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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 354 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2023
Der weiße Fels
Hope, Anna

Der weiße Fels


sehr gut

Kühn - in der Tat! Anna Hope hat mit ihrem neuen Roman "Der weiße Fels" einen gewagten Versuch unternommen. Nicht nur, dass es ihr darum ging, vier höchst unterschiedliche Geschichten aus vier unterschiedlichen Zeiten miteinander zu verbinden (1775, Beginn des 20. Jahrhunderts, 1969, relative Gegenwart), es ist auf der Symbolebene auch der Versuch, Menschengeschichte zu erzählen: Die Eroberung der äußeren Welt (Grenzverschiebung im Außen), Unterwerfung und Vernichtung anderer Kulturen, Aversion vor der Welt (Rückzug ins Innen) und schlussendlich Trennung und ersehnter Neubeginn; das Scheitern der Menschlichkeit auf Kosten von Menschen; das Infragestellen des Expansiven genauso wie das Infragestellen einer reinen Besinnung auf das eigene Selbst. Verbindendes Element ist 'der weiße Fels', Ort des Weltenbeginns, ein magischer Ort, dem Opfer dargebracht werden. Vielleicht ist es auch ein Buch über den Verlust des Glaubens und der Magie. Die Erzählstränge haben mich in sehr unterschiedlicher Weise angerührt und es braucht schon einiges an Fantasie, um eine mehr als durch das Symbol des weißen Felsens angedeutete Verbindung zu erkennen. Gleichwohl eine sehr anregende Lektüre, die ich absolut empfehlen möchte.

Bewertung vom 04.06.2023
Dein Taxi ist da
Guns, Priya

Dein Taxi ist da


ausgezeichnet

Toll. In ihrem wunderbaren Erstling "Dein Taxi ist da" bearbeitet die junge Autorin Priya Guns 'so ganz nebenher' - und gut in die Story eingebunden - brandaktuelle Themen: Rassismus, Sexismus, soziale Benachteiligung, Geflüchtetsein; und nicht zuletzt thematisiert sie jene Wohlstandsbürger, die durch Spendensammlungen und 'woke' Protestaktionen ihr Gewissen beruhigen und ihr Selbstbild, hilfreiche und gute Menschen zu sein, stabilisieren. Die Protagonistin Damani fährt Taxi auf Abruf und hat Mühe ihr eigenes Leben und das ihrer kranken Mutter zu finanzieren; der Vater ist vor einigen Monaten verstorben, doch eine zu große Trauer lässt der 'tägliche Überlebenskampf' gar nicht zu. Damani trainiert ihren Körper, legt sich einen Muskelpanzer zu, um ihre Seele zu schützen. Genau die wird aber im Verlauf der Geschichte verletzt, als die weiße Wohlstandsbürgerin Joline in ihr Taxisteigt; die beiden verlieben sich, Damani öffnen sich mitJoline Türen in eine andere Welt... nur dass in dieser anderen Welt auch 'Welten aufeinander prallen'. Und als Joline sich dann wenig respektvoll und sehr entwürdigend gegenüber Daimanis Freunden verhält, eskaliert die Situation und die über lange Zeit durch erlebte Ungerechtigkeit angestaute Wut entlädt sich... Gut lesbarer Stoff, der extrem nachdenklich stimmt!

Bewertung vom 30.05.2023
Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3
Horowitz, Anthony

Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3


gut

Rätselhaft bis zum Schluss. Der Aufbau des neuen Kriminalromans "Wenn Worte töten" von Anthony Horowitz scheint ganz der britischen Krimitradition verpflichtet. Die Protagonisten, die Konstruktion der Handlung, die Dialoge... vieles erinnert an Agatha Christie, die ja die wunderbare Fähigkeit hatte, falsche Fährten zu legen und uns Lesende - sehr zu unserem Ärger - mit hämischem Grinsen in Sackgassen zu führen; aber schließlich kennt niemand des Rätsels Lösung so gut, wie die Autor:innen selbst. Auf einem kleinen Literaturfestival, angesiedelt auf einer ebenso kleinen Kanalinsel - Prinzip 'geschlossene Gesellschaft - wer ist der Täter? -, geschehen Morde und später auch noch ein Suizid. Ex-Polizist und Privatdetektiv Daniel Hawthorn mittendrin. Und jeder Kriminalfall hat auch seine Nebenwirkungen - so kommt es neben den Morden auch noch zu Trennung, Enttarnung von Scharlatanerie, Rache und Genugtuung... und für Horowitz, nach erfolgreicher Aufklärungsarbeit, am Schluss auch noch zu einer persönlichen Widmung in einem Kinderbuch, was ethisch nicht ganz sauber ist... Ein Kiminalroman, an dessen Schreibbeginn wohl des Rätsels Lösung stand, der dann Kapitel für Kapitel aufgerollt worden ist.

Bewertung vom 26.05.2023
Idol in Flammen
Usami, Rin

Idol in Flammen


sehr gut

Zurecht ein Bestseller. Die junge japanische Schriftstellerin Rin Usami hat mich mit ihrem schmalen Bändchen "Idol in Flammen" an einer mir fremden Welt teilhaben lassen und dafür sage ich ausdrücklich 'danke'. In etwas über 120 Seiten geht es um Fankultur in Reinform... und wie verführbar das noch nicht vollständig ausgeformte Ich ist, wie durch die Musikindustrie zu Geschäftszwecken hervorgebrachte Musikgruppen/Künstler nicht nur zu Projektionsflächen für die eigenen Sehnsüchte werden, sondern über eine umfängliche Identifikation förmlich zur Selbstaufgabe verführen können. "Ich bin nicht ich, wenn ich nicht Masakis Fan bin. Ein Leben ohne ihn ist nur noch ein Warten auf den Tod." - so Akari, als ihr Idol sich aus dem Showbizz zurückzieht. Akari hat Verschmelzugsfantasien - so besorgt sie sich eine komplette Torte mit dem Abbild ihres Idols und verspeist sie in Gänze... was ihr natürlich nicht gut bekommt. "Schon nach der Hälfte bin ich randvoll, aber mittendrin aufzugeben, käme mir wie Verrat an dem Kuchen und an Masaki vor, also würge ich auch noch den letzten Rest Sahne zusammen mit dem Saft einer zerkauten Erdbeere hinunter." Akari steckt Geld und Zeit in die zwanghafte Erweiterung ihrer Fanartikelsammlung, postet rund um die Uhr Neues von ihrem Idol und vernachlässigt Schule und Arbeitssuche - am allermeisten aber sich selbst. Die Familie bietet keinen Hort der Sicherheit und Geborgenheit und relativ nebenbei stirbt die Großmutter, was aber im Vergleich zu Idol Masaki nur wenig Aufmerksamkeit bekommt. Das beachtliche an dem Kurzroman ist die gewählte Erzählsprache - gerade weil sie zuweilen so nüchtern daherkommt, vergrößert sie den subtilen Horror, welcher umso mehr aus den Zeilen tropft, je weiter die Geschichte fortschreitet. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 25.05.2023
Die letzte Lügnerin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.3
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Die letzte Lügnerin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.3


sehr gut

Ordentlich. Die ersten Seiten des neuen Justiz-Krimis "Die letzte Lügnerin" des Autorenduos Florian Schwieker und Michael Tsokos erschienen mir doch ein wenig hölzern, einem für literarisch Ungeübte üblichen Schreibstil ähnlich; fast schon berichtartig. Dann rief ich mir in Erinnerung, dass es sich eben nicht um einen Krimi, sondern um einen JUSTIZ-Krimi handelt - und die Sprache der Justiz spiegelt sich im Schreibstil wider. Es geht im Buch auch weniger um die differenzierte Ausleuchtung des Seelenlebens der Protagonisten, sondern vielmehr um die Ablaufbeschreibung eines zugegebenermaßen recht brisanten und ziemlich aktuellen Falles von Immobilienspekulation in Berlin. Nach dem ersten Drittel nimmt der Krimi Fahrt auf und weiß durch die mit einigen Überraschungen aufwartenden einzelnen Gerichtsprozess-Schritte dann doch zu überzeugen. Und wer mehr über realitätsnahe Abläufe der Justiz erfahren will, der sollte sich nicht am guten alten 'Tatort' sondern lieber an den Justiz-Krimis dieses bewährten Autoren-Duos orientieren.

Bewertung vom 19.05.2023
Young Mungo (eBook, ePUB)
Stuart, Douglas

Young Mungo (eBook, ePUB)


sehr gut

Beeindruckend. "Young Mungo" von Douglas Stuart hat mir vor Augen geführt, wie glücklich und wohlbehütet ich selbst aufwachsen durfte, obschon dies - zwar auch wie bei Stuarts Protagonist Mungo in einem klassischen Arbeiterviertel, nicht aber in den 90-er Jahren, sondern bereits in den 70-er Jahren geschehen ist. Der Autor beschreibt sehr eindrücklich die familiären Verhältnisse: Die vollständige Abwesenheit eines Vaters, die alkoholabhängige Mutter, die lieber Geliebte für verheiratete Männer als Familienmensch ist, der große Bruder, welcher männliche Stärke verkörpert und Mungo zum 'richtigen' Mann machen möchte; und dann noch die Schwester, Vertrauensperson und selbst Missbrauchsopfer. In einem Klima aus Gewalt und Vernachlässigung sucht der 15-jährige Mungo seinen Weg; bis er dann auf einen Jungen stößt, der anders ist - James, den Taubenzüchter. Es ist, wie wenn eine Rose aus dem Asphalt wüchse - zarte Begegnung in einer unmenschlichen Welt, in der Gescheiterte ander zu Opfern machen. Ein Buch, welches mich nicht losgelassen hat, geschrieben in einer Sprache, die verstärkt, was sie beschreibt.

Bewertung vom 18.05.2023
Kannibal. Jagdrausch
Benecke, Mark

Kannibal. Jagdrausch


gut

Ungewöhnlich. Mit seinem zweiten Krimi "Kannibal. Jagdrausch" ist Mark Benecke ein Krimi fernab des Mainstreams gelungen. Und was den Autor auszeichnet ist vor allem, dass er uns Lesenden so ganz nebenbei - und gut in eine spannende Handlung integriert - eine gute Portion seines Fachwissens als Kriminalbiologe mitgibt; schon allein das macht "Kannibal" zu einem lesenswerten Krimi. Und wer weiß schon, in welchem Jahr der 'Kannibalismus' in Europa erstmalig Erwähnung fand? Wer weiß um seine kulturelle Verwurzelung? Und wer ahnt schon, was Menschen antreibt, sich in seltsamen Foren zu treffen, wo es darum geht, jemanden zu finden, der einen verspeisen möchte? Und genau da muss sich Privatermittler Bastian Becker rumtreiben, will er doch die Hintergründe eines Fundes von sauber abgeschabten Menschenknochen ergründen. Und mit dem 'Chefkoch' - bekannter Sternekoch im wahren Leben - hat Bastian auch eine erste Spur gefunden; aber wie das so ist mit ersten Spuren, kommt dann doch alles anders als erwartet, und nicht zu vergessen Bastians Fieberträume und das Verschwinden seiner Kollegin Janina Funke... Also: Düstere Unterhaltung!

Bewertung vom 17.05.2023
Anti (eBook, ePUB)
Luftvogel, Lisei

Anti (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Remember... Mit ihrem Erstling "Anti" ist Lisei Luftvogel ein kleines Wunder gelungen - sie hat mich auf etwas über 100 Seiten für Stunden in eine lang zurückliegende Zeit zurückversetzt - in meine Kindheit mit starren, autoritären Schul- und Familiensystemen, gegen die ich erst später rebelliert habe... die Hauptfigur Maja hingegen bereits in jungen Jahren. Aus Majas Perspektive heraus durfte ich miterleben, was es heißt in einer Kommune mit wechselnden Mitbewohnern und Partnern groß zu werden, die Kindheit in einem Gegenentwurf zur klassischen Kleinfamilie zu durchleben, wo die goße Freiheit immer auch an der Grenze zur Vernachlässigung verortet ist; wo sich studentisches Leben und Protestkultur neben Arbeiterschaft und bürgerlichen Werten ereignen. Und das Ganze angesiedelt im Ruhrpott, in Essen-Katernberg... ein Stadtteil, den es gleichnamig auch in Wuppertal gibt. Ich durfte miterleben, welche Bedeutung Freundschaft hat und wie wichtig es war, einer Gruppe zuzugehören, um 'Feinde' (die aus der anderen Straße o.ä.) abzuwehren. Lisei Luftvogel geht es in "Anti" nicht um eine stringente Handlung, vielmehr zeichnet sie das Bild einer vergangenen Zeit und ihre Protagonist:innen wären heute wohl diejenigen, die sich langsam auf die nachberufliche Phase zubewegen und sich dann fragen werden, wo sie denn geblieben ist, die Zeit. Auch ich als Babyboomer frage mich das oft - und "Anti" hat es geschafft, mir die fast schon vergessene Zeit zurückzuholen. Danke dafür! Unbedingte Leseempfehlung!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.05.2023
One of the Girls
Clarke, Lucy

One of the Girls


gut

Tod und Täuschung. "One of the Girls" von Lucy Clarke ist laut Buchcover ein Thriller. Allerdings hält noch lange nicht jedes Produkt das Versprechen, welches es auf der Verpackung abgibt. Ein durchweg nettes Buch, das aber stellenweise eher einschläfernd wirkt, statt einen schlaflos durch die Nacht zu bringen, wie man es von einem Thriller erwarten sollte. Vielleicht aber war ich als Mann auch nicht die richtige Zielgruppe, ging es doch um eine 'Hen-Party' mit fünf Frauen, die sich eigentlich nicht kennen, aber von der Braut Lexi zum gemeinsamen Junggesellinnenabschied auf eine kleine griechische Insel eingeladen werden. Und natürlich enthüllt sich dann vor Ort das eine oder andere. Und genau diesen Aufenthalt auf der Insel braucht es dann, um ernüchtert zu werden, wenn eine der Protagonistinnen feststellen muss, dass der gemeinsame Pyjama-Tanz zur Musik von Prinz in der Phase der Liebeseuphorie noch lange keine Garantie ist für eine gelingende Beziehung. Da sind Freunschaften, die auf einer Lüge aufbauen, da ist eine vergangene Schuld, da ist eine Schwangerschaft - und ja, da ist am Ende auch ein Toter. Sorry, wenn ich das so direkt sage - eher eine 'Mädelsgeschichte' als ein Thriller; aber: Mädels halten auch zusammen ;-) Kann man lesen - muss man aber nicht...

Bewertung vom 11.05.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


sehr gut

Wie das Leben. "Lichte Tage", der aktuelle Roman der Londoner Autorin Sarah Winman, konfrontiert den Leser, anders als es der Titel und Van Goghs leuchtende Sonnenblumen auf dem Buchcover vermuten lassen, auch mit den Schattenseiten des Lebens. Also, liebe potenzielle Leser:innen - es handelt sich nicht um einen 'feelgood'-Roman. Gleichwohl gibt es Momente voller Poesie und auch der sehr ansprechende Erzählstil gefällt durchaus: "Ich kann ihn immer noch vor mir sehen: so gutaussehend in seinem Anzug, eine irgendwie schräge Attraktivität mit den abgewetzten Halbschuhen und der roten Rose im Knopfloch. Wir standen Seite an Seite, während Lichter auf der Wasseroberfläche leuchteten und Ruderer vorbeizogen. Wir teilten uns eine Zigarette, und zwischen uns erstreckte sich eine vertrocknete Landschaft, übersät mit den verknöcherten Überresten gescheiterter Pläne, von denen nur wir einst wussten." Die Handlung ereignet sich auf mehreren Zeitebenen und springt zuweilen, was aber kein Problem darstellt - die innere Verbundenheit der handelnden Personen bindet die Versatzstücke der sich zwischen 1950 und 1996 ereignenden Geschichte. Und das Thema ist nichts anderes als der Lebensweg ins Licht (aus dem düsteren Arbeiterviertel in Oxford in die sonnige Provence der Kunst, bzw. Lebenskunst), und offenbar gilt es dafür auch, beschattete Wegabschnitte zu durchqueren. Das Buch lebt nicht durch seine stringente Handlung - dafür aber umso mehr durch seine tief emotionale Gestimmtheit.