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Benutzername: 
miss.mesmerized
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Deutschland
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https://missmesmerized.wordpress.com/

Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 03.12.2017
Kukolka
Lux, Lana

Kukolka


ausgezeichnet

Ein Kinderheim in Dnepropetrowsk, Ukraine. Samira und Marina kennen ihre Eltern nicht, auch kein Leben in einer Familie, nur das im Kinderheim kennen sie und immer träumen sie von einem besseren Dasein. Regelmäßig kommen Erwachsene, um sich Kinder auszusuchen, so auch Marina, die die Heimat verlassen und in Deutschland ein neues Leben beginnen darf. Ihrer Freundin zu folgen wird für die nächsten Jahre der sehnlichste Wunsch von Samira bleiben. Sie reißt aus dem Kinderheim aus und wird von Rocky aufgegriffen. Er ist jedoch nicht der freundliche Helfer, als der er zunächst scheint, sondern hat eine ganze Bande von Kindern angestellt, die für ihn klauen und betteln. Trotz aller Widrigkeiten hat Samira eine Ersatzfamilie und mit Dascha und Lydia so etwas wie große Schwestern. Doch die Zeiten ändern sich und mit zunehmendem Alter wird Samira für Männer als Sexobjekt interessant. Dima scheint die Rettung zu sein, er schafft es sogar, Samira nach Deutschland zu bringen, doch der Preis, den sie dafür zahlen muss, ist hoch.

„Kukolka“ – das Püppchen. Das ist die dunkelhaarige Samira zunächst für alle. Das ahnungslose naive Mädchen, das mit seinen 6-7 Jahren alleine davonläuft und den Weg nach Deutschland antritt. Leicht findet sie Menschen, die sich um sie kümmern, doch diese haben immer Hintergedanken und nichts ist umsonst in ihrem Leben. Bei jeder Etappe denkt man, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann. Zum Betteln und Stehlen versklavt, verwahrlost und ohne jede Bildung – was sie bei Rocky erlebt ist der böse Alptraum eines unsäglichen Kinderlebens. In einem Haus ohne fließendes Wasser, immer wieder auch mit dem Tod und Gewalt konfrontiert – was sollte das noch überbieten können?

Dima scheint die Hoffnung zu sein. Er ist freundlich, hat eine saubere Wohnung, behandelt Samira gut – doch sein wahres Gesicht zeigt er erst später. Viel zu jung wird Samira missbraucht, verraten, verkauft. Ob all der Grausamkeiten, die das Mädchen ertragen muss, kann man gar nicht glauben, dass ein einziges Menschenleben das aushalten kann. Bei realistischer Betrachtung weiß man jedoch, dass dies auch eine Realität ist, die sich in einer Parallelgesellschaft mitten unter uns abspielt, vor unseren Augen ohne dass wir es sehen.

Lana Lux erspart ihrer Protagonistin und dem Leser nichts. Ein unbändiger Überlebenswille, getrieben von den Gedanken die Freundin wiederzusehen und ebenfalls eine gute deutsche Familie zu finden, hält sie am Leben und lässt sie all das ertragen, was man ihr zufügt. Der Roman ist ganz sicher nichts für feinbesaitete Gemüter, zu schonungslos und direkt schildert die Autorin Gewalttätigkeiten und Missbrauch. Gleichzeitig zeichnet sie das Psychogramm einer starken jungen Frau, die zwar immer wieder droht sich in ihrer Phantasiewelt zu verlieren, einem Schutzwall um das Leben zu ertragen, aber letztlich ihren Weg mutig geht und überlebt. Sie deckt Mechanismen auf, die es Menschen erlauben, sich anderer zu bemächtigen und diese auszunutzen:

„Ich wusste, dass mich das gleiche Schicksal erwartet wie Dascha und Lydia. Ich wusste, dass ich zu niemandem gehöre und nichts wert bin. Dass ich einfach da bin, so wie Kakerlaken. Niemand weiß, wo die ehrkommen. Niemand braucht sie. Sie leben, bis einer sie wegklatscht.“ (Pos. 2480)

Sie glaubt, dass sie schuld am Schicksal von Dascha und Lydia sei und nun ihre gerechte Strafe bekommt. Mit dieser Schuld muss sie leben und die Strafe ertragen, bis sie irgendwann tot ist.

Ein beeindruckender Roman, der einem als Leser nicht kalt lassen kann. Trotz oder gerade wegen einer gewissen Nüchternheit in der Erzählung geht er unter die Haut und setzt sich fest. Für mich eindeutig eins der literarischen Highlights 2017.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.11.2017
Then She Was Gone
Jewell, Lisa

Then She Was Gone


ausgezeichnet

Ellie just wants to go to the library to study for her GCSEs. But she never arrives there and is never seen again. Her mother Laurel is sure that her daughter is still alive, but where? Ten years pass by, the family splits up and Laurel is alone with her grief. When she meets Floyd, she experiences happiness for the first time in many years. Can this be true? Finding love at the age of 55? But why is the famous writer in love with her, this old, nondescript woman? When she meets Floyd’s daughter Poppy for the first time, a vile thought is planted in her head. Was their encounter really a coincidence? Who is that man in reality?

Lisa Jewell tells the story of the vanished girl from different perspectives at different points of time. Thus, the full picture is only revealed bit by bit throughout the story and the tension is constantly kept high. You never know whom you can really trust, what is true and what isn’t, you can guess, but at times, you might be completely wrong.

I especially liked the mystery about Floyd and his daughter. At the first glance, they appear to be a bit too perfect, too lovely and likeable to be real. Just because of this you become suspicious. Is Floyd the nice loving man or is he simply evil? What might happen to Laurel when she keeps on dating him? From the experience of reading thrillers you are convinced that sooner or later something really wicked will happen, you simply wait for it to happen all the time – of course you still hope that by some miracle the nice and decent woman is spared another nightmare in her life.

“Then she was gone” is not a too bloody thriller, but it is creepy due to the characters and you always teeter on a knife edge about what is going to happen next. So, Lisa Jewell successfully plays on the reader’s nerves – just what I would expect from a good thriller.

Bewertung vom 28.11.2017
Totengrab (eBook, ePUB)
Nixon, Keith

Totengrab (eBook, ePUB)


gut

In dem englischen Provinzstädtchen Margate stürzt sich ein Teenager von einem Balkon. Selbstmord, so die erste Erkenntnis der Polizei. Doch Detective Sergeant Solomon Gray hat ein ungutes Gefühl, könnte der Jugendliche sein seit 10 Jahren vermisster Sohn sein? Noch immer ist er auf der Suche nach dem Jungen, von dem seither jede Spur fehlt und der noch irgendwo da draußen sein muss. Vor allem ist es seltsam, dass der Tote auf seinem Handy die Nummer Grays gespeichert hatte. Was hat dies zu bedeuten? Bei der Suche nach Angehörigen stößt Gray bald auf einen alten Bekannten, der den Fall in einem anderen Licht erscheinen lässt. Doch die Entwicklungen fordern ihren Tribut und mehr und mehr versinkt Gray wieder in der Depression, die ihn schon seit Jahren im Griff hat.

Der Ansatz des Krimis klingt fesselnd und hat viel Potenzial. Leider wurde dieses für meinen Geschmack in der Umsetzung verspielt, so dass nur ein durchschnittlicher Roman mit überschaubarere Spannung entstanden ist. Die Parallelen zwischen dem toten Jugendlichen und dem vermissten Sohn des Polizisten bieten eigentlich viel Raum für Spekulation und nervenzerreißende Ermittlungen, aber dies wird zu schnell aufgegeben.

Die Ermittlungen verlaufen insgesamt nicht sehr zielstrebig und wenig überzeugend. Steht zunächst vor allem für seine Vorgesetzten die Frage im Raum, welche Verbindung es zwischen dem Jungen und Gray gibt, wird dies irgendwann einfach nicht mehr verfolgt und letztlich ignoriert. Auch wird ein großer Skandal angelegt, der jedoch ebenfalls auf der Strecke bleibt und nicht den vermuteten und erhofften großen Knall bringt. Aus dem Nichts taucht derweil ein zweiter Fall und zahlreiche Ermordetet auf – hier fehlt mir die Plausibilität, das Handeln der Figuren ist nicht überzeugend motiviert und zu zufällig, um gerade zu diesem Zeitpunkt wirklich diesen Verlauf zu nehmen.

Der Protagonist hat zwar mit der Anlage seiner Vorgeschichte einige Facetten, die mit in die Handlung einspielen, aber mir bleibt er zu eindimensional und schablonenhaft. Zu oft hat man von dem vom Schicksal schwer getroffenen Ermittler gelesen, der depressiv wird und sich mit Alkohol derart zudröhnt, dass er sich an seine eigenen Handlungen nicht mehr erinnern kann und in geistiger Umnebelung schwere Straftaten begeht – was ihn aber nicht daran hindert im Alleingang dennoch den Fall aufzuklären. Solomon Gray kann mich nicht als Fan gewinnen.

Alles in allem durchaus lesbar, aber kein Krimi, der für mich so überzeugend ist, dass ich weitere Bände aus der Reihe lesen wollen würde.

Bewertung vom 26.11.2017
Geboren, um zu töten / The Fourth Monkey Bd.1 (eBook, ePUB)
Barker, J. D.

Geboren, um zu töten / The Fourth Monkey Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Immer dasselbe Muster: erst das Ohr des Opfers, dann die Zunge, dann die Leiche. Und immer soll ein naher Verwandter damit betraft werden, denn dieser hat etwas Böses getan. Seit Jahren jagt Sam Porter den sogenannten Four Monkey Killer, der Chicago in Angst und Schrecken versetzt. Doch nun scheint das Schicksal auf Seiten der Ermittler zu sein, denn beim Ausliefern des Ohres eines vermissten Mädchens wird der Bote überfahren; bei sich hat er auch das Tagebuch des Killers. Doch schnell müssen Porter und sein Team feststellen, dass der Tote nicht der gesuchte Serientäter sein kann. Sie ahnen jedoch nicht, dass dieser ein perfides Spiel für seine Jäger vorbereitet hat, sie sind zu sehr mit dem Fall beschäftigt, um diese Option in Betracht zu ziehen und bringen sich damit selbst in höchste Gefahr.

J.D. Barkers Thriller „The Fourth Monkey“ lässt keine Wünsche offen, die man an einen spannenden und nervenzehrenden Fall stellen könnte: Eine komplexe Story, deren Einzelteile sich erst langsam zusammenfügen und schließlich einen clever konstruierten Plot ergeben. Ein zunehmend hohes Tempo der Handlung. Teilweise grenzwertig brutale Szenen, die jedoch sehr deutlich schildern, wie weit der menschliche Abgrund reicht und wozu Psychopaten fähig sind. Dies lässt einem nur umso mehr Sorge um das bedauernswerte Opfer haben. Dazu ein vielschichtiger Ermittler, der mit seinem Privatleben zu kämpfen hat und dadurch weitere Facetten jenseits der Ermittlungsarbeit erhält.

Bereits sein erster Roman wurde begeistert aufgenommen und für den Bram Stoker Award nominiert. Der Thriller um den Four Monkey Killer ist J.D. Barkers zweiter Wurf, der den Leser sofort packt und der geschickt sie Spannung so platziert – zahlreiche Cliffhanger nicht nur zwischen den Kapiteln, sondern auch am Ende des Buchs, was geradezu nach einer Fortsetzung schreit – dass man den Roman schlichtweg nicht weglegen kann. Dass die Filmrechte bereits verkauft sind, wundert dabei auch nur wenig.

Bewertung vom 21.11.2017
Ehemänner
Attenberg, Jami

Ehemänner


sehr gut

Sechs Jahre schon liegt Martin im Koma. Sechs lange Jahre steht auch das Leben seiner Frau Jarvis still. Zwischen dem New Yorker Loft und dem Pflegeheim pendelt sie, darüber hinaus hat sie eigentlich kein Leben mehr, keine Bekanntschaften, die sie pflegt, keine Freundschaften. Als sie dank einer defekten Waschmaschine in einem Waschsalon auf Tony, Mal und Scott trifft, wird plötzlich der Lebensmut wieder in Jarvis geweckt. Sie findet die drei Haus- und Ehemänner spontan sympathisch und fiebert jedem Treffen entgegen. Langsam hinterfragt sie ihr gegenwärtiges Lebenskonstrukt und als sie beginnt sich um Martins künstlerische Hinterlassenschaften zu kümmern, lernt sie zu ihrem Leidwesen auch eine Seite ihres Ehemanns kennen, die ihr bis dato nicht bekannt war. Sie muss sich entscheiden: weitermachen wie bisher oder eine lebenswichtige Entscheidung treffen.

Jami Attenbergs Roman „Ehemänner“ ist bereits vor zehn Jahren erschienen, wurde jedoch jetzt erst in deutscher Übersetzung aufgelegt. Meiner Meinung nach merkt man, dass dies ihr erster Roman nach der Veröffentlichung von Kurzgeschichten war, ihr späterer Durchbruch und Erfolgsroman „The Middlesteins“ ist schon deutlich ausgereifter und im Humor subtiler. Nichtsdestotrotz erkennt man schon in diesem Roman das Potenzial der Autorin.

Dies zeigt sich vor allem in der Figurenzeichnung. Jarvis ist ein sehr eigenwilliger Charakter, der jedoch nichtsdestotrotz authentisch und lebendig wirkt. Ihre Situation ist fern von alltäglich, aber die grundsätzliche Frage, ob man in seinem Leben gefangen ist und sich ob der eigenen Passivität dem Schicksal hingibt oder den Mut besitzt, aktiv zu werden und auszubrechen, ist wiederum eine sehr weit verbreitete Problematik, der sich viele Menschen gegenübersehen. Eine kleine Begegnung, zufällig, ungeplant und kurz, bringt schließlich den Stein ins Rollen und das sorgsam aufgebaute Lebensgerüst ins Wanken. Dass dies schmerzlich sein kann, muss auch Jarvis erfahren. Jami Attenberg erspart ihrer Protagonistin nichts, der Ausbruch geht nicht ohne Leiden und Schrammen vonstatten – aber so ist das Leben und das hat die Autorin eingefangen.

Einmal mehr konnte sie mich Jami Attenberg jedoch vor allem mit der Atmosphäre überzeugen, die sie in ihrem Roman schafft. Man taucht in New York bzw. Williamsburg ein, spürt den Puls der Stadt, die jüdische und von Künstlern geprägte Umgebung, die ihren ganz eigenen Rhythmus lebt. Überhaupt hat sie für mein Empfinden speziell die kleine und recht überschaubare Artistenszene sehr glaubwürdig dargestellt: der Neid und Egoismus, mit dem die Karrieren verfolgt werden; Freundschaften und Beziehungen, die dem Erfolg untergeordnet werden. Auf der anderen Seite aber auch die noch erfolglosen Tingler wie die Ehemänner aus dem Waschsalon, die sich dank des Einkommens der Partnerinnen oder kleinerer Jobs über Wasser halten, bis vielleicht irgendwann der Durchbruch kommt – oder auch nicht. Das alles lebt von Jami Attenbergs Ausdruckstalent, bemerkenswert wie sie immer wieder kuriose Vergleiche und treffende Formulierungen findet, um die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Auch wenn für mich das Ende nicht ganz überzeugend ist, ein lesenswerter Roman über eine Frau am Scheideweg ihres Lebens.

Bewertung vom 17.11.2017
First Person
Flanagan, Richard

First Person


gut

Kif Kehlmann is dreaming of being a writer. With his wife pregnant with twins and their financial situation rather critical, the offer of writing a book is welcomed. Yet, the frame conditions are hard: he will receive 10 000 dollars if he writes the autobiography of Australia’s most wanted fraudster within 6 weeks. Money is money and writing is writing, so Kif accepts the deal not knowing what lies ahead of him. His friend Ray warns him, as Siegfried Heidl’s bodyguard, he knows him quite well and he knows what Heidl is capable of. What sounded like an easy tasks reveals itself a mission impossible. First, Heidl varies the story of his life again and again, Kif does not even know the basic facts and the more he listens to him, the more confused he gets. Second, Siegfried Heidl seems to get into his head, he cannot let go of him anymore and slowly, Kif starts to question his whole life.

If have read other books by Richard Flanagan which could really thrill me, unfortunately, “First Person” does not belong to those. It took almost a third of the book to really get into the novel. Admittedly, it is getting better and better in the course of the time, but I am sure many readers will never reach this point.

Flanagan presents two strong protagonists who are quite appealing and interesting. Kif with his dream of writing a novel sold thousands of times and at the same time struggling with his private life. His head is full with other things, diving into a task such as the ghostwriter’s job seems rather impossible at this moment of his life. And both, his life and the writing, turn out to be incompatible.

Siegfried on the other hand is fascinating because we can never really make up a picture of him. Is he a con man or is he actually super-clever? Which pieces of the story he tells are true (in as much as fiction can be true), which are just narrative? Or as Kif puts it:

“For Heidl wasn’t so much a self-made man as a man ceaselessly self-making.” (pos. 3055)

It is his strange charisma that makes him enthralling and captivating. Kif, too, in his description is oscillating between adoration and disdain:

“I couldn’t decide whether I hated Heidl or admired him, if I was his friend or his enemy, if I wanted to save him or kill him.” (pos. 2877) and yet, “He was the closest thing to a man of genius I ever met.” (Po. 3747)

The dance they do is shows that Flanagan is one of the best writers of our time, but nevertheless, this story just was not one that could capture me completely.