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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 07.01.2016
Von Mr. Holmes zu Sherlock
Boström, Mattias

Von Mr. Holmes zu Sherlock


ausgezeichnet

Manchmal bedarf es der Neuinterpretation eines Klassikers durch ein Filmprojekt, um eine literarische Figur neu zu beleben und wieder in unseren Fokus zu rücken. So geschehen im Fall „Sherlock Holmes“, der durch die Drehbuchautoren der neuen BBC-Serie Steven Moffat und Mark Gatiss entstaubt und in einen modernen Kontext gebracht wurde. Nicht zu vergessen den Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch, der maßgeblich Anteil an dem Erfolg hatte. Dadurch wurde auch das Interesse der Leserschaft an der traditionellen Figur und ihrem Schöpfer neu entfacht, sodass im Nachgang zahlreiche Publikationen sowohl im Belletristik- als auch im Sachbuchbereich auf den Markt kamen, die den englischen Meisterdetektiv zum Thema haben.

Der Schwede Mattias Boström ist ein ausgewiesener Holmes-Experte und hat als Mitglied der „Baker Street Irregulars“ bereits zahlreiche Aufsätze zum Thema veröffentlicht. Für sein populär-wissenschaftliches Buch „Von Mr. Holmes zu Sherlock“ (in der deutschen Übersetzung von Susanne Dahmann und Hanna Granz, erschienen bei btb) wurde er mit dem Schwedischen Krimipreis Sachbuch ausgezeichnet.

Boström nähert sich dem Thema von der historischen Seite, wobei er anfangs sein Hauptaugenmerk auf Arthur Conan Doyle, Kleinstadt-Arzt und Schöpfer des berühmten Detektivs, richtet. Unterteilt in sechs zeitlich gegliederte Kapitel, beginnend 1878 und 2015 endend, zeigt er nachfolgend aber auch die Einflüsse von Illustratoren, Redakteuren und Schauspielern auf. Jeder von ihnen hat durch seine individuelle Interpretation Sherlock Holmes im Laufe der Zeit Stück um Stück verändert, sodass diese literarische Figur allmählich eine Eigendynamik entwickelt hat, die es für so manchen Leser schwierig macht, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Wie sonst ließe sich das ungebrochene Interesse an Holmes erklären, das alljährlich Tausende von Besuchern in London auf seinen Spuren wandeln lässt?

Akribisch genaue Literaturverweise , allgemeine Quellenangaben, eine Auflistung der Werke Conan Doyles und ein ausführliches alphabethisches Register runden dieses Sachbuch ab und zeigen auf, dass sich der Autor über Jahre hin sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben muss. Aber auch der interessierte Laie findet hier genügend Anstöße für eine weiterführende Lektüre. Und so ist „Von Mr. Holmes zu Sherlock“ eine wahre Fundgrube für all diejenigen, die sich der Faszination dieses literarischen Phänomens nicht entziehen können.

Bewertung vom 06.01.2016
Die schützende Hand / Georg Dengler Bd.8
Schorlau, Wolfgang

Die schützende Hand / Georg Dengler Bd.8


ausgezeichnet

Mittlerweile ist die Reihe um den Privatermittler und ehemaligen BKA-Zielfahnder Georg Dengler auf acht Bände angewachsen. Und noch immer findet der Autor Wolfgang Schorlau genügend Stoff in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, den er in seinen spannenden Kriminalromanen verarbeiten kann. Ob RAF („Die blaue Liste“, 2003), das Oktoberfest-Attentat („Das München-Komplott“, 2009) oder die Machenschaften der Pharma- und Lebensmittelindustrie („Die letzte Flucht“, 2011 / „Am zwölften Tag“, 2013) – es sind immer reale Vorkommnisse, die seinen gut recherchierten Romanen zugrunde liegen. Natürlich könnte man einwenden, dass er es mit der künstlerischen Freiheit übertreibt, aber gerade der Oktoberfest-Fall zeigt, dass die Schlussfolgerungen, die Schorlau zieht, nicht so weit hergeholt sind, wie die Politik uns glauben machen möchte.

„Die schützende Hand“ (2015 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch) ist Denglers achter Fall, und hier nimmt Schorlau die Mordserie der neofaschistische NSU unter die Lupe. Ein höchst brisantes Thema, denn ist es möglich, dass staatliche Stellen wie Verfassungsschutz und BND ihre schützende Hand über diese Kriminellen halten? Oder, vielleicht noch schlimmer, deren Morde aktiv unterstützen?

15.000 Euro und ein Prepaid-Handy offeriert ein unbekannter Auftraggeber Georg Dengler für die mit Beweisen belegte Beantwortung der Frage, wer die beiden Neonazis Mundlos und Böhnhardt getötet hat. Auf den ersten Blick eine leichte Aufgabe, haben doch die diversen Medien ausführlich und detailliert über deren Selbstmord berichtet. und da der Stuttgarter Privatermittler einmal mehr in finanziellen Schwierigkeiten steckt, nimmt er den Auftrag an. Schicht für Schicht trägt Dengler mit Hilfe seiner Freunde Informationen und Protokolle zusammen und stellt zahlreiche Ungereimtheiten fest. Aussagen wurden verfälscht, Ermittlungsergebnisse manipuliert - offenbar gibt es Verbindungen der Rechtextremisten zu Politik und Geheimdiensten, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen sollen. Und so stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen warum deckt…

Wie man es nach der Lektüre der Vorgänger erwartet, ist auch „Die schützende Hand“ einmal mehr ein hervorragend recherchierter Kriminalroman aus der Feder Wolfgang Schorlaus – das Nachwort und der ausführliche Anhang listen in bewährter Manier die Quellen auf, mit denen der Autor die Plausibilität seiner Geschichte untermauert. Die eingestreuten Vernehmungsprotokolle zwingen den Leser immer wieder zum Innehalten und Reflektieren, vertiefen aber das zuvor Gelesene und machen es in der Rückschau plausibel – oder aber nicht.

Bei einer Lesung, die ich besucht habe, sagte der Autor, dass er sich noch nie so sehr vor dem Schreiben eines Buch gefürchtet habe wie vor diesem. Selbst wenn man alle Spekulationen ignoriert und sich nur an die belegten Fakten hält, wird klar, warum. „Die schützende Hand“ ist ein ‚Must read‘ für jeden politisch interessierten Leser – nicht nur für diejenigen, deren bevorzugte Lektüre Kriminalromane sind!

Bewertung vom 06.01.2016
Die Unschuld stirbt, das Böse lebt
Mendelson, Paul

Die Unschuld stirbt, das Böse lebt


ausgezeichnet

Kriminalromane und Thriller, deren Setting in Südafrika zu verorten ist, gibt es mittlerweile viele. Man denke nur an Deon Meyer, Malla Nunn, Charlotte Otter, Mike Nicol, Andrew Brown oder Roger Smith. Gemeinsam ist all diesen Romanen, dass die Autoren neben einer spannenden Geschichte auch die gesellschaftlichen Zustände und Lebensbedingungen in diesem Land beschreiben, das zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer nicht zur Normalität gefunden hat.

So auch Paul Mendelson, englischer Dramatiker, Kolumnist der Financial Times und Autor diverser Bridge- und Pokerbücher, der mit „Die Unschuld stirbt, das Böse lebt“ (12/15 in der hervorragenden Übersetzung von Jürgen Bürger bei Rowohlt Polaris erschienen) seinen ersten Thriller mit Vaughn De Vries veröffentlicht hat und damit 2014 für den CWA Goldsboro Gold Dagger nominiert wurde.

Jeder Polizist hat in seiner Laufbahn einen Fall, den er nicht aufklären konnte und der ihn deshalb noch immer beschäftigt. So auch Vaughn De Vries, der 2007 versuchte, den Verbleib von drei entführten Jungen aufzuklären. Es waren die Kinder von weißen Polizisten, die damals spurlos verschwanden und von denen bis heute jede Spur fehlt.

Sieben Jahre später bekommt er eine neue Chance, als in einem Müllcontainer die Leichen von zwei männlichen Teenagern gefunden werden, nackt und in Plastikfolie eingewickelt. Das Obduktionsergebnis bestätigt den ersten Eindruck der Ermittler: die Jungen wurden über einen langen Zeitraum in einem abgeschlossenen Raum gefangen gehalten, sexuell missbraucht und schließlich durch einen gezielten Schuss getötet. De Vries will den Schuldigen dingfest machen und übernimmt gemeinsam mit seinem Kollegen Dan February den Fall, denn noch immer besteht die Möglichkeit, dass der dritte verschwundene Junge noch am Leben ist. Aber recht schnell mehren sich die Anzeichen, dass es Kräfte gibt, denen gar nicht daran gelegen ist, das Verbrechen aufzuklären.

Durchgängig im Präsens geschrieben, wechselt der Autor zwischen den zurückliegenden und gegenwärtigen Ermittlungen, macht es aber durch das Voranstellen der entsprechenden Jahreszahl dem Leser leicht, dem Handlungsverlauf zu folgen und die jeweiligen Ereignisse einzuordnen. Diese facettenreichen Beschreibungen kreieren eine besondere Atmosphäre. Sie verleihen nicht nur den Figuren Tiefe, sondern legen auch den Finger auf die Wunden einer südafrikanischen Gesellschaft, die noch immer, hier wie da, von Vorurteilen, Hierarchien und Rassengegensätzen geprägt ist.

Eine gute Nachricht zum Schluss. die Reihe um Vaughn De Vries wird fortgesetzt, im Original ist 2015 mit „The Serpentine Road“ bereits der zweite Band erschienen.

Bewertung vom 29.12.2015
Schmutziger Schnee / Leo Junker Bd.2
Carlsson, Christoffer

Schmutziger Schnee / Leo Junker Bd.2


sehr gut

Der von der Kritik hochgelobte und für sein Erstlingswerk „Der Turm der toten Seelen“ 2013 mit dem schwedischen Krimipreis ausgezeichnete Autor Christoffer Carlsson ist vom Fach. Als promovierter Kriminologe weiß er, wovon er schreibt und hat eine eher kühl wissenschaftliche, klar strukturierte Herangehensweise an die Verbrechen und deren Ursachen, die er seine Täter begehen lässt.
„Schmutziger Schnee“ ist nach „Der Turm der toten Seelen“ der zweite Band der Reihe, in der der Polizist Leo Junker ermittelt. Junker ist nicht der strahlende Held, der toughe Superman im Dienste der Polizei, wie wir es so oft aus anderen Kriminalromanen kennen. Er ist psychisch angeschlagen, nachdem er im Einsatz einen Menschen erschossen hat, und diese Schuldgefühle quälen ihn auch nach Beendigung seiner Suspendierung und der Rückkehr in den aktiven Dienst noch immer.

Es ist der Abend vor Lucia, dem schwedischen Lichterfest, als in einer dunklen Seitenstraße ein Mann erstochen aufgefunden wird. Einziger Zeuge ist ein sechsjähriger Junge, der vom Fenster aus den Tathergang beobachtet hat. Leo Junker und seine Kollegen ermitteln. Es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Opfer um den Soziologen Thomas Heber handelt, der sich im Rahmen eines Forschungsprojektes mit politischen Randgruppen beschäftigt hat. Seine zahlreichen Interviewpartner gehören sowohl dem linken als auch dem rechten Spektrum an. Aber wer hat ein Interesse daran, den Wissenschaftler zu ermorden? Ist er im Rahmen seiner Nachforschungen auf etwas Brisantes gestoßen, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen darf? Die Vermutung liegt nahe, denn der schwedische Geheimdienst schaltet sich ein und übernimmt die Ermittlungen. Leo Junker und seine Kollegen werden von dem Mordfall abgezogen, was ihn aber nicht daran hindert, den Mordfall auf eigenen Faust weiterzuverfolgen.

Obwohl Carlsson seinen Thriller genretypisch mit einem Mordfall beginnt, ist bereits nach wenigen Seiten klar, dass er nicht den bekannten Mustern folgt. Er entwickelt seine Geschichte sehr langsam und detailliert, führt nach und nach eine Vielzahl von Personen ein, blendet in deren Vergangenheit zurück, lässt uns deren Dialogen lauschen, ehe er wieder bei den Ereignissen der Gegenwart landet. Das ist stellenweise anstrengend zu lesen, eröffnet er dadurch doch sehr viele Einzelschauplätze. Am Ende führt er diese jedoch in gekonnter Weise zusammen, und man erkennt im Rückblick deren Berechtigung und die ihnen innewohnende Logik, die schlussendlich zu dem Verbrechen führt.

Offenbar ist die Leo Junker-Reihe auf vier Bände angelegt – wir dürfen gespannt sein!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.12.2015
Kalter Schuss ins Herz
Stroby, Wallace

Kalter Schuss ins Herz


ausgezeichnet

„Kalter Schuss ins Herz“ ist, dem Pendragon Verlag sei Dank, der Auftakt einer neuen Thrillerreihe des amerikanischen Autors Wallace Stroby, in der, untypisch für dieses Genre, eine Frau im Zentrum des Geschehens steht. Allerdings ist sie weder Cop noch Privatermittler, sondern steht auf der andere Seite. Crissa Stone, so der Name der Protagonistin, ist ein abgebrühter Profi und hat immer ein offenes Ohr, wenn sie einen Tipp für einen lukrativen Raubüberfall bekommt. Größere Beträge Bargeld benötigt sie immer, denn sie fühlt sich verpflichtet, ihren Lebensgefährten auf legalem Weg aus dem Gefängnis zu holen. Und dazu bedarf es dieses erstklassigen Anwalts, dessen Honorarforderungen immens sind. Außerdem muss Crissa auch noch für den Lebensunterhalt der gemeinsamen Tochter aufkommen, die bei einer Verwandten aufwächst. Genügend Gründe also, auch einmal einen Job durchzuziehen, bei dem man ein ungutes Gefühl hat.

Als sie mit einem neuen Team den Tisch einer hochkarätigen Pokerrunde abräumen möchte, verliert ihr Komplize die Nerven und erschießt einen der Spieler. Zu dumm, dass dieser ausgerechnet der Schwiegersohn eines Gangsterbosses ist. Und der lässt nicht mit sich spaßen. Eddie Santiago, genannt „Eddie der Heilige“, frisch aus dem Gefängnis entlassener Killer ohne Skrupel, wird von ihm beauftragt, das Geld wiederzubeschaffen und den Schuldigen zu liquidieren. Die Hatz beginnt…

Es ist offensichtlich, dass Wallace Stroby seine Klassiker gelesen hat. Aber anstatt eine weitere männliche Hauptfigur einzuführen, hat er sich für die toughe Crissa Stone entschieden, die es auf ganzer Linie mit den Parkers des Genres aufnehmen kann. Allerdings konnte es sich der Autor dennoch nicht verkneifen, ihr die eine oder andere Eigenschaft zuzuschreiben, die eher als typisch weiblich gilt. Sie prügelt sich zwar wie ein Kerl und weiß sich durchaus zu verteidigen, aber eigentlich ist ihr Gewalt zuwider. Sie ist fürsorglich, kümmert sich um ihren inhaftierten Lebensgefährten und nimmt für ihn auch Risiken auf sich, die sie ansonsten wahrscheinlich vermieden hätte. Um das Wohl ihrer kleinen Tochter ist sie sehr besorgt. Sie möchte nicht, dass sie erfährt, womit ihre leibliche Mutter ihren Unterhalt bestreitet. Ebenso will sie vermeiden, dass das Kind im Falle ihrer Verhaftung der staatlichen Fürsorge überstellt wird, weshalb sie sie bei einer Verwandten aufwachsen lässt, die an dem Kind Mutterstelle vertritt. Was aber nicht heißt, dass dieser Verzicht ihr leicht fällt. Aber Crissa hat dieses Leben bewusst gewählt und ist auch bereit, dafür die Konsequenzen zu tragen.

Straff, schnörkellos und mit Tempo erzählt, vereint „Kalter Schuss ins Herz“ alle positiven Eigenschaften eines Hardboilers der „alten Schule“.

Neben der spannenden und actionreichen Handlung gibt es immer wieder auch Passagen, in denen die Dialoge mit lakonischem Humor glänzen. Dazu noch die detailliert ausgearbeiteten Personen – dafür gibt es eine nachdrückliche Leseempfehlung meinerseits. Und da im englischsprachigen Original bereits drei weitere Thriller mit Crissa Stone vorliegen, hoffe ich natürlich auf eine zügige Komplettierung der Reihe.