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iGirl
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Bad Nauheim

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 26.11.2021
Weißes Teufelskraut / Apothekerin Maja Ursinus ermittelt Bd.3
Seibold, Jürgen

Weißes Teufelskraut / Apothekerin Maja Ursinus ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Spannung bis zur letzten Seite!

Es ist wieder ein wunderbar gelungener Krimi, der Dritte in seiner Reihe, mit Maja Ursinus, der Apothekerin. Maja ist diesmal konfrontiert mit einer Altherren-Riege, die ihr, zusammen mit ihrem Vater berufliche Steine in den Weg legt. Außerdem macht sich ihr Bruder Michael erneut auf suchtbedingte Abwege. Und dann ist da natürlich ein Mord, der auf perfide Art mit einem hochgiftigen Pflanzengift ausgeführt wird. Verdächtigt wird ein bekannter Arzt, der eine teure Privatklinik betreibt und seine Mitarbeiter*innen auf besondere Art auswählt. So kommt es, dass Maja, aufgrund ihrer fachlichen Expertise, gebeten wird bei der Ermittlung zu unterstützen. Doch schnell gerät alles aus den Fugen und Maja selbst in große Gefahr.

Wie bereits in den ersten beiden „Ursinus-ermittelt“-Fällen ist auch diesmal eine spannende Krimiunterhaltung gelungen, während der wir einiges über toxische Pflanzenwirkstoffe lernen. Bis zum Ende gelang es mir nicht die Geschehnisse vorauszusehen, den seltsamen Mord zu entschlüsseln oder gar den Täter zu identifizieren. Der Schluß des Buches kam für mich völlig überraschend und lässt mich, als Lesende, mit staunend offenem Mund zurück.

Die ausgefeilte Sprache, die speziellen Charaktere und die zahlreich gelegten Fährten treiben uns Lesende in hohem Tempo durch die Geschichte, die wieder einmal viel zu kurz ist und man einfach nur wissen will wie es denn mit Maja weitergehen mag. Ich warte auf den nächsten Band!

Von mir gibt es dafür eine klare 5-Sterne-Bewertung für Spannung, Raffinesse, Logik, Protagonist*innen und 100%-Leseunterhaltung.

Und ein Tipp für alle, die noch eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk brauchen: „Weisses Teufelskraut“ ist ein Krimi, den man gelesen haben muss!

Bewertung vom 21.11.2021
Sehnsucht nach Shanghai
Lingyuan, Luo

Sehnsucht nach Shanghai


sehr gut

Sex, Drugs und Rock'n Roll in den 30ern

Emily Hahn ist eine intelligente, selbstbewusste und sehr schöne Frau. Dessen ist sie sich auch bewusst, als sie mit ihrer Schwester aus Amerika nach Shanghai reist. Sofort begibt sie sich aufs gesellschaftliche Parkett und vernetzt sich mit den wichtigen Personen vor Ort. Dabei lernt sie auch den Chinesen Sinmay kennen. Fast nebenbei erfolgt die Erzählung eines Lebens voll des Journalismus, der Literatur und einer dichterischen Boheme. Eine Schlüsselrolle nimmt Sinmay ein, der ihr von Anfang an verfällt und sie in den Kriegswirren der japanischen Invasion schließlich auch heiratet – wobei es auch dabei bei Emily scheint, dass der Zweck die Mittel heiligt. Finanziell geht es bei Emily auf und ab. Doch auch hier hilft ihr immer wieder ihr alternder 'Freund', Sir Victor Sassoon, zu dem sie eine ungewöhnliche Beziehung pflegt. Trotz ihrer Zielgerichtetheit, ihrer Raffinesse und ihrer Fähigkeit quasi jeden Mann um den Finger zu wickeln, verfällt sie regelhaft in ein typisches Klischee: den stetigen Wunsch nach einer Schwangerschaft. Doch ihre Opiumsucht bringt sie fast an den gesundheitlichen Abgrund.

Richtig warm wurde ich beim Lesen mit der Protagonistin Emily nicht. Sie erscheint wie eine männerherzenmordende Diva und gleichzeitig als unglückliche Frau, die beides, aufgrund ihrer Schönheit und ihres Intellekts, eigentlich gar nicht nötig hätte. Aber vielleicht möchte die Autorin durch den distanzierten Erzählstil auch erreichen, dass der Lesende bei Emily nicht in uneingeschränkte Bewunderung verfällt. Fast fallen durch die vielen Rahmenhandlungen Emilys literarischen Erfolge unter den Tisch. Die Autorin schildert Emilys Leben als ständige Gier nach Männern, die sie gerne für ihre Zwecke einspannt und gleichzeitig stellt sie sie als unsichere einsame Frau dar, die sich unbedingt ein Kind wünscht. Wieviel stärker erscheint da Pejyu, die Erstfrau Sinmays und Mutter zahlreicher Kinder. Unklar bleibt wie viel Verletzung Pejyu durch das Dreierverhältnis tatsächlich empfindet.

Mir gelang es beim Lesen nicht eine Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Die Sprache im Roman ist sehr klar, mutet biografisch an, lässt jedoch keinerlei Gefühl aufkommen. So bleibt es für mich offen was die einzelnen Figuren tatsächlich empfinden, fühlen und wie diese Gefühle ihre Handlungen beeinflussen. Allein im Nachwort der Autorin schien mir ihre Sicht auf den besonderen Charakter Emily Hahns und ihrer gefühlvollen Bücher etwas sichtbar zu werden. Schade, dass das im Roman weniger gut gelungen ist.

Mein Fazit: 'Sehnsucht nach Shanghai' lässt sich gut und zügig lesen. Man erfährt einiges über einen kleinen Ausschnitt im Leben der Emily Hahn. Eine Beziehung zu ihr als Menschen konnte ich jedoch nicht aufbauen.

Bewertung vom 19.11.2021
Wolkenkuckucksland
Doerr, Anthony

Wolkenkuckucksland


ausgezeichnet

Ein märchenhafter Wirbel durch Jahrhunderte

Allein das Buch in Händen zu halten ist schon ein Erlebnis – schwer und glänzend liegt es in der Hand. Die Geschichte ist ein gelungener Reigen aus Märchen, Geschichte der Odyssee, griechischem Drama, historischem Roman, Science Fiction und Zeitgeschehen, ergänzt mit den Auswirkungen einer Klimakatastrophe. Mehrfach kräftig umgerührt und das Ganze gemixt mit atemberaubender Dynamik und einem hervorragenden, bildhaften Sprachstil – und fertig ist der perfekte Lesegenuss.

Die Lesereise führt uns zurück in die ferne Vergangenheit, in die Geschichte der griechischen Mythen zu den Tafeln von Antonios Diogenes und seiner märchenhaften Suche nach dem Wolkenkuckucksland. Allgegenwärtig sind die historischen Handlungsfetzen und verknüpfen dabei die Protagonisten miteinander. Wir starten in der Vergangenheit im Kampf um Konstantinopel und werden parallel zur nahen Geschichte des 20ten Jahrhunderts mit ihren Kriegen geführt, um schließlich in einer Zukunft anzukommen, in der Isolation und die Auswirkungen der Klimakatastrophe herrschen. Immer deutlich ist Angst und Verzweiflung aber mindestens genauso präsent ist auch Hoffnung und Zuversicht. In zahlreichen kurzen Kapiteln, jedes getragen durch die besonderen Personen und die ungewöhnlichen Begebenheiten, treffen wir auf besondere Kinder. Und es ist in der Tat eine Geschichte der „Besonderen“ und ihrer Tiere: Seymour der Autist und seine Eule, Omeir der entstellte Einfühlsame und seinen Ochsen, Zeno der homosexuelle Waise und sein Hund, Anna und Konstance die intelligenten weitblickenden Mädchen. Jede/r lebt in seiner Zeit und zeichnet sich dadurch aus, dass er/sie sich von den zeitüblichen Denkmustern lösen können – die Freigeister ihrer Epoche.

Beim Lesen kommt man den Protagonisten schnell ganz nahe und kann deren Gedanken und Handlungen sehr gut nachempfinden. Ich hatte das Gefühl, dass jede Figur ein so facettenreicher Charakter ist, dass er für sich mit seinem Leben ein ganzes weiteres Buch füllen könnte. Aber schließlich geht es in der Geschichte ja auch um die Fähigkeit Bücher zu lesen, denn diese spielen eine besondere Rolle.

Mich hat die Geschichte von Anfang an gepackt, ohne voraus zu ahnen wohin die einzelnen Handlungsstränge mit den Protagonisten ihrer jeweiligen Zeit führen werden. Und doch finden die Stränge im Lauf der Geschichte zueinander und für jeden einzelnen Protagonisten bedeutet es ein ungewöhnliches, unvorhersehbares Ende.

Mein Fazit: 'Wolkenkuckucksland' lohnt es zu entdecken. Ich konnte mich dem Zauber dieses Buchs kaum entziehen. Ich denke, ich werde es gerne noch ein zweites Mal lesen und dabei noch weitere interessante Details und Zusammenhänge entdecken. Einfach ein perfekt gelungenes Buch!

Bewertung vom 08.11.2021
Der Dachs, der Wind und das Webermädchen (MP3-Download)
Kay Jay

Der Dachs, der Wind und das Webermädchen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Der ewige Kampf um Gut und Böse

Musikalisch und soundtechnisch begleitet und mit einfühlsamer Stimme wird ein verzauberndes japanisches Märchen um Gut und Böse erzählt. Es geht um ein (oder eigentlich zwei) starkes Mädchen, eine liebende Großmutter, um einen aufopfernden Freund und Beschützer, um Glaube und Aberglaube, um die Geisterwelt und um dunkle Mächte – und über allem steht die Liebe, die Hoffnung und der Glaube an das Starke, das letztendlich siegen muss.

Als Zuhörerin wurde ich verzaubert durch eine stimmungspassende, begleitende Sprecherinnenstimme und ich fühlte zurück an die Vorlesestunden in der Kindheit erinnert. Wie leicht es mir doch fiel, mich wieder in die Märchenwelt hineinfallen zu lassen und gestärkt durch das zukunftsgerichtete Ende trotz des schweren Wegs und die Trauer, verursacht durch das scheinbar übermächtige Dunkel, heraus zu kommen, tief durch zu atmen und sich danach doch irgendwie gut zu fühlen. Allerdings würde ich einem 6-jährigen Kind das Märchen nicht hören lassen, zumindest nicht alleine – dazu finde ich es stellenweise zu düster und für diese Altersgruppe noch zu schwer verständlich.

Beeindruckt war ich auch durch die ergänzende Lyrik, die sich am Ende des Märchens anschließt. Eine wirklich tolle Sprache! Die Sprecher transportieren die Stimmung dieses beeindruckenden Gedichts um eine nichterfüllte Liebe sehr gut.

Bewertung vom 03.11.2021
Mädchenmeuterei
Fuchs, Kirsten

Mädchenmeuterei


ausgezeichnet

Eine reale Märchenwelt.

Irgendwie ist 'Mädchenmeuterei' ein Märchen, aber eben gespickt mit Leben und Lebendigkeit und Geheimnissen, zwar mit keinen Wundern, aber nahe dran. So passt auch die Begegnung mit dem Bösen und der Durchtriebenheit einer einzelnen Person, wie ein 'böser Stiefvater' in die Märchenwelt und doch spielt sich die ganze Geschichte real in der Welt der 16-jährigen Charlotte ab. Ein bißchen 'Tschick' und doch ganz anders!

Schon nach den ersten gelesenen Seiten war ich, als Lesende, in der Welt des jungen Mädchens angekommen. Charlottes Ich-Erzählung berührt und erinnert mich an die richtig dicken Mädchenfreundschaften - an dieses einmalige Gefühl: „allein bin ich gar nichts“. Anhand phantasievoller Sprachbilder, die teils im Telegrammstil gezeichnet sind, nehme ich teil an der 16-Jahre-Geburtstagsparty und erhalte Einblicke in die Gedanken einer 16-jährigen und ich kann mich ja so gut hineinfühlen. Fast beiläufig bemerke ich plötzlich, dass sich da eine unglaublich spannende Geschichte rund um Charlottes Freundin Bea entwickelt und es geht gar nicht mehr anders, als weiter zu lesen.

Beas Geschichte entwickelt sich anhand unkommentierter Videos die sie per WhatsApp an Charlotte schickt. Doch das Video-Puzzle mag sich nicht zu einem kompletten Bild zusammenfügen, aber es riecht nach Schwierigkeiten. Für Charlotte Grund genug ihre Mädchenclique zu einer abenteuerlichen Reise auf einem Containerschiff zusammen zu bringen. Charlotte ist sich durchaus bewusst was richtig und falsch ist, aber ihre Entscheidungen trifft sie nicht rein rational (erwachsen), sondern eben aus dem Bauch heraus. Sie will ihrer Freundin helfen.

In wunderbaren Wortbildern erzählt die Autorin, Kirsten Fuchs, eine Mädchengeschichte in der sich alles um Freundschaft dreht – da haben 'die Erwachsenen' wenig darin verloren. Als Lesender bewegt man sich, gemeinsam mit den Freundinnen, auf dem Containerschiff und lernt die verschiedenen Charaktere der Freundinnen Charlottes kennen: Freigunda die Sachenkönnerin, Mimiko die Wissende, Antonia die Unbedarfte, Yvette die Wohlhabende und erhält nach und nach ein Bild zu den Crewmitglieder auf dem Schiff und all den Geheimnissen.
Intensiv und mit hervorragendem sprachlichen Stil beschreibt die Autorin Charlottes Wahrnehmungen zu den Videos und zu den Geschehnissen. Die Bilder der Videos werden durch Worte in den Kopf des Lesenden gemalt. Das Gesehene ist nicht nur gesehen, das Erlebte nicht nur erlebt - alles wird durch phantasievolle Bilder und Gedanken begleitet. Der Lesende wird durch schillerndes Kopfkino in atemberaubender Geschwindigkeit umgarnt. Der Blick in Charlottes Gedankenwelt zeigt ein Mädchen voller Unsicherheit, voller Sorglosigkeit und voller Stärke. Ihr Gedankenweg vom Tausch des Goldes bis hin zur Glückstriangel – allein diesen einen wunderbaren gedanklichen Weg mitzugehen machte mich selbst schon richtig glücklich.

Mein Fazit: Das unbeschwerte Lachen der Mädchen, nur des Lachens wegen, und das Gar-nicht-komisch-finden worüber Erwachsene lachen - es wäre schön, wenn wir, als erwachsene Menschen, uns einen Teil davon behalten könnten. Es würde unsere Welt und unser Zusammenleben farbenfroher, zusammenhaltender und besser machen.

Bewertung vom 18.10.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Hat Heimat einen Plural?

Mit dieser interessanten Frage umschreibt Mona Ameziane in ihrem Buch die Suche nach ihren marokkanischen Wurzeln. Geboren und aufgewachsen in Deutschland, mit deutscher Mutter und marokkanischem Vater, kennt sie das Heimatland ihres Vaters vorwiegend von der schönen Seite: den Urlauben bei den Großeltern und einem Schuljahr, das sie in einer wohlhabenden marokkanischen Bubble verbrachte.

Sie beschreibt in einem gleichermaßen bildhaften und kurzweiligen Sprachstil ihre Reise zur 'halben' eigenen Herkunft, während der Reise durch Marokko, gemeinsam mit ihrem Vater, zum Geburtsort ihrer Oma. Witzig und mit scharfen Blick auf ihre beiden familiären Hintergründe erzählt sie biografisch und gleichzeitig höchst unterhaltsam. Köstlich beschrieben sind ihre Beobachtungen in den Straßencafés, den Gassen von Medina, der Pfefferminztee-Zeremonie und über das geschickte Verhandeln des Vaters. Für mich klingt das Buch wie ein Liebeslied an die schönen Seiten Marokkos, an die Gemeinschaft und den Umgang der Menschen untereinander und über ihre besonderen Gefühle zu ihren Großeltern (Lalla und Basidi). Durch feinsinnige Reflexion schafft sie es ein Bewusstsein für die Vorzüge beider Kulturen (Marokkos und Deutschlands) aufzuzeichnen.

Aktueller denn je fand ich beim Lesen das Thema Herkunft, Wurzeln, Migrationshintergrund sichtbar gemacht. Wie wichtig ist es doch für die Kinder, starke Eltern zu haben, die den Prozess des Heranwachsens und des Lebens in beiden Kulturen zu begleiten.

Mein Fazit: Ich bedanke mich für den gefühlvollen Einblick in die Besonderheiten der marokkanischen Lebensweise und für das Empfinden einer jungen Frau, die in Deutschland in einer Familie mit zwei Kulturen aufwuchs. Ich war sehr gerne auf dieser besonderen Lesereise dabei.

Bewertung vom 15.10.2021
Wie schön wir waren
Mbue, Imbolo

Wie schön wir waren


ausgezeichnet

Wut und Hoffnung

Der Schreibstil der Erzählung ist unmittelbar, berührend, authentisch. Imbolo Mbue gelingt es mit ihren bildhaften, teilweise nicht enden wollenden Sätzen zu erzählen, gleichzeitig zu erklären und Gefühle sichtbar zu machen, die eine durch Ölexploration ausgebeutete Dorfgemeinschaft über Jahre hoffen lassen, die sie prägen und quälen. Die Kapitel, der über mehrere Generationen greifende Geschichte, werden aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten des Dorfes Kosawa erzählt und es sind so viele Personen und noch mehr Schicksale. Ja, es gibt sie schon die Hauptfiguren, Thula und ihre Freunde, Sahel, Bongo, Juba, Austin, aber eigentlich sind alle im Dorf wichtig und vor allem besonders.

Und schon nach den ersten Zeilen der Geschichte sitze ich plötzlich auf dem Dorfplatz, mitten unter den Bewohnern, in dem kleinen Dorf Kosawa. Prägnant geschildert verspüre ich tiefe Ablehnung gegenüber den Mächtigen, den Führern, den Bossen. Erschrocken bin ich angesichts der Toten durch das Gift der Ölförderung. Tiefe Wut überkommt mich angesichts der Hässlichkeit der Rücksichtslosen, der Gleichgültigen und ihrer politisch schönen Worte. Und dann ist da immer wieder die unzerstörbare Hoffnung und die unbrechbare Aufbruchsstimmung und das unbeschreibliche Miteinander der Dorfgemeinschaft im Kampf gegen die Mächtigen – und ich, als Leserin, bin mittendrin und trauere, lache und kämpfe mit dem Dorf um Gerechtigkeit, um ein gesundes Leben, um die Zukunft und Tränen stehen mir in den Augen angesichts des Unrechts, der Ausbeutung, des gnadenlosen Kolonialismus, der korrupten Regierung. Und übrig bleibt Wut, denn es gibt sie immer noch, die 'Kosawa-Dörfer' und ihre Schicksale und die ganze Welt sitzt vor dem Fernseher und schaut bei Chips und Cola gelassen zu.

Mein Fazit: 'Wie schön wir waren' ist ein wunderbares Buch, das einen Einblick in Traditionen, Aberglaube, Zusammenleben, eine Welt der Wunder, Medizinmänner und einem autonomen Leben gewährt. Die Geschichte hat mich sehr nachdenklich gestimmt, darüber was Gemeinschaft und Lebensglück bedeutet und was wir, die alles haben, doch mittlerweile verloren haben. Von mir gibt es für dieses Buch eine 100%-ige Leseempfehlung!

Bewertung vom 11.10.2021
Coup
Palinkas, Johann

Coup


ausgezeichnet

Gelungenes Debüt
Die schicke Aufmachung des Buchs gefällt mir sehr gut. Insgesamt ist dem jungen Autor zu einem durchaus anspruchsvollem Thema ein überzeugendes Debüt gelungen.

In kurzen Kapiteln erzählt er, jeweils fokussiert auf eine der handelnden Personen (Politiker, Militärs, Botschafter, der Journalistin Emilia Berg und dem soldatischen Karrieristen Julius Graf) den unglaublichen Versuch der Machtübernahme der deutschen Regierung durch eine militärische Gruppe.
Gut geschildert finde ich den jungen Julius Graf, der vor Selbstbewusstsein fast zu platzen scheint und rücksichtslos, jedoch durchaus reflektiert, seinen Karriereweg verfolgt. Parallel entwickelt sich der Werdegang seiner (Noch-)Freundin Emilia Berg, einer Journalistin, die seit längerer Zeit versucht endlich ihrem trostlosem Dasein im redaktionellen Hinterzimmer zu entkommen.

Die politischen Entwicklungen führen durch die individuellen machtpolitischen Interessen der Figuren in ein nicht mehr steuerbares Chaos. Mehrere machtbesessene Strippenzieher*innen gehen über Leichen, um ihre privaten Ziele zur politischen Spitze zu erreichen. Einiges scheint mir ja durchaus nicht realitätsfern, wenn man die Ereignisse der letzten Jahre und aktueller Geschehnisse verfolgt. Alle Handlungsstränge sind schlüssig dargestellt und führen zu einem nicht vorhersehbaren Ende. Wer wissen will, wer dabei unter die Räder kommt muss das Buch halt lesen - und wird durch spannende Lesestunden belohnt.

Mein Fazit: Johann Palinkas ist eine überaus spannungsreiche Geschichte mit facettenreichen Charakteren gelungen, die er in elegantem Schreibstil präsentiert. Ich denke von ihm werden wir noch einiges hören – ich würde es mir wünschen!

Bewertung vom 03.10.2021
Der Rote Drache oder Die Frau am Klavier
Bieberstein, Charlotte von

Der Rote Drache oder Die Frau am Klavier


ausgezeichnet

Bewegtes Leben mit zwei Weltkriegen

Charlotte von Bieberstein führt uns Lesende, über die Geschichte ihres Großvaters Dr. Walter Hultsch, zurück in die deutsche Vergangenheit ab Ende des 19ten Jahrhunderts. Das Buch ist gefühlvoll biografisch mit Elementen eines Tagebuchs geschrieben. Gut gefallen haben mir die begleitenden Fotos und Bilddokumente zu den Episoden, die den Eindruck des Geschriebenen verbildlichen. An einigen Stellen, gerade wenn es um die Liebe zu seiner Frau Hilde und seinen Kindern geht, spitzt sich die Gefühlswelt des Protagonisten Walter durch und man bekommt Einblicke in den Menschen Walter Hultsch. Insgesamt sind seine Beobachtungen des Erlebten eher sachlich, fast distanziert geschildert und von seinem bildungsbürgerlichen Hintergrund geprägt.

Die Erzählung beginnt mit der unbeschwerten Kindheit Walters in der Familie. Er wächst in behüteten Verhältnissen auf, geliebt von seiner Familie und umgeben von Kultur, Kunst, Musik und Gesprächen mit bekannten Persönlichkeiten. Geldsorgen spielen in der wohlhabenden Familie keine Rolle. So gerät auch die Bildung des jungen Walters nach den Wünschen der Familie und er mündet ein in ein Studium der Rechtswissenschaften in Dresden und München. Lebhaft sind die Schilderungen, wie er das Semester in München genießt mit seinen Begegnungen der Boheme der Stadt und berühmte Personen, wie Ringelnatz. Auch schließt er sich nun einer studentischen Verbindung an und beginnt nationalistische Strömungen zu erkennen. Der Beginn des 1. Weltkriegs, die Fronterlebnisse und der Fall des Kaiserreichs prägen den jungen Mann. Er kann jedoch seinen beruflichen Weg fortsetzen, der in zu Polizei und Spionageabwehr führt. Das Kennenlernen seiner späteren Frau Hilde ist romantisch und gefühlvoll erzählt – durch diese kleinen Einblicke in seine Gefühlswelt empfand ich ihn als sehr sympathischen jungen Mann. Im 2. Weltkrieg, in dem er wiederum eingesetzt wurde blieb ihm zumindest ein Russland-Einsatz erspart. Bereits früh wandte er sich von Hitler ab und schildert ihn als linkischen, unsicheren Menschen. Während des Nazi-Regimes unterstützte er an verschiedenen Stellen im Rahmen seiner Möglichkeiten und brachte sich dadurch durchaus in Gefahr. Sehr intensiv fand ich die Freude über das Überleben und dem Wiederfinden der Familie im zerbombten Dresden. Vorhersehbar aufgrund des familiären Hintergrunds und den Verbindungen der Familie, fand ich den nahezu reibungslosen Start in ein erfolgreiches Leben nach dem Krieg. So habe ich dazu gelernt, dass sich Walter Hultsch in der DDR unermüdlich einsetzte für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, welche (nach seinem Tod) diese letzte Phase eines erfüllten, von geschichtlichen Ereignissen geprägten, Lebens abrundet.

Fazit: Für mich war das Buch eine sehr gut zu lesende Zeitreise, die durch zahlreiche, politisch geprägte, Ereignisse die Grundsteine für unsere heutige Demokratie gelegt haben. Dr. Walter Hultsch war dabei sicher eines der vielen kleinen Steinchen im Mosaik der deutschen Geschichte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2021
Herbertstraße
Freitag, Manuela

Herbertstraße


ausgezeichnet

Das Leben einer SM-Wünscheerfüllerin
'Herbertstraße' ist die Geschichte einer starken Frau. Manuela, die Protagonistin, bietet im Rotlichtmilieu als Domina besondere Dienste an. Biografisch erzählt sie über ihre Kindheit, die Jugend im Heim, über ihre Suche nach der leiblichen Mutter, über ihre Ups and Downs und dem damit zusammen hängenden Suchtverhalten, aber in erster Linie über ihren ungewöhnlichen Beruf. Dabei wirkt ihr Erzählstil wie ein distanzierter Blick von außen auf das eigene Leben.
Ich musste teilweise Absätze ungelesen überspringen weil mir die bildhaften Schilderungen zu heftig waren, zumal die Fotos im Buch mein Kopfkino befeuerten. Bisher hatte ich mir noch keine großen Gedanken gemacht über die abgründigen Fantasien der Männer in der SM-Szene. Die beschriebenen Kundenwünsche fand ich daher schon reichlich pervers. Angesichts der vielen Kunden/Gäste, die sich bei Manuela einfinden, frage ich mich, was denn da für Männer mitten in unserer Gesellschaft leben, die solche kranken Praktiken benötigen, um sexuell stimuliert zu werden. Vielleicht wäre da ja eine Psychotherapie angesagt, dann müssten keine Frauen dafür herhalten. Andererseits hat es mich erstaunt, dass Manuela diesen Beruf seit so vielen Jahren ausüben kann ohne dabei zugrunde zu gehen und sie sich trotzdem so eine positive Lebenseinstellung beibehalten konnte. Das ist eine wirklich bewundernswerte Leistung, vor allem als alleinerziehende Mutter. Bedrückend fand ich ihren Verweis darauf, dass man in dieser Berufssparte letztendlich einsam bleibt, vom 'soliden' Teil der Gesellschaft gemieden und im beruflichen Umfeld in Konkurrenz stehend.
Vielleicht können die Einkünfte aus dem Buch einen Teil zur Altersvorsorge beitragen – das würde ich Manuela wünschen. Daher von mir ein Dankeschön, dass sie ihren Lebensweg und ihre Erfahrungen mit uns Lesenden teilt.