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Adelebooks
Wohnort: 
Bremen

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Insgesamt 136 Bewertungen
Bewertung vom 03.03.2024
Kosakenberg
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


sehr gut

Von der Suche einer jungen Frau nach Selbstverwirklichung und Heimat in der Nachwendezeit

Kosakenberg - ein Dorf im Brandenburgischen ca. 2h mit dem Zug und eine Autostunde von Berlin entfernt. Zu DDR Zeiten eine stabile Region mit Reifenwerk, Konsum, Ärzten und zahlreichen Infrastruktureinrichtungen und damit auch Beschäftungsmöglichkeiten. Hier wird Kathleen Ende der 1970er geboren, einer weitgehend unbeschwerten Kindheit folgt die schwierige Nachwendezeit, Industrieschließungen, Arbeitslosigkeit und damit der große Exit einer ganzen Generation, die gerade die Schule abschließt und mehr will vom Leben, oft sind es die jungen Frauen, wie auch Kathleen, Protagonistin in Rennefanz‘ Roman, die die Region verlassen.

Nach dem Abitur studiert sie Grafikdesign und wird mit zahlreichen Praktika und Jobs zu einer der vielen Nomadinnen ihrer Generation, mit zweitweisem Wohnsitz in verschiedenen westdeutschen Großstädten, weit weg von Kosakenberg, der alten Heimat, die immer mehr zur Erinnerung verkommt, welche bei kurzen, seltenen Besuche aufgefrischt wird. Als Kathleen schließlich mit Mitte 20 einen Job in London annimmt, werden die Besuche noch seltener.

Hier setzt die Erzählung in Kosakenberg von Sabine Rennefanz ein. In Ich-Perspektive von Kathleen erzählt, begleiten wir über knapp 15 Jahre 10 Heimfahrten. Dabei werden wir nicht nur Zeuge des Wandels in Kosakenbergs, sondern auch und das viel wichtiger, einer inneren Transformation Kathleens, in der die Protagonistin sich über viele Jahre versucht selbst zu verorten, in dieser Welt, aber auch ihrem Verhältnis zu ihrer Herkunft.

In Kosakenberg bei den Daheimgebliebenen, selbst ihren Eltern, gibt es wenig Verständnis für Kathleens Lebensweg. Fast schon abwertend wird ihrem Beruf begegnet, in einer Welt in der Arbeit das ist, was man mit den Händen erschafft.

Gekonnt kontrastiert die Autorin das Leben Kathleens, der Fortgegangenen, mit dem ihrer Mutter, aber auch der Kindheitsfreundin Nadine, die jung Mutter geworden, sich eine Existenz in Kosakenberg aufbaut und einen vollkommen anderen Lebensentwurf als Kathleen verfolgt.

An einigen Stellen waren mir Kathleens Gedanken und die Abneigung und Scham gegenüber ihrer Herkunft zu überzeichnet. Dessen ungeachtet, merkt man, dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt, die schwierige Situation und zuweilen befremdliche Atmosphäre in der ostdeutschen Provinz mit allen Brüchen und deren Folgen sind aus meiner Sicht sehr authentisch wiedergegeben.

Für Kathleen gilt die Herausforderung ein Selbst und Lebensmodell zu finden, dass einem nie jemand vorgelebt hat und für das es in der eigenen Sozialisation nur wenige Bezugspunkte gibt, einen neuen, eigenen Ort aufzubauen, der Heimat wird und ist. Es ist ein weiter Weg zu der Erkenntnis, dass sich Vergangenheit nicht abstreifen lässt, sondern nur als Teil von uns selbst zu begreifen ist, aus dem man neben den vielen neuen Erfahrungen ein neues Zuhause entwirft, sowohl in sich selbst als auch an einem Ort seiner Wahl.

Gerade durch die Authentizität der Erzählung ist Kosakenberg zwangsläufig auch eine Geschichte von starken Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich um Haus, Hof, Einkommen und die Kinder kümmern, die Männer oft abwesend oder wenig hilfreich.

Etwas gestört hat mich, dass die Autorin immer wieder vom Haus als der dritten Haut spricht, fast als ob dies ihre Idee ist, wenngleich der Begriff von Hundertwasser geprägt wurde, den sie jedoch nie nennt.

Kosakenberg ist ein sehr gut geschriebener und inhaltlich überzeugender Roman, der am Beispiel einer jungen Frau in der Nachwendezeit einen Aspekt der Geschichte einer ganzen Region und Generation erzählt und dabei Themen wie Identität, Heimat und (Herkunfts-)Scham behandelt.

Bewertung vom 03.03.2024
Das Mörderarchiv Bd.1
Perrin, Kristen

Das Mörderarchiv Bd.1


sehr gut

Kurzweiliger britischer Cosy Crime Krimi zum Miträtseln

Annie Adams, bisher etwas glücklose Krimiautorin staunt nicht schlecht, als sie sich plötzlich mitten in einer echten Mordermittlung befindet. Ihre wohlhabende Großtante Frances hat sie überraschend als Erbin eingesetzt. Doch bevor es zu einem Treffen der beiden kommt, wird Tante Frances tot aufgefunden. Zuvor hat sie eine Anweisung im Testament hinterlassen: wer ihren Mord aufgeklärt, soll Alleinerbe werden.

Eine mysteriöse Jahrmarkts-Weissagung aus Frances Jugend durchzieht die Geschichte. Tante Frances hat daraufhin 60 Jahre in einem eigenen Archiv Akten über zahlreiche Bewohner des Ortes und Familienmitglieder angelegt, um die Weissagung zu entschlüsseln und ihrem eigenen Mörder zuvor zu kommen.

Es kommen zahlreiche Verdächtige ins Bild von denen jede:r ein Motiv zu haben scheint. Klassisch sind die Hinweise und Verwirrungen, so enthält beispielsweise die Weissagung einen Vogel, während zwei Figuren der Geschichte Nachnamen mit Vogelbezug haben.

Genau genommen werden zwei Morde im Roman behandelt. Zum einen der von Tante Frances, zum anderen das 60 Jahre zurückliegende Verschwinden ihrer Freundin Emily. Emily Sparrow, Jugendfreundin von Frances und Rose, als Mädchen-Trio, ist mysteriös verschwunden. Hat der Mord an Frances mit Emilys Verschwinden zu tun?

Die Mordermittlung begleiten wir aus Annies Perspektive, die immer wieder mit Rückblicken in die Zeit um Emilys Verschwinden vor 60 Jahren ergänzt wird. Geschickt verwebt die Autorin die Perspektive Frances‘ in ihrem alten Tagebuch mit der Gegenwart und entwirft so ein kurzweiliges Krimierlebnis zum Miträtseln.

Im Mittelteil verliert sich die Geschichte ein wenig zwischen all den Verdächtigen, nimmt zum Ende jedoch wieder Fahrt auf.

Ich habe diese britische Cosy-Crime-Geschichte sehr genossen, sie hätte nach meinem Geschmack jedoch noch etwas mehr Tempo und Humor haben können.

Bewertung vom 26.02.2024
Die Halbwertszeit von Glück
Pelt, Louise

Die Halbwertszeit von Glück


gut

Glück ist kein Einzelgänger! - ein ambivalentes Leseerlebnis

Die Halbwertszeit beschreibt die Zeitspanne, in der eine im Zeitverlauf abnehmende Größe die Hälfte ihres Ursprungswert erreicht. Trifft das auch auf das Glück zu? Wie vergänglich ist Glück? Und was passiert, wenn es einmal verloren (geglaubt) ist?

Antworten auf diese spannenden Fragen entwickelt Louise Pelt in ihrem Roman die Halbwertszeit von Glück. Mit Johanna, Holly und Mylene begegnen wir drei Frauen in drei Jahrzehnten. Johanna, ehemals Physikerin in der Forschung, lebt 1987 als Einsiedlerin im Wald nahe der innerdeutschen Grenze, die junge Holly träumt 2003 von einer Karriere als Drehbuchautorin in Los Angeles und Mylene, erfolgreiche Start Up Unternehmerin in Paris steht 2019 kurz vor ihrer Hochzeit. Alle drei Frauen sind völlig verschieden, doch was sie eint, ist, dass sie völliges Glück kennen und empfinden können und - dies vielleicht als unvermeidliche Kehrseite dessen - auch absolute Verzweiflung und großes Leid. Doch ist dies wirklich alles was sie eint?

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der drei Frauen erzählt. Die Handlungsstränge verlaufen lange scheinbar unabhängig voneinander, was bei mir auch dazu geführt hat, dass mir die drei Frauen lange seltsam fremd blieben. Umso gewaltiger war für mich jedoch letztlich die Verbindung in den Geschichten, die sich nach und nach offenbart.

Auffallend positiv ist der flüssige und unglaublich eingängige Erzählstil der Autorin, die Seiten fließen nur so dahin und es kommt auch eine gewisse Spannung auf - ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichten sich entwickeln und welche Verbindung zwischen diesen Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten besteht.

Die Protagonistinnen sind für mich allerdings durchaus unterschiedlich gut ausgearbeitet. Während Johannas Schicksal auf der persönlichen Ebene nachvollziehbar und stimmig porträtiert wird, waren für mich einige Handlungen und Wendungen in Hollys und Mylenes Handlungsstrang und Charakter nur begrenzt nachvollziehbar und authentisch. Die Ankündigung im Einband von der Geschichte drei starker Frauen ist für mich daher nur bedingt treffend gewählt. Gerade Holly und Mylene habe ich über weite Teile als nicht besonders resilient wahrgenommen und letztlich auch nicht als sonderlich sympathisch.
Getrübt wird das Leseerlebnis zudem durch einige Logikfehler, sowohl in der Konsistenz der Handlung, aber auch was die Darstellung des Lebens in der DDR betrifft, die historisch nicht immer korrekt ist. Dies finde ich über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sehr schade, denn offensichtlich war es unzumutbar entsprechende Recherchen für die Geschichte zu unternehmen oder eine DDR-sozialisierte Person den Roman gegenlesen zu lassen. Hier hätte ich mir auch im Lektorat mehr Sorgfalt gewünscht.
Insgesamt im Ansatz ein schöner, kurzweiliger, zeitweise spannender und gut zu lesender Roman über die Vergänglichkeit von Glück und das Schicksal dreier Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten und gesellschaftlichen Kontexten. Für mich jedoch mit deutlichen Schwächen in der Umsetzung und Ausarbeitung, die dazu führen, dass der Roman sein Potential nicht ausschöpfen kann und wenig nachhallt.

Bewertung vom 23.02.2024
Eine halbe Ewigkeit
Kürthy, Ildikó von

Eine halbe Ewigkeit


sehr gut

25 Jahre nach Mondscheintarif

Cora Hübsch, die Kinder aus dem Haus, ihr Mann begleitet gerade den Jüngsten zum Start eines Collegejahres nach Großbritannien, entdeckt beim Entrümpeln und Entsorgen von Altpapier ihr altes Tagebuch - Mondscheintarif - 25 Jahre sind seitdem vergangen. Die Verzweiflung darüber, wie sie ohne Kinder im Haus ihr Leben gestalten soll, weicht beim Anblick der Zeilen, aus einem scheinbar anderen Leben schnell weiteren grundsätzlicheren Fragen und auch schmerzhaften Erinnerungen. Wie hat sich ihr Leben entwickelt? Hat sie das Leben gelebt, dass sie immer wollte? Hat sie womöglich das bessere Leben verpasst? Wo ist sie selbst geblieben, jenseits der Mutterrolle für ihre drei Kinder, die sie in über zwei Jahrzehnten vollkommen beansprucht hat?

Wie es der Zufall will, begegnet sie am übervollen Altpapiercontainer einer alten Kollegin und landet durch diese kurzerhand in einer Hochzeitsvorbereitung und -Gesellschaft und einem Wochenende, das viele unerwartete Erkenntnisse, Begegnungen und Wendungen in ihr Leben bringen wird.

Auf diesem turbulenten inneren Weg und ereignisreichen Wochenende begegnen uns viele Lebensweisheiten übers Muttersein, Partnerschaft, die Vergeblichkeit von Neuanfängen, aber auch Freundschaft und das Wunder der Wahlfamilie.

Phasenweise fehlte mir jedoch etwas Tiefe in der Erzählung, zu klischeehaft werden weibliche Rollenbilder reproduziert, das Bild einer Frau in der Menopause gewollt komisch ausbuchstabiert und Cora in ihrem Selbstmitleid porträtiert. Im letzten Drittel entwickelt sich der Roman jedoch noch einmal, was auch an einer weiteren Ebene der Geschichte liegt, die hier an Bedeutung gewinnt. Zwischen den Zeilen, den Menopausenproblemen, weiblichen Komplexen und wehmütigen Gedanken an ihre alte Liebe Daniel schwebt immer wieder die Erinnerung an Johanna, Coras beste Freundin seit der Grundschule. Was mit ihr passiert ist, löst sich erst nach und nach auf. Dieser Teil ist für mich der stärkste der Geschichte und hat mich zuletzt sogar ein paar Tränen gekostet.

Wirklich toll ist der kurzweilige und eingängige Schreibstil, ich habe die 300 Seiten in einem Rutsch gelesen.

Ein herzerwärmender, manchmal komischer Roman über eine Frau Mitte 50 und die alltäglichen wie auch weniger alltäglichen Herausforderungen des Lebens.

Bewertung vom 21.02.2024
Die Perlenjägerin
Beck, Miya T.

Die Perlenjägerin


ausgezeichnet

Ein besonderes Märchen inspiriert von der japanischen Mythologie mit einer unabhängigen, mutigen, jungen Heldin

Kai und Kishi sind Zwillinge und wachsen in einem kleinen Dorf im Kaiserreich Heiwadai in einer Familie von Perlentaucherinnen auf. Auch wenn im Reich zu dem der Ort gehört immer wieder Kriege herrschen, leben die beiden davon weitgehend unbehelligt mit ihren Eltern im Einklang mit Meer und Natur. Eine große Rolle im Leben der Schwestern und Perlentaucherinnen spielt jedoch die japanische Mythologie, die ihnen von ihrer mittlerweile verstorbenen Tante Hamako immer wieder in Erzählungen näher gebracht wurde.

In einem Wettstreit mit Kai beim Muscheltauchen wird Kishi vom Geisterwal angefallen und getötet. Um sie zu retten geht Kai einen folgenschweren Handel mit der Meeresgöttin Benzaiten ein, der sie auf eine abenteuerliche Reise durch das Land und viele Gefahren zum Himmelsberg führt, um eine mächtige Perle zu erbeuten. Wird sie es schaffen mit ihrem Mut die Aufgabe zu erfüllen und ihre Zwillingsschwester zu retten?

Mich begeisterte das Eintauchen in die japanische Mythologie sehr, auch wenn ich mich erst an die Begriffe und Namen der Götter gewöhnen musste, um sie dann jeweils wieder richtig zuordnen zu können. Hilfreich hierbei ist jedoch auch das wunderbare Glossar mit allen Namen und Erklärungen am Ende des Buchs.

Wirklich gut gefällt mit der emanzipative Anspruch des Romans, vermittelt zum einen über Tante Hamako. Kai und Kishi (und damit auch jungen Leser:innen) wird durch sie näher gebracht, dass sie alles sein können, was sie möchten und vollkommen unabhängig sind in ihrer Lebensgestaltung und der Wahl ihrer Lebensumstände. Zum anderen leben die Perlentaucherinnen in einer Art Matriarchat, in der (Ehe)Männer zwar zum Rudern gebraucht werden, die Frauen jedoch vollkommen selbständig, unabhängig und anerkannt sind, aufgrund ihrer Fähigkeiten, und damit zwar eine Liebesheirat eingehen können, jedoch nicht auf eine Ehe angewiesen sind.

Mit ihren Zeilen zeichnet die Autorin eine mystische Welt inspiriert von der japanischen Mythologie, mit mutigen Mädchen, die alles werden können, was sie wollen. Eine magische und lehrreiche Geschichte für kleine und große Leser:innen ab ca. 12 Jahren.

Bewertung vom 18.02.2024
Von Lampenfieber, leckeren Rezepten und meinem Lieblingssong / Ist doch Isy! Bd.2
Neubauer, Annette

Von Lampenfieber, leckeren Rezepten und meinem Lieblingssong / Ist doch Isy! Bd.2


ausgezeichnet

Ein tolles Mitmach- und Lesebuch

In Ist doch Isy, erzählt die 12-jährige Isy aus ihrem Alltag, der mit den recht typischen, deshalb jedoch nicht weniger unterhaltsamen Herausforderungen in diesem Alter gepflastert ist. Im Mittelpunkt steht ein Schulfest, für das die kreative Isy natürlich direkt gefühlte 1000 Ideen hat. Und ein paar davon teilt sie natürlich nicht nur mit ihren Klassenkamerad:innen, sondern auch gern Schritt für Schritt mit ihren Leser:innen.

Hier liegt für mich auch direkt die eigentliche Stärke des Buchs. Die vielen Bastel- und Koch- bzw. Backanleitungen sind super geeignet, um den Alltag oder auch Feiern mit Ideen zu bereichern und für kurzweilige Bastelzeit- und Backzeit zu sorgen. Batik-Shirt, Wimpelkette, Glücksbringer aus Korken, verschiedene Karten, aber auch leckere Rezepte wie ein Brotaufstrich aus getrockneten Tomaten, Bananenkuchen, Humus oder Erdnusskekse finden sich in der vielfältigen Auswahl des Buchs und sind jeweils in Isys Geschichte integriert.

Die Geschichte als solches ist altersgerecht erzählt, allerdings im recht stereotypen Stil und Inhalt. BFFs, Schulprobleme und die Herausforderungen in der Deutung von Textnachrichten, verlegte Sachen, Aufregung vor Auftritten sind die wenig originellen, jedoch nicht untypischen Herausforderungen in der Altersklasse. Was ich ein bisschen vermisse sind tatsächlich substanziellere Themen, die gerade in der neu heranwachsenden Generation Alpha und der auslaufenden Generation Z, an die sich das Buch altersmäßig adressiert, relevanter werden. Positiv ist in dem Kontext allerdings, dass fast alle DIYs nachhaltig sind und vorhandene Ressourcen schonend weiterverwenden.

Geeignet ist das Buch aus meiner Sicht insgesamt weniger für echte Leseratten, sondern eher als kreatives DIY Buch mit einer kurzweiligen Story drumherum. Die Mischung aus Rezepten und DIYs mit einer Geschichte um Isy ist genau richtig für die oft kurze Aufmerksamkeitsspanne in den frühen und verfrühten Teenagerjahren (ca. 10 bis 13 Jahre) und um Phasen von Langeweile mit produktiven Ideen zu füllen.

Bewertung vom 17.02.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


gut

Emotionale Kälte in malerischer Landschaft

Die Geschwister Jirka und Malene wachsen auf einem alten Gutshof auf. Früh haben sie die Mutter verloren. Als ob der Verlust nicht schlimm genug ist, wird das Andenken an die Mutter aufgrund des Selbstmords, der in der katholischen Enge als Frevel gilt und die Mutter damit als zu schwach fürs Leben, von Großmutter, Vater und der Dorfgemeinschaft belastet. Der Vater ist gewalttätig, auch dem jungen Jirka gegenüber, demütigt ihn, sperrt ihn sogar mehrfach in die Hundezwinger ein. Jirka wird schließlich auf ein Internat geschickt, eine Befreiung aus den Zwängen seiner Herkunft.

Gegangen als Heranwachsender vor dem Stimmbruch, kehrt er als junger Erwachsener zurück. Was ihm begegnet, ist auch nach all der Zeit die emotionale Kälte, Bedrückung und Sprachlosigkeit, die er verlassen hat. In der Erzählung, die mit der Rückkehr Jirkas einsetzt, vermischen sich Erinnerungen an seine Kindheit und die Herausforderungen der Gegenwart auf dem völlig vernachlässigten Hof. Sensibel thematisiert wird dabei auch der Umgang mit Homosexualität in diesem Milieu, das jede Abweichung der aus Tradition und Glaube definierten Norm sanktioniert.

Deutlich wird im Verlauf, dass die Bitterkeit und Kälte der Familie nicht erst mit dem gewalttätigen Vater begonnen hat, es sind vererbte Traumata einer lieblosen Kindheit die Generationen prägen, auch ihn und seine Schwester und ihre Beziehung zueinander.

Eine bedrückende Atmosphäre erzeugt die Autorin mit ihren Zeilen und lässt uns in Krummes Holz so eintauchen in ein Leben und Aufwachsen in einer lieblosen Familienkonstellation auf dem Land, geprägt durch Glaube, Gewalt, wenig Emotion, Stärke zeigen, Durchhalten. Die landschaftliche Idylle steht dabei im Gegensatz zur erlebten emotionalen Enge. Diese Dualität der Motive durchzieht die Erzählung indem der familialen Kälte eine poetische Sprache und malerische Landschaft gegenübergestellt wird.

Sprachlich konnte mich der Roman allerdings nicht völlig überzeugen, viele Formulierungen waren mir zu „ungelenk“, erzeugte Bilder nicht so, dass sie sich vor dem Auge gut zusammensetzen, weil Bezugspunkte fehlen oder nicht eingängig sind.

Krummes Holz ist ein langsamer, bedrückender Roman über eine lieblose Kindheit und ein Geschwisterpaar, das seinen Weg im Leben und zueinander sucht.

Bewertung vom 15.02.2024
Der Schacherzähler
Pinnow, Judith

Der Schacherzähler


gut

Der alte Mann, das Schachspiel, der kleine Junge und das Wunder einer großen Freundschaft

Im Mittelpunkt dieser herzerwärmenden Geschichte stehen der Grundschüler Janne, seine alleinerziehende Mutter Malu und Witwer Walter, nur Oldman genannt. Alle drei Figuren hadern auf ihre eigene Art mit dem Leben. Der intelligente, aber im standardisierten Schulsystem unterforderte und gelangweilte Janne eckt in der Schule ständig an, genau dies belastet seine alleinerziehende Mutter zusätzlich und bereitet ihr Sorgen, Oldman, vermisst seine verstorbene Frau, versucht mehr zu überleben als zu leben und seinen Alltag trotz der Trauer und Einsamkeit sinnvoll zu strukturieren. Ein wichtiger Teil dieser Struktur ist das tägliche Schachspiel im Park.

Durch Zufall entdeckt Janne beim Skaten im Park Oldman mit seinem Schachspiel und ist sofort fasziniert. Was in der Schule nicht gelingen will, wo ihm immer wieder mangelnde Aufmerksamkeit attestiert wird, im Schachspiel mit dem knurrigen Oldman ist Janne ganz bei sich selbst. Interessiert und aufmerksam entdeckt er das Spiel und saugt jede Information des alten Mannes auf.

Der Roman ist ein echter Wohlfühlroman, der ans Herz geht. Vieles ist vorhersehbar, trotzdem berührt die Geschichte um die entstehende Freundschaft dieser zunächst ungleichen Freunde.

Wirklich toll finde ich, wie der Roman am Beispiel der jungen Mutter Malu die ganz besonderen Herausforderungen von Alleinerziehenden bei komplett abwesendem Vater herausarbeitet. Denn dies bedeutet, wirklich mit ALLEM allein zu sein, IMMER - mit allen Sorgen, Freuden, Herausforderungen und nicht zuletzt der Verantwortung für sich selbst und einen weiteren kleinen Menschen. Auch die Vereinsamung älterer Menschen am Beispiel von Oldmann wird einfühlsam dargestellt.

Sprachlich konnte der Roman mich jedoch nicht vollständig überzeugen. Zwar ist die Geschichte flüssig geschrieben. Zu oft gibt es jedoch grammatikalische Konstruktionen und auch echte Fehler, die meinen Lesefluss getrübt haben, wie etwas auf Seite 85 - „Es ist wie Versprechen auf mehr Freiheit“ oder auf Seite 128 „Es ist absolut ungewohnt, dass jemand anders Janne etwas vorliest“. Auch kleinere Logikfehler haben mein Leseerlebnis etwas gemindert, da werden zum Essen extra Bandnudeln eingekauft, und auf dem Tisch verwandeln sie sich in Kartoffeln, oder eine aufgebrochene Tür, ist als solche nicht mehr zu erkennen. Warum Malus Vater Weidenfeld heißt, die Tochter aber Westphal und sein Vorname erst Helmut ist, während er später plötzlich mit Opa Karl für Janne unterzeichnet, bleibt das Geheimnis der Autorin.

Insgesamt ist der Schacherzähler ein schöner Wohlfühlroman mit Schwächen, der die Herausforderungen von Alleinerziehenden und Einsamkeit im Alter thematisiert und uns das Wunder von Freundschaft und Wahlfamilie verdeutlicht.

Bewertung vom 12.02.2024
Lily und der Herzenszauber
Fleming, Lucy

Lily und der Herzenszauber


ausgezeichnet

Ein Buch über den Mut einer kleinen Teichnixe und den Zauber der Freundschaft

Lily ist eine kleine Teichnixe und wirklich etwas Besonderes. Lily liebt ihren Teich und alle Lebewesen in und um ihn. Und wie man das so macht, wenn man etwas wirklich liebt, man kümmert sich rührend um seine Lieben. So auch Lily, egal ob es die Libellen oder ihr bester Freund Kaulquappe Blubber ist, Lily weiß Rat, Hilfe und Unterstützung für jede und jeden. Nach einem großen Unwetter wächst jedoch selbst Lily die große Zerstörung über den Kopf - wie soll sie das nur schaffen? Doch echte Freundschaft ist natürlich nie einseitig, Lilys Freunde sind zur Stelle und gemeinsam bringen sie die Schäden alle wieder in Ordnung und der Teich und Lebensraum strahlt wie zuvor. Mit Lily lernen Kinder, dass man einfach nur fragen muss, wenn man nicht mehr weiter weiß und gemeinsam selbst die größten und schwierigsten Aufgaben leichter zu meistern sind, denn auf Freunde kann man sich verlassen und gemeinsam sind wir stark!

Wirklich schön finde ich, dass Kinder ganz nebenbei auch für Umweltverschmutzung sensibilisiert werden, denn immer wieder muss Lily auch mühsam Dinge aus ihrem schönen Teich aufsammeln, die überhaupt nicht dorthin gehören.

Das Buch ist wunderschön illustriert. Egal ob Lily selbst, oder ihr bester Freund Kaulquappe Blubber, die Eisvögel und Libellen - das Buch macht einfach Lust Lilys Welt auch optisch zu entdecken und die Schätze der Natur über wie unter Wasser besser kennen zu lernen. Neben den Zeichnungen trägt zu dem herausragenden optischen Eindruck auch die sehr harmonische Farbgestaltung bei, mit der ganz gekonnt Stimmungen erzeugt und verdeutlicht werden. Im größeren Format des Buchs kommt die tolle Gestaltung besonders gut zur Geltung und macht das Buch zu einem echten (Unterwasser)Schatz.

Das Buch eignet sich ab ca. 4 Jahren als Vorlese- und Bilderbuch und später auch für die ersten Selbstleseversuche im Vorschulalter.

Bewertung vom 07.02.2024
Weiße Wolken
Seck, Yandé

Weiße Wolken


sehr gut

Ein einfühlsamer, moderner (Familien-)Roman über Zugehörigkeit in einer komplexen Welt

Leukonychia punctata - oder auch weiße Wolken. So nennt man die weißen Flecken auf den Fingernägeln. Dachte man lange dies wäre ein Ausdruck von Nährstoffmangel, geht man mittlerweile davon aus, dass es sich dabei um Mikroverletzungen handelt. Was hat das mit dem Roman zu tun? Erstaunlich viel! Denn auch in weiße Wolken geht es um Verletzungen, Erschütterungen, Einwirkungen, die ein Gesellschaftssystem und andere Menschen auf jede:n Einzelne:n ausüben. Und darum, wie wir dabei uns selbst, unsere Identität bilden und zu wem oder was wir in einer immer komplexeren Welt Zugehörigkeit empfinden. Letztlich ist es die Gesellschaft, auch ihre Zwänge und Machtstrukturen, ebenso wie die Menschen in unserem Umfeld, die uns formen und einwirken auf unser Leben.

Dieses doch sehr abstrakte Konstrukt vermittelt uns Yandé Seck in einem kurzweiligen, jedoch nicht weniger tiefgründigen, modernen Familienroman. Im Mittelpunkt zwei Schwestern, Dieo Mitte 30, angehende Psychoanalytikerin, Mutter von drei Kindern und in einer Beziehung mit Simon. Ihre Schwester Zazie ist Ende 20, Pädagogin, Masterabsolventin mit Job im Jugendbereich und mit einem untrüglichen Radar für jede Nuance einer Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe. Beide sind bei ihrer deutschen Mutter, selbst Psychoanalytikerin aufgewachsen, der Vater stammt ursprünglich aus dem Senegal, ein Freigeist und Nietzschefan, der oft abwesend war.

Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven von Dieo, Zazie und Simon erzählt. Denn alle drei hadern auf ihre Art mit sich selbst, ihrem Lebensweg und ihrer Position in der Gesellschaft.

Etwas schwer auszuhalten war für mich die Blase, in der sich alle Protagonist:innen bewegen. In einem Wort sind alle sehr „woke“, jede:r in seiner:ihrer eigenen Ausprägung.

Es wird sehr viel über Rassismus gesprochen und dabei erstaunlich wenig die eigenen Privilegien der Protagonist:innen aufgrund der sozialen Herkunft, allesamt aus gut situierten westdeutschen Akademikerhaushalten, reflektiert. Der Grad der Sensibilisierung für soziale Ungerechtigkeit manifestiert sich im Roman primär an den Merkmalen Hautfarbe und Geschlecht. Andere, ebenso wichtige gesellschaftliche Distinktionslinien, wie Bildung, Klasse etc. bleiben nahezu vollständig außen vor. Vor dem Hintergrund der intensiven Beschäftigung mit gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsstrukturen bei den Protagonist:innen, verwundern diese blinden Flecken in der Reflexion.

Wirklich stark finde ich den Roman, wenn es um Zugehörigkeit und Identität geht. Was macht uns aus? Wo gehören wir hin? Welches sind die relevanten Merkmale, die zur Verbundenheit führen? Ist es das Aussehen? Die Herkunft? Die Klasse? Die Kultur? Die Familie? Hier zeigt die Autorin am Beispiel von Dieo und Zazie überraschende Antworten auf, die der komplexen Gegenwart gerecht werden.

Auch ein Hauptsymptom dieser Gegenwart arbeitet die Autorin immer wieder sehr gut heraus. Eine Welt, in der es nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch um Darstellung. - „Es ging nicht mehr darum die Welt besser zu verstehen, sondern ihr einen Stempel aufzudrücken. Seinen inhaltsleeren, industrial-designten Stempel.“ -

Aber auch die Themen Frausein und Mutterschaft und im Gegenpol, Vaterschaft und (neue) Männlichkeit als eigene Herausforderung werden im Laufe des Roman behandelt, ebenso wie die nicht immer einfachen Beziehungen zu Müttern und Vätern.

Das klingt viel, jedoch wirkt der Roman nie überladen. Wie sich Dieo, Zazie und Simon in dieser Welt zurechtfinden, zweifeln, sich selbst finden, ihren Weg gehen und letztlich auch näher zueinander finden, ist in jedem Fall sehr lesenswert.