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Benutzername: 
luisa_loves_literature
Wohnort: 
NRW

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 11.12.2020
Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück
Bernstein, Lilly

Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück


sehr gut

Marie und Anna führen trotz des Krieges ein recht geordnetes und komfortables Leben in Köln. Als Maries Mann, der Bäckermeister Matthias, doch noch eingezogen wird, geraten ihre Lebensentwürfe und Zukunftsaussichten ins Wanken. Mit der Stunde Null spitzt sich die Lage in Köln zu und ihre Situation wird immer kritischer, doch Marie und Anna wollen nicht aufgeben.

Trümmermädchen ist ein sehr lehrreicher und lebendiger Roman, der zu einem Großteil im zeitlichen Kontext der Stunde Null und der unmittelbaren Nachkriegs- und Besatzungszeit angesiedelt ist. Diese zeitliche Situierung hat sicherlich einen wesentlichen Anteil am Reiz der Geschichte, denn diese Zeitwahl ist nun doch eher selten. Umso spannender ist die genaue historische Recherche und Ortskenntnis der Autorin, die dem Leser ein Köln präsentiert, das so völlig anders als die heutige neue Stadt ist. Ebenso faszinierend sind die Einblicke in das Chaos, den Hunger, die Trümmer, die diese Zeit, in der das Recht des Stärkeren gilt, ausmachen. Wenn man diesen Roman liest, kann man sich gar nicht vorstellen, dass irgendwann wieder auch nur ein Hauch von Ordnung in dieser zerstörten Stadt herrschen kann.

Die Figuren sind sympathisch und man leidet und fiebert sehr mit, allerdings war mir speziell Marie auch so manches Mal für eine Protagonistin nicht "kantig" genug. Annas Weg ist relativ authentisch, insbesondere die fast schon zornige Abnabelung während ihres Heranwachsen ist überzeugend. Anna und Marie bewegen sich durch eine mitreißende und interessante Geschichte, die sich sehr flüssig und ansprechend liest. Lediglich die Liebeshandlungsteile waren nicht so berührend und etwas blutleer. Obwohl vom Klappentext zentral gesetzt, wirken sie im Gesamtkonstrukt eher wie etwas, was eben zu einem historischen Roman dazugehört und daher seinen Platz in der Handlung finden muss.

Trümmermädchen ist ein sehr lesbarer, äußerst lebendiger und spannender Schmöker, der mit Lokalkolorit überzeugt und wertvolle Lücken im Geschichtswissen anschaulich zu schließen vermag.

Bewertung vom 10.12.2020
Der Buchspazierer
Henn, Carsten Sebastian

Der Buchspazierer


ausgezeichnet

Carl hat sich einen Namen als "Buchspazierer" gemacht, aber er ist alt geworden und seine junge Chefin ist der Ansicht, dass es Zeit ist, ihn wegzurationalisieren. Auf einer seiner Auslieferungstouren lauert ihm die kleine Schascha auf, die ihm mit ihrem ungestümen Wesen und ihrer kindlichen Weitsicht eine neue Perspektive auf sein Leben, seine Kunden und menschliche Beziehungen vermittelt.

Der Buchspazierer hat eigentlich alles, was eine perfekte Weihnachtsgeschichte braucht - bis auf Weihnachten und die richtige Jahreszeit. Denn es geht hier um Liebe, Menschlichkeit, Freundschaft, Mut, Nostalgie, Literatur, Bekehrung, Verzeihen und andere Themen, die allesamt ihren Platz auch in einer Adventsgeschichte finden könnten. Letztlich ist der Roman eine zwar etwas vorhersehbare und sentimentale, aber gelungene und sehr liebevolle Ode an die Literatur, das Lesen, die Bücher und ihre Kraft, Menschen zusammenbringen, zu inspirieren und reicher zu machen. Dabei wird das Wechselspiel zwischen geschriebenem Wort und wahrem Leben sehr deutlich gemacht, denn Bücher können Freunde sein und Anstösse geben, das Leben bereichern und sehr viel schöner machen, aber sie sind eben doch kein ausreichender Ersatz für reale Beziehungen.

Außerordentlich gut gefallen haben mir die (bewusst stereotypen) Figuren, die durch ihre Verbindung zu einer bekannten Romanfigur charakterisiert werden. Durch diese äußerst amüsante Gleichsetzung erübrigte sich jede weitere umfassende Darstellung. Darüber hinaus gibt es zahlreiche wunderbare und treffende Beobachtungen zu Literatur, Romanen, Buchgeschmack, Lesetempo etc., die einfach sehr nachvollziehbar, sehr hübsch und unterhaltend sind - das hat wirklich sehr viel Spaß gemacht.

Der Roman spielt virtuos auf der Gefühlsklaviatur und über weite Strecken hängt ein melancholischer Schleier über dem Geschriebenen. Dennoch ist Der Buchspazierer paradoxerweise ein wundervolles Buch für die Seele und ein absoluter Wohlfühlroman. Und auch wenn der Text gerade zum Ende hin fast melodramatisch und etwas kitschig wird, so tut das seinem Charme überhaupt keinen Abbruch. Eine Geschichte wie die Carls kann gar nicht kitschfrei erzählt werden - und im Übrigen: Kitsch tut manchmal auch gut und in diesem Fall ist der Roman so tröstlich wie eine heiße Tasse Kakao. Also kitschig und rührselig? Ja, schon. Aber ganz im Ernst - Who cares? Diese Buch tut einfach gut.

Bewertung vom 07.12.2020
Das Flüstern der Bäume
Christie, Michael

Das Flüstern der Bäume


gut

Der Baum dient in Das Flüstern der Bäume als wenig überraschendes Symbol für Familienstrukturen, obwohl am Ende die Erkenntnis steht, dass Familie wohl eher ein Wald ist, den man vor lauter Bäumen nicht sieht.

Ach, was hatte ich mich auf diesen Roman gefreut…und was war ich schon nach dem ersten Viertel „unterwältigt“ (ich muss dieses Wort hier einfach mal bemühen – es trifft es am besten): Unsympathische Figuren, deren Leben aus Enttäuschungen, Verlusten, Bindungsarmut und Drogenabhängigkeit besteht, „klammern“ sich an Bäume, die ihr Schicksal werden, und wachsen quälend langsam durch einen Plot, der so wenig flexibel ist wie eine deutsche Eiche. Bei aller Sprachkraft, der Fähigkeit, die Weite und Größe Kanadas fühlbar zu machen, und ökologisch-politischen Relevanz – das war alles sehr deprimierend und dazu noch im wahrsten Sinne „Ödnis“. Ein Eindruck, der sich immer wieder bestätigen sollte, und dies trotz des absolut innovativen Aufbaus des Romans, der vom Jahr 2038 rückwärts durch Episoden in den Jahren 2008, 1974, 1934 und 1908 reist und dann wieder in aufsteigender Reihenfolge diese Jahre thematisiert. Die Idee, einen Roman so zu strukturieren, hat mir hervorragend gefallen und auch im Kontext des Themas und der erzählten Geschichte, ist diese Wahl absolut einleuchtend. Darüber hinaus sorgt sie für die Spannung, die man in dem Roman ansonsten weitestgehend vermisst. Um ehrlich zu sein, hat mich diese unglaublich weitschweifige Familiengeschichte erst ab S. 293 mäßig interessiert – leider muss man bis dahin aber erst einmal kommen und auch alles gelesen haben, da man sonst den Anschluss verliert. Zum Ende hin nimmt der Roman tatsächlich an Fahrt auf und besticht auch mit einigen berührenden und traurigen Momenten – besonders der Handlungsstrang um Temple und Everett hat es mir da angetan – aber nochmal: dafür muss man sich durch die Längen der vorangehenden Kapitel kämpfen versinkt aber gleichzeitig in der grenzenlosen Hoffnungslosigkeit einer Dystopie, die nicht nur die Menschheit und Natur zum Tod verdammt, sondern auch das persönliche Schicksal eines jeden Menschen mit dem Label „vergeblich“ versieht. Um zu erkennen, dass es eigentlich immer nur noch schlechter werden kann, braucht man keine 560, meist langatmigen, Seiten und nach der aufzehrenden Lektüre wäre ein wahrer Silberstreif am Horizont auch mal eine nette Abwechslung gewesen.

Für mich ist Das Flüstern der Bäume ein ambitionierter Roman, dem es aber nicht gelingt, seine selbstgesetzten Ziele einzulösen. Drei Sterne gibt es für die großartige Struktur und die Seiten 293 bis 471, sowie das Interpretationspotenzial, das der Roman bietet. Sicherlich könnte ich nun beginnen, genauer über ebendieses zu grübeln und auch verschiedene Ansätze verfolgen, denn die bietet der Roman zuhauf. Aber irgendwie ist dies nach einem Leseerlebnis, das sich mich ob seiner immensen Schwere auf sprachlicher und ihhaltlicher Ebene recht erschöpft zurücklässt, zu viel verlangt – ich komme mir schon so antriebsarm vor wie die Figur des Lomax, der nicht weiß, wie er sich je wieder von seinem Opiumlager erheben soll.

Bewertung vom 05.12.2020
Mr. Crane
Kollender, Andreas

Mr. Crane


gut

Mr. Crane also: eines der großen Talente der amerikanischen Literatur, sehr früh mit Ende 20 an TB verstorben. Doch wer nun ein Psychogramm des Autors am Ende seines Lebens erwartet, wird sich wundern. Eigentlich müsste der Roman vielmehr „Schwester Elisabeth“ heißen, denn nicht Mr. Crane, sondern die Entwicklung und Entfaltung der ihn 1900 in Badenweiler pflegenden Krankenschwester steht im Zentrum dieses sprachlich sehr wunderbaren Romans.

Während des auf zwei Zeitebenen erzählten Geschehens durchlebt Schwester Elisabeth nochmals die für sie alles definierenden Tage im Sommer 1900, die sie zu der Figur werden lassen, die sie am Ende des Buches ist. Auch wenn der Roman vermutlich keinen feministischen Ansatz verfolgt: am Ende des Tages setzt er ein Ausrufezeichen hinter die Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Frau. Irritierenderweise geht dieser Effekt auf Kosten der Protagonistin, die man zu Anfang der Geschichte als sympathische, fürsorgliche und etwas einsame Pflegerin wahrnimmt und am Ende als manipulativen und egozentrischen Charakter erkennt, die auf ihrem Weg den berühmten Autor zu einem Objekt ihrer Bedürfnisse macht. Diese Art der negativ verlaufenden Sympathielenkung findet man nicht häufig, sie ist hier der schonungslosen, ungefilterten Innensicht auf Elisabeths Gedanken und Emotionen geschuldet, auf ihr zielgerichtetes Vorgehen, ihre eigenen Wünsche erfüllt zu sehen. Unbequem wird Elisabeth als Figur vermutlich für den Leser auch dadurch, dass sie im Kontext ihrer Zeit „unangepasst“ wirkt und sich in ihrer Figur eine Vertauschung der Geschlechterrollen anbahnt. Während Crane immer schwächer und abhängiger wird, wird sie dominanter und rücksichtsloser in ihrem Handeln. Auch wenn Elisabeth also nicht meine Gunst erlangt, so ist sie als Figur sehr gut konzipiert.

Schwierigkeiten bereitete mir der obsessive Charakter der Beziehung zwischen Crane und Elisabeth. Ich mag dieses Verhältnis nicht als „Liebe“ bezeichnen, dazu war mir das Verhältnis zu „oversexed“. Sicherlich macht dieser Fokus Sinn, wenn es um die Idee einer Befreiung aus einer restriktiven Gesellschaft und Normenwelt geht, aber gestört hat es mich in dem Ausmaß den es hier einnahm dennoch – aber das ist selbstverständlich Geschmackssache.

Die wundervolle Sprache des Romans, die sehr gelungen und sinnvoll platzierten Bilder, haben mich jedoch begeistert und durch den Text getragen. Wortwahl und Stil haben mich von Anfang an in ihren Bann geschlagen. Was die Art des Schreibens angeht, gehört der Roman zu meinen Lieblingsbüchern in diesem Jahr – aber leider konnte die Story mich nicht ganz so abholen.

Bewertung vom 20.11.2020
The Photography Storytelling Workshop (eBook, ePUB)
Beales, Finn

The Photography Storytelling Workshop (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

I thoroughly enjoyed this photography workshop and I’ve learned so much. Finn Beales takes you on a trip through the art of photography, sharing the secrets of the trade and behind-the-scenes insights. Even though there is of course an abundance of technical terms and technicalities, the book constantly kept me interested, which is mostly due to the great pictures that illustrate the points the author makes as well as the many small projects and exercises that are included in the workshop. I especially appreciate that the tasks are very precise, hands-on and easy to follow and try, so that you can really benefit from the attempt and the different techniques and improve your own photography. My favourite part are the explanations about colour theory and the moods and effects that can be created by complementing certain colours. The structure of the whole workshop is remarkably clear and definitely doable for beginners as well as, I believe, more advanced photographers. I highly recommend the workshop to everyone who wants to take and create better pictures.

Bewertung vom 17.11.2020
Das Wörterbuch des Windes
Blazon, Nina

Das Wörterbuch des Windes


sehr gut

Nina Blazons Roman über die Selbstfindung einer Frau Anfang 40 ist eine gelungene Beschreibung eines späten coming of age – unterhaltend, aber nicht seicht, manchmal allerdings zu lang.

Auf den ersten Blick bestand bei Sweas Geschichte sicherlich die Gefahr, dass hier auf allen Ebenen die Klischees einer „Inga Lindström“-Story bedient werden könnten – dies ist jedoch glücklicherweise nicht der Fall. Stattdessen präsentiert Nina Blazon eine sich äußerst zeitgemäß und modern anfühlende Geschichte einer Frau, die im mittleren Lebensabschnitt noch einmal einen Neustart wagt, Vernunft und Bravsein über Bord wirft und sich mit allen Sinnen, Gefühlen und auch Verzweiflung in ihr Leben stürzt. Die Darstellung des Lernprozesses und der damit einhergehenden Unsicherheiten ist authentisch und häufig frech genug, um den Leser auch über die zugegebenermaßen vorhandenen Längen zu tragen – manche Erfahrungen sind schlichtweg redundant, ein wenig Verschlankung hätte dem Roman gut angestanden.

Die Figuren, die den Roman bevölkern, sind gut konzipiert – teils verrückt, teils unbequem –
und alle mit einer Backstory versehen, die nicht nur den jeweiligen Charakter umfassend erläutert, sondern auch den Anreiz zur persönlichen Weiterentwicklung setzt. Obwohl alle Figuren einiges an Schwere und Konflikten erfahren haben, bleibt der Roman stets realistisch-optimistisch ohne allzu verschwenderisch mit Happy Ends umzugehen. Selbst die Anklänge an das Übernatürliche, das in Romanen oftmals eher merkwürdig und wenig sinnvoll erscheint, erhält hier einen durchaus überzeugenden Platz.

Island ist als Handlungsort so prägend und präsent, dass man es eigentlich ebenfalls als eigenständige Figur bezeichnen muss. Der Roman weist so viel Islandgefühl und Islandwirkung auf, dass man sich fast nach Reykjavik transportiert fühlt, und vor allem auch die Besonderheiten der Isländer gut verstehen kann. Das Wechselspiel zwischen dieser einzigartigen Insel und der besonderen Mentalität und Lebensart kommt bei Nina Blazon sehr gut zur Geltung.

Das Wörterbuch des Windes ist ein unterhaltender Roman mit ernsten Untertönen für Islandträumer, der leider zu lang geraten ist. Dies macht sich besonders auch in den letzten Kapiteln bemerkbar. Hier gab es so manchen Satz am Ende eines Kapitels, der sich ebenso gut als Schlusssatz des Romans geeignet hätte, und dem Leser dabei noch Raum zum eigenständigen Weiterdenken gelassen hätte. Stattdessen wird hier zu viel ausformuliert und das Ende immer wieder aufgeschoben, sodass es gerade zum Schluss etwas zäh wirkt.

Bewertung vom 15.11.2020
Das letzte Licht des Tages
Harmel, Kristin

Das letzte Licht des Tages


weniger gut

Champagne in den 1940er Jahren: Inès ist die unfassbar naive und eifersüchtige Gattin eines Champagner-Unternehmers, die mit einer zugegeben nicht einfachen Situation so gar nicht gut umgeht. Im Jahr 2019 benimmt sich Olivia, Anfang 40, auch nicht gerade reif für ihr Alter. Am Ende werden die ab Seite 50 erwarteten Verwicklungen genau wie antizipiert aufgelöst.

Ich wollte diesen Roman unheimlich gern lesen, denn eigentlich liebe ich solche Geschichten: ich mag historische Romane, Verwicklungen, Liebe in Zeiten des Krieges etc. All das habe ich hier irgendwie nicht bekommen. Der Roman ist weder sonderlich gut gemacht, noch überzeugt er durch einen starken historischen Kontext oder gelungene Figurenzeichnung, insgesamt ist er eher enervierend, oberflächlich und vor allem unglaublich vorhersehbar. Sicherlich gehört er in die Kategorie der sogenannten "Unterhaltungsliteratur" (übrigens eigentlich ein Unwort, denn eigentlich darf Literatur ja immer irgendwie unterhalten), aber in der Sparte gibt es dann doch einige Bücher, die die Korken besser knallen lassen, mehr Esprit und Verve an den Tag legen, als dieser.

Der Aufbau der Geschichte sollte eigentlich Spannung bieten, aber die verschiedenen Perspektiven dienen hauptsächlich dazu, durch angezeigtes Wechseln der Fokalisierungsinstanz die Nickeligkeiten der beiden Protagonistinnen in Szene zu setzen, ihre gegenseitige Ablehnung, Minderwertigkeitskomplexe und Rivalitäten.

Inès ist ein unglaublich dummes und einfältiges Wesen, die prompt auch in die Fänge eines Nazi-Kollaborateurs gerät, während Céline die mutige, aufrichtige und überlegene Widerstandskämpferin gibt, die den Widerstand aber eher nebenbei betreibt, da dieser sie auch ihrem Herzensmann näher bringt. Olivia genannt Liv, ist im Jahr 2019 mit einer gescheiterten Ehe und einer neuen Amour befasst, ist aber so mit ihrem aufrechten Gewissen und pubertärem Verhalten ihrer Großmutter gegenüber beschäftigt, dass das obligatorische Happy End für fünf Seiten in Gefahr gerät. Die Figurenkonzeption hat mich so manches Mal an den Rand der Verzweiflung gebracht. Die geschilderten Gefühle wiederholen sich, sind nicht intensiv und komplex genug und versäumen es dadurch, den Leser zu berühren. Die Frauen sind allesamt so einfach gestrickt, dass man einfach erleichtert ist, dass es sich hier nur um Fiktion handelt.

Der historische Kontext bildet eigentlich nur den dramatisch-aufgeladenen Rahmen für diese Geschichte und genauso wird er auch abgehandelt: äußerst konventionell, stereotyp mit Allgemeinplätzen und name dropping - auch da kann und muss einfach mehr sein.

Hinzu kommt noch eine gehörige Note Kitsch zum Ende, die das ganze Drama mit Zuckerrand versieht - für mich leider nur sehr schwer zu verdauen. Gefallen haben mir eigentlich nur die Infos zur Champagnerherstellung...

Bewertung vom 07.11.2020
Capitana / Lola Vasquez Bd.2 (eBook, ePUB)
Scrivner Love, Melissa

Capitana / Lola Vasquez Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine Frau ist die Herrscherin über ein Drogen-Kartell in L.A. – diese, allen typischen Geschlechter-Stereotypen zuwiderlaufende, Ausgangssituation beherrscht den als Thriller eingestuften Roman Capitana von Melissa Scrivner Love. Die Hauptfigur Lola Vasquez ist dabei nicht nur Drogenboss, harte Geschäftsfrau, Killer und Ermittlerin, sondern auch Mutter, Tochter, Schwester, Freundin, Geliebte und eben Frau.

Der Roman ist eine positive Überraschung, denn statt einer einseitig harten und brutalen Thrillerhandlung, die einen mit atemloser Bedrohlichkeit und der ständigen Aussicht auf Gewalt bei der Stange hält (diese Elemente sind natürlich auch vorhanden), wartet der Roman vor allem mit der Studie einer jungen Frau in einer ungewöhnlichen Position auf, gefangen im Spannungsfeld von sozialen Erwartungen, gesellschaftlichen Geschlechternormen, kulturellen Traditionen und den Ansprüchen ihres kriminellen Tagwerks. So gerät der Text über weite Strecken zu einer Persönlichkeits- und Gesellschaftsstudie, die ein Licht auf die Situation der Latino-Gemeinde in Los Angeles und das belastete Verhältnis zwischen dem weißen Amerika und den US-Bürgern mit mexikanischen Wurzeln wirft und dabei besonderes Augenmerk auf die stereotype Wahrnehmung der Frauen richtet. Das ist sehr gut gemacht und gesellschaftskritisch aussagekräftig, allerdings werden zur Entlarvung der Klischees leider auch immer wieder Klischees bedient, so dass sich Roman quasi selbst auch wieder seine Kraft nimmt. Hier wäre eine deutlichere Ablösung von erwartbaren Mustern sehr wünschenswert gewesen.

Die eigentliche Thrillerhandlung wartet mit einigen Überraschungsmomenten auf, aber der Thrill bleibt in Capitana eher Unterfütterung und Nebenhandlung für die Charakterdarstellung und Entwicklung Lolas. So wirken die Überfallszenen, Schießereien und Entführungen meist recht bemüht und künstlich, wenn nicht gar sehr unrealistisch – so als ob das Herz der Autorin eigentlich für die anderen Passagen schlägt, in denen Lola mit ihrer Rolle als Mutter, Schwester und Freundin hadert. Lolas leichte Orientierungslosigkeit in ihren sozialen Funktionen wird sehr gut durch den dosierten und zurückhaltenden Schreibstil gestützt, der allerdings etwas zu deutlich dazu neigt, Lolas Überforderung mit und vielleicht sogar Abneigung gegenüber ihren Positionen zu unterstreichen.

Da der Roman aber gerade in diesen Teilen einen sehr guten Spannungsaufbau hat und hier sehr interessante Einblicke in ein zutiefst geteiltes L.A. offenbart, lohnt sich der Roman. Er bietet ein unterhaltsames, interessantes und fesselndes Leseerlebnis für alle, die eher eine komplexere Figurenentwicklung als rasanter und packender Nervenkitzel reizt.

Bewertung vom 05.11.2020
Bis wir uns wiedersehen
Bailey, Catherine

Bis wir uns wiedersehen


ausgezeichnet

Der etwas kitschig klingende Titel lässt kaum vermuten, dass sich hinter dem Cover ein unglaublich erschütterndes, spannendes, nervenaufreibendes und sehr gut recherchiertes Sachbuch mit hoher Lesbarkeit verbirgt. Bis wir uns wiedersehen erzählt die Geschichte Fey von Hassels, Tochter eines der Widerstandskämpfer des 20. Juli, und ihre Odyssee durch die Grausamkeiten des zerfallenden Deutschen Reichs.

Die Tatsache, dass Fey ihre beiden sehr kleinen Söhne weggenommen werden, ist zwar der vermeintliche Ausgangspunkt dieses Buches, gerät aber schnell zu einer Nebenhandlung, denn den eigentlichen Mittelpunkt bildet Feys Überleben, ihr ständiges Bangen um ihre Familie und ihr von Gefangenschaft, KZ-Verlegungen, Solidarität unter den anderen Sippenhäftlingen und Ungewissheit geprägtes Leben von der Verhaftung bis zum Kriegsende.

Catherine Baileys recht rationaler (leider an einigen Stellen etwas ungelenk übersetzter) Stil, entfaltet gerade aufgrund seiner Nüchternheit einen Reiz. Dieses Buch ist ein Sachbuch und will auch kein Roman sein - muss es auch nicht, denn die Dinge, die hier von der Autorin beschrieben werden, sind so unfassbar, dass man sie sich kaum besser bzw. schrecklicher ausdenken könnte. Das Leseerlebnis ist gerade deshalb und in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um Fakten, Augenzeugenberichte und Erinnerungen verschiedenster Personen handelt, die zu einem sehr komplexen Teppich verwoben wurden, außergewöhnlich intensiv. Die detailreichen Schilderungen, die Exkurse über Dinge, die Feys Schicksal nicht unmittelbar betreffen (wie z.B. das Vorgehen der Roten Armee in den Städten Ostpreußens, die perfide KZ-Organisation, die Vorgeschichte des Wiesenhof), aber unglaublich interessant sind, entwerfen ein sehr umfassendes Bild der Geschichte und der Zeit. Der Leser bekommt den Eindruck, dass hier nichts vergessen, nichts ausgelassen wurde. Jede noch so kleine Ecke Wissen wird ausgeleuchtet, sodass eine nachhaltige Wirkung entsteht. Das Buch ist in jeder Hinsicht außerordentlich lehrreich.

Hinzu kommt, dass die Geschichte (obwohl real) ungeheuer spannend ist. Oftmals kann man das Buch kaum weglegen und tut es nur, weil das Furchtbare nicht mehr zu ertragen ist. So etwas muss ein Sachbuch erst einmal schaffen! Ich bin davon so begeistert, dass ich auf jeden Fall sehr gern noch weitere Bücher von Catherine Bailey lesen werde.

Bewertung vom 02.11.2020
Escape Room Adventskalender. Die drei unheimlichen Geschenke
Eich, Eva

Escape Room Adventskalender. Die drei unheimlichen Geschenke


sehr gut

Auch wenn die titelgebenden "drei Geschenke" eher mysteriös als "unheimlich" sind, so macht dieses Adventskalender-Escape-Room-Abenteuer dennoch richtig Spaß.

Als die zwei Geschwister Toni und Luka ein Hilferuf des Weihnachtsmanns erreicht, zögern die beiden nicht lang und stürzen sich in die Mission. Der Leser darf die beiden bei ihrer Aufgabe begleiten, wobei die Geschichtenhäppchen jeden Tag eine gute Länge haben, die zum Selbst- aber auch gemeinsamen Lesen gut geeignet ist. Die Story hat für Kinder einen guten Spannungsgrad und enthält auch zusätzlich auch noch den einen oder anderen pädagogischen Subtext, wie z.B. die "wahren" Weihnachtsgeschenke. Die Rätsel sind sehr abwechslungsreich, haben oft einen schönen weihnachtlichen Bezug und sind vom Schwierigkeitsgrad für acht- bis neunjährige Kinder sehr passend, einige sind dabei sogar recht knifflig, da braucht es dann schon mal erwachsene Unterstützung.

Was mir persönlich nicht ganz so gut gefallen hat, waren die etwas lieblosen Zeichnungen, die sehr viel von einer Computergrafik hatten. Vielleicht geht es bei einem Escape-Room-Abenteuer nicht anders, aber da hätte ich mir etwas mehr Wärme und Weihnachtstouch gewünscht.

Alles in allem aber ein sehr gelungener, interessanter, unterhaltsamer und abwechslungsreicher Adventsspaß zum (gemeinsamen) Rätseln!