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Benutzername: 
M.M.
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Rheinland Pfalz

Bewertungen

Insgesamt 91 Bewertungen
Bewertung vom 04.06.2017
The Distance from me to you
Gessner, Marina

The Distance from me to you


ausgezeichnet

Die 17jährige Kendra und ihre beste Freundin wollen als Krönung ihres Highschool Abschlusses den Appalachian Trail erwandern. Doch im letzten Moment springt ihre Freundin - eines Jungen wegen - ab. Kendra hat sich so gut auf diese Wanderung vorbereitet, von ihrem beim Kellnern erarbeiteten Geld die beste Ausrüstung gekauft. So entscheidet sie alleine loszugehen, dies aber nicht ihren Eltern zu sagen.

Bis dahin ist es ein Einstieg in einen ganz normalen, banalen Jugendroman mit Abenteuerromantik. Doch das ist nur das Vordergründige.

In „The distance from me to you“ wird immer wieder Bezug genommen auf die Schriften von Ralph Waldo Emerson, sowie aus „Walden“ v. Henry David Thoreau zitiert. „Ich wollte kein Leben führen, das eigentlich kein Leben ist, dazu war es mir zu kostbar.“ (Thoreau). Manchmal mutete es philosophisch an, wenn sie aus ihrem „Walden“ liest. Heute eine Art Kultbuch der naturverbundenen und umweltinteressierten amerikanischen Jugend.

Der erste Tag hatte es für Kendra schon in sich. Der mühsamer Aufstieg, dann wieder das deprimierende Abrutschen am Berg, was sie bereits nach wenigen Stunden an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit bringt, lässt sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung den Trail zu erwandern, zweifeln. Schon denkt sie ans Aufgeben.

Die Besonderheit dieses Buches beginnt sich dem Leser nach diesem ersten Scheitern von Kendra nach und nach zu erschließen. Sie ist mit allem Komfort ausgerüstet, den unsere Zivilisation dem Fernwanderer bietet. Doch schon am Ende dieses ersten Tages zeigt es sich, was sie mit sich trägt ist viel zu umfangreich und zu schwer. Unnötiger Ballast. Was braucht man tatsächlich für sein Leben? Hier ist der erste Bezug zu dem Buch „Walden“. Kendra musste Ballast abwerfen. Sie fühlt sich mit jedem Stück das sie in eine Spendenkiste auf dem Campground legt leichter und wie von einer Bürde befreit. Vom nächsten Tag an bewegt sie sich mit leichtfüßigerem Schritt auf diesem schwierigen Trail.

Sie lernt nach und nach ihre Lektionen, die ihr die Einsamkeit und Wildnis diktieren. Schade, dass dem Buch keine Karte eingefügt wurde. Es wäre für den Leser interessant, ihre Wanderung auf diesem Trail zu verfolgen.

Irgendwann ist er da. Sam, ein drop-out. Dieser große, verschlossene Junge, der nichts von sich selbst preisgibt. In seinen ausgelatschten Turnschuhen mit den durchgelaufenen Sohlen wandert er diesen Trail ein zweites Mal. Es ist kein normaler hike, er läuft vor sich und seinem kaputten Zuhause davon.

Von nun an wandern Kendra und Sam zusammen. Zwei junge Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Kendra, aufgewachsen in einem behüteten Zuhause mit Eltern, die sich um ihre beiden Kinder sorgen, für diese immer ein offenes Ohr haben. Und dann Sam, dessen Mutter nicht mehr lebt und dessen Vater sein ganzes Dasein immer wieder im Alkohol ertränkte und anschließend gewalttätig gegen seinen Sohn wurde, dass dieser auf dem Körper und an der Seele Narben trägt.

Diese beiden so unterschiedlichen Menschen ergänzen sich auf dieser endlosen und manchmal auch eintönigen Wanderung, die auch einige Abenteuer bereit hält immer besser, kommen sich näher. Verstehen einander.

Die steten Bezüge zu den Büchern von Emerson und Thoreau sind in meinen Augen die tatsächliche Botschaft dieses Jugendbuches. Die überwältigende Schönheit der Natur, die ganz ohne menschliches Zutun einfach da ist, wird dem Leser immer wieder vor Augen geführt. Es geht auch um die Sinnfrage des Lebens. (Siehe Seite 306 dieses Jugendbuches).

„Ich bin in den Wald gezogen, weil mir daran lag, bewusst zu leben, es nur mit den wesentlichen Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. Ich wollte sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, um nicht, wenn es ans Sterben ginge, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben.

(Aus „Walden“ von Henry David Thoreau).

Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 18.04.2017
Wenn ich jetzt nicht gehe
Dueñas, María

Wenn ich jetzt nicht gehe


ausgezeichnet

Dem Cover nach zu urteilen, könnte es sich bei diesem Roman um ein Frauenbuch handeln. Doch dem ist nicht so. Der Leser wird mit vielen maskulinen Elementen konfrontiert.

Mit diesem Roman begeben wir uns nach Mexico, Havanna auf Cuba und Jerez in Spanien und machen zeitlich gesehen, eine Rolle rückwärts. Wir landen in der Epoche des amerikanischen Bürgerkrieges, als Spanien und Mexico noch untrennbar verbunden scheinen und die Menschen das Recht noch in die eigenen Hände nahmen. Heute käme man für Letzteres hinter Gittern, doch damals war es Alltag.

Mauro Larrea wandert nach dem Tode seiner Frau mit seinen beiden Kindern von Spanien nach Mexico aus, arbeitet dort in den Silberminen und macht mit klugen Geschäften ein Vermögen. Er und seine Familie gehören zu den angesehenen Bürgern, deren Namen in aller Munde ist. Im Grunde hat er ausgesorgt.

Jedoch, bedingt durch den amerikanischen Bürgerkrieg führt ein vermeintlich gutes Geschäft in seinen Ruin. In dieser Situation zeigt sich, was Mauro für ein Schlitzohr ist und wie er es schafft, andere Menschen für sich einzunehmen, ihm weiterzuhelfen. Wunderbar zu lesen.

Mauro macht sich aus dem Staub, landet in Havanna, in der Hoffnung in kürzester Zeit soviel Geld zu verdienen, dass er sein prächtiges Anwesen in Mexico wieder auslösen und dorthin zurückkehren kann. Doch das Schicksal hat anderes mit ihm vor. Viel Geld könnte er mit dem Sklavenhandel verdienen, zu dem er gedrängt wird, doch da zeigt sich, dass in diesem alten Haudegen doch ein weicher Kern steckt. Obwohl Mauro dem Leser bis dahin wenig zimperlich erscheint, widerstrebt es ihm, am Unglück anderer Menschen Geld zu verdienen. Lieber lässt er sich auf ein Billardspiel ein, das ihn zu dem Besitzer eines Weinbergs sowie anderen Liegenschaften in Jerez/Spanien macht.

Also auf nach Spanien! Doch auch dort kommt alles anders als geplant. Das heruntergekommene Anwesen will er so schnell wie möglich in Bares umsetzen. Dem steht allerdings eine Testamentsverfügung im Wege. Von einem schnellen Verkauf kann keine Rede mehr sei.

Mit Mauro lässt uns die Autorin durch die Gassen streifen, den Duft der Reben einatmen, den herrlichen Wein kosten. Dieses Buch spricht alle Sinne an und als Leser hat man den Genuss eines guten Tropfens auf der Zunge. Ich stand neben Mauro in der Bodega, saß mit ihm an einem Tisch und ließ mir köstliches Kaninchen servieren (obwohl ich das in Wirklichkeit gar nicht mag). Es war eben eine Reise in eine längst versunkene und mir fremde Welt, auf die ich mich mit Vergnügen mitnehmen ließ.

Natürlich darf auch hier eine schöne und geheimnisvolle Frau nicht fehlen, die eine Mitschuld trägt, dass Mauros Pläne durcheinander geraten. Sein Wunsch nach Mexico zurückzukehren tritt in den Hintergrund - bei all den Ereignissen, die sein Verhandlungsgeschick als auch seine List erfordern. Mehr möchte ich davon nicht verraten. Nur noch soviel, dass alles auf eine Karte gesetzt wird. Entweder es funktioniert oder den beiden fliegt alles um die Ohren.

Mein Fazit: Es war ein mitreißendes Lesevergnügen auf das ich mich mit Vergnügen eingelassen habe. Deshalb vergebe ich auch alle Sternchen.

Bewertung vom 30.03.2017
Die vier Liebeszeiten
Rabisch, Birgit

Die vier Liebeszeiten


sehr gut

Dieser Roman von Birgit Rabisch ist in vier Abschnitte unterteilt, aufgeteilt wie die vier Jahreszeiten. So wie das Jahr mit dem Frühling zuerst zart erwacht, danach fast vor Lebensfülle explodiert, in ein beständiges, sommerliches Hoch übergeht, sich später in einen stürmischen und trüben Herbst neigt, der schon den kommenden, dunklen Winter erahnen lässt, so hat die Autorin das Buch über das Zusammenleben von Rena und Hauke aufgebaut.

Rena, ein uneheliches Kind der Nachkriegszeit wird umhegt von Oma Anna. Von ihrer Mutter bei der Schwiegermutter zurück gelassen, vermisst Rena diese kaum. Während der Abwesenheit der Mutter spinnt sich Rena die tollsten Geschichten zusammen, weshalb ihre Mutter für ein Treffen mit ihr verhindert ist und fast nie von sich hören lässt. Erst nach dem Tode ihrer geliebten Oma Anna muss sie erfahren, dass ihre Mutter nur geringes Interesse an ihrer Tochter Renate hatte und sich schon vor längere Zeit ein eigenes Leben aufbaute, in dem für Rena kein Platz war.

Diese Erkenntnis ist hart, wirft aber Rena nicht um. Durch die Liebe ihrer Oma auf starke Füße gestellt, steckt sie auch dies weg und geht ihren ganz eigenen Weg, auf dem sie niemandem gestattet, ihren beruflichen Plänen in die Quere zu kommen. "Was du im Kopf hast, kann dir niemand nehmen", bekam sie immer von der Oma eingeimpft. Welch kluger Ratschlag.

Erst als sie bei einer Party Hauke kennenlernt, entdeckt der Leser die weiche Seite von Rena, der angehenden Wissenschaftlerin. Ihr beider gemeinsame Frühling beginnt. Hauke wird die Liebe ihres Lebens - genau wie Rena für ihn. Es ist der Beginn der wilden 70er, in denen junge Leute alles auf den Kopf stellen (wollen), was bisher richtig und gut war. Hauke will sein Studium zwar beenden, doch schon beim ersten Rendezvous sagt er, dass er nie als Lehrer arbeiten werde. Die Bürgerlichkeit seiner Eltern ist nichts für ihn. Zum Glück ist Rena (auch finanziell) so selbständig, lässt sich darauf ein und lebt fortan mit ihm und später auch mit den beiden Kindern ohne Trauschein zusammen.

Der Sommer liest sich wie ein Märchen. Ein Traum. So könnte es ewig weiter gehen. Doch alles fließt und nichts dauert ewig. Der Herbst meldet sich schon mit seinen Stürmen und nebligen Tagen an, bevor es übergeht in den dunklen und kalten Winter. Die Menschen frieren. Der ewige Kreislauf. Über den Inhalt will ich weiter nichts verraten. Man muss es selbst lesen.

Was mir an diesem Roman sehr gefiel war, dass ich als Landei, welches nur im 50m Becken des Freibades seine Runden dreht, vieles über das fließende Wasser, unbewohnte Inseln am Einfluss der Elbe in die Nordsee und das Segeln erfuhr. Was mir allerdings das Wasser mit seinen geheimnisvollen Tiefen nicht sympathischer machte.

Das erste Buch, das ich von Birgit Rabisch gelesen habe, war, "Wir kennen uns nicht" und traf genau meinen Nerv. In wenigen Tagen hatte ich es verschlungen. Bei dem vorliegenden Roman hatte ich dagegen einige Hänger. Obwohl ich nicht sagen könnte, woran es lag. Der Schreibstil ist flüssig und das Buch liest sich gut. Vielleicht lag es daran, dass hier die norddeutsche Mentalität stärker durchkommt, mit der ich mich erst anfreunden musste.

Trotzdem bekommt der Roman von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 26.03.2017
Alles aus Gnade
Manning, Brennan;Blase, John

Alles aus Gnade


ausgezeichnet

Der Name Brennan Manning sagte mir, bevor ich diese Autobiographie las, nichts. Umso größer war meine Neugierde auf diese Lektüre.

Erzählt wird diese Lebensgeschichte aus der Sicht eines Mannes, der sich mit seinem Leben ausgesöhnt hat. Sohn irischer Einwanderer, die es ganz sicher nicht einfach hatten in den USA Fuß zu fassen. Eingewanderten Katholiken stand man äußerst kritisch gegenüber.

Seine Kindheit war schwierig, mit einer Mutter, die sicherlich selbst keine schöne Kindheit hatte, da sie in einem Heim aufwachsen musste. War sie überfordert, da sie diesem Sohn nicht die Aufmerksamkeit und Zuneigung geben konnte, die dieses Kind für sein Leben brauchte?

Nach einem abgebrochenen Studium ging er zu den Marines. Allgemeine ist bekannt, dass diese Ausbildung äußerst hart ist und viele scheitern. Brennan schaffte es. Was er in seiner Militärzeit erlebte, bleibt seltsamerweise vielfach ausgespart. Es war sicherlich kein Sonntagsspaziergang.

Es gibt so viele Brüche in seinem Leben, so viele Widersprüchlichkeiten. Ein Beispiel: Von den Marines ins Priesterseminar. Gegensätzlicher geht es nicht mehr. Aber es scheint, als sei er nun bei sich selbst angekommen. Doch auch das war nicht von Dauer.

Glücklich war er im einfachen Leben bei den "kleinen Brüdern". Brennan schreibt, sobald er 80 % von dem erreicht habe was er sich vornahm, trieb es ihn weiterzugehen. Es erinnert an einen Menschen, der nie ganz ankommt, immer auf Reisen oder besser der Suche ist.

Selbst als ihm neben der Liebe zu Gott auch die Liebe zu einer Frau begegnete, erreichte er nicht das gesteckte Ziel. Um die Ehe eingehen zu können, ließ er sich wieder in den Laienstand versetzen. Aber der Alkohol hatte ihn bereits dermaßen im Griff, dass er für Tage ohne Vorwarnung in einem Hotelzimmer verschwand und sich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrank. Selbst seine Frau wusste dann nicht, wo er sich aufhielt. Dass diese Ehe nicht halten konnte, versteht sich von selbst. Als Leser möchte man diesen Mann an den Schultern packen, durchschütteln und ihm ins Gesicht schreien, er solle festhalten, was er hält. Es bleibt die Frage, ob er hingehört hätte.

Brennan war ein begnadeter Redner, brachte damit Freude, Glück und Perspektiven in das Leben seiner Zuhörer, nur sein eigenes Leben wollte ihm nicht recht gelingen. Mir kam der Gedanke, dass er die anderen Menschen liebte, nur mit sich selbst ging er nicht achtsam um.

Am Ende seiner Tage, pflegebedürftig und gezeichnet von schwerer Krankheit söhnte er sich mit seinem Leben aus, denn was er nie verloren hatte war seine Liebe zu Gott und die Hoffnung auf dessen Gnade.

Bewertung vom 21.03.2017
Das Buch der Spiegel
Chirovici, Eugene O.

Das Buch der Spiegel


ausgezeichnet

Recht und Ordnung. Gerechtigkeit? Wahrhaftigkeit. Wahrnehmung. Meine Wahrheit, deine Wahrheit oder die Wahrheit eines Anderen?

Diese Schlagworte spukten während des Lesens dieses spannenden Romans immer wieder in meinem Kopf herum und meldeten sich zu Wort.

Das Buch wird in 3 Zeitebenen erzählt.

Zu Beginn dieses Romans weckt eine mail - mit einem Manuskript als Anhang - das Interesse des Adressaten Peter Katz, ein Literaturagent. Richard Flynn, der Absender, beschreibt darin, dass er vor 27 Jahren in Princeton Anglistik studierte, während dieser Zeit eine Wohnung mit einer Studentin teilte, die während dieser Zeit auch seine Geliebte wurde, durch diese Frau mit Professor Wieder in Kontakt kam und ohne es zu wollen, in eine tragische Geschichte involviert wurde. Erst jetzt, so viele Jahre später sei er auf die Wahrheit gestoßen. Da bricht das Manuskript ab. Doch Katz könne Kontakt aufnehmen und die restlichen Seiten erhalten.

Spätestens ab S 11 - hier beginnt der Abdruck des Manuskripts - überkommt den Leser ein "Fieber", hinter dieses Geheimnis zu kommen, das ans Licht der Öffentlichkeit soll.

Wir lernen Professor Wieder kennen und bekommen gleich eine kleine Lehrstunde in Sachen Wahrheit und Wahrnehmung (S.77-82). Dabei werden wir als Leser immer wieder mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unser Gedächtnis betreffend konfrontiert, dass es einem zu denken gibt. Sind wir tatsächlich so leicht zu manipulieren? Uns wird vor Augen geführt, dass einem das Gedächtnis dramatische Ereignisse vorspiegeln kann, die so nie stattgefunden haben.

Neugierig geworden, will Katz auch den Rest des Manuskrips lesen, doch der Autor ist zwischenzeitlich verstorben. Allerdings ist nun die Neugierde und das Jagdfieber des Agenten geweckt, so dass er versucht, mit eigenen Nachforschungen die Wahrheit zu ergründen.

Ein Verwirrspiel nimmt seinen Lauf, ohne befriedigendes Ergebnis.

Im zweiten Teil wird die Geschichte aus der Sicht von John Keller erzählt. Auch hier geht es um Wahrheit und Wahrnehmung, die uns aber ganz anders begegnen als zuvor. Teilhabende Menschen scheinen mehrere und vor allem unterschiedliche Gesichter zu haben. Welches Gesicht ist nun ihr tatsächliches?

Im dritten Abschnitt versucht Roy Freeman endgültig Licht in das Dunkel zu bringen. Durch Matt (ein Polizist), der in der Strafanstalt arbeitet, kommt er in Kontakt mit Frank Spoel, einem Gefangenen im Todestrakt. Diesem bleiben noch 58 Tage bis zu seiner Hinrichtung und er will reinen Tisch machen. Wer nun glaubt, es gäbe eine einfach Lösung und Aufklärung, der sieht sich getäuscht.

Bemerkenswert die Aussage auf S. 229: ".... Spoel beklagt sich, dass man ihn ins Irrenhaus gesteckt hat, obwohl er geistig gesund war, aber normalerweise ist es andersrum. Wusstest du, dass ein Drittel aller Insassen von Hochsicherheitsgefängnissen eine Schraube locker haben? ....... Da die psychiatrischen Kliniken völlig überfüllt sind, haben die echten Irren gute Chancen, in einer Haftanstalt mit normalen Insassen zu landen." Solche oder ähnliche Aussagen finden sich über den ganzen Roman verteilt.

Die Menschen denen wir in diesem Roman begegnen, sind nur selten die, die sie zu sein vorgeben. Auch der nette und menschenfreundliche Professor Wieder war ein Meister der Verschleierung seiner Motive und seiner selbst.

Dass diese Buch kein simples Ende haben kann, versteht sich wohl von selbst.

Die Spannung in diesem Roman hielt mich von der ersten bis zur letzten Seite gefangen. Dem Leser bietet sich ein Verwirrspiel der besonderen Klasse. So vieles wird in Frage gestellt, dass man sich irgendwann fragt, wieweit man seinen eigenen Wahrnehmungen im alltäglichen Leben tatsächlich trauen kann.

Von mir bekommt dieses Buch auf jeden Fall die vollen Sternchen und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 28.02.2017
Geteilte Hölle
Räuber, Michael

Geteilte Hölle


sehr gut

Mit dieser Rezi habe ich mich schwer getan. Kann jemand, der im Westen geboren und aufgewachsen ist, ein Buch über das Leben in der ehemaligen DDR rezensieren? Wir, die wir reisen konnten wohin wir wollten, in der Öffentlichkeit reden durften wie uns der Schnabel gewachsen war (ohne zu überlegen ob die Familie dafür bestrafen werden könnte), verstehen wir überhaupt, was es für die Menschen in der ehemaligen DDR bedeutete, dort in diesen ganzen Begrenzungen aufzuwachsen und sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren? Mit dem Verstand können wir es erfassen - aber nachempfinden, wie die Menschen sich fühlten? Ich glaube nicht.

Das Buch beginnt nach dem Mauerfall, als die Ärztin Maria sich entschließt, eine Reise in die Vergangenheit zu machen, die sie längst hinter sich glaubte.

Rückblick

Wir erfahren von ihrer damaligen Zugreise zu dem Ort, wo sie als junge Frau eine Stelle als Kinderärztin antreten wird. Schon da wird der Leser erstmals mit der Allmacht der Staatsbediensteten konfrontiert.

Maria ist eine nette und liebenswerte Ärztin, die ihren Beruf ernst nimmt und in ihrem christlichen Glauben verwurzelt ist. Um so schlimmer trifft sie die Erkenntnis, dass der örtliche Pfarrer seine Position ausnützt, das Vertrauen, das ihm die Menschen entgegen bringen mißbraucht, die Kinder verprügelt, wahrscheinlich sogar mehr. Dieses "Mehr" wird nur angedeutet.

Da setzt das Unverständnis von mir ein. Welche Mütter oder gar Eltern stimmen zu, dass ihre Kinder wegen Ungehorsam vom Pfarrer verprügelt werden? Wie der Autor schreibt, ist dies ein autobiographisch gefärbter Roman. Also gehe ich davon aus, dass diese Passage der Realität entspricht. Waren diese Übergriffe deshalb möglich, weil die Leute daran gewöhnt waren, der Obrigkeit zu gehorchen?

Zwischen Maria und einem geschiedenen Kollegen am Krankenhaus, einem Charmeur der keinen Hehl daraus macht, dass er sich auch mal gerne von Krankenschwestern verwöhnen lässt, entspinnt sich eine Liebesgeschichte. Was für den Arzt als Flirt beginnt, entwickelt sich für beide Seiten zu einer tiefen Liebe.

Aber da ist auch die Stasi, die Allmacht des Staates, die das Paar zu spüren bekommt. Am Ende sieht Maria nur einen Ausweg, wenn sie sich treu bleiben und das Wohle ihrer kleinen Patienten nicht aufs Spiel setzen will. Das ganze Ausmaß ihrer Entscheidung will ich nicht verraten. Es ist aber atemraubend.

Was der Autor über das Alltagsleben schreibt, liest sich ganz schön heftig und man fragt sich, wie haben das die Menschen nur so viele Jahre ausgehalten? Das Umwerben der Bürger für die Stasi zu arbeiten kommt zur Sprache, als auch der Druck, mit dem diese Forderung umgesetzt werden soll. Dass selbst an einem kleinen Kreiskrankenhaus Leute des Staates platziert waren deren Aufgabe darin bestand, über die Angestellten zu "wachen" und dafür zu sorgen, dass alles den gewünschen Gang nimmt, führt dem Leser die Allmacht der Obrigkeit, ihrer Helfer als auch Helfershelfer vor Augen.

Diese biographisch gefärbten Geschichte, die viel Spannung in sich birgt, ist auf jeden Fall 5 Sternchen wert. Allerdings ist mir die Sprache an mehreren Stellen zu hölzern und emotionslos. An einigen Abschnitten ist von einer hilfsbereiten alten Frau die Rede, die dann meist "die Alte" genannt wird. Solch eine Bezeichnung, für einen im Grunde liebenswerten Menschen, geht nicht. Das ist abwertend. Der Sprache wegen ziehe ich ein Sternchen ab.

Generell kann ich dieses Buch nur empfehlen. Vielleicht hilft es uns "Wessis", das Leben der Menschen im Osten der Republik in der Zeit vor dem Mauerfall besser zu verstehen oder es unterstützt Eltern und Großelter der Generation DDR, ihren Kindern und Enkeln zu erklären, "so war es damals und so haben wir gelebt/deshalb hielten wir es dort nicht mehr aus und mussten weg".

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.02.2017
Die Liebeserklärung
Blondel, Jean-Philippe

Die Liebeserklärung


sehr gut

Diese handliche und liebenswerte Büchlein "Die Liebeserklärung" von Jean-Philippe Blondel, umfasst einmal gerade 159 Seiten und lässt sich somit bequem in einer Hand- oder auch Jackentasche unterbringen und überallhin mitnehmen. Es ist ein gut lesbarer Roman, mit dem man die morgendliche Zugfahrt zur Arbeit, die Wartezeit beim Arzt oder ein verregnetes Wochenende auf der Couch ausfüllen kann.

Der Protagonist Corentin steigt eher durch Zufall bei seinem Onkel in das Unternehmen des Hochzeitsfilmers ein und wird zum Ansprechpartner von Brautpaaren und (Schwieger)Eltern für den schönsten Tag im Leben. Möglichst unsichtbar soll er sich verhalten - weshalb er meist an einem Tisch abseits der gewünschten Gäste platziert wird - bei den Leuten, die eingeladen werden müssen, auf deren Anwesenheit aber kaum Wert gelegt wird. Trotzdem soll er die wichtigsten Szenen dieses Tages filmen.

Im Mittelpunkt dieses Buchen stehen jedoch weder Corentin noch sein Onkel, sondern die unterschiedlichen Arten, wie dieser "schönste Tag im Leben" gefeiert wird. Beim Lesen merkt man, hier hat ein genauer Beobachter die Feierlichkeiten in präzise Worte gefasst. Z. B. Seite 39 ".... Catherine, die inzwischen ein Kleid trägt, das dem ihrer Schwiegertochter ähnlich sieht, herumstolziert, sich vergewissert dass alle Gäste zufrieden und die Bedienungen höflich sind . ,...... Catherine, die Königin dieses Fests..." Diese Schwiegermutter hatte ich beim Lesen in ihrer ganzen zur Schau gestellten Perfektion vor Augen - in ihrem Wunsch, ein unvergessliches Fest organisiert zu haben und sich damit selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Oder auf Seite 29/30 nochmals über Catherine: "... die allem Anschein nach eine der einflussreichsten Personen des Dorfes ist, obwohl sie sich nicht in den Gemeinderat wählen ließ, um weiterhin in aller Ruhe kritisieren zu können. ...." Ach ja, wer kennt solche Besserwisser nicht! Diese Menschen gleichen sich und man begegnet ihnen wohl überall.

Beim Lesen stellt man fest, es gibt die unterschiedlichsten Gründe, ein rauschendes Hochzeitsfest auszurichten. Nicht immer entspringt diese Feier dem Wunsch des Brautpaares, sondern der Demonstration für den Freundes- und Bekanntenkreis, was man sich alles leisten kann und wie außergewöhnlich man ist. Es gibt Brautleute, die schon am Tag der Hochzeit am liebsten wieder ihre Sachen packen und das Weite suchen würden, als auch ganz intime Liebesbekenntnisse in die Kamera, abseits des ganzen Trubels. Da fällt plötzlich all das Gekünstelte ab und es werden ehrliche Worte gesprochen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Gegen Ende der Hochzeitssaison hängen Corentin die vielen delikaten Schnittchen, der Lachs und die süßen Sahnekuchen zum Hals raus. Zwischen all dem Saus und Braus kommt aber auch Corentins brachliegendes Liebesleben zur Sprache. Welch ein Gegensatz!

Das Ende ist dann völlig überraschend und man wundert sich, wie ein Autor auf nur 159 Seiten diese unterschiedlichsten Ausführungen zum selben Thema zu erzählen vermag.

Bewertung vom 05.02.2017
Heimwärts über das Eis
Persson, Gunilla L.

Heimwärts über das Eis


ausgezeichnet

Eis. Eiseskälte. Eiskaltes Herz.

Das Thema Eis spiegelt sich bereits in der Farbe des Covers wider. Ein eisiges Blau. So geht es über viele Seiten, dass man bei dieser verstörenden Eiseskälte, die dieses Buch umgibt, als Leser schon glaubt zu erfrieren.

Erzählt werden zwei Geschichten, die untrennbar miteinander verwoben sind. 1914 wandert eine Gruppe junger Menschen über das Eis nach Hause. Obwohl das Wetter umschlägt, sind sie trotzdem der Meinung, ihnen kann nichts passieren, denn Werner besitzt einen Kompass, der ihm den richtigen Weg weist. Liegt es an dem Metallring - den er an seinem Finger trägt und später Kyra geben will - dass der Kompass nicht den richtigen Weg anzeigt? Oder hat er sich überschätzt, kann den Kompass gar nicht handhaben? Diese Frage bleibt offen.

Die jungen Menschen, die zu einer lustigen Unternehmung aufgebrochen sind, verirren sich in diesem entsetzlichen Schneesturm, können kaum mehr auf Knien vorwärtsrutschen, verlieren die Orientierung.

Dieses unerträglich Unglück verändert alles auf dieser kleinen Insel. Unsägliche Trauer bricht über die dort ansässigen Familien herein. Wo früher Freundschaft herrschte, ist von diesem Tag an Eiszeit.

Die Autorin schafft es, den Leser mitten in dieses Unwetter zu schicken, dass man spürt, als sich die Schneeflocken wie tausend Nadeln ins Gesicht bohren und einem die beißende Kälte über den Rücken kriecht, die Finger gefühllos werden lässt. Es ist ein nordischer Roman, manchmal düster wie die dunklen Nächte, doch dann ist es wieder sternenklar. Aber es wird auch Frühling.

Zeitwechsel.

Gleichzeitig wird die heutige Geschichte von Hermann und Ellinor erzählt, die sich vor vielen Jahren einmal liebten. Doch Ellinor kann sich an nichts mehr erinnern. Hat Hermann sie einmal geküsst? Sie weiß es nicht. Die Erinnerung ist ausgelöscht. Ellinor hat sich in ihr Schicksal ergeben. Sie geht hinkend durchs Leben, hat sich damit abgefunden nur ab und zu mal einen Sommermann zu haben, ansonsten das Schärentaxi ihres Vaters zu fahren, diesen zu pflegen seit er nicht mehr gehen kann und ans Zimmer gefesselt ist, in den Sommermonaten den Kindern der Gäste zuzuhören und ansonsten möglichst nichts mehr zu fühlen. Sie lebt, hat aber kein eigenes Leben, ist innerlich wie zu Eis erstarrt.

Erst als Hermann zurück auf die Insel kommt das Haus seines Vaters zu verkaufen und dabei wieder auf Ellinor trifft, anfängt ihre Nähe zu suchen, taut dieses Eis endlich in ihr auf. Ellinor fängt an, sich zu erinnern. Auf einmal weiß sie wieder, was das Knarren dieser Treppenstufe, über die sie täglich gehen muss wenn sie ihrem Vater das Essen bringt, ausgelöst hat.

Dieses nordisch Unterkühlte zieht sich von der ersten bis zur letzten Seite durch dieses Buch. Die Kargheit der Insel ist stets gegenwärtig, genau so wie die Wildheit und Unbezähmbarkeit der Natur. Selbst die Sprache ist dieser Umgebung angepasst. Aber mir gefallen die Lebensgeschichten der Bewohner dieser Schäreninsel.