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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 415 Bewertungen
Bewertung vom 18.03.2024
Sapiens - Das Spiel der Welten
Harari, Yuval Noah

Sapiens - Das Spiel der Welten


ausgezeichnet

Wer steuert die Geschichte? Ist es der reine Zufall oder sind Kräfte am Werk, die nach bestimmten Regeln handeln? In Yuval Noah Hararis neuer Graphic Novel stellen sich fünf Kandidaten zu Wahl, die jeweils ein historisches Prinzip vertreten: Der Clash der Kulturen tritt an gegen die Macht der Imperien, die verbindende Kraft des Geldes gegen die Religion und Mr. Zufall. In einer fiktiven Spielshow stellen sich die Kandidaten einer Fachjury, die sie mit Beispielen und klugen Analysen zu überzeugen suchen, wenn auch mit wechselndem Erfolg. Wer wird das Spiel gewinnen?

Wie schon in den Vorgängerbänden haben die Autoren die unterschiedlichen Thesen geschickt aufbereitet, so dass sie sich kurz und knapp darstellen lassen, sei es durch imaginäre Zeitreisen oder durch Visualisierung im Stil von Infografiken. Harari hat ein besonderes Talent dafür, komplizierte Zusammenhänge einfach zu erklären, ohne dass es inhaltlich falsch würde. Jeder seiner Kandidaten, jeweils repräsentiert durch einen „Superhelden“, der von sich behauptet, die Geschichte zu kontrollieren, bringt überzeugende Argumente, die von den Mitgliedern der Jury auf die Probe gestellt werden. So bekommt der Leser quasi eine Stimme und Kontroversen werden spielerisch aufgedeckt. Wie sich herausstellt, gibt es keine einfachen Antworten, denn jeder Kandidat hat auch Schwächen in seiner Argumentation. Letztlich ist es das Zusammenspiel aller fünf Elemente, die die Geschichte steuern, wenn auch nicht notwendigerweise in eine vorhersehbare Richtung.

Gerade in unsicheren Zeiten wie den unseren, in denen sich die Gesellschaft auflöst und man kein Prophet sein muss, um vorherzusehen, dass wir auf einen gewaltigen Konflikt zusteuern, wünscht man sich so etwas wie eine Glaskugel. Aber die Geschichte zeigt, dass nicht der Edelmütigste überlebt, weil er die Moral auf seiner Seite hat, sondern dass hier ganz andere Kräfte am Werk sind. Diktaturen und Autokratien haben sich als weitaus widerstandsfähiger erwiesen als die Demokratie, was angesichts der Weltverbesserer in Bundesregierung und EU keine gute Prognose ist. Vor diesem Hintergrund scheinen Wokeness und kompromisslose Klimahysterie wie der Abgesang einer überspannten Epoche.

Harari geht ausführlich auf die Rolle der Religion ein. Die alten Kulte (Animismus, Hinduismus, Buddhismus und Judentum) hatten keinen Alleinvertretungsanspruch, weshalb es damals quasi keine interreligiösen Konflikte gab. Das hat sich mit dem Christentum und insbesondere dem Islam grundlegend geändert. Während das Christentum mittlerweile an Bedeutung verliert, radikalisiert sich der Islam zunehmend und kennt wahren Frieden nur bei „freiwilliger“ Unterwerfung. Harari ist sich der Gefahr zwar bewusst, seine Religionskritik richtet sich aber zu 90% gegen historische Auswüchse des Christentums, die aktuellen Greuel durch Islamisten bleiben weitgehend unerwähnt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wenn man Hararis These einer seit Jahrtausenden fortschreitenden Vereinheitlichung der Weltgemeinschaft folgt, ist das ein beunruhigender Hinweis darauf, wer der Gewinner dieser Entwicklung sein wird. Kein schöner Gedanke, aber wir beschleunigen diesen Prozess durch unsere unkritische Toleranz gegen die Intoleranten und Unterwerfungsgesten, die auch international sehr wohl wahrgenommen werden. Wer Hararis Graphic Novel aufmerksam liest, wird mehr als nur einen Aha-Moment erleben, denn die Prinzipien, nach denen Geschichte abläuft, folgen tatsächlich bestimmten Regeln. Die Zukunft lässt sich zwar nicht im Detail vorhersagen, die Tendenz dagegen schon. Beruhigt hat mich das Buch nur insofern, als dass es irgendwie weitergehen wird. Aber die besten Zeiten liegen definitiv hinter uns.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.03.2024
Planet Erde III
Attenborough,David(Presenter)

Planet Erde III


ausgezeichnet

Wohl kaum ein lebender Mensch hat aus eigener Anschauung so hautnah erfahren, wie sehr sich unsere Erde verändert hat, wie David Attenborough. Der mittlerweile 98-Jährige ist auch in Planet Erde III wieder die Erzählstimme und man merkt ihm das Alter kaum an, so klar und präzise ist seine Aussprache. Die Warmherzigkeit seiner Stimme alleine lohnt, sich den Film im Original anzuschauen, denn er erzählt auch von eigenen Erlebnissen vor 70 Jahren, die ihm hörbar ans Gemüt gehen. Der größten Karettschildkröten-Kolonie der Erde droht der Untergang und Schuld ist wieder mal der Mensch. In der dritten Staffel von „Planet Erde“ geht es oft um solche Umwälzungen, aber auch darum, wie sich Tiere an die neuen Bedingungen anpassen. Das geht manchmal erstaunlich schnell, nur kommt es auch zunehmend zu Konflikten mit den Menschen, die in immer neue Habitate einbrechen und sie direkt oder indirekt zerstören. Gerade im sehenswerten Making-of geht es um diese sichtbaren Auswirkungen, wobei besonders tragisch ist, dass die Folgen unseres Handelns weit über den menschlichen Siedlungsraum hinaus gehen.
Besonders hervorheben möchte ich, dass die Macher der Serie diesmal besonders viele Arten in den Fokus stellen, die man nicht schon tausend Mal gesehen hat. Von den ganz kleinen bis zu den ganz großen reicht das Spektrum, wobei die Episoden thematisch wieder nach Lebensräumen gegliedert sind. Die BBC ist dabei technisch mittlerweile unschlagbar. Kein anderer Produzent treibt einen derartig großen Aufwand mit Drohnen, Zeitlupen und Extremoptik und nicht selten sind Ausschnitte von wenigen Sekunden Länge das Ergebnis von wochenlangem Warten. Fünf Jahre hat die Realisation dieser Staffel gedauert und man sieht es in jedem Augenblick. Das ist inhaltlich und ästhetisch einfach unerreicht und wird ohne Zweifel zum Gedächtnis der Menschheit gehören, wenn all das verschwunden ist, was die Kameraleute in unendlicher Mühe und Geduld zumindest im Bild festgehalten haben.

(Diese Blu-ray wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2024
Offene Geheimnisse
Schmolcke, Nikolaj

Offene Geheimnisse


ausgezeichnet

Wer in Aktien und Anleihen investiert, kommt langfristig um eine fundierte Unternehmensbewertung nicht herum. Grundlage dafür ist vor allem der Jahresabschluss, der für alle Kapitalgesellschaften und bestimmte Personenhandelsgesellschaften in elektronischer Form im Unternehmensregister veröffentlicht werden muss. Doch viele Anleger lassen die Bilanzen lieber links liegen, weil sie glauben, dass nur Experten die Zahlengräber verstehen und Jahresabschlüsse ohnehin „manipuliert“ sind. Doch Nikolaj Schmolcke räumt in „Offene Geheimnisse“ mit diesem Mythos auf und zeigt, wie man eine Bilanz liest, welche Posten wichtig sind und wie man Schönfärberei in der Bilanz entlarvt. Anhand realer Unternehmen wird erklärt, welche Geschäftsmodelle gut und welche schlecht sind und auf welche Kennzahlen es wirklich ankommt. Ziel des Buches ist es, ein solides Bilanzverständnis für Einsteiger aufzubauen.

Schmolcke stellt zu Anfang des Buches drei einfache Fragen, die einen ersten Überblick über den Jahresabschluss geben, ohne gleich das Zahlenwerk analysieren zu müssen: Wie lange hat es gedauert, bis der Wirtschaftsprüfer den letzten Jahresabschluss unterschrieben hat? Welchen Standpunkt vertritt der Wirtschaftsprüfer? Und: Wie bewertet die Geschäftsleitung die nähere Entwicklung? Die Beantwortung dieser Fragen dauert nur wenige Minuten und reicht meist aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Besonders wichtig ist der Lagebericht der Geschäftsführung, denn hier muss jedes Wort geprüft und belegt werden.

Die Grundlagen hält Schmolcke so kurz wie nötig. Er beschreibt den Aufbau einer Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, klärt Begriffe wie Aktiva und Passiva, Eigen- und Fremdkapital, Anlage- und Umlaufvermögen (oft auch mit den heute üblichen englischen Vokabeln). Anhand eines einfachen Beispiels zeigt Schmolcke die schrittweise Erstellung einer Bilanz und kreative Möglichkeiten der Bilanzkosmetik.

Mit weiteren Fragen konzentriert sich der Autor auf wesentliche Kennzahlen in der Bilanz, vor allem Umsatz, Gewinn aber auch aktivierte Eigenleistungen, Bestandsveränderungen und aufgelöste Rückstellungen. Anhand von vielen realen Beispielen (z. B. von Volkswagen, Siemens, Deutsche Telekom, Wirecard) erklärt Schmolcke , wie schnell man Jahresabschlüssen ihre Geheimnisse entlocken kann. Und dabei muss man noch nicht einmal ein Zahlennerd sein.

Nikolaj Schmolcke hat mir mit seinem didaktisch hervorragendem Buch einen neuen und viel einfacheren Zugang zu Bilanzen ermöglicht. Er hat mir gezeigt, dass es nur auf wenige Punkte in der Bilanz wirklich ankommt und dass man mit nur zehn Fragen ein Instrument an die Hand bekommt, mit dem man einen Jahresabschluss schon sehr qualifiziert analysieren kann.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.03.2024
Wilde Farben
Ross, Caroline

Wilde Farben


weniger gut

Naturpigmente sind eigentlich nichts Außergewöhnliches: Seit Jahrhunderten haben Künstler sie verwendet und es gibt sogar mittelalterliche Quellen, die detailliert beschreiben, wie Pigmente und ihre Malmittel hergestellt wurden. Synthetische Pigmente sind also eine relativ junge Erfindung und auch heute noch basieren vor allem Brauntöne meistens auf Naturpigmenten. Mich hat das Thema sehr interessiert, aber meine Erwartungshaltung wurde leider enttäuscht.

Auf den ersten 50 Seiten ergeht sie sich die Autorin in immer wieder gleichen Phrasen darin, wie schön es doch sei, seine Farben selber zu sammeln und wo man überall fündig wird. Eine Doppelseite am Strand, eine Doppelseite im Wald, eine Doppelseite im Süßwasser oder am Straßenrand und ein paar Seiten darüber, womit man Farben abkratzen kann (mit Messern, Gabeln, Steinen, Scheren). Dazu ein paar beispielhafte Strichproben, die eine sehr übersichtliche Bandbreite von dunkelbraun, braun, gelbbraun, rotbraun, grünbraun oder ocker darstellen. Frische Farbtöne gibt es in Caroline Ross‘ Palette nicht. Zugegeben, bei leuchtenden Farben wird es schnell giftig, auch wenn sie aus der Natur kommen.

Auf den nächsten 20 Seiten wird beschrieben, wie man die Gesteinsbrocken in Pigmente verwandelt, allerdings bleiben die Verfahren für mein Empfinden sehr unscharf. Ich kann das Ganze in einem einzigen Satz zusammenfassen: Zu Pulver mahlen, aufschlämmen, abgießen, trocknen lassen. Zum Vermahlen nimmt Caroline Ross alles, was eine raue Oberfläche hat, zum Abtrennen gröberer Partikel reicht ihr ein Küchensieb, zum Schlämmen schüttelt sie das Pigmentpulver mit Wasser in einem Einmachglas. Man muss kein Pigmentexperte sein, um zu ahnen, dass so ein Produkt kaum höheren Standards gerecht wird. Die Ausbeute an wirklich hochwertigem Pigmentpulver ist bei dieser „Küchenchemie“ marginal und den Aufwand nicht wert. Die meisten Fraktionen werden noch viele grobe Partikel enthalten, die beim Malen sehr stören und das fertige Bild auch instabil machen. Später im Buch werden Arbeiten von Naturpigmentkünstlern gezeigt, die diesen Verdacht erhärten. Caroline Ross allerdings steht auf dem Standpunkt „It’s not a bug, it’s a feature“. Was man nicht kann, muss eben so sein.

Richtig ärgerlich wird es dann, als es an das Anmischen der Farben geht. Nur Zutatenlisten, keine präzisen Rezepturen. Alles wird nach „Gefühl“ angesetzt, was gut zu dem etwas esoterisch-mäandernden Stil passt, in dem Caroline Ross auch schreibt. Malen mit Naturfarben als Heilmittel für eine geschundene Welt. Ich hatte erwartet, ernsthafte Informationen über Pigmentherstellung zu bekommen, ähnlich wie sie die alten Meister in ihren geheimen Farbbüchern festgehalten haben, stattdessen bekomme ich auf 128 Seiten 50 verschiedene Brauntöne, ein paar flaue Grüntöne und ein Blassblau aus Vivianit vorgestellt (das im Übrigen ein eher seltenes natürliches Mineral und sehr wenig farbstabil ist). Nicht einmal die Indigoherstellung wird vernünftig erklärt.

Zumindest hat die Berliner Übersetzerin streng darauf geachtet, den gesamten Text sauber durchzugendern, inklusive Stolpersternchen. Da stimmt vielleicht nicht der Inhalt, aber wenigstens die Weltanschauung. Nein, danke. Die zwei Sterne gibt es für die schönen Fotos und das gute Layout. Ansonsten nur was für Dünnbrettbohrer*innen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 11.03.2024
Das Grab von Erzbischof Erkanbald (¿ 1021)

Das Grab von Erzbischof Erkanbald (¿ 1021)


ausgezeichnet

Es war eine kleine Sensation im Jahr 2019, als in der Mainzer St. Johanniskirche unter einem mittelalterlichen Fußboden ein Sarkophag entdeckt wurde, dessen äußere Gestaltung auf ein Bischofsgrab hinwies. Unter großer medialer Teilnahme wurde der Sarg geöffnet und Proben entnommen, die später materialtechnisch untersucht wurden. Im Kontext von mittelalterlichen Quellen, der detailliert dokumentierten Bauarchäologie der Johanniskirche und dem Befunden aus dem Bischofsgrab ergab sich ein erstaunlich kohärentes Bild, das letztlich keinen Zweifel daran ließ, dass es sich bei der Leiche um Bischof Erkanbald und bei der Johanniskirche um den alten Mainzer Dom gehandelt hat. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind im vorliegenden Band zusammengefasst.

Zunächst wird die Baugeschichte der Johanniskirche summarisch vorgestellt, wobei auch sehr aktuelle und bisher nicht publizierte Befunde berücksichtigt werden. Die Positionierung des Sarkophags und die darüber gefundenen Reste eines Tumbadenkmals wiesen schon früh auf eine hochrangige Bestattung hin. Vergleiche der Sarkophaggestaltung mit Exemplaren gleicher Zeitstellung werden dann im folgenden Beitrag untersucht. C14-Datierungen an verschiedenen Materialproben aus dem Grab passen genau in die Lebensspanne von Bischof Erkanbald, die angeschlossenen anthropologischen Untersuchungen sind aufgrund des schlechten Erhaltungszustands des Skeletts aber weniger aussagekräftig. Außerdem wurde der Leichnam weitgehend in situ belassen und nur fotografisch dokumentiert. Die technische Untersuchung der entnommenen Textilproben erlaubte allerdings eine ziemlich detaillierte Aussage zur Ausstattung, die zweifelsfrei zu einem Bischofsgrab gehörte. In der Gesamtschau blieb nur Erkanbald als möglicher Kandidat, was gleichzeitig die schon lange diskutierten Nutzung der Johanniskirche als erstem Dom in Mainz bestätigte. Den Abschluss bildet eine Biografie mit den Lebensdaten des dritten Mainzer Bischofs.

Der Band mag schmal sein, sein Inhalt ist es definitiv nicht. Die Autoren korrigieren wesentliche Teile der Mainzer Kirchengeschichte und stellen Erkanbald in den politischen Kontext seiner Zeit, in den er höchstwahrscheinlich auch aktiv eingebunden war, auch wenn die Quellenlage manchmal dünn ist.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2024
Die 4 Jahreszeiten
Tuggener, Jakob

Die 4 Jahreszeiten


ausgezeichnet

Jakob Tuggener war eine außergewöhnliche Fotografenpersönlichkeit, wenngleich er zu seinen Lebzeiten finanziell erfolglos blieb. Gerade einmal drei Fotobücher hat er veröffentlicht, nur fünf Ausstellungen beschickt. Sein ureigenes Ausdrucksmittel waren seine insgesamt 70 Fotobuchmaquetten („Druckvorlagen“), die er „geschlossene Bücher“ nannte und die nur als Unikate existieren. Ihr Konzept war den Zeitgenossen und Verlegern damals nicht vermittelbar: Ein Buch ohne jeden Text, Bilder ohne Legende, ohne nähere Erklärung. Nur eine Maquette-Serie wurde 1943 unter dem Titel „Fabrik“ veröffentlicht, die „4 Jahreszeiten“ ist tatsächlich erst der zweite Anlauf, über 30 Jahre nach Tuggeners Tod.

Jakob Tuggener erzählt in Bildern, deren Sequenzen etwas Filmisches haben, ohne dass man konkret sagen könnte, welche Geschichte dahinter steckt. Sie vermitteln Stimmungen und dadurch, dass sie ohne Ausnahme das Schweizer Landleben schildern, auch ein Lebensgefühl, das von großer Naturverbundenheit und sozialer Nähe getragen wird. Jede der vier Jahreszeiten hat ihren eigenen Erzählbogen, ihre eigene „Farbe“, obwohl alle Bilder schwarz-weiß sind. Jedes der vier Kapitel ist aber auch metaphorisch unterlegt, mit Anspielungen auf den Kreislauf des Lebens: Werden, Wachstum und Tod.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Fotos nicht gleichzeitig und am gleichen Ort entstanden, sondern über einen Zeitraum von 1941 bis 1974 und trotzdem wie aus einem Guss wirken. Sie greifen ineinander wie Szenen eines durchkomponierten Films, mit Close Ups und Totalen, expressionistischen Wischeffekten und klassischen Bildaufteilungen mit wunderbar austarierten Kontrasten. Sie zeigen, dass sich Tuggener immer wieder mit seinem Portfolio auseinandergesetzt, es immer wieder neu zusammengestellt und neu interpretiert hat. Auch wenn die ausgewählten Sequenzen nur einen Ausschnitt aus den etwas umfangreicheren Maquetten darstellen, ist es den Herausgebern hervorragend gelungen, dieses Gefühl des Flusses und die Atmosphäre der einzelnen Jahreszeiten zu bewahren. Jakob Tuggeners Stil wurde oft als „Dokumentarfotografie“ bezeichnet, aber bei allem dokumentarischen Inhalt griffe dies bei weitem zu kurz. Er, der sich dem Stummfilm tief verbunden fühlte, erzählte mit stummen Bildern Geschichten, die mehr sind als das, was sie zeigen, und so ist es kein Zufall, dass die Bildlegenden nicht integraler Teil des Buches geworden sind, sondern nur als Faltblatt beiliegen. Sie befriedigen zwar die Neugier des heutigen Lesers, aber sie gehören nicht zu Jakob Tuggeners künstlerischem Konzept.

Die Reprografie auf dem mattglänzenden Papier ist makellos und gibt jedem blattgroßen Bild genau den Raum, den es braucht, um zu wirken. Und mir ist diesmal wieder ganz besonders aufgefallen, dass ich Steidl-Bücher am Geruch erkenne. Sie duften, wenn man sie öffnet. Nach Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.03.2024
Silberschmuck gestalten
Bone, Elizabeth

Silberschmuck gestalten


ausgezeichnet

Elizabeth Bone gehört zu den führenden Schmuckgestalterinnen unserer Zeit und in ihrem Buch vermittelt sie Techniken des Silberschmiedehandwerks in einer auch für Laien umsetzbaren, anschaulichen Weise.

Zunächst erklärt sie grundlegende Techniken, die den Werkstoff Silber überhaupt erst handhabbar machen. Dazu gehören Ausglühen und Beizen, sowie die einfachen Bearbeitungstechniken mit Säge, Zange und Lötflamme. Einen großen Schwerpunkt legt die Autorin auf einfache Techniken der Oberflächenbehandlung, die im modernen Schmuckdesign allerdings einen hohen Stellenwert haben. Manchmal hätte ich mir noch vertiefte Hinweise auf die Dauerhaftigkeit der Methoden gewünscht, denn gerade Silberschmuck hat den Nachteil, dass er sich im Lauf der Zeit verfärbt. Das hat auch Auswirkungen auf bestehende Patinierungen und deren Kontrastwirkung und lässt sich teilweise nicht selektiv rückgängig machen. Darauf sollte ein Schmuckdesigner aber immer achten.

Ein weiteres Kapitel behandelt spezielle Techniken wie Steinfassen, Filigran oder Granulierung, die detailliert und mit ergänzenden Fotos beschrieben sind. Alle Schritte sind auch für Laien leicht nachvollziehbar und anschaulich, so dass man kein zusätzliches Vorwissen braucht. Sehr hilfreich sind die vielen handwerklichen Tricks und Kniffe, die Elizabeth Bone verrät und die in der Praxis Fehlschläge vermeiden. Manche „Reaktionen“ von Silber sind nämlich nicht intuitiv vorhersehbar. Den Abschluss des ersten Teils bilden sechs Künstlerportraits von herausragenden Silberschmieden mit beispielhaften Werken.

Der zweite Teil liefert eine fundierte Anleitung, wie man sich eine Silberschmiedewerkstatt einrichtet, welche Werkzeuge für den Anfang und fortgeschrittene Tätigkeiten notwendig sind und wie man sicher mit ihnen umgeht. Die Ausführungen sind nicht ganz so detailliert und praxisnah wie in dem im gleichen Verlag erschienenen „Handbuch Schmuck“, geben aber eine solide Übersicht.

Der Band ist in seiner anschaulichen Darstellung ein idealer Einstieg in ein zwar exklusives, aber sehr kreatives Hobby. Er liefert qualifizierte Schritt-für-Schritt Anleitungen und gibt darüber hinaus künstlerische Anregungen von einigen der besten Silberschmiede der Welt.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 09.03.2024
Handbuch Schmuck
Young, Anastasia

Handbuch Schmuck


ausgezeichnet

Das Silberschmiedehandwerk erfordert viel Know-how, das man sich in der Regel während einer mehrjährigen Ausbildung erwirbt. Aber auch als Hobby ist Silberschmieden beliebt, denn das Rohmaterial ist einigermaßen erschwinglich und äußerst vielseitig einsetzbar. Wenn man keinen speziellen Kurs belegen kann, ist der Zugang zu qualifizierten Informationen allerdings nicht ganz einfach.

Anastasia Young liefert mit ihrem Buch eine sehr umfassende und vor allem anschaulich geschriebene Anleitung, die alle praktischen Aspekte des Silberschmiedehandwerks beleuchtet. Angefangen bei der Einrichtung einer Werkbank, über notwendige Werkzeuge bis hin zu Materialien und fortgeschrittenen Verarbeitungstechniken. Sie richtet sich sowohl an professionelle Silberschmiede als auch an Amateure, die sie mit hilfreichen Tipps zur Einsteiger-Ausstattung versorgt. Theoretisch kann man viel Geld in Handwerkszeug investieren, aber nicht alles macht am Anfang Sinn. Andererseits stellt die Autorin aber auch sehr fortgeschrittene Techniken vor, wie Mokume Gane, eine sehr attraktive japanische Damasziertechnik mit unterschiedlichen Metallschichten oder auch moderne Verfahren wie Fotoätztechnik oder das Arbeiten mit Edelmetall-Ton.

Der Aufbau ist sehr systematisch. Die Autorin beginnt mit der Vorbereitung der Werkstücke, geht über zu den konstruktiven Grundtechniken und von da weiter zur dreidimensionalen Formgebung. Der Übergang zur Oberflächenbehandlung ist dabei fließend, denn viele Formtechniken führen selber bereits zu strukturierten Oberflächen. Wer modernes Schmuckdesign kennt, kann gar nicht genug wertschätzen, wie detailliert Anastasia Young auf die Oberflächenbehandlung eingeht, sei es durch abtragende oder prägende Techniken oder Patinierung. Fast immer finden sich neben dem Text detaillierte Schritt-für-Schritt Anleitungen im Foto, so dass man ggf. auch ohne fremde Hilfe weiterkommt. Die meisten Verfahren sind auch für Laien ohne weiteres erlernbar und erlauben eine große Vielfalt eigener Ideen umzusetzen. Für einige spezielle Techniken (z. B. Guss, Galvanisieren) gibt es Dienstleister, die das übernehmen, Grundzüge werden aber auch im Buch vorgestellt.

Silber ist aufgrund des eher niedrigen Schmelzpunktes etwas schwieriger zu handhaben als Gold, aber die Autorin legt ihren Fokus zum Glück eindeutig auf Silber (was mit Silber klappt, klappt in der Regel auch mit Gold, umgekehrt gilt das nicht unbedingt). Ich weiß nicht, wie es in der Schweiz ist, aber in Deutschland sind Gold- und Silberschmiede unterschiedliche Ausbildungsberufe.

In allen Kapiteln gibt es Abbildungen von zeitgenössischem Schmuckdesign, um die Techniken zu illustrieren. Im Anhang findet man neben einem Glossar und einigen Übersichtstabellen auch Bezugsquellenverzeichnisse und Adressen von Dienstleistern (auch in Deutschland).

Das „Handbuch Schmuck“ ist in seiner Eindringtiefe und Anschaulichkeit ziemlich einmalig auf dem Markt. Es schafft dabei sehr elegant den Spagat zwischen qualifiziertem Nachschlagewerk für Auszubildende und praxistauglicher Anleitung für interessierte Laien.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 08.03.2024
The Octagon of Arsinoë IV in Ephesos
Rudolf, Ernst;Scherrer, Peter

The Octagon of Arsinoë IV in Ephesos


ausgezeichnet

Die Hypothese stand bereits seit 1990 im Raum, als Hilke Thür die Vermutung äußerte, das seltsame, achteckige Mausoleum, das in Ephesos an einer herausgehobenen Stelle der Gräberprozessionsstraße stand, könnte das Grab von Arsinoë IV sein, der Schwester von Kleopatra VII, der letzten Pharaonin Ägyptens. Das Gebäude, von dem die Grundmauern und einige Schmuckarchitektur erhalten sind, war über einem Sarkophag errichtet worden, in dem sich bei der Entdeckung 1929 sterbliche Überreste befanden. Der Schädel ging im Lauf der Zeit verloren, die Skelettreste wurden dem Kunsthistorischen Museum in Wien offiziell überlassen. Seit 1929 hat sich die Interpretation des Gebäudes mehrfach geändert, mit der hier vorgestellten Untersuchung bekommt das Oktagon allerdings eine historisch herausragende Rolle. Wie die Autoren sehr schlüssig und unter mehreren Blickwinkeln nachweisen, handelt es sich dabei tatsächlich um die Grablege von Arsinoë, die 42/41 v. Chr. in Ephesos im Auftrag ihrer Schwester Kleopatra ermordet wurde, um eine mögliche Rivalin in der Thronfolge zu beseitigen.

Die Autoren stellen diese These selber immer wieder in Frage, indem sie die Fund/Befundlage zum Zeitpunkt der Entdeckung und römische Quellen unter verschiedenen Gesichtspunkten untersuchen. Dabei finden sie starke Bezüge zu Arsinoës Biografie, die über den Ort ihrer Ermordung hinaus gehen. Durch detaillierte Gegenüberstellungen der Ereignisse lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Ephesos auch als Arsinoës Geburtsort identifizieren und die epigrafischen und literarischen Quellen weisen das Artemision in Ephesos, den eigentlichen Tatort, als ein damals international anerkanntes Asylum nach. Der Mord in seinen Mauern war in höchstem Maß ein Sakrileg und könnte ein weiterer Grund für die hervorgehobene Lage des Grabmonuments gewesen sein, das erst nach Kleopatras Selbstmord errichtet wurde. Stilkritische Untersuchungen der Gebäudereste des Oktogon weisen ebenfalls in die Zeit von Arsinoës Ermordung. Das Skelett ist dementsprechend der einzig physisch erhaltene Körper aus der Ptolemäerdynastie und hätte mithilfe von DNA Untersuchungen z. B. klären können, ob Kleopatra afrikanische Wurzeln hatte – allerdings liefen diese wegen des schlechten Erhaltungszustandes ins Leere. Hier kommt die zweite, ebenso unglaubliche Entdeckung ins Spiel, die den Autoren gelang: Eine detektivische Spurensuche nach dem verschwundenen Schädel, die am Ende erfolgreich ist. Die im Schädel erhaltenen Zähne werden mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Licht in die Ptolemäergenealogie werfen, auch wenn das Geheimnis in diesem Band noch nicht gelüftet werden konnte.

Die Akribie, mit der die Autoren die Quellenlage analysieren, die Sorgfalt, mit der sie die eigene These immer wieder auf den Prüfstand stellen und doch immer zum gleichen Ergebnis kommen, ist bemerkenswert. Das macht die Arbeit wissenschaftlich rundum überzeugend. Die Entdeckung hat historischen Wert und wird auch in die Zukunft wirken, daran besteht kein Zweifel.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.03.2024
MICHAEL MÜLLER REISEFÜHRER Toskana
Müller, Michael

MICHAEL MÜLLER REISEFÜHRER Toskana


ausgezeichnet

Reiseführer sind nur so gut, wie die Information, die in ihnen verarbeitet ist. Grundsätzlich gibt es dabei zwei Typen: Solche mit Kulturschwerpunkt und solche, die eine echte praktische Reisehilfe sein sollen, mit Details zu Unterkunft, Transport und Verpflegung. Baedeker gehört in die Kategorie 1, Lonely Planet ist ein Beispiel für Kategorie 2. Nur wenige schaffen den Spagat zwischen solider Kulturinformation und wirklich praxistauglichen Reisetipps, die so ausführlich sind, dass man vor Ort keine zusätzlichen Quellen braucht. Der Toskana-Führer von Michael Müller schafft genau das seit mittlerweile über 40 Jahren, wobei die 20. Auflage jetzt mit einem besonderen Extra (limitiert auf 1 Jahr) aufwartet: Über die MM-App auf dem Smartphone kann man auf die Inhalte des Reiseführers (plus Karten, Routen und volle Verlinkung mit GPS-Daten) zugreifen und das ist in vieler Hinsicht ein Gewinn. Die Informationen gruppieren sich um das zentrale Kartensegment und werden dem Nutzer je nach Standort und individuellen Filtereinstellungen angezeigt. Ich hatte bisher den MM-Reiseführer als Buchausgabe bei allen meinen Toskana-Reisen im Gepäck gehabt, aber bei aller Zuverlässigkeit und Vollständigkeit, die mich schon manches Mal vor Problemen bewahrt hat und immer ein qualifizierter Ratgeber zur Priorisierung von Sehenswürdigkeiten war, hat das Buch einen echten Nachteil. Es wiegt fast ein Kilo und ist damit neben der Kamera das schwerste Teil in meinem Rucksack. Die Toskana hat eine nahezu flächendeckende 4G-Abdeckung (mit Vodafone), so dass man den Wälzer jetzt wirklich im Auto lassen kann. In den größeren Städten ist 5G Standard.
Die App basiert auf dem Reiseführer in Buchform, ist aber weitaus komplexer als ein herkömmliches eBook im epub-Format. Natürlich hat es eine Volltextsuche und man kann auch eigene Favoriten setzen und Kommentare hinterlegen. GPS zeigt einem genau, wo man ist. Mir ist es schon mal passiert, dass ich das Auto im Wirrwarr der Gassen nicht wiedergefunden habe, da hätte ich mir sowas echt gewünscht. Über den Filter kann man übrigens gezielt nach Interessensgebieten suchen und sich so eine Tour nach eigenem Geschmack zusammenstellen. Alles sehr intuitiv gemacht.

Kurz noch was zu Aufbau und Inhalt: Strukturiert ist das Buch nach Regionen, jeweils eingeleitet mit einem Kartenausschnitt und Informationen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten. Größere Städte haben eigene Innenstadtkarten, Dörfer findet man auf den Übersichtskarten farblich markiert. Die sind in der App leichter zu finden als im Buch. Die Steckbriefe der Orte sind immer nach dem gleichen Schema aufgebaut: Kurze Infos zu Geschichte und Kultur, dann Transport/Infrastruktur, Sehenswürdigkeiten, Übernachten und Verpflegung. Preise werden bei Eintritten konkret angegeben, sonst nur als Preiskategorie. Auf die Angaben kann man sich verlassen, nur die Eintritte sind manchmal schon wieder ein wenig höher. Das geht in Italien leider sehr schnell.

Ich habe den MM-Reiseführer immer sehr geschätzt, durch die innovative App hat er nochmal einen echten Qualitätssprung gemacht. Leider ist der Zugang zur App nur im ersten Jahr kostenfrei und kostet danach 9,99/32,99 Euro für 6 bzw. 24 Monate. Alternativ hat man die Möglichkeit, den Reiseführer einmalig als eBook im EPUB-Format zu erwerben und unbegrenzt zu nutzen - aber dann muss man leider auf die praktischen GPS-Verortungen verzichten.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.