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Murksy

Bewertungen

Insgesamt 161 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2020
#Fatboysrun
Jordan, Philipp

#Fatboysrun


gut

Im Gegensatz zum Titel handelt das Buch nicht nur vom täglichen Laufen (der Untertitel wird tatsächlich erst am Schluss des Buches mit zwei Seiten abgehandelt), sondern ist eine Autobiographie eines bekannten podcasters, der auch läuft. Wobei sich immer die Frage stellt, warum man mit Mitte 40 seine Autobiographie schreibt? Druck des Verlages? Geld? Egal! Aber da sich der Autor an einer Stelle bereits als alter Mann bezeichnet, erklärt sich das vielleicht...grins. Ein Titel wie "Sucht nach mehr---das Leben eines Maßlosen" hätte besser gepasst. Dabei hebt sich der Autor deutlich von vielen anderen Läufern ab, die meinen ihr Extremlaufen etc. in Buchform bringen zu müssen, da er die Sprache vorzüglich nutzen kann. So er denn will. Leider flacht das Buch diesbezüglich nach dem einführenden Kapitel ab. Es häufen sich Anglizismen und Fäkalsprache, was der Autor gar nicht nötig hätte. Vielleicht wollte er damit die Strapazen des Laufens untermauern, seine Sucht beschreiben, was auch immer. Als Vielläufer habe ich mich auf eine Erzählung eines Läufers gefreut. Nimmt man allerdings alles raus, was nichts mit dem Laufen zu tun hat (ein für mich langweiliges Skaterkapitel, ein für mich interessantes Künstlerkapitel, da ich selber male, diverse andere Lebensabschnitte) und unzählige Fotos und Selfies (man könnte jetzt auch psychologisch darüber philosophieren, warum jemand ständig Grimassen schneiden muss...egal), dann bleibt vom eigentlichen Laufbuch eher ein dickeres Magazin übrig. Eine ausführliche Beschreibung des ersten Laufjahres und die damit einhergehenden Veränderungen oder Auszüge aus dem Laufpodcast wären passender gewesen. Dafür liest man über Sex mit Stofftieren...wer es mag und braucht.
So bleibt der gute Ansatz stecken, es entstand eine bunte Autobiographie, aber definitiv kein Buch, dass die Faszination des Laufens ausführlich beschreibt, oder wirklich erklärt, warum das Leben jeden (!) Tag den Autor rettet.
Was mir neben der Anzahl der Fotos (ein paar Läuferfotos und nur jeweils ein Selfie pro Partner hätten gereicht) auch nicht gefiel, war der Beschreibung. Senkrechter Text ist weder hip noch angenehm zu lesen, sondern nur lästig. Dafür fehlte bei den Doppelseiten die Beschreibung. Und wenn man schon ein komplexes Thema wie skaten erklären will, dann bitte auch mit Erklärung der Fachbegriffe. Zumindest beim Cannabisgebrauch hat der Autor das eine oder andere erklärt.
Trotzdem, Hut ab vor einem Süchtigen (nichts anderes als Sucht bewirkt das Glücksgefühl beim Laufen verursacht durch biochemische Prozesse), der keine Grenzen kennt (übersteigertes Suchtpotential) und zu Großem fähig ist. Aus dem Buch hätte MEHR werden können. Aber die Teddies sind echt süß ;-)

Bewertung vom 04.03.2020
Das kann uns keiner nehmen
Politycki, Matthias

Das kann uns keiner nehmen


ausgezeichnet

Der autobiografisch angehauchte Roman handelt von Hans (an den Autor angelehnte Hauptfigur) auf seinem Trip zum Kilimandscharo. Hans möchte eine vor langer Zeit begonnene Reise abschließen und damit ein Stück Vergangenheit begraben. Zu seinem Plan gehört eine einsame Übernachtung im Krater. Doch üble Überraschung: diese Idee hatte wohl auch ein anderer. Der Tscharli, ein Bayer, wie man vermuten sollte, erwartet Hans mit rustikaler Grobheit und einer Freischnauze, die Hans empört schnauben lässt. Eine eisige Nacht überstehen die beiden samt Führer und gehen notgedrungen ein Stück des Weges zusammen. Die direkte, harte Art des Bayern geht dem Norddeutschen immer mehr auf die Nerven. Rassistisch scheint der Tscharli durch und durch zu sein, für Hans ein rotes Tuch. Tscharli hält den Windelträger für ein Weichei. Und somit ist der Krach vorprogrammiert. Es kommt zum Streit, doch irgendwie kommen die zwei Reisenden nicht voneinander los. Zudem scheint Tscharli krank zu sein. Eine Erfahrung, die Hans bitter teilt und deshalb zwischen Abscheu und Mitleid für den Batzi schwankt. Im Laufe des Roadtrips gleicht sich Hans allerdings immer mehr dem Auftreten von Tscharli an. Dieser bittet Hans, in zu begleiten. Er sei auf einer Abschiedstour, der Tod wolle ihn holen. Obwohl Hans nicht sicher ist, was er dem dürren Mann glauben soll, begleitet er ihn und erlebt ein Afrika, das er so nicht kannte. Fremdartig, aber auch voller Lebenslust und einer Gelassenheit, die dem Europäer schon längst abhanden gekommen ist. Je weiter Tscharli seinem Ziel näher kommt, umso näher kommen sich die Männer. Es entsteht eine merkwürdige Freundschaft. Der eine versucht seine Traurigkeit mit raubeinigem Überschwang zu überspielen, der andere will seine linke Gesinnung nicht für Lebensfreude eintauschen. So wird die Reise zu einem gegenseitigen Lernen und Wachsen. Hans wird für immer verändert aus Afrika zurückkehren.
Ein tiefsinniger Roman, der zunächst teils komisch, teils skurril daherkommt. Herrlich spielt der Autor mit der Dialektik, überzeichnet die Unterschiede der Männer auch sprachlich, und lässt sie im Laufe der Geschichte verschmelzen. Je länger die Reise dauert umso mehr geht der Roman ins Melancholische, spielt mit Themen wie Rassismus, Politik, Freundschaft, Liebe, Verlust und Vergebung. Gekonnt verwebt der Autor seine eigenen Erfahrungen mit den fiktiven Figuren, man kauft im jede Zeile ab. Und gegen Ende muss man schwer durchatmen, da das Leben seinen Lauf nimmt und nicht immer das Ende bereithält, das wir uns wünschen. Was bleibt ist Hoffnung und die Fähigkeit, zu Lernen. Großartiger Roman!

Bewertung vom 22.02.2020
Feuerland
Engman, Pascal

Feuerland


weniger gut

Da ich von dem Thriller nicht so überzeugt bin wie viele andere Leser, sei gewarnt, dass ich etwas spoilern muss, um meine Kritik zu erklären.
Der Thriller um Menschen- und Organhandel (das Thema wird leider nur oberflächlich behandelt, da wäre mehr drin gewesen) liest sich bei schnellem Lesen ganz unterhaltsam. Er hebt sich aber nicht aus der Masse der reißerischen, effekthascherischen Thriller dieser Art ab. Bei reflektiertem Lesen wird schnell klar, dass der Autor ziemlich viele Versatzstücke aus anderen Büchern oder Fernsehserien zusammengewürfelt hat. Das zeigt sich zum Beispiel an den handelnden Personen: wir haben den Ex-Soldaten, der (traumatisiert) auf die schiefe Bahn gerät, aber im Herzen ein guter Mensch ist. Natürlich ist er eine Kampfmaschine, die sogar die Polizei in Staunen versetzt. Dann die suspendierte Ermittlerin, die ein "kleines" Alkoholproblem hat, aber trotzdem ermittelt (gedeckt von ihrem Vorgesetzten!?) und fast auf Anhieb eine Entführungsserie aufklären kann, weil sie blitzgescheit Hinweise entdeckt, die der scheinbar überlasteten oder unwilligen Polizei entgehen. Blond, kautabaknutzend, porschefahrend und unfähig zu weinen..hmm, klingt wie Sorga Noren aus der Serie "Die Brücke". Kann natürlich Zufall sein..Räusper. Was haben wir noch? Ach ja, den schießwütigen Kleinkriminellen, der bei den Großen mitspielen will und Respekt sucht. Mindestens einen korrupten Polizisten. Den obligatorischen Kartellboss in Südamerika, der scheinbar für das niedere Volk da ist, aber natürlich psychopathisch agiert. Das ist alles so furchtbar bekannt und klischeehaft. Oder das Krankenhaus der Kolonie, das fast genauso heißt, wie die Colonia Dignidad in ihrer Spätphase. Etwas einfallslos, wie so manches in dem Puzzlebuch.
Der Autor, Journalist Engman (hat beim Expressen gearbeitet, einer reißerischen Boulevardzeitung, die ihre Artikel vermutlich ähnlich zusammenschustert), versucht authentisch zu sein, indem er reale Bezüge und politische Vorkommnisse mit seinen Thrillerelementen paart. Das kann funktionieren, solange man glaubhaft schreibt. Aber eine Polizistin, die im Alleingang mit einem Ex-Soldaten in die Schlacht zieht (mindestens ein dutzend Gründe für eine endgültige Suspendierung), Profikiller und Gangster, die stellenweise extrem dumm handeln, eine hanebüchene Geschichte von Menschenschmuggel nach Südamerika (in Wirklichkeit ist leider der Organhandel dort ein großes Problem, und leider haben die Verantwortlichen kein Nachschubproblem mit Ortsansässigen) machen beim Lesen keinen Spaß. Auch die üblichen Effekte eines Kopfes, der bei Beschuss nach hinten "katapultiert" wird, sind leider nicht realistisch, sondern einfach nur effekthascherisch. Oder eine Person, die ein Glas Whiskey mit Betäubungsmittel trinkt und durch Übergeben wieder fit wird...liebe Freunde der Psychopharmaka-Fraktion: wenn man bereits die Wirkung des Mittels spürt, ist es zu spät für so was. Außerdem: wenn die Person als Selbstmord getarnt sterben soll, wieso bekommt sie nicht gleich eine entsprechende Menge verabreicht?
Das Buch strotzt vor Unlogik, falls man sie finden will. Will man einfach stumpf unterhalten werden, nun ja, dann liest man das Buch und vergisst es wieder. Etwas weniger wäre mehr gewesen. Warum erschießt ein Gangster einen Mann kaltblütig und in nächsten Augenblick lässt er einen weiteren Mord als komplizierten Unfall im Meer erscheinen? Warum entführt ein Killer sein Opfer, wenn er einen Selbstmord doch direkt in der Wohnung vortäuschen könnte? Das wirkt teilweise so gestellt, dass es schon weh tut.
Ja, man kann das spannend finden. Wer allerdings gut gemachte, logische und glaubhafte Handlung sucht, sucht hier vergebens. Weit entfernt von wirklich klug gemachten Thrillern, von denen es einige gibt (siehe die Vorbilder, bei denen der Autor "geliehen" hat). Und nebenbei, die Einteilung in "Teile" erschließt sich ebenfalls nicht. Massenware, die vermutlich (leider) in Serie gehen wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2020
Eine kurze Geschichte vom Fallen
Hammond, Joe

Eine kurze Geschichte vom Fallen


gut

Joe Hammond, der mittlerweile am Ende seines Weges angekommen ist, berichtet in seiner Geschichte von seinem Leben und seinem Sterben. Ein Thema, das so gut wie jeder zu verdrängen sucht. Und wer nicht in einer ähnlichen Situation ist, wird auch kaum nachvollziehen können, wie es ist, zu sterben. Es gab schon andere Bücher dieser Art, von Krebs- oder Suchtkranken, die vor ihrem Tod ihre letzten Schritte der Nachwelt hinterlassen haben. Hammond, der zu Lebzeiten im Schreiben geübt war, benutzte mit Masse das Mittel der Metapher, um seine Gefühle und sein Leben zu beschreiben. Das funktioniert oft sehr gut. Wenn allerdings fast alles auf diesem Stilmittel aufbaut, wird das irgendwann abstrakt und entfremdet. Die Metaphern, die Hammond findet, passen zwar. Doch je mehr Bildnisse der Leser zu entschlüsseln hat, umso ferner scheint die Geschichte. Und dies bezieht sich nicht nur auf die Erkrankung, sondern auch auf den autobiographischen Teil, der die schwierige Jugend des Autors und sein Verhältnis zu seinem Vater behandelt. So bleibt bei allem Mitgefühl und Staunen über die Offenheit des Schreibers, ein Abstand, der eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Leben und Sterben des Joe Hammond erschwert.
Zudem wäre es wünschenswert gewesen, etwas mehr über die Krankheit zu erfahren. Natürlich kann man das im Netz oder der Fachliteratur nachlesen, im Zusammenhang mit der Lebensgeschichte hätte es jedoch gut ins Buch gepasst. Vor allem, da das Buch auch als Vermächtnis an die Söhne des Autors gedacht ist. Bleibt zu wünschen, dass zumindest der unterschwellige Zweck, die Familie finanziell zu unterstützen, mit dem Buch erreicht wird.
Für mich bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Es ist da der offene Umgang mit einem natürlichen Prozess, der jeden, in welcher Form auch immer, ereilen wird. Andererseits ist das Buch eine Abrechnung mit der Vergangenheit, wie sie vor allem seit Knausgard sehr beliebt zu sein scheint. Ein ambivalentes Gefühl bleibt zurück, zwischen Trauer, Mitgefühl, Distanz und voyeuristischer Neugier angesiedelt. Das Buch geht Nahe, ohne mich auf allen Ebenen zu erreichen. Und dies ist meiner Meinung nach dem übertriebenen metaphorischen Stil geschuldet. Bestimmt kein leichtes Buch, dennoch mutig und offen, in manchen Sichtweisen vielleicht sogar egoistisch. Doch das ist ein Recht, das man dem verstorbenen Autor zugestehen muss.

Bewertung vom 13.02.2020
Qube
Hillenbrand, Tom

Qube


ausgezeichnet

Tom Hillenbrand setzt seinen Hologrammatica-Zyklus endlich fort. Dies macht er mit Rückblenden, die es auch Neueinsteigern ermöglichen, dem Buch zu folgen. Allerdings seien all die gewarnt, die vornehmlich die anderen Bücher von Hillenbrand kennen, die sich mit alten Kaffeediebstählen oder kulinarischen Kriminalfällen beschäftigen. Beim vorliegenden Buch handelt es sich um Science fiction, das heißt also: mathematische und physikalische Theorie gepaart mit futuristischen Erfindungen und teilweise verwirrenden Gedankenspielen. Wer jedoch science fiction mag, Klassiker von Bradbury, Asimov, Dick oder auch Simmons liebt, kommt hier auf seine Kosten. Der neue Band knüpft einige Jahrzehnte an die Vorkommnisse des Vorgängers an. Um eine erneute Bedrohung durch eine künstliche Intelligenz auszuschließen, suchen Agenten auf der Erde als auch im All nach Hinweisen auf eine solche. Auch einige mächtige und reiche Privatpersonen sind auf der Jagd. Verspricht doch das Wissen einer KI ein altes Problem zu lösen: wie schafft man es, länger als drei Wochen in einem Klon zu existieren? Ja, vielleicht sogar für immer. Dies käme einer faktischen Unsterblichkeit gleich. Denn die Menschheit ist in der Lage, das Gehirn zu scannen und in einen Klonkörper zu übertragen, vorausgesetzt, man hat die finnaziellen Mittel. Doch nach drei Wochen muss der Klon wieder verlassen werden, sonst droht ein fataler Braincrash..Ende..Aus.
Tatsächlich gibt es Anzeichen für eine solche KI. Und es gibt auch Theorien, wo diese sich befindet. Ins Zentrum des Interesses rücken Würfel, die möglicherweise diese KI enthalten könnten. Es beginnt ein mörderischer, packender Wettstreit um diese mysteriösen Würfel. Ein Wettlauf, der womöglich das Schicksal der Menschheit besiegelt.
Mehr soll zum spannenden, verzweigten Inhaltes des Buches nicht verraten werden. Der Leser muss aufmerksam der Geschichte folgen. Da die Klone gewechselt werden, agiert eine Person plötzlich als Mann, wo zuvor noch eine Frau aktiv war. Das kann den oberflächlichen Leser leicht aus dem Konzept bringen. Ein Fehler im Buch auf Seite 131 macht dies deutlich: statt Franek wird der Name Fran genannt. Der Zusammenhang dieser Namen wird erst später geklärt, ist aber in diesem Moment irrtümlich und lässt einen kurz stutzig werden. Wie bei Science fiction üblich, verschwimmen reale Möglichkeiten mit theoretischen Zukunftsvisionen. Das geht bis zur Frage der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit. Moralische und ethische Gedankengänge fließen in die Handlung ein, ohne natürlich tiefgreifend abgehandelt zu werden. Das hätte dem Buch auch den Fluss genommen. Die Geschichte ist raffiniert und (soweit dies eine fiktionale Erzählung erlaubt) logisch aufgebaut. Praktischerweise muss bei science fiction und Fantasy nicht alles logisch erklärt werden, wo bliebe da der Spaß?
Eine hervorragende Fortsetzung der Hologrammatica-Story, die förmlich nach mehr verlangt. Hillenbrand überzeugt ein weiteres Mal und unterstreicht seine erzählerischen Fähigkeiten, egal welches Genre er sich vornimmt.

Bewertung vom 27.01.2020
Das Evangelium der Aale
Svensson, Patrik

Das Evangelium der Aale


ausgezeichnet

Aale? Ausgerechnet diese schlangenartigen, glitschigen Dinger? Ich habe mich ehrlich gesagt nie besonders für diese Tiere interessiert. Ganz im Gegenteil, die auch im Buch beschriebene Szene aus der "Blechtrommel" mit dem Pferdekopf als Köder, hat mich nachhaltig mit einem Ekelgefühl für diese Wesen ausgestattet. Und dieses Buch hat mein Bild nun komplett gewandelt. Mit seiner Sprache und faszinierenden Schreibweise schafft es der Autor, eines der geheimnisvollsten Tiere dieser Erde spannend und interessant zu beschreiben. Ein Tier, das sich Jahrtausende der Wissenschaft entzog. Von der Gottesverehrung der Ägypter über Aristoteles (der fest davon überzeugt war, dass Aale sich nicht fortpflanzen, sondern einfach entstehen), von Sigmund Freud (der in jungen Jahren hoffnungslos versuchte, Geschlechtsorgane der Tiere zu finden) bis zu der modernen Seefahrt, die mit Peilsendern dem Ursprung der Meeresbewohner auf die Schliche kommen wollte. Doch die Aalfrage bleibt ungeklärt. Man weiß, dass die Tiere eine beeindruckende Metamorphose über vier Stadien durchlaufen, von den Meeren den langen Weg bis ins Binnenland suchen und dabei sogar notfalls das Wasser verlassen. Irgendwann, man weiß nicht, was das Signal ist, schwimmen die Aale tausende Kilometer zurück und laichen in den Tiefen des Meeres. In Gefangenschaft hingegen bilden sie weder Geschlechtsorgane aus, noch scheinen sie wirklich zu altern. Ein wahrhaft mystisches Wesen, das der Autor als Sinnbild für Glaube und Metaphysik nimmt und über die Erinnerung an das Aalfischen seinem Vater näher kommt. Genau wie die berühmte Rachel Carson begeht Svensson den Frevel des Vermenschlichens. Doch das ist notwendig, um dem Menschen die Bedeutung der Tier- und Pflanzenarten zu vermitteln. Nur was der Mensch kennt, schützt er. Haustiere sind deshalb die besten Freunde, weil man ihnen menschliche Eigenschaften zuspricht. Der Aal stirbt aus, wie unzählige Arten mit ihm. Der Mensch vergisst, dass er auch nur eine dieser Arten ist und dabei weit kürzer existiert, als diese beeindruckenden Tiere. So wird das Evangelium der Aale zu einer Offenbarung und Mahnung zugleich. Wir wissen noch viel zu wenig über die Geheimnisse und Wunder dieser Erde und sind in Begriff, das alles zu verlieren. Dieses spannende, informative und bewegende Buch bringt uns diese Geheimnisse etwas näher und öffnet die Augen für diese schützenswerte Welt.

Bewertung vom 27.01.2020
Freischwimmen / Cyms Geschichte Bd.1
Baron, Adam

Freischwimmen / Cyms Geschichte Bd.1


ausgezeichnet

Man merkt es dem Autor an, dass er schon einige Bücher geschrieben hat und Kurse in kreativem Schreiben gibt. Adam Baron kann mit Sprache umgehen. Und in diesem Falle schafft er es vorzüglich, schwierige Themen kindgerecht aufzuarbeiten. Da das Thema Tod und Verlust nicht einfach zu verstehen ist, geht die Altersangabe 10 Jahre vollkommen in Ordnung. Da das Buch aus England kommt, wird bei einigen Begriffen die hilfreiche Erläuterung durch Erwachsene notwendig sein. Das Buch ist ohne Melodramatik geschrieben, verfügt über den typisch britischen Humor und entwickelt sich gegen Ende sogar in eine Quasi-Detektivgeschichte, wenn der kleine Held des Buches der Wahrheit näherkommt. Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen und kann es ohne Besorgnis Kindern empfehlen. Ganz im Gegenteil, gerade die Themen Verlust, Tod, Einsamkeit und Wahrheit sind außerordentlich wichtig und die lockere Herangehensweise des Autors vermitteln den Lesern grundlegende Prinzipien, die wir Erwachsene nur allzu gerne vernachlässigen. Wie oft erscheint es uns doch so einfach, die Wahrheit zu verdrängen und den Kindern lieber ein paar Notlügen aufzutischen. Das Buch zeigt wunderbar, was passiert, wenn das Lügenhaus einstürzt. Deshalb als Mahnung und Lehre aus dieser toll erzählten Geschichte: wagt mehr Mut zur Ehrlichkeit, traut euren Kindern zu, die Wahrheit zu verstehen. Denn was sie garantiert nicht verstehen werden, ist ein Leben in Lüge.

Bewertung vom 18.01.2020
Der Gorilla-Garten / Käthe Bd.1
Veenstra, Simone;Loose, Anke

Der Gorilla-Garten / Käthe Bd.1


ausgezeichnet

Käthe muss umziehen. Weg vom geliebten Landleben bei Oma mit all den Tieren (mit denen Käthe auf ihre ganz spezielle Art kommunizieren kann) und Pflanzen in die große, fremde Stadt. Das kleine Häuschen im Hinterhof soll also jetzt ihr neues Zuhause sein. Zum Glück gibt es in der Nachbarschaft nette Menschen, die ihr den Umzug erleichtern. Aber es gibt natürlich auch die obligatorischen Griesgräme, die keine Kinder mögen und erst so langsam eines besseren belehrt werden müssen.
Das Buch ist sehr liebevoll erzählt, kommt ohne die leider oft zu findenden "Actioneinlagen und Superhelden" aus. Themen wie Verlust, Angst, Unsicherheit werden eingebunden und die kleinen Leser lernen, dass Veränderungen im Leben manchmal sein müssen und nicht zwangsläufig schlecht sind. Die Illustrationen sind nicht übertrieben platznehmend und ergänzen die Geschichte wunderbar. Ob als Selbstlese- oder als Vorlesebuch, die Geschichte funktioniert gut und beschert ein munteres und lehrreiches Lesevergnügen für die kleinen Leseratten.

Bewertung vom 12.01.2020
1794 / Winge und Cardell ermitteln Bd.2
Natt och Dag, Niklas

1794 / Winge und Cardell ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Wie oft wurde das Nietsche-Zitat über den Abgrund, in den wir blicken schon als Vorwort in Thrillern genannt? In diesem Buch nicht, aber noch nie hätte es so gut gepasst. Eine Warnung sei angebracht: dies ist kein Buch für Leicht-Leser oder Zartbesaitete, wer skandinavische Thriller nach dem Schema F bevorzugt, sollte sich auf eine andere Dimension des Grauens einstellen. Denn das Buch ist nicht angenehm zu lesen, erzeugt keine wohlige Spannung, sondern schockiert mit seiner authentischen Schilderung einer düsteren, brutalen und oftmals unmenschlichen Zeit. Der Autor hat wieder brillant recherchiert, verknüpft die realen historischen Ereignisse geschickt mit der fiktiven Geschichte, die mit dem Vorgänger verbunden ist. Man kann das Buch zwar eigenständig lesen, aber erst die Kenntnis des ersten Bandes sorgt für ein Gesamtwerk, das man getrost als meisterlich bezeichnen kann. Mit seinen Worten beschwört der Autor dunkle, stinkende Gassen herauf, lässt den Mief und den Gestank in den Gasthäusern und Hinterhöfen aufleben, dass der Leser nach der Lektüre zwangsweise das Bedürfnis nach einer Dusche verspürt. Nebenbei erfährt man auch einiges über die Vergangenheit Schwedens, das heutzutage oft als sympathisches Sehnsuchtsland wahrgenommen wird. Von den ominösen Kaffeeverboten (die tatsächlich den Alkoholverkauf ankurbeln sollten) bis zur düsteren Rolle, die das Königreich im weltweiten Sklavenhandel spielte, wird dem Leser der historische Hintergrund für einen brutalen Mord geliefert. Dessen verworrene Aufklärung führt durch das Jahr 1794, das der Autor wieder in seiner raffinierten Rückwärtserzählweise durch die Jahreszeiten durchschreitet und dabei die Figuren miteinander in Relation setzt. Wie gesagt, hier muss der Leser aufmerksam der Geschichte folgen, um die Zusammenhänge im Auge zu behalten. Das Buch ist grausam, weil es die Geschichte und die Zeit es erfordern. Der menschliche Horror wird aus den Seelen und Handlungen der Personen geboren, die teilweise aus Gier und Machtfantasien zu herrschen glauben. Andere wiederum versuchen mit aller Härte am Leben zu bleiben. Das führt zu einem Gesamtbild, das stellenweise schwer zu verdauen ist. Niklas Natt och Dag schreibt überragend und beschreibt trefflich, was das Grauen noch verstärkt. Die Erzählweise lässt vielleicht nicht mit den Figuren sympathisieren, aber sämtliche Handlungen erscheinen nachvollziehbar und im Sinne der Personen verständlich. Das verlangt gehobene Erzählkunst. Ein großartiger Historienmix, der in Zusammenhang mit dem Vorgänger "1793" zum Besten gehört, was die schwedische Literatur zu bieten hat.