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yellowdog

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Insgesamt 2029 Bewertungen
Bewertung vom 13.05.2021
Weiches Begräbnis
Fang, Fang

Weiches Begräbnis


ausgezeichnet

Verdrängte Vergangenheit

Ein wichtiger Roman einer bedeutenden chinesischen Autorin. Erzählt wird von einer jungen Frau, die verletzt aus dem Fluß geborgen wurde. Sie hat anscheinend ein Trauma erlebt und das Gedächtnis verloren. Sie heiratet ihren Retter, Dr. Wu, bekommt ein Kind und wird früh Witwe. Erst als ihr Sohn schon erwachsen ist, kommen frühe Erinnerungen, die sie in einen katalonischen Zustand versetzen.
Ich denke, man muss dieses Schicksal exemplarisch lesen als Beispiel für eine Generation, die Vergangene s verdrängte
Es gibt Rückblicke, aber auch viele Passagen mit Quinlin, ihren Sohn. ER beginnt schließlich selbst über die Vergangenheit nachzuforschen, liest das Tagebuch seines verstorbenen Vaters und besucht die alte Heimat der Mutter.

Fang Fang schreibt ansprechend und zugängig. Sie arbeitet die Emotionen der Figuren vorsichtig heraus, ohne ihnen dabei zu Nahe zu treten. Eine Qualität.

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Bewertung vom 11.05.2021
Von unterwegs
Nickel, Eckhart

Von unterwegs


sehr gut

Eckhart Nickel erzählt in dieser Textsammlung von Reiseerfahrungen und stellt viele interessante Bezüge her. Bei mir, der mehr literarisch als real auf Reisen war, verfangen sich viele literarische und filmische Verweise. Bruce Chatwin, Max Frisch, Dürrenmatt, immer wieder Thomas Mann, Jack London, Grand Budapest Hotel, Der englische Patient und andere.
Nickel schafft das schon kurzen Kapiteln, zum Beispiel das einseitige Dünen. Da bleibt es nicht aus an Kobo Abes Die Frau in den Dünen zu denken.
Auch sehr schön das Kapitel über Pensionen und der Roman/Film Zimmer mit Aussicht.
Über Mode auf Reisen geht es bei Tim und Struppi. Überhaupt gehen Eckhart Nickels häufig in die Kindheit, verschiedene Erinnerungen werden geweckt und nicht selten auch beim Leser.
Zwar verfangen nicht alle Anspielungen, aber immerhin doch viele. Doch die Postkarten am Ende gingen an mir vorbei. Doch das macht nichts, denn Nickel schreibt durch seine vielen Verweise auch sehr klug über die verschiedenen Länder, die er besucht hat.

Bewertung vom 11.05.2021
Die Rebellion der Alfonsina Strada
Baldelli, Simona

Die Rebellion der Alfonsina Strada


ausgezeichnet

Die Rebellion der Alfonsina Strada ist ein schöne Romanbiografie, die ich gerne gelesen habe.
Alfonsina wurde 1891 in Italien geboren. Die Familie lebte in Armut, aber Alfonsina war schon als Kind von Fahrradfahren begeistert und merkte schnell ihre große Begabung. Mit 13 Jahren gewann sie ihr ersten Rennen. Der Preis war ein Schwein! Später gewann sie viele Rennen, auch gegen Männer.

Der Roman ist so konzipiert, das er zeitlich hin- und herwechselt. Und man ist nah an der Figur, leidet mit und teilt ihre Erfolge. Sie ist forsch, selbstbewusst und sehr sympathisch. So überwindet sie manche Hindernisse und schafft eine beeindruckende, langjährige Radsportkarriere.

Höhepunkt des Romans werden die langen Beschreibungen von Alfonsinas Teilname an der Giro d Italia 1924, die über 12 Etappen ging.

Es ist ein anspruchsvoller wie auch unterhaltender Roman, der aber auch Härten der Zeit nicht verschweigt.

Bewertung vom 10.05.2021
Letzte Ehre
Ani, Friedrich

Letzte Ehre


sehr gut

Makellos
Friedrich Anis neues Buch trägt die Gattungsbezeichnung Roman und tatsächlich ist es mehr als nur ein Krimi, denn die psychologischen Momente sind im Vordergrund.
Der Roman besteht aus drei Teilen. Der erste umfasst 85 Seiten ist fast eine makellose Novelle.
Eine Schülerin ist verschwunden und Kommissarin Fariza Nasri befragt diverse mögliche Zeugen, unter anderen auch den unsympathischen Lebenspartner der Mutter der Verschwundenen.
Das Buch besteht zunächst hauptsächlich aus diesen Verhören, das ist stilbildend, die die psychologischen Momente ergeben sich daraus.
In Teil 2 und 3 geht die Handlung auch in andere Richtungen und Nasri wird selbst persönlich beteiligt.
Nach dem Finale gibt es am Ende noch eine überraschende Szene, über die hier natürlich nichts verraten werden soll.

Bewertung vom 08.05.2021
Berlin Heat
Groschupf, Johannes

Berlin Heat


gut

Ein origineller Berlin-Roman

Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag in einem Wettbüro.
Die nervliche Anspannung und die Hitze meint man als Leser spüren zu können.
Ein wenig sehe ich den Autor Johannes Groschupf als einen Erben von Krimiautoren wie Dick Francis, natürlich mit jüngeren Sound. Den Vergleich beziehe ich in erste Linie auf die Kenntnisse menschlicher Psyche und das schätze ich sehr.
Gleichzeitig ist er auch sehr heutig sogar leicht in der Zukunft den die Corona-Pandemie ist bezwungen.

Der Protagonist, der gleichzeitig Icherzähler ist, halte ich für ebenso interessa nt wie ambivalent. So ganz koscher ist er auch nicht. Spielsucht, Schulden und nicht ganz einwandfreie Geschäfte, aber er ist im großen und Ganzen ein vernünftiger und cooler Typ, nur halt mit Schwächen.
Aber er ist momentan doch ziemlich am Boden und hat jede Menge Probleme. Ein Sumpf, in der versinkt. Das ist teilweise so intensiv geschrieben, das man es mit Beklemmung liest.
Manche Passagen sind rüde oder sogar drastisch.
Ein Roman, der sich nicht scheut, konsequent zu sein.

Bewertung vom 05.05.2021
Der Himmel vor hundert Jahren
Marfutova, Yulia

Der Himmel vor hundert Jahren


ausgezeichnet

Es war einmal in einem Dorf

Der historische Roman „Der Himmel vor Hundert Jahren“ hat den Vorteil, dass er eine vergangene Zeit glaubhaft darstellt. Die Menschen und ihr Leben im russischen Dorf, das klein aber nicht winzig ist, wirken echt und unverstellt. Gut 100 Jahre liegt die Handlung zurück, aber die Autorin Yulia Marfutova vermag es, die Zeit so darzustellen, das man glaubt, man hätte dabei sein können.

Yulia Marfutova geht sorgsam mit ihren Figuren um. Es sind Originale, die fest in ihrem Dorf verwurzelt sind und manche sind abergläubisch, aber die Autorin macht keine Kasper oder Hanswurst aus ihnen. Ihnen verbleibt stets eine innere Würde. Ich mag das.
Das Element des Aberglaubens, z.B. an Flussgeister, beinhaltet Motive, die an den magischen Realismus erinnern.
Hinzu kommt eine entspannte, gute Handlungsführung, der man gerne folgt. Ein wirklich guter Debütroman!

Bewertung vom 05.05.2021
Was ist eigentlich los?
Maron, Monika

Was ist eigentlich los?


ausgezeichnet

Monika Marons eigenwillige und kompromisslose Äußerungen der letzten Jahre haben ihren Ruf teilweise angegriffen und manche haben sie klar in die ganz Rechte Ecke gestellt.
Wenn man sich aber diesem Sammelband die Essays der letzten Jahre ansieht, kommt man zum Schluß, dass es sich um eine konservative, aber demokratisch gesinnte Autorin handelt.

Monika Maron besteht auf ihrer Meinung, natürlich beklagt sie sich auch viel, was man auch als Masche ansehen kann.
Aber es lohnt sich, die Texte vorurteilsfrei zu lesen. Auch wenn ich oft nicht mit ihrer politischen Auslegung übereinstimme, ist es doch legitim das alles zu thematisieren. Die AfD und Pegida verharmlost sie jedoch meiner Meiner Meinung nach. Doch ich kann Monika Marons streitbaren Texten und Meinungen mit Toleranz begegnen.
Stilistisch sind die Essays messerscharf und nicht gerade langweilig.
Einige Beiträge erzählen glaubhaftes über ostdeutsche Gefühlslage.

Zu den schönsten Essays gehören dass über ihren Hund Bruno, das mich leicht an Bonnie Propeller erinnert und der Beitrag über Sarah Wagenknecht , die sie dafür interviewt hat.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2021
Undinge
Han, Byung-chul

Undinge


sehr gut

Von Dingen und Undingen

Der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han hat ein interessantes neues Buch vorgelegt.

Undinge ist ein für mich überraschender Text über Information und Kommunikation mit Umbrüchen in der heutigen Zeit. Das ist mit einem deutlich kritisch Ton unterlegt.
Erstaunlicherweise sieht Byung-Chul Han seine These zum Teil als Erweiterung von Heideggers Seins-Begriff. Auch Hannah Arendt und Walter Benjamin werden erwähnt.

Gut gefallen haben mir die Bezüge zu Roland Bathes Fotografiebuch Die helle Kammer, das er als Eloge der analogen Fotografie bezeichnet.
Nicht nur deswegen wurde Selfies mein Lieblingskapitel des Buches.

Es gibt sogar immer wieder literarische Verweise, z.B. zu Musil, Satre, Rilke, Robert Walser, Antonie de Saint-Exupery, Peter Handke und Kafka.

Mit einem Exkurs zur Jukebox erhält das Buch zum Ende hin noch einen Höhepunkt.

Bewertung vom 03.05.2021
Eine perfekte Ehe
McCreight, Kimberly

Eine perfekte Ehe


sehr gut

Intelligent geschriebenes Justizdrama

Der Roman Eine perfekte Ehe von Kimberly McCreight ist eine Mischung aus Justizthriller und Gesellschaftsdrama. Das funktioniert gut zusammen.
Lizzie Kitsakis ist eine junge Anwältin, die einen Mordfall übernimmt, als sie ein alter Freund aus dem Gefängnis heraus anruft und sie bittet ihn zu vertreten. Zach hatte seine Frau tot aufgefunden.

Während der Hauptplot Lizzies Ermittlungen und ihren eigenen Eheproblemen folgt, ist ein weiterer Handlungsstrang mit dem Mordopfer einige Tage vor der Tat angesiedelt ist. Dann gibt es zwischendurch noch Vernehmungsprotokolle mit möglichen Zeugen des Falles vor der Grand Jury.

Das Buch ist so geschrieben, dass man als Leser nicht mehr weiß als Lizzie. Dazu gehört auch, dass man Zach nicht wirklich richtig einschätzen kann. Er könnte auch schuldig sein.
Diese Erzählhaltung schätze ich. Außerdem mag ich es auch, dass der Roman in New York handelt.

Bewertung vom 03.05.2021
Piz Palü
Brunntaler, Marie

Piz Palü


sehr gut

Marie Brunntaler gelingt es in ihre, Roman eine vergangene Zeit in vielen Facetten zu beschreiben. Es ist 1957 in der Schweiz. Piz Palü ist ein Gebirgsmassiv nahe dem Hotel Grand Arnold.
In diesem Hotel versammeln sich einige originelle Figuren, aus die man als Leser auch nicht immer auf Anhieb schlau wird. Sie sind ziemlich eigen und offensichtlich haben sie ihre Geheimnisse.
Mit dabei, der Schauspieler O.W.Fischer, sehr beliebt zu dieser Zeit.
Zu Anfang reist Frau von Hoppe an, zusammen mit der jungen Corinne. Sie befreundet sich mit dem Chauffeur Baralo.
Spät hinzu kommen noch ein Kommissar und seine Kollegin, da es einen Mord im Hotel gab.
Ein Clou des Romans besteht dann darin, die Verknüpfungen der Figuren miteinander zu erkennen.

In nur 256 Seiten packt Marie Brunntaler viel in ihren Roman, der mich zwar nicht ganz so packte, wie ihr letztes Buch Wolf, der mich aber dennoch beeindruckte.