jahreszeiten-Reportagen, hat sich Rakers pro Jahreszeit mit echten Profis getroffen, die ihren individuellen Beitrag mit interessanten Interviews zum Kennenlernen, gemeinsamen Kochen und sehr kreativen Homefarming-Gerichten beigesteuert haben. Mit von der Partie waren Sterne-Koch Ralf Haug in Binz, die Kräuterfachwirtin und Unkrautgourmet Marion Putensen aus der Lüneburger Heide, Zweisterne-Koch und TV-Star Alexander Herrmann in Nürnberg sowie Spitzenkoch Marianus von Hörsten auf seinem Demeter-Hof in der Lüneburger Heide. Diese eingeschobenen, sympathischen Portraits haben mir sehr gut gefallen, auch wenn einige Rezeptvorschläge zwar wundervoll anzusehen, aber schon sehr außergewöhnlich und eigentlich zu aufwendig in der Zubereitung sind. Ein absolutes Highlight war für mich das innovative Sommermenü von Marion Putensen, deren sehr fantasievolle und farbenfrohe Kreationen mit Wildgemüse ich gerne ausprobieren möchte!
Das Buch wurde insgesamt sehr ansprechend und liebevoll zusammengestellt. Die vielen stimmungsvollen Farbfotos und gelungenen Schnappschüsse mit schönen Impressionen von Rakers idyllischem Homefarmingparadies, die vor allem von dem genialen Fotografen Frank von Wieding sowie von Patrik Lipke aufgenommen wurden sind eine richtige Augenweide und illustrieren die gut verständlichen, flott und unterhaltsam verfassten Texte perfekt. Dank der tatkräftigen Unterstützung des Hamburger Foodstylisten Marcel Stut sind auch die Kochresultate stets optisch ansprechend präsentiert.

Mit ihrem inspirierenden Buch ist es Rakers erneut hervorragend gelungen, uns ihre Freude am Homefarming und Kochen mit Lebensmitteln aus eigenem Anbau zu vermitteln. Gerne lässt man sich beim Durchblättern inspirieren und möchte am liebsten selbst gleich loslegen. Auch die ansprechende optische Gestaltung des gebundenen Buchs mit farbigen Info-Kästen, übersichtlichen Tabellen sowie liebevollen Illustrationen ist sehr gelungen.
Abgerundet wird das Buch mit einem alphabetischen Register und einem Extra Gastrezepte-Register sowie einer kurzen Danksagung.

Bewertung vom 09.04.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

*Hochinteressanter autobiografischer Roman*
Bei dem neuen Roman „Das glückliche Geheimnis" des mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichneten österreichischen Schriftstellers Arno Geiger handelt es sich um ein autobiografisches Werk, in dem er sehr persönliche, bemerkenswert ehrliche und höchst aufschlussreiche Einblicke in sein Leben gibt.
Hierin blickt er auf sein nunmehr 25jähriges, bewegtes Schriftstellerleben zurück und offenbart uns hierin ein Geheimnis, das er jahrzehntelang beinahe schamvoll geheim gehalten hat, obwohl es ihn anfangs als junger Autor quasi über Wasser gehalten, inspiriert, körperlich ertüchtigt und oftmals richtig glücklich gemacht hat. Eindringlich, selbstironisch und mit erfrischender Offenheit berichtet er uns über sein „schmutziges Montagsgewerbe", seine große Leidenschaft und sein erstaunliches Doppelleben. „Hier das Leben als öffentliche Person. Dort das Leben als Lumpensammler in den Straßen Wiens. Meine neue Normalität.“
Seine Touren führten ihn zu den Altpapiercontainern Wiens, um das, was andere für Wertlos hielten und wegwarfen, zu retten und dem Vergessen zu entreißen. Seine Sammlung von Büchern, Briefkonvoluten, Tagebüchern und Postkarten wurde eine Ressource seiner Arbeit und hat sein eigenes Werk nachhaltig beeinflusst. Äußerst spannend ist es zu erfahren, wie aus den weggeworfenen Fundstücken, insbesondere Lebensberichten völlig fremder Menschen, neue Einsichten erlangen, kreative Anregungen für neue Geschichten herausziehen konnte und dieses Material in seine Werke einfließen ließ.
„Meine künstlerische Entwicklung wurde nicht nur von Weltliteratur vorangetrieben, sondern ganz wesentlich auch von Abfall, von Hingeschmiertem und Verworfenem.“
In seinen Rückblicken gewährt uns der Autor sehr persönliche Einblicke in sein Privatleben, seine chaotische Liebesbeziehungen aber auch seinen spannenden schriftstellerischen Werdegang, der keineswegs einfach war. So lässt er uns Anteil nehmen an seinen erfolglosen Anfängen als Schriftsteller, seinen Selbstzweifeln und Existenzängsten, bis hin zu seinen ersten Erfolgen.
Gekonnt lässt er ebenfalls aufschlussreiches Hintergrundwissen über seine früheren Romane in seine Geschichte einfließen, was mich sehr neugierig auf seine früheren Romane gemacht hat.
FAZIT
Ein hochinteressanter autobiografischer Roman, in dem der Autor nicht nur über sein bisher geheimes Leben erzählt, sondern uns auch spannende Einblicke in seine Werke gibt – unterhaltsam, selbstironisch und sehr persönlich!

Bewertung vom 02.04.2023
Florentia - Im Glanz der Medici
Martin, Noah

Florentia - Im Glanz der Medici


ausgezeichnet

*Farbenprächtiger historischer Roman*
Nach ihrem großartigen Debüt „Raffael - Das Lächeln der Madonna“ hat die deutsche unter dem Pseudonym Noah Martin schreibende Kunsthistorikerin, Verlagslektorin und Autorin mit „Florentia – Im Glanz der Medici“ einen neuen fesselnden Roman vorgelegt.
Gekonnt nimmt uns Martin auf eine Reise in die schillernde Zeit der Renaissance in Italien, die zugleich durch grausame Eroberungskriege, Intrigen, Korruption und Mordkomplotte gekennzeichnet war. Diese kulturhistorisch faszinierende Epoche, in deren Blütezeit unzählige einzigartige Kunstwerke, Bauwerke und bedeutende Gemälde geschaffen wurden, war auch eine Epoche des steten Wandels, die auch normalen Bürgern gesellschaftlichen Aufstieg und beachtlichen Wohlstand bescherte.
Dank des lebendigen Schreibstils tauchen wir rasch in die glanzvolle Kulisse des opulenten Florenz der Medici ein und erleben eine mitreißend erzählte, wendungsreiche Geschichte um erbitterte Machtkämpfe, ein skrupelloses Komplott und eine beinahe aussichtslose Liebesgeschichte.
In Anlehnung an historische Quellen entwirft Martin ein äußerst prächtiges und glaubhaftes Bild jener Zeit, in der viele Männer aber auch Frauen Großes geleistet haben. So erhalten wir neben anschaulich vermittelten kunsthistorischen Details und sorgfältig recherchierten historischen Fakten auch aufschlussreiche Einblicke in die komplexen politischen Verwicklungen, das damalige Alltagsleben sowie die alltäglichen Ängste, Sorgen und Nöte der Menschen.
Die Autorin hat die aus verschiedenen Perspektiven erzählte Handlung über eine Zeitspanne von 10 Jahren angelegt, in die zahlreiche spannende Hintergrundgeschichten eingewoben sind.
Im Mittelpunkt des Romans steht die berühmte Familie de Medici in Florenz, die als Bankiersfamilie ein erfolgreiches Familienunternehmen leiteten und über lange Zeit ihre Machtstellung in der Stadtrepublik bewahren und stärken konnten. Mit Lorenzo, dem Prächtigen lernen wie das wohl berühmteste Mitglied der Medici besser kennen, der sich mit großem Ehrgeiz, seiner Begabung als genialen Politiker und Opferbereitschaft den Bankgeschäften widmete. Hautnah sind wir dabei, wie die Familie immer wieder gegen die vielen Intrigen, politischen Widerstände und drohende Kriege anzukämpfen hat, um die Vorherrschaft in der Signoria zu halten. Anschaulich widmet sich die Autorin dem engen, vertrauensvollen, aber nicht immer harmonischen Verhältnis zwischen Lorenzo und seinem jüngeren Bruder Giuliano. Sehr fesselnd ist es aus einer weiteren Perspektive mitzuerleben, wie die Pazzis als zweitmächtigste Familie von Florenz und erbitterte Widersacher der Medici geschickt Zwietracht säen und ein undurchsichtiges Netz an Intrigen spinnen, mit dem Ziel, die Medici durch einen hinterlistigen Komplott endgültig zu stürzen und die Macht an sich zu reißen.
In einem weiteren Handlungsstrang lernen wir als eine weitere historische Persönlichkeit die ehrgeizige junge Fioretta Gorini kennen, die als Tochter des Medici-Leibarztes im Haushalt der Familie aufwächst und sich vorgenommen hat, Malerin zu werden. Ihre heimliche Liebe zum jungen Giuliano Medici steht aufgrund der Standesunterschiede allerdings unter keinem guten Stern. Fioretta, über die in den Geschichtsbüchern leider wenig überliefert ist, steht stellvertretend für viele bedeutende Künstlerinnen der Renaissance, deren Leistungen hinter dem Ruhm ihrer männlichen Künstlerkollegen kaum gewürdigt und meist völlig in Vergessenheit gerieten. Des Weiteren spielen in der Geschichte mit Leonardo da Vinci und Sandro Botticelli auch die beiden berühmten Schüler von Andrea Verrocchio eine wichtige Rolle, die damals als junge Künstler noch am Anfang ihrer Karriere standen. Äußerst spannend ist es dem jungen Leonardo zu begegnen, der seinen Weg in der Kunst aber auch in der Liebe noch nicht gefunden hat. Besonders gut haben mir die Passagen gefallen, in denen wir die Erstellung von Kunstwerken wie beispielsweise einiger bekannter Gemälde miterleben und sehr anschaulich künstlerische Stilmittel erläutert bekommen.
Im Laufe der vielschichtigen Handlung begegnen wir vielen fiktiven Figuren und bekannten historisch verbürgten Persönlichkeiten. Die zahlreichen Charaktere sind allesamt mit ihren Stärken und Schwächen vielschichtig ausgearbeitet und wirken sehr authentisch. Wie Martin in ihrem interessanten Nachwort erläutert, hat sie sich weitgehend an die übermittelten historischen Fakten gehalten, hat aber sich auch einige künstlerische Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Geschichte und der Figuren genommen.
Geschickt verknüpft die Autorin die verschiedenen Handlungsfäden zu einer hochspannenden Geschichte, die schließlich in einem dramatischen Finale gipfelt.

FAZIT
Ein beeindruckender, fesselnder historischer Roman über die Medici in Florenz zu Zeiten der Renaissance – eine facettenreiche, unterhaltsame und äußerst lehrreiche Geschichte, mitreißend erzählt und hervorragend recherchiert. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 29.03.2023
Frankie
Köhlmeier, Michael

Frankie


sehr gut

*Faszinierende Coming-of-age-Geschichte*
Der vielfach ausgezeichnete Autor Michael Köhlmeier erzählt in seinem neuen Roman „Frankie“ die faszinierende Coming-of-age Geschichte eines Teenagers, dessen Leben durch die Haftentlassung seines zwielichtigen Großvaters zunehmend aus den Fugen gerät und eine rasante, sehr unerwartete Entwicklung nimmt.
Ein tiefgründiger wie unterhaltsamer Roman voller Scharfsinn, skurrilem Charme und überraschender Twists, gewürzt mit einem höchst abenteuerlichen Roadtrip, einem unvergesslichen Enkel-Großvater-Duo und jeder Menge krimineller Energie. Aber auch eine etwas sperrige Geschichte, auf die man sich einlassen muss, insbesondere, da vieles ganz wie im richtigen Leben im Vagen und bis zum Ende Unausgesprochen bleibt.
Köhlmeier hat mit Frank und seinem Großvater zwei ganz wundervolle, sehr lebendige Charaktere mit vielen Ecken und Kanten geschaffen – zwei Antihelden jeder auf seine ganz spezielle Art. Mit prägnanten Sätzen, kurzen, flotten Dialogen und etlichen Wiederholungen sowie einprägsamen filmreifen Szenen entwickelt diese ungewöhnliche Geschichte einen ganz eigenen, unverwechselbaren Sound!
Geschildert wird die Handlung aus der Ich-Perspektive des liebenswerten 14jährigen Teenagers Frank, der trotz seiner scharfen Beobachtungsgabe anfänglich eine bemerkenswert naive Sicht auf die Dinge hat. Gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter führt ein ziemlich ereignisloses, höchst angepasstes Leben als Außenseiter. Frank ist schulisch keine große Leuchte, viel allein und sich selbst überlassen. Es fällt nicht schwer sich in die Gedankenwelt des Teenagers hineinzuversetzen, der sich damit arrangiert hat, dass es viele unausgesprochene Geheimnisse und Leerstellen in ihrem Leben gibt, die er besser bei seiner Mutter nicht anspricht.
Köhlmeier ist es hervorragend gelungen, einzufangen, wie sich zwischen den beiden eine bemerkenswerte, höchst volatile Dynamik entwickelt. Während Frank sich seinem distanzierten, herrischen aber zugleich charismatischen Großvater allmählich annähert, zaghaft versucht, mehr über die rätselhaft-finstere Vergangenheit dieser Schwerverbrechers herauszubekommen, erliegt er unausweichlich der fatalen Faszination für das Andersartige, Bedrohliche und Dunkle, das diesen alten Mann umgibt. Gespannt verfolgt man, wie die Emotionen zwischen Neugier, Anziehung, Zuneigung, Respekt, Abscheu und Ekel hin und herpendeln und sich zu kleinen Machtspielchen immer weiter hochschaukeln. Im Umgang mit seinem undurchsichtigen Opa macht Frankie nicht nur positive Erfahrungen, so dass schließlich bei ihm eine unaufhaltsame Entwicklung in Gang gesetzt wird, die ihn so manches hinterfragen, plötzlich rebellieren lässt und in einem heilsamen Befreiungsschlag mündet. Mit höchst skurrilen Wendungen, einer unerwarteten Eskalation der Ereignisse und einem abrupten, ungewissen Ausgang verabschieden wir Frank auf seinem außergewöhnlichen Weg zum Erwachsenwerden.
Erstaunt, überwältigt, nachdenklich und etwas unbefriedigt wegen der vielen offenen Fragen bleiben wir am Ende zurück und dürfen uns den Fortgang von Franks Geschichte und die fehlenden Hintergründe und Antworten selbst ausdenken.

FAZIT
Eine faszinierende, tiefgründige Coming-of-age Geschichte, die zum Nachdenken über familiären Zusammenhalt, ungute Geheimnisse und das Erwachsenwerden anregt.
Nicht nur für Jugendliche lesenswert!

Bewertung vom 29.03.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


ausgezeichnet

*Beeindruckendes Romandebüt*
In seinem eindrucksvollen, sehr bewegenden Roman „Gleißendes Licht“ widmet sich der deutsch-türkisch-armenische Komponist, Gitarrist und Debütautor Marc Sinan den schwierigen Themenkomplexen von Tätern und Opfern, von Verfolgung und dem Völkermord an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Bemühungen zur Aufarbeitung dieses Unrechts.
Hierin erzählt er eine facettenreiche wie tragische Familiengeschichte, die deutlich autobiografische Züge trägt, wie wir dem äußerst kurzen Nachwort entnehmen können.
Sinan beleuchtet in Schlaglichtern die ethnisch-kulturelle Vielfalt der Türkei, die Geschichte des türkischen und armenischen Volks und lässt zudem mythologische Erzählungen einfließen. Zugleich spürt er dem Schicksal und den Traumata seiner persönlichen Familiengeschichte nach, die unbewusst auch das Leben der nachfolgenden Generationen nachhaltig beeinflussten.
Im Mittelpunkt der vielschichtigen Handlung steht der erfolgreiche Berliner Musiker Kaan mit deutsch-türkisch-armenischen Wurzeln, der aufgrund einer Identitätskrise beginnt, die Geschichte seiner türkischen Familie anhand seiner verdrängten Erinnerungen zu rekonstruieren. Ähnlich wie sein musikalisch hochtalentierter Protagonist wuchs der Mitte der 1970er-Jahre geborene Autor in einer bayerischen Kleinstadt auf, gefördert und angetrieben von seiner extrem ehrgeizigen türkischen Mutter avancierte er schließlich zu einem gefragten klassischen Gitarristen und widmet sich vorrangig seiner Karriere als Musiker.
Sinan hat seine Geschichte nicht-chronologisch auf verschiedensten Zeitebenen mit vielen Zeitsprüngen angelegt. Mit seinem kraftvollen, poetischen Schreibstil zieht der Autor uns bald in seinen Bann.
Aus der Perspektive des Protagonisten Kaan erzählt er aufschlussreiche Episoden aus dessen Kindheit, Jugend und lässt uns an seiner bewegten Familiengeschichte teilhaben. In Rückblenden springt er von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit zum türkischen Großvater Hüseyin und seiner armenischen Großmutter Vahide und gibt uns zugleich bedrückende Einblicke in die Hintergründe des 100 Jahre zurückliegenden Genozids und der Verfolgung des armenischen Volkes.
Nach und nach fügen sich die vielen Fragmente der tragischen Geschichte seiner Großmutter zusammen und offenbaren die in der Vergangenheit erlittenen Traumata. Bis heute wird das Leben des Protagonisten durch das konsequente Schweigen darüber unbewusst beeinträchtigt und geprägt. Immer wieder verwebt der Autor die Motive von Schmerz und Anklage, von Schuld, Vergeltung und Rachegedanken eindrücklich in seine Handlung. Auch mythologische Geschichten und aufwühlende Traum-Sequenzen setzen brillante Akzente und spiegeln die teilweise unergründlichen gedanklichen Assoziationen des Helden wider, der mir mit seinem recht egomanischen Auftreten leider bis zum Ende hin nicht sonderlich sympathisch war.
Marc Sinan hat seinen beeindruckenden Roman als eine hochkomplexe, bildgewaltige Komposition angelegt, die mit verschiedenen wiederkehrenden Motiven, subtilen Anspielungen und surrealer Sequenzen in ihrer Vielschichtigkeit nicht immer leicht zu erfassen und zu verstehen ist.

FAZIT
Ein bewegendes, sehr vielschichtiges Porträt einer traumatisierten Familie, bei der die Auswirkungen des Völkermordes an den Armeniern bis heute nachwirken!
Zugleich ist der beeindruckend erzählte Roman eine Verneigung vor den Opfern des Völkermords und eine bittere Anklage der bis heute ungesühnten Verbrechen.

Bewertung vom 28.03.2023
Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1
Werrelmann, Lioba

Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1


sehr gut

*Unterhaltsamer Krimiauftakt mit viel Lokalkolorit*
Mit ihrem unterhaltsamen Krimi-Auftakt „Tod in Siebenbürgen“ hat die deutsche Autorin Lioba Werrelmann einen interessanten ersten Band zu ihrer neuen Krimi-Reihe vorgelegt, die im faszinierenden, sagenumwobenen Siebenbürgen in Rumänien angesiedelt ist.
Im Mittelpunkt steht der erfolgreiche deutsche Investigativjournalist Paul Schwartzmüller, der aufgrund der Erbschaft seiner kürzlich verstorbenen Tante in sein Heimatdorf in Siebenbürgen zurückkehrt, von wo er mit seinem Vater vor 35 Jahren geflohen war. Kaum dort angekommen, überschlagen sich die Ereignisse als sich ein mysteriöser Mordfall in der Folterkammer auf dem berühmt-berüchtigten Dracula-Schloss Bran ereignet. Nach der Verhaftung seines ehemals besten Freunds Sorin und nun vermeintlich Tatverdächtigen beschließt Paul auf eigene Faust Ermittlungen auf zunehmen. Auf viel Unterstützung durch die örtliche Polizei kann er nicht setzen und zudem muss er erkennen, dass hinter der Fassade des harmonischen dörflichen Zusammenlebens etliche sorgsam verborgene Geheimnisse und Abgründe lauern. Doch statt sich voller Elan den Nachforschungen zu widmen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und seinen Freund zu entlasten, wird er von seinen Kindheitserinnerungen und den Schatten seiner längst verdrängten Familiengeschichte eingeholt. Von seinem nächtlichen Schlafwandeln und übermäßigem Alkoholkonsum erschöpft erleben wir Paul bei seinen Nachforschungen eher kraft- und planlos und von seiner untrüglichen Spürnase und journalistischer Finesse ist erstaunlich wenig übriggeblieben.
Gekonnt werden wir in das faszinierende Siebenbürgen entführt, das neben einer wechselvollen Geschichte auch spannende Traditionen sowie eine interessante regionale Küche mit vielen kulinarischen Köstlichkeiten zu bieten hat. Die tollen Landschaftbeschreibungen, Schilderungen des beschaulichen, bisweilen skurrilen Dorflebens, in dem auch der Aberglauben noch fest verankert ist, und eingestreuten Hintergrundinformationen zu Land und Leuten sorgen für ein tolles Lokalkolorit. Geschickt lässt die Autorin in ihre Handlung auch aufschussreiche Einblicke in das Treiben der unrühmlichen Ceaucescu-Diktatur einfließen. Man merkt deutlich, dass die Autorin sorgsam recherchiert hat und die Gegend und lokale Mentalität der Siebenbürger Sachsen hervorragend kennt.
Mit ihrem lebendigen, anschaulichen Schreibstil versteht es Werrelmann, die Handlung abwechslungsreich und unterhaltsam zu gestalten. Hervorragend hat mir insbesondere das sehr mystische Flair und die unheimliche Atmosphäre gefallen, die die Autorin bisweilen heraufbeschwört. Wobei mir einige sich stets wiederholende Passagen aber dann doch etwas zuviel des Guten waren.
Die zahlreichen Figuren, darunter auch der etwas verpeilte, sympathische Protagonist Paul sind entsprechend ihrer Rolle facettenreich und lebendig ausgearbeitet. Die ausgiebigen Einblicke in ihr Privatleben, ihre Vergangenheit und persönlichen Probleme sorgen dafür, dass wir die verschiedenen Charaktere gut kennnenlernen. Gerne würde ich vor allem mehr über die mysteriöse Maia mit ihren Heilkräuterkenntnissen und die clevere Tzigane Pasomori erfahren, die für mich ein Highlight der Geschichte waren. Durch den Fokus auf die Figuren gerät der eigentliche, zum Miträseln bestens geeignete Kriminalfall allerdings etwas ins Hintertreffen.
Auch wenn die Geschichte zum Ende hin immer mehr an Fahrt aufnimmt, hätte ich mir insgesamt etwas mehr Spannungsmomente gewünscht. Nach einigen unerwarteten Wendungen zieht der Spannungsbogen schließlich deutlich an und gipfelt in einem sehr packenden Showdown. Die für mich überraschende Auflösung des Mordfalls ist in sich schlüssig und nachvollziehbar.
Ich bin auf die Fortsetzung der Reihe gespannt und hoffe allerdings nur, dass Paul etwas mehr bei der Sache ist, nachdem er sich nun seiner Vergangenheit gestellt hat.

FAZIT
Ein unterhaltsamer Krimi-Auftakt im pittoresken Siebenbürgen - mit einem stimmungsvollen Setting, viel Lokalkolorit und mystischem Flair sowie sehr interessanten Charakteren.
Ein unterhaltsamer Regionalkrimi, der uns in ein faszinierendes, noch wenig bekanntes Urlaubsland entführt!