Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 23.08.2008
Traumpfade
Chatwin, Bruce

Traumpfade


ausgezeichnet

Reiseberichte leben zumeist von den persönlichen Erfahrungen, die ein Autor mit einem Land gemacht hat. Waren die Hotels billig und komfortabel, mit Bus, Bahn, Flugzeug, Auto leicht zu erreichen, die Menschen, denen er begegnet ist, freundlich, hilfsbereit? Bruce Chatwin hingegen begibt sich auf die Suche nach den Ursprüngen eines Landes, den Wurzeln, Riten. Er stößt in Australien auf die Songlines der Aborigines, die sich wie ein scheinbar undurchdringliches Netz über Australien ziehen. Chatwin verschweigt in seinem Buch nicht die Konflikte, die die neue Welt mit der scheinbar versunkenen ausfechten. Bei der Erschließung des Kontinents kommt es immer wieder zum Zusammenstoß. Dies alles kleidet Chatwin kurzweilig in kleine Geschichten, die er am Rand aufsammelt, die ihm zufallen, und doch vermag er eines nicht zu verbergen, er ist fremd, bewegt sich auf unsicherem Terrain und versucht, sich anzunähern. Dass er es schafft, uns für Australiens Geheimnisse auf höchsten literarischem Niveau zu interessieren, hebt Traumpfade weit über die üblichen Berichte vom fünften Kontinent hinaus, obwohl derjenige, der Tipps für eine preiswerte Unterkunft darin sucht, enttäuscht werden wird. Man muss sich auf Chatwins Erlebnisse wie bei einer eigenen Reise einlassen, um sich entführen zu lassen.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2008
Die Entdeckung des Himmels
Mulisch, Harry

Die Entdeckung des Himmels


ausgezeichnet

Wer in den Himmel schaut, hofft aufs Glück, auf Hilfe, auf Ratschläge, nicht selten auf Erlösung. Das ist in Harry Mulischs Opus Magnum nicht anders. Zumal wenn Engel sich um einen bemühen, im Himmel über die Menschheit da unten diskutiert wird. Die Handlung dreht sich um eine Männerfreundschaft zwischen zwei Wissenschaftlern und zeichnet das Leben in den Niederlanden von den Sechzigern bis in die Neunziger Jahre nach. Wo die Wissenschaft danach drängt, durch ihre Erkenntnisse die Nichtexistenz Gottes zu beweisen, zementiert die Religion seine Gegenwart durch die Zehn Gebote. Mulisch zieht aus diesem Spannungsverhältnis eine amüsante und lehrreiche Geschichte, deren Versöhnung durch den Einschlag eines Meteoriten verhindert wird. Die Liebe zu einer Frau verbindet Max Delius und Onno Quist über all ihr Philosophieren, Studieren, Debattieren hinweg. Dass ein Dreiecksverhältnis nicht dazu angetan ist, einem das Leben zu erleichtern, liegt auf der Hand. Es bleibt ein Mysterium, umso mehr je mehr man über sich entdeckt. Dass die Zehn Gebote dabei am Ende von der Müllabfuhr entsorgt werden, beschreibt einen weiteren Höhepunkt in Mulischs Kosmos. Der Mensch soll sich nicht zu ernst nehmen. Er nimmt sich auch so schon wichtig genug. Ein wunderbarer, wissensreicher Schmöker und glänzende Literatur hinzu.
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.08.2008
Russendisko
Kaminer, Wladimir

Russendisko


gut

Wer Wladimir Kaminer einmal hat lesen hören, durfte feststellen, dass sein Humor vor allem darin besteht, geschickt Pointen zu setzen. In Russendisko versammelt er eine Vielzahl von Storys und Beobachungen. Zuweilen erscheinen die Geschichten wie ein Zurechtfinden und Staunen über eine Welt, die ihn als Fremden betrachtet und in der er sich wie ein Fisch im Wasser bewegt. Ständig in Bewegung. Kaminer hat sich entschlossen, der Welt mit Witz zu begegnen. In einigen Geschichten gelingt ihm dies vortrefflich, in anderen wirkt es bemüht. Stellt man sich allerdings vor, dass sie Kaminer einem vorliest, sind sie sicher allesamt amüsant. Kaminer ist ein Erzähler, jemand, den man gerne zu sich einlädt, um seinen Geschichten zuzuhören. Zwischen zwei Buchdeckel gepreßt, verliert seine Sprache etwas von ihrem Zauber. Der Blick auf seine Landsleute und Deutschland bleibt scharf genug.
Polar aus Aachen

8 von 12 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.08.2008
Tricks
Munro, Alice

Tricks


ausgezeichnet

Wo andere Schriftsteller Erzählungen bis auf wenige Seiten kürzen, testet Alice Munro ihre Geschichten bis an die Grenze zur Novelle, zum Roman hin aus. In ihnen fasst sie ganze Leben in Abschnitte zusammen, wechselt die Perspektiven und behält doch eines im Blick: Das Schicksal. Dies mag ein altmodischer Begriff sein, doch in Tricks folgt sie den feinfühligen Windungen von Ehen, Aufbrüchen und ungewolltem Scheitern. Was sich auf dem Papier anfühlt, als stände das Glück kurz bevor, erweist sich im Alltag als nicht lebensfähig: Lügen wie Betrug erwachsen dem Nichts, fußen fast immer in Verblendung, Verklärung, dem Versuch, einem Leben zu entfliehen. Eine Tochter fühlt sich in „Verfehlungen“ angesichts des Dauerstreits ihrer Eltern adoptiert, bis das schreckliche Geheimnis in Gestalt von Delphine, der Beinah-Mutter, aufkreuzt, die hellseherischen Kräfte von Tessa in „Kräfte“ bringen sie an der Seite eines Geschäfte witternden Mannes direkt in die Anstalt, wo sie ausgerechnet ihre Freundin Nancy ausfindig macht, die die beiden zusammengebracht hat, oder in „Leidenschaft“ endete ein flackernde Liebe in einem Unfall und der Erkenntnis, dass eine Frau den Bruder besser nicht heiraten sollte. Allesamt brüchige, fragile Geschichten, auf ein Mindestmaß reduziert, was ihren besonderen Reiz ausmacht, da der Leser mehr hinter den Erzählungen entdeckt, als Alice Munro preisgeben will. Ganz wie das Titelbild verspricht. Geschichten von Frauen, die ihren Schatten berühren.
Polar aus Aachen

5 von 12 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.08.2008
Der Meister und Margarita
Bulgakow, Michail

Der Meister und Margarita


ausgezeichnet

Unter Diktaturen greift man am besten zur Satire, wenn man die Zustände anprangern will. Selten hat man einem Teufel so gern bei der Arbeit zugesehen. Zumal wenn man von der Zensur weiß, unter der Bulgakow sein Meisterwerk geschrieben hat. Mit Hilfe der Phantasie entflieht Bulgakow der bleiernen Zeit unter Stalin. Allein dass der Teufel, der sich Vorland nennt, ein Ausländer ist, mag der Zensur gefallen haben. Ganz mochte sie den Roman trotzdem nicht veröffentlichen, und er mußte in den Sechziger Jahren erst wieder entdeckt werden. Die Handlung ist Komplex, dreht sich um einen Schriftsteller ohne Namen, den seine große Liebe, die unglücklich mit einem anderen verheiratet ist, liebevoll Meister nennt. Außerdem gibt es den Insassen einer Irrenanstalt, der ein Buch über Pontius Pilatus geschrieben hat. Ihm ist der Teufel in Gestalt Volands, einem Professor für Schwarze Magie begegnet, der vorgibt, schon beim Verhör Jesus durch Pilatus zugegen gewesen zu sein. Menschen verschwinden, tauchen plötzlich ungewollt in Jalta auf, es kommt zu Todesfällen. Hinter allem scheint jener mysteriöse Voland zu stecken. Die Handlung in Moskau wird verschränkt mit jenem Buch über Pontius Pilatus, in dem die letzten Tage Jesus beschrieben werden. Die Ereignisse überstürzen sich in Moskau wie im antiken Jerusalem und es werden satirisch verkleidete Parallelen zu tatsächlichen Ereignissen in Moskau gezogen, ohne sie direkt zu benennen. Eine Farce um politische wie religiöse Erlösung. Im Mittelpunkt der Teufel und eine geheimnisvolle Geliebte, die sich auf einen Handel mit ihm einläßt, indem sie sich auf einem Ball das Knie küssen lassen soll, um ihre Liebe zu retten. Am Ende die Katharsis: Jesus rettet alle, selbst den Teufel. Für sowjetischen Verhältnisse zu Zeiten Bulkagows sicher nicht das, was der Staat hören wollte.
Polar aus Aachen

5 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.08.2008
Fragen Sie den Papagei / Parker-Romane Bd.1
Stark, Richard

Fragen Sie den Papagei / Parker-Romane Bd.1


ausgezeichnet

Wer weiß, wie schwer es ist, einem Papagei das Sprechen beizubringen, den verwundert es nicht, dass in Richard Starks Roman das Tier erst angesichts eines Gewehrlaufs, der auf ihn gerichtet ist, ein paar Wortfetzen nachahmt. Starks Humor gepaart mit knallhartem Suspense zeichnet diese Geschichte aus, in der einmal mehr Parker steht, dem der Autor bereits mehrere Bücher gewidmet hat. Er ist cool. Gefahren ausgesetzt, reagiert er nicht über, sondern entdeckt in seinem Gegenüber sogleich eine Schwäche, die er für sich ausnutzt. Er erinnert in seinem Lonesome-Cowboy Image an Garry Dishers Wyatt. Beide sind auf der Suche nach dem großen Coup und beide schlagen sich mit den Folgen menschlichen Versagens, wie Fehlplanungen herum. Stark gewinnt diesem allzu bekannten Plot durch überraschende Wendungen immer wieder neue Seiten ab. Die Idee den verfolgten Bankräuber in die eigene Suchtruppe einzuschleusen, ist ebenso famos wie der Einfall, dass Parker von einem Verbitterten aufgegriffen wird, der ihn zu einem Einbruch auf der Rennbahn zu verleiten versucht. Perspektivwechsel, wie gnadenlos kurze Kapitel setzt Stark geschickt ein, um die Handlung zum Höhepunkt voranzutreiben. Dabei entwirft er Miniaturbiographien jener Randfiguren, deren Leben Parker streift. Nicht zuletzt der eines schießwütigen Bürgerwehrteilnehmers. Ein gelungener, überaus spannender Thriller im Stile des Krimi Noirs.
Polar aus Aachen

4 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.08.2008
Das rote Notizbuch
Auster, Paul

Das rote Notizbuch


ausgezeichnet

Ein Notizbuch ist etwas, in dem man Gedanken festhält, Eindrücke, Begegnungen. In ihm schreibt man etwas nieder, das so wichtig ist, dass man es nicht verlieren will, um es später, nach langer Zeit vielleicht, sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Und so entreißt Auster seiner Erinnerung eine Handvoll Geschichten und macht daraus ein literarisches Kabinettstück, in dem er die Kapitel so knapp hält, dass sie wie ein Moment aus seinem Leben aufscheinen. Freunde wie Familie tauchen darin auf, der Zufall führt Regie. Es gibt dem Buch nur eines vorzuwerfen: Es ist viel zu kurz. Gerne wären wir zusammen mit Auster länger auf der Reise gewesen.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2008
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
Brecht, Bertolt

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui


ausgezeichnet

Es gibt viele Stücke, die ihren Hauptdarstellern alles abverlangen. Arturo Ui schult seine Darsteller in Verworfenheit, Härte, Verführung, die von Brecht im finnischen Exil 41 angelegt wurde. Ein Schurke gefällt sich selbst. Viele Zeitgenossen des Dritten Reichs treten schwach verschlüsselt in der Parabel über den Aufstieg Arturo Uis auf. Geschickt verknüpft Brecht dabei politische Vorkommnisse mit der Absatzkrise im Karfiolgeschäft, die scheinbar nur durch Gewalt zu beheben ist. Intrigen, Versprechen, Drohungen, ein Skandal und das Zusammenspiel von Ordnungsmacht und Geschäft hieven Arturo Ui in eine aussichtsreiche Position, nachdem seine Hilfe zuerst abgelehnt wurde. Er läßt sich anlog zu Shakespeares Hamlet von einem Schauspieler beibringen, wie man mit einer Rede Wirkung erzielt, und erweist sich doch nur als schwacher Mensch, den es nach Macht giert. Es kommt zum Speicherbrandprozess. Zeugen werden eingeschüchtert, die Presse gleichgeschaltet. Wer spätestens hier noch keine Querverbindungen zu den Ereignissen im Dritten Reich sieht, dem ist nicht zu helfen. Selbst die Machtkämpfe innerhalb Uis Bewegung werden nicht ausgespart. Röhm und SA sind gegenwärtig. Brecht erweist sich jedoch nicht nur als genauer Chronist seiner Zeit, er hat darüber hinaus ein faszinierendes Stück geschrieben, in der Geschichte nicht dröge als Zeitdokument wiedergegeben wird, sondern verzerrt, überzeichnet den Kern menschlichen Versagens trifft.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2008
Die dunklen Wasser von Aberdeen / Detective Sergeant Logan McRae Bd.1
MacBride, Stuart

Die dunklen Wasser von Aberdeen / Detective Sergeant Logan McRae Bd.1


ausgezeichnet

Dass dieser Detective Seargent sich zum Serienhelden eignet, war schon mit dem ersten Roman klar. Aber nicht nur in ihm schafft Stuart MacBride einen interessanten Helden, auch die Personen um ihn herum faszinieren. Sei es der nach Süßigkeiten verrückte Vorgesetzte, sei es die ehemalige Geliebte, die ihm ständig als Gerichtsmedizinerin über den Weg läuft, sei es ein ausgefallener Plot, in dem einer der Verdächtigen Tierleichen einsammelt und in einem Stall hortet. MacBride gewinnt den immer gleichen Motiven und Fällen neue Seiten ab. Logan McRae ist selbst ein zutiefst gezeichneter Mensch, der nach einer Messerattacke feststellen muss, wie anfällig sein Körper geworden ist. Der Vergleich zu Ian Rankin liegt sicher nahe. Beide ermitteln in Schottland, beide verschaffen ihren Geschichten ein Umfeld, das vom Lokalkolorit geprägt ist. Doch erscheint Logan als ein Ermittler, der Polizeiarbeit als etwas erfährt, was weit über einen scharfen Verstand und eine kluge Indiziensuche hinausgeht. Aberdeen ist durch MacBride auf die Landkarte des Krimis geschoben worden. Man darf als Leser gespannt sein, ob der Autor dieses Niveau auch in den nachfolgenden Büchern halten kann.
Polar aus Aachen

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.