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Benutzername: 
hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1167 Bewertungen
Bewertung vom 20.05.2024
Die Bucht der Träume
Sonnberg, Elena

Die Bucht der Träume


ausgezeichnet

Auf die, die gewartet haben

„Es ist doch erstaunlich, wie lebendig manche Erinnerungen, die man jahrelang verdrängt hat, mit einem Mal wieder zurückkehren können. In Farbe, mit Gerüchen und Gefühlen im Gepäck.“ (S. 67) Vor 20 Jahren war Sara zum letzten Mal mit ihren Eltern im Sommerurlaub am Gardasee. Jetzt ist sie 39 und überrascht, als ihr ein Anwalt mitteilt, dass ihr Vater gestorben ist und ihr sein Haus dort vererbt hat, denn sie hatten seit 5 Jahren keinen Kontakt mehr. Also fährt sie für eine Woche mit ihrer 14-jähringen Tochter Mimi hin, um es schnellstmöglich zu verkaufen. Doch der Makler, den ihre Assistentin engagiert hat, ist ausgerechnet ihre Jugendliebe Matteo. Saras Erinnerungen und Gefühle, die sie so lange erfolgreich verdrängt hat, sind mit einem Schlag zurück.

Sara ist eine echte Powerfrau mit eigener Firma, die ihre Arbeit normalerweise auch in der Urlaub mitnimmt, wie ihre Tochter ihr immer vorwirft. Doch am Gardasee hat zum ersten Mal wirklich frei, und selbst wenn sie wöllte, gäbe es im Haus und der unmittelbaren Umgebung kein Netz, nur ein Festnetztelefon. Zu Beginn stresst das Mimi, kann sie doch gar nicht vor ihren Freundinnen angeben, doch dann lernt sie Lorenzo kennen und ist zum ersten Mal verliebt.

„In so vielen Leben hat er eine Lücke hinterlassen, nur nicht in meinem – und das tut weh.“ (S. 204) Früher hat Sara das Faible ihres Vaters fürs Fotografieren geteilt, seitdem aber keine Kamera mehr angefasst. In seinem Haus sind die Wände voller Bilder, auf denen er gelöster und glücklicher aussieht, als sie ihn je erlebt hat. Sie zeigen ihn inmitten seiner Freunde, die sie zum Teil noch von früher kennt und jetzt wiedertrifft oder kennenlernt. Mit jedem von ihnen taucht sie mehr in das Leben ihres Vaters ein und kommt seinem lang gehüteten Geheimnis auf die Spur, das mir fast das Herz gebrochen hat.

„Mein Vater muss erst sterben, mir ein Haus vererben und Mimi muss einen Rollerunfall bauen, damit ich erahnen kann, wie sich eine Zukunft mir dir angefühlt hätte.“ (S. 332) Und dann ist da ja noch Matteo, mit dem Sara früher so viel verbunden hat, die vielen Sommer, in denen sie sich ver- und geliebt haben. Eigentlich hatten sie vor, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch dann ist alles anders gekommen. Jetzt fragt sich Sara nicht nur einmal, wie ihr Leben wohl mit ihm verlaufen wäre. Zumal auch der Hausverkauf trotz mehrerer Interessenten keine großen Fortschritte macht, weil sie dafür 2 Mio. € will – als Schmerzensgeld, weil ihr Vater die Familie verlassen hatte, oder weil sie tief in sich drin weiß, dass sie diesen Preis nicht erzielen wird und es dann behalten kann?!

Wenn Ihr diesen Sommer nur ein Buch lesen wollt, dann unbedingt „Die Bucht der Träume“, das Adriana Popescu unter dem Pseudonym Elena Sonnberg geschrieben hat. Sie weckt darin sie Sehnsucht nach Sommer, Sonne und Italien und verbindet sie grandios mit einer Familien- und mehreren sehr berührenden Liebesgeschichten. Ein Roman zum Wegträumen, der seine Leser auf eine emotionale (Zeit-)reise mitnimmt. Ein absolutes Lesehighlight.

Bewertung vom 19.05.2024
Bertha Benz und die Straße der Träume
Schwarz, Alexander

Bertha Benz und die Straße der Träume


sehr gut

Leider wieder ein Mädchen

… schreibt Berthas Mutter bei deren Geburt in die Familienbibel. Ihre Eltern hatten nach 2 Mädchen endlich auf einen Sohn gehofft, einen Stammhalter, der später die Zimmerei seines Vaters übernehmen könnte. Dabei ist auch Bertha handwerklich begabt, aber das schickte sich für Mädchen damals nicht. Sie musste stattdessen wie ihre Schwestern lernen, einen Haushalt zu führen.
Mit 20 lernt sie ihren späteren Mann Carl Benz kennen. Für beide ist es die große Liebe, doch die Hochzeit verzögert sich immer wieder. Carl verdient nicht genug, da er alles seiner Vision vom selbstfahrenden Wagen mit Motor unterordnet, an dem er jahrelang tüftelt.

„Ich glaube, wir haben als Frauen durchaus die Möglichkeit, Dinge zu verändern, auch in einer Ehe. Es muss ja nicht immer alles schwarz-weiß daherkommen. Wir Frauen haben durchaus Mittel, uns zu wehren, auch als Ehefrauen, jedenfalls hoffe ich das.“ (S. 56) Letztendlich überredet Bertha ihre Eltern, ihr einen Teil ihrer Mitgift vorab auszuzahlen, damit Carl eine eigene Firma gründen und genug für eine Familie verdienen kann. Und wie schon zu Beginn der Ehe, wird sie ihr Leben lang ein Auge auf seine Geschäfte haben und sich einmischen, wenn etwas schiefzulaufen oder nicht vorwärtszugehen droht. Das gipfelt in ihrer berühmten ersten (heimlichen) Überlandfahrt mit seinem Patent-Motorwagen Nr. 3 mit ihren halbwüchsigen Söhnen ...

Alexander Schwarz zeigt in „Bertha Benz und die Straße der Träume“ eine Frau, die ihrer Zeit voraus war. Von klein auf interessiert sie sich für alles Technische und lernt von ihrem Vater die Holzbearbeitung, außerdem kann sie durch ihre „Ausbildung“ zur Hausfrau mit Geld umgehen und Bücher führen. Und sie hält mit ihrer Meinung, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sein sollten, nicht hinterm Berg: „Bin ich etwa weniger wert, weil ich ein Mädchen und kein Junge geworden bin?“ (S. 10)
Carl ist mit seinen Erfindungen nie zufrieden. Mehr als einmal muss Bertha ein Machtwort sprechen, wenn sie wiedermal pleite sind oder er sich in ein Idee verrennt. Aber sie ist von seinem Motorwagen überzeugt und zwingt ihn letztendlich mit ihrer Alleinfahrt, diesen endlich der Öffentlichkeit vorzustellen.

Bertha hat mir imponiert, ich hätte es wahrscheinlich nicht mit Carl ausgehalten und sicher nicht jahrelang auf die Hochzeit gewartet, für die sie sogar ihren gehobenen Lebensstandard aufgegeben hat. Und ich habe sie dafür bewundert, wie sie sich in dieser Männerwelt durchgesetzt und einfach gemacht hat, was sie für richtig hielt, ohne sich darum zu scheren, was andere davon halten.

An manchen Stellen schreibt mir Alexander Schwarz zwar etwas zu ausführlich, zeichnet damit aber ein umfassendes Bild der Zeit und beteiligten Personen.

Bewertung vom 18.05.2024
Komm schon, Baby!
Berg, Ellen

Komm schon, Baby!


ausgezeichnet

Babyalarm

„Der Richtige war nie dabei. Aber immerhin habe ich jetzt einen Falschen.“ (S. 79) Juli geht in ihrem Beruf als Hebamme auf, eine eigene Familie hat sich nie ergeben. Als ihr im Kreissaal plötzlich schlecht wird, muss sie sich der Realität stellen – sie ist schwanger, von einem One-Night-Stand nach einem Rockkonzert. Leider hatte sie sich am nächsten Morgen verschämt aus dessen Wohnung geschlichen, ohne sich zu merken, wo diese lag oder wenigstens Nummern auszutauschen. Der Schock ist groß, als sie ihn in Matteo wiedererkennt, dem Partner ihrer neuesten Kundin Emily …

„Komm schon, Baby!“ von Ellen Berg und hat mich wieder bestens unterhalten. Ich liebe ihre Charaktere, die immer ein kleines bisschen drüber sind und von einem Schlamassel ins nächste stolpern.
Als hätte Juli nicht schon genug Probleme, will Emily ihre neue beste Freundin sein und besteht auf Pärchenabende, zu denen Juli ihren besten Freund mitnimmt, der den Kindsvater mimt. Außerdem taucht plötzlich ihre überkandidelte Mutter auf, die sich seit Jahren in verschiedenen Yoga-Retreats selbstfindet und auch davor kaum für Juli da war. Und dann ist da ja noch Matteo, den Juli extrem heiß findet und der von Emily immer wieder mit eigentlich überflüssigen Aufträgen zu ihr geschickt wird. Was ist da nur los?
Zum Glück stehen Juli Oma Hilde und deren kalauernde Dauerfreund Walter tatkräftig zur Seite und decken Emilys dunkles Geheimnis auf.

Spannend, lustig, überraschend und genau das richtige Quäntchen drüber – Ellen Berg ist für mich ein Garant für beste Unterhaltung.

Bewertung vom 16.05.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


gut

Das einsamste Kind der Welt

Lisa ist fast 9 und unglücklich. Sie mag ihren Namen nicht, aber Computer, das Internet und Außerirdische. Auf ihrem Schulweg muss sie jeden Tag an einem Spielplatz vorbei, wo sie von älteren Jungs terrorisiert wird. Und in der Schule mögen sie weder die anderen Kind, noch die Lehrer.
Zu Hause läuft es auch nicht besser. Seit ihre Eltern arbeitslos sind, hocken sie den ganzen Tag trinkend auf der Couch und Lisa muss für Nachschub sorgen. Eines Abends beobachtet sie auf ihrem PC, dass gleich ein Raumschiff im Wald landen wird. Also geht sie hin und lernt Walter kennen, den die anderen Außerirdischen bei ihrem überstürzten Abflug vergessen haben, und der ihr von einer fast utopischen Welt erzählt, in der alle glücklich und zufrieden sind. Er zeigt ihr, wie sie sich verhalten und was sie sagen soll, damit sie endlich von anderen akzeptiert und nicht mehr gehänselt wird.

Ich habe das Buch als Überraschung vom Verlag bekommen und selber keine Kinder im passenden Alter, aber Nichten und Neffen. Die Altersempfehlung für diesen Comic-Roman von Sibylle Berg und Julius Thessing ist ab 10 Jahre, aber das finde ich zu alt. Meine Nichte ist 11 und ich fürchte, dass die Zeichnungen sie nicht erreichen würden, sie sind zu kindlich. Auch die dargestellten Probleme und deren Lösungen – Rüpel anschnauzen und in der Schule mitarbeite, aber nicht besser als die Lehrer sein – passen m.E. in dem Alter nicht mehr. Zudem stört mich, dass Walter quasi wie ein Heinzelmännchen über Nacht Probleme löst, Lisa also nicht wirklich in diesen Vorgang eingebunden ist. Zudem wird suggeriert, dass sie mit 8 den Alkohol für ihre Eltern kauft – das finde ich unrealistisch.

Mein Fazit: Für Kinder ab 10 nicht besonders geeignet, schon eher für Kinder in Lisas Alter – also ab 8.

Bewertung vom 15.05.2024
Das Lamm, das zu viel wusste / Cosy Cornwall Crime Bd.2
Chatwin, Thomas

Das Lamm, das zu viel wusste / Cosy Cornwall Crime Bd.2


sehr gut

Mörderische Teatime

„Jetzt können wir anfangen, die Stunden zu zählen, bis Mum mit uns allen die Ermittlungen aufnimmt.“ (S. 45)
Familie Doyle feiert ihr Sommerfest am Strand von Kendreath, als sie einen Hund jämmerlich heulen hören. Emily, die Matriarchin, und ihre Enkelin Kate sehen nach und finden einen Jack-Russel-Terrier vor einem Ferien-Cottage, dessen Tür nicht abgeschlossen ist. Natürlich gehen sie rein – und finden ein totes Pärchen. Kate erkennt die Frau sofort, obwohl sie sich seit Jahren nicht gesehen haben: April hatte sie am Morgen angerufen und um ein Treffen gebeten, sie brauche Hilfe. Auf dem Tisch zwischen den Toten stehen eine Teekanne und Becher. Emily ist überzeugt, dass sie vergiftet wurden. Bevor sie die Polizei rufen, machen sie Fotos und füllen eine Probe des Tees ab.

„Nichts belebt uns wie ein kleiner Mord.“ (S. 11) ist das Motto der Familie Doyle, denn sie sind nicht nur neugierig, sondern haben auch einen Hang zum Morbiden und Kenntnisse bzw. Fertigkeiten, die sie zum Schnüffeln geradezu prädestinieren. Emilys Mann war Richter, sie hat die Familie und die Ermittlungen fest in der Hand. Kate betreibt einen Krimi-Podcast, ihr Vater ist zwar Kunsthistoriker, war aber mal beim MI5. Ihr Partner David war Forensiker, bevor er Schaffarmer wurde. Und Onkel Brian ist Biologieprofessor, um nur einige zu nennen.
Und so wissen die Doyles noch vor der Polizei, dass das Haus Aprils Großvater Lewis Grenville gehört, doch als sie ihn besuchen wollen, ist er am Nachmittag im Wald in seinem Rollstuhl tödlich verunglückt. An einen Unfall glauben Emily und Kate im Gegensatz zur Polizei keine Minute lang. Sie gehen systematisch allen Hinweisen nach und decken dabei einige Geheimnisse der Opfer und Verdächtigen auf, doch am Ende ist es ein Zufall, der sie auf die Lösung und damit in Lebensgefahr bringt, denn der Mörder ist skrupel- und mitleidlos.

„Das Lamm, das zu viel wusste“ ist der zweite Teil der Cosy-Crime-Reihe von Thomas Chatwin und natürlich hilft auch hier ein Schaf bei der Aufklärung – das kleine Böckchen Willow, welches sie besser Houdini getauft hätten.
Der Fall ist spannend und voller Überraschungen, ich konnte wieder bis zum Ende miträtseln. Außerdem mag ich den Humor des Autors und den Zusammenhalt der Familie, aber auch die Sticheleien und Befindlichkeiten der Einzelnen – ich sag nur „die ewig leidende Anne“.

Mal sehen, welchen Mord die Doyles als nächstes aufklären werden.

Bewertung vom 10.05.2024
Funny Story
Henry, Emily

Funny Story


sehr gut

Das Wir-Mädchen

Als Peter von seinem Junggesellenabschied nach Hause kommt und Daphne sagt, dass er seine bisher platonische beste Freundin Petra liebt und sie innerhalb einer Woche aus seinem Haus ausziehen soll, bricht ihre Welt zusammen. Wegen ihm war sie in seine Heimatstadt in Michigan gezogen, wo sie weder Familie noch Freunde hat. Da sie nicht weiß wohin, landet sie in Petras ehemaliger Wohnung in einer WG mit deren Ex-Verlobtem Miles.

Daphne und Miles haben außer ihrem Liebeskummer nicht viel gemeinsam. Er ertrinkt in melancholischen Liebesliedern, sie stürzt sich in ihre Arbeit. Doch als ihnen Petras und Peters Hochzeitseinladung ins Haus flattert, hilft nur noch eine gemeinsame Zechtour, an deren Ende sie als Paar zur Feier zusagen. Damit das glaubwürdig klingt, verbringen sie ihre Sonntage zusammen und teilen Pärchenfotos auf Social Media, denn: „Dieses Arschloch hat dir bereits das Haus genommen. Lass nicht zu, dass er dir auch noch deine Selbstachtung nimmt.“ (S. 111).

Für Daphne und Miles waren die Beziehungen mit Peter und Petra die jeweils erste, die sich richtig und wie „für immer“ angefühlt hat, darum treffen die Trennungen sie um so mehr. Aber während Miles viele Freunde und Bekannte hat, steht Daphne plötzlich allein da. Ihre Mutter wohnt weit weg, der Kontakt zu ihren ehemaligen Freunden ist wegen der Entfernung eingeschlafen und mit ihren Arbeitskollegen hat sie sich nie angefreundet. Zudem ist sie ein „Wir-Mädchen“: „Ein Frau, die sich wohler fühlt als Teil eines Ganzen, die nirgends ohne Begleitung hingeht.“ (S. 232) Mit Miles ist sie jetzt plötzlich wieder ein „Wir“ und stellt fest, dass Peter ihr nicht mal seine Heimat nicht gezeigt hat, das holt Miles jetzt alles nach. Bald kribbelt es zwischen ihnen, aber Daphne will eigentlich nicht in Michigan bleiben …

„Funny Story“ ist sehr unterhaltsam, aber nicht so funny, wie es der Titel vermuten lässt. Denn aus Fremden werden zwar Freunde, bei denen es ordentlich prickelt, aber aus den Freunden aufgrund diversen Missverständnisse, Rückzieher und alter Wunden lange kein Paar. Für mich hätten es aber gar nicht so viele Altlasten sein müssen, um die Spannung zu halten.
Ich mochte Daphne und Miles sofort und mir hat gefallen, wie sie aufeinander zugegangen sind und sich gegenseitig in ihrem Kummer getröstet, abgelenkt und geholfen haben. Besonders gut hat mir Daphnes Entwicklung gefallen, die sich endlich auf sich besinnt und ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt.
Auch das Setting – Daphne ist Kinderbibliothekarin und Miles arbeitet in einer Weinbar – mochte ich sehr, Wein und Bücher sind schließlich eine schöne Kombination 😉.

Bewertung vom 08.05.2024
Nebel über Rønne / Lennart Ipsen Bd.2
Kobr, Michael

Nebel über Rønne / Lennart Ipsen Bd.2


ausgezeichnet

Mafiamethoden

„Was genau ist das hier? Ein gottverdammter Horrorfilm?“ (S. 39)
Trotz Nebel und aufkommendem Sturm über Rønne landet die kleine Privatmaschine von Henrik Forsberg problemlos auf dem Bornholmer Flughafen. Aber warum steigt er danach nicht aus der Maschine oder reagiert auf die Funksprüche? Als der Chef der Flughafenfeuerwehr das Flugzeug von außen öffnet, sieht er noch drei leblose Körper, bevor er selber zusammenbricht.
Lennart Ipsen, der gerade mit einer Maschine aus Kopenhagen zurückkommt, bemerkt schon aus der Luft das viele Blaulicht, denkt sich aber noch nichts dabei. Doch dann sieht er die Kollegen mit FFP2-Masken auf dem Gelände und bekommt kurz darauf das Ergebnisse der Gerichtsmedizin: Die Insassen wurden mit Blausäure getötet, auch bekannt als Zyklon B, das im 2. WK in den KZ´s eingesetzt wurde. „Auf den ersten Blick spricht daher einiges für Geheimdienst oder organisiertes Verbrechen.“ (S. 120)

Die beiden Passagiere von Henrik, der mehrere Hotels betrieben und sich als Investor betätigt hat, waren der Betreiber des Teeladens in Rønne und der Mann der Pfarrerin von Østerlars. Alle drei galten als ehrenwerte Männer, die sich auf den ersten Blick nichts zu Schulden kommen lassen hatten. Wer von ihnen war also warum das Ziel des Anschlages? Oder galt dieser allen drei Insassen?

Im Laufe ihrer Nachforschungen decken die Ermittler die mehr oder weniger dunklen Geheimnisse der Toten auf, aber keins davon scheint diese Mordmethode zu rechtfertigen. Auch die Suche nach dem Täter gestaltet sich schwierig, da dieser über Spezialkenntnisse und Verbindungen ins Darknet verfügen muss. Eigentlich sollten sie die Kollegen in Kopenhagen um Hilfe bitten, aber Lennart will sich den Fall nicht aus der Hand nehmen lassen. Zum Glück kann er sich auf seine Kolleginnen Britta und Tao verlassen. Erstere wagt sich für die Befragungen in ein uraltes, gerade repariertes Kleinflugzeug, bei dessen Anblick Lennart schon am Boden schlecht wird, und Tao glänzt mit ihren Recherche- und technischen Fähigkeiten. Und dann ist da ja auch noch sein Vorgänger Morton, der sich wiedermal einmischt.

Trotz der Ermittlungen kommt auch das Private nicht zu kurz. Lennart ist inzwischen mit der Sterneköchin Maren zusammen (in das reale Vorbild für ihr Restaurant will ich unbedingt mal gehen), die ihn mit ungewöhnlichen Gerichten verwöhnt und sein Auto okkupiert (das mit seinem Alter und „Eigenheiten“ stark an das von Kluftinger erinnert). Außerdem machen sein Vater und dessen Lebensgefährtin Urlaub auf Bornholm, doch sein Vater klammert sich verdächtig an Lennart – hat er etwa Angst vor der Zweisamkeit?!

„Nebel über Rønne“ ist der zweite Fall für Lennart Ipsen und seine Kolleginnen und hat mich auch aufgrund der sehr interessanten technischen Details des Mordes noch mehr gefesselt als der erste. Außerdem zieht Michael Kobr das Tempo und die Gefahr hier ganz schön an, inkl. einer filmreifen Verfolgungsjagd. Bitte unbedingt mehr davon!

Bewertung vom 05.05.2024
Frau Yeoms kleiner Laden der großen Hoffnungen
Ho-yeon, Kim

Frau Yeoms kleiner Laden der großen Hoffnungen


sehr gut

Kettenreaktion

„Mein Herr, seien sie so gut, und kommen sie mal kurz mit mir mit.“ (S. 16) Als ein Obdachloser Frau Yeoms Geldbeutel findet und ihr zurückgibt ohne Finderlohn anzunehmen, revanchiert sie sich auf eine ungewöhnliche Art. Er bekommt ab da jeden Tag in ihrem 24-h-Laden eine Lunchbox nach Wahl und räumt zum Dank vor dem Laden auf. Als kurz darauf ihre Nachtschicht kündigt, bietet Frau Yeom ihm den Job an. Ihre einzige Bedingung ist, dass er nicht mehr trinkt. Der Mann, der sich aufgrund seiner jahrelange Alkoholsucht nicht mal mehr an seinen Namen oder sein Alter erinnern kann und der in den letzten Jahren übersehen wurde, hat plötzlich wieder einen Menschen, der sich um ihn sorgt und kümmert. Im Gegenzug hilft er anderen, ihre eigentliche Berufung zu finden oder sich mit Familienangehörigen auszusöhnen. Jede gute Tat zieht eine weitere nach sich – und mit jeder erinnert sich der Obdachlose ein bisschen mehr an sich.

Kim Ho-yeon gewährt in seinem Roman einen interessanten Einblick in den koreanischen Alltag und die Gesellschaft. Er erzählt sehr ruhig und melancholisch. Ich habe etwas gebraucht, um mich in den Stil und das Tempo einzulesen. Auch an die für uns fremdklingenden Namen, bei denen selbst im Buch mehrfach vom jeweiligen Gegenüber nachgefragt wird, ob sie Vor- oder Nachnamen sind, musste ich mich erst gewöhnen.
Der Autor schreibt in abgeschlossenen, aber aufeinander aufbauenden Kurzgeschichten von der Vereinsamung mitten in der Millionenstadt Seoul, auch innerhalb der Familie. Es zählen nur die Karriere und das Ansehen, also werden Sorgen und Problem nicht geteilt, sondern in Alkohol ertränkt. Auch Frau Yeom, die schon 70 ist, ist mit ihren erwachsenen Kindern und deren Ansprüchen und Ansichten nicht glücklich, darum hat sie sich mit ihrem kleinen Laden und dessen Angestellten eine Wahlfamilie geschaffen. Sie ist das ausgleichende Element der verschiedenen Charaktere, ändert die Menschen nur vorsichtig und nicht immer bewusst. Auch die Rettung des Obdachlosen, der sich Dok-go (das bedeutet: alleine und einsam) nennt, war nicht geplant. Aber nachdem sie gemerkt hat, dass hinter dem verwahrlosten Stotterer ein heller und freundlicher Geist steckt, fördert und fordert sie ihn – und er übernimmt diese Vorgehensweise bei den Menschen, denen er begegnet.

Es ist ein Plädoyer für Mitgefühl, dafür hinzusehen und zu helfen, wenn man es kann.

Bewertung vom 03.05.2024
Ein Ort für immer
Norton, Graham

Ein Ort für immer


gut

Weder Fisch noch Fleisch

10 Jahre hat Carol mit ihrem Lebensgefährten Declan in dessen Haus gelebt und ist auch geblieben, als bei ihm Demenz diagnostiziert wurde. Sie hat ihren Job als Lehrerin gekündigt, um sich rund um die Uhr um ihn kümmern zu können. Für seine erwachsenen Kinder Sally und Kilian war das bequem, haben sie doch genug eigene Probleme.
Declan wollte das Haus nie verkaufen, aber als er in eine Kurzzeitpflege muss, weil er Carol verletzt hat und sie selber Hilfe braucht, nutzen das Kilian und Sally um ihn in ein Heim zu stecken und Carol aus dem Haus zu werfen. Die kann sonst nirgendwo hin und muss wieder in das alte Kinderzimmer bei ihren Eltern ziehen. Aber weil sie so sehr darunter leidet, kaufen ihre Eltern das Haus für sie. Doch als Carol wieder einzieht, macht sie eine schreckliche Entdeckung. Und kurz darauf taucht auch noch jemand aus Declans Vergangenheit auf. „Diese Frau weiß etwas. Du hast selbst gesagt, sie hat Geheimnisse!“

Graham Nortons „Ein Ort für immer“ ist eine Mischung aus Familiengeschichte und Krimi, aber für mich leider nicht richtig gelungen. Man hat das Gefühl, dass er sich nicht entscheiden konnte oder wollte, welches Genre er bevorzugt. Die Handlung plätschert lange vor sich hin. Norton schildert Carols eher trost- und ereignisloses Leben mit ihrem ersten Mann, dann als alleinerziehende Mutter und wie sie später mit Declan zusammenkommt. Sie wirkt bei allem sehr unsicher und passiv, macht stets, was andere sagen, egal ob es ihre Eltern oder Partner sind. Auch bei ihrem Sohn und Declans Kindern ist zu nachgiebig, hat sich noch nicht mal bei ihrem Ex-Mann gewundert oder gewehrt, als der sie verlassen hat.
Declan hat ebenfalls immer (für sie) entschieden, das fällt ihr aber jetzt erst auf. Sie hat keine Freunde mehr, weil er die nicht mochte, und sie sich nur noch um ihn und seine Bedürfnisse kümmern sollte, und seine Kinder haben sie noch nie gemocht.

Dann kommt es zu der Entdeckung, die der Handlung einen ordentlichen Twist verpasst, sofort Spannung aufbaut und die Erwartungen in Richtung Krimi weckt. Aber leider lässt er die Chance ungenutzt verstreichen. Carols übergriffige Mutter übernimmt sofort das Kommando und trifft Entscheidungen, die ich nicht nachvollziehen konnte und unlogisch finde, weil sie alles verkomplizieren – auch wenn sie später damit jemandem helfen, aber das können sie zu dem Zeitpunkt nicht wissen. Ich fand das alles sehr konstruiert hätte oft anders reagiert, auch das Ende hat mich nicht wirklich glücklich gemacht.

Positiv hervorheben möchte ich die tolle Atmosphäre, die Norton in diesem (Hör-) Buch schafft: die Familien und ihre Dramen passen gut in die raue Küstenlandschaft mit seinen schweigsamen Bewohnern, genauso gut wie die die unaufgeregte und gut modulierte Stimme der Sprecherin Cathlen Gawlich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.05.2024
Träume von Freiheit - Fünftausend Fasane für den Kaiser
Böschen, Silke

Träume von Freiheit - Fünftausend Fasane für den Kaiser


sehr gut

Die Dollarprinzessin

1892 heiratet die New Yorker Millionenerbin Mary Knowlton den deutschen Adeligen Johannes von Francken-Sierstorpff, der als 4. Sohn der Familie auf ein reiche Ehefrau angewiesen ist, um seinen Lebensstandard halten (und seine Spielschulden zahlen) zu können. Zum Glück ist es trotzdem eine Liebesheirat.
Die von Francken-Sierstorpffs verkehren in den höchsten Kreisen, darum geht Mary davon aus, Kaiser Wilhelm II. vorgestellt zu werden. Doch in Deutschland begegnet man der amerikanischen Gräfin vor allem mit Argwohn und Spott. Sie muss lernen, wem welche Ehrenbezeugung gebührt und wann man sich wie kleidet oder auftritt. Oft wird ihr vorgeworfen, dass Johannes sie ja nur ihres Geldes wegen genommen hat. Erst, als sie ein altes Schloss in Oberschlesien kauft und renoviert, kommt 1911 der Kaiser zur Jagd – Mary hat es endlich geschafft.
Mit dem 1. WK ändert sich alles, ihr Mann und ihre beiden Söhne melden sich freiwillig und Mary ist wieder allein. 1918 beschlagnahmt die USA dann das Vermögen aller Erbinnen, die nach Deutschland, Österreich und Ungarn geheiratet haben – in Marys Fall über 1 Mio. Dollar! Doch die gibt ihr Geld nicht kampflos auf.

„Fünftausend Fasane für den Kaiser“ ist der Abschluss der „Träume von Freiheit“-Trilogie von Silke Böschen und beruht wie seine Vorgänger auf wahren Personen und Geschehnissen.

Mary, genannt Mae, ist keine Sympathieträgerin. Im Wohlstand als Einzelkind aufgewachsen ist sie es gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem traut ihr Vater Johannes nicht und hat darum den größten Teil ihrer Mitgift für sie in Amerika angelegt – sehr vorausblickend, wie sich schnell herausstellt, denn Johannes kann wirklich nicht mit Geld umgehen. Und für Mae bedeutet es Freiheit. Die ersten Jahre leben sie in Berlin und reisen immer wieder durch Europa, alles von ihrem Geld. Auch das Schloss und die Einrichtung, die sie so oft ändert, bis sie perfekt ist, wird von ihrem Vermögen bezahlt – und sie legt Wert darauf, dass die Welt das auch weiß. Überhaupt ist sie sehr exzentrisch, alles hat nach ihrem Willen zu geschehen, was man besonders an ihrem Testament sieht.
Unterstützt und angeleitet wird sie von ihrer ehemaligen Gesellschafterin Florence de Meli, die im zweite Band der Reihe im Mittelpunkt stand. Und auch, als sie sich politisch auseinander entwickeln, weil Mae mit den Deutschen sympathisiert, politisch verblendet ist und deren Vormachstellung in der Welt verteidigt, hält Florence den Kontakt. Das diese beiden so verschiedenen Frauen über Jahrzehnte verbunden blieben, hat mir imponiert.

Silke Böschen ist hier wieder ein echter Schmöker gelungen, der mit einer Märchenhochzeit beginnt und durch den Krieg eine dramatische Wendung erfährt. Sie erzählt die wichtigsten Ereignisse aus Maes Leben in Streiflichtern, gewährt kurze Einblicke in die Ehe und Familie, oft durch geschichtliche Ereignisse oder Politik beeinflusst.
Mein Tipp für alle Fans der Serie „The Gilded Age“ – denn auch hier kämpft Geld- gegen Erbadel, geht es um Macht, Einfluss und Ansehen.