Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Sikal
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 1155 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2018
Die geheime Kraft aus der Erde
Gasperl, Hans

Die geheime Kraft aus der Erde


ausgezeichnet

Von Strahlen, Kraftplätzen und Wünschelruten

Der Salzburger Dr. Hans Gasperl hat sich bereits während seines Medizinstudiums für die Zusammenhänge zwischen Natur, Mensch und Wissenschaft interessiert. 35 Jahre arbeitete er als Landarzt, Kneipparzt und Homöopath, immer bemüht, das Gesamte im Blick zu behalten. Er hat wieder ein sehr interessantes Buch geschrieben „Die geheime Kraft aus der Erde“.

Der Autor gibt einen Einblick in die Radiästhesie und Geomantie, erklärt den Einfluss von Wasseradern und Erdstrahlen auf unser Leben und unser Wohlbefinden. Eigentlich ist die Radiästhesie nichts Neues, sondern eine seit Jahrhunderten bekannte Thematik, der Einklang zwischen Mensch und Natur etwas Wichtiges. Immer wieder hört man von Strahlensuchern und –flüchtern und den Lieblingsplätzen der Haustiere.

Dr. Hans Gasperl gibt einen spannenden Einblick in die Radiästhesie, erzählt vom medizinischen Standpunkt aus Auswirkungen auf die Gesundheit und gibt kleine Ratschläge, wie man entgegenwirken kann (z.B. Bett umstellen).

In einem Kapitel werden die Werkzeuge des Radiästheten vorgestellt, die Anwendung der Wünschelrute und des Pendels erläutert, das „Muten“ erklärt. Mit etwas Gespür für die Natur sollte dies jedem möglich sein (was ich mir jetzt nicht so ganz vorstellen kann, doch dafür bin ich vermutlich zu sehr „Kopfmensch“). Fallbeispiele und „Mutenskizzen“ sowie einige Abbildungen veranschaulichen das Thema.
Spannend geschrieben und sehr informativ. Gerne vergebe ich 5 Sterne.

Bewertung vom 14.09.2018
Warum unsere Chefs plötzlich so nett zu uns sind
Jenewein, Wolfgang

Warum unsere Chefs plötzlich so nett zu uns sind


gut

Vom Verhalten mancher Chefs

„Vom Knowing über das Being zum Doing“ – also ganz ehrlich, wenn ich solche Phrasen höre, bekomme ich Gänsehaut. Aber ganz so schlimm ist dieses Buch auch wieder nicht …

Wolfgang Jenewein, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni St. Gallen beschreibt in seinem Buch „Warum unsere Chefs plötzlich so nett zu uns sind“ das Verhalten der Führungskräfte und Manager, analysiert deren Fortschritte in Bezug auf Mitarbeiterführung. Der Autor spricht aus dem Nähkästchen, immerhin hat er durch seine vielen Seminare einen Einblick in viele Führungsebenen gewonnen. 2016 wurde er vom Focus-Magazin zu einem der fünf einflussreichsten Leadership-Trainer in Deutschland gekürt.

Ich bin seit 30 Jahren in der Wirtschaft und durfte viele Führungskräfte kennenlernen, manche schätzt man, andere wieder nicht. Im Laufe der Zeit wurden vermehrt Führungskräfteseminare, Teambuilding oder Couching angeboten, mit mehr oder weniger großem Erfolg für das Unternehmen und die Mitarbeiter.

Somit stehe ich dem Buch von Wolfgang Jenewein eher kritisch gegenüber. Der Grundgedanke, dass Manager nicht geboren werden und Führungsqualitäten nicht in der DNA verankert sind, kommt hier klar hervor. Doch nicht jeder hat das Zeug zur Führungskraft und trotzdem werden es manche, sei es durch enormes Fachwissen oder Beziehungen. In diesem Fall können noch so viele Seminare angeboten werden, es wird sich unterm Strich nichts ändern.

Dass Wertschätzung, Motivation, Kommunikation und der Teamgedanke den Wert eines Unternehmens steigern, versteht sich von selbst. Das gemeinsame Ziel vor Augen, das Brennen für ein Thema und der Wohlfühlcharakter stehen im Vordergrund. Eigentlich sind das alles logische Schlussfolgerungen, wenn man darüber nachdenkt. Warum braucht es dann sündteure Seminare, nach denen bald wieder der Alltag einkehrt und Empathie wieder nicht verinnerlicht wurde?

Wenn man Jenewein Glauben schenken darf, sind Führungsstile und Führungskultur erlernbar. Dem kann ich leider nicht zustimmen. Die Personalentwicklung in unserem Unternehmen hat alle Hände voll zu tun, um Couchings und Trainings zu organisieren und ich sehe hier immer wieder, dass viele „beratungsresistent“ sind, während deren Mitarbeiter Veränderungen nur als Strohfeuer wahrnehmen dürfen.

Bewertung vom 13.09.2018
All die Nacht über uns
Jäger, Gerhard

All die Nacht über uns


ausgezeichnet

Ein außergewöhnlicher Roman

Das Buch von Gerhard Jäger erzählt die Geschichte eines Soldaten, der auf einem Wachturm eine Grenze zu bewachen hat. In den Kapiteln wird jede einzelne Stunde beschrieben, Stunden voller Ängste, Trauer, Erinnerungen, … Begleitet von seiner Waffe, von der er sich beschützt fühlt – doch beschützt wovor? Erst mit der Zeit erfährt der Leser, dass es um Flüchtlingsströme geht, die man mit einem Zaun daran hindern will, die Grenze zu passieren. Bewacht von Soldaten mit Schießbefehl, die darauf warten, dass Menschen unerlaubt diese Grenze überschreiten wollen.

Ebenfalls begleitet ihn ein Heft seiner Großmutter, die ursprünglich ebenfalls Flüchtling war und ihre Erinnerungen notierte, damit diese nicht in Vergessenheit geraten. So liest der Soldat über Flüchtlinge, die von Familien aufgenommen werden ebenso wie von solchen, die vergeblich an eine Tür klopfen. Er liest über Krieg und Vertreibung, grausame Bilder, die sich in Menschen einbrennen.

„Ist es immer so, fragt er sich. Wenn irgendwo Menschen kommen, stellen die einen Teller auf
die Tische und die anderen marschieren mit Transparenten. …, manche stehen mit Gewehren an der Grenze und warten auf Bäcker, Maurer, Hilfsarbeiter und Ingenieure.“


Doch der Soldat hat auch mit seinen eigenen Erinnerungen zu kämpfen. Der Verlust seiner kleinen Familie betäubt sein Handeln, er verkriecht sich in Dunkelheit und Stille und trotzdem scheint die Nacht lang zu werden. So vergeht Stunde um Stunde, während es stürmt und regnet … Er versinkt in seinen Träumen und Erinnerungen, liest das Heft der Großmutter und hält Ausschau nach dem Unbekannten, dem Fremden, das nicht gewünscht wird.

Für mich ist die Sprache das Besondere dieses Romans, der mich sehr beeindruckt hat. Die Großmutter, die mit wenigen Worten so vieles sagt, berührt sehr – ihr Erinnerungsheft soll den Enkel erinnern, wenn „sie kommen“.
Ein Roman, der mich noch oft nachdenken lässt über Grenzen und Toleranzen, über Ängste und Eingeschränktheit, über das Glück, dass ich mit meiner Familie gemeinsam in einem Land wie Österreich leben darf.

„Nicht jeder hat das Glück, dass ihm die Heimat bleibt.“ – schreibt Gerhard Jäger.

Ein großartiger Roman, dem ich viele Leser wünsche. Gerne vergebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 11.09.2018
Machtnix oder Der Lauf, den die Welt nahm
Frischmuth, Barbara

Machtnix oder Der Lauf, den die Welt nahm


ausgezeichnet

Der Lauf, den die Welt nahm

Geschrieben unter dem Eindruck des jugoslawischen Bürgerkriegs 1993 hat die Autorin Barbara Frischmuth nicht nur den damaligen Zustand der Welt beschrieben – dieses Buch ist heute noch aktueller als zu seinem Erscheinungsdatum.

Machtnix, ein Mädchen das seinen Peinigern entflieht, trifft auf sagenhafte Gestalten und wird in eine Geschichte gesogen, die 1993 noch sehr phantastisch anmutete. Heute hat die Realität uns eingeholt und das Phantastische in Frischmuths Geschichte ist teilweise bereits Vergangenheit.

Wer aber „Alice im Wunderland“ gelesen hat – oder noch besser „Alice hinter den Spiegeln“ - wird von der Geschichte des Mädchens Machtnix begeistert sein. Begegnen ihr auf ihrer Reise doch unter anderem eine zweifaltige Kröte, ein blindes Huhn oder ein Blindgänger, der nichts lieber machen würde als zu explodieren.

Bereits in der ersten Begegnung zwischen dem Mädchen und der zweifaltigen Kröte spielt die Autorin ihre Sprachgewandtheit aus, um den Namen Machtnix zu kreieren. Wirkt die Geschichte auf diesen Seiten noch ein wenig wie eine Kindergeschichte, so wandelt sich dieser Eindruck sehr schnell und der Leser wird mit einer Geschichte voller Tiefgang und sprachlicher Finessen belohnt.

„Glaub es oder glaub es nicht“ (meint die zweifaltige Kröte immer wieder wenn sie eine ihrer abenteuerlichen Geschichten erzählt), aber Barbara Frischmuth könnte man nach der Lektüre dieses Buches auch noch seherische Fähigkeiten zuschreiben.

Bedenkt man das Erstausgabedatum dieses Buches, so mutet es schon teilweise ein wenig gruselig an, dass Menschen alle anderen nur noch über Bildschirme wahrnehmen – Menschen, die nicht ins System passen einfach von den Bildschirmen verschwinden oder alle auf Grundlage von „Tatsachen“ über eine Gruppe herfallen.

Ersetzt man nun die allgegenwärtigen Bildschirme durch unsere allgegenwärtigen Mobiltelefone, so rückt die Geschichte nochmals in ein anderes Licht.
Alles in allem ist Machtnix eine wirklich sehr gut gelungene phantastische Geschichte, die mit Kritik am Krieg oder dem Umgang mit Medien alles andere als spart.

Bewertung vom 11.09.2018
Brücken bauen zwischen Nationen und Kulturen in eine neue Welt / Europa neu denken 5

Brücken bauen zwischen Nationen und Kulturen in eine neue Welt / Europa neu denken 5


sehr gut

Europa neu denken

„Brücken bauen zwischen Nationen und Kulturen in eine neue Welt“ – so lautet der Untertitel dieser 24 Essays, die sich damit beschäftigen wie wir eine bessere Welt erschaffen können.

Beim Michael Fischer Symposium „Europa neu denken“ im Jahr 2017 durften Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens ihre Vorstellungen für ein neues Europa präsentieren. Als Zusammenfassung dieses Treffens liegt dieses Buch vor, welches einen äußerst weiten Bogen spannt – nicht nur über das Mittelmeer nach Afrika.

Die Autoren kommen aus Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, der Kunst, aus den Religionswissenschaften oder auch aus der Sprachwissenschaft. Entstanden ist dadurch ein Werk, das an Vielfältigkeit nichts vermissen lässt und dennoch einen gemeinsamen Tenor verkündet: Europa muss menschlicher werden.

Gleichgültig welchen Aufsatz man in diesem Buch bevorzugt, aus jedem kann man entnehmen wie Europa sich immer mehr vom Rest der Welt abschottet, wie wir Zäune anstelle von Brücken bauen, diese abbrechen – hinter uns versteht sich.

Diese Texte aber versuchen durch unterschiedliche Ansätze dem entgegenzuwirken und das wirklich Erstaunliche ist, dass auch die politische Couleur der Autoren aus den unterschiedlichsten Lagern kommt und dennoch das Verbindende immer im Mittelpunkt steht. Leider sieht der Alltag anders aus…

Leider muss man bei diesem Buch auch sagen, dass es einigen Menschen auch nicht zugänglich sein wird, da ein Teil des Buches in den englischen Originaltexten abgedruckt ist (die französischen Texte wurden übersetzt). Andererseits ist auch das mit Sicherheit gewollt, um die Texte getreu wieder zu geben. Was nämlich beim Übersetzen alles angerichtet werden kann, erliest sich ebenfalls in diesem Buch im Text „Differenz statt Identität. Zum Umgang mit dem Fremden beim Übersetzen für Kinder“. Nach diesem Aufsatz wird sich jeder seine eigene Meinung bilden zu Übersetzungen der heiligen Schriften oder der wichtigsten Bücher der Weltliteratur.

Die Autoren und Herausgeber haben sich alle Mühe gegeben Texte abzudrucken, die für eine bessere Welt einstehen, Texte die für ein Zusammenrücken plädieren. Schön wäre es, würden sich die amtierenden Politiker dieses Buch zu Herzen nehmen.

Bewertung vom 09.09.2018
Schmerzensgeld / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.1
Opoczynski, Michael

Schmerzensgeld / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.1


weniger gut

Start einer neuen Krimireihe

Der erste Fall für die Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen ist äußerst brisant. Eine ehemalige Privatbank hatte lange Zeit viel versprochen, wenig gehalten. So wurde für viele Anleger der Traum vom großen Geld nach einiger Zeit zum Alptraum, während der ehemalige Bankenchef quer über den Globus einem Luxusleben frönt. Doch nun soll er zur Rechenschaft gezogen werden, bloßgestellt vor der Öffentlichkeit – das wäre eine Genugtuung für alle geprellten Sparer, die sich in ihrer Verzweiflung an die Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen wenden.

Die Mitglieder der Truppe sind allesamt Sympathieträger, jeder darf seine Talente in diese Robin-Hood-Garde einfließen lassen. Eine unauffällige Gemeinschaft, die ermittelt, wo die Polizei versagt oder machtlos ist. Die Charaktere finde ich auch sehr gelungen, wenngleich ich mir hier mehr Tiefe gewünscht hätte –doch als Einführung in eine Krimireihe passte es für mich so.

Der Autor Michael Opoczynski war lange Jahre Moderator der Sendung „WISO“, wo er sich um die Rechte kleiner Leute kümmerte. Diese Erfahrungen konnte er nun sicherlich in seinen ersten Kriminalroman einfließen lassen. Leider konnte mich der Kriminalroman nicht zur Gänze überzeugen, es plätscherte lange Zeit dahin und man hoffte, dass nun endlich was passiert. Erst mit dem Beginn der Operation wurde es spannend und fesselnd. Von einem guten Kriminalroman erwarte ich mir überraschende Elemente, einen durchgängig hochgehaltenen Spannungsbogen und ein unerwartetes Ende. Hier gibt es sicherlich noch Luft nach oben, da bin ich mal gespannt wie der zweite Band ausfällt. Für diesen ersten Teil gibt es jedoch nur 2 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2018
Retroland
Groebner, Valentin

Retroland


sehr gut

Waren Sie schon in Retroland?

Der Autor Valentin Groebner, Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance schreibt in seinem Buch „Retroland“ vom Geschichtstourismus, von unseren Reisen in die Vergangenheit und der Sehnsucht, geraniengeschmückte Altstädte zu bewundern, die vor Authentizität nur so leuchten. Doch was ist echt an Althergebrachtem? Warum lassen wir uns von der Tourismusindustrie täuschen? Gilt es, das Paradies im Vergangenen zu suchen? Diesen Fragen und mehr geht der Historiker auf den Grund – entstanden ist ein humorvoller Reisebericht aus „Retroland“ und der Erkenntnis, dass die Vergangenheit vergangen ist und man diese nicht zurückgewinnen kann. Es bleibt ein Loch, eine Lücke – auch wenn wir noch so sehr danach suchen…

Geschichtstourismus ist keine Erfindung unserer Zeit, sondern wurde bereits vor 500 Jahren von Mönchen entdeckt. Die erste Station der Reiseroute führt ins Piemont, wo wir Sacri Monti mit der Geburtsgrotte Christi und lebensgroßen Heiligenfiguren besichtigen. Natürlich alles Kopien, doch diese Sehenswürdigkeit inmitten italienischer Landschaft vermittelt einen Bezug zu Palästina und lockt Pilger scharenweise an.

Weiter entführt uns der Autor in verschlafene Altstädte, mittelalterliche Kathedralen, die teilweise durch Kriege oder den Lauf der Zeit zerstört und demontiert wurden und nun in neuem alten Glanz erstrahlen – mit Hintergrundgeschichten gespickt, die Touristen nur allzu gerne hören wollen.

„Geschichte, anders gesagt, wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etwas, was man neu bauen konnte und eigentlich auch neu bauen musste, wenn sie den technischen, ästhetischen und politischen Ansprüchen der Gegenwart genügen sollte.“

Wir besuchen auf unserer Reise durch Retroland u.a. Paris, Luzern, viel gestaltete unberührte Natur und machen einen Abstecher nach Sri Lanka, wo der Autor vom vermeintlichen Paradies erzählt, in dem man über Kärntner Internate oder Wiener Wohnungen spricht. Was ist denn nun das Paradies? Die Reise in ferne Länder oder doch das Vertraute?

„Könnte es sein, denke ich, dass Altstädte – zerstörte und wieder aufgebaute wie Warschau und Münster und restaurierte und aufgeschönte wie Luzern und Bologna – eigentlich Weihnachtsmärkte sind, Planeten aus einer ironischen Science-Fiction-Erzählung, und ihren Besuchern ist es im Grunde völlig gleichgültig, aus welcher Zeitzone die von ihnen durchwanderten Straßen stammen, solange sie dort Lebkuchen, Glühwein und in Ostasien produzierte Turnschuhe kaufen können?“

Touristen auf der Suche nach Identität, Gedenkfeiern und Jubiläumsfeste als Erinnerung an längst Vergangenes - ein Irrglaube, alles eine Inszenierung. Das Paradies muss wohl jeder für sich selbst finden, es ist in keinem Reiseführer verzeichnet und kann auch nicht von der Tourismusbranche vermittelt werden.
Groebner schreibt mit einer gewissen Selbstironie, teils mit ziemlich verschachtelten Sätzen, analysiert Historisches, vermittelt eigene Erlebnisse und vermischt diese mit seinen Recherchen.

Ein lesenswerter Reisebericht nach Retroland, für den ich gerne 4 Sterne vergebe.

Bewertung vom 09.09.2018
Work-Wife-Balance
Jessel, Jenk

Work-Wife-Balance


sehr gut

„Ihr macht das so toll“

Jenk Jessel spricht wohl den meisten berufstätigen Eltern aus der Seele. Seine Frau Sabine und er wollten Elternsein mit ihrem Beruf in Einklang bringen. Sie entschlossen sich dazu, auch mit Kind weiterhin Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig für ihr Kind da zu sein. Natürlich werden jetzt die ersten Kritiker aufschreien und Vorwürfe laut. Doch die Familie Jessel hat ihr Experiment durchgezogen und es geschafft – keiner sagt „mit Leichtigkeit“ und auf Sätze wie „Ihr macht das so toll“ reagieren alle Beteiligten allergisch …

Der Autor erzählt kleine Szenen aus einem Leben mit einem Kleinkind (später dann mit zwei), wenn beide Eltern berufstätig sind. Viele Situationen und Abläufe, die mit einem kleinen Kind an der Tagesordnung stehen, werden organisiert und zwischen den beiden Elternteilen (und zum Teil den Großeltern) aufgeteilt. Probleme beim Finden der richtigen KiTa oder Überschneiden der Termine, Krankheiten der Kinder oder Betreuungspersonen – es zeigt sich immer wieder: So gut man auch plant, irgendetwas geht immer schief und stellt die Familie vor neue Herausforderungen. Doch letztendlich zeigt sich, dass alles immer irgendwie zu schaffen ist.

„Müdigkeit ist nur eine Frage der Einstellung“

Viele Aussagen in dem Buch finde ich zum Schreien komisch, denn jeder mit Beruf und Kindern weiß wovon der Autor spricht, weiß wie ferngesteuert mancher Morgen verläuft, wenn die ganze Nacht am Krankenbett gesessen wird und am nächsten Tag trotzdem der Wecker klingelt. Doch zwischen dem Humor finden sich kritische Elemente, wie wenig hier vom Staat zu erwarten ist, dass man eben nicht im Norden lebt, usw. Ebenso beschreibt er die horrenden Kosten, die für Betreuung & Co nun im Finanzplan der kleinen Familie verankert sein müssen, wenn auch die Familie Jessel durchaus in der Lage ist, diesen finanziellen Zusatzaufwand locker zu stemmen wie es scheint.

Ich wünsche mir für alle berufstätigen Mütter, dass diese nicht schief angeschaut werden, weil sie ihrer Rolle als Frau und Mutter anscheinend nicht ausreichend nachkommen. Ein gesellschaftliches Umdenken, Unterstützung aus der Politik und Akzeptanz im Familien- und Freundeskreis würde so manches erleichtern. Jeder sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob ich für mein Kind für Jahre zu Hause bleibe oder ob mein Kind lernt, mit mehreren Betreuungspersonen umzugehen. Wir hatten uns vor Jahren auch dazu entschlossen, dass mit Kindern weiterhin gearbeitet wird (allerdings mit einer Oma in der Nähe) – heute sind alle drei beinahe erwachsen und es scheint nicht, dass meine Berufstätigkeit ihrer Entwicklung sonderlich geschadet hätte …

Ein unterhaltsames Buch, das dem „Glück einer vollbeschäftigten Familie“ gerecht wird.

Bewertung vom 06.09.2018
Das Verschwinden des Josef Mengele
Guez, Olivier

Das Verschwinden des Josef Mengele


ausgezeichnet

Der Todesengel von Auschwitz

Wer kennt ihn nicht? – Josef Mengele, sogenannter Arzt, besser bekannt als Todesengel von Auschwitz, der fröhlich singend Menschen in die Gaskammer schickte, sinnlose Experimente durchführte oder Kinder folterte und sezierte. Doch was passierte nach dem Zweiten Weltkrieg? Wohin flüchteten Kriegsverbrecher und wie verlief ihr weiteres Leben?

Oliver Guez hat hier einen faszinierenden Roman geschrieben, der das „Danach“ des Josef Mengele zum Thema macht. Unter falschem Namen flüchtet er von Deutschland über Südtirol und Italien bis nach Südamerika. Seine erste Station ist Argentinien, dessen Staatsoberhaupt Perón ein schützendes Händchen über Nazis legt. Unterstützt wird er von seiner Familie aus Deutschland, bald kann er sich auch in Südamerika ein Netzwerk an Helfern und Helfershelfern aufbauen. Von seiner ersten Ehefrau trennt er sich und heiratet (ein gerissener Schachzug sozusagen) seine verwitwete Schwägerin. Mit ihr führt er ein Luxusleben, prahlt und trägt seine überzogene Selbsteinschätzung zur Schau. Erst nach dem Sturz Peróns fühlt er sich nicht mehr sicher und sucht das Weite. Doch auch auf seinen weiteren Stationen kann er sich nicht mehr so sicher fühlen, immer wieder muss er untertauchen, vor Denunzianten fliehen. Er versteckt sich wie ein Tier, schafft sich eine Hundemeute an, die ihn beschützen soll, beobachtet von einem Hochsitz aus die Umgebung. Zu seinem Tagesablauf gehört seine ausgeprägte Paranoia dazu, immer mit Angst leben, immer auf der Flucht sein, verfolgt von dem eigenen Schatten.

Der Autor zeichnet hier einen ängstlichen, rastlosen Charakter, der trotzdem herrisch auftritt und sich hinter seinem Machtgehabe versteckt. Auch im Alter kennt Mengele kein Gewissen, sondern fühlt sich immer noch im Recht und plädiert auf Verständnis für seine Taten. Besonders beeindruckend fand ich seinen Sohn Rolf aus erster Ehe, für den es sehr schwer ist, einen solchen Vater zu haben. Er macht sich auf die Suche, fliegt nach Brasilien um letztendlich einen Menschen vorzufinden, der nichts bereut dafür einen Teil der Gräueltaten schildert. Mengele hofft auf Verständnis bei seinem Sohn, was ihm dieser verständlicherweise verwehrt. Letztendlich stirbt Mengele 1979 als Wolfgang Gerhard und wird in Brasilien begraben.

Auch viele andere Kriegsverbrecher wurden nie gefasst und für ihre Taten belangt. Guez schildert in seinem Roman auch, wie es dazu kam, wie sich die Prioritäten im Laufe der Zeit verschoben. Obwohl man während des Lesens immer wieder hofft, dass es nun endgültig klappt, Mengele zu erwischen, weiß man doch, dass dies nie der Fall war.

Ein bemerkenswerter Roman, dem ich viele interessierte Leser wünsche. Gerne vergebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 04.09.2018
Kaisersturz
Machtan, Lothar

Kaisersturz


ausgezeichnet

Ein Ende – oder doch ein neuer Anfang?

Das Jahr 1918 hatte es in sich, politische Umbrüche standen beinahe an der Tagesordnung. Hatte die Monarchie tatsächlich ausgedient? Oder haben die Machthabenden versagt und alles hätte anders kommen können? War die Zeit reif für einen Neuanfang?

Der Autor Lothar Machtan, emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Uni Bremen versucht Antworten auf diese Fragen zu finden. Gleich zu Beginn dieses aufschlussreichen Buches werden uns die Hauptakteure näher vorgestellt: Kaiser Wilhelm II., Friedrich Ebert und Prinz Max von Baden.

Man liest vom Auftritt Wilhelm II vor der Belegschaft der Krupp-Werke und merkt gleich, dass Empathie nicht Wilhelms Stärke war, beklagte er doch den fünften Sommer des Krieges vor versammelter Mannschaft: „Sorge und die Not, jeden Tag die Verantwortung für ein Volk von 70 Millionen zu tragen und dazu noch für die Verbündeten zu sorgen und alle die Schwierigkeiten und die zunehmende Not des Volkes zu sehen.“ Ich denke mal, dass die Bevölkerung Deutschlands zu Kriegszeiten andere Probleme hatte, als dem Kaiser Verständnis entgegenzubringen.

Immer wieder liest man von Wilhelms autokratischen Ansichten, vom Einfluss seiner Frau auf sein Verhalten, die offene Ablehnung seines Volkes (welche er nicht wahrhaben wollte). Er hielt fest an „seiner“ Politik, hielt sein Konzept für richtig und war überzeugt unantastbar zu sein …

Während Ebert unbedingt die Sozialdemokratie inkludieren wollte, hielt Kanzler Max an einem Fantasiegebilde fest, unfähig Entscheidungen zu treffen. Besonders hervorgehoben wird das Zusammenspiel der Protagonisten dieser Umbruchphase, wollten doch ursprünglich alle drei, das Deutsche Kaiserreich erhalten, den Machtanspruch festigen. Ein gemeinsames Ziel vor Augen reicht offenbar nicht aus, um auch einen gangbaren Weg zu verfolgen. Statt einem Miteinander stellten sie sich gegenseitig Hindernisse in den Weg, jeder trug letztendlich sein Schäufelchen zum Scheitern bei. Es gelingt dem Autor, dies plausibel und gut strukturiert zu analysieren und so beschert er dem Leser so manches „Aha-Erlebnis“.

Der Schreibstil des Autors ist trotz des schwierigen Themas flüssig und sehr informativ, das Buch liest sich spannend. Auch die eingeflochtenen Analysen finde ich sehr gelungen und veranschaulichen die politischen Netzwerke und Abläufe. Der Autor schafft es, sich nicht in Details zu verlieren und gibt einen guten Überblick darüber, welche Unfähigkeiten letztendlich zum Scheitern der Monarchie führten.

Ein sehr spannendes Buch, empfehlenswert für alle Leser, die an geschichtlichen Hintergründen und Veränderungen interessiert sind. Gerne vergebe ich fünf Sterne und eine Leseempfehlung.