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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 11.12.2023
Heike Monogatari

Heike Monogatari


ausgezeichnet

Seit ich „Die Geschichte des Prinzen Genji“ gelesen habe, bin ich mit dem Virus der klassischen japanischen Literatur infiziert. Wenn ich die psychologische Ausdrucksfähigkeit mit der zeitgleichen Literatur in Europa messe, stelle ich fest, dass die japanischen Texte mir tatsächlich näher sind, als die europäischen. Durch eine gute Kommentierung entstehen wunderbar detailreiche Bilder von Leben am japanischen Hof und dem, was die adelige Gesellschaft antrieb.

Das zweite Mammutwerk, das ich jetzt in Angriff genommen habe, ist das „Heike Monogatari“, das fast 200 Jahre nach Genji entstand, zunächst nur mündlich tradiert und erst Ende des 14. Jahrhunderts schriftlich festgehalten wurde. Im Gegensatz zum Genji, der weitgehend fiktional ist, basiert das Heike Monogatari auf historischen Tatsachen und schildert den Sturz des Hauses Taira durch den Clan der Minamoto. Bis heute gilt das Werk als eine der wichtigsten und zuverlässigsten Quellen über die Zeit am Ende des 12. Jahrhunderts, die von Gewalt und ständig wechselnden Loyalitäten geprägt war. Gleichzeitig sind aber viele der höfischen Bräuche der Heian-Zeit noch lebendig und das, obwohl die Machtstrukturen völlig andere sind. Mit den Minamoto entsteht das erbliche Shogunat, das, mit kurzen Unterbrechungen, über 600 Jahre lang Bestand haben sollte, bis zur Meiji-Restauration 1868.

Erzählerisch ist das Heike Monogatari deutlich komplexer als Genji, was dem heutigen Leser entgegenkommt. Genji kennt fast keine Entwicklung, alles dreht sich um (meist unerfüllte) Liebesgeschichten, die mit starken buddhistischen Motiven überformt sind. Die Elemente sind repetitiv und wie das buddhistische Rad des Lebens kehren sie irgendwann wieder an den Anfang zurück, ohne eine Lösung im westlichen Sinn zu liefern. Das Heike Monogatari ist zwar auch von einer buddhistischen Erlösungsthematik durchdrungen, die schlechten Herrscher sammeln negatives Karma an, bis sie stürzen, die guten Charaktere werden für die Verteidigung der buddhistischen Lehre belohnt, aber es gibt eine permanente Fortentwicklung, mit weitgehend linearer Struktur und einem rasanten Erzähltempo. Die einzelnen Kapitel bleiben relativ kurz und sind oft in sich abgeschlossene Einheiten, die in einen größeren Kontext eingebettet sind. Die wörtliche Rede ist ein wesentliches Element, das nicht nur dazu dient, die Geschichte lebendiger zu machen, sondern auch über unterschiedliche Sprachniveaus die Personen zu charakterisieren. An einigen Stellen ist die Übersetzung diesbezüglich aus meiner Sicht ein wenig stilfremd geraten, denn saloppe Wendungen unserer Gegenwartssprache mögen geeignet sein, einen informellen Ton anzuschlagen, passen aber nicht wirklich in einen prinzipiell mittelalterlichen Text. Ansonsten finde ich die Übersetzung sehr gelungen, denn sie liest sich flüssig und anders als in der Fassung von 2022 aus dem Reclam Verlag nutzt der Übersetzer grundsätzlich eine moderat altertümliche Wortwahl, ohne dass der Text dadurch an Verständlichkeit verliert. Die japanischen Amtstitel werden weitgehend ins Deutsche übersetzt, anders als in Oscar Benls Übersetzung des Genji, was zwar ein wenig Atmosphäre nimmt, aber den großen Vorteil hat, dass man Eigennamen und Titel nicht miteinander verwechseln kann. Das Personal ist, genau wie im Genji, äußerst umfangreich, aber freundlicherweise sterben die Protagonisten fast so schnell wie bei Games of Thrones, so dass man eigentlich nie Probleme hat, die Personen auseinander zu halten.

Sehr eigentümlich sind die häufigen Stilwechsel zwischen den Kapiteln. Sie sind das Ergebnis der vielen beteiligten (unbekannten) Autoren des Heike Monogatari, machen das Lesen aber ausgesprochen abwechslungsreich und überraschen mit vielen innovativen Erzähltechniken, vom Cliffhanger bis zum lyrischen Heldengedicht. Unabhängig davon ist die Geschichte selbst auch hochspannend und während Genji aufreizend pazifistisch gestrickt ist, haben die Figuren der Taira und Minamoto reichlich Ecken und Kanten und die Gewaltschwelle liegt bei fast allen sehr niedrig. Sogar die Mönche greifen regelmäßig zu den Waffen, was angesichts des buddhistischen Grundtenors bemerkenswert scheint.

Hervorzuheben ist die exzellente Kommentierung in Fußnoten, die sowohl historische Hintergründe beleuchtet, als auch übersetzerische Schwierigkeiten erklärt. Das gibt dem Ganzen eine eigene Qualität und erschließt erst wirklich den historischen Wert des Heike Monogatari für den Leser.

Innerhalb eines Jahres sind gleich zwei Komplett-Übersetzungen des Heike Monogatari erschienen, erstmals überhaupt auf Deutsch. Aus meiner Sicht ist die Manesse-Version vorzuziehen, denn sie ist sorgfältiger editiert, besser übersetzt und auch angenehmer zu lesen. Wer den Genji kennt, der wird das Heike Monogatari jedenfalls lieben.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.12.2023
Im Hause Lagerfeld
Kalt, Marie;Mauriès, Patrick

Im Hause Lagerfeld


ausgezeichnet

Karl Lagerfeld hat in seinem Leben viele Domizile eingerichtet. In manchen hat er dauerhaft gewohnt, andere sah er so gut wie nie, aber allen gemeinsam war, dass sie ausgesprochen stilsicher und nach einem klaren Konzept gestaltet waren. Jede Wohnung, jedes Palais, jede Villa hatte ihren eignen Charakter und so wie sich Karl Lagerfeld immer wieder neu erfand, so wechselte er jedes Mal auch den Stil seiner Umgebung. Berühmt war das Hotel Pozzo di Borgo, das er vollständig im Stil der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einrichtete, bis er scheinbar über Nacht fast alles verkaufte und zu neuen Ufern aufbrach. Nach 30 Jahren zog er in eine ultramoderne Wohnung am Quai Voltaire und ließ das Rokoko hinter sich. Ähnlich verlief die Entwicklung noch viele Male.

„Im Hause Lagerfeld“ portraitiert vordergründig die 13 Domizile, in denen er lebte, aber eigentlich ist es ein faszinierendes Portrait von Karl Lagerfeld selbst. Er war nicht nur auf vielen Feldern künstlerisch begabt, sondern auch ein Meister darin, Brücken abzubrechen und etwas völlig Neues zu beginnen. Menschen, mit denen er jahrzehntelang eng zusammenarbeitete, konnte er von einem Tag auf den anderen aus seinem Leben verbannen, wenn er das Interesse an ihnen verlor und genauso erging es seinen Wohnungen und Villen. Die einzige Ausnahme war der Pavillon in Louvecienne am Rand von Paris. Dieses relativ kleine Gebäude wurde zur Quintessenz seines Lebens als Inneneinrichter. Hier fanden sich viele Stücke aus seinen vorherigen Existenzen wieder, Dinge, von denen er sich nicht trennen konnte, ein eklektischer Stilmix, der aber in sich völlig stimmig war. Es sollte sein letzter Wohnsitz werden, aber tragischerweise hat er wohl nur eine Nacht dort verbracht. Im Gegensatz zu seinen anderen Domizilen hat er von Louvecienne niemals Fotos veröffentlicht, so dass die hier gezeigten Bilder, die anlässlich der Versteigerung des Inventars bei Sothebys nach seinem Tod entstanden, tatsächlich die erste breit angelegte Publikation ist. Aufgefallen ist mir über die gesamte Zeit, dass Lagerfeld seine Antiquitäten nach heutigen Maßstäben völlig überrestaurieren ließ. Sie besitzen keine Patina und wirken dadurch fast wie Stilmöbel, obwohl sie es nicht sind. Man muss ihm allerdings zugutehalten, dass dies bis in die 2000er-Jahre vor allem in Frankreich sehr üblich war.

Der großformatige Bildband punktet nicht nur mit den brillanten Fotos, die natürlich zeitbedingt zum Teil nicht ganz an heutige technische Maßstäbe heranreichen, sondern er vermittelt darüber hinaus sehr detaillierte und hochinteressante Hintergrundinformationen. Jede Entwicklung Lagerfelds lässt sich auch konzeptionell nachvollziehen, denn häufig gibt es biografische Ursachen für seine „Neuerfindungen“, die ebenso beleuchtet werden wie die sehr ausführlichen und oft mit Nennung von Designern, Herstellern oder Zeitstellungen beschriebenen Objekte und Einrichtungsgegenstände. Die Qualität und Eleganz der Auswahl ist einfach atemberaubend und selbst wenn die Fotos ausnahmslos inszeniert sind, geben sie doch einen tiefen Einblick in die Person Karl Lagerfelds, der sich um nichts so viele Gedanken machte, wie um seine Außenwirkung.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 09.12.2023
Die Geschichte der Uhr
Barter, Alexander;Schnipper, Daryn

Die Geschichte der Uhr


ausgezeichnet

Uhren faszinieren die Menschen, seitdem es sie gibt. Der erste Boom setzte mit der Erfindung der Unruhe ein, die auch tragbare Uhren ermöglichte, aber bis zum Massenartikel war es noch ein weiter Weg. „Die Geschichte der Uhr“ erklärt anhand von 100 (Luxus)Uhren aus 500 Jahren, wie sich die Uhr technologisch und stilistisch immer weiter entwickelte, von den einzeigrigen Dosenuhren des 16. Jahrhunderts bis zu den komplizierten Meisterwerken der Uhrenmanufakturen des 21. Jahrhunderts. Allen gemeinsam ist, dass sie tragbare Uhren sind und dass sie in Handarbeit gefertigt wurden. Darunter sind einige der schönsten und kompliziertesten Uhren, die je gebaut wurden und erstaunlicherweise befinden sich die allermeisten davon immer noch in Privatbesitz. Beide Autoren haben oder hatten führende Positionen in der Uhrenabteilung bei Sotheby’s und gehören zu den besten Experten auf diesem Gebiet. Viele der exzellenten Abbildungen stammen daher auch aus dem Archiv von Sotheby’s und belegen, dass in diesem Sammelgebiet immer noch sehr hochwertige Exemplare auf dem Markt sind.

Die Beschreibungen sind ausgesprochen fachkundig und behandeln nicht nur technologische und kunsthistorische Aspekte, sondern befassen sich ganz bewusst mit Fragen der Provenienz. Aber auch Randgebiete, wie berühmte Gehäusemacher, Emailleure oder Ziseleure werden thematisiert, sowie deren Kooperationen mit den Uhrmachern. Natürlich findet man viel Biografisches in den Beiträgen, wobei deutlich wird, wie viele berühmte Uhrmacher in irgend einer Weise verwandt, verschwägert oder in einem Ausbildungsverhältnis waren. Ungewöhnlich sind bei einigen Abbildungen die Werkansichten von der Zifferblattseite (wofür das Zifferblatt demontiert werden muss), um bestimmte Details sichtbar zu machen. Die Werke stehen überhaupt im besonderen Fokus, seien es die wunderbar verzierten Spindelwerke des 17. und 18. Jahrhunderts, oder die heutigen Armbanduhren mit ihren zahlreichen Komplikationen und manchmal mehr als 1000 winzigen Einzelteilen. Ein Blick in die Eingeweide der jeweiligen Uhr ist daher obligatorisch und ein ästhetischer Genuss, der in der Regel Sammlern vorbehalten ist.

Auch wenn diese Kunstwerke nur für eine winzige Käuferschicht erschwinglich sind, bleibt uns Normalsterblichen zumindest das Vergnügen, sie in diesem nicht nur visuell prachtvollen, sondern auch sehr informativen Band anschauen zu können. Dabei kommt man den Objekten viel näher als in jeder Museumsvitrine und außerdem bricht gerade der Markt für Luxusuhren massiv ein. Das öffnet doch Chancen ...

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 08.12.2023
Unterwegs
Elborough, Travis

Unterwegs


ausgezeichnet

Reisen bildet. Das gilt schon für den normalen Touristen, um wie viel wahrer ist die Aussage dann erst bei Künstlern. Viele gingen unfreiwillig auf Reisen, einige blieben viel länger als beabsichtigt, einige suchten das Abenteuer, andere Ablenkung. Erstaunlich ist, wie oft sich diese Reisen ganz konkret in den literarischen Werken wiederfinden, und das in sehr unterschiedlichen Genres. Jane Austen schöpfte ihre Vorbilder genauso aus ihrer eigenen Reiseerfahrung wie Agatha Christie oder ein Jack London. Das erklärt vielleicht auch, warum gerade diese Schilderungen immer besonders lebendig und authentisch wirken.

Travis Elborough hat in seinem Buch insgesamt 37 Autoren und Autorinnen portraitiert und die wichtigsten Stationen, aber auch Begebenheiten auf ihren prägenden Reisen in kurzen Miniaturen wiedergegeben. Gleichzeitig verknüpft er das Gesehene direkt mit dem Werk und identifiziert z. B. die Vorbilder einzelner Romanpersonen, wobei natürlich auch einige originäre Reiseberichte darunter sind. Aber das ist erstaunlicherweise eher die Ausnahme als die Regel. So sind die Autoren ausschließlich hauptberufliche Schriftsteller, keine Journalisten, die natürlich berufsmäßig gereist sind und das bereits im 19. Jahrhundert.

Die zeitliche Spanne reicht vom Ende des 17. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert, mit einem sehr starken Fokus auf dem angelsächsischen Raum. Der Japaner Basho ist der einzige nicht im europäisch-amerikanischen Kulturraum sozialisierte Kandidat, aber das hat den großen Vorteil, dass die Hintergrundrecherche insgesamt sehr sorgfältig und verlässlich ist. Außerdem ist der zugrundeliegende Literaturkanon hier allgemein bekannt. Oft werden in Publikationen zwanghaft dritt- und viertklassige Beispiele herangezogen, nur um ein bestimmtes Publikum durch überbordende Diversität zu beeindrucken. Sexuell divers ist das Elboroughs Personal dennoch: W. H. Auden, Christopher Isherwood, James Baldwin, Patricia Highsmith... die Liste ist noch länger und ausgesprochen interessant zusammengestellt.

Zwar konzentrieren sich die kurzen Biografien auf die eigentliche Reise, stellen die Autoren aber auch einen größeren zeitlichen (auch welthistorischen) Zusammenhang und beleuchten die soziale Umgebung genauso wie den jeweiligen Gemütszustand. Die Texte sind auf den Punkt formuliert, spannend und abwechslungsreich und regen nicht selten dazu an, die von den Reisen inspirierten Werke selber zu lesen. Wenn man sie nicht schon kennt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 06.12.2023
Das Bill-Gates-Problem
Schwab, Tim

Das Bill-Gates-Problem


ausgezeichnet

Seit sich Microsoft-Gründer Bill Gates aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, widmet er sich verstärkt seiner Stiftung. Die meisten Menschen wissen nur, dass die Gates Foundation große Summen spendet und Menschenleben rettet, doch es gibt auch eine negative Seite, die der Enthüllungsjournalist Tim Schwab in seinem Buch „Das Bill-Gates-Problem“ untersucht.

Die Gates Foundation ist eine gemeinnützige und steuerbegünstigte Wohltätigkeitsorganisation, gleichzeitig ist sie aber auch stark in kommerzielle Märkte involviert. Die Grenzen zwischen gewinnorientierten und gemeinnützigen Aktivitäten verschwimmen dabei, wie Schwab vor allem am Beispiel der Medikamentenentwicklung zeigt. Ungewöhnlich für eine gemeinnützige Stiftung ist auch der aufgeblähte Verwaltungsapparat mit 1.843 Mitarbeitern, deren Durchschnittsgehalt bei üppigen 250.000 US-Dollar pro Jahr liegt.

Bill Gates ist der Dreh- und Angelpunkt der Stiftung. Alle wollen ihm gefallen („Gates-Kult“) und niemand wagt es, seine Entscheidungen zu kritisieren. Schwab geht noch weiter und bezeichnet Gates als krankhaften Narzissten, der mit seiner „Vater-ist-der-Beste“-Attitüde die gesamte Ausrichtung der Stiftung allein bestimmt.

Um die Marktmacht der Stiftung zu verstehen, beschreibt der Autor die Mechanismen, wie die Gates Foundation mit der Privatwirtschaft zusammenarbeitet, als Private-Equity-Investor und Risikokapitalgeber. Dabei zieht er immer wieder Vergleiche mit der Art und Weise, wie Bill Gates seinerzeit Microsoft geführt hat. So beschreibt er, wie sich die Stiftung in Start-ups einkauft und nach kurzer Zeit die Führung übernimmt oder sie einfach zerstört, wenn die Konkurrenz ausgeschaltet werden soll. Der vermeintliche Philanthrop hat auch noch andere Firmen, wie zum Beispiel die von der Stiftung unabhängige Firma Gates Venture, in der sich laut Schwab geschäftliche Aktivitäten mit der Stiftung überschneiden.

Der Autor hat viele Gespräche geführt, sowohl mit Begünstigten als auch mit (ehemaligen) Mitarbeitern, die aus Angst vor Repressalien oder wegen bestehender Vertraulichkeitsvereinbarungen anonym bleiben wollen. Er zeigt, dass Bill Gates keine Skrupel hat, sein riesiges Vermögen einzusetzen, um der Welt seinen gut gemeinten Willen aufzuzwingen, sei es durch die Beeinflussung der Impfpolitik oder der politischen Entscheidungsfindung in der Klimakrise. Anhand zahlreicher Beispiele aus den Bereichen Weltgesundheit, Klimawandel, Transparenz, Netzwerke/Lobbyismus, Journalismus, Bildung etc., die auch detailliert in einem über 100 seitigen Quellenverzeichnis dokumentiert sind, zeichnet der Journalist ein neues und sehr kritisches Bild von Bill Gates und seiner Stiftung. Er durchleuchtet die Aktivitäten der Stiftung und deckt Ungereimtheiten und Missstände auf, deren Veröffentlichung Bill Gates nicht gefallen wird. Zu den Vorwürfen des Autors wollte sich die Stiftung gegenüber dem Autor übrigens nicht äußern.

Schwabs Buch bringt die Transparenz in die Stiftung, die Gates immer verhindern wollte. Dem Journalisten ist eine spannende und dank der guten Übersetzung flüssig zu lesende, erhellende und sogar unterhaltsame Reportage gelungen, die noch lange nachwirken wird.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.12.2023
American Bedroom
Peacock, Barbara

American Bedroom


ausgezeichnet

Larry Fink äußert im Vorwort seine Verwunderung, wie es Barbara Peacock schafft, als Fotografin unsichtbar zu werden, so dass sich ihre Modelle völlig ungezwungen verhalten und das ist in der Tat das Erstaunlichste an diesem Buch: Hier werden Menschen in äußerst intimen Momenten gezeigt (nebenbei bemerkt, nicht beim Sex) und doch hat man nie den Eindruck, dass sie sich unwohl fühlen, mit einer Fotografin im Raum zu sein. Es muss ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis geherrscht haben, denn nicht wenige Modelle fallen in die „Body Positivity“ Kategorie, die sicherlich eine noch höhere Hemmschwelle zu überwinden hatten. Alle denkbaren Altersstufen, soziale Schichten, ethnische Zugehörigkeiten und sexuelle Orientierungen sind in diesen Schlafzimmerbildern kondensiert und auch wenn Larry Fink der Meinung ist, diese Fotos hätten nichts Voyeuristisches, möchte ich dem entgegenhalten: Was an einem privaten Schlafzimmer mit halbnacktem Bewohner ist bitte nicht voyeuristisch? Jedes einzelne Bild hat aber eine eindeutig künstlerische Handschrift, denn die Räume sind alle sorgfältig inszeniert, fast wie Bühnenbilder, allerdings mit den Requisiten, die vor Ort waren. So entstehen authentische Welten, die sich durch eine widersprüchliche Mischung aus Privatheit und inszenierter Öffentlichkeit auszeichnen und den Betrachter gerade dadurch berühren. Gerade die Inszenierung schafft nämlich die Distanz, die den Motiven den mitunter peinlichen Moment des Voyeurismus nimmt. Larry Fink hat also Recht: Barbara Peacocks Fotos sind nicht voyeuristisch, genauso wenig wie sie dokumentarische Sozialfotografie sind. Es sind Fotos der Liebe in ihrer ganzen Vielfalt, aufgenommen durch’s Schlüsselloch und mit den Augen einer Künstlerin.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 02.12.2023
The Tiffany Archives
Leutwyler, Henry

The Tiffany Archives


ausgezeichnet

Tiffany blickt auf eine fast 200-jährige Geschichte zurück und das Firmenarchiv, das spätestens seit dem Bürgerkrieg lückenlos geführt wird, beherbergt eine Unmenge an interessanten Dokumenten und Objekten. Es ist ein Buch der Geschichten für denjenigen, der sie zu lesen weiß.

Charles Lewis Tiffany und sein Sohn Louis Comfort Tiffany setzten in Bezug auf Qualität und Marketing Maßstäbe, die zum Teil bis heute gelten. Ihre Methoden waren innovativ, ihre Designer wegweisend, Materialien und Verarbeitung von höchster Qualität. Gleichzeitig hat Tiffany immer schon verschiedene Marktsegmente abgedeckt, vom Luxusschmuck für die Happy Few bis zur originellen Serienproduktion für die breitere Masse.

„The Tiffany Archives“ zeigt, wie und womit die Firma ihren Erfolg begründet hat. Darunter ist frühes Werbematerial, Geschäftsbücher, Entwurfszeichnungen und zahlreiche Belegstücke, die entweder nie in den Verkauf gingen (wie der berühmte gelbe Tiffany Diamant) oder später auf Auktionen zurückgekauft wurden. Dieses Archiv ist wie ein lebendiger Organismus, mit eigenem Gedächtnis, der sich ständig verändert. Gleichzeitig ist das Archiv auch Speicher von Weltgeschichte, in dem sich zum Beispiel Eintrittskarten für die Einweihung der Brooklyn Bridge oder der Freiheitsstatue finden. Vor allem aber lassen sich hier alle Stilentwicklungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart nachvollziehen, wobei Tiffany nicht selten als Vorreiter fungierte. Seine Designs laufen den weltweiten Moden oft fünf bis zehn Jahre voraus, bevor sie zum Mainstream wurden.

Die abgebildeten Dokumente, erlesenen Schmuckstücke und hochwertigen Gebrauchsgegenstände aus Edelmetall haben mehrere Schwerpunkte: Am Ende des 19. Jahrhunderts, als Tiffany mit dem Girlandenstil den Schmucktrend des Golden Age begründete, im Art Déco, mit seinem typischen geometrischen Brillant/Platin-Schmuck und in den Sechzigern, als Audrey Hepburn Tiffany (und sich selbst) zur Stilikone machte. Hepburns Typoskript von „Frühstück bei Tiffanys“ befindet sich übrigens heute auch im Firmenarchiv und als Abbildung im Buch. So sind nicht wenige Exponate auf den ersten Blick unscheinbare, etwas vergilbte und manchmal sogar zerfledderte Seiten, wer aber die Beschreibungen liest, bekommt zwangsläufig große Augen. Die Geschichten und Namen hinter den Dingen machen den Unterschied. Sie erschaffen und erhalten die Aura dieser wahrscheinlich berühmtesten Goldschmiede der Welt, die nun seit fast 200 Jahren den Weg im Schmuckdesign maßgeblich mitbestimmt. Da wird auch 3D-Druck und KI-Design nichts dran ändern, denn Tiffany kann etwas, was auch die beste KI nicht vermag: Tiffany erfindet sich ständig neu.

Das Layout des sorgfältig produzierten Buchs, mit Farbschnitt und Lesebändchen, wirkt wie ein Understatement angesichts des prächtigen Juwelenschmucks auf jeder zweiten Seite, aber durch seine dezente Zurückhaltung kommen die gezeigten Dinge noch besser zur Wirkung. Besonders die handwerkliche Qualität und erlesenen Farbsteine lassen das Herz höherschlagen, selbst wenn das Portemonnaie nein sagt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 01.12.2023
Geschichten von Samurai-Frauen
Perez, Sébastien

Geschichten von Samurai-Frauen


weniger gut

Es gab sie wirklich im alten Japan, Frauen, die in der Kampfkunst geübt waren und sogar Heere führten, aber sie waren die absolute Ausnahme und haben weder in der Literatur, noch den historischen Quellen große Spuren hinterlassen. Benjamin Lacombe trug seit langem den Wunsch in sich, die Geschichten dieser außergewöhnlichen Frauen zu illustrieren, aber seine Suche nach einem authentischen japanischen Text war vergeblich: Die männlich dominierte Gesellschaft Japans hat den Frauen, die aus ihrer Rolle fielen, bisher kaum Beachtung geschenkt und daher hat Lacombe Sebastien Perez darum gebeten, die Geschichten aufzuschreiben.

Lacombes Illustrationen, das muss ich vorausschicken, sind wunderschön, so wie bereits in seinen anderen Japan-Büchern. Diesmal sind die bestimmenden Farben Rot und Silber, was eine besonders edle Atmosphäre schafft, wie bei einer mittelalterlichen Buchmalerei. Stilistisch erkennt man Anklänge bei Hokusai oder Kunisada und natürlich im europäischen Jugendstil (der selber wieder japanisch beeinflusst ist). Das ist alles sehr stimmig und elegant umgesetzt und das ganze Buchlayout ist prachtvoll gelungen.

Dennoch hat mich dieses Buch, anders als die Lafcadio Hearn Bände aus der Serie, inhaltlich nicht wirklich überzeugt. Wie eingangs erwähnt, ist die Quellenlage ausgesprochen dünn und Sebastien Perez schmückt teilweise eine vierzeilige Erwähnung im Heike Monogatari zu 20 Seiten Prosa aus. Das wäre kein grundsätzliches Problem, hätte er nicht die Sichtweise der jeweiligen Samuraifrauen eingenommen und sich über deren Absichten und Ansichten sehr detailliert ausgelassen. Dabei wird leider nur zu deutlich, dass sich Perez in der japanischen Kulturgeschichte (und Geschichte) nicht gut auskennt. Seine Samuraifrauen sind hochgradig individualistisch und versprühen meist einen emanzipatorischen Kampfgeist, der europäischen Feministinen gut zu Gesicht steht, im mittelalterlichen oder edozeitlichen Japan aber gesellschaftlich völlig geächtet gewesen wäre. Eine noch so kampfesmutige Samuraifrau hätte nicht existieren können, ohne gesellschaftlichen Rückhalt. Es muss also andere Mechanismen gegeben haben, nur sind diese leider nicht dokumentiert, wobei eine männlich dominante (Beschützer)Rolle sehr wahrscheinlich ist. Dem Ganzen stattdessen die westliche Brille aufzusetzen, ist dagegen keine überzeugende Lösung, ganz abgesehen davon, dass Perez kein literarisches Naturtalent ist. Hinzu kommen auch sachliche Fehler, wie zum Beispiel Jingu als „Kaiserin“ zu titulieren. Sie war Regentin, wie viele Frauen vor und nach ihr, aber nie Kaiserin, und das auch nur bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes. Das sind alles Fehler und Fehleinschätzungen, die mich beim Lesen mehr und mehr gestört haben.

Woke und Wahrheit diffundieren heute immer deutlicher auseinander, so auch hier. Visuell ein Genuss, intellektuell eine Enttäuschung.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.11.2023
Das Erbe des Tennos
Wagner, Wieland

Das Erbe des Tennos


sehr gut

Japan ist und bleibt für mich das faszinierendste Land der Erde. Bisher gelingt ihm noch der Spagat zwischen fast hemmungsloser Modernisierung und einer jahrhundertealten Tradition. Ein wichtiges Bindeglied ist dabei der Tenno, doch das Kaisertum, das sich auf eine 2500-jährige Geschichte beruft, steckt in einer tiefen Legitimationskrise. Wieland Wagner analysiert in seinem Buch die Ursachen und erzählt die wechselvolle Historie der japanischen Kaiser, die über viele Jahrhunderte nur Marionetten im Goldenen Käfig waren. Erst der Meiji-Kaiser errang 1868 wieder die faktische Herrschaft über das Land, allerdings besaß das neue System einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler. Der Autor untersucht, wie der als Gott verehrte Tenno Hirohito den Weg in den Weltkrieg ebnete und wie er durch besondere politische Umstände der Bestrafung entging. Doch der Makel blieb an ihm haften, auch wenn monarchietreue Anhänger seine Verantwortung bis heute leugnen. Japans Gesellschaft hat sich stark gewandelt, so dass die nachfolgenden Tenno-Generationen immer stärker unter Legitimationsdruck gerieten. Naruhito steht als aufrechter Demokrat den Nationalisten der Regierungspartei feindlich gegenüber, aber seine verfassungsmäßig festgeschriebene politische Neutralität verhindert öffentliche Äußerungen. Er ist damit ein Sinnbild geworden für die Spannungen in der angeblich so homogenen Nation.

Neben detaillierten Fakten der japanischen Geschichte liefert das Buch ungewöhnliche Einblicke in die Hofgesellschaft, die in Japan zwar das Boulevard füllt, hier aber weitgehend unbekannt ist. In Ausnahmefällen, wie der ungeklärten Nachfolgefrage Naruhitos, schafft es das japanische Kaiserhaus auch einmal in unsere Gazetten, aber in dieser Ausführlichkeit und mit dem notwendigen Wissen zum kulturellen Hintergrund habe ich das bisher noch nirgendwo gelesen. Dass durch die japanische Gesellschaft mittlerweile ein Riss geht, dass der Gesellschaftsvertrag, nachdem jeder abgesichert ist, der die ihm zugewiesene Rolle widerspruchslos erfüllt, nur noch in Teilen gilt, dass immer mehr Menschen abgehängt werden und das unabhängig vom Alter, das wusste ich bereits. Dass dieser Riss aber auch die Existenz des Kaiserhauses bedroht, war mir nicht bekannt. Naruhito erkämpft sich den Respekt seines Volkes auf eine völlig neue Weise, volksnah, empathisch und unkompliziert. Was aber der einen Seite gefällt, missfällt der anderen zutiefst und hier sitzen leider die militanten Vertreter, die den Tenno gerne wieder in seinen Goldenen Käfig sperren wollen. Wieland Wagner zeigt, dass das Drama am Kaiserhaus das Ergebnis einer Entwicklung ist, die mit der Meiji-Restauration ihren Anfang nahm. Er lässt die Frage nach der Zukunft letztlich offen, diskutiert die verschiedenen Möglichkeiten, aber die westlichen Werte, auf denen die japanische Verfassung beruht, sind auch im Fernen Osten im unaufhaltsamen Niedergang.

Das Buch ist inhaltlich spannend, fachlich aktuell und auch wenn es Redundanzen in einigen Kapiteln gibt, sehr gut strukturiert. Dass Wieland Wagner sich teilweise um geschlechtergerechte Sprache bemüht, ist beim Lesen manchmal mühsam und führt in einigen Fällen sogar zu unzulässigen Bedeutungsverschiebungen, zumal in einer männerdominierten Gesellschaft wie der japanischen. Ich halte das Sprachdiktat für eine sehr ungesunde Entwicklung, die leider mittlerweile totalitäre Züge trägt und Totalitarismus in jeder Form lehne ich grundsätzlich ab.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.11.2023
Die autonomen figürlichen Plastiken Johann Joachim Kaendlers und seiner Werkstatt zwischen 1731 und 1748
Andres-Acevedo, Sarah-Katharina

Die autonomen figürlichen Plastiken Johann Joachim Kaendlers und seiner Werkstatt zwischen 1731 und 1748


ausgezeichnet

Über keinen Modelleur der Meissener Königlichen Porzellanmanufaktur ist so viel publiziert worden wie über Johann Joachim Kaendler, der zwischen 1731 bis zu seinem Tod 1775 dort tätig war. Trotz der zahlreichen Arbeiten, die entweder ihn oder seine Zeit zum Thema hatten, wurden die autonomen figürlichen Plastiken bisher nicht systematisch katalogisiert und das, obwohl mit Kaendlers Arbeitsberichten und der „Taxa“, einem zeitgenössischen internen Werkkatalog der Manufaktur, die seltene Gelegenheit bestand, die Eigenhändigkeit einzelner Arbeiten nachzuweisen. Sarah-Katharina Andres-Acevedo bezieht in ihrer zweibändigen Monografie auch die ebenfalls erhaltenen Arbeitsberichte von Kaendlers Mitarbeitern Johann Friedrich Eberlein, Johann Gottlieb Eder und Peter Reinicke in die Untersuchung ein, denn Kaendler hat deren Modelle stets eigenhändig überarbeitet, was auch die bemerkenswerte stilistische und künstlerische Einheitlichkeit der Meissener Werke aus der frühen Kaendler-Epoche erklärt. Die Erstpublikation der Arbeitsberichte von Kaendlers Werkstattmitarbeitern ist ebenfalls Teil von Andres-Acevedos Monografie.

Dass der Werkkatalog nur die Zeit zwischen Kaendlers Eintritt in die Manufaktur und dem Jahr 1748 abdeckt, ist dem Umstand geschuldet, dass die Arbeitsberichte im Jahr 1748 aus bisher unbekanntem Grund abbrechen. Auch danach schuf Kaendler weiter Figuren in seinem Stil, die ihm mit großer Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden können (bzw. an dessen Schöpfung er mit Sicherheit beteiligt war), aber der archivalische Nachweis dafür ist nicht mehr zu führen, da in dieser Zeit Porzellan vom Modelleur nicht signiert wurde.

Als „autonome figürliche Plastik“ definiert die Autorin sämtliche Werke, die nicht als plastischer Schmuck eines Gebrauchsgegenstands konzipiert waren oder selber einen Gebrauchswert hatten. Nach einer kurzen Darstellung der europäischen Entdeckungsgeschichte des Porzellans und der Frühzeit der Meissener Manufaktur stellt Andres-Acevedo das personelle Umfeld in Kurzbiografien vor und fasst den Stand der Forschung ausführlich zusammen. Die Systematik des anschließend vorgestellten Figurenkonvolutes folgt weitgehend den verschiedenen Bildkategorien, wobei den Großplastiken für das Japanische Palais ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Die Kleinplastik ist rein bildthematisch geordnet, angefangen bei den berühmten Tierplastiken, den Chinoiserien mit Anleihen aus Meissens Anfangszeit, über die Commedia dell’arte Figuren bis hin zu galanten Szenen und Genredarstellungen. Alle Kategorien werden mit exemplarischen und herausragenden Beispielen illustriert, die ausschließlich aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammen und somit auch einen exzellenten Überblick über die verwendeten Dekore (Höroldt) und Farben geben. Die Qualität der Arbeiten ist teilweise atemberaubend und wird in den technisch brillanten Aufnahmen hervorragend dokumentiert. Sie sind insbesondere geeignet, um das Auge gegenüber den oft malerisch überladenen Stilkopien des 19. Jahrhunderts zu schulen.

Der zweite Band enthält den eigentlichen Werkkatalog, der auf der (chronologischen) Basis von Kaendlers Arbeitsberichten den jeweiligen Modelleinträgen sehr detailliert sowohl die Konkordanzbezüge zu den „Taxa“ als auch Fotos von existierenden oder verschollenen Ausformungen gegenüberstellt. Der Rechercheaufwand dafür muss enorm gewesen sein. Jeweils chronologisch einsortiert sind die Werke von Kaendlers Mitarbeitern entsprechend der Datierung der eigenen Arbeitsberichte, ggf. noch ergänzt durch Kaendlers künstlerischen Beitrag, sofern diese in dessen Berichten erwähnt sind. Nach dem gleichen Muster werden auch die Einträge der „Taxa“ bearbeitet, wobei es natürlich zu Querverweisen kommt. Von den fast 1000 Positionen sind heute etwa die Hälfte durch Ausformungen belegt, wobei man feststellen muss, dass nicht alle (Ton)Modelle tatsächlich auch produziert wurden. Der Überlieferungsgrad ist jedenfalls bemerkenswert hoch und rechtfertigt ohne Zweifel die umfangreiche und sehr aufwändig produzierte Monografie.

Kaendlers figürliche Plastiken sind die Werke, die bis heute ungebrochenes Interesse bei Sammlern wecken (anderes als das Meissener „Gebrauchsporzellan“ und die Spätausformungen des 19. Jahrhunderts), was das Werk zu einem Muss für ernsthafte Sammler, den Kunsthandel und Museen macht.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.