Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Aischa

Bewertungen

Insgesamt 517 Bewertungen
Bewertung vom 16.05.2023
°C - Celsius
Elsberg, Marc

°C - Celsius


weniger gut

Aus dieser Idee hätte ein brandaktueller und hochspannender Wissenschaftsthriller werden können, eine atemraubende Cli-Fi-Dystopie. ("Climate Fiction" in Analogie zur Science Fiction.) Elsberg schafft ein bedrohliches und dennoch erschreckend realistisch wirkendes Zukunftsszenario: Dem menschengemachten Klimawandel bietet sogenanntes Geoengineering Einhalt. Durch großflächiges Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre gelangt weniger Sonneneinstrahlung auf die Erde und die Durchschnittstemperatur sinkt mittelfristig. Schnell entbrennt ein Machtkampf darum, derart am Thermostat des Planeten drehen zu können.

Der Plot bietet spannende Verfolgungsjagden, ironische Seitenhiebe auf ineffektive Geheimdienste und den zahnlosen Tiger UNO. Der Autor hat seine Hausaufgaben gemacht und fundiert recherchiert, der wissenschaftliche Hintergrund ist plausibel und auch für Laien bestens verständlich. Aber leider hat es Elsberg trotzdem gehörig vergeigt. Er führt eine ganze Armada an Figuren auf, manche tauchen nur auf, um wenige Absätze später mit viel Effekthascherei zu sterben. Die Szenen wechseln so temporeich wie in einem Musikvideo, und bei 142 (!) Kapiteln auf 608 Seiten, zahlreichen Zeitsprüngen, die als solche oft nur im Nachhinein zu erkennen sind sowie eingebetteten irrealen Sequenzen ist unglücklicherweise vor allem, in der zweiten Hälfte des Romans kein roter Faden mehr erkennbar. Was als anspruchsvolle Dramaturgie gedacht sein mag, schießt völlig übers Ziel hinaus und gerät zu einer chaotischen Erzählung, die nur noch wenig Lesegenuss bietet.

Bewertung vom 16.05.2023
Böse Absichten
Higashino, Keigo

Böse Absichten


ausgezeichnet

Der japanische Bestsellerautor Keigo Higashino geht in diesem Kriminalroman einen ungewöhnlichen Weg: Er lässt seine Leserinnen und Leser bereits nach wenigen Kapiteln wissen, wer den Mord begangen hat. Nun könnte man meinen, dass dadurch die Spannung dahin ist, aber weit gefehlt. Denn die große Frage, die sich nun stellt, ist - neben dem genauen Tathergang - diejenige nach dem Motiv des Täters. Dieser Krimi ist also kein klassischer Whodunit, sondern man könnte ihn als "Why-done-he?" bezeichnen.

Higashinos Stil ist sachlich-nüchtern und doch fesselnd, nicht zuletzt durch geschickte Wechsel der Erzählperspektive. Alternierend lesen wir Berichte des Täters und des ermittelnden Komissars Kaga, gegen Ende des Romans auch Niederschriften von Zeug*innenaussagen.

Ich habe diesen Krimi regelrecht verschlungen, bis zum letzten Kapitel begeistert eigene Theorien entwickelt und auch wieder verworfen. Erfreulicherweise sind in der Reihe um Inspektor Kaga zehn Bände erschienen; bedauerlicherweise wurde bislang jedoch neben "Böse Absichten" nur ein weiterer ins Deutsche übersetzt.

Ich vergebe überzeugte fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung für Liebhaber japanischer Krimis und mache mich in Kürze an die Lektüre des Folgebands.

Bewertung vom 10.05.2023
10.000 Schritte in München
Demetriou, Synthia;Röckl, Tobias

10.000 Schritte in München


gut

Eine Stadt zu Fuß zu erkunden ist für mich eine der besten Methoden, Neues zu entdecken und auch Altbekanntes aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Das Autorenduo betreibt eine Agentur für Stadtführungen, und das ließ mich auf reichlich Ungewöhnliches und Unbekanntes hoffen, obwohl ich knapp zwanzig Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt gelebt habe. Demetriou und Röckl stellen 15 höchst unterschiedliche Touren vor. Es geht durch Parks, Gewerbegebiete und Wohnviertel, zu Touristenhotspots oder ins weniger bekannte Umland. Viel Abwechslung also, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Jeder Spaziergang dauert (ohne Pausen) rund zwei Stunden, und sowohl Start- als auch Endpunkt sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar.

Jede Tour wird kurz und prägnant charakterisiert, und kleine Balkendiagramme lassen auf einen Blick erkennen, ob man mehr in der Stadt oder in der Natur unterwegs ist, mit welchem Lärmpegel man rechnen muss, ob der Weg auch mit Buggy zu bewältigen ist und ob ausreichend Gastronomie vorhanden ist oder man sich besser selbst verpflegen sollte. Wirklich großartig sind die zahlreichen Farbfotos, die große Lust machen, sich umgehend "auf Schusters Rappen" zu begeben. Ein weiterer Pluspunkt sind ausgewählte "Top 5"-Sehenswürdigkeiten mit kurzen Hintergrundinfos am Ende jeder Route. Und als zusätzliches Schmankerl gibt es für alle Touren GPS-Tracks als kostenlose Downloads.

Dies ist an sich ein praktischer Vorteil; wer allerdings analog unterwegs ist, wird schnell vor Herausforderungen gestellt. Zwar ist jede Tour auf einer entsprechenden Karte eingezeichnet. Diese ist jedoch in so kleinem Maßstab abgebildet, dass sie nur einen sehr groben Überblick gibt und nicht als Wegweiser geeignet ist. Und auch die Texte sind leider manchmal derart ungenau, dass ohne Ortskenntnis sich verlaufen vorprogrammiert ist. (Zitat aus Tour 7: "... und schlendern dann so lange, bis uns wieder ein Gefühl der Verirrung beschleicht.") Auf Vor- und Nachsatz der praktischen Klappenbroschur ist in Übersichtskarten die Lage der Routen eingezeichnet. Allerdings fehlen auch hier jegliche Orientierungspunkte wie Hauptbahnhof, Stadtteile o.ä., so dass man schon sehr vertraut mit der Isarmetropole sein muss, um sich hier zurecht zu finden. Außerdem wären etwas mehr praktische Tipps zu Tickets, Öffnungszeiten etc. schön gewesen.

Bewertung vom 08.05.2023
Eva
Keßler, Verena

Eva


sehr gut

Dieses Buch punktet in erster Linie durch seine vier Protagonistinnen, die - auf unterschiedliche Weise - mit ihrer Rolle als Mutter zu kämpfen haben, hadern, daran verzweifeln oder ohne Kinder leben wollen oder müssen.

Mir hat die intelligente Konstruktion des Plots sehr gefallen, anspruchsvoll, aber nicht überfordernd. Die Leben der Figuren sind mal eng verflochten, mal berühren sie sich nur kurz. Die Perspektivwechsel bringen Erstaunliches zu Tage und sorgen für Überraschungsmomente. Auf der Höhe der Zeit ist die Geschichte auch dadurch, dass sie der Mutterschaft ihren glorifizierenden Heiligenschein nimmt und dass sie zeigt, dass man als Frau durch und mit Kinder/-n glücklich werden kann, es aber nicht muss.

Verena Keßler richtet das literarische Spotlight auf verschiedene Lebensmodelle und kommt ohne Moralisieren aus. Das Buch bietet äußerst anregenden Diskussionsstoff, ist modern und voller Empathie für Frauen geschrieben.

Bewertung vom 08.05.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


sehr gut

Dieser Romanerstling ist für mich ein Paradebeispiel dafür, dass das Ganze so viel mehr als die Summe seiner Teile sein kann.

Denn Ayanna Lloyd Banwo erzählt hier eine Liebesgeschichte, und ich bin an sich kein großer Fan von Liebesromanen. Zudem enthält der Plot eine gehörige Portion Mythen, schicksalshafte Traumsequenzen und magische Szenerien. Und meist mag ich es nicht sonderlich, wenn in einem Roman Dinge passieren, die ich mir in der Realität nicht mal ansatzweise vorstellen kann. Doch diese mythische Lovestory hat mich einfach umgehauen, sie ist wie ein tropischer Wirbelsturm durch mein Hirn gefegt.

Überdies schafft Banwo reichlich Spannung auf verschiedenen Ebenen. Da wären zum einen die beiden Protagonisten, die jeweils für sich einen großen Umbruch in ihren Lebenslinien erfahren. Der junge Emmanuel verlässt nicht nur seine Mutter, um in der Stadt Arbeit zu finden und der Armut seiner Kindheit zu entkommen, sondern er bricht auch mit einem Gelübde, das er als gläubiger Rastafari abgelegt hatte. "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" wusste schon Bertolt Brecht, und auch Emmanuel stellt seine Grundbedürfnisse über die religiösen Regeln. Die weibliche Hauptfigur wiederum hat nicht nur ein extrem angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter, sondern muss nach deren Tod auch noch ein ungewolltes magisches Erbe antreten: die Fähigkeit, Tote zu sehen und die Sterbedaten der Lebenden im Voraus zu wissen.

Außerdem serviert Banwo ihren Leser*innen reichlich Crime, etwas Sex und eine faszinierend schillernde Sprache, mal poetisch-zart, dann wieder von rauschartiger Wucht. Michaela Grabingers Übersetzung aus dem trinidad-kreolischen Englisch hat mir gut gefallen, lediglich einige spezielle Bezeichnungen der karibischen Kultur oder der Religion der Rastafari waren mir unbekannt. Hier wäre ein entsprechendes Glossar hilfreich gewesen, um nicht wiederholt durch eigene Recherche aus dem Lesefluss gerissen zu werden.

Bewertung vom 28.04.2023
Institut für gute Mütter
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


ausgezeichnet

Alles beginnt mit "einem einzigen schlechten Tag": Die alleinerziehende Enddreißigerin Frieda lässt ihr Baby unbeaufsichtigt alleine. Nachbarn informieren die Polizei, und es beginnt ein Alptraum. Frieda wird das Sorgerecht entzogen, sie steht unter kompletter Überwachung der Kinderschutzbehörde und hat praktisch kein Privatleben mehr. In ihrem Haus werden Kameras installiert, Telefon, Internet und App-Nutzung werden kontrolliert. Einziger Lichtblick: Durch die "freiwillige" Teilnahme an einem einjährigen Programm in einer Besserungsanstalt erhält sie - bei positiver Bewertung - die Chance, ihr Kind wieder zurück zu bekommen.

Die Geschichte hat mich völlig in ihren Bann gezogen. Zwar wirkt Frieda etwas spröde, ihre inneren Monologe haben mich auch mal etwas ratlos zurück gelassen. Aber die Panik, die sie ob der gefühlten Hilflosigkeit gegenüber dem staatlichen Machtapparat überkommt, ist greifbar. Der Roman stellt viele Fragen, eine der größten ist: Kann man wirklich beurteilen, wer eine gute Mutter ist? Welche Kriterien können dazu herangezogen werden, wie misst man das? Bei körperlichen Misshandlungen ist die Lage relativ klar, aber wie sieht liebevolle Zuwendung aus, welche Förderung der Entwicklung des Kindes ist angemessen? Chan überspitzt den Alltag im "Institut für gute Mütter" geradezu satirisch-grotesk: Die schlechten Mütter sollen anhand von Stellvertreterkindern lernen, gute Mütter zu werden. Sie trainieren täglich mit Rotoberpuppen, die ihren leiblichen Kindern ähneln. Die Puppen zeichnen jegliche Interaktion zur anschließenden Auswertung auf. Die Mütter lernen die "richtige" Umarmung (Dauer und Druck sind vorgeschrieben), wie sie mit ihren Kindern zu sprechen haben (Tonfall, Wortwahl und Zahl der Worte sind für gutes "Mutterisch" wichtig), ja selbst ihr Gesichtsausdruck und die Körperhaltung werden bewertet.

Wie pervertiert all dies ist, wird daran deutlich, dass sich die Mütter beim monatlichen Videotelefonat mit ihren echten Kindern nicht davon abhalten lassen dürfen, sich um die Roboterkinder zu kümmern. Sie sollen also echte Gefühle für Maschinen entwickeln, um zu beweisen, dass sie gute Mütter sind. Fehler werden nicht einfach als Fehler gesehen, sondern lassen "den Wunsch zum Scheitern erkennen".

Auch ein Seitenhieb auf die unterschiedliche Bewertung von Mutter- und Vaterschaft fehlt nicht: Zwar gibt es auf dem Gelände der Besserungsanstalt auch separierte Gebäude für Väter, doch ist deren Beurteilung und Bestrafung wesentlich milder als die der Mütter. Geschickt geht die Geschichte auch auf Intersektionalität ein. Frieda steht als chinesischstämmige U.S.-Amerikanerin in der Beurteilungshierarchie der Psychologinnen etwas unter den weißen Müttern, aber deutlich über den Schwarzen. ("Wenn du Schwarz bist, bist du automatisch in Gefahr.") Chans Gesellschaftskritik ist facettenreich und bietet reichlich Diskussionsstoff.

Ein beeindruckendes Debüt, das das Potenzial hat, ein Klassiker zu werden!

Bewertung vom 24.04.2023
Nach einem Traum
Schad, Gina

Nach einem Traum


gut

Medienwissenschaftlerin Gina Schad bleibt mit ihrem Debütroman thematisch auf ihr vertrautem Terrain: Sie erzählt von einer unglücklichen Liebesbeziehung, deren Kommunikation sich überwiegend digital abspielt, über SMS, Messenger und Social Media.

Die junge Cellistin Marie lernt den deutlich älteren Arzt Simon kennen. Er ist - nach eigener Angabe glücklich - verheiratet und zweifacher Vater. Schnell ergibt sich eine Affäre, die abgesehen von wiederkehrenden, zufällig wirkenden Begegnungen, auf den online-Austausch von Nachrichten beschränkt ist. Und doch gerät Marie schnell in einen ungesunden Sog, Simon wird zum Zentrum ihres Lebens, ohne ihn ist alles nichts.

Der Roman ist spannend und unterhaltsam, die Chat-Nachrichten lesen sich schnell dahin, doch am Ende bleibt wenig übrig, mir persönlich ZU wenig. Was genau findet Marie an Simon, worin besteht seine Attraktivität für sie? Und wieso lässt er sich auf das Spiel mit dem Feuer ein, obwohl er erklärtermaßen mit seiner Frau glücklich ist und jedes Treffen mit Marie die Gefahr birgt aufzufliegen? Die Figuren bleiben seltsam farblos, außer Maries geringem Selbstwertgefühl und ihrer Fixierung auf Simon erfährt man wenig über sie. Und die restlichen Charaktere bleiben noch farbloser, auch eine Entwicklung war für mich nicht zu erkennen. Letztlich ist auch das Ende absehbar, so dass ich diesen Roman nur eingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 24.04.2023
Die Radfahrerin
Leonard, Susanna

Die Radfahrerin


sehr gut

Susanna Leonard schreibt Romanbiografien über "Frauen, die die Welt nachhaltig verändert haben". Ihre ersten beiden Protagonistinnen, Marie Curie und Dian Fossey, sind mir auch sehr wohl ein Begriff, während ich von Annie Londonderry zuvor noch nie gehört hatte. Die junge Jüdin lebt in Boston und kann ihre drei kleinen Kinder nur mit Mühe ernähren. Die 22jährige ergreift gegen den Widerstand ihres Mannes die Chance, durch eine abenteuerliche Radreise um die Welt zu viel Geld zu kommen.

Annie betätigt sich dabei als "lebendes Werbebanner" und überdies bringen ihr Vorträge vor zahlendem Publikum sowie der Verkauf ihrer Reisenotizen nicht nur Geld sondern auch Popularität ein. Doch die Weltumrundung auf zwei Rädern steckt voller Hindernisse und Gefahren, sie wird verspottet, bedroht und überfallen. Dabei bleibt unklar, was wirklich passiert ist, und was die geschäftstüchtige Radlerin der sensationslüsternen Öffentlichkeit als Räuberpistole aufgetischt hat. Dass sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm wird schon dadurch deutlich, dass Annie gleich mehrere höchst unterschiedliche Lebensläufe über sich verbreitete.

Die überwiegend auktoriale Erzählung wechselt mit fiktiven Tagebucheinträgen Annies ab. Letztere haben mir aufgrund des teils etwas hölzernen Stils nicht immer gefallen. Insgesamt ist es ein sehr kurzweiliger Roman mit einer außergewöhnlichen, schillernden Hauptfigur. Die junge Annie entdeckt nicht nur neue Länder und Kulturen, sondern auch ihre Lust an Sexualität. Sie lässt ihre Familie zurück, doch zu welchem Preis bleibt undeutlich. Zwar wird das schwierige Verhältnis zu ihrer ältesten Tochter beleuchtet, aber Vieles deutet die Erzählung nur an und Einiges bleibt völlig offen, etwa wie Annie nach ihrer Heimkehr lebt. Die Zeittafel im Anhang zeigt, dass sie zunächst einige Jahre fern ihrer Familie lebte, bevor sie schließlich zu ihrem Mann zurück kehrte. Hat Annie wirklich so viel für die Gleichberechtigung getan, wie der der Klappentext andeutet? Hat sie die Welt nachhaltig verändert? Ich denke nicht, ihre Motivation war keine politische, sondern rein persönlich. Doch sie hat ihr eigenes Leben in die Hand genommen und gestaltet, und auch dafür gebührt ihr großer Respekt.

Bewertung vom 17.04.2023
Zu Gast bei Frida Kahlo
Castellanos, Gabriela

Zu Gast bei Frida Kahlo


ausgezeichnet

An diesem hochwertigen Hardcover fällt zunächst die hervorragende Gestaltung auf: Großartige Fotos der Gerichte, stimmig in mexikanischem Ambiente inszeniert, Abbildungen von Gemälden Frida Kahlos sowie hübsche Collagen und Ornamente machen das originelle Kochbuch zu einem wahren Augenschmaus.

Zunächst gibt es eine kurze Vita der berühmten mexikanischen Malerin, und es werden wichtige Zutaten und traditionelle Kochutensilien vorgestellt, wobei man auch erfährt, wie man letztere durch hier übliche Geräte ersetzen kann.

Der Rezeptteil umfasst 90 verschiedene Gerichte, darunter finden sich Basisrezepte (Salsas, Tortillas & Co.), Frühstück, Streetfood und Suppen, Salate, Hauptspeisen, Desserts und Getränke. Hilfreich sind Serviertipps, verschiedene Varianten und die Angabe von veganen, lactose- oder glutenfreien Rezepten. Eine schöne Idee sind zwei komplette Menüzusammenstellungen für mexikanische Feiertage.

Gut gefällt mir, dass auf dem Vorsatz ein alphabetisches Register der spanischen Rezeptnamen zu finden ist, während man die deutschen Bezeichnungen auf dem Nachsatz entdecken kann. Ein Zutatenregister gibt es überdies. Weitere kostenlose "Goodies" des Verlags sind eine mexikanische Playlist und der online Mengenrechner.

Die vorliegende Rezeptsammlung unterscheidet sich von den meisten mir bekannten mexikanischen Kochbüchern durch eine große Authentizität. Autorin Gabriella Castanellos, selbst renommierte mexikanische Köchin mit eigenem Restaurant, stellt hier Originalrezepte weitestgehend unverfälscht vor. Das bedeutet zwar einerseits, dass man einen gewissen Aufwand betreiben muss, um hier schwer erhältliche Zutaten online zu bestellen, wie z.B. mexikanischen Drüsengänsefuß, spezielle Chili-Sorten oder Kaktusblattsprossen; überdies muss man sich auf lange Zubereitungszeiten einstellen. Dafür wird man aber auch mit authentischen, landestypischen Aromen belohnt.

Bewertung vom 06.04.2023
Fremde Federn
Lindermuth, Alina

Fremde Federn


sehr gut

Es gibt unzählige Sachbücher und Ratgeber zu den Themen Demenz und häusliche Pflege, aber in der Belletristik werden diese Herausforderungen eher selten behandelt.

Alina Lindermuth erzählt in "Fremde Federn" genau davon: Der junge Tom tritt einen neuen Job an und zieht dazu - zunächst aus rein praktischen Erwägungen - zu seiner alleinstehenden Großmutter. Diese Zweck-WG funktioniert zunächst bestens, doch schnell wird klar, dass Tom mit dem Umzug mehr als seine Adresse gewechselt hat: Eine fortschreitende Demenz, ein Sturz und die im Folgenden nötige Pflege der Oma stellen ihn vor große Herausforderungen. Er besorgt eine Rundum-Betreuung durch osteuropäische Pflegekräfte, und dennoch leidet sein Job unter der familiären Situation.

Der Roman bedient erfreulicherweise keinerlei geschlechterspezifische Rollenklischees. Nicht nur, dass (endlich mal) ein Mann sich um die Organisation der Pflege in der Familie kümmert. Nein, auch diejenige, der unsere Gesellschaft es meist zuschreibt, sich um die gebrechlichen Eltern kümmern zu müssen, nämlich die Tochter (also Toms Mutter), sieht sich da gar nicht in der Pflicht, sondern lebt ihr eigenes Leben. Und so ist es eben Tom, der den Spagat zwischen Karriere und Care-Arbeit versucht. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, hat er auch noch mit der frischen Trennung von seiner Freundin zu kämpfen.

Aus all den gewichtigen Themen schafft Lindermuth dennoch, eine kurzweilige und auch unterhaltsame Story zu stricken. Mit tiefgründigen Passagen, etwa wenn die Ausbeutung der Pflegerinnen zur Sprache kommt, aber auch mit wirklich witzigen Einfällen - schon allein beim Gedanken an die Mehlwurmzucht für zu Hause muss ich wieder grinsen ... Die Autorin zeichnet glaubwürdige Charaktere und beschreibt die Demenz der Großmutter einfühlsam und kompetent. Über das äußerst distanzierte Verhältnis Toms zu seiner Mutter hätte ich jedoch gerne noch mehr erfahren.

Ein großes Lob gibt es von mir für die hochwertige, kreative und wunderschöne Gestaltung des Hardcovers. Ein Buch, das seinen Preis wert ist, und eine Geschichte, die viel Stoff zum Nachdenken über Familie und Alter bietet.