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Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 122 Bewertungen
Bewertung vom 04.05.2023
Malibu Rising
Reid, Taylor Jenkins

Malibu Rising


ausgezeichnet

Ich muss gestehen: „Malibu Rising“ ist das erste Buch von Taylor Jenkins Reid, das ich gelesen habe und noch beim Lesen hab ich mir gleich die anderen der #fabulousfour besorgt.
Die Riva-Geschwister Nina, Jay, Hud und Kit feiern wie jedes Jahr ihre Sommerabschiedsparty in Ninas Haus. Das ist Tradition und wenn man weiß, wo die Party stattfindet, ist man eingeladen. Bevor es ans Eingemachte, ans Partygeschehen geht, wird die Familiengeschichte der Rivas aufgerollt. Wie June den angehenden Sänger und baldigen Superstar Mick Riva kennenlernt und ihm verfällt, wie sie die Kinder bekommen und wie Mick June verlässt - gleich zwei mal. Die Geschwister hatten es nicht leicht, ohne Vater, der sie einfach vergessen hat und es wird nicht leichter als June stirbt. Nina zerreißt sich für die Familie. Doch alle werden erfolgreich, sie als Model wider Willen, Jay als Surfer, Hud als Fotograph und die jüngste Kit hat die besten Voraussetzungen.
Nichts scheint darauf hinzuweisen, dass die Party im Jahr 1983 besonders wird, aber das wird sie und danach ist nichts mehr wie es war.
Die Geschichte der Rivas, die sich über 400 Seiten erstreckt, ist herzzerreißend und berührend. Die Charaktere, allen voran Nina und Kit sind fabelhaft, auch wenn sie alle warme, braune Augen haben (was ich etwas klischeehaft fand, aber das ist auch mein einziger Kritikpunkt). Taylor Jenkins Reid schafft es in alle Köpfe gleichermaßen reinzuschauen und benachteiligt niemanden. Der Erzählfluss reißt nie ab, es wird nie langweilig und die ganze Geschichte ist toll aufgebaut. Sie streut gekonnt Brotkrumen, um Lust auf ihre anderen Bücher zu machen, ohne dass man sie gelesen haben MUSS. Und sie schafft es, dass wirklich alle eine plausible Entwicklung durchmachen, die einen das Buch mit einem guten Gefühl zuklappen lässt.
Jetzt freue ich mich auf die anderen Bücher dieser tollen Geschichtenerzählerin.

Bewertung vom 02.05.2023
Eine gute Frau
Frensborg, Maria

Eine gute Frau


gut

Helena möchte immer alles richtig machen. Sie will das Klima schützen, um ihren Kindern eine Zukunft zu garantieren, sie will niemanden diskriminieren, immer helfen, sich ihrem Alter entsprechend kleiden und benehmen, dabei aber auch cool und lässig wirken. Nur leider kollidieren ihre viel zu hoch gesteckten Ansprüche mit der Realität. Jonas, ihr Ehemann, überrascht sie und die Kinder Juni und Elmer mit einer Flugreise nach Mallorca, ein No-Go für Helena. Gefangen in ihrem selbst gestalteten Gut-Mensch-Tun, fängt sie nun an auch ihre Beziehung in Frage zu stellen.
„Eine gute Frau“ von Maria Frensborg ist ein anstrengendes Buch. Nicht das Lesen an sich, denn es ist gut und flüssig geschrieben, kurze Kapitel wechseln sich mit längeren ab, etwas störend ist nur, dass die wörtliche Rede nicht gekennzeichnet ist. Helena ist die Anstrengende. Erst hab ich mich mit ihr identifizieren können, ich mache mir ähnlich viele Gedanken, aber sie ist mir zu bemüht in ihrer Konsequenz und gleichzeitig wahnsinnig impulsiv, wodurch sie eher inkonsequent wird. Das Leben mit ihr und für sie ist ein ewiger Kampf. Das hält niemand lange durch, das weiß sie, aber trotzdem kommt sie nicht aus ihrer Haut. Das wäre ja noch ok gewesen, ich muss Protagonist*innen nicht mögen, um ein Buch gut zu finden, aber auch das Ende hat mir nicht gefallen. Es ist offen auf eine Art, die für mich nichts beantwortet. Auch hier: Ich mag offene Ende, Interpretationsspielraum, aber es fühlt sich nicht abgeschlossen an, obwohl es den Anschein macht. Ja, Helena hat eine Entwicklung durchgemacht, aber diese wirkt wie ein weiterer Impuls.
Diese beiden Punkte enttäuschen mich, denn das Buch hat einige witzige Szenen und einen tollen Sprachfluss mit gut gewählten Metaphern. Wirklich schade.

Bewertung vom 28.04.2023
Das vorläufige Ende der Zeit
Mayer, Berni

Das vorläufige Ende der Zeit


sehr gut

Reisen durch die Zeit - ist das möglich, kann man Einfluss auf Vergangenes nehmen und damit die Zukunft ändern? Kosmologe Horatio Beeltz ist sich sicher, dass es geht. Man muss nur einen Riss in der Zeit finden, der den Zugang ermöglicht. Den findet er auf dem jüdischen Friedhof in Słubice und gleich auch zwei Versuchskaninchen, denn tatsächliche Erfahrung mit dem Zeitreisen hat er nicht. Die Archäologin Mi-Ra, die Vermessungen auf dem Friedhof durchführen soll und Friedhofswärter Artur sind durch ihre vorherigen Traumata perfekt geeignet. Nach einiger Überredung von Beeltz lassen sie sich darauf ein und begeben sich zurück, in eine Zeit in der Mi-Ra noch in einer toxischen Beziehung war und Arturs Tochter Mila noch lebte.
„Das vorläufige Ende der Zeit“ von Berni Mayer mutet Science-Fiction-mäßig an, ist es aber in einem (für mich) annehmbaren Maße. Es ist mehr im Hier verhaftet, als in einem Paralleluniversum und befasst sich auf eine Art mit Zeitreisen, die durchaus plausibel klingen mag, daher konnte ich dem gut folgen.
Auch so hat mir der Roman gut gefallen, die verschiedenen Geschichten der Charaktere haben genug Raum bekommen und ich fand es spannend zu sehen, wann sie den Hebel der Veränderung ansetzen würden. Und auch ich stelle mir die Fragen: welche Begebenheiten im Leben würde ich ändern, welche Auswirkungen hätte diese, wären sie wirklich gravierend? Das ist ein interessantes Thema und geht noch über das Zeitreisen hinaus.
Zum Schluss hatte der Roman einige Längen, ich tendierte dazu zu den „Resultaten“ zu springen und Horatio Beeltz erinnerte mich stark an Newton aus „Der Mann, der von Himmel fiel“ von Walter Tevis. Sprachlich ist es ok, aber nicht herausragend, manche Formulierungen sind vom vielen Lesen schon ausgefranst.
Im Großen und Ganzen ein solider Roman mit dem man nichts falsch macht, wenn mann keine zu hohen Erwartungen hat.

Bewertung vom 24.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


sehr gut

In Hika Haradas „3000 Yen fürs Glück“ geht es um Miho, ihre Schwester Maho, Mutter Tomoko und Großmutter Kotomo. Sie alle befassen sich eingehend mit dem Thema Geld, wobei jede ein anderen Grund dafür hat: Miho möchte genug Geld sparen, um ein kleines Häuschen zu kaufen und einen Hund zu adoptieren; Maho möchte 10 Millionen Yen für die Ausbildung ihrer Tochter ansparen; Tomoko erkennt, dass ihre Ersparnisse besorgniserregend geschrumpft sind und Kotomo fürchtet sich davor, bald auf kostspielige Pflege angewiesen zu sein. Im Zentrum steht das Sparen und nicht zu viel in einer kostspieligen Stadt wie Tokio auszugeben. In einem Kapitel geht es um einen Mann, Kotomos Bekannten Yasuo, der sich nie Gedanken um Geld gemacht hat; was als Paradebeispiel für die Männer dieses Roman dient, denn sie geben die Finanzen lieber an die Frauen ab.
Wie immer bei japanischen Autor*innen gefällt mir der Einblick in diese für mich fremde Kultur sehr, vor allem, weil es fast ausschließlich die weibliche Sicht ist. Hika Harada verpackt die Ratschläge zum Thema Geldsparen eindeutig, verflechtet sie aber gekonnt in der Geschichte. Die Frauen sind stark und einnehmend gezeichnet, bleiben allerdings in den konventionellen Rollen, was sie authentisch macht. Besonders Großmutter Kotomo, die sich mit 73 Jahren noch mal entscheidet, arbeiten zu gehen, hat mich beeindruckt.
Nicht nur die Rolle des Geldes und der Umgang damit wird thematisiert, sondern auch die Ehe und die Abhängigkeiten von Frauen gegenüber ihrer Ehemännern, was in Japan noch extremer zu sein scheint als in Deutschland.
Eine Übersicht der handelnden Personen und ein Glossar am Ende des Buches erleichtern die Lektüre. Nur leider holperte es sprachlich manchmal etwas, was auch an der Übersetzung liegen kann.
Was ich auf jeden Fall nun ausprobieren möchte, ist das Kakeibo, ein Haushaltsbuch, das in dem Roman und gerade für Kotomo sehr wichtig ist.

Bewertung vom 18.04.2023
Der Himmel muss warten
Reichert, Sandra

Der Himmel muss warten


ausgezeichnet

TW: Suizid
Maria will nicht mehr leben, hat aber mit ihrem Arzt vereinbart, dass sie vorher in eine Reha-Klinik geht. Darauf hat sie eigentlich keine Lust, aber vielleicht findet sie dort jemanden, der*die mit ihr zusammen zur Tat schreitet. Während sie von Termin zu Behandlung zu Therapiestunde spurtet, lernt sie die depressive Julia und den todgeweihten Jan kennen. Und dann sind da auch noch Holger, Hasan und Alex, die Maria nah kommen, näher als sie vermutet hätte und ihr Vorhaben gerät ins Wanken.
„Der Himmel muss warten“ von Sandra Reichert ist in vielerlei Hinsicht ein heftiges Buch, es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, der man nicht entrinnen kann, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. Maria ist schlagfertig und betrachtet ihr Umfeld mit so viel Durchblick und Humor, dass es schwer fällt zu verstehen, warum gerade so jemand sterben will. Jede*r Patient*in hat sein eigenes Päckchen zu tragen und Sandra Reichert schafft es einen kleinen Einblick in die verschiedenen Leben zu geben. Am meisten hat mich beeindruckt, dass sie ein wirklich schwieriges und ernstes Thema eingängig und oft sogar komisch beschreibt, ohne dabei despektierlich zu sein. Vieles kann man aus dem Buch mitnehmen: die Hoffnung, den Wunsch zu Leben, die Einsicht erst bei sich anzufangen. Das vermittelt sie zwischen den Zeilen und ohne den Anschein eines Ratgebers. Verpackt ist das alles in anschauliche Szenen und einer tollen, manchmal etwas hochgestochenen, Sprache.
Es gibt nur einen Wermutstropfen: das Ende. Der Roman hätte länger sein können, das Ende und Marias Abgang kamen plötzlich, für mich zu plötzlich. Die Wandlung war absehbar, aber ihre Reaktion auf die Ereignisse, die ihr widerfahren, kann ich nicht wirklich nachvollziehen.
Trotzdem ist „Der Himmel muss warten“ einer der besten Romane über psychische Erkrankung, den ich jemals gelesen habe. Und wer einen Einblick haben möchte, hadert oder Hoffnung braucht, sollte auf jeden Fall einen Blick hineinwerfen.

Bewertung vom 09.04.2023
30 Tage Dunkelheit
Madsen, Jenny Lund

30 Tage Dunkelheit


gut

Hannah ist Schriftstellerin. Sie schreibt Literatur, hat Preise gewonnen, erreicht aber nur eine kleine Leserschaft, was sie nicht davon abhält ihre Nase ein Stückchen höher zu halten. Auf Autor*innen der Unterhaltung blickt sie herab, allen voran Jørn, einem bekannten Krimiautor. Sie lässt sich vor Publikum zu der Aussage hinreißen, dass jeder einen Krimi in einem Monat schreiben kann, so auch sie. Also wird sie von ihrem Lektor nach Island geschickt, um es zu beweisen. Bei Ella findet sie Unterschlupft. Wiederwillig beginnt sie mit dem Projekt, doch dann wird Ellas Neffe aus dem Wasser gezogen und sein Tod ist kein Unfall.
Nun ist Hannah nicht nur auf der Suche nach Inspiration, sondern will auch den Täter überführen. Dabei lässt sie kein Fettnäpfchen aus und eckt mehr und mehr an, doch aufgeben tut sie nicht.
„30 Tage Dunkelheit“ von Jenny Lund Madsen wurde ausgezeichnet, konnte mich aber nicht überzeugen. Eine Schriftstellerin als Protagonistin und Ermittlerin ist nichts neues, genauso wie der etwas hilflose Dorfpolizist. Nicht nur Hannahs Alkoholkonsum entspricht dem gängigen Klischee und die Wandlung, besser die Katharsis, die sie durchmacht, wirkt sehr bemüht. Hinzukommen einige Längen, die quasi zum Überspringen einladen. Manche Szenen waren gut konstruiert und am Ende war es durchaus spannend, aber auch einfach zu viel des Guten, als wolle Jenny Lund Madsen unbedingt mit einem actionlastigen Buch beeindrucken.
Die Auflösung des Falls hat mir gefallen, aber der Weg dahin war mitunter anstrengend und langwierig. Ich hatte öfter das Gefühl, dass dieser Krimi geschrieben wurde, um verfilmt zu werden. Positiv muss ich erwähnen, dass Frauen in vielerlei Hinsicht die Hauptrolle spielen und ich mag Bücher über das Schreiben, auch wenn viele Klischees bedient wurden.
Richtig gepackt hat der Krimi mich dennoch nicht und ich würde eher zu einem Buch von Romy Hausmann oder Melanie Raabe greifen, wenn ich einen richtigen Pageturner lesen möchte.

Bewertung vom 02.04.2023
Der weiße Fels
Hope, Anna

Der weiße Fels


ausgezeichnet

Eine Schriftstellerin, ein bekannter Sänger, ein Yoeme-Mädchen und ein Kapitänleutnant, die über die Jahrhunderte durch einen Felsen vor der Küste Mexikos verbunden sind. Alle haben ihre eigenes Leben und befinden sich zu zu einer anderen Zeit bei dem Felsen, dem ganz besondere Kräfte zugeschrieben werden. Die Schriftstellerin 2020 um eine Opferritual zu vollenden; der Sänger, der sich als Jim Morrison herausstellt, 1969 auf der Flucht vor sich selbst und seinem Leben; das Mädchen 1907 verschleppt, um verkauft zu werden; der Leutnant 1775 , um von dort aus auf eine Expedition aufbrechen.
„Der weisse Fels“ von Anna Hope vereint alle diese Figuren; jede*r hat eine eigene Geschichte, könnte auch eigenständig bestehen, aber zusammengefasst entfalten sie eine besondere Kraft. Anna Hope schafft es, jeder Geschichte, denen sie jeweils zwei Kapitel zuteilt, einen eigenen Klang zu verleihen. Wüsste man nicht, dass ein*e Andere*r gerade spricht, man könnte es hören. Hinzu kommt ein ungekünstelter, klarer Stil, der wiederum allen Kapiteln eigen ist. Sie schlägt einen Bogen über die Jahrhunderte hinweg und zeigt auf, was zu der Zeit und für diese Menschen von Bedeutung war, ob es nun die Pandemie und Klimakatastrophe ist, die Flucht vor einer Realität, die nicht die eigene ist, die Kolonialisierung oder die Erschließung neuer Welten.
Dabei geht Anna Hope mit besonderem Feingefühl vor, sie schreibt über Kulturen, denen sie nicht angehört und möchte sich nicht der kulturellen Aneignung schuldig machen, was ihr gut gelingt. Es ist wichtig, dass über solche Themen gesprochen und geschrieben wird, umso mehr, desto besser. Nur sollten weiße Westeuropäer*innen nicht einfach drauflosschreiben und aus Geschichten Profit schlagen, die schon genug unter der weißen Vorherrschaft gelitten haben. Dies ist ein gelungenes Beispiel.
Anna Hope kommt ohne Paukenschlag aus, aber das macht das Buch nicht weniger lesenswert und es hat mich schon nach kurzer Zeit absolut gefesselt.

Bewertung vom 31.03.2023
Das Geheimnis meines Erfolgs
Mössmer, Margit

Das Geheimnis meines Erfolgs


ausgezeichnet

Margit Mössmers „Das Geheimnis meines Erfolgs“ ist ein besonderes Buch, denn die Protagonistin und Erzählerin ist besonders. Alex kommt als Schreibaby auf die Welt und ihre Mutter Nina ist verständlicherweise überfordert. Es zeigt sich schnell, dass Alex nicht der Norm entspricht. Sie nimmt die Welt um sich herum anders war, vieles bereitet ihr Schmerzen, Nähe erträgt sie kaum, Regeln sind ihr wichtig und läuft etwas nicht wie gewohnt, ist sie schnell überfordert und bekommt Migräne. Aber sie hat auch eine unfassbare Auffassungsgabe, erinnert sich an ihre frühe Kindheit, spricht früh und merkt sich vieles. Doch mit diesen Besonderheiten eckt sie an. Mutter Nina kämpft, versteht Alex nicht, rennt zu Ärzt*innen, die nichts feststellen können und bekommt Ratschläge, die nicht helfen. Im Kindergarten und in der Schule wird es nicht besser. Alex will lieber allein sein, doch muss an diesem gesellschaftlichen Konstrukt teilnehmen, weil Nina nicht zuletzt auch Arbeiten gehen muss. Ninas Bruder Patrick ist nicht wirklich eine Hilfe, weiß vieles besser, bekommt sein Leben aber selbst nicht auf die Reihe.
Doch dann tritt Riri in Alex Leben und es scheint als würde sie sich doch anpassen können, aber zu welchem Preis.
„Das Geheimnis meines Erfolges“ hat mich beeindruckt. Es besticht mit einer außergewöhnlichen Sprache, die mich an Tanja Raich erinnert hat. Man springt von Metapher zu Metapher und es entsteht eine Welt, die vertraut und gleichzeitig neu ist. Anfangs hat mich Alex zugegebenermaßen etwas genervt, ich habe eher Ninas Überforderung gespürt als Alex Schmerz, aber das hat sich im Laufe des Buches gewandelt.
Auch der Schluss des Romans, den ich natürlich nicht verrate, hat mir sehr gefallen. Er macht die ganze Geschichte zu einer runden Sache.
Ein wirklich tolles Buch über Andersartigkeit in unserer festgefahrenen Gesellschaft und absolut eine Lektüre wert.

Bewertung vom 20.03.2023
Keine gute Geschichte
Roy, Lisa

Keine gute Geschichte


ausgezeichnet

Arielle hat Depressionen, obwohl sie es scheinbar geschafft hat. Ihr Gepäck versteckt sie ziemlich erfolgreich: eine in der Kindheit verschwundene Mutter, keinen Vater, aber offensichtlich seine Gene; sie ist bindungsunfähig, hat eine lieblose Großmutter und einen Backround, dem sie auf nimmerwiedersehen entfliehen wollte. Kurz nach dem sie aus der Psychiatrie entlassen wurde, kehrt sie zurück nach Essen Katernberg, weil Großmutter Varuna sie braucht. Dort wartet nicht nur Varuna, sondern auch ehemalige Mitschülerinnen, ihr altes Zimmer und die Geschichte ihrer Mutter auf sie.
Zwei verschwundene Mädchen, Nacktkatzen, Menschen mit Migrationshintergrund und gesellschaftliche Konventionen, die aufgebrochen werden, sind noch das Salz, das diesen Roman abrundet.
„Keine gute Geschichte“ von Lisa Roy hat sich bereits als eines meiner absolutes Jahreshighlights entpuppt und das nicht nur weil ich ein Ruhpottkind bin und gerade mal 1,5 km von dessen Mittelpunkt entfernt lebe. Ihre Sprache ist typisch Pott, direkt, frech und ungeschönt. Das Terrain in dem sie sich bewegt, ist mir nur allzu gut bekannt. Arielle ist mir herrlich unsympathisch und macht im Roman eine Entwicklung durch, die absolut stimmig ist. Ich konnte es gar nicht aus der Hand legen. Es passiert so viel, aber alles gehört zur Geschichte, hat seine Daseinberechtigung. Ich flog nur so durch die Seiten. Außerdem ist es nicht nur ein klassischer Roman; es ist auch ein bisschen Krimi, ein bisschen Coming-of-Age.
Ihre Beschreibungen, ob nun von den heruntergekommenen Assi Gegenden oder den Menschen in der Bahn passen wie Faust aufs Auge und generell lässt sie eine Welt entstehen, die sich vor meiner Haustür abspielen könnte.
Lisa Roy setzt nicht nur das Ruhrgebiet auf die literarische Landkarte wie es hintern auf dem Buch steht, sondern ist wieder ein gutes Beispiel, für absolut frische, weibliche Stimmen, die nicht überlesen werden sollten! Ich bin jetzt schon Fan.

Bewertung vom 19.03.2023
Prägung
Dittloff, Christian

Prägung


gut

Ein Mann, der selbstkritisch und, ja ich sage es einfach, feministisch über Männlichkeit und Patriarchat nachdenkt, geht das überhaupt? Für „Prägung“ von Christian Dittloff lautet mein Antwort: Jein.

Vorausschickend muss ich sagen, dass ich das Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen habe und mich mit vielen tollen Frauen austauschen durfte, die mir ganz neue Denkansätze geboten und mich kritischer haben werden lassen.

Dittloff steigt zurück in die Vergangenheit. Als studierter Autor macht er das rein fachlich gut, aber ich hadere noch mit der Gattung dieses Werks. Es ist kein Sachbuch und auf der dem Text vorgesetzten Seite steht eingerahmt „Roman“, aber das ist es auch nicht, denn ich als Leserin identifiziere den Autor direkt mit dem lyrisch Ich. Vielleicht eine zusammenhängende Essaysammlung?

Jedenfalls kehrt er zurück in Kindheit und Jugend, die meiner nicht unähnlich war, aufgewachsen in den 90 und 2000 kann ich mich noch gut an den vorherrschende Sexismus erinnern, der mir heute die Galle die Speiseröhre hinauftreibt. Er beschreibt, wie er dazugehören wollte, aber dann auch wieder nicht. Er versucht zu reflektieren, was aber oft in einer Rechtfertigung endet, die er eigentlich vermeiden wollte. Er legt eine Pick-Me-Mentalität an den Tag, die wir von Frauen (leider) gewohnt sind und muss sich eingestehen, dass er gleich doppelt vom Patriarchat profitiert, einerseits direkt, andererseits, weil er sich davon abgrenzt.

Brauchen wir tatsächlich eine männliche Sicht auf „Smash the Patriarchy“, die eigentlich nur reproduziert, was viele intelligente Frauen predigen? Anscheinend schon, denn es besteht die Möglichkeit, dass Dittloff allein aufgrund seines Geschlechts gerade die erreicht, die sich singend und feixend die Ohren zuhalten, wenn Frauen davon sprechen. Vielleicht werden diese Männer dann mal selbst nachdenken und etwas verändern.