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Ingrid von buchsichten.de
Wohnort: 
Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 326 Bewertungen
Bewertung vom 04.04.2023
Die Nacht der Lichter / Die Sommerschwestern Bd.2
Peetz, Monika

Die Nacht der Lichter / Die Sommerschwestern Bd.2


sehr gut

Im zweiten Band der Reihe „Sommerschwestern“ von Monika Peetz steht der Unfalltod des Vaters der vier Protagonistinnen im Mittelpunkt. „Die Nacht der Lichter“, wie auch der Untertitel des Buchs lautet“ ist der freudige Anlass, aus dem die Naturwissenschaftlerin Helen ihre Schwestern nach Bergen in den Niederlanden einlädt. Seit Monaten leidet sie unter Einschlafstörungen und empfindet Bedauern darüber, dass sie ihren dreißigsten Geburtstag nicht mit der Familie gefeiert hat. Immer größer wird ihr Wunsch nach gemeinsamer Zeit mit den Schwestern. Damit ihre Einladung attraktiv genug ist, um angenommen zu werden, mietet sie die Villa für mehrere Tage an, in der die Familie viele Jahre glücklich den Sommer verbrachte bis zu einer stürmischen Nacht, in der der Vater sein Leben verlor.

Über die Mutter Henriette erfuhr ich als Leserin, dass sie sich momentan auf einer Campingreise mit ihrem neuen Ehemann befindet. Helen erhält von ihrer ältesten Schwester Doro, einer selbständigen Kostümbildnerin, Helen nur eine eingeschränkte Zusage, weil sie sich wegen eines Auftrags nicht den ganzen angedachten Zeitraum freinehmen kann. Yella, die zweitälteste der vier Schwestern, freut sich, dass sie mit ihren beiden kleinen Söhnen dem Alltagstrott entfliehen kann. Helens Zwillingsschwester Amelie ist bereits vor Ort in Bergen, weil sie in dortigen Künstlerdorf in einer Wohngemeinschaft ihre berufliche und persönliche Erfüllung sucht.

Bei einer Recherche zu den Ereignissen der damaligen Sturmnacht bemerkt Helen eine Unstimmigkeit und beginnt den Tod des Vaters zu hinterfragen. Sie ruht nicht mit ihrer Suche nach dem Motiv, warum er mit dem Auto unterwegs war. Aber ihre Schwestern schweigen und fordern von ihr, nicht zurück, sondern nur nach vorne zu schauen. Mühsam trägt sie weitere Details zusammen und stellt schließlich fest, dass jede der Schwestern eine andere Erinnerung an die betreffende Nacht besitzt.

Bereits im ersten Band beschreibt die Autorin ihre Protagonistinnen mit eigenen Ecken und Kanten. Inzwischen hat sich jede von ihnen weiterentwickelt, was sich nicht immer zum Besten auf das Verhältnis der Schwestern untereinander auswirkt. Helen versteht es, trotz kleiner und größerer Meinungsverschiedenheiten Doro, Yella und Amelie zu nehmen, wie sie sind. Aber ihre Aussagen zur Sturmnacht stellen ihr Vertrauen auf eine schwierige Probe. Es ist auch wenig hilfreich, dass ihre Mutter auf telefonischen Weg wie üblich Beachtung einfordert und sich mit der Ältesten verbündet zu haben scheint.

Sehr genau schaut Monika Peetz auf das Familiengefüge und die kleinen Unstimmigkeiten, die Anlass bieten zu Eifersucht und Streit, wobei das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie aus starken Stricken gewebt ist und ein Vergeben ohne viele Worte ermöglicht. In ihre Geschichte bindet die Autorin niederländischen Lebensstil ein, den sie aus eigener Erfahrung kennt, und ermöglicht damit ein realistisches Gesamtbild.

Gerne habe ich die Sommerschwestern im zweiten Band der Reihe „Die Nacht der Lichter“ von Monika Peetz zum Urlauben ins niederländische Bergen hin begleitet. Aufgrund unterschiedlicher Lebensauffassungen und der Unsicherheit über die Ereignisse der Sturmnacht vor vielen Jahren, in denen der Vater sein Leben verlor, bleiben die Tage am Meer nicht nur unbeschwert, sondern stellen die vier Schwestern vor neue Probleme im Miteinander. Doch feste Familienbande zeigen bereits dem Nachwuchs, dass man sich übereinander ärgert, aber man auch verzeihen sollte. Ein dritter Band soll im März 2024 erscheinen und ungeduldig hoffe ich darauf, dass darin auch die letzten Widersprüchlichkeiten in der Familiengeschichte aufgeklärt werden. Gerne empfehle ich das Buch weiter. Für Lesende, die den ersten Band bereits mochten, ist das Buch ein Must-Read.

Bewertung vom 04.04.2023
Der Ruf des Eisvogels
Prettin, Anne

Der Ruf des Eisvogels


ausgezeichnet

Anne Prettin erzählt in ihrem Roman „Der Ruf des Eisvogels“ die Geschichte dreier Generationen von Frauen einer Familie im Zeitraum von 1925 bis ins Jahr 1991. Das blumige Cover steht in Verbindung mit der Schönheit der Natur, die von einigen Familienmitgliedern geschätzt wird. Demgegenüber liegen vor allem über dem Leben von Olga, der Mutter von Becki und Großmutter von Sara, dunkle Schatten. Nach Aussage ihres Großvaters, den sie Pa nennt, manifestierte sich die Seele der Mutter von Olga, die bei ihrer Geburt starb, in Form eines Eisvogels, den sie zwar selten, aber doch immer wieder zu Gesicht bekommt und auf diese Weise eine bleibende Verbindung schafft.

Zu Beginn des Buchs schildert die Autorin die Szene der Geburt von Olga, die mir als Leserin die Kenntnis über ein Geheimnis von Olgas Vater gab. Hierin erklärt sich dessen weiteres Verhältnis zu seiner Tochter, über das die Protagonisten viele Jahre rätselt, denn sie fühlt sich von ihm abgelehnt. Stattdessen wird sie von ihrem Pa und einer Haushälterin umsorgt.

An der Seite ihres Großvaters lernt sie die Natur ihres Heimatorts in der Uckermark kennen, schaut ihm bei den Behandlungen seiner Patienten zu und darf ihm in jungem Alter bereits assistieren. Für sie gibt es entgegen den Konventionen der Zeit keinen anderen Berufswunsch als ebenfalls Ärztin zu werden. Olga ist eingebunden in ein Ortsleben, in dem jeder jeden kennt und aus Freundschaften Ehen entstehen. Doch die Ideologie des Nationalsozialismus verändert die Gesinnung einiger Dorfbewohner und die Freiheit des Einzelnen wird dadurch immer mehr eingeschränkt.

Die Vergangenheit wird von Anne Prettin im Buch in Rückblenden erzählt, die eingebunden sind in das Geschehen im niedersächsischen Oldenburg, dem Wohnort von Olga im Jahr 1991. Becki und Sara wissen wenig über die Kindheit und Jugendzeit von Olga. Daher schenken sie ihr zum anstehenden Geburtstag eine Reise in die Uckermark. Mit und mit erfuhr ich als Leserin früheren bedrückenden Ereignissen, die dazu führten, dass Olga die Reise nicht antreten möchte. Sie hat inzwischen ihren Frieden mit dem damals Erlebten geschlossen und fürchtet die Begegnung mit Freunden und Bekannten aus ihren jungen Jahren.

„Der Ruf des Eisvogels“ beschreibt aber noch mehr als Dorfleben der jungen Frau während des Zweiten Weltkriegs. Anne Prettin begleitet Olga auf ihrem weiteren Weg in den Nachkriegstagen ins Ostseebad Kühlungsborn, bis sie eine neue Heimat findet im weitgehend unzerstört gebliebenen Oldenburg. Sehr gute Recherche lassen eine Historie voller Leid lebendig werden. Währenddessen hält die Autorin aus Spannungsgründen bis zum Ende hin die Frage offen, was in den letzten Kriegstagen geschah, in der Zeit, als Becki geboren wurde.

Sowohl Olga wie auch ihre Tochter und Enkeltochter haben ihre eigenen Vorstellungen vom Leben, für die sie kämpfen. Becki sucht als Restauratorin im Gegensatz zu ihrer naturverbundenen Mutter keine Heimat, sondern erhält sich ihre Neugierde auf die Erkundung neuer Örtlichkeiten, denen sie ihre Schönheit wiederschenken möchte. Sara weiß als junge Frau bereits genau, was sie möchte, vielleicht weil für sie immer jemand an ihrer Seite war, von dem sie geliebt wurde.

In ihren Roman „Der Ruf des Eisvogels“ verpackt Anne Prettin über einige unerwartete Wendungen hinweg eine Geschichte voller Freundschaft und Eifersucht zwischen Jugendlichen, dem Kampf gegen widersinnige Ideologie, dem Einsatz für ein selbstbestimmtes Leben und der unauflösbaren Liebe zwischen Mutter und Kind. Sehr gerne empfehle ich den vielseitig gestalteten Roman weiter.

Bewertung vom 04.04.2023
Maman
Schenk, Sylvie

Maman


ausgezeichnet

Sylvie Schenk hat in ihrem Buch „Maman“ eine Romanform entwickelt, mit der sie versucht, sich der Persönlichkeit ihrer längst verstorbenen Mutter Renée zu nähern. Deren Herkunft blieb der Tochter zeitlebens ein Rätsel.
Erst durch die Recherche ihrer Schwester erfuhren sie den Namen ihrer Großmutter Cécile, einer Arbeiterin in einer der Fabriken zur Seidenherstellung in Lyon, die unter der Geburt im Jahr 1916 verstarb. Sie wurde nur 45 Jahre alt. Der Vater von Renée ist unbekannt. Einige Jahre lang wuchs die Mutter der Autorin mit wenig Liebe auf dem Land auf, bevor sie von einem gut betuchten Ehepaar in Pflege genommen wurde. Dennoch hat sie aufgrund ihrer unklaren Abstammung nie die gewünschte Anerkennung in ihrer Schwiegerfamilie gefunden.
In ihrer Fantasie blickt die Autorin ihren Vorfahren über die Schulter. Auf diese Weise malt sie sich Situationen aus, die ihre Großmutter Cécile und ihre Mutter erlebt haben und lässt sie für den Lesenden lebendig werden. Sie stellt sich das Sterben ihrer Großmutter vor und ergründet in diesem Zusammenhang das Umfeld, in dem Cécile gelebt hat.
Sylvie Schenk versetzt sich in die Gefühlswelt ihrer Mutter, erkundet ihr Schweigen, ihre Ansprüche bis hin zur Vorstellung ihres Liebeslebens. Die ersten Jahre bleiben im Dunkeln, weil Renée verdrängt, was ihr widerfahren ist. Aber dennoch bleibt das Erlebte tief in ihr, denn es lässt sich nicht ungeschehen machen. Für ihre neue Pflegemutter ist es schwierig, ihr Sicherheit zu vermitteln und ihr Vertrauen zu gewinnen. Die seelischen Wunden heilen langsam.
Untrennbar ist das Leben von Renée mit dem ihrer Kinder verbunden, die sich von ihr wenig geliebt fühlten. Sie hat durch Erfahrung oder Beobachtung gelernt, wie man sich wann verhält, aber nicht, wie man Freude vermittelt. Wenn sie eine Meinung kundtat, auch gegenüber dem Dienstmädchen und dem Vater, empfanden die Geschwister sie oft als ungerecht.
Es gelingt der Autorin nicht, alle Schleier über dem Leben der Mutter zu lüften wie beispielsweise Teile eines von der Familie als Fauxpas bezeichneten Ereignisses. Dabei verbleibt ein Spielraum für eine weitere Facette, die jedes der Kinder nach eigener Vorstellung füllt. Die innere Zerrissenheit der Mutter zwischen Pflicht und der Suche nach Identität begleitet sie ein Leben lang.
In ihrem Roman „Maman“ nähert sich Sylvie Schenk anhand ihrer eigenen und der Erinnerungen ihrer Verwandtschaft einem Bild ihrer Mutter an, das sie mit ihrer Fantasie ausgemalt, aber dennoch nicht vollständig sein kann. Eine Recherche führt sie über einhundert Jahre in der Zeit zurück und verbindet sich mit der Familiengeschichte über Jahrzehnte hinweg. Es war ein aufwühlendes und bewegendes Lesen für mich, während ich mehr über die Autorin und ihrer Angehörigen erfahren durfte. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 23.03.2023
Zwischen den Wellen glitzert das Glück
Engelmann, Gabriella

Zwischen den Wellen glitzert das Glück


ausgezeichnet

Das Buch „Zwischen den Wellen glitzert das Glück“ von Gabriella Engelmann beinhaltet vier Kurzgeschichten, die Urlaubsflair verbreiten. Bereits das Cover und der Titel wirken einladend dazu. Der Verlag weist darauf hin, dass jede der Erzählungen als ebook erschienen ist sowie einige in einer Anthologie. Ich kannte keine von ihnen und habe mich gerne an der Seite der Protagonistinnen ans Meer mitnehmen lassen.
Die Protagonistinnen der Erzählungen sind unterschiedlich, aber sie vereint der Wunsch auf eine Veränderung in ihrem Leben. Caro ist Bestsellerautorin, gerade wieder Single, aber ohne Ideen für ihren neuen Roman. Im Süden Frankreichs will sie sich den Kopf frei pusten lassen und begegnet dort unerwartet einem hilfsbereiten Mann. Die Redakteurin Olivia benötigt professionelle Hilfe, um eine Lebenskrise zu überwinden. Sie findet bei einem Lebenscoach mehr als nur einen Zuhörer. Die Programmleiterin Lina hilft dem Liebesglück ihrer Freundin Anna ein wenig nach. In der letzten Erzählung des Buchs steht sie selbst im Mittelpunkt, als sie sich während einer spontanen Auszeit auf einer Nordseeinsel verliebt.
Gabriella Engelmann versteht es auch in kurzer Form eine erholsame Atmosphäre zu schaffen, egal ob am Meer oder in der Stadt. Nicht nur als Leserin war das wohltuend, sondern auch den Hauptfiguren gibt die Autorin einen entspannenden Raum, um zu sich selbst zu finden, ihre Gedanken zu ordnen, neue Ideen zu entwickeln und gelassener in die Zukunft zu schauen. Ganz nebenbei ließ sie mich durch die gewählten Berufe ihrer Protagonistinnen Einblicke nehmen in die Verlagsbranche. Bestimmt sind dabei eigene Erfahrungen aus dem Metier eingeflossen.
Die Hauptfiguren sind trotz Ecken und Kanten sympathisch gestaltet. Gabriella Engelmann beschreibt einfühlsam deren Gedanken und Gefühle. Als Lesende hofft man, dass sie Lösungen für die Sorgen in ihrem Leben finden und die Herausforderungen meistern. Die Lektüre ist passend für den Urlaub am Strand, bringt aber auch Behaglichkeit an trüben Tagen.
Mit dem Buch „Zwischen den Wellen glitzert das Glück“ verschaffte Gabriella Engelmann mir eine kleine Auszeit vom Alltag. An der Seite ihrer Protagonistinnen der vier enthaltenen Kurzgeschichten durfte ich träumen, verreisen und auf ein Happy End hoffen. Die Erzählungen sind leichte Unterhaltung, ohne kitschig zu sein. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 20.03.2023
Sommerhaus, später
Hermann, Judith

Sommerhaus, später


sehr gut

Das Buch „Sommerhaus, später“ ist der erste Erzählband von Judith Hermann, den sie vor etwa 25 Jahren geschrieben hat und der jetzt neu aufgelegt wird. Die Geschichten fanden damals große Beachtung und Lob. Insgesamt sind neun Erzählungen beinhalten. Der Titel wurde einer von ihnen entlehnt. Einige der Kurzgeschichten wurden inzwischen verfilmt und beziehungsweise oder vielfach als Schullektüre analysiert. Sie sind sehr unterschiedlich, jedoch konnte ich auch einige Gemeinsamkeiten erkennen. Allem voran fiel mir auf, dass häufig geraucht wird, sehr viel. Oft wird Alkohol konsumiert, manchmal gekifft und weil es noch nicht erfunden war, schaut niemand auf sein Handy oder tippt darauf herum. Dennoch stellt sich das Ambiente als nicht so entspannt dar, wie es vielleicht zunächst klingt. Jede der Geschichten überraschte mich mit unterschiedlichem Inhalt und interessanten Figuren.

In allen Erzählungen ist eine der ProtagonistInnen eine junge Frau, die das Leben zu genießen sucht, was ihr aber nicht immer nach ihrer Vorstellung gelingt. Dabei erscheint es so, als ob sie ihren Wunsch manchmal nicht genauer spezifizieren können. Ihr Verhalten findet zuweilen wenig Verständnis bei Bekannten und Unbekannten, Freunden und Verwandten. Sie sind Suchende nach einer haltbaren Tragfähigkeit ihres Lebens. Auch die übrigen Figuren sind abwechslungsreich gestaltet wie beispielsweise ein Künstler, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden will, ein alternder Hausbewohner mit Herz für die Jugend und ein Autor, der die Abgeschiedenheit sucht.

Der einfühlsame Sprachstil der Autorin hat über die Jahre hinweg nichts an Reiz verloren. Es gelingt ihr, die die Gefühle ihrer Figuren zum Lesenden hinzutransportieren. Rund um die von ihr geschilderten Handlungen schafft sie eine besondere Atmosphäre, die aus den Zeilen zu spüren ist. Ihre Fähigkeit, das Handeln der Personen begreiflich zu beschreiben, warf bei mir die Frage auf, ob Judith Hermann die Situationen, zumindest einige, aus eigener Erfahrung her aufgeschrieben hat.

Auch viele Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe zeigen die Erzählungen im Buch „Sommerhaus, später“ ein Lebensgefühl in verschiedenen Szenarien, die Ende der 1990er spielen, bei dem für die ProtagonistInnen gilt, dass vieles Kann und nichts Muss. Das offene Ende regt dazu an, sich die folgenden Handlungen der Figuren vorzustellen. Meiner Meinung nach haben die Geschichten einen Platz in jedem Bücherregal verdient und daher vergebe ich gerne eine Leseempfehlung.

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Bewertung vom 20.03.2023
Leonard und Paul
Hession, Rónán

Leonard und Paul


ausgezeichnet

In seinem Roman „Leonard und Paul“ hat der irische Autor Rónán Hession über mehrere Monate im fiktiven Leben der titelgebenden jungen Männer geschrieben. Beide sind knapp über 30 Jahre alt, wohnen in der gleichen Stadt und sind miteinander befreundet. Sie teilen eine Vorliebe für Brettspiele, doch was sie ebenfalls verbindet ist ihre Eigenschaft zu respektieren, dass Personen verschiedene Auffassungen haben. Sie halten sich an das weitverbreitete Sprichwort „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“, denn ihren alltägliche Umgang mit den sie umgebenden Verwandten, Arbeitskollegen, bekannten und unbekannten Menschen gestalten sie nach eigenem Selbstverständnis fair und gerecht.

Im Leben der beiden Freunde treten gerade unerwartete Wendungen ein. Leonard hat bisher gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter im elterlichen Haus gelebt, doch nun ist sie verstorben. Seine Arbeit bei einem Verlag für Kinderbücher lenkt ihn nur wenig ab. Er ist sich bewusst, dass der Verlust zu Änderungen in seinem Leben führt. Bald darauf scheint sich zum ersten Mal eine Frau für ihn ernsthaft zu interessieren.

Paul lebt bei seinen Eltern und ist vielfältig interessiert. Bisher hat er sich noch nicht entschieden, welche Arbeit ihm beruflich so ansprechend erscheinen könnte, dass er sie zukünftig ausüben möchte. Stattdessen geht er auf Empfehlung seines Vaters einer Aushilfstätigkeit als Postbote an etwa drei Tagen im Monat nach. Während die Hochzeit seiner Schwester kurz bevor steht und die Familienmitglieder in die Vorbereitungen einbezogen werden, nimmt Paul nach einer plötzlichen Idee an einem Wettbewerb teil.

Ich konnte mich gut in die Gefühlswelt beiden Protagonisten einfinden. Viel zu oft ist man im Alltag mit Menschen konfrontiert, die mit harschen Worten um sich werfen oder sich stets versuchen, einen Vorteil zu verschaffen. Leonard und Paul sind anders. In ihnen scheint die Ruhe verwurzelt zu sein, sehr schön auch symbolisiert durch den Fisch auf dem Cover. Hin und wieder geraten sie aber auch selbst in Bedrängnis. Manchmal reagieren sie so, dass es ihnen leidtut. Das Wichtigste dabei ist, dass sie selbst erkennen, dass ihre Worte oder Handlungen fehl am Platz waren. Dadurch wird eine Korrektur möglich, sei es durch eine Entschuldigung oder der Darstellung der eigenen Sicht, eventuell mit Diskussion darüber.

Manchmal stoßen die beiden Freunde aufgrund ihrer Unerfahrenheit im Umgang mit anderen an ihre Grenzen und fragen sich, wie sie anständig handeln können. Auch ihre eigene Freundschaft gerät dabei auf den Prüfstand. Es ist schön darüber zu lesen, wie die sensiblen Hauptfiguren es über einige Klippen hinweg schaffen, unbeirrt ihren Weg zu gehen. Der Autor stattet seine Figuren nebenbei mit Eigenheiten aus, die sie zusätzlich liebenswert machen und einige Male musste ich schmunzeln, wenn ich mich selbst oder andere darin erkannte. Es war sicher nicht einfach, den Text zu übersetzen und dabei den Sinn zu erhalten. Mein Kompliment dafür geht an Andrea O`Brien.

Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Menschen so einfühlsam wie Leonard und Paul agieren würden. Sicher kann der vorliegende Roman von Rónán Hession dazu beitragen, denn er enthält Situationen, an denen manch ein Rüpel sich ein Beispiel nehmen könnte. Daher empfehle ich das Buch sehr gerne weiter.

Bewertung vom 15.03.2023
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


ausgezeichnet

Das Buch „Wir hätten uns alles gesagt“ von Judith Hermann gibt die Vorlesungen wieder, die die Autorin im Rahmen einer Poetik-Vorlesungsreihe an der Goethe-Universität in Frankfurt an drei Abenden gehalten hat. Jedes Semester wird ein Autor oder eine Autorin zur Dozentur über Fragen zur poetischen Produktion und ihren Bedingungen ausgesucht. In diesem Rahmen kann er oder sie das Thema frei wählen. Dem vorgenannten Titel des Buchs wurde erläuternd ein „Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben“ angehängt. Hierin deutet sich an, dass Judith Hermann den Versuch wagt, den zuhörenden StudentInnen beziehungsweise den Lesenden ihres Buchs ihren Schreibkosmos zu erläutern.

Im Buch erklärt sie in einem kurzen Prolog wie der Text der Vorlesungen beziehungsweise des Buchs entstanden ist, in den sich persönlich Erlebtes eingemischt hat. Bewusst bringt sie sich dabei nicht selbst ins Spiel, sondern aus einer überlegenden späteren Draufsicht, ohne dafür die Gründe zu benennen, aber passend zum anschließenden Mysterium, wieviel Wahrheit in den autobiografisch angelehnten, erzählten Begebenheiten liegt.

Ausgangspunkt für die Geschichte ist Judith Hermanns Begegnung mit ihrem früheren Psychoanalytiker. Allerdings warfen ihre Aussagen über das, was und wie sie Selbsterlebtes beim Schreiben festhält, die gewollten Zweifel bei mir auf, ob das Erzählte der Realität entspricht. Denn die Autorin wendet das Geschehene wieder und wieder und reduziert dabei auf das, was ihr bemerkenswert erscheint. Ihr ist bewusst, dass dabei Vieles verlorengeht, aber rund um das Zurückbleibende baut sie ihre Geschichten auf und füllt sie mit Fantasie. Ich empfinde das als eine besondere Kunstform.

Bisher war die Autorin zurückhaltend damit, Informationen über sich selbst an die, Öffentlichkeit zu geben. Im vorliegenden Buch „Wir hätten uns alles gesagt“ erzählt Judith Hermann beispielhaft von Geschehnissen, in die ihre Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte eingebunden sind, die sie seit ihrer Kindheit durchs Leben begleitet haben. Dennoch erhält sie sich aufgrund ihres individuellen Schreibstils das Rätsel um den Wahrheitsgehalt des Erzählten. Ein Buch, wie kein anderes, das ich daher gerne empfehle.

Bewertung vom 14.03.2023
Fatmanurs fabelhafte Backwelt
Kilic, Fatmanur

Fatmanurs fabelhafte Backwelt


ausgezeichnet

Fatmanur Kilic bietet in ihrem Buch „Fatmanurs fabelhafte Backwelt“ etwa 60 Rezepte an. Sie ist gelernte Konditorin, Mitte 20 und in den Sozialen Medien unter dem Namen „Kilic-Story“ zu finden. Bei ihren Rezepten achtet sie darauf, dass sie einfach zu backen oder zu erstellen sind, lecker schmecken und appetitlich anzusehen sind.

Nach einem Vorwort, einer Kurzvorstellung der Bäckerin und einem Interview mit ihr, beginnt der Rezeptteil. Das Buch ist untergliedert in die Kategorien Basics & Grundrezepte, Klassiker à la Fatmanur, Easy peasy & megalecker, Schönes für besondere Anlässe, Kleine Köstlichkeiten & Dessert sowie Brot, Brötchen & Herzhaftes. Im ersten Kapitel zeigt Fatmanur Kilic auf jeweils einer Doppelseite welche Backzutaten in ihrer Küche nie fehlen und welche Utensilien sie immer zur Hand hat. Dann folgen die Rezepte für vier Grundteige und vier Cremes zum Füllen oder Verzieren des Gebäcks, die begleitet werden mit anregenden Fotos, meist vom Resultat.

Die Rezepte werden ansprechend in Szene gesetzt mit ganzseitigen Fotos von Julia Hoersch und gestylt von Anne Haupt, wobei sich Meike Graf um die Requisite gekümmert hat. Fatnamur Kilic gibt zu manchen Zubereitungen gute Tipps. Zu einigen Rezeptangeboten findet sich auf der Foto- oder Anleitungsseite ein Barcode zum Scannen, mit dem man eine Video-Anleitung aufrufen kann. Mehrfach finden sich im Buch doppelseitige Lifehacks zum Dekorieren des Backwerks, die zum Auffinden leider nicht einzeln gelistet sind. Ein alphabetisches Register am Ende des Buchs hilft dabei, Rezepte zu finden. Hier kann man auch nachschlagen, wenn man eine bestimmte Hauptzutat wie beispielsweise eine Obstsorte vorrätig und damit etwas backen möchte, denn bestimmte Backzutaten oder -arten sind hervorgehoben.

Inzwischen habe ich sowohl die fluffigen Amerikaner wie auch die Dinkel-Quark-Brötchen mit Schokodrops nachgebacken. Die Zubereitung war einfach erklärt und ausführlich. Die Backzeit und -temperatur war passend, so dass das Ergebnis köstlich war. Es fehlte die Angabe, dass mit Ober- und Unterhitze gebacken wird und eine alternative Einstellung für den Heißluftherd.

Das Buch „Fatmanurs fabelhafte Backwelt“ bietet neben schmackhaften Rezepten eine attraktive Aufmachung, die zum Backen anregen. Meine Familie wird sicherlich noch mit mancher Leckerei daraus verwöhnt werden. Daher empfehle ich das Buch gerne weiter.

Bewertung vom 06.03.2023
Blautöne
Bomann, Anne Cathrine

Blautöne


ausgezeichnet

Im Roman „Blautöne“ nimmt die Dänin Anne Cathrine Bomann sich des interessanten Themas an, ob es gegen anhaltende Trauer ein Medikament geben sollte. Der Titel ist eine Anspielung auf die Blue Notes in der Musik, die sich meist im Blues in drei unterschiedlichen Tonstufen Ausdruck finden und auch als traurige Noten bezeichnet werden. In der Erzählung stehen die Blautöne in Bezug auf die Abweichungen von den Normalwerten innerhalb einer Skala, die beachtenswert sein sollten, aber aus Gründen lieber unberücksichtigt bleiben, weil sie den Durchschnitt verzerren.
Thorsten Gjeldsted ist Psychologieprofessor an der Universität Aarhus und Leiter eines Teams, dass ein kurz vor der Zulassung stehendes Trauermedikament einer Feldstudie unterzieht. Das Pharmaunternehmen rechnet mit einem großen Erfolg des Arzneimittels. Nach Vorlage einer Statistik fallen Thorsten Werte auf, die einen Zusammenhang zeigen zwischen der Verbesserung des Gemütszustands der Probanden und der Abnahme ihrer Empathie. Die Besorgnis von Elisabeth Nordin wächst zusehends, weil sie um die Schwächen des Medikaments weiß. Sie ist Forschungsleiterin des Pharmaherstellers und hat das Medikament selbst erprobt, ohne das andere davon wissen. Es beginnt ein spannender Wettlauf mit der Zeit, ob die Arznei eine Zulassung erhält.
Anne Cathrine Bomann verpackt das Für und Wider, anhaltende Trauer durch die Einnahme eines Medikaments zu lindern, in eine ansprechende Geschichte. Die Autorin arbeitet als Psychologin und jederzeit hatte ich das Gefühl, sie weiß, wovon sie schreibt, eventuell auch aufgrund eigener Erfahrung und Kenntnis. Es gelingt ihr die Vermittlung an den Lesenden auf verständliche Weise. Neben Thorsten und Elisabeth stellt sie außerdem die beiden Studentinnen Anna und Shadi in den Fokus, die sich in der Phase des Schreibens ihrer Masterarbeit befinden. Im Laufe des Lesens erfuhr ich mehr über die psychischen Probleme der beiden und darüber, wie sie diese auf sehr unterschiedliche Weise verarbeiten. Auch hierbei wird das den Roman überlagernde Thema des Nutzens einer Medikation aufgeworfen.
Zu Beginn der Geschichte erzählt Anne Cathrine Bomann aus welchem Grund Elisabeth auf die Idee kam, eine Arznei gegen pathologische Traurigkeit zu erforschen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich Verständnis für die Figur aufbringen, doch ihre Handlungen ließen ihre Sympathiepunkte bei mir zusehends schwinden. Dennoch ist eine solche Entwicklung realistisch vorstellbar. Die Protagonistin verkörpert nachvollziehbar die Sichtweise der Pharmazie.
Der Roman „Blautöne“ von Anne Cathrine Bomann hat mich begeistert aufgrund der unaufdringlichen Argumentation, ob und wann ein Arzneimittel hilfreich ist. Gleichzeitig zeigt sie beispielhaft auf, wie wichtig es ist, Gefühle zuzulassen. Sie findet mit ihrem Schreibstil genau den passenden Ton einer konstruktiven Auseinandersetzung, ohne sich selbst fest zu positionieren. Ihre Figuren überzeugen durch ihre Realitätsnähe. Das Thema des Buchs ließ mich nach dem Lesen nachdenklich zurück. Sehr gerne empfehle ich es weiter.

Bewertung vom 27.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


sehr gut

Das Buch „Lichte Tage“ der Engländerin Sarah Winman erzählt die Geschichte von Ellis und Michael, die sich als Zwölfjährige kennenlernen. Ihre Freundschaft wächst mit den Jahren und verändert sich mit der Zeit bis zu einem verhängnisvollen Tag. Als Leserin begegnete ich Ellis im Jahr 1996 zum ersten Mal. Er ist 45 Jahre alt, lebt in Oxford und arbeitet in einer Fabrik für Automobile. Seine Mutter Dora hat er im Teenageralter verloren. Sie hat seine sensible Seite gemocht und diese vor dem Vater geschützt, der Ellis dazu aufgefordert hat das, was er unter männlichem Verhalten versteht, offen zu zeigen.


Das Cover des Romans erinnert daran, dass Dora auf einer Tombola ein Gemälde mit Sonnenblumen gewonnen hat, einer Reproduktion eines der Bilder des berühmten Malers van Gogh. Das Werk übernimmt im Leben der handelnden Personen mehrfach eine entscheidende Rolle. Dora bringt es beispielsweise dazu, zum ersten Mal gegen ihren Mann aufzubegehren.

Eine Krankschreibung nach einem Fahrradunfall gibt Ellis die Möglichkeit, sein Leben zu reflektieren. In Rückblenden schaut er auf die unbeschwerte erste Zeit seiner Freundschaft zu Michael, die sich in ihrer Beschaffenheit in einem gemeinsamen Urlaub in Frankreich nachdrücklich verändert. Ende der 1970er Jahre galt gleichgeschlechtliche Liebe immer noch als unsittlich und erfuhr Ausgrenzung aus der Gesellschaft und damit auch berufliche Konsequenzen. In Stellvertretung für diese Auffassung dafür steht Ellis Vater. In den Handlungen von Ellis ist zu spüren, dass er mit seinen Gefühlen zu Michael kämpft nachdem sein Vater ihn zurechtgewiesen hat. Als Annie in seine Welt tritt, wird sie für ihn zum Ankerpunkt.

Erst viele Jahre später erfährt Ellis und damit auch der Lesende, welche Emotionen Michael in dieser Zeit empfindet und wie dieser zu einem Suchenden nach einem neuen Anfang für sich wird. Dadurch, dass Michael aus der Ich-Perspektive erzählt, kommen seine Erlebnisse dem Lesenden sehr nah und wirken besonders berührend, weil er einige Verluste zu verschmerzen hat. Annie behält im Roman eine Nebenrolle, die aber metaphorisch für die allgemein wachsende Akzeptanz der Homosexualität gesehen werden kann.

War der erste Teil des Buchs „Lichte Tage“ von Sarah Winman, in dem Ellis im Fokus steht, eine einfühlsame Auseinandersetzung der Freundschaft zweier heranwachsender Jungen, so folgte darauf eine emphatische Darstellung mit einer unbesiegten Krankheit in den 1980ern, mit dessen Folgen Michael sich in seinem Umfeld über Jahre hinweg täglich auseinandersetzen muss. Freundschaft, Liebe und gemeinsame schöne Stunden stehen Tragik, Einsamkeit und schwindender Hoffnung gegenüber. Die Geschichte ist in einem unaufgeregten Schreibstil geschrieben, bewegt und hallt noch länger nach. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.