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Calendula

Bewertungen

Insgesamt 89 Bewertungen
Bewertung vom 19.03.2022
Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1
Engel, Nora

Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1


gut

Greta wächst in der Winzerfamilie als deren Ziehkind auf. Ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt, ihrenVater hat sie nie kennengelernt. Die einzige Erinnerung an ihre Mutter ist ein vor langer Zeit aufgenommenes Foto. Schon von Kindesbeinen an fühlt sich Greta den Hellerts nicht vollkommen zugehörig. Und die Familie lässt sie dies auch immer wieder spüren. Gretas Lebensträumewerden von der Familie durchkreuzt, sie haben eigene Vorstellungen für die junge Frau. deren Wissensdurst völlig im Kontrast zu den anderen steht. Eine überraschende Erbschaft mischt die Karten für Greta jedoch neu.

"Was für eine Familie!" möchte man da am Ende sagen. Der Vater cholerisch, die Mutter schweigt meistens, ein Bruder vergrault, ein Bruder hämisch und übergriffig, die Schwester stets auf den eigenen Vorteil bedacht, der jüngste Bruder fällt schon als Kind völlig aus dem Rester. Und mittendrin Greta, die zunehmend unter den familiären Verhältnissen leidet. Damit sind eigentlich alle Voraussetzungen für ein Familiendrama gegeben. Und manchmal wird es auch dramatisch, aber nur kurz. Denn leider bleibt das Buch an diese Stelle immer nur recht oberflächlich. Während Gehässigkeiten und Demütigungen gegenüber Greta recht viel Raum finden, bleiben jegliche Konflikte kurz und schnell abgehandelt. Es folgt ein Zeitsprung, nächster Abschnitt. Ich hätte mir hier einfach gewünscht, dass die Konfliktsituation auch wirklich aufgelöst wird und nicht mit einem "Basta" des Vaters auch für den Leser beendet wird. Vom Ende war ich ein wenig enttäuscht. Es ist zwar abzusehen, worauf es hinausläuft, aber die Auflösung wird recht kurz abgehandelt. Auch hier hätten es für meinen Geschmack ein paar mehr Seiten dürfen.

Eine nette und unterhaltsame Geschichte, die sich leicht und angenehm lesen lässt, für mich aber etwas zu oberflächlich bleibt.

Bewertung vom 11.03.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


ausgezeichnet

Ein Jahr in einem Buch zusammenzufassen ist eine Herausforderung für einen Autor. Ein Jahr wie 1923 einzufangen noch um einiges schwieriger. Denn 1923 kann man wohl als Schlüsseljahr für die Weimarer Republik und ganz Deutschland bezeichnen, in dem sich beginnt der "Fahrplan" für die nächsten Jahre abzuzeichnen. Man merkt es im Buch ganz deutlich: es brodelt an allen Ecken. Die Spannung im Land ist aufgeladen.

Christian Bommarius schildert den Verlauf des Jahres Monat für Monat. Jeder Abschnitt wird eingeleitet von einem Bild und einer kurzen Zusammenfassung der Geschehnisse in diesem Zeitraum. Die Einleitung endet immer mit dem jeweils aktuellen Brotpreis. Es ist wie ein unheilvoller Countdown. Dann schildert er anhand von Geschichten und Anekdoten die Situation im Land. Und das macht er wirklich gelungen. Mal ist der Ton eher sachlich, wenn er etwa einen Sachverhalt mit Zahlen unterlegt, dann wieder unterhaltsam plaudernd, als würde man bei einer Tasse Kaffee zusammen sitzen und sich den neuesten Schwank erzählen lassen. Auch Ironie und Sarkasmus blitzen immer mal wieder durch, was ich sehr gelungen finde.

Wer sagt, dass ein Sachbuch nicht auch unterhaltsam sein darf? Denn der Autor wird seiner Jahreschronik sehr gerecht, bildet die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stimmung im Land ab und zeichnet so ein Bild von einem Land, dass zwischen den Extremen schwankt.
Bei allem Unterhaltungswert ist es aber von Vorteil, wenn man schon ein paar geschichtliche Vorkenntnisse dieser Zeit mitbringt. Letztlich sind es doch eine Menge Fakten und Namen, die da zusammenkommen. Am Ende des Buches gibt es aber glücklicherweise auch noch einen Überblick über die Personen. So kann man Person und Geschehnis besser im Gesamtbild einordnen.

Bewertung vom 08.03.2022
Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
Matthiessen, Susanne

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn


gut

Sylt ist ein ganz besonderes Fleckchen Erde in Deutschland. Kaum ein Ort wird mit soviel Pathos beschrieben und hat so einen sagenumworbenen Ruf wie diese Insel. Ob zurecht oder nicht mag am Ende jeder selbst entscheiden.
Sabine Matthiesen versucht dem Leser "ihre" Insel, ihre Heimat, ihren Geburtsort näher zu bringen. Dazu beschreibt sie quasi den Werdegang der Insel, von den 1970er Jahren bis zum Corona-Lockdown. Dabei wechselt der Erzählstil von sachlich nüchtern zu plaudernd. Sie schildert ihre Kindheit und Jugend auf der Insel in einer Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Aber es ist nicht nur alles eitel Sonnenschein. Auch unangenehmes Dinge finden ihren Platz. Von zerrütteten Familien, in denen der Schein nach außen alles ist. Denn, auch das wird auf merkwürdige Art immer wieder betont - das Image, der Ruf der Insel steht über allem.
Die Autorin nimmt auch den Ausverkauf der Insel an finanzkräftige Investoren unter die Lupe. Das sind sehr interessante Abschnitte, mir fehlt aber leider ein bisschen der selbstkritische Blick auf die Inselbewohner. Es klingt ein wenig sehr nach "die anderen sind Schuld".

Die Geschichten ihrer Kinder- und Jugendzeit wechseln zwischen dramatisch, lustig unterhaltsam und auch unfassbar. Manchmal klingt es allerdings für mich ein bisschen nach "früher war alles besser". Das die Touristen nerven aber auch benötigt werden. Das hinzugezogene, die dort ihren Hauptwohnsitz haben von der Gemeinschaft der Alteingesessenen auch nicht unbedingt akzeptiert werden. Es klingt alles ein wenig mürrisch und nicht so wirklich einladend.

Deutlich wird allerdings wie sehr die Autorin ihren Heimatort liebt und mit ihm verbunden ist. Das er ihr selbst nach vielen Jahren Abstinenz noch immer Kraft gibt und sie dort zur Ruhe kommt. Und den Ohrwurm von den Ärzten bekommt man als Leser gratis dazu.

Bewertung vom 04.03.2022
Einatmen, ausrasten
Hall, Georgie

Einatmen, ausrasten


ausgezeichnet

Eliza Finch ist 50 geworden und die Wechseljahre haben sie voll im Griff. Als ob das noch nicht reichen würde, gibt es auch sonst jede Menge Turbulenzen in ihrem Leben. Von drei Kindern zwei noch zu Hause, die versorgt werden wollen. Tochter Summer ist Influencerin, konfrontiert ihre Mutter immer wieder mit Vorträgen zu diversen Themen wie Klimaschütz, Rassismus, Genderidentität und Sexismus. Außerdem steckt sie gerade im ersten richtig dicken Liebeskummer. Sohn Edward ist Autist und seine besonderen Bedürfnisse stellen vor allem Eliza vor große Herausforderungen. Die Ehe mit Paddy ist ein wenig aufs Abstellgleis geraten, das Geld immer knapp und eine Karriere kaum existient. Aus einer dummen Wette heraus reift in Eliza der Plan eines Selbstfindungstripps. Und auch wenn dieser nicht immer ganz pannenfrei verläuft, geht daraus am Ende eine veränderte und gestärkte Eliza daraus hervor.

Hinter einem ganz furchtbaren Cover versteckt sich ein überraschend witziges und cleveres Buch. Nun bin ich von den Wechseljahren noch Ewigkeiten entfernt und damit auch nicht unbedingt die Zielgruppe für dieses Buch. Aber das hat überhaupt nichts ausgemacht und ich hatte jede Menge Spaß mit Eliza "durchzubrennen".

Mir hat vor allem gefallen, dass sich die ganze Geschichte nicht in der Modewelt oder ähnlichen Settings abspielt, sondern im normalen Leben. Elizas Leben und ihre Sorgen sind aus dem Leben gegriffen und damit kann man sich als Leser durchaus ein gutes Stück weit mit ihr identifizieren. Die Geschichte ist witzig, ohne in Albernheiten abzudriften. Gleichzeitig gibt die Autorin ihrer Figur auch genug Raum für ernste Gedanken. Indem Eliza vergangene Jahre und besondere Momente revue passieren lässt, setzt sie sich gleichzeitig auch mit ihrer aktuellen Situation auseinander. Dabei gehen ihre Überlegungen aber auch durchaus weiter, z.B. über die gesellschaftliche Situation von Frauen im mittleren Alter beim Spagat zwischen Familie, Karriere und an sie gestellte Erwartungen.
Manchmal möchte man Eliza allerdings auch etwas bremsen, da sie sich dann schon sehr hochschaukelt. Dann bekommt die Story auch die ein oder andere Länge und der Lesefluss wird ein bisschen schwerfällig.

Aber insgesamt gibt es so viele tolle und besondere Charaktere, herrlichen britischen Humor und viele herzerwärmende Momente, die diese kleinen Punkte dann wett machen.

Bewertung vom 04.03.2022
Lange Krallen
Uschmann, Oliver;Witt, Sylvia

Lange Krallen


ausgezeichnet

Leonie und ihre Kater Bobby sind ein super eingespieltes Team, dass sich auch ohne Worte versteht. Sie leben in einem beschaulichen Dorf, in dem Aufregung selten ist und wie ihre Mutter so schön sagt: „Um Punkt acht Uhr abends machen alle den Rasenmäher aus.“ Doch eine Einbruchserie macht der Ruhe ein Ende. Leonie und Bobby nehmen gemeinsam die Fährte auf.

Den beiden Autorin ist ein wirklich schöner Kinder-Krimi gelungen.
Leonie wird als cleveres und schlagfertiges Mädchen geschildert. Kater Bobby ist schön beschrieben, die Freundschaft zwischen beiden ganz besonders. Die Geschichte bietet kindgerechte Spannung, lädt zum mitraten ein und hat auch einen gewissen Wortwitz. Die Illustrationen sind toll gestaltet und unterstreichen die Geschichte noch zusätzlich. Gerade die Bilder von Kater Bobby sind wirklich sehr niedlich.

Bewertung vom 25.02.2022
Eine Frage der Chemie
Garmus, Bonnie

Eine Frage der Chemie


ausgezeichnet

Wir schreiben die frühen 1960er Jahre in den USA. Frauen sind überwiegend schmückendes Beiwerk ihrer Männer und agieren unsichtbar im Hintergrund ihrer Familien. Von Gleichberechtigung ist die Gesellschaft so weit entfernt wie der Mars von der Erde. Es wird Frauen nicht einmal ansatzweise zugetraut einen Intellekt zu besitzen oder ihr Gehirn zu etwas anderem als Hausarbeit einzusetzen. Eine eigene Meinung, öffentlich vertreten? Na wo kommen wir denn da hin.

Und dann kommt Elizabeth Zott daher und beginnt in ihrem Umfeld alles auf den Kopf zu stellen. Oder vielmehr versucht sie es. Elizabeth ist anders, als es die Männer in ihrem beruflichen Umwelt von einer Frau erwarten. Sie ist klug, sie ist schlagfertig, bestechend logisch, zielstrebig und hartnäckig. Sie hat eine eigene Meinung und vertritt ihren Standpunkt vehement. Ein "nein" lässt sie nur äußerst selten gelten. Sie ist eine Frau, die von Kindesbeinen an gelernt hat zu kämpfen. Sie rennt dabei immer wieder gegen verschlossene Türen. Ihr schlagen nicht nur die gesellschaftlichen Konventionen der damaligen Zeit entgegen, sondern auch purer Frauenhaß. Beim Lesen mancher Passagen ist mir abwechselnd die Luft weggeblieben oder ich hätte mich am liebsten übergeben.

Doch in Calvin Evans, einem ebenso schlauen Kopf wie auch missverstandenem Menschen, findet Elizabeth nicht nur ihre große Liebe, sondern auch ihren Seelenverwandten. Er nimmt sie und ihre Forscshung ernst. Sieht die Chemikerin in ihr. Ihre Beziehung wirkt auf Außenstehende manchmal merkwürdig, ist für die beiden aber ein Ort der Ruhe und erfüllt beide mit großem Glück. Doch dann passieren zwei Dinge, die Elizabeth nicht nur den Boden unter den Füßen wegziehen, sondern auch gesellschaftlich für sie das Aus bedeuten können. Doch Elizabeth Zott wäre nicht Elizabeth Zott, wenn sie nicht die Ärmel hochkrempeln und sich auch diesem Kampf stellen würde. Und so findet sie sich in der TV-Show "Essen um sechs" wieder - ausgerechnet einer Kochsendung. Nicht ahnend, was sie mit ihrer Sendung in den Wohnzimmern der Nation auslösen wird.

So ein großartiges Buch! Romane über starke Frauen gibt es so einige zu lesen. Für mich sticht "Eine Frage der Chemie" aber heraus und ist jetzt schon eines meiner Highlights in diesem Jahr. Die Autorin bringt viele Themen in ihrem Buch unter. Und das auf ganz eigene und sehr unterhaltsame Art. In einem unterhaltsamen Plauderton erzählt sie die Geschichte. Dabei überzeichnet sie bewusst auch und damit so manches mal die Absurdität der Situation erst recht deutlich. Sie lässt einen ganz eigenen Humor einfließen, der das Buch sehr unterhaltsam macht.
Alle Charaktere, von Elizabeth bis zum Hund, finde ich toll gestaltet. Bei allem Humor lässt sie auch ernste Gedanken zu und ihre Figuren nachdenklich auf das Leben blicken. Alle sind authentisch in ihren Gefühlen und mit viel Fingerspitzengefühl ist alles so zusammengeführt, dass es einfach nur sehr viel Spaß macht dieses Buch zu lesen.

Natürlich gibt es am Ende ein Happy End. Ich wäre auch schwer enttäuscht gewesen, wenn es nichtso gewesen wäre. Und nach all den Anfeindungen und Gemeinheiten, denen nicht nur Elizabeth ausgesetzt war, war es für mich ein innerer Vorbeimarsch und ich hätte am liebsten die Faust in die Luft gereckt und laut "Yes!!!" gerufen.

Bewertung vom 13.02.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


ausgezeichnet

Drei Frauen sehen in Melbourne ein Theaterstück an, während um die Stadt herum die größten Buschbrände toben, die das Land je erlebt hat. Während sie die Handlung auf der Bühne verfolgen, hängt jede ihren eigenen Gedanken nach. Über die Ereignisse des Tages, ihr Leben, ihre Mitmenschen. In der Pause zwischen zwei Akten treffen diese Frauen zufällig aufeinander. Die Begegnung wird die Gedanken jeder einzelnen von ihnen in unterschiedliche Richtungen lenken.

Ein unheimlich faszinierendes Buch. Jede Figur ist sehr gut gestaltet und lässt den Leser tief in ihre Gedankenwelt blicken. Dabei sind die Themen, die die Frauen bewegen, so unterschiedlich wie die Frauen selbst. Margot, Ivy und Summer stehen an verschiedenen Punkten in ihrem Leben und als Leser nimmt man teil an ihren tiefen und existentiellen Ängsten. Wie ein Hintergrundrauschen wird das Theaterstück wahrgenommen. Immer wieder kehren die Gedanken zurück zum Geschehen auf der Bühne. Um dann, je nach Stichwort aus dem Stück, wieder in andere Richtungen abzudriften.
Die Gestaltung der Pause als eine Art eigenes Theaterstück war für mich ein überraschender Twist. Aber es passt perfekt in die ganze Athmosphäre des Buches hinein.

Es ist schon ein wenig verrückt, denn im Grunde passiert nicht wirklich viel. Bei jedem anderen Buch hätte mich das furchtbar gelangweilt. Aber die Gedankengänge der Frauen um persönliche und globale Themen sind so vielschichtig und tiefgründig dargestellt, es gibt einzelne Punkte in den ich selbst wiedergefunden habe; der Kontrast zwischen dieser Blase im Theater und den Geschehnissen "draußen" ist so groß - das Gesamtpaket dieses Buches ist für mich einfach so stimmig und fesselnd, dass ich es in einem Rutsch durchgelesen habe.

Bewertung vom 11.02.2022
Die Gezeiten gehören uns
Vida, Vendela

Die Gezeiten gehören uns


weniger gut

Sea Cliff ist die Heimat von Eulabee und ihrer besten Freundin Maria Fabiola. Es ist ein Ort, in dem jeder jeden kennt und sich Gerüchte schnell verbreiten. Es ist ein beschaulicher Ort. Eines Tages stellt ein fremder Mann den Mädchen eine unverfängliche Frage. Die Antwort auf diese Frage wird unvorhergesehen Folgen für die Freundinnen haben.

Die Mädchen sind in der Pubertät, Jungs und Sexualität sind zentrale Themen in ihren Gesprächen. Im Mittelteil, der mir am besten an dieser Geschichte gefallen hat, wird dann auch die Dynamik unter Jugendlichen sehr gut geschildert. Wie wenig es im Grunde braucht, um als Ausgestoßene dazustehen. Wie schwierig es ist den Weg zurück in die Gruppe zu finden. Es wird aber auch deutlich, dass auch die Erwachsenen sich hinter einer Fassade verstecken, die heile Welt für alle sichtbar. Das wirft auch die Frage auf: wie gut kann man einen anderen Menschen kennen?

Der Rest des Buches hat mich weniger begeistert. Im Grunde ist es eine belanglose Geschichte um - nichts. Der Umgang mit den Geschehnissen ist teilweise so unrealistisch, dass es keinen richtigen Spaß gemacht hat weiterzulesen. Die Geschichte läuft so vor sich hin, es gibt viele Beschreibungen die irgendwie dann doch nicht im Zusammenhang mit dem Rest stehen und es passiert im Grunde nichts.

Schade, der Klappentext klingt sehr vielversprechend und auch den Schreibstil finde ich sehr ansprechend. Leider konnte die Geschichte mich nicht begeistern.

Bewertung vom 30.01.2022
Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1
Schoch, Julia

Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1


gut

Auf einer Lesung wird eine Frau, eine Autorin, von einer ihr fremden Frau angesprochen. Sie eröffnet ihr, dass sie den gleichen Vater haben. Noch am gleichen Abend trennen sich ihre Wege wieder, ohne das sie länger miteinander gesprochen haben. Diese Begegnung wird von der Protagonistin als "das Vorkommis" bezeichnet. Es ist ein Auslöser für ein sich drehendes Gedankenkarrussel. Jeder in der Familie hat eine eigene Meinung dazu, wie mit der veränderten Situation umzugehen ist. Jeder hat eine andere Strategie um das vor langer Zeit Geschehene für sich zu verarbeiten. Auch eine berufliche Reise in die USA stellt für die Protagonistin eher eine Flucht dar. Fliehen, Abstand bekommen, nicht daran denken müssen.

Die Protagonistin, ihre Kinder, ihre Familie - alle bleiben namenlos. Und für mich auch irgendwie konturlos. Es ist mir nicht gelungen, diesen Figuren für mich ein Gesicht zu geben. Sie werden auch eher abstrakt beschrieben, z.B. "das ältere Kind". So sehr auch über das vorliegende Gefühlschaos berichtet wird, in dem die Erzählerin sich befindet, so bleibt bei mir trotzdem eine gewisse Distanz erhalten. Ich habe das Gefühl, die Autorin möchte mir zwar ihre Geschichte erzählen, mich aber gleichzeitig trotzdem nicht zu nah an sich heranlassen.
Dabei ist das Erzählte alles andere als belanglos. Die Protagonistin lässt ihr Leben gedanklich Revue passieren und stellt dabei auch ihre familiären Beziehnungen auf den Prüfstand. Für meinen Geschmack schießt sie dabei in Bezug auf ihren Mann allerdings gewaltig übers Ziel hinaus.
Dabei schreibt sie einige sehr schöne und vor allem sehr kluge Sätze, die mich als Leser unwillkürlich inne halten lassen. Und darüber nachdenken lassen, wie es denn in der eigenen Familie so ist. Oder wir man selbst gehandelt bzw. gefühlt hätte.

Allerdings hatte ich im Verlauf das Buches das Gefühl, dass sich die Gedanken wiederholten und man sich im Kreis drehte. Manche Einwürfe aus ihrer Kindheit oder Begebenheiten aus ihrem Leben konnte ich nicht so recht in Zusammenhang mit den aktuellen Situation bringen. Wobei das auch daran liegen mag, dass ich um einiges jünger als die Autorin bin und mir schlicht und ergreifend die für das Verstehen notwendige Lebenserfahrung fehlt. Ein Umstand, für den die Autorin absolut nichts kann.

"Das Vorkommnis" bildet den Auftakt einer Trilogie. Ich hatte mir aber etwas anderes versprochen. Es ist ein gutes Buch. Tiefgründig und authentisch, subtil und nachdenklich machend. Aber es hat mich leider nicht restlos begeistern können.