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atzekrobo
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Zeven
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Bücherfreak

Bewertungen

Insgesamt 176 Bewertungen
Bewertung vom 03.07.2015
Überleben beim Fußball
Uschmann, Oliver

Überleben beim Fußball


ausgezeichnet

Eine mehr als lesenswerte Anekdotensammlung
„Überleben beim Fußball“ dreht sich um die liebste Freizeit-Beschäftigung der Deutschen – und ist keineswegs nur für Fachleute geschrieben. Zwar werden die Experten sich in so mancher Episode wiedererkennen, aber auch dem Fußball allenfalls lose verbundene Leser dürften bei der Lektüre jede Menge Spaß haben. Oliver Uschmann geht auf verschiedene Bereiche und Aspekte ein. Zunächst stellt er die Spielertypen vor – unter anderem den „Beau“, den „6er“ und auch den „10er“. Der Autor nennt populäre Beispiele für seine Eingruppierungen, und ich musste mir so manche Lachträne bei der Lektüre abwischen, oder zuweilen anerkennend nicken.
Bei den Zuschauern geht es um Ultras, Fachleute und so genannte Couch-Potatoes. Aber Uschmann beschreibt auch die „Alten“, die sich auf jedem Fußballplatz finden, und sei es in der tiefsten Provinz. Ausführlich werden die verschiedenen Spieltypen beschrieben – vom Abstiegskampf bis zum WM-Qualifikationsspiel. Rituale und Phänomene, die wichtigsten Phrasen und ihre Bedeutung, eine kleine, aber höchst amüsante Länderkunde – und schließlich die Verlängerung, das Schlusskapitel. Oliver Uschmann formuliert höchst anschaulich und unterhaltsam. Er beschränkt sich keineswegs auf Klischees, sondern zeigt auch seinen Respekt vor dem Sport und seinen Protagonisten – auf und neben dem Platz. Man kann das Buch von vorne bis hinten lesen, oder einfach so hier und da darin „herumschmökern“. Manches wird man vielleicht auch mehrfach lesen, weil es einfach unterhaltsam ist. Anekdoten, Erinnerungen und Gedankenspiele – hier wird eine lesenswerte Sammlung rund um den Fußball geboten. Wirklich lesenswert und zu empfehlen.

Bewertung vom 03.07.2015
Ich Pfeife!
Schröder, Christoph

Ich Pfeife!


ausgezeichnet

Aus dem Leben eines Amateur-Schiedsrichters

Wer selbst einige Jahre im Amateurfußball zwischen 5. Liga und unterster Spielklasse unterwegs war, wird das offene und amüsante Buch von Christoph Schröder über alle Maßen schätzen. Er schildert darin, welchen Zumutungen sich die Schiedsrichter im Amateurfußball teilweise aussetzen müssen – aber auch welche Reinform des Fußballs sie oft erleben. Der Autor ist Literaturkritiker und pfeift seit vielen Jahren in den Ligen seines Heimat-Bundeslandes Hessen. Und da hat er einiges erlebt. Kabinen für Schiedsrichter, die diesen Namen oft nicht im Ansatz verdienen. Bessere Abstellräume, keineswegs immer mit eigener Nasszelle ausgestattet. Dafür steht dort zuweilen das einzige Festnetztelefon des gastgebenden Vereins. Oder die Waschmaschine für die Spielkleidung.
Beim Lesen hatte ich fast ständig ein Schmunzeln auf den Lippen, nicht weil ich selbst Schiedsrichter bin, sondern weil ich solche Verhältnisse bei kleinen Provinzvereinen eben kenne, als Spieler, Trainer, Funktionär. Und ich kenne auch die von Schröder beschriebene Kommunikation der Vereine mit den Lokalzeitungen. Da werden der Endstand, die Torschützen, und auch besondere Vorkommnisse abgefragt. Und nicht selten findet der Schiedsrichter Erwähnung, immer eingefärbt durch die jeweilige Vereinsbrille.
Bücher über den Fußball auf allen Ebenen und seine Randerscheinungen gibt es inzwischen eine ganze Menge, diese ist nach meinem Kenntnisstand das erste Werk über die Schiedsrichter im Amateurbereich. Geschrieben von einem Insider, füllt Christoph Schröders Buch hier eine Lücke – und das Werk ist sicherlich eines der besten Fußballbücher des Jahres. Es gehört schon Mut dazu, sich als Schiedsrichter auf den Platz zu wagen, und Schröder macht ganz deutlich, dass man das Fußballspiel auch lieben sollte – andernfalls setzt mach sich diesen Anfeindungen kaum aus.
Der Autor zeigt gesunde Selbstironie, und begegnet so überaus souverän der Geringschätzung seines Hobbys. Seine eigenen Erfahrungen verknüpft Schröder mit Beispielen aus dem großen Fußball. Als Journalist ist er in der Lage, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Das zeigt sich gut in einem Zitat: „Viel interessanter als die Frage, warum man Schiedsrichter geworden ist, ist die, warum man es auch geblieben ist.“ Das Buch soll ein wenig von der Antwort vermitteln – und es ist auch sonst eine überaus angenehme Lektüre. Denn der Autor hat hier eine Liebeserklärung an den Amateurfußball zu Papier gebracht, wie es ihn nur noch in der Provinz gibt. Kreisligaspiele, die ganze Dörfer auf die Beine bringen. Holprige Plätze, schlecht markiert oder gemäht. Und dann die vielen Originale - auf und neben dem Platz. Wer das Buch gelesen hat, wird etwas mehr Verständnis für die Schiedsrichter aufbringen – das hoffe ich jedenfalls.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.04.2015
Orient-Express
Dos Passos, John

Orient-Express


ausgezeichnet

Der Orientexpress verkehrte einst zwischen Paris und Konstantinopel – und die unvergleichliche Agatha Christie hat diesem legendären Zug in ihrem Roman „Mord im Orient-Express“ eine Art literarisches Denkmal geschaffen. Aber auch der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos ist 1921 – lange bevor er berühmt wurde – mit dem Zug nach Konstantinopel gefahren, um von dort aus das so genannte Morgenland zu bereisen. Insofern ist der Titel dieser Reiseerzählung etwas irreführend, denn beschrieben wird die Reise durch die Türkei, Georgien, Armenien, Persien, den Irak und Syrien. Der Autor hat später 42 Romane verfasst, vor allem „Manhattan Transfer“ hat ihm Weltruhm gebracht.
Im Zug, zu Pferd, zu Fuß, mit dem Auto, dem Schiff und schließlich auf dem Kamel sucht der amerikanische Autor seinen Weg durch Wind und Hitze. Und wurde macht sich dabei unter anderem zum Chronisten eines Massakers der Truppen Mustafa Kemals, des späteren Begründers der modernen Türkei. Aber er dokumentiert auch das Elend zahlreicher Flüchtlinge, die in den Wirren der damaligen Kriege umher irren. Was er damals zu Papier brachte, hört sich auch heute noch hochinteressant an. John Dos Passos ist vollkommen klar, dass Menschen aus Europa oder Amerika viele eigene Anschauungen auf den Orient projizieren. So äußert er eine gewisse Abscheu vor den in seiner Heimat verbreiteten romantischen Orientklischees, die allerdings auch dort gepflegt werden. Insgesamt eine hörens- oder lesenswerte Erzählung, die viel Kopf-Kino und Stoff zum Nachdenken bietet.

Bewertung vom 30.03.2015
Felsenfest / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.6 (6 Audio-CDs)
Maurer, Jörg

Felsenfest / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.6 (6 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Jörg Maurer ist ein viel gelesener und gehörter Spezialist für bayrische Regionalkrimis. Mit deftigem Humor, Spannung und bajuwarischer Mundart macht er die von ihm selbst gelesenen Hörbücher zu einem echten Erlebnis. Sein schelmischer Erzählstil und die satirischen Seitenhiebe sind in eine gut strukturierte Handlung eingebettet. Beim Klassentreffen am Gipfelkreuz einen Entführer mit Lady-Gaga-Maske und Maschinenpistole zu präsentieren sorgt gleich für den rasanten Einstieg. Als dann ein 700 Jahre alter Vertrag ins Spiel gebracht wird, der vom Ehepaar Grasegger –Maurer-Lesern oder -Hörern bestens bekannt – geht so richtig die Post ab. Es geht in dem Buch jedoch nicht um Verschwörungstheorien, sondern frühere Herrscher haben den aktuellen Regierungskreisen eine Art juristisches Kuckucksei hinterlassen.
Jörg Maurer hat eine feste Fan-Gemeinde, bei der vor allem seine selbst gelesenen Hörbücher hoch im Kurs stehen. Der Autor versteht es, auf einem gleichbleibend hohen Niveau zu unterhalten. Die witzigen Einträge im Online-Klassenbuch sind wirklich humorig, und der historische Rückblick gibt der Geschichte den notwendigen Background. Die Jennerwein-Reihe ist ebenso spannend wie originell, und durch den ausgeklügelten Hintergrund wird das Buch zu absoluten Hörvergnügen. Ich freue mich schon jetzt auf die nächste Folge der Reihe.

Bewertung vom 20.03.2015
Landschaften der Lüge
Fuchs, Jürgen

Landschaften der Lüge


ausgezeichnet

Betroffener gibt eindrucksvolle Einblicke in die Praxis der SED-Diktatur
Die auf diesem Hörbuch zusammengeschnittenen Gespräche hat Jürgen Fuchs nicht mit dem Ziel geführt, sie in dieser Form zu publizieren. „Landschaften der Lüge“ war vielmehr der Titel einer Artikelserie über die Unterdrückungskultur in der DDR, den Fuchs Anfang der 90er Jahre für den Spiegel geschrieben hat. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat diese Zusammenstellung mit Unterstützung von Deutschlandradio Kultur produzieren lassen, und dafür passenderweise den Titel der damaligen Artikel-Serie gewählt.
Vier Jahrzehnte hielt sich die Diktatur in Ostdeutschland, viele Menschen wurden bei ihrer Arbeit und im Privatleben von diesen Lebensbedingungen geprägt. Das gilt auch für Jürgen Fuchs, in der Bundesrepublik eher als Bürgerrechtler denn als Schriftsteller bekannt. Er wurde kurz vor seinem Examen als Psychologe politisch zwangsexmatrikuliert, und 1977 von den Machthabern aus der DDR in den Westen abgeschoben. Wer damals seine bei Rowohlt verlegten Gedächtnis- und Verhörprotokolle gelesen hat, bekam einen mehr als erschreckenden Eindruck von den menschenverachtenden Praktiken der Staatssicherheit in der DDR. Ich fand diese Bücher von Jürgen Fuchs damals überaus eindrucksvoll.
In den hier dokumentierten Gesprächen, die in den 90er Jahren mit Jürgen Fuchs geführt wurden, beschreibt der Psychologe und Bürgerrechtler unter anderem, welche psychischen Auswirkungen das Leben in der SED-Diktatur auf die Menschen im östlichen Teil Deutschlands hatte und welche langfristigen Nachwirkungen nach seiner Auffassung zu beobachten waren. Der Mensch Jürgen Fuchs und sein jahrelanger Kampf gegen die Unterdrückung und ihre Folgen wird hier einprägsam sicht- und hörbar. Ein hochinteressantes Hörbuch, vor allem für politisch und historisch Interessierte – aber nicht nur für diese Zielgruppe.

Bewertung vom 19.03.2015
Krieg der Generationen
Opoczynski, Michael

Krieg der Generationen


ausgezeichnet

Ein wichtiges Buch zu einem Thema, dass alle betrifft

Michael Opoczynski, Redakteur der ZDF-Sendung WISO und bekannter Wirtschaftspublizist, hat ein Debattenbuch vorgelegt, das ihm ein Herzensanliegen ist. In Talkshows und Fernsehauftritten hat er das Thema bereits seit längerer Zeit immer wieder dargestellt. Es geht ihm in „Krieg der Generationen: Und warum unsere Jugend ihn bald verloren hat“ um das Verhalten seiner eigenen Generation gegenüber der heutigen Jugend. Der Autor prangert die nach seiner Ansicht verheerenden Zustände in Deutschland an, wo den Menschen von Politikern stabile und sichere Lebensverhältnisse suggeriert werden.
In 10 Kapiteln analysiert Michael Opoczynski den nach seiner Auffassung schwer kranken Patienten Deutschland. „Gelähmtes Land oder: Politik im Stillstand“; „Ein Land im Griff der Rentner oder: Was bei der Altersversorgung schief läuft“; „Ein Land, das verlernt hat zu lernen oder: Warum Ihr nicht zu viel wissen sollt“; „Ein Land verbraucht sich selber oder: Wir wollten es nicht wahrhaben“; „Marodes Land oder: Infrastruktur auf Verschleiß“; „Ein Land im Arbeits- und Verbrauchsmodus oder: Die Unternehmen gewinnen immer“; „Ein Land als Untertan der Investoren oder: Das haben wir so nicht gewollt“; „Ein Land will Spaß oder: Das wird man sich doch noch gönnen dürfen“; „Ein Land im Abwärtstrend oder: Wir hadern mit Freunden, Nachbarn und Flüchtlingen“; und schließlich „Was tun“.
Der Autor macht seinen Lesern deutlich, dass man nur gemeinsam bestehen könne. Dafür müsse eine lebenswerte Zukunft gestaltet werden, zu der alle beitragen können und müssen. Ansonsten werde der Generationenkrieg das Land zerstören. Die Ursachen liegen für Opoczynski auf der Hand: Viele unter den Alten genießen das Leben in vollen Zügen, zugleich wissen die Jungen noch gar nicht, dass sie jetzt schon für dieses Verhalten zahlen – und ihre Zeche in Zukunft noch größer wird. Ihnen ist nicht klar, dass sie es mit zunehmendem Alter eher wenig komfortabel haben werden. Der Autor führt aus, dass die Jungen für die Altersversorgung der vorhergehenden Generationen arbeiten sollen. Gleichzeitig ist das Arbeitsleben härter geworden, und viele müssen mit schlechteren Löhnen auskommen, ohne sich für ihr Alter absichern zu können. Vielen werde das erst bewusst, wenn es um die Gründung einer eigenen Familie gehe.
„Ich wünsche mir Fairness unter den Generationen. Es geht nicht darum, den oder jenen schuldig zu nennen. Oder andere wegen ihrer Passivität anzuklagen. Es geht darum, dass wir – solange wir es noch können – dazu beitragen, den Wandel einzuleiten. Damit es nicht irgendwann heißt: Wir, die Alten, hätten zerstört und nicht aufgebaut. Aus Gedankenlosigkeit, aus Eigennutz, aus Selbstsucht. Ich will mir das nicht nachsagen lassen. Und ich hoffe sehr. Die anderen meiner Generation auch nicht“, schreibt Opoczynski.
Wegweisend finde ich, dass er auch die Rolle der Beamtenschaft in Frage stellt. Der Autor fragt, ob es sein muss, dass zwei Millionen Beamte in Deutschland mit hohen Gehältern, lukrativen Vergünstigungen und traumhaften Rentenansprüchen ausgestattet werden - zu Lasten von Millionen von Menschen, die kaum ihr Existenzminimum erwirtschaften trotz intensiver Arbeit? Insgesamt ist das Buch ein wichtiger und lesenswerter Beitrag zu einer Debatte, die zweifellos geführt werden muss. Ohne sich dabei zu zerfleischen und mit großer Ernsthaftigkeit.

Bewertung vom 11.02.2015
Die Sterntaler-Verschwörung / Kommissar Marthaler Bd.5 (6 Audio-CDs)
Seghers, Jan

Die Sterntaler-Verschwörung / Kommissar Marthaler Bd.5 (6 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Ein spannendes Hörvergnügern

Jan Seghers hat erneut einen spannenden Roman vorgelegt - eine Mischung aus Polit-Thriller und klassischem Krimi. Der Mix ist gut gelungen, denn die Hintergründe der Geschichte sind glänzend recherchiert und im Roman umgesetzt. Die Akteure aus der hessischen Landespolitik bekommen andere Namen, aber sie sind dennoch klar zu identifizieren. Die „Sterntaler-Verschwörung“ hat ihren Ursprung in der Staatskanzlei. Im Roman heißt der Ministerpräsident Rolf-Peter Becker statt Roland Koch, SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wird Sabine Xanthopoulos genannt. Becker wirkt eher hilflos, der Plan für die Rückeroberung der Macht wird daher vom Regierungssprecher Udo Klotz – in der Realität hieß der Mann Dirk Metz - geschmiedet.
Um nicht zu viel zu verraten sei hier nur gesagt, dass Seghers viele Handlungssträne beginnt, und der Hörer im ersten Drittel des Romans kaum erfasst, wie das alles zusammen hängt. Der Autor ist ein guter Geschichtenerzähler, sein Stil fesselnd, die Sprache angemessen, und die Dialoge ausgefeilt. Matthias Koeberlin brilliert einmal mehr als Sprecher deieses Hörbuchs. „Die Sterntaler-Verschwörung“ ist ein kurzweiliges und spannendes Hörvergnügen, dass man in aller Ruhe und mit möglichst wenigen Unterbrechungen genießen sollte.

Bewertung vom 24.01.2015
Das Dorf (6 Audio-CDs)
Strobel, Arno

Das Dorf (6 Audio-CDs)


gut

Arno Strobel hat schon einige Psycho-Thriller geschrieben. „Das Dorf“ hat einen guten Plot, aber der Autor hätte deutlich mehr daraus machen können. Ab einem bestimmten Punkt wird die Geschichte vorhersehbar, zumindest dann, wenn man schon den einen oder anderen Roman von Arno Strobel gelesen oder gehört hat.
Wer zum ersten Mal einen Psycho-Thriller dieses Autors in die Hand nimmt, wird das wohl anders beurteilen. Potenzielle Leser/Hörer solltensich nicht abhalten lassen, dieses Buch zu lesen oder zu hören, denn seinen flüssigen und gefälligen Schreibstil hat Arno Strobel auch hier wieder zu Papier gebracht. Die Dialoge sind glaubwürdig und authentisch, bei den Figuren hätte ich mir allerdings insgesamt mehr Sorgfalt gewünscht.
Sascha Rotermund sorgt als Sprecher dafür, dass die dunkle Atmosphäre in dem Dorf und die phasenweise Verzweiflung des Protagonisten gut spürbar werden. Die psychologischen Raffinessen sorgen zudem dafür, dass Spannung erzeugt wird. Und Bastian Thanner ist eine durchaus sympathische Figur, mit der man als Leser/Hörer gerne mitfiebert. Die Frage, was seiner Fantasie entsprungen ist, oder was doch real sein könnte, wird für viele Leser/Hörer lange offen bleiben. Allerdings hätte die Kulisse etwas umfangreicher ausgeschmückt werden können. Und auch die unheimliche Gruppe, die dort offenbar ihr dunkles Unwesen treibt, hätte man dem Leser/Hörer noch näher bringen können. Das Rätsel, ob in dem merkwürdigen Dorf wirklich satanische Messen oder ähnliche Zusammenkünfte abgehalten werden, sorgt für nachhaltiges Rätseln beim Leser. Insgesamt fehlt jedoch der Feinschliff, den ich aus den vorigen Büchern des Autors gewohnt war.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.10.2014
Die 100 besten Spiele aller Zeiten
Jürgens, Tim;Köster, Philipp

Die 100 besten Spiele aller Zeiten


ausgezeichnet

Wechselbäder der Gefühle nacherleben

Ist es nicht vermessen, eine Rangliste der 100 besten Fußballspiele aller Zeiten aufzustellen? Irgendwie schon. Aber dann auch wieder nicht. Denn so ein Vorhaben ist erstens ungemein reizvoll, für die Autoren und für die Leser. Und zweitens kann es nur vorläufigen Charakter haben, denn es wird ja weiter Fußball gespielt. In zehn oder zwanzig Jahren wird eine Neuauflage des Werkes also unter Umständen komplett umgeschrieben werden müssen.
Die beiden Chefredakteure des Magazins „11 Freunde“, Tim Jürgens und Philipp Köster, hatten zu einer Abstimmung über die besten Fußballspiele aller Zeiten aufgerufen und die Ergebnisse in der Zeitschrift präsentiert. Im Buch findet sich eine überarbeitete und erweitere Version dieser Top 100.
Zu erwarten war, dass der erste Platz vom so genannten „Wunder von Bern“, dem WM-Endspiel von 1954, belegt wird. Aber die Redaktion der „11 Freunde“ – und ihre Leserschaft – besteht aus ungewöhnlich kenntnisreichen Freunden des runden Leders. Die Wahl des besten Spiels aller Zeiten ist daher eigentlich gar nicht so überraschend. Im März 1986 wurde im Europapokal der Pokalsieger ein unvergessliches deutsch-deutsches Duell ausgetragen, das angesichts einer dramatischen Aufholjagd für Spieler und Zuschauer unvergessen bleiben wird.
Bayer Uerdingen hatte das Hinspiel im Viertelfinale bei Dynamo Dresden mit 0:2 verloren, und lag im Rückspiel zur Pause scheinbar hoffnungslos mit 1:3 zurück. Fünf Tore wäre nach der Halbzeit zum Einzug ins Halbfinale nötig gewesen – und das Geschehen in der Grotenburg-Kampfbahn bleibt daher unübertroffen. Nach einem schnellen Anschlusstor spielten sich das Team von Trainer Karl-Heinz Feldkamp in einen wahren Rausch und siegte am Ende mit 7:3. Das „Wunder von Bern“ sowie einige Verlängerungsspiele der deutschen Nationalmannschaft folgen auf den Plätzen.
Jedes Spiel wird mit einer Doppelseite abgehandelt, es gibt einen Spielbericht, ein Foto, ein Zitat und den unvermeidlichen Statistikteil. Als Kontrast zur Subjektivität der Autoren kommen vorab Prominente wie Sönke Wortmann oder Hertha-Manager Michael Preetz zu Wort, die beschreiben dürfen, welches Fußballspiel besonderen Einfluss auf ihr Leben hatte. Abschließend werden alle 100 Spiele noch einmal kompakt auf einer Seite aufgelistet, man kann sich also auch einzelne Partien problemlos heraussuchen. Das Buch ist nicht nur für Fußball-Fans ein tolles Nachschlagewerk – hier können Wechselbäder der Gefühle noch einmal nacherlebt werden.

Bewertung vom 18.10.2014
Vergesst Auschwitz!
Broder, Henryk M.

Vergesst Auschwitz!


sehr gut

Überaus lesbare Polemik eines klugen Kopfes

Henryk M. Broder ist mein persönlicher Lieblings-Polemiker. Man muss nicht alle seine Ansichten teilen, das tue ich auch nicht, aber es ist eben immer wieder ein Vergnügen, seine mit scharfer Feder geschriebenen Streitschriften zu lesen – und sei es, um sich der eigenen Meinung zu vergewissern. Broder versteht es außerordentlich gut, den Deutschen ihre selektive Wahrnehmung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Palästinensern und vor Augen zu halten. Broder ist außerdem so ziemlich der einzige Publizist, der sich traut, bei diesem Thema zuweilen gegen den Trend der veröffentlichten Meinung zu schreiben.
Henryk M. Broder attackiert auch in seinem Buch „Vergesst Auschwitz!“ abermals seine liebsten Feinde – die politische Linke, die in seinen Augen den nicht mehr akzeptablen Antisemitismus in einen tolerierten Antizionismus umgewandelt hat, um eine Art von Absolution für Verbrechen ihrer Vorfahren zu bekommen. Für Broder-Kenner kein wirklich neuer Vorwurf. Er ist sich aber auch bewusst, dass er es sich ziemlich einfach macht. Broder weist zwar richtigerweise darauf hin, dass die von Islamisten verwendete Argumentation, die Moslems seine die neuen Juden, überaus gern von der Linken übernommen wird. Dennoch ist seine Gleichsetzung von Kritik an der israelischen Politik mit einem neuen Antizionismus ziemlich weit hergeholt.
Seine Polemik gipfelt in der Forderung, vollständig auf die so genannte „Erinnerungskultur“ im Hinblick auf die Verbrechen im Dritten Reich zu verzichten. Das ist in Broders Augen allemal besser als die „verlogenen und heuchlerischen“ Rituale der Vergangenheitsbewältigung zu pflegen. Dennoch will Broder natürlich auf keinen Fall, dass diese Verbrechen vergessen werden, sein Buch soll ja genau das Gegenteil bewirken. Er stellt jegliche Kritik am Staat Israel und dessen Politik unter den wohlfeilen Verdacht des Antizionismus. „Vergesst Auschwitz!“ ist ein Buch, wie sie Henryk M. Broder gerne schreibt. Allerdings kann er sich kaum von seinen eigenen Vorurteilen frei machen. Wer den 11. September und die israelische Politik anders sieht, ist für Broder ein Antizionist und Antiamerikaner. Das ist natürlich Unsinn, macht die überaus lesbare Polemik dieses klugen Autors aber nicht weniger interessant.