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Adelebooks
Wohnort: 
Bremen

Bewertungen

Insgesamt 106 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2023
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


ausgezeichnet

Im Prinzip ist alles okay, abgesehen davon, dass NICHTS okay ist

Miryam, studierte Anthropologin, knapp 30 Jahre alt, Mutter eines Säuglings, seit 1,5 Jahren in einer Beziehung mit Robert, eigentlich könnte alles gut sein, eigentlich sieht von außen alles ganz okay aus, mehr als ok, nahezu perfekt - dank Instagramfilter! Doch was kann sich hinter den perfekt anmutenden Stories und lächelnden Frauen verbergen?

Yasmin Polat legt den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft, vor denen allzu oft die Augen verschlossen werden, als ob sie dann aufhören würden zu existieren. Wie lebt man gesunde Beziehungen, wenn man selbst als Kind nur Gewalt und Kälte vorgelebt bekommen hat? Wie wird man ein guter Elternteil, wenn man selbst nie Kind sein durfte? Wie findet man zu sich selbst, wenn man nie herausfinden durfte, wer das ist?

Sie thematisiert psychische Erkrankungen, Wochenbettdepressionen, Gewalt in Beziehungen und was sie mit Familien über Generationen machen kann, aber auch ein idealisiertes Mutterbild, das Erwartungen an junge Frauen vermittelt, an der jeder echte Mensch eigentlich nur scheitern kann, potenziert durch die gesellschaftliche Entwicklung einer extrovertierten Bewertungsgesellschaft. Dabei beweist sie ein Gespür für Details und die Tiefen und Untiefen menschlicher Beziehungen.

Der Schreibstil ist oft eher umgangssprachlich, und passt damit gut zur Ich-Perspektive der jungen Erzählerin. Immer wieder entwirft die Autorin jedoch auch sehr starke sprachliche Bilder, die die Emotionen der Protagonistin anschaulich einfangen, einen so fast mitfühlen lassen, was bei diesen Themen auch beim Lesen schmerzhaft sein kann.

Das Thema Depression hat sich durch diese Erzählweise für mich zum ersten Mal unglaublich nah angefühlt. Diese Leere und die Verwirrung und später Verzweiflung darüber, nicht wirklich benennen zu können und erst recht nicht zu verstehen, was mit der Ich-Erzählerin passiert, fand ich sehr eindringlich und nachvollziehbar dargestellt.

Der Roman, er ist ein Freischwimmen der Protagonistin, aus ihrer Vergangenheit, Prägung und gesellschaftlichen Zwängen, hin zu sich selbst, jedoch eines mit einigen schmerzhaften Tauchgängen. Wie leider auch im wahren Leben!

Im Prinzip ist alles Okay, ist ein intensiver, bewegender Roman, der einen Blick dorthin wirft wovor gesellschaftlich nur allzu gern die Augen verschlossen werden, und der damit keinen Moment zu früh kommt!

Bewertung vom 31.10.2023
People Pleasing
Bossmann, Ulrike

People Pleasing


ausgezeichnet

Wenn du zu den Menschen gehörst, die, wenn sie von anderen angerempelt werden, sich selbst als erstes entschuldigen, solltest du dieses Buch auf jeden Fall lesen! Und alle anderen auch 😉

Zunächst muss ich sagen, dass das Buch wirklich toll gelayoutet und gebunden ist, mit einem guten Blick fürs Detail, wie die Kacheln im Innenumschlag, quasi als kleiner Selbsttest vorab und das Gegenstück dazu im Rückumschlag: richtig toll!

Inhaltlich und sprachlich habe ich mich bereits in der Einleitung richtig gut abgeholt und besonders auch aufgehoben gefühlt. Bereits hier wird deutlich, wie positiv sich das Buch von Dr. Ulrike Bossmann in inhaltlicher Qualität von den zahlreichen phrasenhaften Psychoratgebern zu mehr Achtsamkeit oder Selbstermächtigung abgrenzt. Es sind keine lauten Töne, die die Autorin anschlägt, dafür umso einfühlsamer, stets wertschätzend, ermutigend, fachlich versiert und in einem klugen Abwägen.

Dies setzt sich im Buch als solches fort. In einer Mischung aus Fließtext mit eigenen Erfahrungen und Erläuterungen sowie Fallbeispielen, und immer wieder Referenzen zu wissenschaftlichen Studien führt die Autorin eingängig und anschaulich durch das Phänomen People Pleasing, mit allen positiven und negativen Aspekten. Denn das macht sie überzeugend deutlich: People Pleaser haben sehr positive und wertvolle Eigenschaften, für sich und eine funktionierende Gesellschaft. Wie man diese reflektiert und gesund für sich selbst einsetzt, ist letztlich entscheidend und genau dafür gibt der Text einen Anstoß.

Als die drei inhaltlichen Schwerpunkte im Buch, die sich über 8 Kapitel verteilen, sehe ich 1. Was ist People Pleasing, wo kommt es her/wie entsteht es, wie äußert es sich 2. Wie kann ich damit umgehen, mit praktischen Tipps und Strategien, auch zur Verstetigung des Erfolgs und zuletzt 3. - was sich als Basis durch das ganze Buch zieht - ein besseres Bewusstsein für sich selbst zu entwickeln. Die zahlreichen eingestreuten praxisnahen Anwendungen, Übungen und Kommunikationstipps sind sehr hilfreich und mal mit mehr mal mit weniger Aufwand umsetzbar. Mir hat sehr gefallen, dass die Autorin auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beleuchtet, und so beispielsweise herausarbeitet, warum in unserer lange Zeit und auch noch immer patriarchal geprägten Gesellschaft gerade Frauen oft zum People Pleasing neigen.

Besonders hervorzuheben ist der unglaublich gute, eingängige Schreibstil und die persönlichen Einblicke der Autorin. Ein bisschen hatte ich das Gefühl, als ob eine gute Freundin, mich auf Augenhöhe mitnimmt, erklärt und mich versteht, so dass ich alles gut nachvollziehen und annehmen kann. Der ein oder andere AHA Moment ergibt sich dadurch bereits beim Lesen.

Stil und Inhalt machen das Buch insgesamt zu einem kleinen Werk, dass auch soziales Miteinander unabhängig von People Pleasing besser zu verstehen und gestalten hilft. Eine unbedingte Leseempfehlung, insbesondere natürlich für alle Menschen, die sich im Alltag manchmal fragen, wo sie selbst bleiben, wenn sie es allen versuchen recht zu machen, zu selten Nein sagen können, und sich immer verantwortlich fühlen.

Bewertung vom 30.10.2023
Welt in Aufruhr
Münkler, Herfried

Welt in Aufruhr


ausgezeichnet

Angenehm unaufgeregt: ein scharfer, analytischer und ausgewogener Blick auf die aktuelle Weltlage

In einer aufgeregten und sich stetig zuspitzenden Weltlage kommen Münklers Analysen angenehm unaufgeregt daher, und das - und darin liegt allein schon ein großes Verdienst - unter Anerkennung der aktuellen Weltlage, die ihm bis zum Russischen Angriffskrieg in der Ukraine als Beispiel seiner Modellierungen und Analysen dient. Was jedoch Kommentatoren und Politiker in Aufruhr versetzt, ist für Münkler ein Analysegegenstand, der uns jeweils hilft die Welt ein Stück besser zu verstehen, Modelle bestätigt zu sehen, anzupassen, oder gar zu verwerfen, und auch damit Erkenntnis und dem Weltverstehen ein Stück näher zu kommen.

Mit Hilfe dessen, was Münkler Raum- und Zeitdehnung in seiner Perspektive nennt, wendet er den Blick in die Vergangenheit, zum Teil bis in die Antike, und jenseits eines eurozentristischen Weltbildes. So schafft er nicht nur zunächst Distanz zum aktuellen Weltgeschehen, es relativiert sich auch manche aufgeregte Einschätzung und Erzählung über den vermeintlich singulären Verfall der Weltordnung. Jede Raum- und Zeitdehnung koppelt Münkler schließlich wieder zurück in die Gegenwart, um diese dann mit den im Rückblick gewonnen Erkenntnissen neu zu betrachten und zu bewerten. Dabei verfällt er nie ins Moralisieren, bewertet oder formuliert Wünsche. Nüchtern analysiert er beispielsweise wo Autokraten in ihrem Selbsterhalt im Vorteil sind, und wo demgegenüber Demokraten.

So gewinnt er unter anderem nicht nur erhellende Einblicke und mögliche Erklärungen für den Russischen Angriffskrieg, sondern skizziert zuletzt auch, wie eine neue Weltordnung, bei aller Irrtumswahrscheinlichkeit, aussehen könnte.

Aus dem Blick in die Vergangenheit, wird Analyse und Neubewertung der Gegenwart und entstehen letztlich Prognosen für die Zukunft im Bewusstsein aller Irrtumswahrscheinlichkeit. Diese Lektüre ist in jedem Sinne erhellend, mit einer klaren Leseempfehlung!

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Bewertung vom 19.10.2023
Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte
Hacke, Axel

Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte


sehr gut

Eine Ode an die Heiterkeit

Klimawandel, Ukrainekrieg, es droht eine Eskalation im Nahen Osten - als bestimmendes Gefühl beim Blick auf die Weltlage scheint in diesen Zeiten nichts so fern wie Heiterkeit. Oder sollten wir uns gerade deshalb mit Heiterkeit beschäftigen?

In 27 Kapiteln geht Axel Hacke dieser Frage und noch vielen Fragen mehr nach. Was hat Heiterkeit mit Lachen und Witzen zu tun? Hat es überhaupt etwas damit zu tun? Und wie werde ich ein heiterer Mensch? Warum sollte ich das anstreben?

Hacke wählt einen sehr persönlichen Ausgangspunkt für sein Buch und möchte auch herausfinden, was Heiterkeit mit ihm selbst zu tun hat. So folgt man dem Autor bei seinen Gedanken, die zuweilen hin und her springen, immer mal wieder etwas erinnern, einen Film, ein Gedicht, eine Fernsehsendung, Szenen aus dem Alltag, die für ihn jeweils mit Heiterkeit in Verbindung stehen. Aber auch Freud kommt zu Wort und Umberto Eco und viele mehr… Mir persönlich fehlte besonders in der ersten Buchhälfte manchmal ein wenig der Faden, und ich hätte mir oft mehr Verweilen und ein Tiefergehen bei einigen Gedanken gewünscht, wo stattdessen bereits schon wieder die nächste Fragebatterie und der nächste Gedankensprung des Autors folgte. Das ist jedoch natürlich Geschmacksache.

Am stärksten wird der Essay für mich, wenn Hacke über die Kraft der Heiterkeit spricht und Heiterkeit als Möglichkeit der Lebensgestaltung auch unter Rückgriff auf die Philosophie herausarbeitet. Wirklich schön sind außerdem die zahlreichen persönlichen Bezüge und Erlebnisse des Autors, man begleitet ein wenig Axel Hacke auf seinem ganz eigenen Weg zur Heiterkeit, im Verstehen und im Tun.

Das Buch, oder besser Büchlein, da im kleineren Format, ist wunderschön gebunden mit einem hochwertigen, schön bedruckten Buchumschlag. Das Buch eignet sich daher auch ganz besonders als Geschenk für einen lieben Menschen, um die Möglichkeit der Heiterkeit zu entdecken.

Ein interessantes, wunderschönes Büchlein, das zum Nachdenken anregt und im besten Fall beim Lesenden für Heiterkeit in schwierigen Zeiten sorgt.

Bewertung vom 15.10.2023
Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?
Heim, Gabriel

Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?


sehr gut

Eine Spurensuche zwischen Berlin, Rom, Bozen und Brasilien nach einem, der keine Spuren hinterlassen wollte

In „Wer sind Sie denn wirklich Herr Gasbarra“ nimmt uns Gabriel Heim mit auf die Suche nach der Geschichte seines Vaters, Felix Gasbarra, den er selbst nie kennengelernt hat. Ich kannte den Namen Gasbarra zuvor nicht, wohl aber einige seiner Zeitgenossen und Kolleginnen von Käthe Kollwitz bis Bert Brecht, und kann seine ursprüngliche Liebe zu Südtirol persönlich sehr gut nachempfinden. Daher war mein Interesse an Felix Gasbarra und Gabriel Heims Buch geweckt.

Gabriel Heim beginnt sein Buch sehr persönlich, beschreibt als Ausgangspunkt sein Anliegen und die Familiengeschichte, die bis dato, ganz in der Intention Felix Gasbarras, mit vielen Geheimnissen belegt war. Man sollte nicht vergessen, dass es bei all dem, um seinen Vater geht, der zeitlebens bewusst den Kontakt zu ihm vermieden hat. Insofern hat die Reise und Vergangenheitssuche sicher auch etwas sehr emotionales für ihn.

Heim verknüpft Material und Aufzeichnungen von Doris Homann und seiner Mutter Ilse Winter mit weiteren eigenen Rechercheergebnissen. Die Dokumentation bewegt sich dabei immer wieder zwischen einem Eintauchen in vergangene Zeiten und Orte und der aktuellen Spurensuche mit Reisen Heims an wichtige Orte. Berlin, Schlesien, Rom, Südtirol und zuletzt Brasilien, all dies sind Orte, verknüpft mit dem Leben Gasbarras und/oder seiner Familie, und hierhin entführt uns auch Heim auf seiner Spurensuche.

Die Theaterjahre in Berlin sind unglaublich intensiv beschrieben, mit interessanten Einblicken in das kommunistische, kulturell-politische Milieu dieser Zeit. Große Namen fallen hier mit einer Selbstverständlichkeit und mittendrin Gasbarra. Jede Etappe des Lebens Gasbarras beschreibt Heim in ihrem eigenen Tempo und Eigenheiten. Den ruhigeren letzten Jahren in Bozen stehen die Anfangsjahren seines Wirkens in Berlin gegenüber. Doch all dies ist Felix Gasbarra, alles und nichts, möchte man vielleicht meinen, angesichts der Verwandlungskunst und schweren Greifbarkeit des Charakters Gasbarra.

Gasbarra mag vielleicht nicht wirklich sympathisch sein, doch welche Menschen mit wahrem Genie waren und sind dies in der Geschichte? Ohne zu viel aus dem Buch vorwegzunehmen, kann verraten werden, dass Felix Gasbarra ein streitbarer, aber talentierter und interessanter Mensch war, der es immer wieder verstanden hat, diese Talente auch an den „richtigen“ (zumindest für ihn wirkungsvollen) Stellen einzusetzen.

Für mich ist das Buch jedoch auch und gerade wegen der starken und beeindruckenden Frauen darin unbedingt lesenswert. Von der Künstlerin Doris Homann über Ilse Winter bis hin zu Gabriel Heims wiedergefundener Schwester Claudia und der bereits verstorbenen Schwester Livia, sprüht und lebt das Buch von den emanzipierten Frauen in Gasbarras Leben.

Positiv hervorzuheben sind auch die zahlreichen Fotos, auch von Doris Homanns Bildern, die das Buch zusätzlich bereichern.

Einziger Kritikpunkt ist, dass ich mir eine Kapitelunterteilung und Überschriften zur Strukturierung und Einordnung gewünscht hätte. Das Buch umspannt fast ein Jahrhundert, und springt zum Teil immer wieder zwischen den Episoden hin und her, sodass thematische Überschriften sicher hilfreich gewesen wären.

Insgesamt eine gelungene Biografie, die in ein bewegtes Jahrhundert und interessante Milieus und Lebensgeschichten eintauchen lässt, mit einer klaren Empfehlung!

Bewertung vom 11.10.2023
Hässlichkeit
Hilal, Moshtari

Hässlichkeit


sehr gut

Hässlichkeit ist politisch!

In Hässlichkeit von Moshtari Hilal treffen Essay, Poesie und Bildkunst aufeinander und schaffen so Raum um das Geschriebene, wirken zu lassen, zu durchdenken und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. In ihre Betrachtungen fließen popkulturelle Bezüge ebenso mit ein wie wissenschaftliche Texte, und nicht zuletzt ihre sehr persönlichen Erfahrungen und Emotionen.

Deutlich wird, beim Konzept von Hässlichkeit geht es letztlich um Hass, und damit in seiner politischen Dimension auch um Macht, Deutungsmacht und Unterdrückung. Dies wird nicht nur bei den offensichtlichen Beispielen im Kolonialismus deutlich, sondern auch im Alltag, es geht um Über- und Unterordung, andere zu degradieren aufgrund ihres Aussehens, Zugänge einzuschränken oder gar vollständig zu verweigern. Immer wieder schafft Hilal Bezüge zur Funktion von Hässlichkeit im Kapitalismus, für Rassismus und Verhinderung von Gleichberechtigung.

Die anekdotenhafte Referenz zu anderen Autoren und insbesondere wissenschaftlichen Theorien und Veröffentlichungen, war mir jedoch oft zu oberflächlich. Hier hätte ich mir mehr wirkliche Auseinandersetzung und Analyse gewünscht.

Wirklich stark wird das Buch, wenn Hilal über ihre eigenen Erfahrungen berichtet, persönlich wird, und deutet. Hiervon hätte ich mir mehr gewünscht und denke es hätte das Buch bereichert.

So bleibt für mich ein wenig verschenktes Potential bei diesem wichtigen Thema und, mit kleinen Abstrichen, durchaus gelungenen Buch von Moshtari Hilal!

Bewertung vom 10.10.2023
Gipfelrausch
Laage, Philipp;Reisedepeschen

Gipfelrausch


ausgezeichnet

Bergwandern und Alltagsphilosophie in 10 Etappen

Gipfelrausch - so der Titel des Werks von Philipp Laage, beschreibt nur einen Ausschnitt dieses wundervollen Buchs. Ein Rausch kann es tatsächlich sein einen Gipfel zu erklimmen, doch ebenso frustrierend wenn die Natur dem Menschen Grenzen aufzeigt und letztlich ist der Aufenthalt in den Bergen, die Auseinandersetzung in und mit der Natur so viel mehr als ein Rausch, oft das komplette Gegenteil, ein Innehalten, eine Einladung zum Nachdenken über die Welt, den Berg, sich selbst und die eigene Ortung in diesem Kosmos. All diese Facetten durchleben wir mit Philipp Laage in den zehn beschriebenen Gipfeltouren.

Das Buch ist wirklich wunderschön gebunden und auch das Kapitellayout mit dem Foto inkl. Höhenmetern des jeweiligen Bergs auf einer Doppelseite vor dem Bericht gefällt mir sehr gut. Das Buchformat erinnert an ein Tagebuch und so habe ich es auch gelesen, indem ich mir für jeden Berg Zeit genommen habe zum Lesen aber auch um danach das Gelesene wirken zu lassen.

In jedem Kapitel wird von einer Bergbesteigung erzählt, jeweils eingebettet in Gedanken und Informationen zum jeweiligen Land, Mitreisenden, Reisebekanntschaften und dem Bergsteigen (und letztlich dem Leben) als solches. Nebenbei gibt es noch nützliche Tipps zum richtigen Umgang mit der Höhe und ein paar unfreiwillige Lektionen, was man vielleicht lieber unterlassen sollte, wie das Durchfeiern der Nacht vor dem Bergstieg.

Die Wanderungen fand ich wirklich sehr schön beschrieben, insbesondere die Gefühle, die das Wandern, der Kontakt zur Natur und nicht zuletzt die Verbindung zum Berg auslösen. Besonders hat mir das Sinnieren über die Motivation zum Bergsteigen gefallen. Ich glaube gerade in der Moderne ist es das absolut Zweckfreie dieser Unternehmung und der Natur, die den wohltuenden Kontrast zu einem rationalen, utilitaristischen Zeitgeist gibt. Mit dem Satz, zu hören „was der Berg einem zu sagen hat“, hat der Autor dies wundervoll auf den Punkt gebracht.

Emotional bin ich persönlich sehr nah beim Autor, für mich sind die Berge Magie, strahlen Ruhe aus, geben Kraft, ohne dass ich jedoch den Respekt vor ihnen verlieren würde.

Das Buch von Philipp Laage hat mir schöne Stunden in den Bergen und Gedanken zum Sinnieren beschert und ist unbedingt zu empfehlen - auch oder gerade weil es die Sehnsucht nach den Bergen und der Natur weckt!

Bewertung vom 07.10.2023
Die Details (Ungekürzt)

Die Details (Ungekürzt)


ausgezeichnet

Ein Leben erzählt in Begegnungen

Woran erinnern wir uns, wenn wir auf unser Leben zurückblicken? Wie werden wir zu der Person, die wir sind? Es sind die Menschen, denen wir begegnen und die Beziehungen zu diesen, oft lediglich Details, die jedoch zusammengesetzt ein Gesamtbild ergeben. In Die Details setzt die namenlose Ich-Erzählerin in einem Fiebertraum ein solches Bild aus vier Begegnungen mit wichtigen, für sie prägenden Menschen, ihres Lebens zusammen.

Die Sprache ist präzise und bildlich zugleich, jedes Wort sitzt da wo es hin soll, kein Wort zu wenig, keines zu viel.

Jede Erinnerung wirkt wie ein Psychogramm der Person, bis ins kleinste Detail beobachtet und deutet die Erzählerin die Person und die Beziehung aus, um die „Details jenseits der Oberfläche“, wie sie es nennt, aufzuspüren, auszuleuchten. Doch viel wichtiger als die vorgestellten Personen, ist das was sie mit der Erzählerin machen, wie sie ihr Leben, ihre Haltungen und ihre eigene Entwicklung geprägt haben. So beschreibt sie an einer Stelle das Ich als Spuren der Menschen, denen wir begegnen, und man gewinnt den Eindruck, dass es der Erzählerin genau darum geht, aufzuzeigen, dass und auf welche Weise soziale Beziehungen und andere Menschen uns prägen, uns zu uns selbst machen, wie wir unsere Identität im Wechselspiel zwischen Identifikation und Abgrenzung mit anderen ausbilden.

Ein wirklich besonderes Buch, dass mit seiner Sprache und dem aufmerksamen Blick auf die Details, die uns und unsere sozialen Beziehungen ausmachen, vollkommen überzeugt.

Ich habe das Buch als Hörbuch gehört. Die Stimme ist sehr angenehm. Trotzdem würde ich das nächste Mal eher zum Buch greifen. Da sowohl der Inhalt als auch der Stil der Autorin mit vielen klugen Gedanken, zum Innehalten und Nachdenken anregt, was für mich bei einem Buch besser funktioniert. In dem Fall keine Kritik, sondern im Gegenteil, ein Buch, dass man einfach im Regal haben sollte, um immer wieder in den Gedanken darin zu verweilen.

Für Die Details und Ia Genberg eine ganz klare Empfehlung von mir!

Bewertung vom 06.10.2023
Brain in Balance
Remenyi, Joey

Brain in Balance


ausgezeichnet

Selbsthilfe für chronische Beschwerden mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen

Dass Joey Remenyi weiß wovon sie schreibt und dies ernst nimmt, wird bereits in der Einleitung deutlich, wenn sie ihren Anspruch und ihre Überlegungen deutlich macht, das vorliegende Buch in Layout, Schriftbild und Inhalt so zu gestalten, dass es für Menschen mit Einschränkungen gut zu bewältigen ist. So viel Bewusstsein, Sensibilität und Rücksichtnahme hat bei mir direkt dazu geführt, dass ich mich gut aufgehoben fühlte.

Nach der Lektüre muss ich sagen, ihrem Anspruch wird die Autorin eindeutig gerecht. Alles ist verständlich erklärt, übersichtlich gestaltet und angenehm zu lesen.

Das Buch ist in die drei Teile Gewohnheiten, Hilfe und Heilung, jeweils mit Unterkapiteln gegliedert. Das Prinzip der Neuroplastizität wird ebenso vorgestellt wie Hintergründe zu den verschiedenen Erkrankungen und möglichen Untersuchungen. Im Kern geht es jedoch darum, wie das Prinzip der Neuroplastizität genutzt werden kann, um chronische Beschwerden zu heilen oder zumindest zu lindern. Der Ansatz ist eine Form der Selbstermächtigung und Selbsthilfe auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Besonders gelungen finde ich die kurzen Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels und die dazugehörigen Übungen für die eigene Übungspraxis. Theorie und Praxis werden so unmittelbar und eingängig verbunden.

Die Autorin wiederholt sehr oft die Kerngedanken des Ansatzes, für mich hat sich dies trotzdem nicht redundant angefühlt, da ich so bereits beim Lesen einen Prozess des Lernens und Verinnerlichens durch die Wiederholungen gefühlt habe.

Ich habe das Buch nicht mit Tinnitus- oder Schwindelerfahrung, sondern postviralen Beschwerden (Post Covid mit Me/CFS) gelesen und konnte für mich viele wertvolle Gedanken daraus ziehen, da es aus meiner Sicht einige Parallelen gibt und die Aussagen und der Ansatz der Autorin bis zu einem gewissen Grad für viele chronifizierte Beschwerden generalisierbar sind.

Ich empfehle das Buch allen Menschen mit chronischen Beschwerden, die schon viel ausprobiert haben, vielleicht auch viel Geld ausgegeben haben. Es vermittelt eine andere Haltung, die in jedem Fall hilfreich ist, auch wenn sie keine Wunder bewirken kann. Oder vielleicht doch?

Bewertung vom 06.10.2023
The Marmalade Diaries
Aitken, Ben

The Marmalade Diaries


sehr gut

Über das nicht mehr alltägliche Zusammenleben zwischen Generationen: es lohnt sich für beide Seiten!

Ben sucht eine günstige Bleibe im überteuerten London, Winnie isst ungern allein Abendbrot - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Vielleicht!

Ben Mitte 30, Journalist, sucht kurzfristig eine bezahlbare Unterkunft in London. Und findet sie letztlich in der Einliegerwohnung bei Winnie in einem Arrangement „Wohnen und Helfen“. Winnie ist eine resolute Lady, die schon einiges gesehen und erlebt und der niemand so schnell etwas vormacht, trotz oder gerade wegen ihrer 85 Lebensjahre. Dann kommt der nächste Corona Lockdown, und bringt die neue WG noch näher zusammen, als es sich beide wohl vorgestellt haben.

Dass die Erzählung im Corona-Lockdown angesiedelt ist, finde ich sehr schön, da das Buch damit letztlich auch ein Stück jüngere Zeitgeschichte dokumentiert, mit all ihren Herausforderungen und Besonderheiten, jenseits der Wohnsituation Bens und Winnies.

Ich mochte das Setting und die Dialoge zwischen Ben und Winnie sehr. Ein bisschen ist es wie eine Oma - Enkel Situation. Früher war es noch vollkommen gewöhnlich, dass verschiedene Generationen unter einem Dach lebten und ich glaube es gibt einige Aspekte, die daran durchaus vorteilhaft für alle Beteiligten und auch unsere Gesellschaft als Ganzes waren. Denn letztlich fördert der Austausch mit anderen Generationen Verständnis und wir können gegenseitig voneinander lernen. So wie auch Winnie und Ben voneinander lernen und sich, jeder bzw. jede, nach den individuellen Möglichkeiten einbringt, um aus der ungewöhnlichen Situation eine leider nicht mehr alltägliche Freundschaft zwischen Generationen entstehen zu lassen. Natürlich kommt es dabei auch zu Reibungen, so auch bei Winnie und Ben, und auch dies ist ein Lernen. Für Ben, seinen Ärger herunterzuschlucken und Verständnis für Winnies oft ruppige Art und ihre Probleme aufzubringen, für Winnie auf Ben zuzugehen und einzusehen, dass er ihr nur Gutes will und auch sie sich für ein Funktionieren des Arrangements ein wenig auf ihn einstellen muss. Einige Situationen zwischen den beiden, haben mich sehr an meine eigene Großmutter erinnert, gerade beim Kochen und Backen der Satz „Du kannst doch nicht!“, und das Unvorstellbare, wird von der jüngeren Generation nur mit einem Schulterzucken und fragendem Blick quittiert. Es sind solche alltäglichen Situationen und Dialoge, die beim Lesen immer wieder zum Schmunzeln und Nachdenken einladen.

Die Erzählung ist, wie der Titel bereits andeutet, in Tagebuchform verfasst, mit mal kürzeren mal längeren Tageseinträgen. Immer wieder gibt es eingeschobene Passagen mit Hintergrundinformationen aus Winnies Biografie, in denen wir einen kleinen Eindruck über das Aufwachsen und den Lebensweg einer 1936 geborenen Britin, aus einem Diplomatenhaushalt gewinnen können.

The Marmalade Diaries ist ein ruhiges Buch, ohne bestimmte Dramaturgie, eher wie ein Blick in den Alltag einer ungewöhnlichen WG in einer ungewöhnlichen Zeit, und doch auf zwei gewöhnliche Menschen mit ihren individuellen Besonderheiten. Genau das macht den Charme der Erzählung aus.

Insgesamt war mir die Darstellung und der Schreibstil jedoch manchmal zu nüchtern und (gewollt) cool, zu dokumentierend als tatsächlich erzählend und deutend. Damit hat das Buch für mich etwas Potential verschenkt. Trotzdem habe ich es gern gelesen.