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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 29.02.2016
Superkuchen! 90 % Frucht - 10 % Teig
Martin, Mélanie

Superkuchen! 90 % Frucht - 10 % Teig


sehr gut

Süße und salzige Backwaren, die nur zu einem Zehntel aus Teig bestehen und somit die Kohlenhydratzufuhr reglementieren, liegen voll im Trend. Gerade im Zuge der Low Carb-Welle lohnt es, sich die Methode, die die Französin Mélanie Martin in ihrem neuen Backbuch „Superkuchen! 90 % Frucht – 10 % Teig: Die neue Leichtigkeit – süß und pikant“ vorstellt, einmal näher anzuschauen.

Inspiriert wurde sie laut eigener Aussage von dem Apfelkuchen-Rezept einer kanadischen Foodbloggerin, das sie entsprechend abgewandelt und variiert hat. Das Ergebnis sind die in Frankreich unter dem Namen „Gateau invisible“ bekannten Kuchen, wobei die Bezeichnung „Kuchen“ meiner Meinung nach nicht zutreffend ist. Warum das so ist, werde ich später erläutern.

Nun zu Martins Backbuch. Die Autorin startet einleitenden mit Grundsätzlichem, dem man zwingend Beachtung schenken muss, wenn man nach ihrem System backen möchte. Ganz gleich, ob süß oder herzhaft – die verwendeten Früchte und Gemüse sollten auf jeden Fall fest sein, sodass man sie in feine Scheiben hobeln kann, um sie danach mit dem Teig zu vermischen. Die Rezepte sind ausnahmslos für eine kleine Backform ausgelegt, rund oder eckig, im Durchmesser bzw. mit der Kantenlänge von 20 cm.

Unterteilt sind die Rezepte in drei Kategorien: Süße Klassiker (sehr apfellastige Rubrik: Apfel mit Vanille, Apfel mit Birne, Apfel mit Salzkaramell), Exotisch und neu (Ananas, Kaki, Kiwi etc.) und Herzhaft (überwiegend mit Kartoffeln in allen Variationen: mit Käse, mit Schinken, mit Champignons). Als innovativ und abwechslungsreich würde ich das nicht wirklich nicht bezeichnen.

Die Rezepte werden auf einer Doppelseite präsentiert. Eine Seite zeigt ein Foto des fertigen Backwerks, die andere Seite beschreibt dessen Zubereitung. Hier fehlen mir aber eindeutig die Nährwertangaben, wie Zucker-, Fett- und Kohlenhydratmengen in Gramm, berechnet auf das gesamte Endprodukt.

Nachdem ich zwei Rezepte getestet habe, scheue ich mich fast, das Ergebnis als Kuchen zu bezeichnen. Für mich ist es eher ein Nachtisch als ein Kuchen, es fehlt durch die geringe Teigmenge einfach an der gebäckartigen Konsistenz. Und der Saft, den die Früchte während des Backens abgeben, macht aus der ganzen Sache eine reichlich feuchte Angelegenheit. Ein „Superkuchen“ ist es auf alle Fälle nicht, aber als Dessert mit einer Kugel Vanilleeis geht es ohne Einschränkung durch.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.02.2016
Die Rose der Welt (Restexemplar)
Prange, Peter

Die Rose der Welt (Restexemplar)


sehr gut

Die Bücher Peter Pranges sind die ideale Lektüre für all jene, die historische Fakten zu ungewöhnlichen Themen in Romanform lesen möchten. Und damit meine ich nicht diese Trivialschmonzetten à la Wanderhure. Der international erfolgreiche Autor wählt die Themen seiner historischen Romane nicht willkürlich, im Gegenteil. Er möchte im Rahmen der zehnbändigen „Weltenbauer-Reihe“ die Geschichte Europas erzählen, wobei er den Schwerpunkt auf Personen und Ereignisse legt, die unser Denken und Handeln nicht nur maßgeblich geprägt, sondern auch verändert haben.

Sein neuester Roman trägt den Titel „Die Rose der Welt“. Mit diesem im wahrsten Sinne des Wortes blumigen Namen wird die Pariser Sorbonne bezeichnet, die erste Universität weltweit. Diese steht nicht nur Adel und Klerus offen, sondern bietet auch den Angehörigen niederer Stände die Möglichkeit von Bildung, gesellschaftlichem Aufstieg und gesichertem Einkommen. Danach streben auch die beiden Protagonisten Robert und Paul, aber das Schicksal hat andere Pläne. Eine einfache Wirtshausschlägerei endet durch den Einsatz der Soldaten des Stadtvogts in einem Blutbad und hat weitreichende Folgen. Es bilden sich zwei Lager, auf der einen Seite die Lehrenden und ihre Studenten, auf der anderen Seite die Vertreter von Klerus und Staat. Die Fronten sind verhärtet, man findet keinen gemeinsamen Nenner, und so kommt es zum ersten Vorlesungsstreik in der Geschichte. Letztendlich geht es um die Freiheit von Forschung und Lehre, und auch Robert und Paul müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen.

Peter Prange hat wie immer akribisch recherchiert und die zusammengetragenen Fakten zu einem interessanten historischen Roman verarbeitet, der fast schon als populärwissenschaftliches Werk gelten kann. Zwar verzichtet er auch nicht auf die für dieses Genre typische Beziehungsgeschichte, setzt diese aber sehr verhalten und immer im Sinne des eigentlichen Themas ein. Ihm geht es um die Entwicklung, die Emanzipation des Denkens, das sich aus der Bevormundung von Kirche und Obrigkeit lösen muss, um Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen und so Fortschritt zu ermöglichen.

Bewertung vom 24.02.2016
Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9
Läckberg, Camilla

Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9


ausgezeichnet

Die Schwedin Camilla Läckberg ist eine wohltuende Ausnahmeerscheinung im Heer der skandinavischen Schriftsteller, die seit einigen Jahren die Regale der Buchhandlungen füllen. Im Gegensatz zu ihren meist männlichen Autorenkollegen, deren Protagonisten überproportional häufig mit psychischen und Suchtproblemen zu kämpfen haben und mit dem Leben hadern, beschreibt Läckberg den - fast - normalen Alltag in der schwedischen Provinz sowie das Familienleben der beiden Hauptfiguren, Kommissar Patrik Hedström und dessen Frau Erica Falck, einer Schriftstellerin, deren Beharrlichkeit bei Recherchen ihren Ehemann bei seinen Ermittlungen durchaus des Öfteren auf die richtige Spur führt.

Im neunten Band der Hedström/Falck-Reihe „Die Schneelöwin“ wird Patriks Kommissariat mit einem Fall konfrontiert, der zunächst unlösbar scheint. Ein bereits vor längerer Zeit verschwundenes Mädchen ist plötzlich wieder aufgetaucht, das offensichtlich über einen längeren Zeitraum unbeschreiblichen Misshandlungen ausgesetzt war. Blind, taub und stumm, stirbt der Teenager nach kurzem Krankenhausaufenthalt. Wer ist der Täter, und welche Motive hat er?

Neue Erkenntnisse in diesem Fall bringt Ericas Kontakt mit einer Inhaftierten, die des Mordes beschuldigt wird. Deren Tochter war angeblich das Böse in Person und wurde deshalb mit schweren Ketten im Keller der Familie gefangen gehalten. Sagt die Mutter die Wahrheit, oder will sie jemanden schützen?

Durch die vergleichsweise kurzen Kapitel, die wechselnden Perspektiven und die verschiedenen Zeiten kommt von Beginn an Tempo in die Geschichte. Läckberg erzählt wie immer flüssig, schreibt gefällig und baut genügend Cliffhanger ein, damit das Interesse des Lesers nicht abflaut.

Es ist das Kennzeichen ihrer Kriminalromane, dass immer verschiedene Handlungsstränge parallel verlaufen. Üblicherweise haben weit zurückliegende Ereignisse massive Auswirkungen auf aktuelle Verbrechen in der Gegenwart. Und immer wieder fügt Camilla Läckberg diese beiden Geschichten nach und nach behutsam und stimmig zusammen, sodass am Ende keine offenen Fragen übrig bleiben. Auflockernd wirken hier auch die Einschübe, die das Familienleben von Patrik und Erica schildern. Dies bringt eine gewisse Leichtigkeit in die Geschichte, die leider Gottes auch nicht auf die mittlerweile fast in jedem Krimi/Thriller beschriebenen Brutalitäten auskommt.

Bei der Bewertung zaudere ich ein wenig, schwanke zwischen drei und vier Sternen. Da die Autorin das Vergangenheit/Gegenwart-Muster nun schon zum wiederholten Male bemüht, kann man bereits relativ früh die richtigen Schlüsse ziehen und die entsprechenden Verbindungen schaffen. Hier würde ich mir mehr innovative Ideen der Autorin wünschen. Die Fähigkeiten dazu hat sie auf alle Fälle.

Bewertung vom 24.02.2016
Pasta & Sauce aus 1 Topf
Perrin, Emilie

Pasta & Sauce aus 1 Topf


sehr gut

Wenn der Hunger groß, aber die Zeit knapp ist, bietet das Kochbuch „Pasta & Sauce aus einem Topf: Blitzschnelle Nudelgerichte“ von Emilie Perrin jede Menge Anregungen für die Zubereitung einer schnellen, aber auch wohlschmeckenden Mahlzeit. Nudeln mag fast jeder, und die entsprechenden Zutaten, die zusammen mit diesen gegart werden, bieten für jeden Geschmack etwas.

Die Idee, Pasta und Sauce in einem Topf zuzubereiten, stammt ursprünglich von der amerikanischen Fernsehköchin Martha Stewart, die aus Spaghetti, Tomaten, Zwiebeln und Basilikum das ursprüngliche Gericht kreierte. In der Zwischenzeit wurde dieses Rezept in unzähligen Variationen weiterentwickelt, die Zutaten ausgewechselt, sodass eigentlich nun nur noch der ursprüngliche Gedanke des Kochens in einem Topf auf sie zurückzuführen ist.

Auch Emilie Perrin, die französischen Kochbuch-Autorin und Food-Bloggerin, hat sich dieses Themas angenommen und mit „Pasta & Sauce aus einem Topf“ ihre Rezepte veröffentlicht. Vorangestellt hat sie hilfreiche Tipps z. B. dass kleinere Nudelsorten gleichmäßiger garen und man sich immer exakt an die vorgegebene Menge Flüssigkeit halten soll.

Die Rezepte an sich sind in drei Kategorien aufgeteilt: Traditionell, Aus aller Welt und Vegetarisch, wobei diese Einteilung aber nicht durchgängig konsequent durchgehalten wird, denn vegetarische Zubereitungen sind auch bei den internationalen und traditionellen Rezepten zu finden. Einschränkend muss aber bemerkt werden, dass diese leider nur sehr spärlich vertreten sind. Die Mengen sind in der Regel für 4 Personen angegeben, wobei aber die 200 gr Nudeln, die jedem Rezept zugrunde liegen eher spärlich bemessen sind.

Jedes Gericht wird auf einer Doppelseite vorgestellt, wobei eine Seite ein Foto der Mahlzeit vor oder aber nach dem Kochvorgang zeigt, die andere Seite ist der Zubereitung und der Auflistung der jeweiligen Zutaten gewidmet. Für mich etwas gewöhnungsbedürftig war, denn zuerst wird die Zutat und erst dann die benötigte Menge genannt. Das habe ich bisher so noch in keinem Kochbuch gesehen. Die Anweisungen an sich sind kurz und knapp gehalten und beschränken sich auf das Wesentliche.

Emilie Perrin hat ein Kochbuch für jeden Tag geschrieben. Mit ihren Rezepten hat sie die Pasta zwar nicht neu erfunden, bietet aber sowohl blutigen Anfängern als auch Fortgeschrittenen durchaus die Möglichkeit, auf die Schnelle ein leckeres Essen auf den Tisch zu bekommen.

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Bewertung vom 23.02.2016
Bull Mountain Bd.1
Panowich, Brian

Bull Mountain Bd.1


ausgezeichnet

Was Daniel Woodrell die Ozarks in Missouri, ist Brian Panowich der Bull Mountain in Georgia. Beides Gegenden irgendwo im Nirgendwo, in denen die Uhren anders gehen und man nach seinen eigenen Gesetzen lebt.

Mit „Bull Mountain“ hat der Amerikaner Brian Panowich einen beachtlichen Erstling geschrieben. Schriftsteller ist er bisher nur im Nebenberuf, hauptberuflich verdient er sein Geld als Feuerwehrmann. Glücklicherweise, denn wie ich in einem Interview mit ihm gelesen habe, nutzt er die Zeit auf der Feuerwache zum Schreiben - aber natürlich nur dann, wenn keine Brände zu löschen sind. Die Reaktionen auf das Debüt fielen durchweg positiv aus, ein Autorenkollege zog sogar John Steinbeck zum Vergleich heran.

Country, Southern und Hillbilly, immer mit dem Attribut „Noir“ versehen, sind die Schlagworte, die ich im Zusammenhangmit Panowichs Roman gelesen habe. Alle zutreffend, denn „Bull Mountain“ ist sowohl eine breit angelegte Familiensaga in einer der vergessenen Regionen der Vereinigten Staaten als auch eine Geschichte über ungleiche Brüder und Vater-Sohn-Beziehungen, aber auch ein harter Kriminalroman, der nichts mit heimeligem Landleben zu tun hat.

Die Burroughs sind so, wie man sich eine typische Redneck-Familie vorstellt. Seit Generationen leben sie auf dem Bull Mountain im nördlichen Georgia und bestreiten ihren Lebensunterhalt durch die Herstellung und den Vertrieb illegaler Substanzen. Während der Prohibition ist es der schwarzgebrannte Schnaps“, als damit kein Geld mehr zu verdienen ist, wird Cannabis angebaut, und mittlerweile verspricht das Kochen und Verkaufen von Crystal Meth satte Profite. Die Söhne werden bereits früh von ihren Vätern auf Linie gebracht, wenn es darum geht, die Familienehre, bzw. was immer auch der Burroughs-Clan darunter versteht, zu schützen. Und exzessive Gewaltanwendung bis hin zum Tod ist ein Mittel, um Abweichler aus den eigenen Reihen zu bestrafen, Blutsbande hin oder her.

So ist es fast schon verwunderlich, dass es Clayton gewagt hat, dem Familiengeschäft den Rücken zu kehren und sich zum Sheriff wählen zu lassen. Wenn es sich vermeiden lässt, meidet er den Kontakt mit seinem Bruder Halford, dem König des Bull Mountain, der das Familiengeschäft fortgeführt und ausgebaut hat. Bis zu dem Tag, an dem Simon Holly, ein Agent des ATF, auftaucht und ihm einen Vorschlag unterbreitet. Das ATF ermittelt gegen einen dicken Fisch in Florida, mit dem Halford Geschäfte macht. Und Halford kann seine Haut nur dann retten, wenn er ihn verpfeift. Genau dazu soll Clayton seinen Bruder überreden, und nach einigem Zögern macht er sich auf den Weg in die Höhle des Löwen. Die Frage ist nur, ob er sich auf Hollys Wort verlassen kann, oder ob dieser ein Spiel spielt, dessen Regeln nur er kennt.

Es sind über sechzig Jahre in der Geschichte des Burroughs-Clans, die Brian Panowich beschreibt. Dabei ist seine Erzählung nicht linear aufgebaut, sondern wechselt in der Zeit hin und her. Aus verschiedenen Perspektiven wird der Blick des Lesers auf prägende Ereignisse in der Familie gelenkt. Diese Momentaufnahmen erscheinen zu Beginn recht willkürlich und zusammenhanglos, fügen sich aber im Verlauf des Romans zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Große Gefühle, Familienehre, Liebe, Loyalität, Tragik und Hass, hier ist alles zu finden.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit Elmore Leonards „Justified“ kann „Bull Mountain“ meiner Meinung nach nicht leugnen, und Ähnlichkeiten zwischen den Crowders und den Burroughs sind in groben Zügen zweifelsohne vorhanden. Aber die Art, in der Brian Panowich seine Geschichte entwickelt, ist exzellent, und damit kann eine TV-Serie nun doch nicht so ganz mithalten. Ganz großes Kino, Mr Panowich!

Bewertung vom 23.02.2016
Alles Licht, das wir nicht sehen
Doerr, Anthony

Alles Licht, das wir nicht sehen


sehr gut

Mit „Alles Licht, das wir nicht sehen“ hat der Autor Anthony Doerr offenbar bei den amerikanischen Lesern voll ins Schwarze getroffen. Wie sonst ließe sich die Fülle von Auszeichnungen erklären, die dieser Roman erhalten hat? Finalist des National Book Award 2014, Auszeichnung der New York Times Book Review als bestes Buch 2014 und als Krönung Pulitzer Preis Literatur 2015, um nur einige zu nennen. Es muss wohl an den Themen liegen, die Anthony Doerr verarbeitet hat, denn das ist es, was die amerikanischen Leser an der europäischen Historie fasziniert.

Dreh- und Angelpunkt des Romans sind die Französin Marie-Laure und Werner, ein junger deutscher Funkspezialist, die sich zwar nur kurz begegnen, deren Schicksal aber untrennbar miteinander verknüpft ist. Doerr erzählt die Geschichte der beiden von frühester Kindheit an, jede für sich getrennt. In kurzen Momentaufnahmen aus wechselnden Perspektiven macht er die Leser mit ihnen und ihrer persönlichen Historie vertraut, wobei er aber auch immer die zeitgeschichtlichen Ereignisse im Blick behält.

Der Zweite Weltkrieg erschüttert Europa, und Marie-Laure lebt mit ihrem Vater in Paris. Er arbeitet dort im naturhistorischen Museum, das einen ganz besonderen Schatz beherbergt, einen Diamanten von außergewöhnlicher Größe, dem magische Kräfte zugeschrieben werden. Er soll seinem Besitzer ewiges Leben garantieren, gleichzeitig aber alle anderen, die demjenigen etwas bedeuten, mit Unglück überhäufen. Als die Invasion droht, muss der Diamant in Sicherheit gebracht werden, und so machen sich Marie-Laure und ihr Vater auf den Weg nach Saint-Malo in der Bretagne. Und dort werden sich Marie-Laure und Werner finden und wieder verlieren.

Zahlreiche Rückblenden, die weit in die Vergangenheit der beiden Protagonisten zurückreichen, runden das Gesamtbild ab. Zusätzlich versorgen die realitätsnahen Beschreibungen des Kriegsalltags die Geschichte mit dem entsprechenden Zeitkolorit. Worauf man allerdings gut hätte verzichten können, ist der besessene Stabsfeldwebel auf der Suche nach dem Diamanten. Total überzeichnet, fast schon eine Karikatur, ist dieser Handlungsstrang nur insofern relevant, als er Einzelepisoden miteinander verbinden kann.

Es ist ein Kaleidoskop kleiner Momentaufnahmen, aus denen Anthony Doerr die Geschichte von Marie-Laure und Werner zusammensetzt. Diese Art des Erzählens erfordert einen aufmerksamen Leser, wobei es weniger die Perspektivwechsel als vielmehr die permanenten Zeitsprünge und unterschiedlichen Schwerpunkte sind, die die jeweiligen, meist sehr kurzen, Abschnitten bestimmen. Es sind schnelle Schnitte, die des Öfteren das Gefühl vermitteln, man befände sich in einem Videoclip, was den Lesefluss erheblich stört.

Der Autor verwendet eine sehr bildhafte Sprache, die vor Adjektiven nur so strotzt. Da wirken „Bäume wie skelettierte Hände, deren Blätter am Himmel flüstern“. Zu überladen, zu schwülstig, zu süßlich - hier möchte man dem Autor zurufen „show, don’t tell“.

Das Schicksal eines blinden Mädchen, der Zweite Weltkrieg und die Nationalsozialisten, ein deutscher Soldat mit goldenem Herzen, die französische Résistance, ein Edelstein, dem magische Kräfte zugeschrieben werden und um dessen Besitz ein heißer Kampf entbrennt, und last but not least eine zarte Liebesgeschichte. Sie meinen, das hört sich nach einer wilden Mischung an? Ja, das ist es auch. Keine große Literatur, und meiner Meinung nach nicht unbedingt ein Pulitzer-Kandidat, wenn man es mit den Werken früherer Preisträger wie Cormac McCarthy, Philip Roth oder Donna Tartt vergleicht - aber dennoch eine unterhaltsame Lektüre.

Bewertung vom 15.02.2016
Götter der Schuld
Connelly, Michael

Götter der Schuld


ausgezeichnet

Der amerikanische Autor Michael Connelly, ehemals als Polizeireporter und Journalist tätig, begann seine Karriere als Thrillerautor Anfang der neunziger Jahre mit der Reihe um den LAPD Detective Harry Bosch. Mit steter Regelmäßigkeit wuchs diese jedes Jahr um einen Band an, mittlerweile liegen achtzehn Bände in deutscher Übersetzung vor.

2005 erschien dann zum ersten Mal Mickey Haller, der „Lincoln Lawyer“, unter dem deutschen Titel „Der Mandant“ auf der Bildfläche. Haller ist Strafverteidiger und hat seine Kanzlei in einem Lincoln Town Car, in dem er sich quer durch Los Angeles zum Gericht, seinen Klienten oder auch, wenn seine Verteidigung nicht erfolgreich war, zu den verschiedenen Gefängnissen chauffieren lässt.

Auch in „Götter der Schuld“ hat sich daran nichts geändert, mit einer kleinen Ausnahme. In der Zwischenzeit wurde nämlich ein Film über Haller gedreht, der offenbar einigen Anwälten als Anlass diente, die Idee mit dem Büro im Town Car zu imitieren. Und so steht nun doch das eine oder andere Mal mehr als ein Lincoln vor dem Gerichtsgebäude. Ein netter Kniff des Autors, der so auch die Verfilmung seines Romans eingearbeitet hat.

Diesmal sind es gleich zwei alte Fälle, die Haller beschäftigen, wobei einer davon, der eigentlich im letzten Band abgeschossen schien, gravierende Auswirkungen auf sein Privatleben hat. Der alkoholisierte Fahrer, für den er einen Freispruch erreichte, hat einen Unfall mit Todesfolge verursacht. Eine Mutter und ihre Tochter sind die Opfer, Bekannte seiner Tochter Hayley, die Haller die Schuld an deren Tod gibt und deshalb nichts mehr mit ihm zu tun haben will.

Und dann ist da noch der Mord an Gloria Dayton, eine Prostituierte und ehemalige Mandantin, die Haller im Zuge einer Absprache der DEA als Informantin zugeführt hat. Nun ist sie tot, scheinbar ermordet von ihrem Zuhälter, der aber jede Schuld von sich weist und Mickey mit seiner Verteidigung beauftragt. Dieser kämpft mit heftigen Schuldgefühlen und fühlt sich verantwortlich für Glorias Tod, da er vermutet, dass das Drogenkartell dabei die Finger im Spiel hatte.

Michael Connelly ist mit fast dreißig Thrillern ein alter Hase im Geschäft, aber dennoch hat man bei seinen Büchern nie den Eindruck, als seien sie nach Schema F geschrieben. Routiniert eröffnet er verschiedene Handlungsstränge und verbindet diese absolut schlüssig. Ein wichtiges Kriterium einer Reihe ist die Entwicklung der Figuren, und auch hier punktet der Autor. Er konzentriert sich nämlich nicht nur auf seinen Protagonisten, sondern widmet sich auch den Mitgliedern von Mickeys Team. Ob das nun die Ex-Frau Lorna oder der Chauffeur Earl ist, jeder setzt seine besonderen Eigenschaften nutzbringend für die Fälle ein.

Bisher dachte ich bei Justizthrillern in erster Linie an John Grisham und Scott Turow, aber mittlerweile gehört auch Michael Connelly definitiv in diese Reihe. Und wer noch nicht das Vergnügen hatte, sich die Verfilmung „Der Mandant“ mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle anzuschauen, sollte das schnellstens nachholen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.02.2016
In der Sackgasse
Kerrigan, Gene

In der Sackgasse


ausgezeichnet

Der Dubliner Autor Gene Kerrigan ist gelernter Journalist, und dass ihn die wirtschaftliche und politische Situation in seinem Heimatland umtreibt, ist den zahlreichen Beiträgen zu entnehmen, die er seit vielen Jahren für unter anderem für den Sunday Independent schreibt. Ebenfalls aus seiner Feder stammen zahlreiche Sachbücher, aber auch einige „schwarze“ Kriminalromane. Von letzteren sind mittlerweile zwei in der deutschen Übersetzung im Polar Verlag erschienen: „Die Wut“ und „In der Sackgasse“, wobei dieser bereits 2009 im Original erschienen ist.

Wie bereits in dem Vorgänger ist auch in Kerrigans aktuellem Roman „In der Sackgasse“ der Handlungsort Dublin. Die Immobilienblase ist geplatzt, der „keltische Tiger“ zu einem Kätzchen mutiert, die Finanzkrise steht vor der Tür. Nicht nur das Großkapital ist aufgeschreckt, auch innerhalb der Dubliner Unterwelt haben die Revier- und Verteilungskämpfe begonnen, denn Ganoven jeder Couleur wollen sich noch ihr Stück vom Kuchen sichern. Natürlich kommt hierbei auch den eine oder andere gewaltsam zu Tode, aber das wird in diesem Milieu billigend in Kauf genommen.

Aber es gibt auch noch schwere Jungs mit einer persönlichen Moral. Bestes Beispiel hierfür ist Danny Callaghan, nach einer längeren Haftstrafe gerade frisch aus dem Knast entlassen. Acht lange Jahre hat er abgesessen, verurteilt wegen Totschlag an einem windigen Typen namens Brendan Tucker, dessen Bruder Rache geschworen hat. Aber das ist nicht das einzige Problem, das Danny hat, denn auch einer der großen Bosse der Dubliner Unterwelt ist hinter ihm her, hat er dessen Handlangern doch durch die gewagte Rettungsaktion eines Kleinkriminellen die Tour vermasselt. Danny gerät zwischen die Fronten, es scheint, alles wären alle verfügbaren Gangster nicht nur hinter ihm, sondern auch hinter den Menschen aus seinem persönlichen Umfeld her. Und plötzlich muss er Dinge tun, die er eigentlich mit seinem Gewissen eigentlich nicht vereinbaren kann, um diese zu schützen.

Wenn es um Geld, Macht und Einfluss geht, unterscheiden sich die Methoden skrupelloser Anzugträger kaum von denen der Kriminellen. Da wird gedroht, erpresst und Gewalt angewendet, um den letzten Aufrechten in die kriminelle Spur zu bringen. Diese Botschaft vermittelt der Autor in seinem Roman. Integrität, persönliche Moral und Anstand bleiben auf der Strecke, wenn es nur noch darum geht, die eigene Haut zu retten. Kein Wunder, dass sein Protagonist „in der Sackgasse“ landet.

Kerrigan fängt die Atmosphäre in der irischen Metropole jenseits der Glaspaläste ein und entwickelt ein stimmiges Panorama dieser Zeit vor dem Crash. Natürlich ist das für uns bloße Spekulation, aber so könnte es durchaus in der Dubliner Unterwelt abgegangen sein. Tempo von Anfang an, ein sympathischer Protagonist und diverse unerwartete Wendungen machen aus „In der Sackgasse“ eine spannende Lektüre.

Bewertung vom 09.02.2016
Zwischen mir und der Welt
Coates, Ta-Nehisi

Zwischen mir und der Welt


ausgezeichnet

Ta-Nehisi Coates schreibt für das amerikanische Monatsmagazin „The Atlantic“ und wurde für seine Essays bereits mehrfach ausgezeichnet. Außerdem ist er der Autor des für den National Book Award nominierten Bestsellers „Between the world and me“, der nun unter dem Titel „Zwischen mir und der Welt“ in der Übersetzung vorliegt (veröffentlicht bei Hanser, übersetzt von Miriam Mandelkow). Es ist ein Brief an seinen fünfzehnjährigen Sohn Samori und gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Rassismus und amerikanischer Identität.

Coates wächst auf in den Ghettos von Baltimore in einer intellektuellen und politisch aktiven Familie, Studium an der Afroamerikanern vorbehaltenen Howard University in Washington D.C., danach als Journalist für diverse Printmedien tätig, bis er schließlich bei der Monatszeitschrift „The Atlantic“ landet. Aber selbst sein Status als in der Öffentlichkeit stehender Autor ändert nichts an der Tatsache, dass er in erster Linie als Afroamerikaner wahrgenommen wird. Und daran hat auch die Präsidentschaft Obamas nichts geändert.

Dass in der amerikanischen Gesellschaft der Alltag von Rassismus geprägt ist, dürfte mittlerweile jedem klar sein, der die Nachrichten verfolgt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von Übergriffen weißer Polizisten in den Medien die Rede ist. Und fast immer ist es die Hautfarbe, die Personenkontrollen, Verfolgungsjagden und/oder den Einsatz von Schlagstöcken und Schusswaffen auslöst: Rodney King, Eric Garner und Michael Brown, aber auch Ta-Nehisi Coates haben es erlebt. Was bleibt ist die Ohnmacht gegenüber dem System, die täglichen Diskriminierungen und das Wissen, dass der über Jahrhunderte gelebte Rassismus das Fundament ist, auf dem die amerikanische Gesellschaft basiert und ihren Wohlstand gründet. Es sind eindringliche Worte, die er an seinen Sohn richtet. Und da ist kein Optimismus zu spüren, kein „wir werden es ändern“, sondern nur ein „so ist es“. Der amerikanische Traum ist für Afroamerikaner längst ausgeträumt.

„Zwischen mir und der Welt“ ist der Brief eines Vaters, der sich um die Sicherheit seines heranwachsenden Sohnes sorgt und diesen dafür sensibilisieren will, was ihn in der Welt dort draußen erwartet. Eine eindringliche und beeindruckende Bestandsaufnahme. Und eine schonungslose Auseinandersetzung mit dem täglichen Rassismus, der alle Bereiche des täglichen Lebens beeinflusst. Aber auch eine Mahnung für uns Mitteleuropäer, ganz besonders im Zeichen der Zuwandererströme.

Bewertung vom 05.02.2016
Bedenke, was du tust / Inspector Lynley Bd.19
George, Elizabeth

Bedenke, was du tust / Inspector Lynley Bd.19


ausgezeichnet

Ich möchte eine Lanze für Elizabeth George brechen. Die Leser der Lynley/Havers-Reihe, die noch immer Kriminalromane erwarten, sollten bemerkt haben, dass seit geraumer Zeit diese Bücher verlagsseitig bereits auf dem Schutzumschlag als Roman bezeichnet werden. Der Todesfall ist mittlerweile nur noch Beiwerk, das tragische Ende. Der Schwerpunkt der Autorin liegt in der Charakterisierung der Personen und in der Beschreibung des unheilvollen Beziehungsgeflechts, innerhalb dessen sie sich bewegen. Und das macht sie mit Bravour!

Diese Verlagerung des Schwerpunkts ist bei George seit dem gewaltsamen Tod von Thomas Lynleys Frau Helen zu beobachten, und auch in den nachfolgenden Romanen ist sie dieser Linie treu geblieben. Unter diesem Aspekt betrachtet, fügt sich der aktuelle, neunzehnte Band der Reihe, „Bedenke, was du tust“ (erschienen bei Goldmann, in der Übersetzung von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann), hier nahtlos ein.

Im Zentrum der Handlung steht Caroline Goldacre, und die Geschichte beginnt mit dem Selbstmord ihres Sohnes Will. Ehefrau und Mutter beschuldigen sich wechselseitig für dessen Tod verantwortlich zu sein und hassen sich bis aufs Blut. Dass Caroline kein einfacher Charakter ist, zeigt sich auch an dem Verhältnis zu ihrem Ehemann, den sie mit ihren Verbalattacken und ihrer offensichtlichen Verachtung dazu bringt, sie zu verlassen. Und auch ihre Arbeitgeberin Clare Abbott, eine feministische Autorin, hat unter ihren Launen zu leiden. Es scheint, als hätte Caroline die Autorin in der Hand, würde über Insiderwissen verfügen, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Doch dann wird Clare Abbott tot in ihrem Hotelzimmer aufgefunden, sie wurde vergiftet, und es stellt sich die Frage nach dem Mörder.

Da Barbara Havers die Autorin von einer Lesung kannte und sympathisch fand, möchte sie den Fall unbedingt übernehmen. Aber weil sie noch immer wegen der „italienischen Affäre“ auf Bewährung ist, muss sich Lynley einschalten, um die Chefin zu überzeugen. Gemeinsam mit ihrem „Aufpasser“ Winston Nkata beginnt Havers zu ermitteln und fördert äußerst intime Geheimnisse der Akteure zutage. Die Frage ist nur, würde jemand töten, um zu verhindern, dass diese öffentlich werden?

Reine Krimileser werden eher enttäuscht sein, denn Mord und Totschlag treten in diesem Roman in den Hintergrund. Und auch Havers und Lynley bleiben blass, hier ist kaum eine Entwicklung zu erkennen. Speziell bei Havers sollte sich Frau George jetzt bremsen, denn mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass ihre optische Erscheinung nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht und ihrer Chefin ein Dorn im Auge ist.

Ganz anders die psychologische Komponente des Romans. Die Autorin zeichnet das Bild einer dysfunktionalen Familie so bravourös, wie ich es bisher selten gelesen habe. Die manipulative Mutter, der durchsetzungsschwache Stiefvater - die Beschreibungen runden die Persönlichkeiten und verleihen ihnen Tiefe. Aber gleichzeitig sezieren sie auch die komplizierten und verhängnisvollen Familienstrukturen bis ins Detail. Das ist einfach nur großartig!

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.