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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 10.03.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


ausgezeichnet

Der Bienenjunge von La Amistad

Francisco Morales ist alt geworden und erinnert sich nun an die Geschichte seiner Familie. Er wurde erst geboren, als seine beiden Schwestern Carmen und Consuela selbst schon Mütter wurden. Für seine Eltern war der lebhafte Junge ein Wunder. Ebenso wie Simonopio, das Findelkind, das nur wenige Jahre vor ihm zur Familie kam. Gefunden wurde das mit einer Hasenscharte verunstaltete und von Bienen umschwirrte Baby von Nana Reja, der langjährigen Amme der Familie. Während der Landarbeiter Espiricueta es von Beginn an als Teufel ansah, gewannen Franciscos Eltern es sofort lieb. Für den kleinen Francisco war Simonopia dann wie ein großer Bruder. Er wachte am Bett des Kleinen, wenn der krank war und wusste auch mit dessen Tatendrang umzugehen. Seine Besonderheit war die Verbundenheit mit den Bienen, die ihm so mancherlei zuflüsterten.
"Jetzt vermisste er die Gesellschaft seiner Bienen doch. Wenn sie nicht bei ihm waren, fühlte er sich blind, denn dann sah er nur mit den Augen und nahm die Welt um sich herum nur mit seinen fünf Sinnen wahr. Er verstand, dass dies für alle anderen Menschen die Normalität war, aber für ihn war es, als wäre er extrem kurzsichtig und schwerhörig, weil er ohne die Bienen nicht weiter sehen und hören konnte als bis zu den nächsten Hügeln."
Die Geschichte spielt zu Anfang des 20. Jahrhundert in Mexiko. Sie erzählt vom Leben auf der Hazienda, von der Revolution und der spanischen Grippe, von Sorgen und von Freuden. Aber vor allem von der engen Verbindung zwischen Francisco und Simonopia.
Ich habe mich von diesem Buch sehr gern in eine andere Welt entführen lassen. Eine Welt, die mich staunen, lachen und auch weinen ließ. Während drei Viertel des Buches relativ ruhig dahinfließen, hat die Autorin in diesem, ihrem zweiten Roman, im letzten Viertel die Spannung auf den Höhepunkt getrieben und mir ein neues Lieblingsbuch geschenkt.

Bewertung vom 05.03.2021
Sprich mit mir
Boyle, T. C.

Sprich mit mir


ausgezeichnet

Affenliebe

Ein interessantes Thema hat T.C. Boyle in diesem Buch aufgegriffen: Wie nah stehen uns Tiere?

Die Studentin Aimee ist fasziniert von Sam, dem Schimpansen, den Professor Guy Schermerhorn im Fernsehen vorgestellt hat. Denn er kann in Gebärdensprache kommunizieren. Als sie dann bei eben diesem Professor eine Stellenanzeige findet, bewirbt sie sich und wird vom ersten Moment eingespannt. Nicht vom Professor, sondern von Sam, dem Schimpansenjungen, der sofort Vertrauen zu ihr hat. Sie lässt das Studium sausen und beschäftigt sich rund um die Uhr mit Sam. Als die Studie, in der es um Gebärdensprache von Affen geht, abgesagt wird und Sam zum Züchter zurück muss, setzt sie sich mit all ihren Mitteln für den Schimpansen ein.

Dass Haustiere mit uns kommunizieren – wenn auch nicht mit Gebärdensprache – weiß wohl jeder Hunde- oder Katzenliebhaber. Doch: Wie weit kann man wilde Tiere domestizieren und was ist die Folge davon? Laut Wikipedia gehören Affen und Menschen wegen ihrer großen Gehirne in die Gruppe der Primaten. Doch kann man sie deswegen gleich setzen?

T.C.Boyle erzählt seinen Roman aus drei Perspektiven. So lernen wir das Verhalten und die Gedanken von Guy, Aimee und auch Sam kennen. Als Leser kann man sich gut in alle drei Charaktere hineinversetzen. Was mich allerdings beim Lesen etwas störte, war die Erzählweise, die so manche plötzliche Zeitsprünge aufwies und es nicht schaffte, mich jederzeit bei der Stange zu halten.

Bewertung vom 02.03.2021
Der Zirkus von Girifalco
Dara, Domenico

Der Zirkus von Girifalco


ausgezeichnet

Als bekennende Zirkusliebhaberin dachte ich, nicht um dieses Buch herum zu kommen. Anfangs war ich auch recht angetan. Der Autor führt in den ersten sieben Kapiteln einige Bewohner der kalabrischen Kleinstadt Girifalco ein. So bekommt man als LeserIn einen guten Überblick über die Eigenheiten der Menschen. Da gibt es Lulù, den verrückten Musikliebhaber, Cuncettina, die sich vergeblich nach einem Kind sehnt, der nach seinem Bruder suchenden Archidemu, die eifersüchtige Mararosa, den Frauenhelden Venanziu, das Glückskind Rorò sowie den kleinen Angeliaddu. Alle sind so beschrieben, dass man schnell eine Beziehung zu ihnen aufbaut und das Lachen über so manche menschliche Eigenschaft nicht ausbleibt.

Im achten Kapitel ändert sich die Erzählweise. Alle warten auf den 15. August, an dem nicht nur eine Prozession zu Ehren der Muttergottes stattfindet, sondern zur ganzen Festwoche auch Karrussels aufgebaut werden. Doch die bleiben dieses Jahr aus nicht genannten Gründen fern. Dafür verirrt sich ein Zirkus in das Städtchen und der Autor beginnt, die Protagonisten miteinander agieren zu lassen. Anfangs empfand ich das als eine durchdachte Komposition. Allerdings verliert sich Dara nun in Einzelheiten, die die Geschichte so gar nicht mehr vorwärtsbringen und den Lesefluss immer mühsamer werden lässt. Erst zum Schluss hin nimmt die Erzählung nochmal etwas Fahrt auf, um dann in einem runden Ausklang zu enden.


Dies ist nach „Der Postbote von Girifalco“ der zweite Roman von dem 1971 geborenen Domenico Dara. Der Autor, der in Italien schon zahlreiche Preise gewonnen hat, setzt damit seiner Heimatstadt ein nettes Denkmal. Obwohl seine Romane in Italien begeistert aufgenommen wurden, bin ich nach dem Lesen zwiegespalten. Im Mittelteil quälte ich mich über weite Strecken durch das Buch, weil der Autor zu ausschweifend erzählt. Vielleicht unterscheidet sich die italienische und deutsche Mentalität doch grundlegend? Oder muss man das Buch in kleinere Abschnitte einteilen, um die Feinheiten der Erzählweise zu entdecken? Denn zwischendurch taucht immer wieder Daras augenzwinkernder Humor auf, der mir ein Grinsen aufs Gesicht zauberte.

„Girifalco wurde im Norden von der Nervenheilanstalt und im Süden vom Friedhof begrenzt, sodass seine Bewohner sich täglich zwischen Wahnsinn und Tod bewegten.“ (Seite 102)


Wer den Roman übrigens wie ich wegen des Zirkus im Titel zur Hand nimmt, sollte sich nicht allzu viel Zirkusflair erhoffen. Zwar werden die Artisten und ihre Kunststücke vorgestellt, doch sorgen vor allem die Bewohner des süditalienischen Städtchens mit ihrem Verhalten für Zirkus, der durch die Zirkusleute weiter angefacht wird.

Bewertung vom 24.02.2021
Aus der Mitte des Sees
Heger, Moritz

Aus der Mitte des Sees


sehr gut

Entscheidungen

„Kratzt die Kutte eigentlich“, hat Lucian noch gefragt, als sich unsere Wege trennten, und ich habe gelacht: „Noch so eine Gretchenfrage. Nun, ein Schaf sollte keine Wollallergie haben, das wäre schlecht.“

Dieses Buch beginnt sehr ruhig. Lukas, ein 40jähriger Benediktinermönch – bisher der jüngste im ganzen Kloster – sinniert tagebuchartig über seinen Alltag. Er hält sich gern am Vulkansee auf, wo er meist abends die Natur und das Schwimmen genießt. Tagsüber muss er sich um die Gäste kümmern, die sich eine Auszeit im Kloster gönnen. Besonders viel denkt er über seinen Freund Andreas nach, der mit ihm ins Kloster gegangen war, sich inzwischen aber für eine Familie entschieden hat.
Anfangs fiel es mir schwer, Lukas‘ Gedanken zu folgen. Die Ursprünge klären sich erst nach und nach auf. Deutlicher werden dagegen seine Zweifel: Ist er wirklich an der richtigen Stelle? Am 3. Tag seiner 14tägigen Tagebuchaufzeichnungen stellt er fest:
„Die Natur ist letztlich robust, verglichen mit dem geistlichen Leben. Das ist ein weitaus zarteres Pflänzchen, das bräuchte eine noch viel kargere Umwelt. Aber die Nährstoffe, die in unserer heutigen Gesellschaft den Glauben schon im Kind ersticken, kriegt man nicht reduziert.“
In der ersten Hälfte des Buches hat mich der ewig lange Monolog teilweise noch gelangweilt. Da fragte ich mich noch, warum der Diogenes-Verlag sich darauf eingelassen hat. Die Emotionen waren mir zu distanziert – so, als dürfe Lukas sie nicht zulassen. Einzig beim Schwimmen im See fühlte er sich getragen.
Doch dann trat Sarah in sein Leben und die Erzählung nahm Fahrt auf. Wieder denkt Lukas viel über Andreas nach; erinnert sich an seine Jugend, an seine Freundin. Auch stellt er Verbindungen zu seinen Klosterbrüdern her:
„Ein Kloster ist eine Erinnerungsgemeinschaft, größer als eine Familie und weiter zurückreichend. Hier sind Erinnerungen Tatsachen, tiefe Wurzeln.“

Mich hat das Buch tief beeindruckt. Zum einen gefiel mir die Erkenntnis, dass Mönche mehr Freiheiten besitzen, als ich bisher dachte und es immer noch junge Männer gibt, die von einem Leben zwischen Brüdern träumen. Auf der anderen Seite kommen auch Zweifel an der Entscheidung zu diesem zölibatären Leben zum Tragen.

Wegen des für mich schwierigen Einstiegs in das Buch ziehe ich einen Punkt von der vollen Punktzahl. Alles in allem kann ich die Geschichte aber voller Überzeugung empfehlen. Es lohnt sich durchzuhalten!

Bewertung vom 22.02.2021
Der verlorene Sohn
Grjasnowa, Olga

Der verlorene Sohn


gut

Jamelludin war neun Jahre alt, als er von den Russen zur Geisel genommen wurde. Sie verschleppten ihn in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts aus dem Nordkaukasus. Nach vier Wochen erreichte der Sohn des Imam Schamil und Liebling seiner Mutter Moskau, wo er vom Zar in die besten Schulen geschickt wurde.
Mit ruhiger, unaufgeregter Schreibe führt uns die Autorin in die Kulturunterschiede zwischen den Awaren und Russen ein. Den Großteil des Buches füllt das Leben am Zarenhof und in Petersburg, ehe zum Schluss noch ein wenig Spannung aufkommt.

Olga Grjasnowa, geboren 1984 in Baku, Aserbaidschan, kann auf längere Auslandsaufenthalte in Polen, Russland, Israel und der Türkei zurückblicken. Seit 1996 lebt sie in Deutschland, wo sie schon mehrere Bücher veröffentlicht hat. Ihre Themen sind Immigration und deren Folgen.

Auch in diesem Buch bleibt sie ihrem Themenkomplex treu. Allerdings ist hier der Ortswechsel nicht durch eigenen Antrieb (Flucht wie in „Gott ist nicht schüchtern“) ausgelöst, sondern durch außen (Entführung in ein fremdes Land) verursacht. Dem Kind Jamalludin bleibt nichts anderes übrig als sich zu fügen. Obwohl er sich in der neuen Umgebung assimiliert, bleibt er trotz seiner hervorragenden Ausbildung durch das Beibehalten seines muslimischen Glaubens ein Außenseiter.

Die Autorin ahmt in weiten Strecken Tolstojs ausufernden Erzählstil nach, allerdings fehlt ihr sein Esprit, weshalb so manche Szene fast langweilig wirkt. Auf der anderen Seite merkt man, dass Grjasnowa weiß, wovon sie schreibt, wenn es um Sprachen- und Religionsvielfalt geht. Der Erzählstil selbst war mir in diesem Buch allerdings zu emotionslos, so dass ich bei der Bewertung nicht über drei Sterne hinaus komme.

Bewertung vom 16.02.2021
Wo wir Kinder waren
Naumann, Kati

Wo wir Kinder waren


sehr gut

Schöne Familiengeschichte

Eva, Jan und Iris sind Cousins, die 1966 das Licht der Welt erblickten. Zwei wuchsen im thüringischen Sonneberg auf, wo die Familie schon seit Beginn des Jahrhunderts eine Spielzeugfabrik betrieb. Iris ist die Tochter des ältesten Sohns der Familie Langbein, der schon vor der Geburt seiner Tochter in den Westen geflüchtet ist. Zu dritt räumen sie das Stammhaus der Familie in Sonneberg und erinnern sich dabei an die gemeinsame Zeit im Sommer 1975. Damals durfte Iris die Ferien bei den Großeltern in Sonneberg verbringen.


Kati Naumann, deren Urgroßeltern in Sonneberg selbst in zweiter Generation eine Spielzeugfabrik führten, hat eine einfühlsame, gut lesbare Geschichte über Gegenwart und Vergangenheit geschrieben. Sie hat für ihre Recherche in Archiven gestöbert und mit Zeitzeugen gesprochen. Ebenso wie in ihrem ersten Roman „Was uns erinnern lässt“ (der mich sehr neugierig auf den Rennsteig gemacht hatte) hat sie sehr nachvollziehbar die Historie der grenznahen Sperrzone gezeichnet.


Abwechselnd begleitet sie in einem Erzählstrang die Cousins beim Räumen des Hauses und erzählt in einem zweiten von der Puppen- und Tierherstellung über ein Jahrhundert hinweg. Zu erfahren, wie mühsam der Beginn war und was für Schwierigkeiten die Fabrikbesitzer und Arbeiter nach den Kriegen zu überwinden hatten, fand ich interessant.

Was mir auch sehr gefiel, war die Darstellung der Unterschiede zwischen den Generationen. Ebenso werden die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland deutlich. Ich finde es immer wieder spannend zu erfahren, warum noch heute in manchen Köpfen die Grenzen existieren. In diesem Buch jedoch werden sie aufgehoben, die jüngere Generation kommt sich näher und stellt gemeinsam etwas auf die Beine.


Ich wünsche diesem Buch viele junge LeserInnen, die gar nicht mehr wissen, wie es damals in der DDR zuging. Denn nur mit dem Wissen darüber kommt auch Verständnis füreinander auf. Heute muss niemand mehr neidisch über innerdeutsche Grenzen hinwegsehen, aber eine wirkliche Einheit lässt leider auf so manchem Gebiet noch auf sich warten.

Bewertung vom 15.02.2021
Abhängigkeit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.3
Ditlevsen, Tove

Abhängigkeit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.3


ausgezeichnet

Ein erschütternder Bericht über Medikamentensucht

Der beeindruckendste Teil der Kopenhagen-Trilogie, der sehr ehrlich berichtet, wie unmerklich die Autorin in die Sucht geriet und nicht mehr heraus kam.

Im dritten Teil ihrer Autobiografie entwickelt sich Tove Ditlevsen zu einer Person, die vor allem auf ihr eigenes Wohl bedacht ist. Sie heiratet den Verleger der Zeitschrift, in dem ihr erstes Gedicht veröffentlicht wurde. So ist sie nicht mehr darauf angewiesen, selbst Geld zu verdienen und kann sich (heimlich) ihrem ersten Roman widmen. Mit Hilfe ihres Mann findet sie einen Verlag und bekommt einen Namen in der Schriftstellerwelt. Sie wird zur Vorsitzenden einer Vereinigung junger Dichter und findet einen neuen Liebhaber. Mit ihm bekommt sie eine Tochter, verliert aber nach der Geburt für längere Zeit jegliche Libido. Aus diesem Grund will sie ihre zweite Schwangerschaft abbrechen. Dazu benötigt sie einen Arzt, der schließlich ihr dritter Mann wird. Er spritzt ihr Medikamente, die sie in eine wohlige Stimmung versetzen und von denen sie schließlich abhängig wird.

Im zweiten Teil dieses Buches schildert die Autorin ausführlich die Umstände, die sie in die Sucht trieben und auch den schwierigen Weg wieder hinaus. Jetzt geht der ursprünglich vorhandene Humor ihrer Aufzeichnungen verloren. Sehr ehrlich berichtet sie, wie sie immer mehr Spritzen benötigt, um den Tag zu überstehen. Anfangs half ihr noch eine Umstellung auf Methadontabletten beim Schreiben, doch nach Fertigstellung des Romans verlor sie jeglichen Halt. Sie magerte ab und fand erst kurz bevor es zu spät war den Weg in die Klinik. Lange durfte sie ihre Kinder nicht sehen (inzwischen waren es drei) und auch, als sie wieder zu Hause war, gelang es ihr nicht, die Abhängigkeit ganz abzulegen.

Das zu lesen ist erschütternd! Aus der ehemals taffen jungen Frau, die konsequent ihren Weg verfolgte, wurde eine völlig hilflose Person. Ihre Schwierigkeiten, sich die Sucht selbst einzugestehen, beschreibt sie ebenso ehrlich, wie den fast unmöglichen Weg, wieder herauszukommen. Diese Offenheit hat mich fasziniert.
Ein Buch, das ich jedem nur ans Herz legen kann. Noch nie habe ich einen so mitreißenden Bericht über die Entstehung einer Sucht gelesen, die daraus entstehenden Konsequenzen und die Unmöglichkeit, wieder ins normale Leben zurückzukehren.

Bewertung vom 15.02.2021
Jugend / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.2
Ditlevsen, Tove

Jugend / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.2


ausgezeichnet

Die ersten Schritte einer Dichterin

Auch im zweiten Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie plaudert Tove Ditlevsen munter drauf los. Als Leser begleiten wir die 1917 in eine Kopenhagener Arbeiterfamilie hineingeborene Jugendliche auf ihrer Suche nach Unabhängigkeit.

Was waren das für Zeiten, als ahnungslose Jugendliche als Haushaltshilfen eingestellt wurden und ohne jegliche Einführung allein die Familienarbeit bewerkstelligen sollten! Kein Wunder, dass die Vierzehnjährige hoffnungslos versagte. Sie suchte sich auf eigene Faust eine andere Anstellungen als Bürogehilfin.
Die Eltern – vor allem die Mutter – meinten, Mädchen müssen heiraten um versorgt zu sein. Sie warteten sehnsüchtig darauf, dass sie endlich ihren zukünftigen Mann vorstellt. Sie dagegen hat noch wenig Interesse am anderen Geschlecht und träumt davon, mit 18 endlich das Elternhaus hinter sich zu lassen.
„Ich schlinge die Arme um mich und bin froh über meine Jugend und Gesundheit. Davon abgesehen ist meine Jugend aber nichts als ein Mangel und Hindernis, das ich nicht schnell genug überwinden kann“, denkt sie in ihrer Verzweiflung.
Kurz nach ihrem Auszug wird ihr erstes Gedicht veröffentlicht. Mit Hilfe eines Gönners gelingt es schließlich, einen ganzen Gedichtband herauszubringen: „Abends liegt ein großes Paket auf meinem Tisch, als ich nach Haus komme, und ich reiße es mit zitternden Händen auf. Mein Buch! Ich nehme es in die Hand und empfinde ein feierliches Glück, das nichts gleicht, was ich je gefühlt habe.“

Tove Ditlevsen zu lesen ist reines Vergnügen. Sie erzählt humorvoll, lebendig und sprachbegabt aus ihrer Jugend kurz vor Hitlers Machtergreifung. Auch wenn sie Politik nicht interessierte, kam sie nicht ganz um die Erwähnung des Zeitgeschehens herum. Denn auch in Dänemark hatte er Anhänger sowie Gegner. Besonders eindrücklich schildert sie die Erwartungen, die an sie als Frau gestellt wurden und mit denen sie selbst wenig anfangen konnte.
Lesenswert!

Bewertung vom 12.02.2021
Das Babylon-Mysterium
Kowalsky, Daniel

Das Babylon-Mysterium


gut

PENTATRAXON
Ein James-Bond-Roman für Jugendliche mit viel Spannung, der modernsten Technik, zahlreichen Ortswechseln und auch Humor
Lionel Abraham Daniels ist ein ein 18jähriger Student aus Texas. Lion, wie er von den meisten genannt wird, ist ein Abenteurer, Draufgänger und über beide Ohren in die 16jährige Jackie verliebt, die er aus seiner Schulzeit kennt. Im ersten Band dieser Reihe hat er sie aus den Fängen der Geheimgesellschaft PENTATRAXON gerettet.

In diesem zweiten Band der mehrteilig angelegten Reihe sucht ein Archäologie-Professor an einer Ausgrabungsstätte in Ägypten nach einem sagenumwobenen dreidimensionalen Stern, der in Verbindung mit dieser Geheimgesellschaft steht. Als der Professor stirbt, ist auch seine Assistentin Janina in Gefahr. Zudem wird Lions Familie entführt, was natürlich zu großen Verwicklungen führt.
Ganz in James-Bond-Manier hasten wir als Leser dieses Buches von einem Ort zum anderen und benutzen dabei Langstreckenhubschrauber und Schnellboote. Wir kommen von Ägypten nach Israel und von Texas in die Karibik. Auch in der Schweiz müssen die jungen Menschen ermitteln, die zum Glück von Lions Onkel, dem gut vernetzten, ehemaligen Geheimagenten Ariel Goldberg unterstützt werden. Die Geschichte ist voller Verwicklungen, Geheimniskrämerei und Hinterlist. Es kommen die modernsten Geräte zum Einsatz und mit Yumiko eine schlaue Computerhackerin, die problemlos damit umgehen kann. Bei all der Spannung kommt auch der Humor nicht zu kurz, denn wenn man sich in die Geschichte hineindenkt, dann kann man sich ob der abstrakten Situationen und deren Lösungen nur amüsieren.
Was mich dieses Buch zur Hand nehmen ließ, war der Begriff Babylon und die Ausgrabung in Ägypten. Sicher hatte ich mir darunter etwas anderes vorgestellt. Nur einmal wurde der Turm erwähnt, der bis in den Himmel reichen sollte und der „von einer Generation von Visionären und Menschen guten Willens“ gebaut wurde. Als Ziel hatten die Erbauer ein Weltreich des Friedens und eine gemeinsame Sprache. Doch wer die Bibel kennt, weiß, dass dieser Plan gründlich gescheitert ist. Neben all der verworrenen Spannung hat der Autor auch den Glauben, das Beten und die Auseinandersetzung damit eingeflochten. Filmreif beschrieben ist die geheimnisvolle Höhle am Nil, sowie so manche Verfolgungsszene.
Ich kann mir vorstellen, dass Jugendliche zwischen zwölf und vierzehn voll auf das Buch abfahren. Für mich als gesetzte Leserin waren die teilweise sehr schnell wechselnden Szenarien jedoch etwas verwirrend, weshalb ich für dieses Buch nur drei Sterne vergeben kann.
@gst

Bewertung vom 09.02.2021
Kim Jiyoung, geboren 1982
Cho, Nam-joo

Kim Jiyoung, geboren 1982


sehr gut

Emanzipationsgeschichte

Ein aufrüttelnder Roman aus Südkorea, der vor allem Frauen ansprechen wird, da sich jede auf verschiedene Arten darin wiederfindet. Möge er doch auch vielen Männern in die Hände fallen, damit sie besser verstehen, warum sich Frauen so oft missverstanden und missachtet fühlen.

Es ist gleichgültig, wo man lebt: als Frau ist das Leben anders. Da können sich Mütter noch so sehr bemühen, Töchter ebenso wie die Söhne zu erziehen und ihnen jegliche Möglichkeit zum Lernen offenzuhalten. Spätestens wenn Kinder kommen und die Entscheidung ansteht, wer sich darum kümmert, beginnen die Einschränkungen.
Kim Jiyoung fängt als junge Mutter und Hausfrau an, eigenartig zu werden. „Ich habe es hautnah bei meiner Frau miterlebt, wie sie nach und nach auf ihre berufliche Karriere verzichten musste.“ resümiert Jiyoungs Psychiater am Ende des Buches. „Wir haben an derselben Universität Medizin studiert und sind im gleichen Alter. Sie hat bessere Leistungen erzielt als ich und besitzt auch einen ausgeprägten Ehrgeiz. Sie war auf Ophthalmologie spezialisiert und hatte eine Professur inne, bevor sie Stück für Stück auf ihre Karriere verzichtete, indem sie zunächst zu einer angestellten Augenärztin wurde und schließlich ihren Beruf ganz aufgab.“

Cho Nam-Joo, die südkoranische Autorin, war neun Jahre lang als Drehbuchautorin fürs Fernsehen tätig. In ihrem 2016 geschriebenen Nachwort gibt sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Welt, in der ihre Tochter leben wird, besser sein wird „als meine, und dafür kämpfe ich.“

Dieses Buch, geschrieben wie ein emotionsloser Bericht, erregte beim Lesen mein Gemüt. Denn vieles, was ich hier gelesen habe, kam mir mehr als bekannt vor. Andere Abschnitte dagegen erinnerten an Kampfansagen an die Gesellschaft.
Aufgeteilt nach Jahren erzählt die Autorin Jiyoungs Geschichte von der jüngsten Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Unterstützt von der Mutter hatte sie die Möglichkeit ein Studium abzuschließen. Doch was half ihr das?
Ungewöhnlich für einen Roman waren die eingeschobenen Fußnoten, die diverse Aussagen mit Quellenangaben untermauerten.

Fazit: In diesem Buch sind alle negativen Seiten des Frauseins zusammengefasst. Gut, das ist das Thema dieses Romans. Was mir allerdings zu kurz kam, waren die durchaus auch positiven Seiten des weiblichen Lebens. Auch ich musste nach meinem abgeschlossenen Studium wegen meiner drei Kinder die Karriere an den Nagel hängen. Begeisterung rief das bei mir nicht hervor. Aber ich gehöre einer älteren Generation an, die vielleicht noch viel mehr mit sich machen ließ. Irgendwie bewundere ich die Kämpferinnen für ein gleichberechtigteres Leben der Geschlechter. Andererseits frage ich mich, ob es wirklich besser wird, wenn sie irgendwann eine Egalisierung erreichen.

Auf jeden Fall lohnt es sich, dieses Buch zu lesen und sich einer Diskussion zu stellen.